Beschreibung des Oberamts Gaildorf/Kapitel A 3

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Kapitel A 2 Beschreibung des Oberamts Gaildorf Kapitel A 4 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
III. Einwohner.


1. Bevölkerung.
A. Stand derselben.

a. Volksmenge. Zufolge der letzten Zählung auf den 3. Dezember 1850 hatte der Bezirk 13.495 männliche, 13.985 weibliche, zusammen 27.480 ortsangehörige Bewohner. Nach früheren Zählungen enthielt derselbe

1812, Nov. 1.       0.9881 männl.      10.300 weibl.      zus. 20.181
1822, 000 10.588      „ 10.876     „ 21.464
1832, 000 11.505      „ 11.812     „ 23.317
1842, Dez. 15. 12.877     „ 13.289     „ 26.166
1846, Dez. 3. 13.072     „ 13.542     „ 26.614

Im Jahr 1822 waren von den Ortsangehörigen abwesend 1192, dagegen Fremde anwesend 1078; es betrug daher die ortsanwesende Bevölkerung damals 21.350 Köpfe. Am 3. Dez. 1846 waren 3278 Angehörige abwesend, dagegen 2090 Fremde anwesend, wornach sich die ortsanwesende Bevölkerung für diesen Zeitpunkt auf 25.426 Köpfe berechnet.

Auf 1 geogr. Quadratmeile kommen nach dem Stande vom 3. Dez. 1846 3916 Angehörige und 3742 Ortsanwesende, wornach der Bezirk in Beziehung auf die Dichtigkeit der Bevölkerung um resp. 21 und 23 Proc. unter dem Durchschnitt des Landes steht.

b. Geschlechtsverhältniß. Der Überschuß der weiblichen über die männliche Bevölkerung betrug 1850 – 490 oder auf 1000 männliche kamen 1036 weibliche Einwohner. Dieser Überschuß belief sich in früheren Jahren: 1812 auf 419; 1822 auf 288; 1832 auf 307; 1842 auf 412; 1846 auf 470.

c. Altersstufen. Am 3. Dez. 1846 standen in einem Alter:

auf
10.000
männl.
10.000
weibl.
männl. weibl. treffen:
unter 6 Jahren 2001 2115 1531 1562
von 06 bis 14 Jahren 2281 2460 1745 1817
0 14 0 20 „      1509 1494 1154 1103
0 20 0 25 „      1167 1144 893 845
0 25 0 40 „      2734 2815 2092 2079
0 40 0 60 „      2486 2619 1902 1934
0 60 0 70 „      611 641 467 473
0 70 0 80 „      237 216 181 159
0 80 0 90 „      43 37 33 27
0 90 0 100 „      3 1 2 1
über 100 Jahren
13.072 13.542 10.000 10.000
26.614
| Von der Bevölkerung des Jahres 1822 (1. Nov.) kamen auf
10.000 männl.   10.000 weibl.
Angehörige:
unter
14 Jahren 3037 3178
von 14 bis 18 1045 6822
18 25 1193
25 40 2052
40 60 1963
über
60jährige 710
10.000 10.000

d. Familienstand der Angehörigen am

1. Nov. 1832: 3. Dez. 1846:
Verehelichte 7692   8297
Wittwer   422 470
Wittwen 719 811
Geschiedene 14 16
Unverehelichte 014.470 17.020
023.317 26.614


Die Familienzahl war 1837 – 4699; 1840 – 4903; 1843 – 5072 und 1846 – 5896.

Für letzteres Jahr kamen auf 1 Familie 4,51, auf 1 Ehe 6,41 Angehörige; beide Verhältnisse stellen sich das erste unter, das zweite über den Durchschnitt des Landes (4,61 und 6,26).

e. Kirchliches Verhältniß:

für die Jahre
     Christen: 1822 1846
evangelisch-lutherische 19.690      24.466
evanelisch-reformirte 1
römisch-katholische 1773 2148
von anderen christlichen Bekenntnissen
     Juden
21.464
26.614

Hienach sind 91,7 Proc. der Bevölkerung protestantisch und nur 8,3 Proc. katholisch, und es ist dieses Verhältniß für beide Jahre nahezu dasselbe geblieben.


f. Gewerbs- und Nahrungs-Verhältniß. Dieses wurde in den neueren Listen nicht mehr und letztmals im Jahr 1822 berücksichtigt. Damals zählte man:

Bedienstete: Proc. des Ganzen.
in Königl. Militärdiensten 292 06,5
0n Kigl. Civildiensten 80 01,8
0„ gutsherrschaftlichen Diensten 31 00,7
0„ Commundiensten 198 04,5
| |
Ohne bürgerliche Gewerbe vom
eigenen Vermögen lebend
157 03,5
Handelsleute, Professionisten, Wirthe etc. 1292 29,0
Bauern 1469 32,9
Taglöhner 641 14,4
im Almosen stehend 300 06,7
4460
100,00


B. Bewegung der Bevölkerung.

Aus den zehnjährigen Durchschnittsberechnungen von 1812/22 und von 1836/46 ergeben sich für das einzelne Jahr:

a) die Anzahl der Geburten: 1812/22      1836/46
 männliche 379,2 526,8
 weibliche 335,7 512,0
zusammen 714,9 1038,8
 darunter uneheliche 134,7 180,4
 Todt kamen zur Welt:
 männliche 16,7
 weibliche 11,6 unbekannt.
zusammen 28,3 00
b) die Zahl der Sterbfälle:
 männliche 326,7 397,4
 weibliche 292,2 377,0
zusammen 618,9 774,4
 c) Wanderungen.
 Eingewandert sind: von 1812/22 von 1836/46
männl. weibl. männl. weibl.
 aus fremden Staaten 2,1 1,7 2,6 2,5
 aus andern Orten des Inlandes 106,7 132,5 235,1 271,5
108,8 134,2 237,7 274,0
 Ausgewandert:
 nach fremden Staaten 1,1 1,4 2,9 2,9
 nach andern Orten des Inlandes 87,0 120,6 235,2 271,1
zusammen  88,1 122,0 238,1 274,0
 also mehr eingewandert 20,7 12,2
 alo mehr ausgewandert 0,4 0,0


d) Veränderungen im Stande der Ehen.
 In dem Decennium 1812/22 sind durchschnittlich
 neue Ehen geschlossen worden
     149,3
 Zugang durch Einwanderung 40,1
189,4
| |
 aufgelöst:
 durch Tod 141,9
 0„      Scheidung 0,6
 Abgang durch Auswanderung 34,3
176,8

Hieraus ergibt sich ein jährlicher Zuwachs von 12,6, und die Zahl der Ehen, welche 1812 – 3363 betragen hatte, bestand 1822 aus 3489 und auf 138 Einwohner kommt jährlich 1 Trauung.

e) Wachsthum der Bevölkerung und Verhältnisse.

