Der Bernstein

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Autor: G. J.
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Titel: Der Bernstein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 445–447
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Bernstein.
Das erste Vorkommen des Bernsteins. – See- und Landbernstein. – Die Manipulation des Bernsteinschöpfens und des Bernsteingrabens. – Werth der Waare. – Verarbeitung des Bernsteins. – Die verschiedenen Strafen bei unbefugtem Sammeln des Bernsteins. – Künstlicher Bernstein.

Das merkwürdigste Product Preußens, und eins der bemerkenswerthesten Naturerzeugnisse überhaupt, ist der Bernstein. Derselbe – auch Börnstein, Agtstein und Aitstein genannt, von den altdeutschen Wörtern „börnen“ und „aiten“, welche „brennen“, resp. „gebrannt sein“ bedeuten – war bereits im grauen Alterthum bekannt. Die „hochbusigen“ Trojanerinnen nicht minder, als die Frauen der hellenischen Helden, welche auf den „geflügelten, langgestreckten“ Schiffen gekommen waren, Ilium zu verderben, schmückten sich mit Bernstein-Korallen. Beide, Trojaner und Griechen, erhielten den Bernstein von den Phöniciern oder Phöniken, den Briten der alten Welt. Dieselben holten den Bernstein von der Küste, an welcher er noch heutigen Tages am häufigsten gefunden wird, von der preußischen. Die Mythe ließ den Bernstein aus den Thränen entstehen, welche die Schwestern Phaëtons vergossen, als dieser illegitime Sprößling des Helios bei seinem kecken Versuche, mit dem Sonnenwagen zu kutschieren, ein schreckliches Ende genommen. In Pappeln verwandelt, die am Ufer des Eridanus standen, verhärteten, gleich den Leibern der holdseligen Jungfrauen, auch die Thränen, welche sie (jedenfalls in ansehnlichen Quantitäten) geweint, und wurden zum Bernstein.

Unter „Eridanus“ verstanden die Hellenen zur Zeit Homer’s den heutigen Po, ihre Nachkommen einen Fluß, der in die Nordsee mündet (etwa Maas, Schelde oder einen der Rheinarme), und erst etwa um die Zeit von Christi Geburt - also zu einer Zeit, wo Sidon und Tyrus, die einstigen Metropolen Phöniciens, bereits Trümmer waren und das Volk der Phöniken nur noch in der Geschichte lebte - erfuhr man den wirklichen Fundort des Bernsteins, die „Nehrung“ genannte, sandige Vorküste Westpreußens. Hier lebt übrigens noch heutigen Tages der Name „Eridanus“ fort, nur corrumpirt in „Radaune“, welchen Namen ein 9 1/2 Meilen langer Nebenfluß der Weichsel (oder eigentlich der Mottlau), welcher oberhalb Danzig in diese fällt, führt.

Lange hielt man den Bernstein, wie auch seine Bezeichnung als „Stein“ andeutet, für ein Mineral; neuere Untersuchungen haben jedoch erwiesen, daß er unzweifelhaft vegetabilischen Ursprungs und den Pflanzenharzen beizuzählen ist, obschon ihm einige Eigenschaften derselben abgehen. Wahrscheinlich floß er aus einem zur Gattung der Coniferae gehörigen Nadelholzbaune, welcher bei einer der mehrfachen Erdumgestaltungen untergangen ist. Daß dies zur Zeit der Tertiär- Formation (dritten Umgestaltung der Erdoberfläche), also in der Periode der Braunkohlenbildung, geschehen sei, nahm man früher allgemein an; Professor Göppert in Breslau hat jedoch nachzuweisen sich angelegen sein lassen, daß nicht schon in jener Urperiode, sondern erheblich später, nämlich bei der vorletzten oder letzten Erdumwälzung, die Bernsteinbildung vor sich gegangen sei. Hierfür spricht vorzüglich der Umstand, daß die häufig in Bernstein eingeschlossen gefundenen kleinen Thiere, meist Insecten, mit den heutigen Tages lebenden entweder identisch oder doch im Wesentlichen übereinstimmend sind.

