Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4. bis 14. Juli 1892/Tag 6

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Sechster Verhandlungstag.

Gegen 9 Uhr Vormittags eröffnet der Präsident, Landgerichtsdirektor Kluth, die Sitzung.

Erster Staatsanwalt Baumgard: Ich lege hier einen Sack vor, der bei Buschhoff beschlagnahmt worden ist. Es finden sich in demselben Spreuspuren vor, derselbe hat auch zum Theil eine rauchbraune Farbe. Da behauptet worden ist, daß der Sack bei Buschhoff versteckt vorgefunden worden ist, so beantrage ich, den Polizeisergeanten Schlöer, der bei der Haussuchung dabei gewesen ist, zu vernehmen.

Polizei-Sergeant Schlöer: Ich war bei der Haussuchung bei Buschhoff zugegen. Unter verschiedenen Lumpen und anderen Säcken befand sich auch in einem unverschlossenen Schrank dieser Sack. – Präs.: Lag der Sack versteckt? – Zeuge: Er lag unter verschiedenen Sachen und anderen Säcken. – Präs.: Machte es auf Sie den Eindruck, als ob der Sack absichtlich versteckt war? – Zeuge: Nein. – Präs.: Befanden sich Blutspuren am Sack? – Zeuge: Nein. – Präs.: Haben Sie sonst etwas Auffälliges an dem Sacke wahrgenommen? – Zeuge: Jawohl, die dunkelrothbraune Farbe. – Präs.: Buschhoff, der Sack ist bei Ihnen gefunden worden, ist das Ihr Sack? – Buschhoff: Jawohl. – Präs.: Wie erklären Sie sich die braune Farbe des Sackes? – Buschhoff: Herr Präsident, den Sack haben wir beim Fleischräuchern benutzt. – Präs.: War etwas in dem Sack? – Buschhoff: Ich glaube, es ist Stroh darin gewesen. – Der Präsident zeigt den Geschworenen den Sack, die in demselben vorgefundene Spreu auch die Spreu, die in den Händen des ermordeten Knaben vorgefunden wurde. Es wird konstatirt, daß die Spreu, die in dem Sack gefunden wurde, mit der Spreu in den Händen der Leiche nicht übereinstimmt.

Bürgermeister Schleß: Ich habe geglaubt, die braune Farbe rühre von Blutflecken her. Diese Ansicht gewann ich, als Frau Buschhoff bei ihrer Vernehmung über die Beschlagnahme des Sackes sich ungemein aufgeregt zeigte und sagte: „Ach Gott, Herr Bürgermeister, nun haben Sie uns auch diesen Sack beschlagnahmt, den wir über das Faß legen, wenn wir Fleisch räuchern.“ – Oberstaatsanwalt Hamm: Haben Sie gleich nach erfolgter Beschlagnahme geglaubt, daß an dem Sacke Blutspuren seien? – Zeuge: Nein, erst nachdem sich Frau Buschhoff so sehr aufgeregt zeigte und die erwähnte Aeußerung that. – Oberstaatsanwalt Hamm: Zu welcher Tageszeit haben Sie den Sack besichtigt? –Zeuge: Es war bereits Abend, ich hatte aber die Lampe angezündet. – Präs.: Herr Polizei-Sergeant Schlöer: Weshalb haben Sie gerade diesen Sack konfiszirt? – Zeuge: Weil ich die dunkle Farbe für Blutspuren hielt. – Präsident: Wohnten Sie der Vernehmung der Frau Buschhoff bei dem Bürgermeister bei? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Haben Sie auch wahrgenommen, daß sich Frau Buschhoff sehr aufgeregt gezeigt hat, weil dieser Sack konfiszirt war? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Frau Buschhoff hat gesagt: Ach, Herr Bürgermeister, nun haben Sie uns noch diesen Sack konfiszirt, den brauchen wir, wenn wir räuchern, um ihn über das Rauchfaß zu legen? – Zeuge: Jawohl.

Der Oberstaatsanwalt bemerkt, daß die letzte Bekundung der beiden Zeugen neu sei. – Präs.: Mir ist diese Bekundung auch nicht bekannt, in den Akten ist nichts davon enthalten. – Bürgermeister Schleß: Ich habe schon in der Voruntersuchung von meiner Wahrnehmung, daß Frau Buschhoff wegen Beschlagnahme des Sackes aufgeregt war u. s. w., Mittheilung gemacht. – Ein Geschworener fragt: ob es möglich sei, eventuelle Blutspuren an dem Sacke festzustellen? – Präs.: Ich habe darauf zu bemerken, daß bereits einmal beblutete Holztheile von der Wannmühle nach Berlin an den gerichtlichen Chemiker Dr. Jeserich geschickt wurden. Dr. Jeserich hat geantwortet, daß sich nach so langer Zeit chemisch nichts mehr feststellen lasse, da Blut sich sehr schnell zersetze. Ich befürchte, daß sich dies jetzt auch nicht mehr werde feststellen lassen. – Präs.: Buschhoff, ist es möglich, daß sich durch die Benutzung des Sackes beim Fleischräuchern Blutflecke an den Sack heften? – Buschhoff: Das glaube ich nicht, aber es ist möglich.

Es erscheint alsdann als Zeugin Fräulein Devers, Tochter des Stadtsekretärs in Xanten: Am Peter-Paulstage, den 29. Juni v. J., war in Xanten Schützenfest. Ich war mit meinen Geschwistern auf dem Schützenplatz. Da hörte ich, daß Junkermann jr. heftig auf die Juden schimpfte. Er sagte u. A.: „Die Juden sind schlechte Leute, Betrüger, Lumpenpack“ u. s. w. In dieser Weise schimpfte er lange Zeit auf die Juden, und als des Abends auf dem Schützenplatze die Nachricht von dem Morde des kleinen Hegmann bekannt wurde, da sagte Junkermann jr.: „Das haben die Juden gethan“.

