Buch vom Apfel

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Textdaten
Autor: Pseudo-Aristoteles
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Titel: Hatapuach [Buch vom Apfel]
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
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Erscheinungsort: Lemberg
Übersetzer: Jeremiah Musen
Originaltitel: رسالة التفاحة (Risālat at-Tuffāḥa)
Originalsubtitel:
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Quelle: http://www.teachittome.com, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: 4652652-3
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[1]
Hatapuach,
Übersetzt aus dem Arabischen ins Hebräische
von
Abraham ben Chasgai
ins Deutsche übertragen
von
J. Musen
in Brody.




LEMBERG.
Druck von S. L. Kugel Holzplatz Nr. 6
1873.

[3] Abraham Halewi, der Sohn Chasdai’s, theilet mit: Als ich dieses Buch, welches griechische Lehrer verfaßt haben, studirte und mich mit seinem Inhalte vertraut machte, nahm ich wahr, daß es unserm Glauben förderlich, und geeignet sein könnte, die Indulenten unseres Volkes im Glauben zu stärken, Diese nämlich geben den ketzerischen Ideen sich hin und faseln, daß von dem Menschen nach dem Hinscheiden des Körpers nichts Wesentliches mehr bleibt, ja der Mensch existire blos im Dasein des Körpers, und wenn dieser hinstirbt, bleibt sonst nichts zurück. Dafür bringen sie folgenden Beweis: Es gibt viele Dinge, die aus manchen Stoffen zusammengesetzt sind, und dann erst den Nutzen gewähren; wie z. B. die Dinte besteht aus Ingredienzien, die zusammengemischt, wegen ihrer Schwärze zum Schreiben dienen, aber jeder Bestandtheil insbesondere gewährt diesen Nutzen nicht; eben so ist es mit den Ingredienzien der Farbe u. d. g. So strengen sie sich an, den Glauben zu zerstören, und gegen diese, sagt die Schrift: Sie werden ein Abscheu sein jeder Kreatur. Diesem Irrthum entgegenzutreten wurde dieses Schriftchen aus dem Arabischen ins Hebräische übertragen, welches also beginnt:

Als der Weg zur Wahrheit den Gelehrten abhanden kam, [4] und die gerade Bahn verdunkelt wurde den Vernünftigen und Weisen, welche man in ihrer Sprache Philosophen, Weisheitsfreunde, nennt, da versammelten sich alle in einem Hause, und beschloßen einstimmig, den richtigen Weg, den die Menschen einhalten müssen, auf daß es ihnen wohlergehe anzudeuten und zu bestimmen. Sie fanden aber nur eine Regel, und diese ist: Jeder soll für seinen Nächsten das anstreben, was er für sich selber anstrebt, das Schändliche und Abscheuliche fliehen, die Wahrheit anerkennen, sich gutwillig dem Rechte fügen und seinen Schöpfer ehrfürchten. Damals lebte ein großer und allbekannter Weiser, erfahren in jeder Kunst und Wissenschaft, Namens Aristoteles, und alle Weisen jener Zeit hörten seine Vorträge und lernten bei ihm. Als nun seine Sterbestunde herannahete, und er todeskrank darnieder lag, versammelten sich alle Weisen und kamen ihn zu besuchen, um ihm eine Krankenvisite zu machen. Sie fanden den Kranken an einem Apfel riechend, abgehärmt durch die schwere Krankheit, vor heftigem Schmerz sich windend, so daß sie bei seinem Anblicke sich entsetzten. Aber nähertretend fanden sie ihn heitern Gesichtes und sehr erfreut sie zu sehen, auch grüßte er sie. Da sprachen sie zu ihm: Unser Herr und Meister, als wir dich zuerst erblickten, da glaubten wir, vor [5] Schrecken vergehen zu müssen, weil