Der Bernstein hat sonach, trotz seiner immerhin schon recht ehrwürdigen Bekanntschaft mit den Phöniciern, kein sehr hohes Alter im Sinne der geologischen Wissenschaft, welche bekanntlich nicht nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden zählt. Sein häufiges Vorkommen gerade unter diesen nordischen Breiten zu erklären, nimmt man an, daß er ein Baumharz ist, welches, äußerst dünnflüssig und schnell verhärtend, in reicher Fülle sich aus einem fichtenartigen Baume ergoß, der, als die nordischen Gegenden, die das heutige Preußen bilden, noch ein milderes Klima hatten, hier und in einem großen Theile des gegenwärtigen Ostseebettes weit sich ausdehnende Wälder bildete, welche zerbrochen und begraben wurden, als vom hohen Norden her gigantische Fluthen mit Eismassen hereindrangen, Alles verwüsteten und gleichzeitig das warme Klima in ein kaltes verwandelten. Uebrigens kommt der Bernstein nicht blos an den Küsten und im Flachlande Ost- und Westpreußens – wenn schon hier vorzugsweise – sondern auch in Pommern, Schlesien, dem südlichen Schweden und Norwegen, ja auch, allerdings nur sehr sporadisch, an den Küsten von Sizilien und Südfrankreich vor.

Seinem Fundorte nach ist der Bernstein entweder See- oder Landbernstein; ersterer wird vornehmlich durch Schöpfen, letzterer durch Ausgraben an der Küste und im Innern gewonnen. Das Schöpfen wird zu jeder Jahreszeit betrieben und folgendes Verfahren dabei beobachtet. Wenn der durch Sturm oder sonstige Wellenerregung vom tiefen Seegrunde losgerissene, vom Seetang getragene Bernstein sich dem Ufer nähert, so gehen die „Schöpfer“ – meist rüstige Fischer, die aber mehr der „goldenen Gabe des Meeres“ (dem Bernsteine), als ihrem eigentlichen Gewerbe vertrauen – sobald sie das ankommende Kraut bemerken, in grobe wollene Röcke oder lederne Cuirasse gekleidet, mit Handnetzen oder Käschern, die an ziemlich langen Stangen befestigt sind, bis über die Brust in die See hinein und schöpfen, mit ihren Netzen tief nach dem Grunde des Meeres hinfahrend, den Bernstein sammt dem Tang (einer unliebsamen, aber unvermeidlichen Zugabe) auf, nähern sich dem Strande und werfen Beides an’s Land. Hier werden von Weibern und Kindern sorgfältig die Bernsteinstücke vom Kraute abgelesen und nach Hause getragen, während die Männer sich meist zum nächstgelegenen Wirthshause begeben und dort Bacchus, dem Sorgenbrecher, in ganz abscheulichem Kartoffelfusel Libationen darbringen, die, je nachdem Neptun den „Zug“ gesegnet, mehr oder minder reichlich ausfallen.

Dies ist die gewöhnliche Art, in welcher dem Meere sein fossiler Reichthum abgenommen wird. Minder groß, wenn auch keineswegs ganz unerheblich, ist das Quantum Bernstein, welches Poseidon freiwillig den „Landratten“, diesen Geschöpfen seines Bruders Jupiter, zum Besten gibt, oder, in minder mythologischer Redewendung, [446] was die Ostsee bei Nord- und Westwinden an die ost- und westpreußische Küste wirft. In der einen wie in der andern Hinsicht ist übrigens die Westküste Samlands, die eigentliche „Bernsteinküste“ Preußens, die vom nassen Elemente begünstigste; etwas minder reich ist der Strand von Danzig, desgleichen die frische Nehrung und die Nordküste des Samlands, noch weniger die kurische Nehrung und Hinterpommern, und am unergibigsten die Küsten von Kurland in Rußland und Schonen in Schweden. An allen übrigen Küstenstrecken, wo überhaupt Bernstein noch angetroffen wird, kommt derselbe nur ganz sporadisch vor.

