Der Dresdener Todtentanz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Adolf Rosenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Dresdener Todtentanz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 163–166
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[163]

Der Dresdener Todtentanz.

Eine kunsthistorische Skizze..

Schon um die Wende des dreizehnten Jahrhunderts machte sich in Deutschland bekanntlich jene Gährung bemerkbar, welche die neuen politischen und religiösen Ideen verbreitete, die im Beginn des sechszehnten Gestalt und Leben gewinnen sollten. Mit dem vierzehnten Jahrhundert begann eine Epoche des Übergangs, eine Zeit der Auflösung und Verwirrung aller sittlichen Anschauungen. Die bis dahin für heilig und unverletzlich gehaltenen Autoritäten, Kaiser und Papst, Geistliche und Ritter, waren zum Gegenstande schnöder Angriffe geworden, und unter ihrem heftigen Anprall war manche morsch gewordene Institution in Trümmer gesunken. In Folge dessen nahm die Zügellosigkeit im niederen Volk überhand; Jeder wollte seinen Platz an der reichbesetzten Tafel einnehmen; Recht und Sitte wurden mit Füßen getreten, und die Befriedigung sinnlicher Leidenschaften galt als das höchste Ziel menschlichen Strebens. In diese Zeit der Rechtlosigkeit und des Sinnentaumels brach das Schreckgespenst des schwarzen Todes hinein, gleich als wollte es die entartete Menschheit an die Eitelkeit aller irdischen Genüsse mahnen, und hielt, Elend und Hungersnoth im Gefolge, seinen schauerlichen Triumphzug durch Deutschland und das übrige Europa. Zu wiederholtem Male kehrte die Pest das dreizehnte und das ganze vierzehnte Jahrhundert hindurch wieder, eine unablässige Mahnung für das geängstigte Volk, an die letzten Dinge zu denken, und was keine menschliche Autorität vermocht hätte, brachte der unheimliche Sieger zuwege: die Rückkehr zu Gott und zum Ewigen. In den Kirchen wurden die Bilder des Todes errichtet, welche den Sinn der Andächtigen beständig auf die Vergänglichkeit alles Irdischen hinlenkten und zur Buße mahnten. In die geistlichen Schauspiele und in die feierlichen Reigentänze, welche unter dem Schutze der Geistlichkeit in den Gotteshäusern aufgeführt wurden, trat der Tod ein und spielte neben den Engeln und Heiligen seine furchtbare Rolle. Man wird ihn bei dieser Gelegenheit als vermummte Gestalt dargestellt haben, ohne sich um eine strengere Charakteristik viel zu kümmern. Dagegen fiel der bildenden Kunst, die sich des Gegenstandes ebenfalls schon frühzeitig bemächtigte, die Aufgabe zu, eine Personification des Todes zu erfinden, und sie stellte ihn so dar, wie er dem Auge des Menschen erscheint, als verwesten Leichnam. Statt der Ursache mußte also die Wirkung, statt des Todes der Todte eintreten. Aus dem Todten wurde allmählich ein entfleischtes Gerippe und daraus im Laufe des sechszehnten Jahrhunderts der Knochenmann, der uns noch heute als das Symbol des Todes gilt.

Das Mittelalter begnügte sich aber nicht mit dem Tode als einer Person. Der Tod ist mannigfaltig, und so stellte sich die menschliche Phantasie ein ganzes Heer von Todtengerippen vor, die unablässig auf der Jagd sind, um ihre Opfer in blühender Lebenslust wie die Jäger das Wild zu überfallen.

In jenen kirchlichen Reigentänzen traten, diesen Anschauungen zufolge, die Tänzer paarweise auf, immer ein Todter und ein Lebender, und um Abwechslung in den Zug der Tanzenden zu bringen, und andererseits auch die demokratische Idee des alles nivellirenden Todes zu versinnlichen, waren unter den Partnern der Todtengerippe alle Stände vom Kaiser und Papst bis zum krüppelhaften Bettler vertreten. Die Kunst ergriff, wohl direct durch die Kirche dazu aufgefordert, diese dramatischen Schaustellungen und hielt sie zu noch eindringlicherer Mahnung an passenden Orten fest. Die Wände der Klöster als der Stätten stiller Beschaulichkeit [164] waren hierzu sicherlich geeignete Stellen, und so wird uns denn auch berichtet, daß schon im Jahre 1312 ein solcher „Todtentanz“, wie die Franzosen zuerst derartige Darstellungen nannten, das Nonnenkloster Klingenthal bei Basel schmückte, während mehr als hundert Jahre später ein anderer in dem Predigerkloster ebendaselbst gemalt wurde. Der ältere ist nicht mehr vorhanden. Noch günstiger für die Anbringung dieser Sinnbilder der irdischen Vergänglichkeit waren die Vorhallen der Gotteshäuser, in welchen das Volk täglich zur Andacht zusammenströmte. In den Marienkirchen zu Berlin und Lübeck und in der alten Dominikanerkirche zu Straßburg sind uns noch solche Todtentänze erhalten, und manch ein anderer mag noch hier und da unter der Tünche verborgen sein, mit welcher ein barbarisches Zeitalter die bemalten Wände der ehrwürdigen gothischen Kirchen bedeckte.

