Das „Internationale Eislaufen in Wien“

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Autor: Max Wirth
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Titel: Das „Internationale Eislaufen in Wien“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 110–113
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das „Internationale Eislaufen in Wien“.
(Am 21., 22. und 23. Januar 1882.)

Als ich am Ende der Jahre 1867 und 1868 in der „Gartenlaube“ zum ersten Male öffentlich auf die neuere Entwickelung des Eislaufs aufmerksam machte und zugleich Warnungen und Rathschläge einflocht, unter deren Beachtung die vielfach befürchteten Unfälle auf dem Eise verhütet werden können, da war der Wiener Eislaufverein noch in den Kinderschuhen. Eine Anzahl günstiger Umstände wirkte indessen zusammen, um diesem Vereine unter allen Gesellschaften dieser Art auf dem Continente den höchsten Aufschwung zu verleihen. Die für die Größe der Stadt sehr centrale Lage des der Gesellschaft eingeräumten Platzes, der durch eine eigene Dampfmaschine sowie durch die Hochquellenleitung mit dem nöthigen Wasser zum Füllen des Bassins und zum Bespritzen der Eisfläche versehen ist und außerdem die erforderlichen Gebäude und Tribünen, sowie sieben große elektrische Lampen in der Gesammtstärke von ungefähr 6000 Kerzen besitzt, macht diesen Eisplatz zu einem Lieblingsaufenthalte der gebildeten Wiener. Solange der Frost dauert, wird die Eisdecke in jeder Nacht vollständig gereinigt und mittelst einer an langen, von den Hochquellen gespeisten Kautschukschläuchen befestigten Brause bespritzt, sodaß die Mitglieder jeden Morgen frisches Spiegeleis befahren. Dieser sorgsamen Pflege, die bei milderem Wetter durch Hobelmaschinen ergänzt wird, steht das mehr continentale Klima Wiens zur Seite, das der Eisbildung günstiger ist, als in den Städten des Westens, ohne durch so große Kälte abzuschrecken, wie sie an der Ostsee herrscht.

Man kann daher auf dem Platze des Wiener Eislaufvereins im Winter durchschnittlich auf fünfzig Schleiftage rechnen. Der Ausfall milderer Winter wird durch die höhere Ziffer strengerer Jahre ausgeglichen, wie wir es denn im verflossenen Winter bis auf zweiundsechszig und im Winter 1879 auf 1880 auf vierundsiebenzig Schleiftage gebracht haben. Hält man diese günstige Conjunctur mit der elektrischen Beleuchtung zusammen, durch welche der Eislaufplatz Abends von fünf bis neun Uhr so hell erleuchtet wird, daß man beim Laufen lesen kann, so erscheint es begreiflich, daß man in Wien fast ebenso lange Kunstübungen auf dem Eise vornehmen kann, wie in New-York oder Montreal.