Kutscher Becker: Er sei am Peter-Paulstage Vormittags gegen viertel 10 Uhr bei Buschhoff vorübergegangen. Buschhoff habe am offenen Fenster gesessen und habe auffallend roth ausgesehen.

Tagelöhner Langer: Er habe bei Junkermann Gras gemäht, da sei eines Tages ein Mann zu ihm auf die Weide gekommen und habe ihm gesagt: er wisse nun, wer den Mord begangen habe, er wolle es aber noch nicht sagen. – Präsident: Kannten Sie den Mann? – Zeuge: Nein, ich hörte aber später, daß das Mölders war. – Präsident: War der Mann betrunken? – Zeuge: Das weiß ich nicht.

Gärtner Overhagen: Er sei Nachbar von Mölders und könne nichts Nachtheiliges von ihm sagen. – Präs.: Sind Sie der Meinung, daß, wenn Mölders vor Gericht einen Eid leistet, er die Wahrheit sagt? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Ist Mölders häufig betrunken? – Zeuge: Mölders trinkt gern einen, aber auf der Straße habe ich ihn noch nicht liegen sehen.

Frau Beckmann: Sie habe einmal Frau Mölders gefragt, was sie von dem Morde halte. Frau Mölders habe darauf erzählt: Am Sonntag nach dem Morde sei ihr Mann sehr unruhig im Zimmer auf- und abgegangen. Auf die Frage der Frau Mölders, was ihm fehle, habe der Mann gesagt: Ich weiß etwas von dem Morde, ich kann aber noch nichts sagen. Der Mann sei alsdann fortgegangen, sei nach einiger Zeit wiedergekommen und habe gesagt: Jetzt bin ich bei Hegmann gewesen, ich habe mir ein Läppchen von der Schürze des ermordeten Kindes geben lassen, nun weiß ich, wer der Mörder ist. Frau Mölders erzählte, daß ihr Mann das Läppchen stets bei sich trage, damit wenn er vor Gericht komme, er genau wisse, was er zu sagen habe. Als ihr Mann vernommen wurde, da hätten ihm die Gerichtsherren verschiedene Sachen vorgelegt, er habe aber die Schürze des kleinen Hegmann sofort herausgefunden, da er sich das von Hegmann erhaltene Läppchen häufig, selbst bei der Arbeit, angesehen habe. Der Klempner Ullenboom habe ihr einmal gesagt: Es sei sehr falsch, daß Mölders behauptet, der kleine Hegmann sei am Vormittage des Peter- und Paulstages in das Buschhoff’sche Hause gezogen worden, er dürfe doch höchstens sagen, ein Kind sei in das Haus gezogen worden. Er (Ullenboom) habe an jenem Vormittag, da sein Vater gefährlich krank war, ein 1 ½ jähriges Pflegekind zu Buschhoff mitgenommen. Er sei mehrfach von Buschhoff weggegangen und wiedergekommen, sodaß es sehr leicht möglich sei, das Kind sei aus dem Hause gelaufen und vielleicht von dem Buschhoff in das Haus geführt worden. Er selbst habe das Kind, da dies mehrfach aus dem Hause gelaufen sei, wieder in das Buschhoff’sche Haus geführt. – Verth. Rechtsanwalt Fleischhauer: Sie haben einmal gesagt, daß Ullenboom Ihnen dies Alles im Flüstertone erzählt habe? – Zeugin: Jawohl. – Verth.: Weshalb sprach Ullenboom im Flüstertone? – Zeugin: Er sagte, wenn das, was er mir sage, bekannt werde, dann könne er nicht mehr mit Ruhe über die Straße gehen. – Präs.: Es dürfte den Herren Geschworenen bekannt sein, daß Ullenboom hier erklärt hat, er habe in Folge seines Verkehrs mit den Juden fast alle seine Kundschaft verloren. – Präs.: Sagen Sie einmal, Zeugin, kennen Sie den Ullenboom? – Zeugin: Jawohl, sehr gut, ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen. – Präs.: Halten Sie ihn für einen braven Mann? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Sind Sie der Meinung, daß, wenn er vor Gericht etwas aussagt und beschwört, die Wahrheit sagt? – Zeugin: Zweifellos. – Präs.: Was halten Sie von seiner Schwester Mathilde? – Zeugin: Die ist ebenso brav wie ihr Bruder. – Präs.: Herr Polizei-Sergeant Schlöer, sind Sie der Meinung, daß der ermordete Hegmann mit dem kleinen Pflegekinde von Ullenboom zu verwechseln war? – Zeuge: Nein, das Pflegekind war kleiner als Johann Hegmann. – Verth. Rechtsanwalt Fleischhauer: Ich konstatire, daß Mölders den kleinen Hegmann nicht gekannt hat.

Erster Staatsanwalt Baumgard: Aber der Knabe Kernder kannte ihn.

Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Es kommt bei diesem Punkte doch aber darauf an, wie weit auf das Zeugniß des Knaben Kernder Gewicht gelegt wird. – Staatsanwalt: Selbstverständlich. – Präs.: Frau Beckmann, kennen Sie den Mölders? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Haben Sie ihn häufig betrunken gesehen? – Zeugin: Jawohl, Mölders war z. B. bei der letzten Kirmes im Mai d. J. so betrunken, daß er auf der Straße getanzt hat. – Präs.: Mölders, sehen Sie sich einmal diese Schürze an, ist das dieselbe Schürze, die der kleine Hegmann um hatte? – Mölders: Das weiß ich nicht genau. – Präs.: Haben Sie das Läppchen noch? – Mölders: Nein. – Präs.: Sie sollen das Läppchen immer mit sich herumgetragen haben? – Mölders: Das ist nicht wahr. – Präs.: Seit wann haben Sie das Läppchen nicht mehr? – Mölders: Ich habe das Läppchen an dem Tage, an dem ich von dem Herrn Amtsrichter vernommen wurde, weggeworfen.

Rechtsanwalt Fleischhauer: Ich bemerke, daß Mölders zum ersten Male am 6. Juli von dem Herrn Amtrichter vernommen worden ist.

Präs.: Haben Sie das Läppchen bei Ihrer ersten Vernehmung vor dem Herrn Amtsrichter fortgeworfen? – Mölders: Ob es gerade bei der ersten Vernehmung war, das weiß ich nicht.

Der folgende Zeuge ist der Schuhmacher Beekmann (Goch): Ullenboom habe ihm auf einem Fastnachtsball in Xanten dasselbe erzählt, was die Zeugin Frau Beekmann hier bekundet hat. Plötzlich habe Ullenboom seine Erzählung abgebrochen mit den Worten: ich will aufhören, denn da drüben sitzt ein Mann, der uns belauscht. – Präs.: Kannten Sie den Mann?

Zeuge: Ich glaube, es war ein Mann, Namens Schmeltzer.

Schuhmacher Lörk (Xanten), der alsdann als Zeuge erscheint, bekundet: Mölders habe ihm einmal das Läppchen von der Schürze des kleinen Hegmann gezeigt. Wann dies war, könne er (Zeuge) nicht sagen, er wisse nur, daß es an einem Tage war, an dem Mölders bei einer Vernehmung vor dem Herrn Amtsrichter gewesen sei. Mölders habe das Läppchen im Portemonnaie getragen.

Es erscheint nunmehr als Zeugin Fräulein Hermine Buschhoff, ein mittelgroßes Mädchen im Alter von 20 Jahren. Sie ist auch längere Zeit wegen Verdachts der Theilnahme an der Mordthat verhaftet gewesen. Als sie den Saal betritt, setzt sich der Angeklagte Buschhoff derartig, daß ihn seine Tochter nicht sofort sehen soll. Während der Vernehmung der Hermine Buschhoff weint der Angeklagte heftig. Die Zeugin erzählt, was ihr Vater und sie am Peter-Paulstage gethan haben, was in dem Hause ihres Vaters an diesem Tage geschehen sei, welchen Besuch sie hatten u. s. w. Die Bekundungen dieser Zeugen decken sich fast vollständig mit den Angaben ihres Vaters und mit denen der Zeugen Kock, Franks, Ullenboom, Isaak und des Fräulein Kahn. Sie habe bestimmt am Peter-Paulstage, Nachmittags zwischen 2–4 Uhr, nicht das Haus verlassen, am Vormittage habe sie für 20 Pf. Schnaps geholt, die Flasche aber nicht unter der Schürze getragen. Die Zeugin bemerkt im Weiteren auf Befragen, daß der beschlagnahmte Sack zum Bedecken des Fasses, in dem Fleisch geräuchert wurde, benutzt worden sei. – Präs.: Wie erklären Sie sich wohl die Spreureste in dem Sacke? – Zeugin: In den Sack wurde im Winter Stroh hineingethan und damit der Keller verstopft. – Während der Vernehmung der Hermine Buschhoff trifft an den Präsidenten eine anonyme Depesche folgenden Inhalts ein: „Bitte Köchin Remy in Goch als Zeugin laden“. – Präs.: Das Gericht hält es nicht für erforderlich, die anonyme Depesche zu berücksichtigen.

Die Staatsanwälte und Vertheidiger erklären, daß sie keine Anträge zu stellen haben.

Der Präsident bemerkt alsdann: Der Gerichtshof erachte es für nothwendig, feststellen zu lassen: ob sich an dem Sack Blutspuren vorfinden. – Auf Antrag des Staatsanwalts beschließt der Gerichtshof: den Chemiker Dr. Bücking (Crefeld) telegraphisch und außerdem 3 Metzgermeister als Sachverständige zu laden.

Es meldet sich alsdann Gutsbesitzer Lensing (Goch), ein Geschworener, der aber in dieser Sache nicht auf der Geschworenenbank sitzt, und bekundet: Heute früh stand ich mit noch mehreren anderen Leuten auf dem Bahnhofs-Perron in Goch. Da trat plötzlich ein junger Mann an mich heran und sagte zu mir: „Weshalb sehen Sie mich so an, weshalb fixiren Sie mich? Was wünschen Sie von mir?“ Ich erwiderte dem jungen Mann: Es ist mir gar nicht eingefallen, Sie zu fixiren, ich habe aber das Recht, jeden Menschen anzusehen. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich den jungen Mann nicht fixirt habe. Ich und auch all‘ die anderen Herren sagten: „Der Mann muß verrückt sein“, er hatte auch ein solches Aussehen. Später hörte ich, daß dieser Mann Ullenboom sei. Ich bemerke, daß ich nicht gewußt habe, ob Ullenboom Be- oder Entlastungszeuge ist. – Präsident: Haben Sie mit Ihren Bekannten über diese Verhandlung gesprochen? – Zeuge: Allerdings. – Oberstaatsanwalt Hamm: Haben Sie dabei den Namen Ullenboom genannt? – Zeuge: Jawohl, aber erst später. – Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Nachdem Sie den Namen Ullenboom genannt, fragte Sie der junge Mann: ob Sie ihn fixiren? – Zeuge: Jawohl, aber ich bemerke ausdrücklich, daß ich gesagt habe: „Buschhoff wird jedenfalls freigesprochen werden, denn man kann ihm nichts nachweisen“. – Oberstaatsanwalt Hamm: Sie sagten nicht „Buschhoff ist unschuldig“, sondern: „man kann ihm nichts nachweisen“. – Zeuge: Jawohl, ich sagte: soweit ich die Sache kenne, wird man dem Buschhoff nichts beweisen können und ihn freisprechen müssen.

