BLKÖ:Thonet, Michael

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 44 (1882), ab Seite: 258. (Quelle)
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Thonet, Michael (Großindustrieller, geb. zu Boppard in Rheinpreußen am 2. Juli 1796, gest. in Wien 3. März 1870). Ueber seinen Lebenslauf bis 1834 ist nichts Näheres bekannt. In diesem Jahre machte er in seiner Vaterstadt Boppard die ersten Versuche, Längenholz in jeder Richtung bleibend zu biegen. Auf Anregung des Fürsten Metternich, den er wahrscheinlich auf dessen nur wenige Stunden von Boppard gelegener Besitzung Johannisberg keimen gelernt, ging er nach Wien, wo seine Erfindung nicht geringes Aufsehen machte und schnelle Verbreitung fand. Aber er hatte daselbst auch mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen, die erst nach und nach behoben wurden, und zwar vornehmlich durch Mitwirkung des niederösterreichischen Gewerbevereins, der in der politischen und industriellen Geschichte unseres Vaterlandes immer eine glanzvolle Rolle gespielt hat. Nach längerem Ringen und Streben gelang es ihm 1850, eine große Fabrik zu gründen, in welcher er Stühle, Fauteuils, Sophas und Tische aus gebogenem Holze erzeugte, die durch ihre Dauerhaftigkeit, Leichtigkeit und schöne Form bald sehr beliebt und so verbreitet wurden, daß ihr Bedarf nicht nur in Oesterreich ein sehr bedeutender war, sondern daß man sie auch nicht minder stark ins Ausland begehrt. Das Privilegium auf seine Erfindung hatte Thonet im letztgenannten Jahre genommen, und auf der Londoner Ausstellung 1851 trug er mit seinem Fabricate die Preismedaille davon. Nun wurden seine gebogenen Möbel, welche vermöge ihrer Zerlegbarkeit sich leicht verpacken ließen, bald ein so starker Ausfuhrartikel, daß bereits 1854 das Exportgeschäft allein ein Drittel der Fabrication in Anspruch nahm. Noch im nämlichen Jahre erhielt er in München die Preismedaille und im folgenden zu Paris die Preismedaille erster Classe. In letzterer Stadt erregte er durch zwei Tische und drei Parquettentafeln, in welchen Streifen gebogenen Holzes in den schönsten und mannigfachsten Verschlingungen eingelegt waren, großes Aufsehen. Da zeigte sich eben die [259] bisher unbekannte Kunst der Holzbiegung in ihrer ganzen Bedeutung: denn auf den großen Platten der beiden Tische waren die meisterhaften Dessins durch gebogenes Hotz ausgeführt, das durch Beizung die Farbe und das Aussehen verschiedener feiner Holzarten, wie Nuß-, Mahagoni-, Palisander- und anderes Holz, erhalten hatte. Ebenso mannigfaltig zeigten sich die Fußbodenparquetten, deren Arabesken durch die verschiedenen Krümmungen und künstliche Beizung der Holzschienen hergestellt wurden. In hohem Grade zogen diese Gegenstände die Aufmerksamkeit aller Fachmänner auf sich, und die Bestellungen flossen von allen Seiten zu. Noch beschäftigte Thonet damals in feiner Wiener Fabrik (Mollardgasse 173) erst siebzig Arbeiter. Aber bald gewann seine Arbeit europäischen Ruf und wurde nach allen Welttheilen exportirt, so daß er zur Zeit der Pariser internationalen Ausstellung 1862 bereits über 800 Arbeiter in seinen zwei Fabriken zu Koritschau und Bistritz in Mähren beschäftigte, welche im Jahre circa 70.000 Stühle anfertigten, von denen 25.000 in Oesterreich blieben, während die übrigen durch Lagermagazine in Hamburg, Paris und London ins Ausland gingen. Bis 1860 bewerkstelligte Thonet die Biegungen durch mehrere Theile (Schienen), diese wurden sodann einzeln gebogen und die Büge zusammengeleimt. Letztere hielten aber in manchen, insbesondere feuchten Gegenden nicht Stand, sie lösten sich, und die Haltbarkeit der Möbel schien dadurch in Frage gestellt. Da gelang es dem Erfinder, jede beliebige Biegung nicht mehr, wie früher in dem in Schienen geschnittenen, sondern in ganzem Holze hervorzubringen, wodurch nun diese Möbel für jedes Klima geeignet waren, da keine Leimfuge