Der überwiesene Jupiter

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der überwiesene Jupiter
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Neuntes Bändchen, Seite 1091–1104
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Ζεὺς ἐλεγχόμενος
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[1091]
Der überwiesene Jupiter.
Cyniscus. Jupiter.

1. Cyniscus. Was mich betrifft, Jupiter, so will ich dich nicht mit Bitten um Gold und Kronen belästigen, so begehrenswerth diese Dinge in den Augen der Menge seyn mögen. Denn es scheint, daß es dir sehr schwer ankommt, dergleichen zu verleihen: wenigstens sehe ich, daß du bei solchen Bitten thust, als ob du sie gar nicht gehört hättest. Nur Eins, was du mir sehr leicht gewähren kannst, wünschte ich von dir zu erhalten.

Jupiter. Und was wäre Dieß, Cyniscus? Du sollst nicht abgewiesen werden, zumal wenn deine Bitte, so bescheiden ist, wie du sagst.

Cyniscus. So bitte ich dich denn um eine Antwort auf eine ganz leichte Frage.

Jupiter. Nun wahrlich, das ist ein bescheidener Wunsch, dem ich ohne Schwierigkeit entsprechen kann. Frage immer, so viel du willst.

Cyniscus. Höre also, Jupiter: du hast gewiß auch die Gedichte des Homer und Hesiod gelesen? Sage mir nun, ist es wahr, was diese Poeten vom Schicksal und den Parzen gesungen haben, daß für Jeden unvermeidlich sey,

– – – was ihm das Schicksal,
Als ihn die Mutter gebar, in den werdenden Faden gesponnen?[1]

[1092] Jupiter. Vollkommen wahr, Cyniscus. Es gibt Nichts, was nicht von den Parzen also geordnet wäre, und Alles, was geschieht, hängt an ihrer Spindel und nimmt den Ausgang, der von Anbeginn an jedem Dinge zugesponnen ist: anders kann und darf es nicht seyn.

2. Cyniscus. Wenn also Homer an einem andern Orte seines Gedichtes[2] sagt:

Daß nicht, trotz dem Verhängniß, in Aïdes Haus du hinabsteigst,

so werden wir bei diesen und ähnlichen Stellen annehmen müssen, der Dichter habe sich übereilt?

Jupiter. Allerdings: denn durchaus Nichts dergleichen geschieht gegen das Gesetz der Parzen, oder anders, als es ihr Faden mit sich bringt. Nämlich nur Das, was die Dichter aus Begeisterung der Musen singen, ist vollkommen wahr: allein, wenn sie von diesen Göttinnen verlassen nur ihre eigenen Dichtungen geben, dann laufen wohl bisweilen Irrthümer mitunter, so daß in solchen Fällen ihre Worte in geradem Widerspruch mit den früheren stehen. Und wie sollte es Sterblichen zu verdenken seyn, wenn sie, sobald der göttliche Geist, der durch ihren Mund gesungen, von ihnen gewichen ist, des Wahren sofort unkundig sind?

Cyniscus. Mag dem so seyn: aber nun sage mir, sind nicht der Parzen drei, Clotho, Lachesis, wenn mir recht ist, und Atropos?

Jupiter. So ist es.

3. Cyniscus. Das Verhängniß aber und das Schicksal, zwei nicht minder berühmte Namen, was sind Diese für [1093] Wesen, und was für eine Gewalt hat jedes derselben? Sind sie gleich mächtig mit den Parzen, oder stehen sie über ihnen? Denn ich höre von Männiglich sagen, daß es nichts Gewaltigeres gebe, als das Schicksal und das Verhängniß.

Jupiter. Du mußt nicht Alles wissen, Cyniscus. Was willst du denn mit diesen Fragen nach den Parzen?

4. Cyniscus. Das sollst du gleich erfahren, wenn du mir zuvor sagen willst, ob auch über Euch diese Wesen herrschen, und ob Ihr nicht minder, wie wir Sterblichen, an ihrem Faden hängen müßt?

Jupiter. Wir müssen allerdings, Cyniscus. Nun, was lächelst du?