Die zweite Art der Bernsteingewinnung ist die durch Nachgraben. Man sucht sich an dem Strande jene Stellen aus, wo durch Unterwaschung ein Theil der Ufer herabgestürzt ist, so daß die schroffe, stehengebliebene Wand die Schichtung der Erdarten deutlich erkennen läßt. Wo braune Streifen auf das Vorhandensein von Braunkohlenlagern hinweisen, oder wo sich blaue Thon- und ockerfarbene Kieselschichten zeigen, da darf man auch Bernsteinlager erwarten. Da die Strandhügel meist lockeres Geschiebe bilden, so schafft man sich zunächst eine sichere Grube, indem man das Gerölle am Strande wegräumt, dann den Fuß des Strandhügels untergräbt, damit ein Stück Uferrand herabrutscht, dessen Erdmasse man am Meere aufschichtet, um sie als Wall gegen dasselbe aufzuführen. Es bildet sich dadurch eine halbkreisförmige Vertiefung, deren Wände man schräg absticht, um das Nachfallen der Erde zu verhindern. Darauf gräbt man von oben den Grubenrand ab, während andere Arbeiter das Herabgefallene ringsum zu einer Umwallung der Grube aufthürmen, die nun gereinigt, weiter vertieft und geebnet wird. Da sich nicht selten über dem Bernsteinlager Grundwasser zeigt, so muß dieses fortgetragen werden, worauf man das übrige Wasser in kesselartige Vertiefungen leitet, die Grube mit einem Pfahlwerk umgibt, Reisig dazwischen flicht und jede Lücke sorgsam mit Gras und Moos zustopft.

Nachdem diese mühsamen Vorarbeiten beendet sind und die Grube „fix und fertig“ ist, stellen sich die Bernsteingräber in eine Reihe, treiben ihre Eisenmeißel vorsichtig, damit sie die etwa vorhandenen Bernsteinstücke nicht zerstoßen, etwa drei Fuß tief in den Boden und heben langsam eine dünne Erdlage ab. Vor dem „Stecher“ steht ein „Abnehmer“ in der Grube, der sorgfältig Acht hat, ob der Erstere auf Bernstein gestoßen ist. Größere Stücke hebt der Abnehmer sorgfältig heraus und umwickelt sie mit nassen Lappen, damit sie nicht, was sonst geschähe, an der Luft zerspringen. Hat man eine Erdschicht abgegraben, so sticht man noch eine zweite ab und gräbt dann so weit in den Rand der Grube, als dies möglich, ohne ein Einstürzen der überhängenden Erdmasse herbeizuführen, weshalb auch Aufseher („Ausgucker“) unausgesetzt die Risse oberhalb der Grubenwand beobachten. Erst wenn man die Ueberzeugung gewonnen, daß in einer Grube nichts mehr zu finden ist, verläßt man dieselbe, um an einer anderen Stelle, ähnlich den californischen und australischen Goldgräbern, sein Heil auf’s Neue zu versuchen. Was den Gewinn anbetrifft, so geschieht die Theilung gewöhnlich in der Art, daß von demselben ein Drittheil der Inhaber des Bodens bekommt, auf welchem gegraben wird; ein zweites Trittheil erhalten der oder die Unternehmer der Gräberei und das dritte endlich wird den Arbeitern zur Vertheilung unter sich übergeben, die aber noch überdies einen kleinen festen Wochenlohn aus der Tasche des „Grabeherrn“ (Unternehmers) empfangen und von ihm, wenn er die Grube besucht, mit Tabak und Bier – Branntwein wird von den Bernsteingräbern, im Gegensatz zu den Bernsteinfischern, meist verschmäht – regalirt werden. Die Realisierung des ergrabenen Gewinnes geschieht meist in der Weise, daß der „Grabeherr“ die sämmtlichen gefundenen Stücke, nach einem vorher zwischen ihm, dem Grundeigentümer und den Arbeitern vereinbarten Preise, an sich bringt und den anderen Betheiligten die ihnen zukommenden Beiträge baar auszahlt. Das, was er von den Bernsteinhändlern und Bernsteindrehern (so heißen die Bearbeiter des Bernsteins) über den von ihm selber gezahlten Preis erhält, bildet einen zweiten Bestandtheil seines Gewinnes aus dem von ihm unternommenen Speculations-Geschäfte; denn ein solches ist das Bernsteingraben immer mehr oder weniger.

