Der Stellvertreter des Dover-Calais-Tunnels

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Textdaten
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Autor: Arnold Ruge
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Titel: Der Stellvertreter des Dover-Calais-Tunnels
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 84
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[84] Der Stellvertreter des Dover-Calais-Tunnels. Eine Dampffähre zwischen England und Frankreich. In einem frühern Bericht habe ich Ihnen mitgetheilt, daß eine bedeutende Autorität dafür sei, eine große Dampffähre zwischen England und Frankreich zu erbauen, und dadurch allen Uebelständen der Seefahrt abzuhelfen. Dies ist jetzt im Werke, und die Daily News von heute bringt folgenden Bericht über den gegenwärtigen Stand des Unternehmens, offenbar aus der Feder eines Sachverständigen, der mit zu dem Unternehmen gehört:

„Heute Morgen soll eine Conferenz sein zwischen den Vorstehern der Eisenbahnlinien, die es angeht, und den Vertretern der projectirten Dampffähre zwischen England und Frankreich, und so verdient der Plan, die Uebelstände der Canalfahrt zu beseitigen, bei Annäherung zu seiner Ausführung um so mehr eine Besprechung, als über den Umfang, die Tragfähigkeit und den Zweck der vorgeschlagenen Dampffähre die irrigsten Anschauungen herrschen. Man hat kürzlich angenommen, einen Zug voll Reisender an Bord eines Fährbootes zu nehmen, würde seine Tragkraft übersteigen, und hat in der Presse den Wink fallen lassen, man möge sich doch auf die Bequemlichkeit der Reisenden und die Unterbringung ihres Gepäckes beschränken und den Wagenzug auf dem Trocknen lassen. Nichts könnte absurder sein, als dieser Rath, wenn die projectirte Dampffähre überhaupt angenommen werden soll. Das Wesentliche ist, die Ueberfahrt über den Canal zu erleichtern; und dies ist unmöglich (wenn man nicht zu den Plänen eines Tunnels oder einer Brücke zurückkommen will), außer durch die Construirung von so großen Booten, daß die Wellen mit ihrer Bewegung sich wenig oder gar nicht mehr fühlbar machen können. Der Vorschlag ist also, daß die Fährboote fünftausend Tonnen Gehalt haben sollen, daß sie vierhundertfünfzig Fuß lang, fünfundsiebenzig von Bord zu Bord breit und fünfundachtzig Fuß über die Kasten der Schaufelräder hoch sein sollen. Ein Eisenbahnzug von gewöhnlichem Umfang wiegt hundert bis hundertfünfzig Tonnen, also nicht mehr, als der nothwendige Ballast für das vorgeschlagene Fährboot; und die Frage, ob er mitzunehmen sei, ist zu beseitigen durch die Bemerkung, daß, wenn ein allgemeiner Aufbruch gemacht, Passagiere und Güter ausgeladen, eingeschifft, gelandet und wieder in den Zug gesetzt werden sollen, dies ein gänzliches Mißverstehen oder vielmehr nichts Geringeres, als eine höfliche Ablehnung des ganzen Planes ist.

Der Plan zu der Canaleisenbahnfähre ist von Herrn John Fowler entworfen worden, der den Gegenstand seit 1864 unter Händen hat. Im Vergleich mit dem oben angegebenen Umfang der beabsichtigten Fähre ist zu erwähnen, daß die Dampfer zwischen Dover und Calais gegenwärtig nur hundertneunzig Fuß lang und fünfundzwanzig Fuß breit sind. Die zwischen Folkestone und Boulogne sind zweihundertelf Fuß lang und vierundzwanzig Fuß breit. Die Reise währt jetzt zwischen Dover und Calais etwa ein und drei Viertel Stunde, und zwischen Folkestone und Boulogne etwa zwei Stunden. Herr Fowler schlägt vor, die Reise in weniger als einer Stunde zu machen, und den Bahnzug vermittelst hydraulischer Hebewerke unmittelbar auf das Boot laufen zu lassen. Die Reisenden werden diese Einschiffung des Zuges gar nicht gewahr werden, so leicht wird sie vor sich gehen; und die Zeichnungen, welche dem Unterhause vorgelegt wurden, zeigen sehr deutlich, wie diese mechanische Operation in’s Werk zu setzen ist. Die Bahnzüge der South-Eastern- und der London-Chatham-Dover-Bahn werden vereinigt werden, ehe sie auf das Boot kommen, und es ist berechnet worden, daß zwölf Wagen auf dem obern Verdeck und zwölf Güterwagen mit acht weiteren Passagierwagen auf dem zweitem Deck – dies giebt im Ganzen Raum für zweihundertachtundachtzig Reisende – Alles sein wird, was erforderlich ist. Herr Fowler und Sir William Armstrong haben die Zeit genau berechnet, die mit der Einschiffung des Zuges hingehen wird, und sind im Stande, in fünf Minuten Alles auf das obere Verdeck zu bringen, und wenn das untere Deck für einen Güterzug nothwendig ist, diesen ebenfalls in fünf Minuten an Bord zu bringen.

