Der Todesgang des armenischen Volkes/Erster Teil/Erstes Kapitel/Erster Teil/Erster Abschnitt

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1. Zeitun,


50 km nördlich von Marasch, liegt in einem Hochtal des Taurus. Die starke armenische Bevölkerung der Stadt hatte bis in die siebziger Jahre eine gewisse Unabhängigkeit und Selbstverwaltung, ähnlich wie noch heute die kurdischen Aschirets (Stämme) in Kurdistan. Zur Zeit der Massakers unter Abdul Hamid gelang es den Einwohnern von Zeitun, sich gegen die umwohnenden Türken zur Wehr zu setzen und sich gegen türkische Truppen, die herangezogen wurden, mehrere Wochen zu behaupten, bis die Konsuln der Mächte intervenierten und den Bewohnern von Zeitun eine Amnestie verschafften. Dieser Erfolg des Widerstandes der Zeituner Bevölkerung bewirkte, daß sie von dem allgemeinen Massaker von 1895/96 verschont blieben, richtete aber den dauernden Argwohn der Behörden gegen sie. Schon seit Ausbruch des europäischen Krieges scheint der Wunsch bei den Behörden bestanden zu haben, das Bergnest von Zeitun bei guter Gelegenheit auszuheben.

Bei der allgemeinen Mobilmachung im August 1914 wurden auch die wehrfähigen Armenier von Zeitun eingezogen, ohne daß sich irgend ein Widerstand dagegen erhob. Als aber im Oktober der Vorsteher der Gemeinde von Zeitun, Nazaret Tschausch,2) mit einem Geleitsbrief des türkischen Kaimakam (Landrat) nach Marasch kam, um dort amtliche Fragen zu ordnen, wurde er trotz freien Geleits ins Gefängnis geworfen, wo er gefoltert wurde und starb. Gleichwohl verhielten sich die Leute von Zeitun ruhig. Es schien aber, als ob die Behörden Anlaß zum Einschreiten suchten. Saptiehs (türkische Gendarmen), die in der Stadt den Sicherheitsdienst hatten, belästigten die Einwohner, drangen in die Häuser ein, plünderten Magazine, mißhandelten harmlose Leute und entehrten Frauen. Die Einwohner von Zeitun bekamen den Eindruck, daß man etwas gegen sie vorhabe, blieben aber ruhig. Im Dezember 1914 wurde die Auslieferung aller Waffen angeordnet, was ohne Zwischenfall erfolgte. Hätten in irgend einem späteren Zeitpunkt die Armenier von Zeitun noch an Widerstand gedacht, so wären sie nach der Entwaffnung dazu nicht mehr imstande gewesen. Es blieb denn auch den ganzen Winter über ruhig in Zeitun. Da geschah es im Frühjahr, daß türkische Gendarmen armenische Mädchen entehrten, wobei es zu einer Schlägerei kam, an der sich etwa 20 armenische Hitzköpfe beteiligten und auf beiden Seiten einige getötet wurden. Die beteiligten Armenier, unter denen sich einige Deserteure befanden, flohen, um der Bestrafung zu entgehen, in ein Kloster, das dreiviertel Stunden nördlich von der Stadt liegt, wo sie sich verbarrikadierten.

Zum Erstaunen und Schrecken der Bewohner von Zeitun kam bald darauf, es war Anfang März 1915, ein großes militärisches Aufgebot, – man sprach von vier bis sechs Tausend Soldaten – von Aleppo nach Zeitun. Das Aufgebot von Militär gegen Zeitun erregte in ganz Cilicien die größte Besorgnis.