wir eine heftige hitzige Krankheit erkannten, und deine Kraft erlahmt fanden: jetzt aber, wo wir dich so heiter und wohlgemuth, und dein Gesicht so strahlend sehen, kehrt unser geschwundener Muth zurück. Er aber lächelte ihnen zu und sprach: Denkt nicht, ich sei deshalb so froh, weil ich von dieser schmerzvollen Krankheit befreit bin; denn ich weiß es wohl, daß ich sterben muß, da die Kraft mir fehlt, den sehr heftigen Schmerz zu überwinden, und wäre nicht dieser Apfel, dessen angenehmer Geruch mich erquickt, und mich ein wenig am Leben erhält, ich wäre längst dahin. Aber die thierische Seele, welche mit ihr [der vernünftigen] verbunden ist, wird lüstern nach dem guten Geruche (und dadurch etwas belebt). Ich aber bin bald traurig, bald heiter, da ich aus einer Welt der Gegensätze, und des ewigen Wechsels scheide. Die vier Elemente, aus denen alles Erschaffene in der Welt besteht, sind einander vollkommen entgegengesetzt; das eine ist kalt, das andere warm, das eine trocken das andere feucht, wie sollte also der aus diesen vier Elementen geschaffene Körper bestehen, und sein Leben auch nur für eine kurze Zeit fristen? Aber wenn das Gleichgewicht zwischen diesen Elementen hergestellt ist, daß das eine nicht die Oberhand über das andere gewinnt, währt sein Leben länger, und er kann fortbestehen; in dem Augenblicke jedoch, wo das eine [6] über das andere die Oberhand gewinnt, erkrankt der Körper, und es entstehen Krankheiten und Gebrechen, an denen die Menschen leiden. Findet sich nun ein verständiger kluger Arzt, welcher die Krankheit versteht, wird er wohl das geschwächte Element erkennen und es daher stärken, wie das erstarkte schwächen, der Körper wird dann wieder in seinen Normalzustand zurückkehren und geheilt werden. Aber wie viele Ärzte gibt es, die das geschwächte Element nicht heraus kennen, und denen diese Einsicht abgeht, diese werden zuweilen die Krankheit noch vermehren, den Körper zu Grunde richten, und sogar noch den Tod herbeiführen. Die vernünftige Seele dagegen, welcher die anderen (die vegetabilische und thierische im Menschen) untergeordnet sind, und die sie auch beherrscht und regiert, ist nicht aus den vier Elementen zusammengesetzt sondern aus einem andern einfachen (geistigen) Stoffe. Diese vernünftige Seele also erkennet, und unterscheidet das Gute vom Bösen, ferner daß zwei Dinge, welche einem dritten gleich sind, auch unter sich gleich sind; ferner daß drei eine ungerade, vier eine gerade Zahl ist, sie erkennt auch ihren Schöpfer, und sich selbst, und diese Seele ist nur dem Menschen und keinem anderen sterblichen Wesen eigen. Die andere Seele (geistige Kraft), die erinnernde (Gedächtniß), welche den Menschen sich erinnern läßt, was er sonst vergessen würde. Eine dritte ist, [7] die geistige Kraft (das Vorstellungsvermögen, Phantasie), welche den Menschen ein jetzt nicht Sichtbares sehen läßt, z. B. während man an einem Orte sich befindet, sieht man sich in seiner Phantasie an einen andern versetzt. Es ist dies dieselbe Kraft, die ihn zukünftige Dinge sehen läßt. Die vierte ist es, die den Menschen die Kunst erfinden läßt, wie beim Sticker und Weber u. a. d. g.. Und wäre jetzt nicht eine ungelegene Zeit, uns lange bei diesen Gegenständen aufzuhalten, würde ich euch einen Gegenstand nach dem andern deutlich erklären, und ihre Nutzanwendung auseinander setzen, und was noch sonst dazugehört.

