Der Todesgang des armenischen Volkes/Erster Teil/Erstes Kapitel/Zweiter Teil/Vierter Abschnitt

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4. Wilajet Kharput (Mamuret ül Aziz).


Das Wilajet Kharput zählte unter 575 300 Einwohnern 174 000 Christen, nämlich 168 000 Armenier, 5000 Syrer und 1000 Griechen. Die muhammedanische Bevölkerung setzt sich zusammen aus 180 000 schiitischen Kisilbasch, 95 000 Kurden (75 000 seßhaften und 20 000 Nomaden), 126 300 Türken.

Ende Juni und Anfang Juli, um dieselbe Zeit, zu der in den Wilajets Trapezunt, Erzerum und Siwas die allgemeine Deportation stattfand, wurde auch die Deportation der armenischen Bevölkerung der Provinz Kharput durchgeführt. In den offiziellen türkischen Communiqués wird wiederholt erklärt, daß nur aus den strategisch bedrohten Grenzgebieten Armenier deportiert worden seien. Das Wilaiet Kharput liegt völlig abseits von jedem Kriegsschauplatz mitten im Lande, in die gewaltigen Hochgebirgsketten eingebettet, die das Innere von Kleinasien fast unzugänglich machen, kein Russe oder Engländer hatte je Aussicht, hierherzukommen.

Über den Hergang bei der Deportation der armenischen Bevölkerung von Kharput berichtet der amerikanische Konsul von Kharput, Leslie A. Davis, das Folgende.

Der Inhalt des Berichtes stimmt mit Nachrichten aus deutscher Quelle überein.

Amerikanischer Konsularberlcht.

Kharput, den 11. Juli 1915.

„Der erste Transport erfolgte in der Nacht des 23. Juni. Darunter waren einige Professoren des amerikanischen Kollege und andere angesehene Armenier, sowie der Prälat der armenisch-gregorianischen Kirche. Es liefen Gerüchte um, daß sie alle getötet seien, und es ist leider kaum zu bezweifeln, daß es der Fall ist. Alle armenischen Soldaten sind ebenfalls auf die gleiche Weise fortgeschickt worden. Nachdem sie verhaftet waren, wurden sie in einem Gebäude am Ende der Stadt eingesperrt. Es wurde kein Unterschied gemacht zwischen denen, die ihre gesetzliche Abgabe für die Militärbefreiung gezahlt hatten, und denen, die es nicht getan hatten. Das Geld wurde angenommen, und dann wurden sie arretiert wie die andern und mit diesen weggeschickt. Es hieß, sie sollten irgendwohin gebracht werden, um auf den Straßen zu arbeiten, aber niemand hat wieder von ihnen gehört, und zweifellos ist ihre Arbeit nur ein Vorwand gewesen.

Wie zuverlässige Berichte über einen gleichen Vorfall erkennen lassen, der sich am Mittwoch den 7. Juli abspielte, ist ihr Schicksal so gut wie entschieden. Am Montag den 5. Juli wurden viele Männer arretiert und sowohl in Kharput als auch in Mesereh[1] ins Gefängnis geworfen. Am Dienstag bei Tagesanbruch wurden sie herausgeholt und mußten in der Richtung auf einen fast unbewohnten Berg zu marschieren. Es waren zusammen, etwa 800 Leute, in Gruppen von jedesmal 14 aneinandergebunden. An jenem Nachmittag kamen sie in einem kleinen kurdischen Dorf an, wo sie in der Moschee und anderen Gebäuden übernachteten. Während dieser ganzen Zeit hatten sie weder Essen noch Wasser. All ihr Geld und viele ihrer Kleidungsstücke waren ihnen abgenommen worden. Am Mittwoch früh wurden sie in ein Tal gebracht, welches einige Minuten entfernt war. Dort hieß man sie alle sich hinsetzen. Dann fingen die Gendarmen an, auf sie zu schießen, bis sie fast alle getötet waren. Einige von ihnen, die von den Kugeln nicht dahingerafft waren, wurden mit Messern und Bajonetten beseitigt. Einzelnen war es gelungen, das Seil, mit dem sie an ihre Leidensgefährten gebunden waren, zu zerreißen und zu flüchten. Aber die meisten von ihnen wurden bei der Verfolgung getötet. Die Zahl derer, die dennoch davon gekommen sind, ist sicher nicht mehr als zwei oder drei.