Der Preis des Bernsteins wird vorzugsweise bedingt durch die Größe, außerdem durch Farbe und Form der Stücke und ihre größere oder geringere Durchsichtigkeit. Der vollkommen durchsichtige Bernstein ist in der Regel am meisten geschätzt. der durchscheinende („Bastardbernstein“) der am häufigsten vorkommende und der undurchsichtige der am mindesten werthvolle. Von ihm gibt man im Occident dem milchweißen, im Orient dem blaßgelben den Vorzug.

Nach seiner Größe, dem vorzüglichsten Werthtmesser, zerfällt der Bernstein in „große“ und „kleine“ Waare. Die große Waare, die auch „Sortiment“ heißt, zerfällt 1) in „Großbernstein“, d. h. in Stücke von 1/3 Pfund und darüber, je nach Form und Farbe mit 40 bis 60 Thalern per Pfund bezahlt; bei Stücken jedoch, die ein volles Pfund erreichen, mit 100 Thalern und darüber: 2) in „Zehner“, Stücke von 5 bis 9 Loth, 25 bis 30 Thaler per Pfund im Preise; 3) in „Dreißiger“, Stücke von 2 Loth an, mit 14 bis 18 Thalern das Pfund bezahlt; und 4) in „Czacken“, Stücke von 1 Loth an, das Pfund 7 bis 10 Thaler. Die kleine Waare zerfällt in „Grundsteine“, d. h. Stücke, die zwar noch nicht ein Loth (Haselnuß-Größe) erreichen, aber doch die Größe einer Bohne, und 1 1/6 bis 1 1/2 Thlr., und in „Knibbel“, nur erbsengroß, welche mit 2/3 bis 3/4 Thlr. das Pfund bezahlt werden. Sämtlich hier aufgeführte Preise gelten jedoch nur für den durchsichtigen Bernstein; der blos durchscheinende ist nur halb, der undurchsichtige kaum ein Drittheil so viel werth. Aus den „Knibbeln“ werden, trotz ihrer Kleinheit, noch Perlen gedreht; sie gehören daher noch zu den „Arbeitssteinen“. Was noch kleiner ist, eignet sich zu solchen nicht mehr und wird, als „Abgang“, das Pfund für wenige Groschen verkauft und zur Bereitung von Bernsteinfirniß, Bernsteinöl und Bernsteinsäure verwendet, oder, der kleinste und schlechteste, zu Räucherungen benutzt. Bernsteinsäure und Bernsteinöl gelten als reizende, nervenstärkende, auch als krampfstillende, schweiß- und harntreibende Arzneien; Bähungen von Räucherbernstein sind bei Gicht, Gliederreißen und Rheumatismus häufig mit Vortheil angewendet worden. Bernsteinfirniß gibt einen schönen, glänzenden, dabei wasser- und luftdichten Ueberzug für Holzwerk ab.

Der Bernstein bildet einen wichtigen Ausfuhrartikel des preußischen Küstenlandes, namentlich nach dem Oriente, und vormals in noch größerem Maße, als gegenwärtig. In früheren Zeiten kamen türkische, armenische und griechische Handelsleute nach Ost- und Westpreußen, den Bernstein hier theils verarbeitet, theils roh einzuhandeln und den türkischen, wie den Ländern des noch ferneren Ostens und Südens zuzuführen, wo er theils als Frauenschmuck getragen, theils zu Räucherungen verwendet wird, da namentlich die Perser, Chinesen und noch andere Orientalen den Geruch des Bernsteins jenem der aromatischen Stoffe vorziehen, an denen das Morgenland so reich ist, und seinen Duft bei religiösen Festen und Gastmahlen nur ungern missen. Heutzutage hat sich der levantinische Bernsteinverkehr insofern geändert, als die Orientalen nicht mehr nach Preußen kommen, sondern preußische, namentlich Danziger israelitische Kaufleute diesen Handel an sich gezogen haben. Danzig ist und war schon seit Jahrhunderten unbestritten das größte Emporium für den Bernsteinverkehr. Ist derselbe auch nicht mehr so schwunghaft, als früher, so ist er doch immer noch sehr belangreich. Im vorigen Jahre wurden seewärts aus Danzig, nach Ausweis der officiellen „Schiffsabrechner-Liste“, nicht weniger als 1028 Ctr. roher und verarbeiteter Bernstein, sowie Bernsteinchemikalien (z. B. 14 Ctr. Bernsteinöl) ausgeführt; der meiste ging nach Holland, welchem ausschließlich die Versorgung von Hinterindien, den indischen Inseln, China und Japan mit Bernsteinschmuck und Bernstein-Präparaten, die dort viel begehrt werden, obliegt. So beträchtlich auch schon der Werth ist, den jene 1029 Centner repräsentieren, so bilden sie jedoch keineswegs den ganzen Export, vielmehr geht mindestens eben so viel binnenwärts aus Danzig nach Polen, Rußland, den rumänischen Ländern und der Türkei.

