Das Ehrlichmachen der Leichname im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert

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Titel: Das Ehrlichmachen der Leichname im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 520–521
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[520] Das Ehrlichmachen der Leichname im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die Sage, daß der Scharfrichter und Alles, was [521] er berührt, unehrlich sei, ist für uns ein seltsames Mährchen aus dunkler Vorzeit. Vor kaum mehr als hundert Jahren aber war diese Sage noch ein unumstößlicher Glaubenssatz, der auch auf die Gebildetsten seinen Einfluß ausübte.

Als die Aerzte unserer Vorfahren anfingen, einzusehen, daß sie der Leichname bedurften, um den Bau des menschlichen Leibes kennen zu lernen, wurde diese Einsicht ihnen zunächst eine Quelle ernster Verlegenheit. Diese einzigen Leichname, die ein Arzt damals zu erlangen hoffen durfte, waren die von Selbstmördern und hingerichteten Verbrechern, welche zunächst dem Scharfrichter oder Abdecker anheimfielen, und mit diesem in irgend einen Verkehr zu treten, war zumal für einen Arzt sehr bedenklich. Hätte sich unter den Bewohnern einer Stadt oder Landschaft das Gerücht verbreitet, daß ihre Aerzte sich mit dem Wasenmeister in leichtfertige, freigeisterische Beziehungen eingelassen hätten, so wären sie sämmtlich lieber ohne Arzt gestorben, als daß sie diese nun auch unehrlichen Doctoren hätten an ihr Bett treten lassen. Da kam nun ein kluger Kopf auf ein gutes Auskunftsmittel. Ließ sich doch sogar der Teufel durch einen wohlangebrachten Hokuspokus vertreiben, warum sollte es nicht möglich sein, die Abneigung einer wohlehrsamen Bürgerschaft gegen den Wasenmeister und Alles, was mit ihm in Berührung kam, zu beschwichtigen? Man erfand eine Ceremonie, durch welche der Glaubenssatz, daß ein Ding, welches einmal in den Händen des Abdeckers gewesen sei, fortan von keinem ehrlichen Menschen berührt werden dürfe, zwar feierlich anerkannt, zugleich aber erklärt wurde, daß man um des allgemeinen Besten willen für ein einzelnes solches Ding von jener Regel abstrahiren wolle. Man verfuhr dabei natürlich möglichst öffentlich. Der Leichnam eines Selbstmörders oder hingerichteten Verbrechers wurde von einem Knechte des Wasenmeisters auf einen zweirädrigen Karren vor das Thor des anatomischen Theaters gebracht. Der Knecht mußte nun den Kasten, in welchem der Leichnam lag, von dem Karren herabnehmen, ihn öffnen, den Deckel auf die Erde, und auf ihn den Leichnam legen. War der Todte durch das Schwert hingerichtet worden, so wurde ihm der Kopf zwischen die Beine gelegt. Natürlich hatte sich inzwischen eine große Anzahl von Zuschauern eingefunden, die sich jedoch in ehrfurchtsvoller Entfernung hielten. Nun trat der Prosector in Begleitung des Pedells in die Nähe des Leichnams. Beide entblößten das Haupt, was ebenfalls alle Umstehenden thaten. Der Prosector las dann ein landesfürstliches Decret vor, welches diese Feierlichkeit verordnete, und erklärte sodann, daß er von Seiten des akademischen Senates beauftragt worden sei, im Namen der medizinischen Facultät den vorliegenden Leichnam durch Aufdrückung des Facultätssiegel ehrlich zu machen, damit ein jeder ehrbare Mensch an solchem zu hantieren befugt sei. Neben ihm hielt der Pedell in der rechten Hand das Facultätssiegel mit einer auf Papier geklebten feuchten Oblate, und überreichte Beides dem Prosector, welcher nun das Papier mit der Oblate auf die entblößte Brust des Leichnams legte, und das Siegel darauf drückte Der Knecht des Scharfrichters mußte während dieser Handlung mit seinem Gespann in einiger Entfernung warten. Der Leichnam, der nun ehrlich war, wurde nun von Freiwilligen aus der umstehenden Menge in das anatomische Theater getragen, worauf der Scharfrichterknecht seinen Kastendeckel wieder in Empfang nehmen durfte.