Simmias, einer von den Weisen entgegnete: Unser Herr und Meister! von jeher warst du stets so gütig gegen uns, du hast uns so viele Wissenschaften gelehrt, erzeige uns jetzt die große Gnade, und stärke unser Herz, wie das deine gestärkt (stähle unser Muth), auf daß auch wir vor dem Tage des Todes nicht fürchten, und uns nicht ängstigen, wie andere Sterbliche sich entsetzen und erbeben, wenn sie abgerufen werden, da sie nicht wissen, wohin sie gelangen, und was aus ihren Hoffnungen wird. Du erzeigst uns dadurch eine doppelte Wohlthat: Du wirst erstens uns unterrichten, indem du unsern Muth stählest, und wirst zweitens unsere Unruhe und Trauer um deinen Verlust bannen, weil wir dann wissen, daß du nach deinem Tode in Ruhe und ewigen Frieden sein wirst.

[8] Da antwortete Aristoteles: Ich will auch euch auf die richtige Bahn führen und belehren, damit ihr die Wahrheit meiner Worte einsehet, wiewohl es mir schon beschwerlich ist, und nun will ich am Dufte dieses Apfels mich laben, um meine gesunkenen Geisteskräfte wieder zu beleben, damit ich das beendige was ich euch noch mitzutheilen habe, da ich mich dafür belohnt fühlen werde, wenn ich diesen Gegenstand eurer Erkenntniß zuführe, der nur allzuwichtig für euch ist. Da erhoben sich alle Schüler und küßten ihn auf die Stirne. Er begann also: Zuerst will ich euch die eine Frage vorlegen: Anerrkennet und glaubet ihr, daß die philosophische Wissenschaft, welche doch der Inbegriff aller Wissenschaften ist, wahr ist, und wer sie eifrig sucht, die Wahrheit, das Recht, einen vorzüglichen Grad sittlicher Vollkommenheit, das Göttliche sucht? und das eben dadurch der Mensch von allen andern Thieren sich unterscheidet? Sie erwiederten: Wir sind gezwungen zu gestehen, daß es so ist. Er: Verhält es sich so, wie ihr gesagt, wird das Gute, welches dem Menschen aus dieser Wissenschaft zufließt, und der höhere Standpunkt, den er durch sie erreicht, ihm schon in dieser Welt zu theil, oder geschieht das erst nach dem Tode, in der andern Welt? Wollt ihr nun behaupten in dieser Welt, vor dem Tode, so habt ihr dieser Wissenschaft den ihr gebührenden Grad [9] der Vortrefflichkeit nicht zuertheilt, da es viele thörichte Menschen gibt, die von der rechten Bahn abirren, sich nicht zurechtweisen lassen, und ihren Schöpfer nicht kennen wollen, und dennoch in dieser Welt ihre Tage im Glücke verleben, und alle ihre Lebensjahre fließen ihnen angenehm dahin; während es Weise gibt, die zur Einsicht gelangen, die willig Zurechtweisung und Belehrung annehmen, die ihren Schöpfer erkennen, und dennoch weder Ruhe noch Glück genießen. Wenn ihr aber euch entsetzt und ängstigt vor dem Tode, der nur ein Weg, eine Bahn für die Seele ist, sich vom Körper loszulösen, um sich dem Göttlichen anzuschließen und zu den seligen weisen Geistern sich zu gesellen, dann habt ihr dieser Wissenschaft ihren hohen Werth nach Fug und Recht nicht zuerkannt, und so werdet ihr untergehen wie die thierische Seele in andern Thieren. Dann will ich euch noch eines fragen: Wisset ihr, daß der Tod eine Trennung der Seele von dem Körper ist? So ist’s, erwiederten sie. Und seid ihr froh darüber, fragte er, daß ihr manche Wissenschaft erworben und euch angeeignet habt, wie ihr darüber niedergeschlagen seid, daß ihr deren nicht noch mehr euch zueignen und erlernen konntet? Ja, erwiederten sie. Ist es nun also, fuhr er