Wie Danzig noch heut das Hauptemporium, so war es früher auch der Ort, wo der meiste Bernstein und am künstlichsten verarbeitet wurde; in letzterer Beziehung ist es jedoch gegenwärtig von Paris ansehnlich überflügelt. Dort wird jetzt viel Bernstein geschliffen, und zum Theil zu unverhältnißmäßig hohen Preisen nach Deutschland zurückgeführt. Da der Bernstein im Vergleich mit anderen Harzen eine sehr bedeutende Festigkeit hat, so wird er auf vielfache Weise bearbeitet. Enorme Mengen von Korallen zu Halsbändern gehen nach der Türkei, den Donauländern, Egypten; von letzterem Lande aus auch nach Sudan, Nubien und Abyssinien, wo sie von den Sklavenhändlern nur zu häufig benutzt werden, um gegen sie Sklaven für die Haus- und Feldwirtschaft der trägen Moslem und Favoritinnen für seinen Harem einzutauschen. Für Indien werden eigens große, platte, unförmliche Korallen gefertigt, [447] zum Halsschmuck für die in den Pagoden aufgestellten Götzenbilder eines Brama, Wischnu, Schiwa, Buddha etc. Auch sehr viel bernsteinerne Pfeifenspitzen gehen nach dem Orient, da nur aus diesen die Moslemim rauchen dürfen, indem der Koran die Berührung der Lippen der Gläubigen mit Theilen todter Thiere (wie Horn, Schildpatt) untersagt.

Neben diesen Hauptartikeln verfertigt man aus den größeren Bernsteinstücken noch Kreuze, Herzchen, Dosen, Becher, Ringe, Flöten, Thiergruppen zu Nipptischaufsätzen, ganze Schachspiele etc. Bernsteindreher gewöhnlicher Art treiben ihr Gewerbe mehr handwerksmäßig, nach Art der gewöhnlichen Drechsler, mit einfachen, mangelhaften Werkzeugen; Kunstdrechsler und Bildschnitzer dagegen, die mit Feile, Meißel und Grabstichel umzugehen wissen, liefern die zierlichsten Waaren, die oft zu hohen Preisen verkauft werden und nicht selten den Kunstcabineten zum Schmuck gereichen.

Bei dem hohen Werthe, den der Bernstein noch gegenwärtig hat und früher noch im erhöhteren Maße besaß, lenkte er schon frühzeitig die Augen der jeweiligen Landesherrschaft auf sich. Der Deutschherrenorden erklärte bald, nachdem er seine Herrschaft bis zur samländischen Küste ausgebreitet hatte, also im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, den Bernstein für ein „Regal“ und sein unbefugtes Ansammeln mit der Todesstrafe. Die Oberaufsicht und Verwaltung dieses Regals übertrug die aus dem 14. Säculum stammende „Bernstein-Ordnung“ dem Ordensmarschall in Königsberg, und aller gefundene Bernstein mußte an die von ihm bestellten Schaffner („Ordensschäffer“) abgeliefert werden. Der Orden trieb den Alleinhandel mit dem Bernstein und versandte diesen, da er anfänglich auf seinem eigenen Gebiete aus Argwohn keine Bernsteindreher duldete, roh an seine Comptoire in Lübeck und Brügge. Sein Monopol erlitt einen bedeutenden Stoß, als im Thorner Frieden von 1466 ganz Westpreußen der Herrschaft des Ordens verloren ging, und wohl ein Drittheil der Bernsteinküste, nämlich die frische Nehrung, dem neuentstandenen Freistaate Danzig zufiel.