Es erscheint alsdann als Zeuge Klempner Ullenboom. – Präs.: Sind Sie mit diesem Herrn auf dem Bahnhof in Goch heute früh zusammengetroffen? – Zeuge: Jawohl. – Präs.: Sie sollen zu dem Herrn gesagt haben: weshalb fixiren Sie mich, weshalb sehen Sie mich so an? Sie sollen außerdem so aufgeregt gewesen sein, daß die Leute sagten: Sie scheinen verrückt zu sein. – Ullenboom: Ich war allerdings heute Morgen etwas aufgeregt, denn ich habe schon seit mehreren Nächten nicht mehr geschlafen, da meine Mutter gefährlich krank ist. Ich war nun ärgerlich, daß der Herr mich fortwährend ansah. – Präs.: Das finde ich eigenthümlich. Mich kann meinetwegen Jemand stundenlang ansehen, dann habe ich noch nichts dagegen. – Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Hat der Herr mit Ihnen über den Prozeß gesprochen? – Zeuge: Jawohl, er fragte mich, was ich auszusagen hätte. Ich antwortete: Ich weiß blos, daß ich das Schlachthaus vernagelt habe. – Vertheidiger: Und nachdem Sie das gesagt hatten, fixirte er Sie? – Zeuge: Jawohl, mehrere Male von oben nach unten. – Präs.: Sie habe doch außer über die Vernagelung der Schlachthausthür noch Bekundungen gemacht? – Zeuge: Ich wollte das nicht sagen, weil ich schon ohnehin geschäftlich sehr geschädigt bin. – Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Kennen Sie diesen Sack? – Ullenboom: Nein. – Verth.: Ist Ihnen bekannt, daß Buschhoff im Winter mit einem mit Stroh gefüllten Sack seine Kellerthür zu verdecken pfelgte? – Zeuge: Jawohl.

Der folgende Zeuge ist der Gärtnergehilfe Carl Ahls (18 Jahre alt): Am Sonntag vor acht Tagen habe er mit dem Fräulein Huiskens und dem Fuhrherrn Mallmann am Porteweg gestanden. Da habe Fräulein Huiskens gesagt: Es ist doch merkwürdig, daß Frau Winthuis nach Cleve nicht vorgeladen ist, die hat doch gesehen, wie am Peter-Paulstage Nachmittags ein Jude im Küppers’schen Garten gewesen ist und gewinkt hat. Ich bestätigte das, da dies Gerücht allgemein in der Stadt verbreitet wurde. – Präs.: Wußten Sie, daß Frau Winthuis eine solche Aeußerung gethan hat? – Zeuge: Nein, ich vermuthete es blos, da es allgemein erzählt wurde. Mallmann forderte mich auf, zur Frau Winthuis mitzukommen. Bei dieser angelangt, fragte sie Mallmann: ob Sie nach Cleve zu dem Buschhoff’schen Prozesse vorgeladen sei. Als Frau Winthuis dies verneinte, fragte Sie Mallmann, ob sie am Peter-Paulstage nicht gesehen, wie in dem Küppers’schen Garten ein Jude gewinkt habe. – Frau Winthuis antwortete, wenn ich vorgeladen werde, dann kann ich mit gutem Gewissen aussagen, was in den Akten in Cleve steht. – Oberstaatsanwalt Hamm: Frau Winthuis sagte nicht, daß sie einen Juden in dem Küppers’schen Garten habe winken sehen? – Zeuge: Nein. – Oberstaatsanwalt Hamm: Die Bekundung dieses Zeugen beweist wieder einmal, daß Mallmann eine ganz besondere Befähigung hat, falsch zu verstehen. – Mallmann tritt, sichtlich entrüstet über diese Aeußerung des Oberstaatsanwalts, vor den Zeugen Ahls und hält diesem vor, daß er sich erinnern müsse, Frau Winthuis habe gesagt, sie habe am Peter-Paulstage im Küppers’schen Garten einen Juden winken sehen. – Ahls giebt schließlich zu, eine ähnliche Aeußerung von Frau Winthuis gehört zu haben.