Als Holzschnitt und Kupferstich um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts begannen, ihre bedeutsame, culturverbreitende Rolle zu spielen, gehörten sowohl die Todtentänze wie einzelne „Bilder des Todes“ zu den populärsten Darstellungen. Damals suchte zuerst auch die Ironie dem allgewaltigen Tyrannen beizukommen.


Der „Todtentanz“ auf dem Neustädischen Kirchhofe zu Dresden. Nach der Natur aufgenommen von Rudolf Cronau.


Man löste den feierlichen Reigen, den die gothische Kunst in ihren Frescogemälden aufgezogen hatte, in einzelne Gruppen auf. Die Sitten waren freier, die Tänze wilder und üppiger geworden, und diese Veränderung im Volksleben blieb auch nicht ohne Einfluß auf die Kunst. Holbein führt uns in seinen weltberühmten „Bildern des Todes“, welche den Namen des großen Meisters durch alle Zeiten und zu allen gebildeten Völkern getragen haben, die ganze Scala der Stände vor, die mit Todtengerippen zu Paaren gruppirt sind. Aus diesen durch den Holzschnitt zum Gemeingut des Volkes gemachten Blättern tritt auch schon der Gedanke des Tanzes selbst in seiner grotesken Ausartung in den Hintergrund. Zwar spielt noch hier ein Gerippe einem wandernden Krämer zum Tanz auf und auf einem zweiten Blatte ein anderes der im Bette liegenden Herzogin, aber im Allgemeinen faßt Holbein den Gedanken des Todes schon tiefer als einen furchtbaren Kampf, welcher zwischen dem Menschen und dem personificirten Naturgesetz ausgefochten wird. Dürer verschmäht es bereits gänzlich, in feinen Stichen das alte Thema zu behandeln. Die Mannigfaltigkeit der Figuren des Todes hat sich bei ihm zu einer einzigen, grauenerregenden Person vereinfacht, die zwar noch in verschiedenen Gestalten, aber stets allein erscheint.

Auf dem tiefsinnigen Kupferstiche, der uns einen Reiter zeigt, der unerschrocken zwischen Tod und Teufel seine Straße reitet – „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“ –, auf dem grandiosen Holzschnitte mit den vier apokalyptischen Reitern hat Dürer den Tod in abenteuerlicher Gestalt personificirt.

Neben dieser Umwandlung und Umgestaltung, welche der alte Gedanke durch die Bahnbrecher der Kunst erfuhr, ging die ursprüngliche Auffassung des Todesreigens auch im sechszehnten Jahrhundert noch einher. Je seltener die monumentalen Darstellungen des Todes in dieser späteren Zeit wurden, desto interessanter und lehrreicher sind die übriggebliebenen für uns. Die figurenreichste und vielseitigste ist der „Todtentanz“ auf dem Neustädtischen Kirchhofe zu Dresden (vergl. unsere heutige Abbildung!) der sich durch viele Unbilden der Zeit und durch die wechselvollsten Schicksale bis auf unsere Tage hinübergerettet hat, zwar stark beschädigt und zum Theil auch zerstört, aber in den Grundzügen noch so wohl erhalten daß man über die Erklärung der einzelnen Figuren nirgends im Zweifel bleibt.