Cyniscus. Die Stelle bei Homer fiel mir eben ein, wo er dich in der Götterversammlung eine Rede halten und die Drohung ausstoßen läßt, du wollest das ganze Weltall an einer goldenen Kette aufhängen. Diese Kette werdest du, läßt er dir sagen, vom Himmel herunter lassen, und alle Götter mögen sich dann an dieselbe hängen und aus allen Kräften versuchen, dich herabzuziehen, es werde ihnen nicht gelingen: wenn aber, setzest du hinzu,

Wenn nun aber auch mir im Ernst es gefiele zu ziehen,
Selbst mit der Erd’ euch zög ich empor, und selbst mit dem Meere.[3]

Damals, als ich diese Verse zum erstenmale hörte, machte ich mir eine Vorstellung von deiner Macht, die mich mit Staunen und Schauer erfüllte. Jetzt aber sehe ich dich ja selbst sammt deiner Kette und deinen schweren Drohungen an [1094] einem dünnen Fädchen, wie du so eben gestanden, aufgehangen. Und Wer ein weit größeres Recht hat, sich in die Brust zu werfen, ist die Clotho, die sogar auch dich an ihrer Spindel, nicht anders als wie die Fischer ihren Fang an der Angelruthe, baumeln läßt.

5. Jupiter. Ich weiß gar nicht, was diese müßigen Fragen sollen.

Cyniscus. Was sie sollen? Versprich mir bei den Parzen und bei dem Verhängnisse, nicht hitzig zu werden, wenn ich dir aufrichtig sage, Was ich für wahr halte. Wenn es sich also wirklich so verhält, daß Alles dem Walten des Schicksals unterthan ist, wenn sich auch nicht das Mindeste an Dem ändern läßt, was einmal vom Schicksal beschlossen ist, wofür bringen denn wir Menschen Euch Opfer und Hecatomben dar, und erflehen uns das Gute von Euch? Ich sehe in der That nicht, was uns dieser Götterdienst nützen soll, wenn wir mit unsern Gebeten weder die Abwendung des Bösen, noch auch irgend eine gute Gabe von Euch erhalten können?

6. Jupiter. Ha! nun merke ich, woher du diese spitzfindigen Fragen hast; von den verfluchten Sophisten, die sogar behaupten, wir könnten uns der Menschen gar nicht annehmen. Sie geben sich mit dergleichen Verfänglichkeiten ab in der gottlosen Absicht, auch andere Leute vom Opfern und Beten, als einer ganz vergeblichen Sache, abwendig zu machen. Denn wir kümmern uns ja um Nichts, was bei Euch da unten vorgeht, und können durchaus nicht auf die irdischen Dinge einwirken: so lautet die heillose Lehre dieser Menschen, die ihnen aber noch theuer zu stehen kommen soll!

[1095] Cyniscus. Nein, Jupiter, bei der Clotho Spindel versichere ich dir, daß die Sophisten mich zu diesen Fragen nicht veranlaßt haben. Unser Gespräch hat, ich weiß nicht, wie es zuging, allmählig selbst auf das Ergebniß geführt, daß es etwas höchst Ueberflüssiges um das Opfern sey. Uebrigens will ich dir die Fragpunkte in aller Kürze wiederholen: laß dich’s nicht verdrießen, mir nochmals Rede zu stehen, aber nimm dich dießmal ein wenig besser in Acht!

Jupiter. Meinetwegen, so frage, wenn du Muße hast zu so albernem Geschwätze.

7. Cyniscus. Du sagtest also, Alles geschehe nach der Schickung der Parzen?

Jupiter. Ja doch!

Cyniscus. Und Euch ist es durchaus unmöglich, diese Schickung rückgängig zu machen oder abzuändern?

Jupiter. Es ist uns allerdings unmöglich.

Cyniscus. Soll ich nun die Folgerung förmlich aussprechen, die daraus hervorgeht? Oder ist sie dir auch ohne dieß klar genug?

Jupiter. Ich weiß, was du sagen willst, allein Wer uns opfert, thut es ja nicht, um einen Nutzen davon zu haben; es ist nur eine Erkenntlichkeit, eine Art Bezahlung für das Gute, das wir ihm verliehen, oder auch blos eine Ehrenbezeugung, die man uns als den bessern und höhern Wesen erweist.