Frau Winthuis, die hierauf als Zeugin erscheint, bekundet: Sie habe am Peter-Paulstage, Nachmittags zwischen 2–4 Uhr, einen jungen Menschen in dem Küppers’schen Garten auf- und abgehen sehen. Der junge Mensch sei 15, 16 oder 18 Jahre alt gewesen. – Präs.: Haben Sie den jungen Mann erkannt? – Zeugin: Nein, ich glaube, es war ein Fremder. – Präs.: Fiel Ihnen etwas an dem Menschen auf? – Zeugin: Ja. – Präs.: Was fiel Ihnen auf? – Zeugin: Weil der Mensch fortwährend auf- und abging und ich einen Fremden noch niemals im Küppers’schen Garten gesehen habe. – Präs.: Haben Sie den jungen Mann winken sehen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Mallmann behauptet: Sie hätten gesehen, wie der Mann mit der Hand gewinkt hat. – Zeugin: Nein, das habe ich nicht gesehen. – Präs.: Herr Isaak, treten Sie einmal vor. Nun, Frau Winthuis, sehen Sie sich diesen Mann an, war das der, den Sie am Peter-Paulstage Nachmittags in dem Küppers’schen Garten gesehen haben? – Die Zeugin sieht sich den Zeugen Isaak (ein großer Mann mit Vollbart, im Alter von etwa 35 Jahren) von allen Seiten an und bemerkt: Nein, dieser Mann ist es nicht gewesen. – Präs.: Sie kennen den kleinen Siegmund Buschhoff? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Dieser ist Ihnen auch schon einmal vorgestellt worden? – Zeugin: Jawohl, aber der Siegmund ist es auch nicht gewesen. – Präs.: War es etwa der alte Buschhoff selbst? – Zeugin: Nein, der war es gewiß nicht. – Präs.: War es ein Jude oder ein Christ? – Zeugin: Ich will nichts bestimmt behaupten, aber ich bin der Meinung: es war eher ein Jude als ein Christ. (Heiterkeit im Auditorium). – Präs.: Ich fordere das Publikum auf, sich vollständig ruhig zu verhalten, andernfalls bin ich genöthigt, den Zuhörerraum räumen zu lassen.

Es trifft alsdann ein Brief ein, in dem zwei Leute in Xanten namhaft gemacht werden, die die Bekundungen des Fräulein Rölen, wonach Buschhoff zu seinem Sohne gesagt haben soll: „Ach was, wenn Sie uns nichts beweisen können, dann können sie uns nichts anhaben“, bestätigen wollen. Der Gerichtshof beschließt auf Antrag des Staatsanwalts: diese zwei Personen als Zeugen zu laden.

Alsdann tritt einen längere Pause ein.

Nach Wiedereröffnung der Verhandlung meldet sich ein Geschworener zum Wort: Es herrscht unter den Geschworenen die Ansicht, als habe die Zeugin Winthuis die Frage des Herrn Präsidenten, ob sie etwa den Angeklagten Buschhoff im Küppers’schen Garten gesehen, mit „Ja“ beantwortet habe.

Präs.: Das ist ein Irrthum. Sie werden sich erinnern, meine Herren, daß die Zeugin gesagt hat, der Mensch, den sie gesehen, sei höchstens 18 Jahre alt gewesen. Insofern war eigentlich meine Frage, ob etwa der Angeklagte Buschhoff im Küppers’schen Garten gewesen, überflüssig. Die Zeugin antwortete mir mit einer in plattdeutscher Sprache gesprochenen ironischen Bemerkung. Ich habe vergessen, auch noch ausdrücklich zu konstatiren, daß diese ironische Bemerkung eine Verneinung war.

Vertheidiger Rechtsanwalt Fleischhauer: Ich will erwähnen, daß die Zeugin sagte: „Dat soll woll sinn“. Es ist eine ironische Bejahung, die aber eine Verneinung bedeutet.

Präsident: Da das Beweismaterial sich immer mehr zu vergrößern scheint und mithin keine Aussicht ist, morgen die Verhandlung beenden zu können, so hat der Gerichtshof beschlossen: am Sonntag nicht zu verhandeln und Montag, Dienstag und Mittwoch für die Verhandlung noch frei zu halten.

Erster Staatsanwalt Baumgard: Ich habe soeben ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft zu Dortmund erhalten. Danach hat ein dortiger Buchdruckereibesitzer, Namens Reinhard, bekundet: „Vor 30 Jahren habe ihm in Wesel ein Jude Blut abzapfen wollen.“ Ich habe hierzu keine Anträge zu stellen.

Es wird alsdann nochmals Frau Winthuis vernommen. Diese bekundet auf Befragen: Sie sei am Sonntag, den 26. Juni, Nachmittags zu Besuch bei der Wittwe Ahls (Mutter des Zeugen Carl Ahls) gewesen. Da sei Mallmann und Carl Ahls in die Ahls’sche Wohnung gekommen. Mallmann habe sie gefragt, ob sie eine Vorladung nach Cleve erhalten habe. Sie habe mit Nein geantwortet. Darauf habe Mallmann gesagt: Sie haben doch gesehen, Frau Winthuis, daß am Peter-Paulstage Nachmittags ein Jude in dem Küppers’schen Garten gewinkt hat. Sie habe darauf geantwortet: Winken habe ich nicht gesehen, ich weiß auch nicht, ob es ein Jude war. – Präsident: Nun, Mallmann, wie war das? – Mallmann: Frau Winthuis hat mir gesagt, der Mann war ein Jude, den sie habe winken sehen.

Die folgende Zeugin ist die Wittwe Ahls: Diese bestätigt die Bekundung der Frau Winthuis. Letztere habe gesagt: der Mann habe eher ausgesehen wie ein Jude als wie ein Christ. – Präs.: Hat Frau Winthuis gesagt, sie habe den Mann winken sehen? – Zeugin: Nein. – Oberstaatsanwalt Hamm: Mallmann! Sie haben gehört, was zwei Zeuginnen bekundet haben, wie kommen Sie dazu, zu behaupten, Frau Winthuis habe gesagt, sie habe einen Juden im Küppers’schen Garten winken sehen? – Mallmann: Ich habe die Wahrheit gesagt. – Oberstaatsanwalt Hamm: Sie hören doch, daß Ihre Aussage falsch ist. Die Zeuginnen sagen doch das Gegentheil, Sie scheinen eine besondere Befähigung zu haben, alle Zeugenaussagen zu fälschen. – Mallmann (sehr erregt): Sie haben doch von dem Carl Ahls gehört, daß ich Recht hatte, ich bitte, doch den Zeugen Ahls noch einmal zu vernehmen, denn es scheint mir, als wolle man mich blos hier verwirren. – Präs.: Ich bemerke Ihnen, Mallmann, daß Sie sich solcher Bemerkungen zu enthalten haben, Sie könnten andernfalls bestraft werden. – Oberstaatsanwalt Hamm: Ich bemerke Ihnen, Mallmann, daß die Zeugin Ahls ausdrücklich bekundet hat: Frau Winthuis habe gesagt: es kann eher ein Jude als ein Christ gewesen sein. – Mallmann: Frau Winthuis sagte: Der Mann habe wie ein Jude ausgesehen. Ein Jude hat es doch auch gethan.