Diese strebsame, schon damals handelsmächtige Republik, in der man rücksichtlich des Bernsteinregals liberaleren Anschauungen huldigte, machte dem Alleinhandel des Ordens mit Bernstein bald eine um so erfolgreichere Concurrenz, als man in Danzig auch mit Geschick und umfassenden Mitteln an die Verarbeitung des gewonnenen Bernsteins ging; was denn den ersten weltlichen Herzog in Preußen, Albrecht von Brandenburg, welcher (1525) den hochmeisterlichen Mantel mit dem fürstlichen Hermelin vertauschte, veranlaßte, auch in seinem Gebiete die Verarbeitung des Bernsteins zu gestatten. Auch erlaubte er (was schon etwas früher im Danziger Gebiete gestattet worden) das Nachgraben nach Bernstein; und so kamen denn hier um 1558 die ersten Bernsteingräbereien auf. Doch mußten dieselben eine gewisse Steuer an den Herzog entrichten, und das Sammeln des Strandbernsteins blieb nach wie vor durch strenge Strafen geschütztes Regal der Krone. Zusätze zur Bernsteinverordnung verboten im Jahre 1582 Jedem, ohne Ausnahme des Standes, ohne Paß an die Küste zu kommen; Galgen wurden längs des Strandes errichtet, und die beim verbotenen Auflesen an’s Land geworfener Bernsteinstücke Ertappten daran ohne Weiteres aufgeknüpft, vom vermutheten Bernsteindieben und Hehler aber durch Peitsche und Folter Geständnisse erpreßt.

Der „große Kurfürst“, Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640–1688), welcher anfänglich eine mildere Praxis beobachten zu wollen schien und ziemlich viel für das Aufkommen des Bernsteindrechslergewerbes in seinem preußischen Herzogthume that, verordnete später, daß alle confirmirten Strandbewohner und diejenigen, welche ihres Gewerbes halber die Küste besuchten, schwören sollten, keinen Bernstein entwenden zu wollen. Alle über achtzehn Jahre alten Personen beiderlei Geschlechts mußten diesen Eid leisten. Die Strafen wurden festgestellt: für Entwendung eines Pfundes Bernstein auf neunzig Gulden (preußisch) Buße oder entsprechende Freiheitsentziehung; bei zwei Pfund der doppelte Strafgeld- oder Haftbetrag; bei drei Pfund 270 Gulden Buße, Staupenschlag und zehnjährige Verweisung aus dem Küstenbezirk; bei vier Pfund gleiche Geldbuße, aber neben dem Staupenschlag auch Pranger und außerdem lebenslängliche Landesverweisung; bei fünf und mehr der Strang und doppelter Ersatz des Genommenen. Bei „besonders erheblichen“ (d. h. 25 Pfund und mehr betragenden) Diebstählen konnte unter Umständen sogar auf das Rad erkannt werden! Das bloße unbefugte Betreten des Strandes kostete 12 bis 18 Gulden, und zog im Wiederholungsfalle ein- bis dreijährige Verweisung aus dem Küstenbezirk nach sich.