fort, wie ihr gesprochen, so müßt ihr doch deutlich erkennen, das der Körper weder sehen, noch hören, noch etwas begreifen kann, ohne [10] die Kraft der Seele, die ihm während des Lebens inne wohnt; dieser Körper selbst aber, der blos nach Speise und Trank und nach andern Ergötzlichkeiten lüstern ist, ist der Seele hinderlich, die erhabenen geistigen Vorzüge sich anzueignen, indem sie aber vom Körper sich loslöset, scheidet sie von dem, der ihrer Vervollkommnung hindernd in den Weg trat. – Ich hab euch bereits erklärt, daß dem Menschen die köstlichen Weisheitslehren nur dann erreichbar sind, wenn die Seele auf jener Stufe der sittlichen Vollkommenheit steht, wo sie lauter und tadellos ist, und gereinigt von jeder niedrigen unlautern Begierde, und sich gänzlich entfernt von der Unreinigkeit, in der sie gebannt ist; diese ist irdischen Ursprungs, und strebt bloß nach sinnlichen Genüssen, nach Speis und Trank, wie die andern Thiere, die vernunftlos sind, und daher ihren Trieb und ihre Begierde nicht beherrschen können. Auf dieser Stufe stehend, mehret er seinen geistigen Schatz, indem er sich selbst beherrscht, seine böse Begierden unterdrückt, und die sinnlichen Lüste verabscheut, wodurch er sich verunreinigt. Dagegen liebt er die rein geistigen Freuden, indem er jene Wissenschaft eifrig studirt, die ihn zur Erkenntniß des allmächtigen und furchtbaren Gottes führt, der mit seiner erhabenen Weisheit die Welt erschuf, dessen Wege er zu erforschen strebt; dadurch wird sein Geistesauge hellsehend und viele Geheimnisse der Natur [11] werden ihm erschlossen, dessen die Seele froh wird und Freuden genießt, die durchaus nicht den sinnlichen Vergnügungen gleichen; denn diese sterben im Genusse und lösen sich in Nichts auf; ja sie zerstören sogar den Körper und stürzen ihn frühzeitig ins Grab. Aber die Freuden der Seele bestehen darin, daß sie ihren Schöpfer begreift, oder sie betrachten die wunderbaren Schöpfungen am Himmel, das Kreisen der Sphären; ihre Einrichtung, und wie Alles mit Weisheit gegründet ist. Wer aber in den Wissenschaften noch nicht so weit vorgeschritten ist, um diese schönen und erhabenen Gedanken fassen zu können, der betrachte sich selber, seinen kunstvollen Gliederbau, die Zahl der Bewegungsnerven und der Muskeln, welche dem Körper die geeignete Bewegung verleiht, wenn er seinen Platz verändert, oder in Ruhe verharren will, die Kräfte, die der Schöpfer jedem Gliede insbesondre zum Dienste des Körpers ertheilte, und wie keines zu wenig und keines zu viel ist; dann wird er auch seinen Schöpfer mit seinem Geiste begreifen können und zugleich einsehen daß alles menschliche Wissen doch nur dürftiges, verächtliches Stückwerk ist. Doch die Seele des eifrigen Forschers, der diese alle Wissenschaften zu erfassen strebt, ist fehlerfrei und rechtschaffen, und diese Seele fühlt weder Kummer noch Schmerz über ihr Scheiden aus dem Körper, der sie nur hindert [13] ihr Sehnen und Wünschen vollkommen zu befriedigen. Ihr seht es ja, der wahre Philosoph, der sittlich reine und tugendhafte, tödtet seine Lust an weltlichen Freuden, als an Speise, Trank und Gewand und andern vergnügenden Dingen, an Schätzen von Silber und Gold und verachtet jene Genüsse, die Körper und Seele verderben. Derjenige hingegen der durch die thierische Lust beim Essen und Trinken der Art hingerissen wird, daß er im Übermaß