Der armenische Katholikos von Sis schreibt unter dem 3./16. März an das Patriarchat: „Die Regierung hat Maßregeln gegen Flüchtlinge aus Zeitun getroffen. Da diese Maßregeln mit einer außergewöhnlich umfangreichen militärischen Aktion verbunden sind, die in keinem Verhältnis zu dem geringfügigen Anlaß steht, fürchten wir, daß es sich um einen Schlag gegen die loyale Bevölkerung von Zeitun handelt. Wir sind sicher, daß uns ein großes Unglück erwartet. Der aus Offizieren zusammengesetzte Kriegsgerichtshof ist vor zwei Tagen über Marasch nach Zeitun abgereist. Wir kennen die näheren Umstände nicht. Aber wir sehen deutlich, daß der Kaimakam mit dem Kommandanten von Zeitun aus Anlaß einiger Desertationen unerhörte Repressalien gegen die Einwohner von Zeitun vorbereitet. Die Einwohner von Zeitun haben sich an mich gewendet und sagen, daß die benachbarten türkischen Dörfer von der Lage Nutzen ziehen und mit Herausforderungen und Lügen auf den Kommandanten, den Kaimakam und das Militär einzuwirken suchen. Da wir diese Leute und den Mutessarif von Marasch kennen, haben wir gebeten, Seine Exzellenz Djelal Bey, den Wali von Aleppo, mit der Prüfung der Vorkommnisse zu beauftragen. Er kennt alle Verhältnisse, und wir vertrauen ihm unbedingt. Wird er mit der Untersuchung beauftragt, so sind wir sicher, daß er nach Gerechtigkeit verfahren wird.“

Der Wali Djelal Bey wurde nicht mit der Untersuchung beauftragt, sondern abberufen, weil er sich den Anordnungen der Zentralregierung in bezug auf die Behandlung der Armenier nicht fügte.

Zeitun wurde zerniert. Beim Anblick der zahlreichen Truppen wurden in der Stadt weiße Fahnen aufgezogen, zum Zeichen, daß man an keinen Widerstand denke. Die Flüchtlinge im Kloster verteidigten sich einen ganzen Tag und töteten, da sie in guter Deckung waren und gut schossen, eine größere Anzahl von Soldaten, während sie selbst nur einen Verwundeten hatten.3) Die Leute von Zeitun baten ausdrücklich den Kommandanten, die Flüchtlinge nicht entschlüpfen zu lassen, damit sie nicht für deren Missetaten haftbar gemacht würden. Gleichwohl gelang es den Flüchtlingen, da die Bewachung in der Nacht eine ungenügende war, zu entkommen. Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr, ehe noch ihr Entkommen in der Stadt bekannt war, ließ der Kommandant 300 Notable der Stadt zu einer Besprechung in das Lager rufen. Da man bis dahin in gutem Einvernehmen mit den Behörden gelebt hatte, erschienen die Zusammengerufenen, ohne einen Verdacht zu hegen. Die meisten kamen in ihrem gewöhnlichen Arbeitsanzug, nur einige hatten etwas Geld bei sich und hatten sich besser gekleidet. Zum Teil kamen sie von ihren Herden in den Bergen herein. Als sie in das türkische Lager kamen, waren sie nicht wenig erstaunt, als sie hörten, daß sie nicht in die Stadt zurückkehren dürften und ohne weiteres verschickt werden würden. Sie durften sich nicht einmal mit dem Notwendigen für die Reise versehen. Einigen wurde noch gestattet, sich Wagen kommen zu lassen, die meisten gingen zu Fuß. Wohin, wußten sie nicht.

Darauf erfolgte stoßweise die Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung von Zeitun, etwa 20 000 Seelen.4) Die Stadt hat vier Quartiere. Eins nach dem anderen wurde abgeführt, die Frauen und Kinder meist getrennt von den Männern. Nur 6 Armenier mußten zurückbleiben, von jedem Handwerk einer.