Verth. Rechtsanwalt Stapper: Sind Sie heute früh mit Carl Ahls von Goch nach Cleve gefahren?

Mallmann: Jawohl.

Vertheidiger: Ich konstatire, daß Mallmann gestern Abend bis zum Schluß der Verhandlung hier gewesen ist, wie ist Mallmann gestern Abend noch nach Goch gekommen?

Zeuge: Ich bin gestern Abend noch mit dem Omnibus nach Xanten gefahren und heute früh über Goch nach Cleve gefahren. – Verth.: Haben Sie heute früh mit Carl Ahls über den Prozeß gesprochen? – Zeuge: Jawohl, ich habe ihn aber aufgefordert, nur die Wahrheit zu sagen.

Es erscheint als Zeugin Fräulein Helene Bräuer.

Präs.: Haben Sie am Peter-Paulstage Herrn Siegmund Isaak im Küppers’schen Garten gesehen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Haben Sie eine solche Mittheilung einmal der Marie Küppers gemacht? – Zeugin: Nein, ich habe einige Tage nach Peter und Paul Herrn Isaak am Wall stehen sehen. Ich ging vorüber, Herr Isaak begrüßte mich und erzählte mir, er habe sich einige Tage vorher im Küppers’schen Garten den Tabak angesehen, er habe selten den Tabak so schön blühen sehen. – Präs.: Isaak, ist das richtig? – Isaak: Ich erinnere mich nicht, eine solche Aeußerung gethan zu haben. Präs.: Haben Sie einige Tage nach Peter und Paul auf dem Wall gestanden? – Isaak: Das ist möglich, ich weiß es aber nicht mehr. – Präs.: Sie sagten gestern, Sie seien seit fast 2 Jahren nicht in dem Küppers’schen Garten gewesen.

Isaak: Ich bin jedenfalls schon seit sehr langer Zeit nicht in dem Küppers’schen Garten gewesen. – Präs.: Sie sind doch ein Nachbar von der Bräuer und jedenfalls mit der Familie befreundet, es wäre doch also möglich, daß Sie ein solches Gespräch mit der Bräuer geführt haben? – Isaak: Wir waren bis zu dem Tage des Hegmann’schen Mordes befreundet, seit dieser Zeit hat aber in Xanten die Freundschaft zwischen Juden und Christen aufgehört. Ich bezweifle aber auch schon deshalb, das Gespräch geführt zu haben, da ich mich für Tabak nicht interessire. – Präs.: Zeugin Bräuer, hat Isaak denn gesagt: er sei im Küppers’schen Garten gewesen? – Zeugin: Jawohl, er sagte, er habe sich den Tabak angesehen. – Präs.: Isaak, können Sie von Ihrer Wohnung aus in den Küppers’schen Garten sehen? – Isaak: Jawohl. – Präs.: Dann können Sie sich ja den Tabak angesehen haben, ohne im Garten gewesen zu sein? – Isaak: Jawohl. – Präs.: Fräulein Bräuer! Was haben Sie nun der Marie Küppers erzählt? – Zeugin: Ich habe sie gefragt, was wohl Isaak in ihrem Garten gemacht habe, dieser habe mir gesagt, daß er sich den Tabak angesehen habe.

Verth. Rechtsanwalt Gammersberg: Haben Sie heute früh mit der Marie Küppers gesprochen? – Zeugin: Jawohl. – Verth.: Haben Sie über den Prozeß gesprochen? – Zeugin: Jawohl.

Verth.: Dann frage ich die Zeugin, weshalb Sie heute früh geweint hat? – Zeugin: Ich habe nicht geweint.

Verth.: Als ich heute früh durch den Korridor ging, habe ich die Zeugin, als sie mit der Marie Küppers sprach, weinen sehen, die Zeugin hat sich die Augen gewischt und hatte ein ganz rothes Gesicht. – Zeugin: Das ist eine Lüge, ich habe nicht geweint. – Verth.: Ich denke, daß der Herr Präsident mich vor solcher Beleidigung schützen wird.

Präs.: Zeugin, ich muß Ihnen bemerken, daß Sie sich dem Herrn Vertheidiger gegenüber nicht derartiger Redensarten bedienen dürfen. Ein gebildeter Mensch sagt: „das ist ein Irrthum“.

Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich habe noch zu bemerken, daß, wie mir berichtet wird, auf dem Korridor fortwährend Zeugenbeeinflussungen stattfinden; ich ersuche daher den Herrn Präsidenten, Vorkehrungen zu treffen, daß dies verhütet wird.