genießt, verheert seinen Körper, daß er in Krankheit und Siechthum verfällt, weil durch Übermaß in Speise und Trank sich manche flüssige Elemente, die sich im Körper erzeugen und deren proportionirtes Verhältniß für die Existenz des Körpers unbedingt nothwendig ist, vermehren. Das eine Element, das Blut, die Lebensquelle, ist warm und feucht, das zweite Element, eine dunkle Flüssigkeit, ist kalt und trocken, und das dritte, eine weiße Flüssigkeit, ist kalt und feucht (Gehirn und Rückenmark). Jedes von ihnen vermehrt und vermindert sich durch die verschiedenartigen Speisen. Ebenso der sich vom Geschlechtstriebe zu übermäßigem Genusse hinreißen läßt, schwächt seinen Körper und richtet sich zu Grunde. Der Weise aber, dessen wir erwähnten, daß er alle ähnlichen Vergnügungen verachtet und sich vollkommen zu machen sucht, um seinen Schöpfer, der aus Nichts Alles hervorbringt zu begreifen, schaut dem Tode [14] Jener entgegnete: Einem Weisen, wie du bist, ziemt eine solche Einsprache wohl nicht; denn wiewohl ich den Tod keineswegs mehr fürchte, so darf ich ihn doch nicht suchen, bevor er eintritt, weil der Mensch das Leben benützen muß, um immer aufwärts zu streben, und die höchst mögliche Stufe der Vollkommenheit zu erreichen. Er unterrichte und belehre sich, daß er eindringe in den Geist der Philosophie, durch welche er zur Erkenntniß seines Schöpfers und Meisters gelangt; da jede Wirkung ihre Ursache haben muß, und jede Bewegung ihren Beweggrund, bis er durch seine Weisheit bei der ersten Ursache, Gott, anlangt, der die Welt aus Nichts ins Dasein rief, und der Beginn jedes Beginnes und der Anfang alles Anfangs ist. Das Universum kann ihn nicht ausfüllen noch der denkende Geist ihn begreifen. In seiner Weisheit hat er sieben Himmel errichtet. In jeden Himmel setzte er leuchtende Sterne ein, pflanzte ihnen die Kraft unsere niedere Welt zu beherrschen ein, und verlieh ihnen die Gewalt, auf Erden Gutes und Böses, Leben und Tod, Reichthum und Ansehen, Armut und Mißachtung zu verleihen, und dieses Alles liegt in der Macht ihres Leiters und Führers. Die Astrologen aber, welche die Sterne und ihre Machteinflüsse sahen, gaben ihnen selbstständige Macht und Herrschaft, nahmen sie als Gottheiten an, dienten ihnen und beteten sie an, indem sie [15] glaubten, daß alles, was die Sterne veranlassen, geschieht aus ihrer eigenen Machtvollkommenheit, und vermöge eigener selbstständiger Kraft herrschen sie. Auf diese Weise gestatteten die frühern Weisen, daß man viele Bildnisse anfertigte, welche die Sterne darstellten, die sie anbeteten, wie den Jupiter (Baal) und Venusplaneten (Astarte). So vergaßen sie die Grundursache und den Ursprung des Alls, wählten jeder für sich einen beliebigen Stern, wie die Sonne, den Mond u. s. w. zu ihrer Verehrung, und diese Unvernünftigen hatten die Einsicht nicht, daß das Wirken und der Lauf der Sterne immer nach einer bestimmten unabänderlichen Weise geschieht, daß sie ihre Ordnung nicht ändern, und von den ihnen innewohnenden Gesetzen nicht abirren können; sie müssen vielmehr nach der ihnen verliehenen Kraft sich bewegen, ein fremder Wille leitet sie von Ost nach West und von West nach Ost und ohne Widerstreben. Die Sterne gehorchen wie Sklaven dem gegebenen Auftrag, ohne daß es ihnen freistünde abzuweichen oder zu ändern. Ihre Bewegung und ihr Lauf entspringt nicht der freien sich selbst