Benutzer:Jeb/Die Gartenlaube (1903)/Melancholie, Schwermut (Otto Dornblüth)

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Über Melancholie, Schwermut.

Von Dr. Otto Dornblüth.

Wenn wir von den Leiden des jungen Werther lesen, erfasst uns inniges Mitleid mit seinen Qualen und mit seinem traurigen Ende, und doch ist seine Melancholie mehr ein Spiel der Phantasie als eine Krankheit, sie wäre geheilt gewesen, wenn er seine Lotte gewonnen hätte. Aber dass er um etwas leidet, was jeder verstehen kann, sichert ihm das Mitgefühl der andern, seien sie glücklicher als er oder ebenso unglücklich.

Es gibt aber Kranke, die sich noch viel unglücklicher fühlen als Werther, ohne daß sie jedoch die Ursache ihres Seelenleidens nennen könnten, Kranke, denen das ganze Leben grau in grau erscheint, und die doch kein Verständnis finden, weil man sich sagt: sie haben ja keinen Grund, schwermütig zu sein, sie sollen sich nur zusammen nehmen, dann werden sie schon wieder vergnügt werden. Und doch ist mit diesem Rat bei solchen Leuten nichts zu erreichen – ihr Zustand kann durch den bloßen Willensakt nicht dauernd gebessert werden.

Ja, gibt es denn eine Krankheit, eine wirkliche, nicht eingebildete Krankheit, die sich ohne weitere Zeichen körperlichen Leidens nur in Schwermut äußert? Es gibt eine solche echte Krankheit, sie gehört sogar zu den häufigsten und wichtigsten Nervenkrankheiten und ist daher den Fachmännern wohl bekannt, aber leider gehört sie immer noch zu den Zuständen, denen die Laien vielfach verständnislos gegenüberstehen. Die Melancholie hat ihren Namen von alten griechischen Ärzten, die ihr Wesen im Übertritt schwarzer Galle in das Blut zu erkennen glaubten. Weiterhin hat man viele verschiedene Krankheiten mit unter diesem Namen begriffen, namentlich eine Reihe von Geisteskrankheiten, die ebenfalls mit trüber Stimmung beginnen. Aber die heutigen Nervenärzte verstehen unter Melancholie eine ganz bestimmte Erkrankung, die keine Geistesstörung im populären Sinne einschließt, sondern sich nur in trüber Gemütsstimmung und in geistiger Hemmung äußert. Man muß daher ihre einfachen Fälle, wenn man Geistes- und Nervenkrankheiten trennen will, jedenfalls zu den Nervenkrankheiten rechnen. Das ist auch deswegen gerechtfertigt, weil die wirkliche Melancholie niemals in einer ausgesprochene Geisteskrankheit übergeht.

Die Melancholie kann ganz ohne bekannte Veranlassung entstehen, in den allermeisten Fällen aber findet sich wenigstens einer annehmbare Ursache dafür, öfters auch eine dem Laien einleuchtende Veranlassung. Dahin gehören namentlich die Zustände von Schwermut, die sich aus der normalen Trauer entwickeln, zumal bei Müttern, die den Tod eines geliebten Kindes nicht verwinden können und Jahr für Jahr in derselben Trauer bleiben, während bei Gesunden die Zeit auch den heftigsten Schmerz lindert. Die Umgebung kann sich dann meist nicht vorstellen, daß es sich hier um eine Krankheit handelt; entweder spricht man von einem allzu weichen Gemüt, oder man tadelt das haltlose Sichhingeben an einen Schmerz, den nur zu viele überwinden müssen. Daß es sich aber wirklich um eine Krankheit handelt, ergibt sich aus dem heilenden Einfluß einer geeigneten ärztlichen Behandlung, die bei normaler Trauer natürlich versagen würde. Leichter ersichtlich ist der krankhafte Zusammenhang, wenn die Schwermut nach Einwirkung übergroßer Freude entsteht. Wiederholt ist es vorgekommen dass das unvermutete wieder Auftreten eines totgeglaubten Gatten oder Sohnes die liebenden Angehörigen in wahre und lang dauernde Melancholie versetzte; die Geschichte der Seefahrerfamilien ist reich an solchen Erinnerungen. Auch der Gewinn des großen Loses oder eine unerwartete Erbschaft hat schon manchmal eine so betrübende Wirkung nach sich gezogen; dem Arzt ist sie erklärlich, weil der freudige Affekt ebensowohl die Spannkraft des Nervensystems lähmen kann wie der traurige.