Einzig in der Welt stehen wohl die costümirten Eisfeste da, welche alljährlich ein- bis zweimal auf dem Platze des Wiener Eislaufvereins abgehalten werden. Wien ist durch seine Carnevalslust, durch seine costümirten Bälle und hinreißenden Walzer berühmt. Aber nirgends entfaltet sich diese Lust phantastischer und decenter, fröhlicher und bezaubernder, als bei diesen Eiscostümfesten, wo sechs- bis achthundert costümirte Schlittschuhläufer, Damen und Herren, Alt und Jung beim Scheine von sieben elektrischen Sonnen unter einander wirbeln, während in Gestalt von bengalischen, auf künstlich errichteten Schneegebirgen leuchtenden Flammen die Mitternachtssonne das bunte Treiben zu beleuchten scheint. Unter den Klängen rauschender Militärmusik pflegen dann häufig Massentänze und Cotillons ausgeführt zu werden, bei welchen historische Trachten zur Geltung kommen oder lustige Scenen, unter denen besonders der „lernende Schlittschuhläufer“ sehr beliebt ist, dargestellt werdet; die letzterwähnte Scene namentlich pflegt viel Vergnügen zu bereiten, und als vor zwei Jahren bei der fünfzigjährigen Jubiläumsfeier am Traunsee einer unserer Eisläufer den Gmundern unter anderen Eiskünsten das Spiel des Anfängers in einem echten Bauerngewande vorführte, da schütteten sich neben mir stehende Bauerndirnen vor Lachen aus über die Ungeschicklichkeit ihres vermeintlichen Landsmannes, der jeden Augenblick hinfiel und dabei seinen Hut zerknüllte; sie drückten aber dann laut ihr Erstaunen aus über die unglaublich schnellen Fortschritte, die der Mann im Lernen machte, da er in einer Viertelstunde vom Purzeln bis zum Purzelbaum vorrückte und in weiteren fünfzehn Minuten Figuren machte, zu deren Erlernung Viele fünfzehn Jahre brauchen. Ein anderes Costümfest führte uns das Schiff „Tegetthoff“ vor, wie es mit seiner Mannschaft vom Nordpole angefahren kommt; ein drittes Mal erschien ein kolossaler Triumphwagen im Stile des Cinque Cento, von zwölf Pagen mit bengalischen rothen Fackeln geleitet, welche einen so unglaublichen Glanz auf die Scene warfen, daß fast das elektrische Licht erblaßte und grün schimmerte. Wieder ein anderes Mal kam der chinesische Riese auf Schlittschuhen in täuschender Aehnlichkeit, über zwölf Fuß hoch, in gewandtem Bogenlaufe daher. Auch sahen wir auf unserer Eisbahn ein spanisches Stiergefecht, wobei 4000 amphitheatralisch gruppirte Zuschauer ihre Befriedigung in lautem Jubel kundgaben.

Der hohe Reiz, welcher sich demnach auf dem Platze des „Wiener Eislaufvereins“ concentrirt, sowie dessen völlige Gefahrlosigkeit machen es begreiflich, daß das Kunstlaufen mit Vorliebe betrieben wird, obgleich auch für das Schnelllaufen Schauplätze sich darbieten, welche sich mit den schönsten Eisflächen Hollands oder des Ostseegebietes messen können. Wir haben in der nächsten Nähe sowohl das alte Donaubett und den Neustädter Canal, wie große Seen, von denen einer in zweistündiger Eisenbahnfahrt und andere in einer Nachtfahrt erreicht werden können.

Dabei gefrieren einige der Seen des Salzkammerguts – wie der Grundlsee – und Kärntens, wie der Wörther, Ossiacher und Millstädter See – fast in jedem Jahre. Besonders die Kärntner Seen genießen eines eigenthümlichen Klimas. Im Sommer erwärmen sie sich sehr bald bis zu + 21 bis 23 R. Im Winter herrscht hier sibirische Kälte, sodaß diese Seen meist drei Monate zugefroren sind, und ihre Eisdecke oft bis Mitte April tragen. Für den Eisläufer werden aber alle diese Seen in Schatten gestellt durch den Neusiedlersee in Ungarn, welcher, obgleich er vor drei Lustren mehrere Jahre völlig ausgetrocknet war, heute fast noch den Umfang des Bodensees hat, gegen 340 Quadratkilometer umfaßt, 50 Kilometer lang, 10 bis 15 Kilometer breit und einige Kilometer vom Ufer ab auf allen Seiten nicht mehr als ½ Meter tief ist. Nur in der Mitte wird eine Tiefe von 2 bis 4 Meter erreicht, welche indessen ebenfalls gefahrlos ist, weil hier das Eis, den Winden mehr ausgesetzt, schon früher die erforderliche Dicke und Festigkeit erhält als am Ufer.