Cyniscus. Nun dieß Geständniß läßt sich hören: du gibst also selbst zu, daß die Opfer eben keinen Nutzen haben, sondern von den Menschen aus einer gewissen Gutmüthigkeit und aus Respekt vor dem Höheren dargebracht werden. [1096] Wenn nun aber Einer von jenen Sophisten zugegen wäre, so würde er vielleicht wissen wollen, worin denn dieses Höhere an Euch Göttern bestehen solle, da ihr ja unter dieselbe Herrschaft der Parzen, wie wir Menschen, gestellt und somit unsere Mitknechte seyd. Denn daß Ihr unsterblich seyd, dürfte eben für keinen großen Vorzug gelten; im Gegentheil, Euer Loos ist gerade dadurch nur das schlimmere: denn während uns am Ende doch wenigstens der Tod zur Freiheit verhilft, so dehnt sich Eure Knechtschaft, da Ihr an einem unendlichen Schicksalsfaden hängt, in die Ewigkeit aus.

8. Jupiter. Aber eben in diesem Ewigseyn, Cyniscus, in diesem endlosen Genuß alles Guten besteht unsere Seligkeit.

Cyniscus. Das Letztere gilt nicht von Euch Allen, Jupiter: auch bei Euch ist das Glück sehr unordentlich ausgetheilt. Freilich du selbst bist im hohen Grade selig, bist ja der Allherrscher und kannst Erde und Meere, wie an der Kette eines Ziehbrunnens, heraufholen. Aber Vulcan, der lahme Vulcan, muß vor seiner Esse sitzen und arbeiten wie der gemeinste Handwerker. Prometheus ist sogar einmal gekreuzigt worden, und dein Vater Saturn liegt noch bis auf den heutigen Tag mit schweren Ketten gefesselt im Tartarus. Ferner will man wissen, daß Ihr Euch schon in Liebesnöthen befunden, Wunden davon getragen, bei Menschen als Knechte gedient habt, wie z. B. dein Bruder Neptun bei Laomedon, Apollo bei Admet. Alles Das kann ich doch unmöglich für ein Glück halten. Glückselig sind also wohl nur Einige von euch, Andere aber das Gegentheil. Nicht zu gedenken daß Ihr, wie wir Menschen auch, Seeräubern in die Hände gefallen, [1097] oder von Tempeldieben ausgeplündert, und in wenigen Augenblicken bettelarm geworden seyd. Haben sich doch sogar Manche von Euch, die aus Gold und Silber waren, umschmelzen lassen müßen, versteht sich, wenn das Schicksal es so haben wollte.

9. Jupiter. Unverschämter Schwätzer, warte du sollst es mir bereuen!

Cyniscus. O spare deine Drohungen, Jupiter; du weißt ja, daß mir Nichts widerfahren kann, was nicht die Parze schon vor dir beschlossen hat. Nicht einmal eure Tempelräuber könnt ihr, wie ich sehe, zur Strafe ziehen: die meisten entgehen euch glücklich; denn es war ihnen nicht verhängt, erwischt zu werden, sollt’ ich meinen.

Jupiter. Sagt ich’s nicht, du bist auch Einer des Gelichters, das unsere Vorsehung wegdisputiren will?

10. Cyniscus. Die Sophisten machen dir gewaltig zu schaffen, Jupiter. Warum doch? Ich möchte doch wissen, warum ich Alles, was ich hier sage, aus ihrer Schule entnommen haben soll. – Weil ich denn aber doch von Niemand, als von dir, die Wahrheit erfahren kann, so wünschte ich, daß du mir sagtest, was diese Vorsehung denn eigentlich für ein Wesen ist? Etwa eine Parze, oder eine noch höhere Gottheit, deren Oberherrschaft auch sogar die Parzen unterworfen sind?

Jupiter. Ich sagte dir vorhin schon, daß dir durchaus nicht zukommt, Alles zu wissen. Du hattest anfänglich, nur eine einzige Frage thun wollen, und nun kannst du gar kein Ende finden, mich mit deinen Grübeleien zu belästigen. Allein ich sehe wohl, auf was dieses Geschwätz hinauslaufen [1098] soll: du willst damit beweisen, daß wir nicht vermögen, für die Angelegenheiten der Menschen zu sorgen.