mehr durch Feuchtigkeit aufgelöst werden kann. Auch stellte Thonet 1862 nach einer ganz neuen Construction Wagenräder her, welche von den gewöhnlichen auf den ersten Blick sich unterscheiden. Bei seinen Rädern fällt die Holznabe ganz weg; die Speichen laufen auf der Mitte zusammen, stehen auf den Achsen auf und liegen an einer Metallbüchse an, welche an der Außenseite einen Deckel zum Wegnehmen hat, der mit Mutterschrauben befestigt wird. Durch diese Construction ist die Möglichkeit gegeben, jede Speiche einzeln herauszunehmen, ohne das Rad selbst ganz auseinandernehmen zu müssen. Den beiden genannten Fabriken gesellte sich nun bald eine dritte zu Ugrócz in Ungarn hinzu, und im Jahre 1867 beschäftigte Thonet bereits 1500 Menschen und gegen 150 Pferde zur Holzzufuhr und Waarenexpedition; außerdem arbeiteten drei Dampfmaschinen von zusammen über 100 Pferdekraft Tag und Nacht und wurden täglich 800 Stück verschiedene Sitzmöbel verfertigt. So nahm das Geschäft stetig zu. Als er, 74 Jahre alt, starb, besaß dasselbe neben den Fabriken zahlreiche Filialen, gab schon über 4000 Arbeitern Brod, erzeugte täglich 1500, also im Jahre über 450.000 Möbelstücke. In einem Nachrufe, der diesem bedeutenden Industriellen, dessen stetiges Fortschreiten wir nach den Handelskammerberichten absichtlich ausführlich darstellen, gewidmet ist, heißt es wörtlich: „Die Thonet’sche Sitzmöbelfabrik ist unstreitig die größte in der Welt und von einem Manne gegründet, der bis zu seinem Ende dabei selbstthätig wie jeder seiner Arbeiter mitwirkte“. Zur Zeit der Wiener Weltausstellung 1873 besaß das Geschäft außer den genannten drei Fabriken bereits eine vierte zu Wsetin in Mähren, Flechtereien zu Strilek, [260] Nessowitz, Butschowitz, Dřevohostitz, Kotsch, Vsechowitz, Branek, Saybusch, Howiesi, Oslany, Privitz, Klein-Ugrócz, Kolaczno, Zsambokrot, Chinoran, Rasplereien zu Buchlowitz, Kotsch, Skaczan, Baan, eine Gartenmöbelfabrik zu Holleschau, drei Sägewerke zu Saybusch, eine Drechslerei und Biegerei zu Hollenkau und Dampfsägen zu Zsittna und Hollenkau. Niederlagen unter eigener Firma befanden sich im genannten Jahre zu Wien, Pesth, Brünn, Frankfurt a. M., Berlin, Hamburg, Paris, Amsterdam und London, und das Exportgeschäft betrug drei Viertheile der ganzen Production. Diese, im Jahre 1872 im Durchschnitt auf 2120 Möbelstücke per Arbeitstag sich belaufend, steigerte in der Folge sich noch, und 1873 standen bei 5200 Arbeitern 11 Dampf-Maschinen von zusammen 380 und drei: Wasserwerke mit 60 Pferdekräften im Betriebe. Michael Thonet war einer der intelligentesten Industriellen unserer Zeit, der niederösterreichische Gewerbeverein zählt ihn zu seinen Gründern und thätigsten Förderern in jeder Richtung. Seine Majestät zeichnete ihn mit dem Franz-Joseph-, der Kaiser von Mexiko mit dem Guadeloupeorden aus. Auch besitzt das Geschäft neunzehn Auszeichnungsmedaillen von verschiedenen Ausstellungen des In- und Auslandes. Unter der Firma Gebrüder Thonet – denn Michael sen. überleben fünf Söhne – blüht es noch heute.

Bericht über die allgemeine Agricultur- und Industrie-Ausstellung zu Paris im J. 1853. Herausgegeben unter der Redaction von Dr. Eberhard A. Jonák (Wien 1857/58, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, gr. 8°.) Bd. III, 24. Classe, S. 43. – Oesterreichischer Bericht über die internationale Ausstellung in London. Im Auftrage des k. k. Ministeriums für Handel u. s. w. Herausgegeben unter Leitung von Prof. Dr. Jos. Arenstein (Wien 1863, Staatsdruckerei, schm. 4°.) S. L, 592 und 595. – Arenstein (Jos. Prof. Dr.). Oesterreich auf der internationalen Ausstellung 1862 (Wien 1862, Staatsdruckerei, schm. 4°.) S. 98, Nr. 1221. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1871, Nr. 63. – Presse (Wiener polit. Blatt) Nummer vom 7. September 1855: „Aus den österreichischen Abtheilungen des Pariser Industrie-Palastes XI.“.