Mit der Seichtigkeit und der völligen Gefahrlosigkeit hängt der Umstand zusammen, daß dieses ungeheure Wasserbecken in jedem Jahre zufriert, daß sogar in diesem milden Winter seine Eisdecke den Schauplatz mehrerer Ausflüge des Oedenburger Eislaufvereins am 1. und 15. Januar gebildet hat und daß noch am 17. Januar die Fischer, denen die „Windsbraut“, das Eissegelboot des Wiener Eislaufvereins, in Verwahrung gegeben worden, eine Schnellfahrt auf der Spiegelfläche des Sees gemacht haben. Trotz dieser vom Standpunkt des Eissports seltenen Eigenschaften ist der Neusiedlersee bis vor zwei Jahren von Seiten der Wiener Eisläufer nie benutzt worden, obwohl die Hinfahrt nur drei Stunden erfordert. Einerseits die Bequemlichkeit der Wiener Eisplätze, andererseits die geringe Bekanntschaft mit dem hohen Reize der Weit- und Schnellfahrten auf großen Flächen mag daran schuld gewesen sein. Deshalb wurde dieser Theil des Eissports in Wien weniger gepflegt, als das Kunst- oder Figurenlaufen.

Ich habe hier die Entwickelung und den gegenwärtigen Stand des Wiener Eissportes in seinen Hauptumrissen geschildert, um die Berechtigung des Eislaufvereins der österreichischen Kaiserstadt zur Ausschreibung eines internationalen Eislaufwettkampfes zu zeigen.

Schon das erste internationale Eisfest vor zehn Jahren war von unserm Eislaufverein veranstaltet worden, bei welchem Wiener die Preise im Figurenlaufen gewannen und der beste Schlittschuhläufer Norddeutschlands, Graf Schlippenbach, den Preis im Schnelllauf davontrug; er führte mit ihm zugleich eine reiche schöne Wienerin heim. Heute galt es zu prüfen, welche Fortschritte in der Kunst seit einem Jahrzehnt gemacht worden waren, und ich kann sofort vorausschicken, daß nicht blos unsere, sondern auch der Fremden Erwartungen bei Weitem übertroffen wurden.

Das Fest war schon seit Jahr und Tag mit jener Gründlichkeit vorbereitet worden, welche die Wiener bei Angelegenheiten des Vergnügens mit besonderer Liebe anzuwenden pflegen.

Dem Collegium der Preisrichter für das Figurenlaufen standen als Präsident Fürst Alexander Schönburg, als Vicepräsidenten Baron Albert Rothschild und der Präsident des Wiener Eislaufvereins Dr. von Korper vor. Der Präsident der Preisrichter des Wettlaufens war Landgraf Kneenz zu Fürstenberg und Vicepräsidenten Graf V. Latour und Dr. Schachner, Vicepräsident des Wiener Eislaufvereins. Der Werth der ausgesetzten Preise belief sich auf über 8500 Franken Gold, und dieselben bestanden für die Nichtberufskünstler theils aus plastischen Figuren, Kannen, Bechern [111] und Emblemen von Edelmetall, theils aus goldenen Medaillen und aus zwei Preisen von 1000 und 500 Franken für die berufsmäßigen Künstler.

Alle Vorbereitungen waren getroffen worden, um das Unternehmen möglichst weithin bekannt zu machen, und es waren Zustimmungsadressen von allen Eisclubs und Zuschriften und Telegramme aus Deutschland, Frankreich, Rußland, Holland, Schweden, Norwegen, England, Canada und den Vereinigten Staaten eingetroffen. Aber der unerwartet milde Winter machte einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

Schon vierzehn Tage vor dem bestimmten Termin war ein liebenswürdiger Engländer eintroffen, um sich auf unserem Eisplatze für den Wettkampf im Figurenlaufen vorzubereiten. Allein beim Anblick der Leistungen unserer Matadore zog er seine Anmeldung zurück. Aus Amerika war nur der Berufskünstler Callie Curtis eingetroffen; Petersburg und Stockholm hatten sich telegraphisch entschuldigt, Frankreich war nur durch einen unserer treuen Wintergäste, England durch zwei angesehene Gentlemen gesetzten Alters und auch Holland in gleicher Weise durch einen Sportsfreund im Preisgericht vertreten. Ungarn, Dänemark und Belgien waren ganz ausgeblieben, und sogar das Brudervolk im deutschen Reiche hätte uns im Stiche gelassen, wenn es nicht durch einen Baiern aus Tegernsee vertreten gewesen wäre, welcher den zweiten Preis in einem der Wettläufe davontrug. Glänzend repräsentirt war Norwegen, das seine besten Eiskämpen entsandt hatte, den Herrn Anne aus Drontheim, einen hochgewachsenen, blonden, jungen Mann mit edlen Gesichtszügen, eine Gestalt, wie sie die Dichter von den skandinavischen Helden entwerfen, den taubstummen Herrn Karl Werner und die Brüder Herrn Axel und Herrn Edwin Paulson aus Christiania, beide an Kraft und Gelenkigkeit den Eisbären ihres Nordens vergleichbar.