Cyniscus. Das sage nicht ich, sondern du selbst, indem du so eben zugabst, daß die Parzen es wären, die Alles ausrichteten; du müßtest denn nur diese Aeußerung jetzt bereuen, und ihr einen andern Sinn unterlegen wollen, wodurch die Schicksalsgöttin von der Regierung der Dinge verdrängt, und Euer Anspruch an dieselbe gerechtfertigt würde.

11. Jupiter. Nicht also. Das Schicksal richtet Alles aus, aber durch uns.

Cyniscus. Ah, ich verstehe, Ihr seyd also die Gehülfen und Diener der Parzen. Allein auch so sind ja doch eigentlich die Parzen die Vorsehenden, und Ihr nur gleichsam ihre Werkzeuge.

Jupiter. Wie so?

Cyniscus. Ich meine, wie die Axt und der Bohrer dem Zimmermann bei seiner Arbeit zwar behülflich sind, aber darum doch Niemand sagen wird, die Axt wäre der Meister, oder ein Schiff wäre das Werk des Bohrers und nicht des Zimmermanns, ebenso ist die Göttin des Verhängnisses die große Werkmeisterin, die Alles baut und zimmert, und Ihr seyd weiter Nichts als ihre Aexte und Bohrer. Statt also Euch mit Bittgängen und Opfern zu ehren, sollten die Leute billig ihre Gaben der Schicksalsgöttin darbringen, und von ihr das Gute erflehen. Doch auch selbst Dieser würde solche Ehre zur Ungebühr erwiesen: denn ich glaube, daß auch sogar die Parzen nicht im Stande sind, irgend etwas an Dem, was von Anbeginn über einen Jeden beschlossen worden, abzuändern. Atropos wenigstens würde es gewiß nicht dulden, [1099] wenn irgend Jemand den Faden, den Clotho gesponnen, aufdrehen, und so die Arbeit der Schwester vergeblich machen wollte.

12. Jupiter. Also nicht einmal die Göttinnen des Geschicks sollen von den Sterblichen verehrt werden dürfen? Es ist unverkennbar, daß du darauf ausgehst, Alles umzustürzen. Allein wir verdienen, wenn auch wegen Nichts sonst, wenigstens darum in Ehren gehalten zu werden, weil wir orakeln, und Alles, was nach dem Beschlusse der Parzen geschehen wird, voraus verkündigen.

Cyniscus. Was soll es uns aber helfen, das Zukünftige voraus zu wissen, wenn wir ganz und gar nicht im Stande sind, einem bevorstehenden Unglück auszuweichen? Oder sagst du etwa, Derjenige, dem prophezeit ist, sein Leben durch eine Lanzenspitze zu verlieren, könnte ja diesem Tode entgehen, wenn er sich einschlöße? Mit nichten. Das Verhängniß wird ihn herauszutreiben wissen, es wird ihn auf die Jagd schicken, damit er dem Eisen sich ausliefere: und Adrast, der auf ein Wildschwein seine Lanze abzusenden meint, fehlt und durchbohrt des Krösus Sohn; denn der allmächtige Wille der Parzen führt das spitze Geschoß in die Brust des Jünglings.

13. Und ist es nicht sogar lächerlich, wenn das Orakel zu Laïus sagt:

Besame nicht die Kinderfurche; thust du es,
Den Himmlischen zu Trotz, so tödtet dich der Sproß![4]

Die Warnung war, dünkt mich, ganz überflüssig, wenn Alles [1100] doch so kommen sollte, wie es kam. Laïus besamte, des Orakels ungeachtet, und der Sproß brachte ihn um’s Leben. Ich sehe also durchaus nicht ein, wie ihr für euer Wahrsagen noch Belohnung verlangen könnt;

14. gar nicht zu gedenken, wie zweideutig und geschraubt ihr den Leuten zu antworten pflegt, so daß es z. B. ungewiß bleibt, ob Krösus mit dem Uebergang über den Halys sein eigenes, oder des Cyrus Reich über den Haufen werfen wird. Denn der Spruch kann Beides bedeuten.