In andern Fällen sind es nicht einmalige Wirkungen, sondern anhaltende Anforderungen an die Nervenkraft, die zu einer solchen Erschöpfung führen. So kann bei beiden Geschlechtern die Verlobung mit ihren neuen Anforderungen an Gemüt und Denken gerade bei Ernstgestimmten zu einer Schwermut führen. Noch häufiger sind es für die junge Frau die vielgefürchteten Ansprüche des neuen Haushaltes, die ihr zunächst begründete, dann aber krankhaft gesteigerte Sorgen machen und schließlich ihre Leistungsfähigkeit und Lebensfreudigkeit beeinträchtigen. Bei Männern geschieht dasselbe vorzugsweise durch Überanstrengung im Beruf, namentlich wenn Sorgen, Unannehmlichkeiten oder häusliches Leid hinzukommen. Wiederholt habe ich gesehen, daß das Zusammenleben mit einer sehr nervös reizbaren Ehehälfte von wesentlich verschiedener Lebensanschauung zu Schwermut des anderen Ehegatten führte.

Eine der wichtigsten Ursachen der Melancholie ist die Verminderung der Lebensenergie, die sich im fünften Jahrzehnt des Lebens geltend macht. Sie tritt bei verschiedenen Menschen in sehr verschiedenem Grade ein, aber bei sorgfältiger Beobachtung kann man sie so regelmäßig nachweisen, daß man sehr wohl von Wechseljahren beim Manne und bei der Frau sprechen kann. Bei den Melancholien dieser Jahre fehlen oft alle anderen Ursachen, so daß man von einer direkten Einwirkung dieser Zeit sprechen muß.

Auch körperliche Krankheiten können Schwermut hervorrufen. Gemeint ist damit natürlich nicht die begründete Betrübnis über eine schwere oder hartnäckige Krankheit, sondern eine trübe Stimmung, die weit über das hinausgeht, was sich der Kranke selbst bei seiner Krankheit denkt. So habe ich mehrmals bei Kranken mit ganz unbedeutenden und bald in völliger Heilung übergehenden Spitzenkatarrhen eine echte melancholische Verstimmung gesehen, die nicht mit der Heilung des Katarrhs verschwand, sondern erst durch besondere Kur gehoben werden konnte. Oft ist der Zusammenhang mit körperlichen Beschwerden übrigens umgekehrt: die Melancholie verbindet sich fast immer mit Darniederliegen des Appetits, mit Magenbeschwerden, üblem Geschmack, Darmträgheit etc., die sämtlich Folgen der nervösen Hemmung und Verstimmung sind. Mit Unrecht hat man in solchen Fällen die Magen-Darm-Störungen als Ursache der trüben Stimmung angesehen. Zahlreiche derartige Kranke werden monate- und jahrelang auf Magenleiden behandelt, verspüren dabei die vorhin erwähnte Linderung, die dem Trost einer sorgsamen Behandlung zuzuschreiben ist, werden aber die zu Grunde liegende Verstimmung nicht los.

Sie nehmen dann gewöhnlich an, daß der vermeintliche Magenkatarrh noch solche Folgen hinterlassen habe. In Wirklichkeit ist der so viel angenommene Magenkatarrh eine sehr seltene Krankheit, außer bei Trinkern, die fast immer daran leiden, und was so genannt wird, ist in der großen Mehrzahl der Fälle ein nervöses Magenleiden. Der Beweis für das von mir behauptete Verhältnis zwischen Melancholie und Magenverstimmung liegt darin, daß die sachgemäße Behandlung der Melancholie ohne jedes Eingehen auf die Magenbeschwerden die trübe Stimmung und zugleich die Verdauungsstörungen beseitigt. Auch das Auftreten eines Magenkatarrhs ohne äußere Ursache und vielleicht gar infolge von Gemütsbewegungen sollte schon genügend darauf hinweisen. – Derselbe Zusammenhang ergibt sich häufig für Melancholie und Unterleibsleiden, mögen sie nun als Hämorrhoiden, Blasenstörungen oder als Frauenleiden auftreten. Die Fortschritte der Untersuchungsmethoden und der chirurgischen und gynäkologischen Technik haben dazu geführt, daß man den örtlichen Beschwerden schnell und mit allen Mitteln entgegentritt, und die vorübergehenden Erfolge erhalten vielfach in den Operateuren den Glauben, daß sie mit ihren Eingriffen die Schwermut geheilt hätten. Daß solche Unterleibsleiden eine Melancholie hervorrufen, ist jedenfalls außerordentlich selten, dagegen gehört es zu den alltäglichen Beobachtungen des Nervenarztes, daß vergeblich behandelte Frauenkrankheiten etc. bei Gesundung des Nervensystems spurlos verschwinden. Daran sollte also in jedem Falle gedacht werden.