Diese Herren waren hier rechtzeitig eingetroffen und fanden, da das Fest wegen der milden Witterung auf acht Tage, das heißt auf den 21., 22. und 23. Januar verschoben worden, Muße, beim Anblick der Wiener Figurenläufer einige Lücken ihrer Schule auszufüllen. Der Wettkampf im Figurenlaufen fand am Sonnabend den 21. statt und hatten sich dazu zwölf Concurrenten gemeldet.

Das Figurenlaufen bestand aus drei Abtheilungen: 1) dem Schullaufen, 2) der Vorführung einer Specialfigur und 3) einem combinirten vier Minuten langen Kunstlaufen. Das Schullaufen bestand aus dreiundzwanzig Nummern, welche die sämmtlichen Grundzüge des Figurenlaufens, vom einfachen Bogen und Kreis, mit und ohne Uebertreten, bis zum Dreier, Doppeldreier, Achter und zur Schlinge umfaßten und mit der nachfolgend verzeichneten Figur 23 schlossen, die sämmtlich vier Mal, das heißt vor- und rückwärts, rechts und links gelaufen werden mußten.

Fig. 21. Fig 23.

Alle diese Figuren wurden den Preisrichtern und einem engeren Kreise von Zuschauern vorgeführt, und zwar von sämmtlichen Wiener Concurrenten fehlerfrei gelaufen, sodaß nur der größere Durchmesser der Bogen und die größere Sicherheit und Eleganz über die Rangstufe entschied. Nur Axel Paulson konnte die Figur 23 nicht bewältigen und wiederholte die Figur 21, weil in Christiania die Schlinge noch nicht bekannt war und er erst hier die einfache Schlinge bewältigt hatte.

Die Bemerkung darf nicht unterdrückt werden, daß diese Gesammtleistung, welche fünf volle Stunden für nur sieben Concurrenten in Anspruch nahm und bestimmt ist, eine hervorragende Stelle in der Geschichte des Eissportes einzunehmen, unter den ungünstigsten Eisverhältnissen vollbracht wurde. Seit drei Tagen war die Temperatur während des Tages auf + 5° R gestiegen und des Nachts nicht unter + 2° R gesunken. Die Eisdecke war daher im Thauen begriffen und die Oberfläche so weich, daß die Schlittschuhe nur dadurch vom tieferen Einschneiden bewahrt werden konnten, daß die Eisfläche in jeder Pause mit frischem Brunnenwasser bespritzt wurde. In Folge dieser ungünstigen Beschaffenheit des Eises und der vollendeten Leistungen der Concurrenten zogen fünf unter den zwölf Angemeldeten sich noch während der Probe zurück, worunter zwei Norweger.

Noch bis zum letzten Augenblick waren das Preisrichtercollegium und der Verwaltungsausschuß darüber uneinig und unschlüssig, ob es möglich sein würde, bei der um die Tagesmitte steigenden Temperatur das Preisfigurenlaufen am Nachmittage abzuhalten. Nachdem aber das Schullaufen so unerwartet vorzügliche Resultate ergeben hatte, entschloß sich das Preisgericht, im Einverständniß mit den Concurrenten, nach einer kurzen, der Erholung gewidmeten Pause den Wettkampf um zwei Uhr Nachmittags zu beginnen. Derselbe bot das interessanteste Schauspiel, welches seit Jackson Haynes’ Productionen hier gesehen wurde.