Unter den Getöteten war der Schatzmeister des amerikanischen Kolleges. Ferner gehörten viele andere angesehene Männer dazu. Eine Anklage irgend welcher Art ist niemals gegen diese Leute erhoben worden. Arretiert und getötet wurden sie mur, weil der allgemeine Plan besteht, die armenische Rasse zu beseitigen.

Gestern abend sind mehrere Hundert weiterer Männer, sowohl solche, die von der Zivilbehörde verhaftet waren, als auch solche, die als Soldaten ausgehoben waren, in einer anderen Richtung abgeführt und in ähnlicher Weise ermordet worden. Es soll an einem Ort geschehen sein, der keine zwei Stunden von hier entfernt ist. Wenn es ein wenig ruhiger geworden ist, werde ich hinausreiten und versuchen, selbst festzustellen, was daran ist.

Dieselbe Sache ist systematisch in unseren Dörfern durchgeführt worden. Vor ein paar Wochen wurden 300 Männer aus Itschmeh und Habusi, zwei Dörfern, vier und fünf Stunden von hier entfernt, zusammengebracht und dann in die Berge geführt und massakriert. Das scheint vollkommen sicher zu sein. Viele Frauen aus jenen Dörfern sind seitdem hier gewesen und haben es berichtet. Gerüchte von ähnlichen Ereignissen an anderen Orten gehen um. Es scheint ein definitiver Plan vorzuliegen, alle armenischen Männer zu beseitigen. Doch wurde nach der Abreise der Familien während der ersten paar Tage, an denen der Zwangsbefehl vollstreckt wurde, bekannt gegeben, daß Frauen und Kinder, die keine Männer in der Familie hätten, vorläufig dableiben könnten. Da hofften viele, das Schlimmste sei vorüber. Die amerikanischen Missionare fingen an, Pläne zu machen, um den Frauen und Kindern, die ohne Mittel für ihren Unterhalt zurückgeblieben waren, zu helfen. Man dachte daran, vielleicht ein Waisenhaus zu errichten, um für einige der Kinder zu sorgen, besonders für diejenigen, die in Amerika geboren und dann von ihren Eltern hierher gebracht worden waren, und auch für diejenigen, deren Eltern in irgend einer Weise mit der amerikanischen Mission verbunden gewesen waren. Es wäre reichliche Gelegenheit gewesen, wenn auch nicht ausreichende Mittel vorhanden waren, auch für Kinder zu sorgen, die mit den Deportierten aus anderen Wilajets hier durchkamen, und deren Eltern unterwegs gestorben sind.

Ich ging gestern zum Wali, um mit ihm darüber zu sprechen, und erhielt eine glatte Absage. Er sagte: „Wir könnten diese Leute unterstützen, wenn wir wollten, aber Waisenhäuser für die Kinder einzurichten, sei Sache der Regierung, und wir könnten keine derartige Arbeit in die Hand nehmen.“

Eine Stunde, nachdem ich den Wali verlassen hatte, wurde bekannt gegeben, daß alle hier noch zurückgebliebenen Armenier einschließlich der Frauen und Kinder am 13. Juli fortmüßten.“

Der Konsul schließt seinen Bericht mit der Bemerkung, daß „ein Hilfswerk voraussichtlich unnötig sein wird, da alle überlebenden Männer getötet werden und die noch verbleibenden Frauen und Kinder gezwungen sein werden, den Islam anzunehmen.“

Geld, das von Erzerum und Erzingjan für die Deportierten an die Adresse der Amerikaner von Kharput gesandt wurde, wurde vom Postamt nicht ausgezahlt.

Ein amerikanischer Missionar aus Kharput schreibt:

„Obwohl ich den Verlust von Hunderten von Freunden beklage, will ich doch versuchen, für einige Augenblicke meinen tiefen Schmerz zurückzudrängen, um mit wenigen Worten die große Not zu beschreiben, die ich zu meinem tiefen Leidwesen weder verhindem noch lindern konnte. Vielleicht kann ich durch mein Schreiben dazu mitwirken, daß Mittel und Wege gefunden werden, um den kleinen Überrest zu erhalten.