Von 1812/22 Von 1836/46
männl. weibl. männl. weibl.
Im Allgemeinen beträgt die Zunahme 707 576 962 1115
1283 2077
oder nach Procenten  0,624 0,808
der Überschuß der Geborenen über Abzug der Gestorbenen, d. h. der natürliche Zuwachs 525 435 1264 1350
zusammen  960 2644
oder nach Procenten  0,467 1,029[1]

Das Verhältniß der Geburten zur Bevölkerung stellt sich für 1812/22 wie 1 : 28,96, oder auf 10.000 Einwohner kommen 345,3 Geborene; für 1836/46 wie 1 : 24,7, oder auf 10.000 Einwohner kommen 404,3 Geborene.

Unter 100 Geburten befanden sich uneheliche von 1812/22 – 18,8, von 1836/46 – 18,2 und es verhalten sich demnach die unehelichen zu den Geburten überhaupt wie 1 : 5,31 und wie 1 : 5,48. In der letzteren Periode hat zwar die Zahl der unehelichen Geburten etwas abgenommen; das Verhältniß gehört aber immer noch zu den ungünstigsten in Württemberg, da sich dasselbe im Ganzen für beide Jahrzehnde wie 1 : 8,08 und wie 1 : 7,80 berechnet.

Mit Unterscheidung der Geschlechter treffen auf 1000 geborene Mädchen von 1812/22 – 1130, von 1836/46 – 1029 geborene Knaben.

Das Verhältniß der Todtgeburten zu allen Geborenen war für 1812/22 wie 1 : 25,2. Todesfälle kamen auf 10.000 Lebende von 1812/22 – 298,2, von 1836/46 – 301,4; also einer auf 33,4 beziehungsweise 33,2 Lebende. [2] Das Verhältniß ist günstiger als das vom ganzen Lande (1 : 31,4 und 1 : 29,9).

| Nach den Altersstufen starben von 1812/22 durchschnittlich unter
10.000 Gestorbenen
männl. weibl.
vor der Geburt 511 397
unter 01 Jahr alt 3857 2971
vom 01. bis 07. Jahr 805 1010
0 07. 0 14. 0 309 274
0 14. 0 25. 0 395 373
0 26. 0 45. 0 875 893
0 45. 0 60. 0 1047 1317
über 60 Jahren 2201 2765
10.000 10.000

Mit Unterscheidung der Geschlechter treffen auf 1000 weibliche Gestorbene von 1812/22 – 1118, von 1836/46 – 1054 männliche Gestorbene.

Auf 1000 Sterbfälle kommen von 1812/22 – 1155, von 1836/46 – 1341 Geborene, und nach den Geschlechtern auf 1000 Gestorbene männlichen Geschlechts von 1812/22 –1161, von 1836/46 – 1326 Geborene gleichen Geschlechts, sodann auf 1000 Gestorbene weiblichen Geschlechts von 1812/22 – 1149, von 1836/46 – 1358 Geborene desselben Geschlechts. Unter 1000 Köpfen des natürlichen Zuwachses befanden sich von 1812/22 männliche 547, weibliche 453; von 1836/46 männliche 489, weibliche 511. Unter 1000 Menschen des gesammten Zuwachses waren für 1812/22 – 551 männliche, 449 weibliche; von 1836/46 – 463 männliche, 537 weibliche.

Nach den 10jährigen Durchschnitten für 1836/46 zeichnen sich unter den einzelnen Gemeinden die nachgenannten durch bemerkenswerthe Verhältnisse aus:

Durch geringere Sterblichkeit: Vorder-Steinenberg, wo auf 1000 Einwohner jährlich 24,6 Sterbfälle treffen; Unter-Gröningen – 25,7; Unter-Roth 26,6; Mittel-Fischach 26,6; Ober-Roth 26,8; Laufen und Ödendorf je 28,2.

Durch größere Sterblichkeit: Ober-Sontheim, wo unter 1000 Einwohnern 37,7 Sterbfälle vorkamen; Eutendorf 34,6; Hausen 34,5; Gaildorf 32,7; Hütten 32,0; Frickenhofen 31,7; Michelbach 31,3.

Die meisten alten Leute, die über 70 Jahre zählten, fanden sich im Jahr 1846 zu Ober-Gröningen: unter 1000 Einwohnern 37; Mittel-Fischach 32; Gaildorf 30; Eutendorf und Vorder-Steinenberg je 26; Ober-Sontheim 25.

Die geringste Zahl von Leuten dieser Altersklasse hatten: Frickenhofen unter 1000 Angehörigen nur 9; Eschach, Hausen und Ober-Fischach je 14; Rupertshofen 15; Vichberg 17.

Die meisten Geburten kamen vor: zu Ober-Gröningen unter 1000 | Einwohnern jährlich 45,5; Frickenhofen 44,9; Hütten 44,8; Geifertshofen 44,2; Gschwend 44,0; Vichberg 43,3.

Die wenigsten Geburten zählten: Mittel-Fischach unter 1000 Einwohnern 33,2; Unter-Roth 35,1; Sulzbach a. K. 37,5; Unter-Gröningen 37,7; Ödendorf 37,8; Ruppertshofen 38,0.

Durch die geringste Zahl von unehelichen Geburten zeichneten sich aus: Gaildorf, unter 100 Geburten 9,8 uneheliche; Ödendorf 11,2; Ober-Gröningen 11,4; Ober-Fischach 13,6; Michelbach 13,8; Unter-Roth 14,1; Eutendorf 14,6.