bestimmenden Kraft; sondern die höchste Sphäre ist ihr Lenker und Leiter, in diese Sphäre hat Gott der sie gebildet, und sie mit Vernunft ausgerüstet, diese Gewalt gelegt, wie dieses in den Schriften der Philosophen zu finden, in denen sie diese Wissenschaften durchdringen und ergründen. In dieser [16] Hinsicht irrten alle Menschen bis auf Noah, den ersten der Denker, welche weise überlegten und zur Einsicht kamen, den Schöpfer zu begreifen. Er fieng an einzusehen, daß für Alles ein Urbeginn und ein oberster Leiter dasein müsse, dem die höchste Weisheit und alle erhabenen und vortrefflichsten Eigenschaften, wie die höchste Macht innewohnen müsse. Nach Noah wurde der Patriarch Abraham geboren, der weiseste von Allen, er lernte einsehen, daß alle seine Zeitgenossen in Irrthum und in Götzendienst verfallen waren. Da prüfte ihn Gott und befahl ihm, seinen einzigen Sohn zu opfern und er war auch dazu bereit; denn sein Herz war seinem Gotte ganz ergeben; er erkannte dessen Vollkommenheit und begriff, daß Sonne, Mond und Sterne einen obersten Lenker haben, und er richtete sich nicht nach Terach, seinem Vater, der einem Götzen in Haran, Janus genannt, einem Bilde des Mondes, diente, welchem man opferte und göttliche Verehrung erwies, und dem zu Ehren man Kinder durch das Feuer führte.

Und da sich Abraham von ihnen und ihren Gebräuchen entfernt hielt, so nannte man ihn deshalb „den Philosophen.“ Wer also zu dieser Stufe der philosophischen Erkenntniß gelangte wie unser Urahn Abraham, darf schon den Tod, wie ich bereits gesagt, herbeiwünschen. Ich aber, ich habe bis zur Stunde [17] diese hohe und erhabene Stufe noch nicht erreicht, und deshalb wünsche ich den Tod auch nicht herbei, sondern warte, bis er sich selber einstellt, vielleicht erreiche ich bis dahin jene erhabene, heilige Stufe. Aristoteles sagte hierauf zu Kriton: Die Entgegnung Milons hat meinen vollsten Beifall; seine Worte schätze ich hoch, und mit wahrer Weisheit hat er dir Bescheid gegeben, ich anerkenne jedes seiner Worte und preise seine Wissenschaft und Einsicht. Einer von den Schülern, namens Aristoxenus, sprach zu ihm: Herr, laß deine Gnade noch ferner gegen uns walten und belehre uns, wie die Weltweisheit zu erlangen sei, die so vortreffliche Eigenschaften besitzt, daß sie die Menschen von der Finsterniß der Dummheit und aus der Dunkelheit der Thorheit zu der Tageshelle der Weisheit, zum strahlenden Glanze der Einsicht und zum Lichte der Wissenschaft und vernünftiger Erkenntniß führt. Aristoteles, der Weise, erwiederte: Were die Weltweisheit verstehen will der studire, lese und lerne die ersten acht Bücher, die ich verfaßt habe, bis er zum Buche über den Geist kommt. Daraus wird er seine Seele erkennen und begreifen, wie sie im Körper existirt, ihre Beschaffenheit, ihren Wohnort und ihre Natur, ob sie in ihm gefesselt und gefangen ist? Ob sie mit dem Körper zugleich geschaffen ist? oder ob sie früher geschaffen und blos in ihm wohnt? Warum sie dem Auge jedes Lebenden unsichtbar ist? Ob sie auferstehen und leben wird nach ihrem Ausscheiden aus dem [18] Körper, oder mit ihm zu Grunde gehen wird? Wenn er so die Kräfte der Seele erkennen wird; dann wird er auch ihren Schöpfer begreifen und den rechten Weg einschlagen, von dem weder rechts noch links abzuweichen ist und das ist die höchste dem Menschen erreichbare Stufe der Vollkommenheit.