Die Deportation dauerte Wochen. In der zweiten Hälfte des Mai war Zeitun vollständig ausgeleert. Von den Einwohnern von Zeitun wurden 6 bis 8 Tausend in die Sumpfdistrikte von Karabunar und Suleimanie zwischen Konia und Eregli, im Wilajet Konia, 15 bis 16 Tausend nach Deir-es-Sor am Euphrat in die mesopotamische Steppe verschickt. Endlose Karawanen zogen durch Marasch, Adana und Aleppo. Die Ernährung war eine ungenügende. Für ihre Ansiedlung oder auch nur Unterbringung am Ziel ihrer Verschickung geschah nichts.

Ein Augenzeuge, der in Marasch die Deportierten durchkommen sah, beschreibt in einem Brief vom 10. Mai einen solchen Zug:

„Ich sah sie auf dem Wege. Ein endloser Zug, begleitet von Gendarmen, die sie mit Stöcken vorwärts trieben. Halb bekleidet, entkräftet, schleppten sie sich mehr als daß sie gingen. Alte Frauen brachen zusammen und rafften sich wieder auf, wenn der Saptieh mit erhobenem Stock sich nahte. Andere wurden vorwärts gestoßen wie die Esel. Ich sah, wie eine junge Frau hinsank; der Saptieh gab ihr zwei, drei Schläge, und sie stand mühsam wieder auf. Vor ihr ging ihr Mann mit einem zwei- oder dreijährigen Kind auf dem Arm. Ein wenig weiter stolperte eine Alte und fiel in den Schmutz. Der Gendarm stieß sie zwei- oder dreimal mit seinem Knüttel. Sie rührte sich nicht. Dann gab er ihr zwei oder drei Fußtritte, aber sie blieb unbeweglich liegen. Zuletzt gab ihr der Türke noch einen kräftigeren Fußtritt, so daß sie in den Straßengraben rollte. Ich hoffe, sie war tot. Die Leute, die hier in der Stadt ankamen, haben seit zwei Tagen nichts gegessen. Die Türken erlaubten ihnen nicht, irgend etwas außer etwa einer Decke, einem Maultier, einer Ziege mitzunehmen. Alles, was sie noch hatten, verkauften sie für so gut wie nichts, eine Ziege für 6 Piaster (90 Pfg.), ein Maultier für ein halbes Pfund, um sich Brot dafür zu kaufen. Die noch Geld hatten und Brot kaufen konnten, teilten es mit den Armen, bis ihr Geld zu Ende war. Das meiste war ihnen schon unterwegs gestohlen worden. Einer jungen Frau, die erst vor acht Tagen Mutter geworden war, hat man schon in der ersten Nacht der Reise ihren Esel genommen. Man zwang die Deportierten, alle ihre Habe in Zeitun zu lassen, damit die Muhadjirs (Einwanderer), muhammedanische Bosniaken, die man an ihrer Stelle ansiedeln will, sich gleich damit versehen können. Es müssen jetzt etwa 20 000 bis 25 000 Türken in
Zeitun sein. Der Name der Stadt wurde in Sultanieh verändert. Die Stadt und die Dörfer um Zeitun sind vollständig ausgeleert. Von den ungefähr 25 000 Verschickten wurden 15 bis 16 000 nach Aleppo dirigiert, aber sie sollen von dort weiter gehen in die arabische Wüste. Will man sie dort Hungers sterben lassen? Die hier Durchgekommenen gehen ins Wilajet Konia. Auch da gibt es Wüsten. Zwei, drei Wochen blieben sie am Endpunkt der anatolischen Bahn bei Bosanki liegen, weil die Bahn durch Truppentransporte in Anspruch genommen war. Als die Verschickten in Konia ankamen, hatten sie seit drei Tagen nichts gegessen. Die Griechen und Armenier der Stadt taten sich zusammen, um sie mit Geld und Lebensmitteln zu unterstützen, aber der Wali von Konia weigerte sich, den Verschickten etwas zukommen zu lassen: „sie hätten alles, was sie brauchten“. So blieben sie noch weitere drei Tage ohne Nahrung. Dann erst hob der Wali sein Verbot auf, und unter der Überwachung von Saptiehs durften Nahrungsmittel an sie verteilt werden. Mein Berichterstatter erzählte mir, daß auf dem Wege von Konia nach Karabunar eine junge Armenierin ihr neugeborenes Kind, das sie nicht mehr nähren konnte, in einen Brunnen warf. Eine andere hätte ihr Kind durch das Fenster aus dem Zuge geworfen.“