Die meisten unehelichen Geburten kamen vor: in Laufen unter 100 Geburten 33,5; Ober-Sontheim 25,1; Altersberg 23,0; Hausen a. R. 22,6; Unter-Gröningen 22,4; Ober-Roth 19,2.


2. Stamm und Eigenschaften der Einwohner.

Die Bewohner der ehemaligen Grafschaft Limpurg gehören dem fränkischen, diejenigen der zum Welzheimer Wald gehörigen Ortschaften dem schwäbischen Stamm an, welche beide jedoch durch Verkehr und Verheirathung sich manchfaltig vermischt und verändert haben. Fremdartige Bestandtheile hat die Bevölkerung von Hausen am Ende des 17. Jahrhunderts durch Steyermärker, die von Unter-Gröningen seit Ende des 18. Jahrhunderts durch Kolonisten von überall her erhalten (in beiden Orten um die evangelischen Einwohner zu verdrängen).

Der Körperbau der Bergbewohner ist meist untersetzt und kräftig; unter den Thalbewohnern dagegen finden sich viele magere und schwächlich aussehende Personen.

Die Conscriptionslisten von 5 Jahren ergaben für die Bezirke eine mittlere Größe von 5′ 8,08″, während die höchste Zahl für Wangen 5′ 8,87″, die kleinste für Maulbronn 5′ 7,77″ ergab. Unter 1000 Conscriptionspflichtigen hatten 214 eine Größe von 6 Fuß und darüber, dagegen 186 eine geringere Größe als 5′ 5″; ferner befanden sich unter 1000 514 Gebrechliche, welche Zahl nur von derjenigen von Canstatt mit 535 übertreffen wird, während Mergentheim nur 250 derselben zählte. Die Zahl der durch allgemeine Kränklichkeit und Körperschwäche Untauglichen betrug unter 1000 Pflichtigen 107, der Scrophulosen 7, der mit Kropf Behafteten 135, der mit Brüchen Behafteten 53 (die höchste Zahl unter allen Bezirken), der Taubstummen unter 10.000 Einwohnern 6,4.

Mit der Anlage und Entwicklung des Kropfs in inniger Verbindung steht der Kretinismus, welcher in vielen Gemeinden, wie z. B. Ober- und Mittel-Roth, Hausen und Ober-Sontheim sehr häufig vorkommt. Das Vorkommen von Kröpfen wird öfter schon bei Kindern beobachtet und kam sogar einmal bei einem 8 Tage alten Knaben vor. Von Kretinen und blödsinnigen | Subjekten fanden sich bei der im Jahr 1841 von Dr. Rösch vorgenommenen Untersuchung im Ganzen 198 in dem Bezirke, nämlich:

In Gaildorf unter 1510 Einwohnern, wo der Kropf ziemlich häufig, 6 taubstumme, 2 kretinische Subjekte; Münster mit 366 Einwohner, der Kropf allgemein, 10 kretinische Subjekte in 7 Familien; Bröckingen mit 195 Einw., Kropf häufig, 7 Kretinische in 5 Familien; Sulzbach, 626 Einw., Kropf allgemein, 21 Subkretinische in 12 Familien; Michelbächle, 79 Einw., 7 Taubstumme oder Kretinische in 3 Familien; Mittel-Roth, 274 Einw., Kropf allgemein, 12 Kretinische in 7 Familien; Vichberg, 505 Einw., 5 Kretinische in 5 Familien; Hausen, 304 Einw., 22 Kretinische und stupide Kinder in 16 Familien; Ober-Roth mit 1009 Einw., 9 Kretinische in 7 Familien; Stierhof und Ebersberg, je 1 Kretinischer; Eutendorf, 443 Einw., 17 Kretinen in 11 Familien; Winzenweiler, 443 Einw., 4 stumpfsinnige Kinder; Michelbach, 344 Einw., 14 Kretinische in 11 Familien; Ober-Sontheim, 1248 Einw., Kropf allgemein, 30 Kretinen in 22 Familien; Unter-Fischach, 528 Einw., 4 Kretinen in 3 Familien; Engelhofen und Beutemühle, 3 kretinische Kinder in 2 Familien; in 6 weiteren Ortschaften mit zusammen 5919 Einw. 14 Kretinische.

Aus dem Angeführten geht hervor, daß es hauptsächlich die Thalorte sind, welche durch Kropf und kretinische Anlage heimgesucht werden, so daß auch hier, wie in anderen Bezirken, feuchte und kalte Luftbeschaffenheit, nicht aber der Mangel eines guten Trinkwassers, als Hauptursache derselben angesehen werden muß. Dabei mögen aber allerdings auch noch andere Momente, als erbliche Anlagen, Verpflanzung des Übels durch Heirathen in kretinische Familien oder durch Verführung kretinischer Subjekte, Armuth, schlechte Nahrung, ungesunde Wohnungen, häufiger Genuß des Branntweins, der sogar oft kleinen Kindern schon gereicht wird, besonders wenn sie kränklich sind oder schreien und wimmern, noch begünstigend mitwirken. Übrigens ist das Übel sicher im Abnehmen, seitdem man durch Correction der Flußbette und Einführung größerer Reinlichkeit in den Straßen u. s. w. demselben entgegen zu wirken gesucht hat. So befinden sich jetzt in Eutendorf nur noch 1 blödsinniges Kind, in Münster ebenfalls nur 1 kretinisches Mädchen, in Sulzbach 2 blödsinnige und 2 schwachsinnige Kinder.

Unter den herrschenden Krankheitsformen sind Scropheln und tuberkulöse Lungenschwindsuchten häufig; außerdem kommen Hämorrhoidalleiden der verschiedensten Formen nicht selten vor. In der neuesten Zeit hatte die Krätze in vielen Ortschaften sich fast allgemein verbreitet, so daß die Medizinalpolizei einschreiten mußte, ist aber nun glücklicherweise im Aufhören begriffen. Akuter und chronischer Rhevmatismus und Gicht sind neben entzündlichen Krankheitsformen die gewöhnlichen Krankheiten, gegen welche, jedoch häufig nur im äußersten Fall, ärztliche Hülfe gesucht wird; letztere herrschen hauptsächlich unter den Bergbewohnern. Syphilis kommt nur selten vor.