Das Fährboot wird aber auf den Zug unter Dach warten; denn ein mächtiges Glasdach soll über dem Wasser errichtet werden, sowohl für das Boot, als für den Zug. Sobald der Zug an Bord ist, kann der Reisende seine Wagenthür öffnen und sich entweder in eine Privatkajüte zu seiner Seite begeben, oder in einen glänzenden Erfrischungssaal gehen, oder auch auf das Verdeck steigen. Jeder, der ein amerikanisches Dampfboot gesehen hat, weiß, wie die vorgeschlagene Fähre sich ausnehmen wird. Der Wagenzug steht im Centrum eines Decksalons, gerade wie der Eßtisch in gewöhnlichen Dampfbooten, und zu beiden Seiten desselben sind Kajüten. Ueber der langen Kajüte, in welcher der Dampfzug hält, ist ein Oberverdeck, wo man bei gutem Wetter spazieren geht.

Capitain Paton, der eine Zeitlang den ‚Great Eastern‘ commandirte, hat bezeugt, das Gewicht eines Bahnzuges von zwölf Wagen würde nach seinem Dafürhalten im Vergleich mit der Tragkraft der Dampffähre so unbedeutend sein, daß es weder auf dem Ober-, noch auf dem Unterdeck irgend einen fühlbaren Eindruck machen würde; und der verstorbene Sir Luke Smithett, der den Dienst zwischen Dover und Calais dreißig Jahre versehen hat, hat sich in einer Weise ausgesprochen, welche dem Herzen jedes Reisenden wohlthun wird: ‚Die Boote würden sich viel weniger bewegen, die Seekrankheit also sehr abnehmen. Selbst stürmisches Wetter könne solchen Booten nichts anhaben, sie könnten nicht stauchen und bei der vorgeschlagenen Schnelligkeit auch nicht hin- und herrollen.‘ Diese Zeugnisse werden viele Zweifel über Thunlichkeit und Tüchtigkeit des Dampffährplanes beseitigen.

Der zweite Hafendamm oder Molo zu Dover, der ein Theil dieses Planes ist, wird einen mächtigen Ankerplatz für Schiffe hergeben; denn in Verbindung mit dem Admiralitätsdamme, der verlängert werden soll, wird er eine große ruhige Wasserfläche einschließen, wo die Dampffährboote bei jedem Wetter und jedem Fluthstande einen Hafen finden werden. Der Einschiffungspunkt an der französischen Küste soll zwischen Boulogne und Calais sein und ist nach langer Ueberlegung und Erörterung festgesetzt worden.

Der Anschlag für die Veränderungen in Dover und die Dampffähren ist eine Million Pfund Sterling, mit Ausschluß der Kosten des Hafenbaues, der an der französischen Küste zu errichten ist und wofür, wie wir hören, die Regierung von Frankreich eintreten wird.

Die Zeit zur Vollendung der Werke und bis zur Segelfertigkeit der Fährboote wird auf drei Jahre, vom Beginn der Arbeiten ab, angeschlagen. So scheint also die Canalfähre die meiste Aussicht zu haben, uns zur Ueberwindung der Unbequemlichkeiten hinweg zu helfen, welche der ‚Wassergraben‘ zwischen England und Frankreich uns jetzt verursacht; es handelt sich darum, sich in London einzusetzen, acht Stunden darauf in Paris zu sein und Bahnzüge mit Reisenden und Gütern direct und ohne Umladung von London nach Berlin oder Wien etc. schicken zu können.

Brighton, 4. Januar 1872.

A. Ruge.