Die folgende Zeugin ist Fräulein Marie Küppers. Diese bekundet: Helene Bräuer habe sie gefragt, was Siegmund Isaak denn in ihrem Garten gemacht habe, dieser habe ihr erzählt, daß er sich den Tabak im Garten angesehen habe. – Präs.: Haben Sie eine derartige Mittheilung dem Mallmann gemacht? – Zeugin: Jawohl. – Präs.: Haben Sie dem Mallmann gesagt: Sie hätten den Isaak am Peter-Paulstage Nachmittags in Ihrem Garten gesehen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Mallmann, was sagen Sie zu der Bekundung dieser Zeugin? – Mallmann: Ich habe die Zeugin so verstanden, wie ich es bekundet habe.

Präs.: Fräulein Küppers, haben Sie heute früh auf dem Korridor mit der Bräuer über den Prozeß gesprochen? – Zeugin: Nein. – Präs.: Hat die Bräuer geweint? – Zeugin: Nein.

Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich war der Meinung, daß die Bräuer geweint habe, jedenfalls war sie auffallend roth im Gesicht und wischte sich die Augen aus.

Präsident: Herr Rechtsanwalt, Sie behaupteten positiv, daß die Zeugin geweint hat. Es wäre besser, wenn Sie die Behauptung nicht in der bestimmten Form gethan hätten, dann wäre uns das Vorkommniß von vorhin erspart geblieben. – Verth. Rechtsanwalt Gammersbach: Ich muß um Verzeihung bitten, ich war der bestimmten Meinung, daß das Mädchen geweint habe.

Präs.: Ich bin überzeugt, daß Sie der bestimmten Meinung waren, ich möchte die Herren aber ein für alle Mal bitten, sich nicht als Zeugen anzubieten.

Es wird alsdann nochmals Dr. med. Steiner (Xanten) vernommen.

Präs.: Herr Dr. Steiner, Sie sollen in einer hiesigen Restauration gesagt haben, daß Sie, nachdem Sie das Gutachten der Herren Sachverständigen gehört, sich diesem anschließen, und der Meinung sind, daß der Fundort der Thatort sei?

Dr. med. Steiner: Ich muß bemerken, daß ich bei der Leichenbesichtigung nicht berechtigt war, die Leiche zu entkleiden. Ich hatte auch keine Zeit, den Erdboden genau zu untersuchen, mir kam es vor, als wäre wenig Blut in der Scheune gewesen. Nachdem ich aber von den medizinischen Sachverständigen gehört, daß soviel Blut in der Scheune war, wie ein so jugendlicher Körper nur verlieren konnte, da habe ich mein Gutachten geändert und schließe mich dem Gutachten der medizinischen Sachverständigen an. Ich bemerke also, ich halte den Fundort für den Thatort.

Geschworener Graf v. Loë fragt, ob das am Fundort vorgefundene Blut Menschenblut gewesen sei?

Oberstaatsanwalt: Ich beantrage, das Obductions-Protokoll zu verlesen. In diesem haben Kreisphysikus Dr. Bauer und Wundarzt Dr. Nünninghoff festgestellt, daß das in der Scheune vorgefundene Blut, sowohl das an der Leiche, als auch das am Erdboden und im Stroh vorgefundene, nicht Thierblut, sondern Menschenblut war.

Den Metzgermeistern Wilhelm Peters, Bernhard Weil und Karl Müller (Cleve) wird hierauf der erwähnte Buschhoff’sche Sack zur Untersuchung übergeben. Diese sollen feststellen: ob sich an dem Sack Blutspuren vorfinden. Die Metzgermeister begeben sich in ein separates Zimmer und kehren nach kurzer Zeit zurück. Sie begutachten alsdann übereinstimmend: Sie haben kein Blut an dem Sack entdecken können. Blut werde sehr bald dick und hart, derartige Spuren seien aber nicht zu entdecken gewesen.

Präs.: Wie erklären Sie sich, meine Herren, die rothbraunen Flecken auf dem Sack?

Die Metzgermeister bekunden, daß die rothbraunen Flecken höchstwahrscheinlich Rauchflecken seien.

Der Präsident fordert den Angeklagten Buschhoff auf, den Metzgermeistern zu sagen: in welcher Weise er den Sack bei der Räucherung verwende.

Buschhoff theilt wiederholt mit, daß er den Sack über das Faß decke, in das das Fleisch zum Räuchern gelegt werde, um zu verhüten, daß der Rauch entweiche.

Die Metzgermeister bekunden, daß das von Buschhoff erwähnte Räucherverfahren vielfach von kleinen Metzgermeistern angewendet werde.

Chemiker Dr. Bücking (Crefeld) bekundet alsdann: Um genau den Sack nach Blutspuren zu untersuchen, sei es erforderlich, daß er den Sack in sein Laboratorium mitnehme. Er müsse aber vorher bemerken, daß, wenn Menschenblut nicht ganz frisch sei, es vom Thierblut nicht unterschieden werden könne.

Prof. Dr. Köster (Bonn): Er könne sich diesem Gutachten nur anschließen. Ob altes Blut von Vögeln oder von Säugethieren sei, könne wohl festgestellt werden, man könne aber nicht sagen, ob dies Blut von einem Menschen oder von einem Ochsen sei. – Geh. Regierungs- und Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer (Coblenz) schließt sich diesem Gutachten an.

Vertheidiger Rechtsanwalt Stapper: Da bei der gegenwärtigen Verhandlung das muthmaßliche Motiv des Mordes eine große Rolle spielt, so ersuche ich, das Obduktionsprotokoll Nr. 12 zu verlesen. Ich stelle anheim, daß der Herr Präsident die im Saale anwesenden Damen veranlaßt, sich auf einige Augenblicke zu entfernen.

Einige Damen verlassen den Saal.