In den Jahren 1844–46 kamen nervöse Schleim- und Gallen-Fieber, | rhevmatische Fieber und Ruhranfälle, theilweise mit typhosem Charakter, häufig vor, im Winter hauptsächlich Lungenentzündungen, Anginen und Krampfhusten; im Jahr 1845/46 herrschten Krampfhusten und Nervenfieber epidemisch an einzelnen Orten. Im Jahr 1846/47 war eine Nervenfieber-Epidemie in Münster; die Masern verbreiteten sich in Ober-Roth, Hausen, Vichberg, Mittel- und Unter-Roth; der Krampfhusten kam vereinzelt vor. 1847/48 traten Masern und Nervenfieber sporadisch in vielen Ortschaften auf; 1848/49 erschienen die Pocken vereinzelt in Langert und Ober-Fischach. 1849/50 kamen 7 Erkrankungen von verdorbenen Leberwürsten vor, welche jedoch sämmtlich geheilt wurden; an den Pocken erkrankten im Ganzen an verschiedenen Orten 20 Personen. Rothlauffieber, meist mit Angina verbunden, waren sehr häufig, der Krampfhusten epidemisch in Sulzbach. 1850/51 herrschten Keuchhusten und Catarrhfieber neben Lungenentzündungen hauptsächlich im Oktober–Dezember; von Januar–März Catarrhe und Frieselfieber; vom April–Juni akute Fluß- und Catarrh-Fieber, so daß auch in dem genannten Jahr die catarrhalischen und rhevmatischen Krankheiten als vorherrschend bezeichnet werden müssen. Auch die Pocken kamen in demselben ziemlich häufig vor und wurden durch den Oberamtsarzt in Behandlung genommen.

Was die geistigen und moralischen Verhältnisse der Bewohner anbelangt, so gibt sich zunächst die Verschiedenheit der Bewohner des ehemaligen Frankens und Schwabens (deren Grenze im Abschnitt VII. angegeben ist) zu erkennen; auch bleibt die durch Wohlhabenheit oder Armuth bedingte Lebensweise auf Sitten und Moralität nicht ohne Einfluß. Der Franke ist durchschnittlich lebhaft, unternehmend, aufbrausend, zu lustigen Gelagen aufgelegt, die Sorgen leicht vergessend, zum Handel ebenso geneigt als geschickt; der Schwabe dagegen mehr ruhig und beschaulich, trägt seine Sorgen überall hin mit, ist gemüthlicher, stiller und wird erst, wenn er Bekannte trifft und einige Schoppen getrunken hat, lustig und zum Gesang aufgelegt; er überlegt, ehe er ausgibt, ob er auch kann und darf, und hält weniger auf den Schein als auf den Besitz. Im Handel läßt er sich leichter übervortheilen, weil er weniger verschlagen ist, und wird oft den Unterhändlern zur Beute. Mit der bezeichneten Neigung zur Sorglosigkeit und dem Handel steht nicht selten Genußsucht und Schlauheit im Zusammenhang. – In manchen Ortschaften hat auch der Hang zu geschlechtlichen Ausschweifungen eine traurige Pflanzschule des Proletariats erzeugt, indem es nicht selten vorkommt, daß eine ledige Person 5–6 vaterlose Kinder der Gemeinde zur Erbschaft hinterläßt, Verhältnisse, welche sich freilich auch in anderen Gegenden in den letzten 30 Jahren mehr oder weniger gezeigt haben.

Die Lebensweise und Sitten der Angehörigen der vormals | fränkischen Grafschaft Limpurg, welche jetzt größtentheils den Oberamtsbezirk bildet, hat Prescher in seiner Beschreibung Limpurgs v. Jahr 1789 (I. 61 u. ff.) geschildert. So weit seine Darstellung noch jetzt treffend ist, folgt sie in kurzem Auszug mit diesseitigen Beisätzen:

Im Durchschnitt ist der Landmann arbeitsam, an harte Arbeit gewöhnt und wird von Jugend auf gegen jede Witterung abgehärtet; er ist aber weniger ausdauernd und beharrlich, und langsamer als der Alt-Württemberger des Unterlandes. In Bildung, Lebensweise, Sitten und Gebräuchen hat namentlich der Waldbewohner viele Ähnlichkeit mit dem Schwarzwälder. Gewöhnlich ist er als Knabe Viehhirte; sind seine Knochen fester, so lernt er den Pflug führen, und mancherlei Holzarbeiten üben nun seine Kräfte. Da ein nicht geringer Theil seines Lebens in unthätiger Langweile auf der Viehwaide oder in Waldgeschäften verfließt, so übt er seine geistigen Kräfte weniger als seine körperlichen. Aber er ist ein guter Unterthan und wandert nicht leicht aus, weil er diese Wälder und Viehtriften wie einen alten Freund liebt. Er ist gutmüthig, aber rauher und derber als z. B. der Hohenloher, gegen den er in geistiger Cultur zurücksteht. Bauernstolz ist, zumal auf dem Wald, einheimisch, hat aber mit dem Sinken des Wohlstandes abgenommen. Redlichkeit und Gehorsam gegen die Obrigkeit sind vorherrschend, und die Leute ertragen oft lieber eine schlechte Obrigkeit, als daß sie sich in Klagen gegen dieselbe einließen, und lassen gern 5 gerade seyn. In den letztverflossenen Jahren kamen bei den manchen Beschwerden und Klagen über den Druck der Feudallasten trotz manchfacher Aufreizungen keine Überschreitungen vor. Übrigens ist der Charakter des Thalbewohners besser, als der des sogenannten Oberländers, welcher weniger aufrichtig ist, obwohl in den Orten des Roththales ein auffallendes Mißtrauen gegen Alles, was „Herr“ heißt, beobachtet wird. Schöne Züge der Bewohner sind Wohlthätigkeit gegen Arme und Kranke, und Gastfreundschaft, welche namentlich auch im Beherbergen durchreisender ärmerer Fremden sich ausspricht. Die Einwohner, besonders die Alt-Limpurger, besuchen fleißig die Kirche; ihre Religiosität ist jedoch mit vielem Aberglauben vermischt, dessen Grund zunächst in der zerstreuten Lage der Wohnorte, wodurch so viele Kinder bei weitem Wege und schlechtem Wetter von dem Schulbesuche häufig abgehalten werden, und in dem Viehhüten durch die Kinder zu suchen ist. Sectengeist findet sich auf der Höhe nicht; nur in Ödendorf ist seit 1839 eine Pietistenversammlung. Über die Hexen-Prozesse sind noch viele Verhandlungen vorhanden, welche von harten Verfolgungen und Verurtheilungen der Unglücklichen zeugen. Eine dießfällige Verordnung vom Jahr 1612 findet sich in Prescher I. 380 f. f., über einige Hexen-Prozesse gibt die Zeitschrift des hist. Vereins für das würt. Franken Nachricht.

