Beschreibung des Oberamts Sulz/Kapitel B 2

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Aistaig,

Gemeinde III. Klasse mit Röthelhof, Haus, und Herrenwald, Haus, mit 518 Einw. wor. 3 Kath. – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Oberndorf eingepfarrt.

Das Pfarrdorf Aistaig liegt beinahe 2 Stunden südwestlich von der Oberamtsstadt in dem tief eingeschnittenen, malerischen Neckarthale, gerade an der Stelle, wo dasselbe seine nördliche Richtung in eine nordöstliche ändert. Die hohen Thalgehänge sind nur an ihren unteren, weniger steilen Ausläufern angebaut, während die oberen schroffen Partien öde liegen und nur magere Weide bieten. Auf der Hochebene erschließt sich dem Auge eine reizende Aussicht in das Neckarthal,| gegen Westen über die Schwarzwaldhöhen und gegen Osten an die Alp.

Der Ort selbst wird durch den Neckar in 2 Partien getheilt, welche mittelst einer hölzernen Brücke in Verbindung gesetzt sind; in dem auf der linken Seite des Flusses gelegenen Theile, durch welches die Landstraße von Sulz nach Oberndorf führt, befinden sich die Kirche, das Pfarrhaus, das Schulhaus, mit den Gelassen für den Gemeinderath, und meist ziemlich ansehnliche Wohngebäude, während die Häuser auf der rechten Neckarseite größtentheils unansehnlich und an den Bergabhang hingebaut sind.

Die Pfarrkirche, deren Eigenthum und Baulast der Stiftungspflege zusteht, wurde nach einer innerhalb der Kirche angebrachten Inschrift im Jahr 1764–68 in einem gewöhnlichen Styl an den im germanischen Geschmack im Jahr 1404 erbauten Chor angebaut; im Jahr 1585 ist dieselbe zu einer Gemeindekirche erhoben worden. Das Innere der Kirche ist freundlich und hell. Ein alter germanisch gehaltener Taufstein steht unbeachtet im unteren Stockwerk des ebenfalls aus neuerer Zeit stammenden Thurms; auf demselben hängen 2 Glocken, von denen die größere im Jahr 1833 von L. Neubert in Ludwigsburg gegossen wurde, die kleinere trägt als Umschrift die 4 Evangelistennamen in sehr alten Majuskeln. Der Begräbnißplatz liegt um die Kirche.

Das Pfarrhaus, welches der Staat zu unterhalten hat, befindet sich in gutem Zustande.

Das im Jahr 1827 angekaufte Schulhaus enthält ein Lehrzimmer, die Wohnung des Schulmeisters und ein Rathszimmer. Im Ort bestehen 2 Gemeinde-Back- und 2 Waschhäuser.

Der Ort hat Überfluß an gutem Trinkwasser, das 7 laufende und 1 Pumpbrunnen liefern; in dem Ortstheil auf dem rechten Neckarufer befindet sich eine etwas schwefelhaltige Quelle und bei dem 1/2 Stunde unterhalb des Orts gelegenen Röthelhof eine salzhaltige Quelle. Außer dem Neckar fließt noch der Surrenbach durch den Ort, der daselbst eine Mühle mit 3 Mahlgängen und einem Gerbgang, eine Beimühle mit 2 Mahlgängen, wie auch eine Ölmühle und eine Gypspochen-Einrichtung in Bewegung setzt. Überdieß münden auf der Markung noch der Lautenbach und der Denkenhauser Bach in den Neckar. Am Ursprung des letzteren Bachs soll nach dem Lagerbuch auf den sog. Badwiesen ein Bad gestanden seyn.

Die Bäche führen Forellen und die Fischerei in denselben ist von der Gemeinde verpachtet; das Neckarfischwasser, worin Hechte und| Aale vorkommen, ist Eigenthum von 5 Ortsbürgern. Die Fische werden meist in der Umgegend, besonders in Oberndorf, abgesetzt.