Der Leser stelle sich den Schauplatz als eine Art großartigen Amphitheaters vor, dessen äußerer Ring von majestätischen Monumentalbauten gebildet wird, während der innere Kreis von den Gebäuden des Eislaufvereins, der Rollschuhbahnhalle, dem Musikpavillon und den treppenförmig aufgebauten Tribünen, eingefaßt wird. Rings um den Eisplatz sind fünf große elektrische Lampen an zierlichen Mastbäumen aufgepflanzt, während in den beiden Brennpunkten der eine Ellipse bildenden Eisfläche sich zwei höhere, in Holzgitterart erbaute Thürme befinden, welche die größeren elektrischen Lampen tragen. Zwischen diesen beiden Thürmen fand der Figurenwettkampf statt, während die Preisrichter auf den Sockeln der beiden Thürme vertheilt waren, wohin sie sich wegen der Schwäche des Eises auf gelegten Brettern zu begeben genöthigt waren. Die Tribünen waren schwächer besucht, als man es hier bei den Costümfesten gewöhnt ist, weil das Fest schon einmal bei günstigerer Witterung vertagt worden war und Viele nicht daran glauben wollten, daß es bei größerem Thauwetter abgehalten werden könnte. Gleichwohl waren Tausende von Zuschauern gegenwärtig und begrüßten die erfolgreichen Wettkämpfer mit lautem Beifall, während eine Musikcapelle deren Leistungen begleitete.

Zuerst kam die Specialfigur an die Reihe, von welcher die Concurrenten eine Zeichnung in versiegeltem Couvert vorher den Preisrichtern hatten einreichen müssen. Da ich selbst Mitglied des Preisgerichts war, so bin ich im Stande, die Copie der Originale hier folgen zu lassen, wobei zu bemerken ist, daß Axel Paulson’s Specialfigur sich nicht zur Aufzeichnung eignete.[1]

Der Erste, welcher durch Trompetenstoß in die Schranken gerufen wurde, war Leopold Frey aus Wien, dessen beide Figuren, obwohl die eine, die Pirouette, nicht ganz neu, sondern Haynes entlehnt ist, überaus schwunghaft und effectvoll sich ausnahmen. Mit einem raschen Anlauf auf dem Schauplatz erscheinend und in weitem Rückwärtsbogen die Zuschauer begrüßend, worunter sich in der Hofloge die Erzherzoge Wilhelm Ludwig Victor und Rainer befanden, sprang er sofort zur Darstellung der Figur 1, des sogenannten Mondes, über. In die Grätschstellung springend, die Fußspitzen auswärts, zuerst etwas gegen rückwärts gerichtet, beschrieb er einen Kreis im Durchmesser von ungefähr zehn Meter, um sodann mittelst einer kleinen Schwenkung in den Einwärtskreis einzulenken und dadurch einen Achter in der Grätschstellung zu bilden, welcher zuletzt in einer Spirale auslief. Hierauf zeichnete er Figur 2, die Pirouette, indem er von der stehenden Haltung in die Kniebeuge überging, sich dann nach zehnmaliger Umdrehung wieder erhob und mit einem Rückwärtsbogen abschloß. Stürmischer Beifall belohnte diese Leistung, welche so gelungen war, als ob sie auf Spiegeleis vollbracht worden wäre.

Als neu ist die Specialfigur Engelmann’s hervorzuheben, welcher je einen Doppeldreier mit einer Pirouette auf der Fußspitze verband, was einen sehr zierlichen Anblick gewährte.

Das Kraftelement war durch Axel Paulson vertreten, welcher in raschem Anlauf, einen Bogen nach rückwärts beschreibend und zu einem riesigen Sprung ausholend, sich anderthalb Mal in der Luft um sich selbst drehte und dann mit Bogen vorwärts endete – ein effectvolles Kraftstück, das von den Zuschauern mit besonderem Beifall begrüßt wurde.

