Der Briefträger in der Dichtung

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Autor: Richard Westphal
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Titel: Der Briefträger in der Dichtung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 683–685
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[683]
Der Briefträger in der Dichtung.

Der Postillon und sein fernhin tönendes Horn sind in zahllosen Dichtungen gepriesen worden, und die gefeiertsten Lieblinge der Musen haben es nicht verschmäht, beide zum Gegenstande stimmungsvoller Verse zu machen. Ja, der „Urvater der Harmonie“, der große Meister Johann Sebastian Bach, hat das Signal des Posthornes sogar für die Musik verwerthet, indem er die großartige Posthornfuge, Fuga all’ imitazione di Posta, schuf. Aber auch der Ueberbringer der Briefe – der Schiffe des Gedankens auf dem Ozeane der Entfernungen, wie Stephan sie geistreich bezeichnet – ist von unseren deutschen Sängern gebührend gewürdigt worden. Besonders waren es seine Unermüdlichkeit, sein Pflichteifer, seine unwandelbare Treue in der Ausübung seines mühevollen Berufes, die nicht selten zum Vorwurfe für Dichtungen gewählt worden sind. Und ist dies nicht wirklich ein Vorwurf, der sich vor vielen anderen zu dichterischer Behandlung eignet? Wer jemals die süßen Empfindungen erwiderter Liebe im Herzen getragen hat, der weiß es, mit welcher Sehnsucht der Bote Stephans oft erwartet wird. Ist er doch auf dem Lande und in den kleinen Städten oft genug der Vertraute der Liebenden, der ihre Freude theilt, wenn er die Botschaft des fernen Geliebten überbringt. Und wer die Seligkeit des alten Mütterleins gesehen und mitempfunden hat, welcher der moderne Merkur die Grüße des in fremden Landen weilenden Sohnes bringt, der wird nicht sagen dürfen, daß der Beruf des Postboten des Hauches der Poesie entbehrt. Seht ihn euch an, den wackeren Landbriefträger, wie er in Hitze und Kälte, in Sturm und Regen, in Schnee und Eis munter und unverdrossen dahinwandert und, wenn er an seinem Bestimmungsorte angelangt ist, für jeden ein freundliches Wort hat und von jedem als willkommener Gast froh begrüßt wird!

Es sei uns gestattet, in möglichster Kürze dafür den Nachweis zu führen, daß der Postbote zu Fuß, dieser würdige Vertreter des vaterländischen pflichttreuen Beamtenthums, von den Sängern des deutschen Dichterwaldes ebenso gut verherrlicht worden ist wie der hoch zu Rosse dahertrabende oder stolz zu Wagen einherfahrende Postillon, mit welchem sich der Artikel in Nr. 24, Jahrg. 1885 der „Gartenlaube“ so warm beschäftigte.

Die erste poetische Schilderung von dem Leben und Treiben des Postfußboten, die mir bei meiner flüchtigen Nachforschung aufstößt, ist ein Nürnberger fliegendes Blatt aus dem 16. Jahrhundert, das gleich mit den Worten beginnt:

„Ich bin die Post zu Fuß …“

Dieses von einem Bilde, das den Postboten mit seinem Stabe und seinem Hunde zeigt, begleitete Gedicht ist betitelt „Der Neue Allamodische Postpot“ und zeigt uns den Vermittler des brieflichen Verkehres dichterisch behandelt, wenn auch von einer nicht gerade sehr rühmenswerthen Seite. Der Merkur des 16. Jahrhunderts denkt nicht viel an sein Amt und seine Pflicht, sondern bringt alles, was ihm auf seinem Wege aufstößt, mit sinnlichen Genüssen in Verbindung. Er sagt von sich selbst:

„Ich bin die Post zu Fuß. Ich trage dieß und daß;
Denck an den kühlen Wein, so bald ich werde naß.
Geh’ ich durch einen Thal und höre Vögel singen,
So denck ich zu dem Tisch, da die Schalmeyen klingen.
Ich gehe durch den Wald und mancher Dörner Strauß
Und traure, daß noch weit ist zu deß Wirthes hauß.“