Das Wesen der Melancholie ist durch die Vereinigung von trüber Gemütsstimmung und geistiger Hemmung treffend bezeichnet. Es ist den Kranken so, als ob sie, im Bilde gesprochen, alles durch eine schwarze Brille sehen. Alles, was ihnen sonst Freude macht, ist ihnen gleichgültig geworden oder erweckt ihnen gar ausgesprochen schmerzliche Eindrücke. Sie leiden entsetzlich darunter, daß sie weder an ihrem Haus, noch an ihrer Arbeit, weder an Gatten und Kindern, noch an den gewohnten Erholungen und Zerstreuungen mehr Freude finden. Jede Tätigkeit liegt wie ein Berg vor ihnen; der sonst pünktliche Mann kann sich morgens nicht entschließen, aufzustehen, er muss sich mit Mühe überwinden oder erst gedrängt werden, seiner Arbeit nachzugehen; die Hausfrau kann mit dem Einerlei des täglichen Lebens nicht mehr fertig werden, die unbedeutenden Veränderungen im Haushalt, die ein flüchtiger Besuch mit sich bringt, erscheinen ihr kaum überwindbar, sie fürchtet jedes Wort an die Dienstboten und ängstigt sich vor der Frage der Köchin, was heute gekocht werden soll. Es gibt keine Kleinigkeiten mehr, die unbedeutendste Einzelheit erscheint als unübersteigbares Hindernis. Die Kranken möchten am liebsten nichts mehr hören und sehen und an nichts zu denken brauchen. Sie sitzen stundenlang vor einem alltäglichen Brief, und wenn er endlich geschrieben ist, können sie sich nicht entschließen, ihn abzuschicken. Manchmal ist die einfache Unterschrift unter gleichgültige Schriftstücke nicht zu erlangen. – Diese Willensohnmacht erscheint der Umgebung meist ganz verwerflich, man begreift nicht, daß jemand nicht solche minimale Energie aufwenden kann, und besonders, wenn die Willenlosigkeit dazu führt, daß die Kleidung und das Äußere vernachlässigt und die gesellschaftlichen Regeln mißachtet werden, pflegt es nicht an ernstem Tadel zu fehlen. Daß der Kranke ein schweres inneres Weh empfindet, verzeiht man ihm noch eher, damit stört er ja seine Umgebung verhältnismäßig wenig; aber wenn er diese durch seine Entschlußunfähigkeit und Nachlässigkeit stört, hört die Nachsicht auf.

Die trübe Stimmung veranlasst oft eine besondere Empfindlichkeit gegen das, was man sonst gerne hörte: das Lachen der Kinder, die Musik u. dergl. Es geht damit gerade so, wie in normal begründeter Trauer. Die Melancholie ist ja auch nichts anderes als eine Trauer, nur daß ihr die äußere Ursache fehlt. Man kann sie deshalb auch am besten verstehen, wenn man sich in die Gefühle eines Tieftraurigen hineinversetzt. Sie wird noch verstärkt durch das Hinzutreten der schon beschriebenen körperlichen Störungen und gewisser Empfindungen von Druck oder Leere im Gehirn, Ohrensausen, Herzklopfen etc. Besonders qualvoll sind aber die Gefühle von Angst und Herzbeklemmung, die auch der Neurasthenie eigen sind (vergl. "Gartenlaube" 1897, über "nervöse Angstzustände".) Sie können den Kranken geradezu zur Verzweiflung treiben.