Eine wohl und öfters bis zum Schwitzen erwärmte Stube in der meistens | geräumigen Wohnung ist in den langen Winternächten ein Labsal für die Landleute, die hier ebenso leicht gekleidet sind, als in der Ernte auf dem Felde. Hier spinnen die Frauen, Töchter und Mägde bis gegen Mitternacht, während die Männer, Söhne und Knechte Garn abhaspeln, klopfen und spulen, in Holz arbeiten oder, nach vollbrachter harter Feldarbeit, auf der Ofenbank ruhen. Diesen Arbeiten leuchtet weder Talg- noch Öl-Licht, sondern ein brennender Holzspan von 3′ Länge, auf einem „Zünder“, der die Stelle eines Leuchters vertritt, schief aufgesteckt. Im Unterlande werden diese Späne mit einem Messer aus Forchenholz gespalten, im Oberlande mit einem Hobel aus Buchenholz gehobelt.

Die gewöhnlichen Nahrungsmittel sind Milch- und Mehl-Speisen, Sauerkraut und bis jüngst hauptsächlich Kartoffeln. Schweinefleisch ist das Beliebteste der Vermöglichern, die jährlich ein oder zwei Schweine, ein Rind oder eine Göltkuh in’s Haus schlachten. Gemüse trifft man fast in keiner Küche. An gewissen Tagen: an hohen Festen, am Johannistag, an der Kirchweihe, in der Fast-, Martins- und Knöpflens-Nacht kommt bei ihnen Schmalzbackwerk auf den Tisch. In manchen Orten aber ist die Nahrung bei der Mehrzahl der sogenannten geringen Leute höchst kärglich. In neueren Zeiten wird außer dem Hause Bier getrunken; Haustrunk ist aber leider fast einzig der Branntwein. Der Wein, welcher gewöhnlich aus dem Weinsberger Thal kommt, wird schlecht und theuer ausgeschenkt. Der Obstmost findet erst seit den jüngsten Obstjahren einigen Eingang.

Den Landmann kleidet fast ganz sein Schaf und sein selbsterzogener Flachs oder Hanf. Von der Wolle läßt er sich das sehr dichte „Haustuch“ weben und verbraucht dasselbe, theils weiß, theils gefärbt, zu Kleidern. Von Leinwand sind großentheils die Sommerkleider. Die Sonntagskleidung besteht in Wollentuch, das je nach den Gegenden verschieden gefärbt ist. Um das Ende des vorigen Jahrhunderts trugen sich die Männer im Unterlande gerne braun; im Oberland, in der Gegend um Gschwend schwarz, mit rothem Unterfutter und weißen Metallknöpfen, dazu ein rothes Brustgewand mit hellen Knöpfen und gelbe oder schwarze lederne Beinkleider, um die Knopflöcher und Taschen häufig grün oder roth ausgenäht. In der Gegend von Gröningen und Eschach war die Tracht bürgerlicher und die Farbe braun oder bräunlich. Das weibliche Geschlecht war meist schwarz gekleidet, zumal die Verehelichten; nur hatte das um Arme und Leib schließende Gewand im Oberlande keine Schösse, die über den Rock herabhängen, wie im Unterlande. Dazu trugen sie in der Gegend von Gschwend eine schwarze Krepphaube mit schwarzen Spitzen, Sontags aber eine seidene Haube. Hier trugen auch die Mädchen zum Putze hellfarbige tuchene Schnürbrüste und ebensolche Zeugröcke, die beide zuweilen mit silbernen oder unächten goldenen Borten besetzt sind. Flottirende Haarzöpfe mit langen, fast die Erde berührenden, | seidenen, hochfarbigen Bändern waren überall ein Staat für ledige Töchter, der aber mit dem Hochzeittag ungeziemend wird, so wie das bunte Band um den Hut des Junggesellen. Die frühere Staatskirchentracht des Bauern bestand noch um’s J. 1780 in einem schwarzen, mit einer Menge Falten versehenen, häufig grün besetzten Modekleid des sechszehenten Jahrhunderts. Auch die rothen Wollenhemden, in einem feuerrothen Kamisol mit Haften bestehend, waren abgegangen. Die grünen Filzkappen sind Hüten und verbrämten Tuchmützen gewichen, und das Marderbräm statt der Spitzen am Kopfputze der Weiber, nur noch an der Grenze des Gmünd’schen Gebiets wahrzunehmen. In unseren Tagen besteht die Tracht im Unterlande, namentlich um Michelbach und im Fischachthale, wo sie von der fränkischen sich wenig unterscheidet, Sonntags aus selbstgesponnenem, häufig selbst erzeugten wollenem Tuch oder Zeug von schwarzer Farbe, mit Ausnahme der Katholiken, die sich in hellere Farben kleiden; dazu ein dreieckiger Filzhut mit der Spitze nach hinten, oder eine runde Kappe von Seeotterfell mit Pelzbräm. Das weibliche Geschlecht trägt eine den größern Theil des Kopfes überdeckende Haube mit langen hinunterhängenden Bändern; bei Trauer oder Feierlichkeiten statt derselben eine große, mit Bändern reichlich versehene schwarze Florhaube, welche in gleicher Form bei Hochzeiten und Taufen von den Mädchen aus weißem Stoff mit Spitzen und oft Atlasbändern und einem künstlichen Blumenstrauß geziert getragen wird. Zum weiblichen Schmucke gehören noch silberne Ohrringe, ein solcher Fingerring und ein großes Halspatter von Granaten. Neben dem großen Kopftuche, früher dem einzigen Schutze gegen Sturm, Kälte und Regen, macht sich seit einigen Jahren der Regenschirm immer mehr geltend. – Um Gschwend wurden die schwarzen Tuchröcke durch blaue verdrängt. Um Frickenhofen und theilweise um Eschach besteht noch die alte Tracht: Schaufelhut, schwarzer Barchentrock und Zwilchhosen, sowie schwarzwollene und leinene Frauenkleider; nur die Jugend kleidet sich etwas heller.