Also habe ich euch den Weg zur Wahrheit erklärt und bin nicht muthlos zurückgewichen von der Bahn, sie euch einleuchtend zu machen; denn die Lehren, welche nach Recht und Wahrheit unterweisen, lügen und trügen nicht in ihren Worten. Wisset daher, daß wer die körperlichen Vergnügungen verachtet, und seinen Geist durch philosophische Studien bereichert, daß er den Vorzug der Seele vor dem Körper, von dem sie blos ausscheidet, erkennt, und dennoch, wenn der Tod ihn ruft, sich fürchtet und entsetzt, dessen Wissen ist Stückwerk, und er steht dem schönen Ziele der Philosophie noch ferne, und setzt dem Gespötte aller seiner Hörer sich aus. Wer aber dem Wege wahrer Weisen folgt, seine Begierden und Leidenschaften bezähmt, seinem Schöpfer vertraut, das Böse verabscheut und das Gute erwählt, und den Tod nicht fürchtet, der verdient den Namen eines wahren Weisen; wem aber trotz seinen Studien der Tod furchtbar scheint, dem bietet die Wissenschaft keinen Vortheil, da sie für ihn ohne Frucht geblieben. Deßwegen ließ der gütige Schöpfer zum Heile der Menschheit weise Männer und gottbegeisterte Propheten[WS 1] erstehen, die Unwissenden zu belehren, da sie durch [19] eigenes Nachdenken ihren Schöpfer nicht erkennen, fassen und begreifen konnten, und deren Verstand nur das erfaßte, was ihnen von Jugend auf eingeübt wurde, sei es Gut oder Böse. Schlugen sie den richtigen und guten Weg ein, so prägte sich dieser unverwüstbar ihr Herz, daß sie nimmer davon ließen oder wichen, und ebenso diejenigen, die einen krummen ungebahnten Pfad verfolgten. Zwischen diesen und jenen, die den graden Weg betraten, war daher der Abstand sehr groß. Aber auch Erstere, wiewohl sie auf dem richtigen Wege sich befanden, waren sie den Thieren gleich, die der Mensch am Zaume leitet und auf den guten richtigen Weg führt; denn so ist die Weise jener Menschen, deren Verstand von selbst diese Ideen nicht begreifen kann. Eine andere Menschenklasse gibt es, deren Verstand und Vernunft zu Allem befähigt und kräftig genug wären, aber ihr Geist erlahmt, wenn der Körper erkrankt, wiewohl sie diese Ideen mit ihrem Geiste erfassen. Und diese Philosophen[WS 2] theilen sich in zwei Klassen: die Eine behauptet: Das Universum hat weder Beginn noch wird es ein Ende nehmen; Neugeschaffenes gibt es nicht unter der Sonne; sondern Geschlechter kommen und vergehen, die Welt aber bleibt ewig dieselbe und hat weder Träger noch Leiter. – Dies sind Gottesleugner. – Die Andere nimmt eine erste Ursache zwar an, behauptet aber, daß [20] die Seele aus dem Körper geschaffen, und so lange der Körper besteht, ist die Seele in starker Verwirrung. Sie führen folgenden Beweis für ihre Behauptung: Ein junges Kind, dessen Körper noch schlaff und schwach ist, begreift und versteht noch wenig, bis der Körper fester und stärker wird. Wäre nun die Seele eines fremden Ursprunges außerhalb des Körpers, warum sollte dieser sie hindern können, ihren hohen Standpunkt sogleich einzunehmen und warum ist sie in ihren Funktionen gehindert, wenn der Körper erkrankt, daß der Mensch närrisch und wahnsinnig wird und seinen Verstand verliert? Ebenso wird das Werk des Schöpfers und seine unendliche Weisheit ihnen blos aus dem wundervollen Bau der Glieder des Menschen wie seiner Adern und Knochen begreiflich. Alle diese Dinge habe ich ihnen in den von mir verfaßten Büchern klar aus einander gesetzt, und darin findet sich auch die vollständigste Wiederlegung dieser zwei Meinungen, die