Jupiter. Apollo hatte damals Ursache, auf Krösus ungehalten zu seyn, weil Dieser, um ihn auf die Probe zu stellen, eine Schildkröte und ein Stück Hammelfleisch in Einem Topfe gekocht hatte.[5]

Cyniscus. Ein Gott sollte nicht ungehalten werden, Jupiter. Uebrigens, denke ich, war es eben auch Verhängniß, daß der Lydier von dem Orakel sich bethören ließ. Die Parze hatte es ihm so zugesponnen, daß er nicht deutlich erfahren sollte, wie es ablaufen würde. Daraus folgt, daß eure ganze Wahrsagerei ebenfalls nur die Sache der Schicksalsgöttin ist.

15. Jupiter. Und was bliebe uns? Wir wären also Götter für nichts, hätten in der Welt so wenig zu schalten und zu walten, als ein Bohrer oder eine Zimmeraxt, und wären nicht einmal der Opfer werth, die man uns darbringt? Doch – du hast Recht, dir nichts aus mir zu machen: ich halte da meinen Donnerkeil in der Hand, mit welchem ich [1101] jeden Augenblick losblitzen kann, und bin so geduldig dein unverschämtes Räsonniren mir anzuhören!

Cyniscus. Nur zugeblitzt, Jupiter, wenn mir verhängt ist, vom Blitze getroffen zu werden. Du sollst alsdann die Schuld nicht haben, sondern allein die Klotho, die sich dazu deines Armes bediente; nicht einmal den Strahl selbst könnte ich die Ursache von meiner Verletzung nennen. Aber deine Drohung erinnert mich eben recht daran – ich habe noch eine Frage an dich und zugleich an die Schicksalsgöttin, an deren Statt ich dich zu antworten bitte.

16. Wie kommt es denn, daß, während so viele Tempelschänder, Räuber, Meineidige und freche Bösewichte aller Art von euch verschont bleiben, eure Blitze so oft auf eine Eiche, einen Fels, auf den Mast eines unschuldigen Schiffleins, oder gar auf das Haupt eines harmlosen, braven Wanderers fahren? – Du schweigst, Jupiter? Gehört das etwa auch zu den Dingen, die ich nicht wissen darf?

Jupiter. Allerdings! Du bist ein naseweiser Mensch, Cyniscus. Ich möchte doch wissen, wo du alle die Albernheiten aufgelesen, mit welchen du mich behelligest.

Cyniscus. Ich darf also dich und die Vorsehung und die Schicksalsgöttin auch nicht darnach fragen, warum wohl der edle Phocion und vor ihm schon Aristides in Armuth und Mangel an dem Nothwendigsten sterben mußten, und warum ungezogene Buben, wie Kallias und Alcibiades, warum der schamlose Midias, der unzüchtige Charops aus Aegina, der seine Mutter des Hungertodes sterben ließ, in der Fülle des Reichthums schwelgte? Warum ferner ein Sokrates den Blutrichtern überliefert worden, ein Melitus hingegen nicht? [1102] Warum der weibische Weichling Sardanapal eine Krone tragen und eine Menge braver Unterthanen kreuzigen lassen durfte, weil sie an dem damaligen Zustande der Dinge keinen Gefallen hatten?

17. Ich enthalte mich, weiter ins Einzelne zu gehen, und von den unzähligen Fällen zu sprechen, die sich noch täglich ereignen, daß Betrüger und Schurken glücklich werden, während rechtschaffene Leute um das Ihrige kommen, und von Armuth, Krankheit und tausenderlei Ungemach geplagt sind.

Jupiter. Du weißt also nicht, Cyniscus, welche Strafen nach diesem Leben auf die Verbrecher warten, und welcher Seligkeit die Guten dann genießen werden?

Cyniscus. Du meinst das Todtenreich und die Strafen eines Tityus und Tantalus? Je nun, ob Etwas an der Sache ist, werde ich erfahren, wenn ich gestorben bin. Inzwischen, wie mir jetzt zu Muthe ist, wollte ich doch lieber mein Bischen Leben recht angenehm und glücklich verbringen, sey es auch unter der Bedingung, daß mir einst, wenn ich todt bin, ein ganzes Dutzend Geier die Leber aushacken soll, als hier auf Erden, wie ein Tantalus hungern und dürsten mit der Anwartschaft, dereinst ein Tischgenosse der Heroen in den Gefilden Elysiums zu werden.