1

Mit Hochzeiten, Taufen und Leichen sind Schmäuse in den Wirthshäusern verbunden, die bei Vermöglichen häufig einen beträchtlichen Aufwand verursachen. Zur Hochzeit ladet der Bräutigam mit dem auserkornen Brautführer oder „Hochzeitknecht“ nicht nur die Verwandten, sondern auch alle Bekannte in einem größern oder kleinern Umkreis ein, jeder mit einem bloßen Degen, an dessen Griffe bunte Bänder flattern. Die Einladung geschieht häufig mit einem Spruche, der ankündigt, in welchem Wirthshause nach der Hochzeit das Essen gehalten wird und was die Person hiefür zu bezahlen hat. Am Hochzeittage selbst geht der Zug vom Wirthshaus aus in die Kirche, die Braut mit einer Art Krone, „Schappel“ genannt, von Flittergold oder künstlichen Blumen auf dem Haupte und vom Hochzeitknechte geführt, die Übrigen mit Rosmarin-Sträußen behangen, unter rauschender | Musik von Blech-Instrumenten und dem Knalle der Büchsen. Ebenso geht der Zug in das Wirthshaus zurück, wo der Hochzeitknecht mit der Braut drei Ehrentänze macht und dann der allgemeine Tanz beginnt, welcher nur durch die jedoch lange dauernde Mahlzeit unterbrochen wird, welche Braut und Bräutigam, deren Eltern und die „gröbsten Freunde“, d. h. die beiderseitigen nächsten Verwandten, am „Ehrentisch“ einnehmen, indeß die übrigen Gäste nach Belieben sich setzen und auf eigene Rechnung zehren. Dabei wird der Degen des Brautführers über dem Tische der Brautleute in die Wand eingespießt und daran ein schöner Kindszeug aufgehängt. Die Speisen bestehen gewöhnlich in Suppe, Voressen (von Kuttelflecken), Rindfleisch, Sauerkraut und Schweinefleisch, Würsten oder Braten. Auf eine größere Bauernhochzeit schlachtet der Wirth 4–5 Schweine, ein Rind und mehrere Kälber. Während und nach der Mahlzeit heißen die Brautleute die fremden Gäste willkommen, indem sie ihnen Wein kredenzen. Geschenke an das Brautpaar kommen, außer von den nächsten Verwandten, selten vor; wo sie üblich sind, betragen sie meistens nur 12, 15 bis 24 Kreuzer in Geld. Das Tanzen, Essen, Trinken und Jubeln dauert nicht nur die ganze Nacht hindurch, sondern wird auch nicht selten am nächsten Tage wiederholt. Ein eigenthümlicher Brauch findet beim Einzuge der Brautleute mit ihrer Aussteuer im Fischachthale Statt: der Weg wird mit einem Strohseile gesperrt, das sich nur gegen eine Spende an die Armen löst. Solenne Hochzeiten dieser Art werden übrigens immer seltener. Dasselbe gilt von den Tauf- und Leichen-Schmäusen, die ehemals fast ebenso kostbar waren. An den Kosten der ersteren trägt auf dem Walde der Taufpathe einen Haupttheil, da zwischen diesem und dem Päthchen hier ein ungemein inniges Verhältniß sich bildet (O.A.Beschr. Welzheim S. 38).

1

Am Palmsonntag will, nach Prescher, der Gebrauch, daß die Kinder mit Bretzeln und Ostereiern, am Christtag mit Milchkuchen, Marcipan, Lebkuchen u. dergl. beschenkt werden. Vom Advent bis zum Christtag gilt jeden Donnerstag die „Anklopfet“. Die Kinder gehen in den Häusern umher, wünschen ein reiches Kornjahr und werden mit Nüssen, Marcipan etc. beschenkt. In der Nacht vor dem Pfingstfeste werden noch hie und da Maien vor die Fenster gepflanzt, im Oberlande sogar auf die Miststätten, und die Beobachtung des letztern Gebrauchs wird fast als ein wesentliches Stück der Viehpflege angesehen. Besondere Volksfeste gibt es nicht. Selbst die Kirchweihe geht still vorüber. Der Schluß der Ernte und des Dreschens (Sichel- und Flegel-Hängen), die Fastnacht, St. Martinstag und manchmal das Krauteinschneiden werden von Wohlhabenderen mit einem guten Schmause, wobei Sauerkraut mit Schweinefleisch und Schmalzgebackenes nicht fehlen darf, zu Hause gefeiert. Unter den geselligen Vergnügungen ist nur das Kegelspiel zu erwähnen. Auch die benachbarten Jahrmärkte werden fleißig besucht. Wo die Verhältnisse | des Lebens verkümmert sind, wie in manchen Orten des Roththales, herrscht, zumal dem angrenzenden Oberamte Hall gegenüber, auffallende Stille.

Hat der Landmann seinen eigenen Herd gegründet, so setzt sich in der Regel der Vater auf den Ausding, d. h. er bedingt sich neben freier Wohnung für sich, seine etwa noch lebende Frau und unversorgten Kinder ein gewisses Leibgeding an Früchten und anderen Bedürfnissen, behält sich wohl auch noch gewisse Grundstücke vor und übergibt das Gut um einen bestimmten „Anschlag“ dem Sohn, oder nach Gelegenheit einer Tochter, wogegen die übrigen Geschwister mit ihren Heirathgütern auf das Hofgut versichert werden.