Die Einwohner sind im Allgemeinen von dauerhafter Gesundheit und erreichen häufig ein hohes Alter; Spuren von Kretinismus oder vielmehr Verkümmerung zeigen sich nur in Familien, bei denen es an der nothwendigen Pflege und Nahrung fehlt. Die Vermögensumstände gehören zu den geringsten des Bezirks und der größte Theil der Einwohner sucht sich durch Taglohnarbeiten in dem nur 3/4 Stunden entfernten Oberndorf, sein spärliches Auskommen zu sichern; die Vermöglicheren treiben Feldbau und Viehzucht. Der begütertste Bürger besitzt 36 Morgen Felder und 30 Morgen Waldungen, der sog. Mittelmann 8–10 Morgen und die ärmere Klasse 1/41/2 Morgen.

Die Gewerbe dienen nur den örtlichen Bedürfnissen mit Ausnahme von 2 Schildwirthschaften, 1 Kramladen, 1 Mahl- und Ölmühle und 1 Gypspoche. Im Ort befindet sich auch eine ziemlich bedeutende Niederlage von Holländerstämmen, die hier eingebunden und verflößt werden. Die Gewinnung und Verarbeitung des Gypses wie auch das Einbinden und Verflößen des Holländerholzes bietet den Einwohnern Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst.

Die nicht große in die Länge gezogene Markung ist, mit Ausnahme der Gehänge gegen das Neckarthal und dessen Seitenthälchen, meist eben und hat im Allgemeinen einen ziemlich fruchtbaren, leichtern, sandig lehmigen Boden, dem in unbedeutender Tiefe der Muschelkalk, in der Nähe des Surrenbachs aber der Kalktuff als Unterlage dient.

Der Muschelkalk wird an mehreren Stellen zu Straßenmaterial abgebaut und Gyps gewinnt man 1/8 Stunde unterhalb des Orts.

Die klimatischen Verhältnisse sind günstig und die Ernte tritt um 8–10 Tage früher ein als in dem nahe gelegenen Oberndorf; an dem sog. Sommerhaldenberg wurde sogar früher einiger Weinbau getrieben. Frühlingsfröste schaden nicht selten, dagegen ist Hagelschlag in den letzten 20 Jahren nur 2mal vorgekommen. Der östlich vom Ort sich schroff erhebende, großartige Bollerfelsen soll eine Wetterscheide bilden.

Der Zustand der Landwirthschaft ist wie an andern Orten des Bezirks; da die Güter größtentheils auf den Anhöhen und an den Abhängen liegen, so ist der Anbau der Felder ein sehr mühsamer.

Von verbessertem Ackergeräthe kommt vorzugsweise der Suppinger Pflug in Anwendung und zur Besserung des Bodens wird, neben den gewöhnlichen Düngungsmitteln, Gyps und Hallerde benützt.

| Die Anlage der Düngerstätten läßt noch manches zu wünschen übrig und die Jauche wird noch nicht rationell gewonnen und angewendet.

Die im Thal gelegenen Güter werden willkürlich und die auf der Hochebene aber im Dreifeldersystem gebaut; man baut Dinkel, Haber, Gerste, Roggen, Kartoffeln, Futterkräuter (dreiblättr. Klee, Luzerne, Esparsette, Wicken), Flachs und Hanf für den eigenen Bedarf. Bei einer Aussaat von 10 Simri Dinkel, 4 Simri Roggen, 6 Simri Haber und 4 Simri Gerste, wird der durchschnittliche Ertrag eines Morgens 7–8 Schffl. Dinkel, 3–4 Schffl. Roggen, 4–5 Schffl. Haber und 4–5 Schffl. Gerste angegeben. Die höchsten Preise eines Morgens Acker betragen 400 fl., die mittleren 200 fl. und die geringsten 50–100 fl. Von den erzeugten Getreidefrüchten werden nur wenig nach Außen abgesetzt.