Es ist kein Wunder, dass der so gequälte und dabei willenlose Kranke das Interesse für seine Umgebung verliert und sich damit in den Ruf eines "krassen Egoisten" bringt. Wer sich überhaupt in die Seele eines andren hineinversetzen kann oder viele solche Leidende gesehen hat, sagt sich von selbst, daß die Größe der inneren Leiden notwendig die äußeren Rücksichten übertönen muß. Aber in der Welt geht's oft umgekehrt: der Gesunde verlangt vom Kranken die Rücksicht, die er selbst ihm versagt! Er entschuldigt das damit, daß er die Krankheit nicht als Krankheit gelten läßt, sondern die Willensschwäche als eine Art von Charakterfehler hinstellt, ohne zu beachten, daß doch Charakterfehler nicht im Laufe des Lebens erworben werden. Es kann nicht genug darauf hingewiesen werden, daß solche Veränderungen, die bei Erwachsenen eintreten, immer krankhafter Natur sind. Den zwingenden Beweis dafür liefert die Erfahrung, daß alles Zureden und Moralisieren unnütz ist, während die richtige Behandlung der Krankheit eine wirkliche Heilung herbeiführt.

An der Heilbarkeit der Melancholie zweifelt vor allem der Kranke, denn es liegt in seiner trüben Stimmung, daß er auch seine Heilungsaussichten durch eine schwarze Brille sieht. Er ist deshalb oft nur mit der größten Mühe zu einer Kur zu bewegen. "Es nützt ja doch nichts", ist seine immer wiederkehrende Entgegnung. Oft wollen die Kranken auch deshalb nichts von einer Kur wissen, weil sie sich selbst nicht für krank halten, sondern in ihrer Willensschwäche und Energielosigkeit die Ursache aller Schwierigkeiten sehen. Die Mutlosigkeit wird nur zu oft bestärkt durch den Mißerfolg der unternommenen Kuren. Es muß unverhohlen gesagt werden, daß bei der Mehrzahl dieser Kranken Kuren unternommen werden, die gar keinen Erfolg haben können. Nur in den allerleichtesten Fällen nützt das, was gemeinhin zur Bekämpfung der Nervenschwäche erprobt ist. Ortsveränderung, Aufenthalt an der See oder im Wald- und Höhenklima, Trink- und Badekuren bringen in allen ausgesprochenen Fällen nur einen vorübergehenden Nachlaß hervor, aber eine Heilung wird dabei nicht erreicht. Geradezu schädigend aber wirken solche Versuche, wenn sie mit Hin-und Herreisen, Zerstreuungen, Ausfahrten, mit der leider so beliebten Ablenkung verbunden sind. Der tief eingewurzelte Glaube an die Heilwirkung der Ablenkung stammt noch aus der Zeit, wo man die gesamten nervösen Krankheiten für eingebildet hielt. Es kann natürlich vorkommen, daß der Kranke, der sich selbst von der Abwechslung etwas verspricht, zunächst eine gewisse Erleichterung empfindet, aber darauf folgen immer wieder schwere Zeiten, und so entsteht oft der Eindruck einer periodisch wiederkehrenden oder chronisch gewordenen Krankheit, während in Wirklichkeit die Heilung nur wegen ungeeigneter Heilmethoden ausbleibt. Die wirkliche Kur der Melancholie läßt sich überall da erzielen, wo ein Arzt ist, der sie anzuwenden weiß. Das Klima und die Umgebung haben nichts damit zu tun; wir sehen überall in der Welt Melancholien entstehen und Melancholien geheilt werden, in den Bergen und an der See, auf dem Lande und in der Großstadt. Die Hauptbedingung des Erfolges ist völlige Ruhe in körperlicher und geistiger Hinsicht. Auch für die leichteren Fälle empfiehlt es sich bis zum Eintritt einer deutlichen Besserung, daß der Kranke im Bett bleibt. Bei ausgesprochener Angst und Trübsinn wollen die Kranken gewöhnlich davon nichts wissen, sie denken, dann müßten sie erst recht ins Grübeln und Sinnen hineinkommen. Die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Die Bettruhe befördert auch die geistige und Gemütsruhe, sie ist das Grundmittel gegen Angst und Verzweiflung. Natürlich muß daneben dafür gesorgt werden, daß Beunruhigungen von außen her wegfallen. Das läßt sich im eigenen Hause gewöhnlich für die Hausfrau am schwersten durchführen, weil man ihr die täglichen Wirtschaftssorgen doch nicht ganz vorenthalten kann. Jedenfalls ist dann eine wirkliche Vertreterin nötig, die alle Arbeit und Verantwortung übernimmt. Je nach den Einzelverhältnissen sind die Haushaltungen natürlich so verschieden, daß sich nicht wohl etwas allgemein Gültiges sagen läßt. Wichtig ist, daß ein ruhiges, dem Getriebe der Wohnung einigermaßen entrücktes Zimmer gewählt wird, und daß es reichlich Sonne und Luft bekommen kann. - Ein weiteres Beruhigungsmittel sind lauwarme Bäder, und zwar Wannenbäder von 34° C (26° R), entweder im Laufe des Vormittags oder Abends vor dem Schlafen genommen, von der Dauer einer Viertelstunde bis zu einer halben und ganzen Stunde oder mehr. Die schwersten Fälle von Melancholie, die der häuslichen Behandlung entzogen sind, behandelt man jetzt erfolgreich mit vielstündigen, nicht selten mit Tag und Nacht andauernden Bädern, wozu natürlich besondere Einrichtungen gehören. - Gegen das Angstgefühl wirken oft Prießnitzsche Umschläge um den Leib sehr gut, die ohne Zwischenlage wasserdichten Stoffes für die Nacht oder für den Tag angelegt werden.