Wie Tracht und Sitten, so nähert sich auch die Mundart im nördlichen Theile mehr der fränkischen, im südlichen aber der schwäbischen Sprachweise. Sie hat manche alte, dem Sachsen oder Rheinländer unverständliche, Wörter und Formen.

Um von den in Vorstehendem zunächst berührten vormaligen Limpurgern in Ansehen der Sitten und Gebräuche auf die Einwohner des jetzigen Oberamtsbezirks überhaupt überzugehen, geben wir nachstehende neuere Schilderung, welche von einem Geistlichen entworfen ist, der vielfache Gelegenheit zu eigenen Wahrnehmungen hatte.

„Ein wesentlicher Unterschied fällt dem Beobachter sogleich in’s Auge einerseits zwischen der an die alt-württembergischen Bezirke, sowie an die Oberämter Gmünd und Welzheim, andererseits zwischen der gegen Hall grenzenden Bevölkerung. Ferner ist eine Grenze zu ziehen zwischen den Bewohnern des Hirten-Cantons, des Waldgebiets und der Stadt.

Was zuerst die Mundart anbelangt, so ist solche in den an das Oberamt Welzheim grenzenden Waldorten der Repräsentant der äußersten schwäbischen Härte und Breite, und ein Bauer aus jener Gegend glaubt seine Erzählungen nicht augenscheinlicher machen zu können, als wenn er sie mit tausend: „Sa e, haun e gsait“ durchspickt. Demgemäß ist auch der Menschenschlag: handfest, rauh, derb, fleißig, aber eigennützig; im Handel, dem er namentlich in Holz, Vieh, Schnittwaaren, Pfählen sehr ergeben ist, speculativ, nicht ohne Hinterlist; in Sitten, wenn gleich manche noch eine gewisse altväterliche Ehrbarkeit behaupten, ziemlich ungebunden; die Tracht bei den Männern die des Welzheimer Waldes, dunkelblaue oder braune Röcke aus selbstgezogenen Stoffen mit rothem oder hellblauem Unterfutter, kurze lederne Beinkleider und kurzhinaufreichende Stiefel, oder dunkle Strümpfe von nicht näher zu bezeichnenden Farben, auf dem Kopf der unvermeidliche Dreimaster. So besucht er die Märkte zu Welzheim, Gschwend, Gaildorf und Hall, wo er sich’s wohl seyn läßt, doch nicht ohne zu rechnen, und, da er auf diese meistens Vieh hin und wieder treibt, einen über die Gebühr langen | Stecken in der Hand. Seine Erscheinung spricht im Ganzen an, da er einen Geruch des Gewerblichen um sich verbreitet. Das weibliche Geschlecht trägt Werktags blaue Röcke, Sommers von Leinwand, Winters von Wolle und ditto Kittel, Sonntags schwarze Gewande mit einer schwarzen, etwas von den Ohren abstehenden Haube, die sie wandelnden, übrigens nicht abschreckenden, Fledermäusen wunderbar ähnlich macht, weiße Strümpfe und niedere, so weit ausgeschnittene Schuhe, daß sie bei schmutzigem Wetter Gefahr laufen, sie zurücklassen zu müssen. Den ledigen Burschen verbleiben der stereotype Marder und die kurzen Beinkleider, während jenseits Gaildorf die langen tuchenen beginnen.

Im südöstlichen Theile des Oberamts, gegen Gmünd und Aalen hat die Mundart einen rhythmischen oder vielmehr höchst unrhythmischen Tonfall, und wenn die Leute von da etwas erzählen, so hört sich’s wie nach den Noten einer schlecht gestimmten Geige. Gerne fängt der Erzähler, wenn er etwas Auffallendes berichten will, mit den Worten an: „Au, hairet!“ Die Tracht ist dieselbe, wie oben, die Sitten wo möglich noch etwas rauher, denn hier ist das eigentliche Hirtenland, und die Kinder-Erziehung ist durch die Entfernung der Schulen, zu welchen man nur über Berge, durch Schluchten auf ungangbaren Wegen gelangt, sehr erschwert, die Viehzucht aber bedeutend, daher junge und alte, zumal die ganz unvermögende Classe, aber auch wohl die Kinder der wohlhabenden, dem Hirtenwerk obliegen, woraus sich die verhältnißmäßig größere Rauhheit der Sitten erklärt.

Je mehr man sich von Süd, Südost und West der Oberamtsstadt nähert, verwischt sich das eigenthümliche Gepräge der Sprache, und weder in ihr selbst, noch über sie hinaus bis gegen Hall hin, ist ein vorherrschender Einfluß des schwäbischen oder fränkischen Dialekts zu erkennen, von welch letzterem sich ein kaum merklicher Faden durch die Sprachweise hindurch zieht, während sie von der Westseite her, wo die Gegend an’s Oberamt Backnang grenzt, auch schon beträchtlich schwäbelt.

In den Dörfern und den zahlreichen Weilern und Höfen dieser Bezirke ist die Atmosphäre außer Harz und Kohlen mit einem Duft von Tannen-Reißach-Holz und Pfählen, wovon ersteres unter den Dünger gehackt wird, in einer Weise geschwängert, daß der sonstige, den sehr breiten und hohen, ziemlich ungeordneten, häufig die Passage erschwerenden Düngerhaufen entströmende Duft einigermaßen absorbirt wird, wogegen die Geruchsnerven des Wanderers, wenn er, Gaildorf im Rücken, sich nordwestlich wendet, von den Dünsten eines Eisenhammers und, wenn er Ödendorf passirt, oder wohl gar stundenlang hinter sich liegen hat, vom Parfume eines Gauls, der zu Gewinnung chemischer Produkte mit Haut und Haar in einer Pfanne schmort, gekitzelt werden. Dort der Wald-, hier der Fabrik-Geruch!