Die 2–3mähdigen Wiesen, von denen etwa 25 Morgen bewässert werden können, liegen vorzugsweise in dem Neckarthale; sie liefern durchschnittlich 25 Cent. Heu und 12 Cent. Öhmd pr. Mrg. Das Futter ist gut und wird theilweise nach Außen verkauft. Die Preise bewegen sich von 100–400 fl. per Morgen. Die Obstzucht, welche sich hauptsächlich mit Mostsorten und Zwetschgen beschäftigt, ist unbedeutend; übrigens gedeiht das Obst, namentlich die rauhen und späten Sorten nicht ungerne. Das Obst wird für den eigenen Bedarf theils gemostet, theils gedörrt. Obst wird noch von Außen zugekauft.

Die Pferdezucht ist ganz unbedeutend, dagegen die Rindviehzucht ziemlich gut; sie beschäftigt sich mit einer Landrace und wird durch 2 tüchtige Farren, welche ein Bürger gegen Nutzniesung von 4 Mrg. Wiesen und 2 Mrg. Acker hält, nachgezüchtet. Einzelne Landwirthe zeichnen sich durch ihren Viehstand aus und haben auf dem landwirthschaftlichen Feste zu Sulz schon Preise erhalten. Der Handel mit Vieh wird auf benachbarten Märkten in ziemlich starker Ausdehnung getrieben.

Ein Ortsschäfer läßt auf der Markung etwa 150 Stück Bastardschafe laufen und entrichtet an die Gemeinde ein jährliches Pachtweidegeld von 150 fl.

Die Schweinezucht ist unbedeutend, ebenso die im Abnehmen begriffene Zucht der Bienen, dagegen nimmt die Zahl der Ziegen immer mehr zu.

Geflügel (Hühner, Enten, Gänse) wird ziemlich viel gehalten, übrigens kein eigentlicher Handel damit getrieben.

| Schnecken werden viele von armen Leuten gesammelt und nach Oberndorf zum Verkauf gebracht.

Die Gemeinde ist im Besitz von 170 Mrg. Waldungen, von denen übrigens nur 70 Mrg. Gut bestockt sind; der Ertrag mit 78 Klafter wird verkauft und sichert der Gemeinde eine jährliche Einnahme von etwa 500 fl.

Etwa 1/2 Stunde nordöstlich vom Ort lag auf einer steilen Anhöhe oben an den rechten Gehängen gegen das Neckarthal die Burg Aistaig, von der noch einige Mauern und die Burggräben vorhanden sind. Ein Guntrammus de Egesteige erscheint um 1099 als Zeuge im Stiftungsbrief des Klosters Alpirsbach.

In dem Denkenhauser Thälchen lag das kleine Dorf Denkenhausen (Tenkenhausen 1302), von dem jedoch alle Spuren verschwunden sind.

Als Naturmerkwürdigkeit ist noch zu erwähnen, daß sich im Bollerfelsen Klüfte befinden, aus denen in kalten Wintertagen warme Dämpfe aufsteigen.

Zu der Gemeinde gehören:

a) Röthelhof, ein einzeln stehendes Haus, das 1/2 Stunde unterhalb des Mutterorts, unfern der Sulz-Oberndorfer Landstraße steht.

b) Herrenwald, Haus, liegt auf der Hochebene beinahe 1/2 Stunde südwestlich von Aistaig.

Aistaig wird erstmals genannt im Jahr 772, als das Kloster Lorsch an der Bergstraße mit hiesigem Gut beschenkt wurde (in pago Alemannorum in Aichestaiger marca. Cod. Laur. 3 nr. 3303).

Der Ort gehörte zur Herrschaft Rosenfeld, mit der er an Württemberg kam.

Das Landbuch von 1623 nennt hier: eine Mahl- und eine Sägmühle, Erblehen Ludwig Friedrichs von Anweil.

Die Kirche war ursprünglich Filial der Remigiuskirche in Oberndorf, hatte aber bereits 1371 ihren eigenen Kirchherrn und Leutpriester (Köhler, Oberndorf 42).

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