Die Kost sei der gewöhnlichen Kost möglichst ähnlich. Man vermeidet natürlich schwer verdauliche Speisen, hat aber sorgfältig darauf zu achten, dass eine aus animalischen und vegetabilischen Stoffen richtig gemischte Nahrung genossen wird. Solange die Appetitlosigkeit groß und die Unlust zu Bewegung sehr ausgesprochen ist, reicht man die bequemer zu nehmende flüssige oder weiche Kost, vor allem Milch, Kakao oder Hygiama mit Milch bereitet, Eier etc; Kaviar, Appetitsild und dergl. als Anregungsmittel; Kartoffelbrei und weiche Gemüse als Füllmittel und um die Darmtätigkeit in Gang zu halten. Als Getränk sind Tee, Zitronenlimonade, Fruchtsäfte mit Wasser oder Mineralwasser zu empfehlen. Auch gegen Kaffee ist nichts einzuwenden, solange er, wie in den meisten Fällen, gut vertragen wird, dagegen verzichtet man auf die alkoholischen Getränke am besten ganz. Ihre stärkende Wirkung ist bekanntlich Illusion, und die Erholungsfähigkeit der Nerven wird durch den Alkohol sicher herabgesetzt. Ein Übermaß von Fleisch ist jedenfalls auch zu vermeiden, und aus demselben Grunde wird man von den sonst schätzbaren Fleischsaft- und Fleischeiweißpräparaten der modernen Industrie hier am besten absehen, wenn nicht besondere Ernährungsstörungen zu bekämpfen sind. - Die Umgebung soll die Kranken möglichst in Ruhe lassen, nicht viel nach dem Befinden fragen, sondern auf andre Weise ihre Teilnahme und Fürsorge äußern. Meist ist es den Kranken angenehmer und dienlicher, wenn jemand ruhig lesend oder arbeitend bei ihnen im Zimmer ist, als wenn man sich mit ihnen unterhalten oder ihnen vorlesen will.

Die Melancholie gehört zu den Krankheiten, bei denen eine Heilwirkung bestimmter Arzneikuren erwiesen ist. Es handelt sich dabei um zeitlich begrenzte, systematische Anwendungen von Codëin oder von Opium in langsam steigender und nach erzieltem Erfolge wieder fallender Dosis. Natürlich kann eine solche Kur nur unter Leitung eines Arztes stattfinden. Da sie bei richtiger Durchführung keinerlei Gefahren oder Bedenken bietet, aber in leichten Fällen den Erfolg sehr beschleunigt, in schweren oft die einzige Hoffnung darstellt, sollte sie jedenfalls erwogen werden, sobald die vorher geschilderten Mittel versagen.

Quelle: https://twitter.com/SPuffmutter/status/1579530213419274241