| Wir sind von allen Windgegenden her in der Stadt, in Gaildorf, dem völkerwimmelnden, eingerückt. Metzgerbursche mit sehr starken, sehr krausen und sehr starren Locken, denen gegenüber auf der andern Seite des Kopfes die herausfordernde Kappe ein Ohr ganz bedeckt; bestäubte Müllerbursche mit goldenen oder silbernen Ohrringen, ditto Bäckergesellen, sämmtlich pfeifend, die Schürze kühn zurückgeschlagen; behende Frauen- und schmucke Mädchen-Gestalten, den Kopf, von dessen spitzen Häubchen lange und breite Bänder unternehmend flattern, etwas zurückgeworfen, die Taille von blanker Schürze umschlossen; Bürger mit halb nachdenkenden, halb des Lebens Last leicht nehmenden Mienen, in Überröcken und runden Hüten, gekreuzt von Paletots und grimmigen Bärten, oder auch von Costümen, die der Kammerdiener- und der Zofen-Raçe anzugehören scheinen, kurz Alles verräth, daß wir in der Residenz, der vielgliedrigen, angekommen sind.

In der That, es muß noch ein Menschenalter darüber gehen, ehe der vielgestaltige Charakter, den die vielen Territorien und Herrschaften, in die das Oberamt Gaildorf getheilt war, demselben aufgedrückt haben, verwischt wird. Früher dem geselligen Leben der verschiedenen Beamten und Officianten sehr nachtheilig, erstreckte sich die dießfällige Zerklüftung bis in die untersten Schichten hinab. Es galt als Ehrensache ein Pückler, ein Waldeck, ein Wurmbrand und ein Ysenburg zu heißen, und man mußte sein Ansehen gegenüber dem Andern und auf dessen Kosten geltend machen, was viel Neid, Eifersucht, Chikanen und offene Fehden erzeugte. Mit den Württembergern, als, so zu sagen, Eindringlingen, lebte man ohnehin im Krieg. So war die Stadt eine Aristokraten- und Bedienten-Stadt, voll Hofdunst und Aufgeblasenheit, aber auch voll Kriecherei, Intrigue und Kleinlichkeit. Dieß ist nun zwar durch die Länge der Zeit, durch das verständige und würdige Benehmen mancher Beamten, und letztlich durch die politischen Orkane, die hier aus nahe liegenden Gründen stärker als anderswo gebraust haben, um Vieles Anders geworden. Aber die Nachwirkungen davon werden sich in Partheisucht und selbstgenügsamem, Andere leicht verletzendem, Wesen noch lange fühlbar machen.

Sonst ist der Gaildorfer gutmüthig, verständig, wortreich, schlau, leicht erregbar, lebensfroh, und theilt mit seinem Nachbar, dem Haller, die Liebe zum Genuß und den Hang zur Sorglosigkeit. Die Religiosität und das kirchliche Leben sind in den oberen Bezirken strenger und ernster, im mittlern und untern leichter und oberflächlicher, und ein Gaildorfer ließe sich nicht gerne sagen, daß er etwas anderes als ein Mann der Aufklärung sey. Bei allem dem spielt der Aberglaube, besonders im Wald- und Hirten-Gebiet, eine große Rolle, und während der langen Winternächte in den Lichtstuben, beim Kienspan, spuckt es gewaltig von Hexen und Gespenstern, da auch noch die gesellige Schnapsflasche die mystische Stimmung der Geister vermehrt, und | es kann an einem Sagenkreis nicht fehlen, zu welchem die Wallfahrt nach Thüngenthal und Enßburg, auf den Einkorn und Heerberg, die Bedrückungen, welche das Landvolk einst von dem umliegenden Raubadel erlitt; die endliche Rache im Städtekrieg; der Bauernkrieg, der sich von hier aus gegen Hohenstaufen und Lorch zog; die gewaltsame Unterdrückung und Wiedereinführung der evangelischen Reformation; der schmalkaldische Krieg, der seine Fluthen auch über diese Gegenden ergoß; endlich die Leiden der Bevölkerung nach der Nördlinger Schlacht, in Folge deren sich einzelne oder ganze Haufen Menschen in den sogenannten Verhacken der Wälder mondenlang versteckten, Raub- und Mord-Thaten, von Kaiserlichen und Schweden verübt; die große Pest im Jahr 1636 u. s. f.; endlich das Freigericht im nahen Seelach, reichen Stoff bieten müssen.

Der nördliche und nordwestliche Strich des Oberamts gegen Hall, d. h. sowohl der, durch welchen die Landstraße führt, als auch der rechts von ihr über’m Gebirge gelegene Ober-Sontheim und das Fischachthal bis rückwärts nach Geifertshofen, ist nach Volkscharakter, Sitten und Gewohnheiten, Sprache und Tracht so ganz dem Hällischen verfallen, daß, wer eine Schilderung davon haben will, sich an unsere Beschreibung dieses Oberamts (1847) halten muß. Tauf-, Hochzeit- und Leichen-Schmäuse ganz so, wie dort; besondere Centralfeste oder Lustbarkeiten, die in übersichtlicher Vereinigung die Eigenthümlichkeiten der Bewohner des Oberamts Gaildorf besonders augenfällig hervortreten ließen, wie der Haller Jakobi-Markt, zu dem übrigens auch die diesseitigen Amtsangehörigen schaarenweise wallfahrten, gibt es nicht. Indessen begehen auch die Leute des obern Bezirks jene kirchlichen Hausfeierlichkeiten, wo das Vermögen dazu vorhanden ist, mit Schmausereien, nur mit weniger Gepränge und Aufwand.“



  1. In dem Zeitraum von 1785 bis 1850 hat die Bevölkerung um etwa 2/3 sich vermehrt. Nähere Angaben sind im topographischen Theile bei einzelnen Orten zu finden.
  2. Prescher, Geschichte und Beschreibung von Limpurg, 1789, I., 67, gibt an, daß durchschnittlich von 36 Menschen Einer sterbe. Sollte das Sterblichkeitsverhältniß sich verschlimmert haben?


« Kapitel A 2 Beschreibung des Oberamts Gaildorf Kapitel A 4 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).