Herzog Georg der Bärtige von Sachsen (1500 bis 1539), welcher das Dresdener Schloß durch den Anbau des nach Norden vorspringenden, im Stile der edelsten Frührenaissance ausgeführten Georgenflügels vergrößerte, ist auch der Stifter des „Todtentanzes“. Die Tradition meldet, daß der Tod in seiner Familie eine furchtbare Ernte hielt, daß ihm nach einander sechs Kinder und zu Anfang des Jahres 1534 seine Gemahlin Barbara entrissen wurden. Diese Jahreszahl 1534 finden wir nun über dem mit einem Todtenkopfe versehenen Schlußsteine des Mittelportals und darunter die Inschrift. Per invidiam diaboli mors intravit in mundum (Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt“). Zwischen dem zweiten und dritten Geschosse war an der Außenseite der aus Sandstein gemeißelte „Todtentanz“ als Fries eingelassen. Da liegt denn der Gedanke nahe, daß der ohnehin zu Ernst und Schwermuth geneigte Herzog durch die schweren Schläge des Schicksals veranlaßt wurde, auch seinem Volke eine ernste Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen im Sinnbilde zu täglicher Betrachtung vor Augen zu führen. Wer die Elbbrücke passirte, der richtete unvermeidlich seinen Blick auf das steinerne „Memento mori“, dessen Figuren sich wirkungsvoll von dem mit blauer Farbe gedeckten Hintergrunde abhoben.

Dieser „Todtentanz“ war nicht die einzige Beziehung auf den Tod, welche die Schloßfacade enthielt. Ueber dem Portal sah man noch eine Relieftafel mit „Kain’s Brudermord“ und darüber die Statuen von „Adam und Eva“. Verbindet man diese Darstellungen mit der des „Todtentanzes“, so ergiebt sich als Grundgedanke des Ganzen, daß der Tod durch die Sünde des ersten Menschenpaares in die Welt gekommen, und dem entsprechend war auf der anderen Facade als Versöhnungsabschluß „die Geburt oder die Menschwerdung“ und „das Leiden Christi“ dargestellt.

Wir wissen über den Baumeister, von welchem der Georgs-Flügel herrührt, ebenso wenig etwas Sicheres wie über den Schöpfer des Todtentanzes. Doch soll nicht unerwähnt bleiben, daß Hasche im ersten Theile seines „Magazins für die sächsische [165] Geschichte“ den Brückenmeister und Steinmetz der Kreuzkirche, Schikketanz, als den Verfertiger desselben nennt, ohne jedoch urkundliche Beweise für seine Behauptung beizubringen.

Einhundertundsechszig Jahre lang blieb der Todtentanz unangetastet – nur der blaue Anstrich des Hintergrundes mußte während dieser Zeit einem rothen weichen – an seinem ursprünglichen Orte. Aber am 25. März des Jahres 1701, an einem Charfreitage, brach im Schlosse Feuer aus, das sich bald über den ganzen Georgs-Flügel verbreitete und den Todtentanz so sehr beschädigte, daß man bei einem Wiederaufbaue des Schlosses von seiner Verwendung für den alten Zweck Abstand nahm. Als man die dem Einstürze drohenden Mauern der Brandruine abtrug, stellte man das ehrwürdige Kunstwerk bei Seite, und es wäre auch sicherlich in Vergessenheit gerathen, wenn sich der Pastor der Kirche zu Neustadt-Dresden, Magister Hilscher, nicht seiner eifrig angenommen hätte. Hilscher’s Name ist mit dem Dresdener Todtentanze auf das Engste verknüpft. Zu wiederholten Malen suchte er beim Kurfürsten August dem Starken um Restaurirung des Denkmals nach, aber vergeblich. Nun suchte er durch Herausgabe einer Beschreibung des Totentanzes das Interesse für denselben lebendig zu erhalten, und endlich schenkte der Kurfürst das Werk der Kirchengemeinde Neustadt-Dresden, welche seine Wiederherstellung auf eigene Kosten unternahm. Im Jahre 1721 wurde der Todtentanz durch den Bildhauer Brückner restaurirt. Da die vier letzten Figuren durch den Brand bis auf wenige Reste vernichtet waren, wurden dieselben neu angefertigt. Auch hat man oben und unten einen Streifen angesetzt und auf demselben das Symbol des Todes mit der Umschrift „Der einzig Unfehlbare“, sowie die vom Prediger Hilscher gedichteten Verse angebracht.