Nach dem hier Gesagten kann man sich vorstellen, daß die nachfolgende Schlußproduction, bei welcher jeder der sieben Concurrenten vier Minuten lang in combinirten Figuren fuhr, ganz der Höhe der übrigen Leistungen entsprach, daß aber das Schauspiel seinen Höhepunkt erreichte, als zum Schluß sämmtliche Preiskämpfer gleichzeitig auf dem Schauplatze erschienen und bei den rauschenden Klängen der Musik in den kühnsten Schwingungen wirbelten, wobei Axel Paulson durch kraftvolle Pirouetten und kühne Sprünge, Frey und Engelmann, die sich zu einer gemeinsamen [112] Figur die Hände gereicht, durch die Grazie, mit der sie schwierige Verschlingungen durchführten, Bewunderung erregten.

Noch vor dieser Gesammtleistung hatte, da die Sonne von Wolken bedeckt blieb, die Schaustellung der berufsmäßigen Eiskünstler stattgefunden, zu welcher sich der bekannte Amerikaner Callie Curtis und Edwin Paulson aus Christiania (Letzterer als erstes Debut) gemeldet hatten. Bei der strengsten Unparteilichkeit, welcher ich mich schon als Preisrichter befleißigen mußte, kann ich die Erklärung nicht unterdrücken, daß diese Leistungen weit unter denen der Nichtberufskünstler standen, wobei das schlechte Eis einen Theil der Schuld tragen mag, da es für Kraftstücke am ungünstigsten war. Uebrigens gestand Curtis, dessen Leistungen wir vor vier Jahren hier bewundert, daß seit damals außerordentliche Fortschritte gemacht worden und daß er selbst sich nicht zutraue, allen Anforderungen des geleisteten Schullaufens zu genügen.

Das Schauspiel hatte so lange gedauert, daß die Preisvertheilung, obgleich die Preisrichter rasch einig waren, beim Scheine des elektrischen Lichtes abgehalten wurde, wobei die Gaben am Eisplatze selbst auf einem der Thürme durch die beste Kunstläuferin Wiens, das jugendliche Fräulein Tischler, ausgehändigt wurden und die noch zahlreichen Zuschauer ihren Beifall über die Gerechtigkeit des Wahrspruches zu erkennen gaben. Die Preise fielen folgendermaßen aus: Erster Preis Leopold Frey aus Wien. Zweiter Preis Eduard Engelmann aus Wien. Dritter Preis Axel Paulson aus Christiania. Vierter Preis Anton Tuschl aus Wien. Fünfter Preis Franz Biberhofer aus Wien. Schulpreis Ed. Engelmann. Specialfigur A. Paulson. Vier Minuten Figurenlaufen L. Frey. Berufskünstler: Erster Preis Callie Curtis aus New-York. Zweiter Preis Edwin Paulson aus Christiania.

Allen Hoffnungen zum Trotz hatte sich das Wetter über Nacht nicht gebessert; das Aufthauen hatte weitere Fortschritte gemacht, und die Eisdecke war noch schwächer und weicher geworden. Es kostete im Preisrichtercollegium einen dreistündigen Kampf, bis die entschlossenere Richtung die Abhaltung des Rennens durchsetzte, welches denn auch Sonntag Nachmittags, unter weit stärkerer Betheiligung des Publicums stattfand. Wegen der Schwäche des Eises am Ufer mußte die ellipseförmige Rennbahn enger gestellt und die Bahn zur Zurücklegung des internationalen Flachrennens auf eine Distanz von 1600 Metern zwölfmal umfahren werden. Hier trugen die Norweger den Sieg davon, wobei indessen zu berücksichtigen ist, daß sie ihre Kunstlaufschlittschuhe mit stark gekrümmter Curve mit friesischen Schlittschuhen mit langer Tangente vertauscht hatten, während die Wiener Concurrenten trotz aller Warnungen ihre gecurvten Figurenschlittschuhe beibehielten, die in’s Eis einschnitten, während jene darüber hinwegglitten.

Theodor Langer.

Diamantidis-Stern.
Vier Arten.

Anton Tuschl.

Verkehrte Wechselwendung, auf einem Fuße fortgesetzt.

Franz Biberhofer.

Dreier-Schlinge, Dreier und Wechselwendung.

Eduard Engelmann.

Dreier-Drehung auf der Fußspitze.

Heinrich Jockel.

Dreier-Schlinge, Dreier- und gekreuzte vierfache Rebe auf vier Arten.

Leopold Frey.