So barbarische Gesetze und der unnatürliche Zwang, welchem die Strandbewoher unterworfen waren, konnten nur demoralisierend auf diese wirken. Sie reizten, nach dem alten Erfahrungssatze: „Nitimur in vetitum!“ zu heimlicher Entwendung und riefen eine rohe, tiefwurzelnde Erbitterung hervor, der so mancher Strandwächter zum Opfer fiel. Die zahlreichen Galgen auf den Höhen der Seeberge und wiederholte Ableistung des „Strandeides“ vermochten dem verbrecherischen Gelüste nur wenig Einhalt zu thun. Bernsteinentwendung galt den auf niedriger Kulturstufe stehenden Küstenbewohnern nicht als Unrecht. Ihr Raisonnement lautete: „Das wilde Wasser wirft den Stein aus; er ist ein Strandsegen, darum gehört er uns Strandleuten, und ihn behalten, ist kein Diebstahl.“

Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Strafen ein wenig gemildert; auf den Strang sollte fortan nur erkannt werden, wenn mehr als eine Vierteltonne entwendet, und wenn dabei „der Dieb gemeinen Standes war.“ Dagegen wurden die Strandvisitationen genauer regulirt. Alle drei Jahre sollten sie von der Danziger Grenze an bis hinter Memel abgehalten werden; die Strandinsassen mit Söhnen und Knechten mußten dabei erscheinen, den Strandeid leisten, ihre Käscher inspiciren lassen, und bei etwaigem Zuwachs des Vermögens sich genau darüber ausweisen, ob derselbe nicht etwa von dem Verkauf heimlich aufgelesener Bernsteinstücke herrühre.

1762, nach dem Aufhören der russischen Occupation Ostpreußens, wurden die Strafen menschlicher. Auf den Tod und Landesverweisung sollte nicht mehr, auf Staupenschlag nur noch dann erkannt werden, wenn der Dieb sich bei seiner Ergreifung an der Person des Strandreiters vergriffen hatte; immer aber warteten noch Gefängniß bei Wasser und Brod, und in schwereren Fällen langjähriges Zuchthaus mit „Willkomm“ und „Abschied“ des überführten Bernsteindiebes; des Fremden aber, der sich ohne Legitimationskarte an den Strand wagte, wartete der „spanische Mantel“ (eine Art Zwangsstuhl) und Gefängniß. Dabei ward noch der Strandeid durch einen Zusatz geschärft, welcher Kinder zur Denunciation ihrer Eltern verpflichtete!! Dieser traurige, widernatürliche Zustand dauerte bis in die neueste Zeit; denn obwohl 1807, bei der Verpachtung des Bernsteinregals an einige Kaufleute, die gehässigen Visitationen und die Verpflichtung der Strandbauern zum Schöpfen und Transportiren des Bernsteins aufhörten, blieb doch der Verkehr am Strande noch immer unter rigoröser Ueberwachung. Erst das Jahr 1837 brachte eine Umkehr der bisherigen Verhältnisse, indem den Strandbewohnern selbst die Nutzung des Bernsteinregals in Pacht gegeben wurde. Damit hörte denn auch für das Publicum die bisher noch immer bestandene Beschränkung in dem Betreten und Benutzen des Strandes auf, und erst von dieser Zeit her datirt der zahlreiche Besuch von Kranz, Neukuhren und den anderen Seebädern an der samländischen Küste. Der Staat zieht jetzt allerdings weniger Gewinn aus seinem Bernsteinregale, aber dieses pecuniäre Minus wird reichlich aufgewogen nicht nur durch die sittliche Hebung der Küstenbevölkerung, sondern auch selbst pecuniär durch manche Einnahmen, die ihm durch die gestiegene Frequenz der Strandbäder erwächst.

Zum Schluß des Artikels sei noch eines Versuches gedacht, den vor ein paar Jahren der Professor Göppert in Breslau gemacht, Bernstein künstlich herzustellen. Er hielt Fichtenharz nebst Fichtenzweigen drei Monate lang in warmem Wasser von 65–80 Grad. Das Harz roch dann nicht mehr terpentinartig, sondern angenehm balsamisch, wodurch es also dem Bernstein schon näher kam; aber es löste sich noch in Spiritus auf, was der Bernstein nicht thut. Ein anderes Harz, Venetianischer Terpentin, mit Zweigen des Lärchenbaumes ein volles Jahr hindurch fortwährend unter warmem Wasser gehalten, verlor auch die Auflösbarkeit zum Theil, kam also dem Bernstein noch näher; eine Wahrnehmung, welche die Physiker wohl zu noch weiteren Experimenten und Herstellungsversuchen führen wird.

G. J.