In solcher Gestalt wurde der Todtentanz noch 1721 an der Mauer des Begräbnißplatzes der Neustädter Kirchengemeinde, der sich zwischen dem Rhänitzthore und dem sogenannten schwarzen Thore erstreckte, aufgestellt, nachdem noch aus dem rothen Hintergründe ein gelber geworden war. Aber auch diese Stelle sollte dem Todtentanze nicht lange eingeräumt bleiben. Wegen des Baues der jetzigen Neustädter Drei-Königskirche ging der Friedhof ein und wurde in die Nähe der sogenannten Scheunenhöfe verlegt, wohin auch der Todtentanz im Jahre 1733 überführt wurde. Seine Leiden waren damit jedoch noch nicht beendigt. Vermuthlich um ihn recht gespenstisch wirken zu lassen, wurde er mit weißer Oelfarbe überzogen, und schließlich fügte eine patriotische Hand noch einen grünen Hintergrund hinzu, sodaß das Werk nunmehr die sächsischen Landesfarben zeigte. In neuester Zeit hat man auch diese entfernt und die natürliche Farbe des Sandsteins wieder zum Vorscheine gebracht.

Nach so wechselvollen Schicksalen ist es nur zu bewundern, daß die einzelnen Figuren der Erklärung keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Nur einige Attribute sind undeutlich geworden. So ist das Gefäß, welches das den Zug eröffnende Todtengerippe in der Hand trägt, nicht, wie man nach der Abbildung glauben sollte, ein Pokal, sondern eine Sanduhr, und der spitze Auswuchs an seinem Hinterhaupte ein Büschel Haare, welchen sich der Künstler im Winde flatternd dachte.

Die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Dresdener Todtentanzes bestehen darin, daß der Zug der beiläufig vierzig Centimeter hohen siebenundzwanzig Figuren in zwei Gruppen getheilt ist, deren eine den geistlichen Stand umfaßt, während die andere aus den weltlichen Ständen zusammengesetzt ist. Wie das Todtengerippe, welches die ganze Procession anführt, gleichsam zum Tanze auf einer Flöte aufspielt, so schlägt auch das zweite, vor der Gruppe der weltlichen Figuren, mit zwei Todtenbeinen die Trommel. Den Beschluß des Zuges macht ein dritter Knochenmann mit der Sense, der gleichsam aufpaßt, daß ihm Niemand entrinne.

Während die meisten übrigen Todtentänze an der Idee des Tanzes noch in so fern festhalten, als jeder Figur noch ein Gerippe als Partner beigesellt ist, hat sich der Dresdener Künstler auf drei Knochenmänner beschränkt, welche gewissermaßen die Escorte des schrecklichen Zuges bilden. Derselbe bewegt sich übrigens, wenn man von der etwas lebhaften Fußbewegung des Bischofs absieht, in feierlichem Tempo dahin. Die Composition ist durchaus würdevoll – nichts von jenem wilden Humor, jener fast burlesken Ausgelassenheit, jenem ironischen Zuge, welche wir als charakteristische Merkmale früherer und späterer Darstellungen dieser Art ansehen müssen. Eine solche etwas frivole Auffassung mochte dem ernsten Sinne des Stifters widersprechen.

An das Gewand des Zugführers, um dessen knöcherne Beine sich zwei Schlangen winden, hält sich der Papst, welcher als der oberste Würdenträger der Kirche, wie billig, den Reigen eröffnet. Ihm folgt sein Hofstaat, die ganze ecclesia militans, die streitbare Kirche: Cardinal, Erzbischof, Bischof, Prälat, Domherr und in gebückter, demüthigen Stellung der Kapuziner, den das Buch in seiner Linken als Predigermönch charakterisirt, während der Foliant in der Hand des Prälaten vielleicht auf die diesem hohen Kirchenbeamten zustehende Gerichtsbarkeit deutet. Der zweite Knochenmann, den wie den ersten ein weites Leichentuch umflattert, blickt sich vorsorglich nach seiner Cohorte um, ob sie ihm auch willig folge. Mit zwei Todtenbeinen trommelt er dem Zuge der weltlichen Stände, welchen der Kaiser eröffnet, den Marsch. Auf den Kaiser, in welchem man Karl den Fünften erkennen will, folgt der König, unter dem dann Ferdinand der Erste zu denken wäre. Die nächste Gestalt, der Kurfürst mit dem Orden des goldenen Vließes um den Hals, wird auf Herzog Georg den Bärtigen von Sachsen selbst gedeutet,

Geschichte“ den Brückenmeister und Steinmetz der Kreuzkirche, Schikketanz, als den Verfertiger desselben nennt, ohne jedoch urkundliche Beweise für seine Behauptung beizubringen.