Wie anziehend ist dagegen das Bild, welches uns Fritz Reuter von dem Postboten des 19. Jahrhunderts in seinem prächtigen, tiefempfundenen Gedichte „Grußmutting, hei is dod!“ entwirft. Der Briefträger von heutzutage denkt nicht zuerst an den gedeckten Tisch, wo die Schalmeien klingen, oder an den „kühlen Wein“, sondern vor allein an seine Pflicht, und das Vergnügen, den Leuten „unverschnauft zwölf Dutzent Lügen“ zu sagen, wie es weiter in der angeführten Dichtung heißt, würde ihm der Generalgewaltige des Postwesens gar bald verwehren. Ich kenne keine schönere Schilderung von der Unermüdlichkeit, von der Pflichttreue und der Gewissenhaftigkeit des deutschen Postboten, als die Verse des mecklenburgischen Humoristen, welche diesen Beamten geradeswegs als den Sendling des Schicksals selbst darstellen. Doch der Leser höre und urtheile selber:

„As dat Schicksal ut Nacht, su kümmt hei heran, as dat Schicksal ut düstere Firn,
Aewer Feller un Haiden, ümmer tau, ümmer tau; em lücht kein Man[1] un kein Stirn.
Dor is von Wannern[2] in Lust keine Red’, dor is de Befehl, dat hei möt,
So girn hei ok woll mit sin Fru un sin Kind an den Aben[3], den warmen, mal set.
Dat helpt em nich: hei möt un hei möt, ümmer tan dörch Storm un dörch Regen;
Hei is de Bad[4] ut de düstere Nacht, hei kümmt von Schicksals wegen;
In de ledderne Tasch, dor dröggt hei de Kund, dor dröggt hei Freuden und Leiden,
Dor dröggt hei Geburt, dor dröggt hei dat Graww un de letzten Grüß von de beiden.
Hei drängt sick heran an de Hütt un dat Sloß, sin Schülligkeit is ahn Erbarmen;
Wat dat lacht oder weint, em is dat egal, kloppt an bi Riken un Armen.“

[684] Verfolgen wir unsere Spur weiter, so stoßen wir auf ein hübsches Gedicht von H. Döring mit dem Titel „Der Briefträger“, das mit den Worten beginnt:

„Ein jeder Stand hat seinen Frieden,
Ein jeder Stand hat seine Last!
Mich stellt der alte Spruch zufrieden,
Der völlig auf mein Aemtchen paßt.“

In diesem Gedichte finden wir eine treffende Schilderung von dem Leben und Treiben unseres Postboten, wie es sein Los ist, stets im Freien zu hausen, wie er durch Schnee und Regen und heiße Sommersgluthen dahin eilen muß, wohin ihn seine Bestellungen führen, wo unruhige Erwartung seiner harrt und ungeduldige Herzen seiner Ankunft entgegen schlagen.

Aber er ist sich auch bewußt, daß er überall ein willkommener Gast ist; denn

„Es späh’n nach mir viel Augensterne,
Die Hoffnung wächst, die Furcht entweicht,
Wenn aus dem Fenster in der Ferne
Mein Gelb und Roth dem Blick sich zeigt.“

Er freut sich darüber, daß er mit seiner Botschaft das Dunkel über tausend Dinge zu lichten, der Trennung Schmerz zu mildern im Stande ist und daß er, mit Gold in der Hand, dem Uebel des Trübsinns rasch ein Gegengift zu bieten weiß. Aber Eines will ihm nicht behagen, es betrübt ihn,

„Daß oft der Freund aus meinen Händen
Des Freundes Todeslos empfängt.“

Dann zögert sein Fuß, starr blickt das Auge auf das schwarze Siegel, das er zitternd in der Hand hält, und er betet zu dem Herrn der Heerscharen:

„Laß mich, o Gott, doch ja recht selten
Ein solcher Trauerbote sein.“

Ein anderes Gedicht von Nikolaus Becker zeigt uns den treuen Boten als Opfer seines mühevollen Berufes. Fröhliche Landbewohner kehren von der Kirchweihe zurück und finden ihn in einer Schneewehe, vom Todesschlummer umfangen. Um die Schultern hängt seine Ledertasche und nicht weit von ihm liegt sein treuer Begleiter, der Knotenstock, der ihn stützte, wenn er ermüdet von des Tages Last und Hitze den Heimweg antrat. Sein Dienst ist aus; er wird seinen Herrn nicht mehr begleiten. Die Tasche ist leer; denn die Botschaften, welche ihr Träger zu überbringen hatte, sind wohl bestellt. Nur einen Brief noch hält die starre Hand fest an das stille Herz gepreßt; es ist der Brief, den die Liebste an ihn selber geschrieben hat. Zwar sind die Worte fehlerhaft geschrieben und die Schriftzüge sind steif und ungeschickt, aber die Liebe spricht aus ihnen und die Treue, die über das Grab hinaus seiner wehmuthsvoll gedenken wird. Sie haben ihn getröstet, diese liebevollen Worte, und haben stillen Frieden über ihn gebracht, daß er daliegt wie in erquickenden Schlummer versunken. Have pia anima! Er wird hienieden nimmermehr erwachen.

„Grabt ihm ein Grab, daß, wenn vom Hausgesinde,
Vom Küchenherde sie verstohlen schleicht,
Zur Stunde, wo des Tages Strahl verbleicht,
Die Stätte sie für ihre Thränen finde.

Grabt ihm ein Grab! Sein Recht begehrt der Todte:
Die fromme Pflicht, so ihr an ihm gethan,
Er nimmt sie mit auf seiner neuen Bahn
Zum Himmel auf, ein leicht beschwingter Bote.“

Ich habe dem Ernste des Lebens sein Recht gegeben, und der geneigte Leser wird mir erlauben, daß ich zum Schlusse den Humor das Wort ergreifen lasse, der in der postalischen Poesie ein gern gesehener und ständiger Gast ist und auch den bescheidenen Postboten nicht unberücksichtigt gelassen hat. Da ist die Geschichte von dem „oll Postmeister Müller“ und seinem Postboten Johann, die uns Fritz Reuter in launigen Versen erzählt. Auf die Frage des Postmeisters, ob Johann unter [685] den ihm zur Besorgung übergebenen Briefen auch den abgeliefert habe, „de an

Den Johann Krischan Engel wir,
De bi den Snider[5] Block is in de Lihr[6]“,

antwortet der biedere Merkur auf gut mecklenburgisch:

„Ja Herr. Doch mit den ollen Breiw[7]
Dor gung mi dat tauirst[8] ganz eklich scheiw[9];
De Sak, de was Sihr bisterig[10].
Denn in de Laagerstrat, dor wahnt hei nich,
Un wahnt en Enn’lang wider an den Strand;
Un wahnt nich rechtsch – ne! linker Hand;
Un wahnt ok nich int drüdde Stock, –
Ne! hei wahnt unnen in en Keller!
Sin Meister is nich Snider Block, –
Sin Meister, de heit Snider Teller;
Hei sülwst[11], hei heit[12] nich Krischan Engel, –
Ne, hei heit Ann’meriken[13] Dürten[14] Rist,
Un’t is ok keinen Snider-Bengel –
Ne, Herr, ’ne olle Waschfru is’t.“

Da haben wir zugleich ein Beispiel von der berühmten Findigkeit der deutschen Post.

Und hiermit schließe ich meine anspruchslose Darstellung in der Ueberzeugung, den Beweis geliefert zu haben, daß der deutsche Postbote zu Fuße nicht nur der dichterischen Verherrlichung durchaus würdig ist, sondern auch, daß er seine Sänger gefunden hat, die ihn seinem begünstigteren Berufsgenossen, dem Postillon, ebenbürtig an die Seite gestellt haben. Das, was ich in der vorstehenden Skizze zur Erbringung des Beweises mitgetheilt habe, ist gewiß nur ein geringer Bruchtheil von dem, was zur Verherrlichung und zur Idealisirung jenes bescheidenen Staatsdieners in gebundener Rede gesagt worden ist –

Wer suchen will im wilden Tann,
Manch schönes Stück noch finden kann.

Richard Westphal.     
  1. Mond.
  2. Wandern.
  3. Ofen.
  4. Bote.
  5. Schneider.
  6. Lehre.
  7. Brief.
  8. zuerst.
  9. schief.
  10. verworren.
  11. selbst.
  12. heißt.
  13. Annemarie.
  14. Dorothea.