Prof. Dr. Köster: Nach dem Obduktionsbefund liegen Anhaltspunkte für einen Lustmord nicht vor, die Möglichkeit, daß trotzdem ein solches Verbrechen vorliegt, ist aber nicht ausgeschlossen.

Geh. Regierungs- und Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer schließt sich dieser Bekundung an.

Dr. med. Steiner bekundet, daß die Kleider des ermordeten Kindes in vollständig geordnetem Zustande waren, so daß er die Frage: ob ein Lustmord vorliegen könnte, verneinen müsse. – Oberstaatsanwalt Hamm: Die Anklage nimmt nicht an, daß ein Lustmord vorliegen könnte, da der Befund der Leiche, sowie die medizinischen Gutachten diese Möglichkeit ausschließen. – Es wird alsdann das Obduktions-Protokoll Nr. 12 und auf Antrag eines Geschworenen auch noch das Protokoll über die Art der Verwundung verlesen.

Präsident: Herr Professor Köster! Ist es möglich, daß die Ermordung erfolgt ist, ohne daß das Kind geschrieen hat?

Professor Dr. Köster: Das ist wohl möglich. Es kommt hierbei vollständig auf die Art des Ueberfalls an. Wenn der Mörder das Kind von hinten gegriffen, ihm den Mund zugehalten und sofort den Hals abgeschnitten hat, dann ist es selbstverständlich nicht möglich, daß es einen Laut von sich gegeben hat.

Geheimer Regierungs- und Medizinal-Rath Dr. Kirchgäßer schließt sich diesem Gutachten an.

Präsident: Es ist mir von den verschiedensten Seiten geschrieben worden, daß der Mord vielleicht dadurch geschehen ist, daß die Kinder „Hinrichtung“ gespielt haben. Mir ist von einem solchen Spiel nichts bekannt, ich ersuche den Herrn Bürgermeister Schleß, uns zu sagen: ob das Hinrichtungsspiel etwa von Xantener Kindern gespielt wird?

Bürgermeister Schleß: Ich habe niemals von einem Hinrichtungsspiel etwas gehört. – Die medizinischen Sachverständigen bekunden, daß sie es für ausgeschlossen halten, daß das Kind durch das Hinrichtungsspiel der Kinder zu Tode gekommen sei.

Es erscheint hierauf als Zeugin Dienstmagd Mauritz: Diese bekundet auf Befragen des Präsidenten: Einige Wochen nach dem Morde ging Buschhoff mit seinem Sohn Siegmund die Cleverstraße entlang. Ich ging etwa 2 bis 3 Schritte dahinter. Als Buschhoff und Sohn gerade vor dem Hallmann’schen Laden vorübergingen, da sagte der Sohn zu seinem Vater: „Wenn es nur nicht auskommt.“ – Präsident: Wußte Buschhoff, daß Sie hinter ihm gingen? – Zeugin: Als Siegmund Buschhoff dies gesagt hatte, da sah der alte Buschhoff ängstlich hinter sich, ob Jemand in der Nähe sei. Als er mich sah, erschrak er und zog seinen Sohn ängstlich an sich. – Präs.: Hat Jemand außer Ihnen das Gespräch noch gehört? – Zeugin: Ja, der Kutscher von Hallmann muß es gehört haben. – Präs.: Woraus entnahmen Sie das? Zeugin: Der Kutscher stand gerade vor der Thür und lachte. – Präs.: Aus diesem Lachen entnehmen Sie, daß der Kutscher die Aeußerung gehört hat? – Zeugin: Ja. – Präs.: Buschhoff, was sagen Sie dazu? – Buschhoff: Ich weiß nichts davon. – Präs.: Zeugin, Sie haben diese Ihre Wahrnehmung erst gestern dem Herrn Amtsrichter mitgetheilt? – Zeugin: Jawohl.

Präs.: Weshalb haben Sie nicht früher Anzeige gemacht, Sie mußten sich doch sagen, daß das eine höchst wichtige Wahrnehmung ist? – Zeugin: Ich habe es gleich meiner Mutter erzählt, diese sagte aber: wir wollen keine Laufereien haben. – Präs.: Was veranlaßte Sie nun, dies jetzt anzuzeigen? – Zeugin: Ich habe meine Wahrnehmung meiner Dienstherrin, der Frau Hagen, erzählt; diese hat mich aufgefordert, zu dem Herrn Amtsrichter zu gehen und es anzuzeigen.

Der folgende Zeuge ist der Kutscher Hortmann. – Präs.: Sie sollen einmal gehört haben, daß Siegmund Buschhoff zu seinem Vater in der Cleverstraße gesagt hat, „wenn es nur nicht auskommt“. – Zeuge: Davon weiß ich nichts. – Präs.: Die Mauritz sagt, Sie haben an der Thür gestanden und müßten es infolgedessen gehört haben, ganz besonders entnimmt das das Mädchen aus dem Umstande, daß Sie gelacht haben. – Zeuge: Es ist ja möglich, daß ich gelacht habe, das habe aber jedenfalls nicht auf Buschhoff Bezug. Ich hatte nichts von einer solchen Aeußerung gehört. – Präs.: Ist die Mauritz heute bei Ihnen gewesen? – Zeuge: Ja, die Mauritz kam heute zu mir und sagte mir: ich müßte doch die Aeußerung auch gehört haben, ich sagte aber sofort, daß ich nichts gehört habe.

Der Gerichtshof beschließt: die Mutter des Dienstmädchens Mauritz als Zeugin zu laden.

Alsdann wird gegen 6¼ Uhr Abends die Sitzung auf Montag, den 11. d. Mts., Vormittags 9½ Uhr, vertagt.