Einhundertundsechszig Jahre lang blieb der Todtentanz unangetastet – nur der blaue Anstrich des Hintergrundes mußte während dieser Zeit einem rothen weichen – an seinem ursprünglichen Orte. Aber am 25. März des Jahres 1701, an einem Charfreitage, brach im Schlosse Feuer aus, das sich bald über den ganzen Georgs-Flügel verbreitete und den Todtentanz so sehr beschädigte, daß man bei einem Wiederaufbaue des Schlosses von seiner Verwendung für den alten Zweck Abstand nahm. Als man die dem Einstürze drohenden Mauern der Brandruine abtrug, stellte man das ehrwürdige Kunstwerk bei Seite, und es wäre auch sicherlich in Vergessenheit gerathen, wenn sich der Pastor der Kirche zu Neustadt-Dresden, Magister Hilscher, nicht seiner eifrig angenommen hätte. Hilscher’s Name ist mit dem Dresdener Todtentänze auf das Engste verknüpft. Zu wiederholten Malen suchte er beim Kurfürsten August dem Starken um Restaurirung des Denkmals nach, aber vergeblich. Nun suchte er durch Herausgabe einer Beschreibung des Totentanzes das Interesse für denselben lebendig zu erhalten, und endlich schenkte der Kurfürst das Werk der Kirchengemeinde Neustadt-Dresden, welche seine Wiederherstellung auf eigene Kosten unternahm. Im Jahre 1721 wurde der Todtentanz durch den Bildhauer Brückner restaurirt. Da die vier letzten Figuren durch den Brand bis auf wenige Reste vernichtet waren, wurden dieselben neu angefertigt. Auch hat man oben und unten einen Streifen angesetzt und auf demselben das Symbol des Todes mit der Umschrift „Der einzig Unfehlbare“, sowie die vom Prediger Hilscher gedichteten Verse angebracht.

In solcher Gestalt wurde der Todtentanz noch 1721 an der Mauer des Begräbnißplatzes der Neustädter Kirchengemeinde, der sich zwischen dem Rhänitzthore und dem sogenannten schwarzen Thore erstreckte, aufgestellt, nachdem noch aus dem rothen Hintergründe ein gelber geworden war. Aber auch diese Stelle sollte dem Todtentanze nicht lange eingeräumt bleiben. Wegen des Baues der jetzigen Neustädter Drei-Königskirche ging der Friedhof ein und wurde in die Nähe der sogenannten Scheunenhöfe verlegt, wohin auch der Todtentanz im Jahre 1733 überführt wurde. Seine Leiden waren damit jedoch noch nicht beendigt. Vermuthlich um ihn recht gespenstisch wirken zu lassen, wurde er mit weißer Oelfarbe überzogen, und schließlich fügte eine patriotische Hand noch einen grünen Hintergrund hinzu, sodaß das Werk nunmehr die sächsischen Landesfarben zeigte. In neuester Zeit hat man auch diese entfernt und die natürliche Farbe des Sandsteins wieder zum Vorscheine gebracht.

Nach so wechselvollen Schicksalen ist es nur zu bewundern, daß die einzelnen Figuren der Erklärung keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Nur einige Attribute sind undeutlich geworden. So ist das Gefäß, welches das den Zug eröffnende Todtengerippe in der Hand trägt, nicht, wie man nach der Abbildung glauben sollte, ein Pokal, sondern eine Sanduhr, und der spitze Auswuchs an seinem Hinterhaupte ein Büschel Haare, welchen sich der Künstler im Winde flatternd dachte.

Die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Dresdener Todtentanzes bestehen darin, daß der Zug der beiläufig vierzig Centimeter hohen siebenundzwanzig Figuren in zwei Gruppen getheilt ist, deren eine den geistlichen Stand umfaßt, während die andere aus den weltlichen Ständen zusammengesetzt ist. Wie das Todtengerippe, welches die ganze Procession anführt, gleichsam zum Tanze auf einer Flöte aufspielt, so schlägt auch das zweite, vor der Gruppe der weltlichen Figuren, mit zwei Todtenbeinen die Trommel. Den Beschluß des Zuges macht ein dritter Knochenmann mit der Sense, der gleichsam aufpaßt, daß ihm Niemand entrinne.

Während die meisten übrigen Todtentänze an der Idee des Tanzes noch in so fern festhalten, als jeder Figur noch ein Gerippe als Partner beigesellt ist, hat sich der Dresdener Künstler auf drei Knochenmänner beschränkt, welche gewissermaßen die Escorte des schrecklichen Zuges bilden. Derselbe bewegt sich übrigens, wenn man von der etwas lebhaften Fußbewegung des Bischofs absieht, in feierlichem Tempo dahin. Die Composition ist durchaus würdevoll – nichts von jenem wilden Humor, jener fast burlesken Ausgelassenheit, jenem ironischen Zuge, welche wir als charakteristische Merkmale früherer und späterer Darstellungen dieser Art ansehen müssen. Eine solche etwas frivole Auffassung mochte dem ernsten Sinne des Stifters widersprechen.