Am 21. Mai schreibt derselbe Augenzeuge:

„Der dritte und letzte Zug von Leuten aus Zeitun ist durch unsre Stadt gekommen, am 13. Mai gegen 7 Uhr, und ich konnte einige von ihnen in dem Chan, wo sie untergebracht waren, sprechen. Sie waren alle zu Fuß und hatten zwei Tage lang, an denen es heftig regnete, nichts gegessen. Ich sah eine arme Kleine, die länger als eine Woche barfuß marschiert und nur mit einer zerfetzten Schürze bekleidet war. Sie zitterte vor Kälte und Hunger, und die Knochen standen ihr buchstäblich aus dem Leibe. Ein Dutzend Kinder mußten auf dem Wege liegen bleiben, da sie nicht weitermarschieren konnten. Ob sie vor Hunger gestorben sind? Wahrscheinlich. Aber man wird niemals etwas davon erfahren. Ich sah auch zwei arme Greisinnen aus Zeitun. Sie gehörten zu einer reichen Familie, aber sie durften außer den Kleidern, die sie am Leibe trugen, nichts mit sich nehmen. Es gelang ihnen noch 5 oder 6 Goldstücke in ihrer Perrücke zu verbergen. Unglücklicherweise spiegelte sich auf dem Marsch die Sonne in dem Metall, und der Glanz zog die Blicke eines Saptiehs an. Er verlor keine Zeit damit, die Goldstücke herauszuholen, und machte kurzen Prozeß, indem er ihnen die Perrücken abriß.

Noch einen anderen charakteristischen Fall sah ich mit meinen Augen. Ein ehemals reicher Bürger von Zeitun führte als Trümmer seiner Habe zwei Ziegen mit sich. Kommt ein Gendarm und greift in die beiden Zügel. Der Armenier bittet ihn, er möge sie ihm lassen, und fügt hinzu, er habe so schon nichts mehr, wovon er leben könne. Statt jeder Antwort schlägt ihn der Türke krumm und lahm, bis er sich im Staube wälzt und der Staub sich in blutigen Schlamm verwandelt. Dann gab er dem Armenier noch einen Fußtritt und zog mit den beiden Ziegen ab. Zwei andere Türken betrachteten sich dies Schauspiel ohne mit der Wimper zu zucken. Keiner von ihnen kam auf den Gedanken, sich einzumischen.“

Über das Schicksal der Verbannten in Karabunar wird unter dem 14. Mai geschrieben:

„Ein Brief, den ich aus Karabunar erhielt, und dessen Wahrheit nicht anzuzweifeln ist, da der Verfasser mir bekannt ist, versichert, daß von den Armeniern, die in der Zahl von 6 bis 8 Tausend von Zeitun nach Karabunar verschickt worden sind, einem der ungesundesten Orte des Wilajets, dort täglich 150 bis 200 Hungers sterben. Die Malaria richtet Verheerungen unter ihnen an, da es vollkommen an Nahrung und Unterkunft fehlt. Welche grausame Ironie, daß die Regierung vorgibt, sie zu verschicken, damit sie dort eine Kolonie gründen; sie besitzen weder Pflug noch Saat, weder Brot noch Unterkunft, denn sie sind mit völlig leeren Händen verschickt worden.“


4. Nachträge.


1) Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.

2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.

3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.

4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.

5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.

6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.

7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“

8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.


9) Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.

10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.

13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.

14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.

16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.

17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.

18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.

19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.

20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.

21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.

22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.

23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.

24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.

25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.

26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.

27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.

28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.

29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.


30) Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.