Mond, Vexir-Achter und Haynes’ Pirouette in tiefer Kniebeuge.

Ernst von Stein.

Schlingenstern. Vier Arten.

Specialfiguren, ausgeführt bei dem „Internationalen Eislaufen in Wien“ am 21. Januar 1882.


Das internationale Flachrennen gewährte daher einen überaus interessanten Anblick. Nach gegebenem Zeichen schoß Aune aus Drontheim wie ein Pfeil voraus, die erste Wendung mit Uebertreten nehmend, während sein Landsmann Axel Paulson in bedächtigen Zügen nachfolgte. Bald spielte der Kampf nur zwischen diesen Beiden, während die übrigen fünf Concurrenten immer mehr zurückblieben. Die Bahn war noch nicht das zweite Mal umkreist, als Aune der Athem ausging, während Axel Paulson mit jeder Wendung seine Schnelligkeit vermehrte, ihn überholte und in langen Zügen, vorwärts gebeugt, einen so bedeutenden Vorsprung gewann, daß er die letzten Concurrenten wieder erreichte und dieselben um eine ganze Bahnlänge schlug, während Aune als Zweiter um drei Viertel der Bahn zurückblieb. Dritter war der taubstumme Werner aus Christiania. Während Aune im Gehrock lief, hatte Paulson eine gestrickte Wollweste angelegt.

Das zweite Flachrennen für Inländer wurde von Leopold Frey leicht gewonnen. Als Zweiter zeichnete sich der Wiener Richard Kreuter aus. Am dritten Rennen nahmen die zwei Berufskünstler Theil, wobei der Amerikaner Curtis von Edwin Paulson, obgleich Letzterer einmal stürzte, glänzend geschlagen wurde. Karl Reinhart aus Tegernsee war Zweiter. Da schon beim letzten Rennen sogar ein Preisrichter in’s Eis eingebrochen war, so mußte das Rennen mit Hindernissen aufgegeben werden, und auch das glänzende Costümfest, welches vorbereitet war, unterbleiben.

Vom Fachstandpunkt aus war das internationale Fest als ein glänzendes zu bezeichnen; denn trotz des weichen Eises hatte Axel Paulson die englische Meile in drei Minuten fünfunddreißig Secunden zurückgelegt, was der bisher höchsten Leistung in England von drei Minuten bei gerader Bahn und glattem Eise sehr nahe kommt und sie unter Berücksichtigung der Umstände überragt. Im Figurenrennen hatten namentlich die Wiener Sieger alle Erwartungen übertroffen, was besonders die fremden Preisrichter, ein Holländer, zwei Engländer und ein Franzose, bezeugten.

Bei dem im Hôtel Metropole abgehaltenen Schlußbankette, welches zu einem wahren internationalen Verbrüderungsfeste sich gestaltete, erklärte der Preisrichter Russel Shaw aus London, daß er niemals in England so viele ausgezeichnete Eiskünstler in einer Stadt gesehen, wie die Wiener Eisläufer, und der amerikanische Berufskünstler Curtis betheuerte, daß er auf dem ganzen Continent keine so vorzüglichen Figurenläufer angetroffen. Der Preisrichter Herr Edward Smithson sagte in einem Danksagungsschreiben an [113] das Comité, daß er die Tage des internationalen Eisfestes nie vergessen und daß insbesondere seine Erinnerung an dasselbe mit den Namen Frey und Engelmann stets verknüpft sein werde; sie seien die besten Eisläufer, die er je gesehen und wohl je sehen werde.

Inzwischen hat das Costümfest nun doch am letzten Januar bei günstigem Frostwetter stattgefunden und die „Windsbraut“ auf dem See ihre Flügel entfaltet. Ich gedenke auf dieses interessante Fest noch in einem besonderen kurzgefaßten Artikel zurückzukommen.

Max Wirth.     




  1. Näheren Aufschluß über die Ausführung der obigen Figuren findet man in dem Lehrbuch des Wiener Eislaufvereins, welches unter dem Titel „Spuren auf dem Eise“ bei Alfred Hölder in Wien erschienen ist.