An das Gewand des Zugführers, um dessen knöcherne Beine sich zwei Schlangen winden, hält sich der Papst, welcher als der oberste Würdenträger der Kirche, wie billig, den Reigen eröffnet. Ihm folgt sein Hofstaat, die ganze ecclesia militans, die streitbare Kirche: Cardinal, Erzbischof, Bischof, Prälat, Domherr und in gebückter, demüthigen Stellung der Kapuziner, den das Buch in seiner Linken als Predigermönch charakterisirt, während der Foliant in der Hand des Prälaten vielleicht auf die diesem hohen Kirchenbeamten zustehende Gerichtsbarkeit deutet. Der zweite Knochenmann, den wie den ersten ein weites Leichentuch umflattert, blickt sich vorsorglich nach seiner Cohorte um, ob sie ihm auch willig folge. Mit zwei Todtenbeinen trommelt er dem Zuge der weltlichen Stände, welchen der Kaiser eröffnet, den Marsch. Auf den Kaiser, in welchem man Karl den Fünften erkennen will, folgt der König, unter dem dann Ferdinand der Erste zu denken wäre. Die nächste Gestalt, der Kurfürst mit dem Orden des goldenen Vließes um den Hals, wird auf Herzog Georg den Bärtigen von Sachsen selbst gedeutet, [166] und in der Hand des durch Frömmigkeit ausgezeichneten Fürsten wäre dann der Rosenkranz ein charakteristisches Symbol, um so mehr, als Herzog Georg, ein entschiedener Gegner der Reformation, fest an den Bräuchen der alten Kirche hielt. Die Deutung ist sehr wahrscheinlich, da man sonst nicht wüßte, wie gerade der Kurfürst zu dein Rosenkranz käme. Mit geringerer Sicherheit ist die folgende Figur, der Graf, für Georg’s einzigen, an Geistesschwäche leidenden Sohn Friedrich, der 1539 starb, erklärt worden. Der geharnischte Ritter, der Edelmann, der Rathsherr, der Handwerker mit Schurzfell, Winkelmaß und Hacke, der Landsknecht mit der Hellebarde, der Bauer mit Dreschflegel und Schwert sind durch Tracht oder Attribute deutlich charakterisirt. In der Bewaffnung des Bauern wird man vielleicht eine Anspielung auf die Bauernkriege zu erkennen haben. Die lebhafte Handbewegung des lahmen Bettlers deutet darauf hin, daß der Tod ihm willkommen ist. Der blinde, von dem Knaben geführte Greis, welcher den Schluß des Zuges bildet, schwenkt dem erlösenden Tode sogar jubelnd den Hut entgegen. Zwischen diesen beiden Unglücklichen befinden sich noch vier Figuren: die Aebtissin eine Frau in vornehmer Tracht, welche man für die Herzogs-Gemahlin, Barbara, hält, eine Bäuerin mit einer Hocke auf dem Rücken, aus der zwei Gänse hervorgucken, eine Figur von besonders glücklicher Erfindung, und ein Kaufmann, den ein Geldsack als solchen charakterisirt. Der Knabe, dessen Kleidung der Restaurator des Werkes einen etwas wunderlichen Schnitt gegeben, streckt die Hand nach dem Geldsacke aus. Ein Knochenmann mit umgekehrter Sense, die wohl andeuten soll, daß er sein Werk gethan, beschließt den Zug.

Der gegenwärtige Zustand des Dresdener Todtentanzes erlaubt uns nicht, ein Urtheil über die künstlerische Ausführung des Einzelnen zu fällen. Nur so viel läßt sich noch mit Sicherheit erkennen, daß sich der Schöpfer des Werkes auf eine lebendige und treffende Charakteristik sehr wohl verstand, und daß er sich in der Composition des Ganzen nicht allzu streng an die Ueberlieferung hielt. Es ist ihm gelungen, die Trockenheit der Allegorie glücklich zu vermeiden und aus seinem Todtentanze ein Bild von hohem kulturgeschichtlichem Werthe zu schaffen, das uns mit der Denkungsart und dem Leben seiner Zeit vertraut macht.

Adolf Rosenberg.