ich auf eine verständige und vernünftige Weise gründlich widerlegte. Nun fragten die Anwesenden: Unser Meister, welches ist die wichtigste Wissenschaft, die der Mensch sich anzueignen habe, um dadurch einen hohen Grad der Weisheit und der Tugend zu erklimmen? Es gleicht in dieser Beziehung keine Wissenschaft der Philosophie[WS 3], antwortete Aristoteles, denn diese erleuchtet und leitet ihn in dieser Welt, wo ihr Wirken beginnt, zur Frömmigkeit und Tugend, und sie läße [21] ihn auch künftige Seligkeit erreichen, denn wer sie erlangt, findet Heil in beiden Welten. Die ersten acht Bücher handeln über die logischen und sachlichen Grundbegriffe aller Wissenschaften, die den Menschen zugänglich sind, deren Gründe er einsehen, und die darin vorkommenden Beweise er beurtheilen kann, nämlich, welche davon fest und unerschütterlich darstehen, und welche davon nicht richtig sind und die Wahrheit nicht darthun. Diese sind die sophistischen Beweise, die der Wahrheit blos nahe zu liegen scheinen aber nicht wahr sind, und sind der Wahrheit nur insofern nützlich, als der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, im Gegensatz zur Sophistik die Macht der wahren Beredsamkeit zeigen und ins hellste Licht setzen wollte; durch diese kann der eigentliche Weise die Behauptungen des Sophisten schwächen und wiederlegen, und durch seine Weisheit solche wunderbar triftige Beweise führen, daß der Andere nicht mehr die Kraft findet, sie zu wiederlegen und seine Behauptungen zurückzuweisen. So hat die Sophistik den Nutzen wie das Fleisch der Otter in der Medicin bis der Schmerz nachläßt, es lindert und heilt wiewohl es Gift ist.

Es ist daher Pflicht für den Philosophen auch diese Art der Beweisführung zu kennen, damit er den Redensarten des Sophisten aus Unkenntniß nicht unterliege und daß er die Stelle ausfindig mache, wo er in Irrthum verfallen könnte.

In diesen Büchern wird von allen Wissenschaften im Allgemeinen [22] ohne in Einzelheiten einzugehen. Noch habe ich ein Buch verfaßt, welches ich Metaphysik benannte. Dort habe ich abgehandelt über die Sphären des Himmels und den Kreislauf der Sterne, welche ihrer Natur zufolge nicht den Wesen unter dem Monde gleichen, sondern höherer Natur sind, und es ist uns nicht die Kraft verliehen, sie zu erkennen und zu begreifen. Die vernünftige Seele aber, von dort stammend, hat in unserem Körper ihren Aufenthalt, sie ist nicht zusammengesetzt, sondern sie ist anderer, einfacher Natur, rein und mackellos. Heil der Seele, die durch böse Thaten sich nicht befleckt, die ihren Schöpfer begreift, sie kehrt zu ihrem Ursprunge zurück in Wonne, in großer, und nicht verächtlicher Lust, wehe aber der sündhaften Seele, ihr ist es nicht gestattet zu ihrem Ursprunge zurückzukehren, sich aufzuschwingen zu ihrer Heimat, denn ihre Handlungen, welche durch niedrige, sinnliche Genüsse beschmutzt sind, hindern ihren Aufschwung.

Als der Weise mit diesen Worten zu Ende war, erschlafften seine Hände, der Apfel entfiel ihnen, Schwärze deckte sein Angesicht und er verschied. Seine Schüler fielen auf ihn, küßten ihn, erhoben insgesammt ihre Stimmen und weinten sehr laut. Der da aufnimmt die Seelen der Weltweisen, riefen sie, möge auch deinen Geist bei sich aufnehmen und in seine Prachtgemächer dich versetzen, wie es einem solchen frommen und tugendhaften Manne mit Recht gebührt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Prpoheten
  2. Vorlage: Ppilosophen
  3. Vorlage: Pilosophie