18. Jupiter. Was sagst du? du willst nicht glauben, daß es Belohnungen und Strafen und ein Gericht gibt, vor welchem, was Jeglicher gethan, auf’s Genaueste untersucht werden wird?

Cyniscus. Ich höre freilich von einem gewissen Minos aus Kreta, der da unten über dergleichen Dinge richten soll. Aber ich hätte eine Frage an diesen Minos, und weil [1103] du doch, wie die Sage geht, sein Vater bist, so wirst du mir vielleicht an seiner Stelle Antwort geben.

Jupiter. Und diese Frage wäre?

Cyniscus. Was sind es denn für Leute, die er straft?

Jupiter. Bösewichte, versteht sich, Mörder, Tempelräuber und dergleichen.

Cyniscus. Und Welche sind es, die er zu den Heroen schickt?

Jupiter. Die Guten und Unsträflichen, die nach den Vorschriften der Tugend gelebt haben.

Cyniscus. Und warum thut er Das, Jupiter?

Jupiter. Weil die Einen Belohnung, die Andern Strafe verdient haben.

Cyniscus. Wenn aber Einer, ohne es zu wollen, etwas Böses begangen hat, wird ihm gleichwohl Strafe zuerkannt?

Jupiter. Keineswegs.

Cyniscus. Eben so, wenn ein Anderer unwillkührlich etwas Gutes gethan, wird Minos ihn dafür einer Belohnung würdig finden?

Jupiter. Nein.

Cyniscus. Nun wenn das ist, Jupiter, so darf er überhaupt weder strafen, noch belohnen.

Jupiter. Und warum denn nicht?

Cyniscus. Weil wir Menschen ja gar Nichts aus freiem Willen thun, sondern nur immer einer unvermeidlichen Nothwendigkeit gehorchen, wenn anders wahr ist, was Du vorhin selbst zugestanden, daß die Parze die Ursache aller Dinge ist. Wenn also Jemand einen Mord begeht, so ist [1104] sie die Mörderin, und Wer einen Tempel beraubt, thut es nur, weil sie es will. Wollte also Minos nach Recht und Gerechtigkeit verfahren, so müßte er die Schicksalsgöttin statt eines Sisyphus, die Parze statt eines Tantalus bestrafen. Denn was haben Diese verbrochen, die lediglich höherer Nöthigung folgten?

19. Jupiter. Du verdienst gar keine Antwort mehr auf solche Fragen: du bist ein frecher, disputirsüchtiger Sophist, dem ich den Rücken kehre.

Cyniscus. O Schade! gar zu gerne hätte ich dich noch gefragt, wo denn eigentlich die Parzen ihren Sitz haben, und wie es möglich ist, daß sie zu dreien mit der Besorgung einer so unendlichen Menge von Dingen bis auf die kleinste Einzelnheit hinaus, fertig werden? Ich kann mir nicht anders denken, als daß diese vielbeschäftigten Göttinnen ein sehr mühseliges und von dem Verhängniß selbst nicht auf’s Beste bedachtes Leben führen, ein Leben, das wenigstens ich, wenn ich die Wahl hätte, keineswegs mit dem meinigen vertauschen möchte. Im Gegentheile, ich wollte mir lieber ein noch armseligeres Daseyn, denn mein gegenwärtiges, gefallen lassen, als immer und ewig dasitzen, und auf Alles und Jedes achtend, eine mit so vielen Dingen beladene Spindel drehen. Uebrigens, Jupiter, wenn es dir beschwerlich ist, diese Frage zu beantworten, so lasse ich mir gerne auch an deinen bisherigen Antworten genügen: sie reichen vollkommen hin, die Lehre von dem Verhängniß und der Vorsehung in ihr rechtes Licht zu stellen. Das Weitere zu erfahren, bin ich einmal nicht prädestinirt, denke ich.


  1. Iliade XX, 127.
  2. Iliade XX, 336.
  3. Iliade VIII, 23. f.
  4. Euripid. Phönizierinnen, v. 18. 19.
  5. S. Herodot, I, 46 ff.