Das amerikanische Kollege in Kharput hat die folgenden Verluste zu verzeichnen:

Von unseren Gebäuden befinden sich sieben in den Händen der Regierung; eines von diesen wird von Gendarmen bewohnt, die andern stehen leer. Die Verluste an Habe, Gut und Menschenleben kann ich nicht genau angeben. Manches ist geraubt, anderes zerstört und verschüttet, so daß wir kaum hoffen können, das Verlorene je wieder in unseren Besitz zu bringen.

Vom Euphrat-Kollege (dies ist der Name des amerikanischen Kollege in Kharput) sind die Mehrzahl unserer Schüler und Schülerinnen, etwa zwei Drittel der Mädchen und sieben Achtel der Knaben, deportiert worden. Sie sind teils getötet, teils verschickt, teils in türkische Harems gebracht worden. Von den Professoren des Kollege sind vier getötet worden und drei am Leben geblieben.

Professor M. Tenekedjian, der 35 Jahre am Kollege tätig war, wurde am 1. Mai verhaftet und ins Gefängnis geworfen, wo ihm Haare und Bart ausgerissen wurden, um durch diese Foltern Geständnisse zu erzwingen. Nachdem er tagelang kein Essen bekommen hatte, hängte man ihn an den Händen auf und ließ ihn Tag und Nacht so hängen. Am 20. Juni wurde er mit einem Transport nach Diarbekir verschickt und unterwegs getötet.

Professor Kh. Nahigian, der 25 Jahre am Kollege Physik lehrte, wurde am 5. Juni verhaftet, in die Verbannung geschickt und getötet.

Professor H. Budjiganian war 16 Jahre am Kollege tätig. Er hatte in Edinburg studiert und lehrte Philosophie und Psychologie. Er wurde ebenfalls verhaftet, erlitt dieselben Torturen wie Professor Tenekedjian, außerdem wurden ihm drei Fingernägel ausgerissen; auch er wurde getötet.

Professor Worberian war 20 Jahre am Kollege tätig. Im Juli wurde er verhaftet. Als im Gefängnis andere Armenier vor seinen Augen zu Tode geprügelt wurden, erkrankte er an Geistesstörung; später wurde er mit seiner Familie nach Malatia verschickt und dort getötet.

Die drei Professoren, die am Leben blieben, konnten demselben Schicksal nur dadurch entgehen, daß sie einen hohen Preis zahlten.

Professor Sogigian stand 25 Jahre im Dienste des Kolleges. Er wurde am 1. Mai verhaftet. Da er im Gefängnis erkrankte, entging er den Folterungen und kam ins Hospital. Er zahlte eine hohe Summe und blieb seitdem verschont.

Professor Chatschadurian war 15 Jahre als Musiklehrer am Kollege tätig. Er wurde begnadigt, da er dem Statthalter viele Dienste erwiesen hatte.

Professor Lüledjian stand 15 Jahre im Dienst des Kolleges. Er hatte in Cornell [WS 1] und Yale studiert und lehrte Biologie. Er wurde am 5. Juni verhaftet und im Gefängnis geschlagen. Der Wali selbst beteiligte sich an der Prügelung. Als er dabei ermüdete, sagte er zu den anderen, wer seine Religion und sein Volk lieb habe, möge weiter schlagen. Der Geprügelte verlor das Bewußtsein, wurde in ein dunkles Verließ geworfen und dann, schwer verwundet, in ein Hospital gebracht.

Von der Knabenabteilung wurden 4 Lehrer getötet; von drei anderen fehlt jede Nachricht, wahrscheinlich sind sie getötet. Zwei weitere liegen krank im Hospital, einer ist verschwunden, und einer kam frei, weil er sein Haus an den Wali vermietet hat. Ein anderer Armenier kam frei, weil er der Tischler des Wali war.

Eine Zusammenstellung unserer Verluste ergibt, däß wir sieben Achtel der Gebäude, drei Viertel der Kinder und die Hälfte unserer Lehrer eingebüßt haben. Drei Viertel der ganzen Bevölkerung Kharputs, unter ihnen Kaufleute, Lehrer, Prediger, Priester, Regierungsbeamte, sind verschickt worden. Die übrigen haben keine Gewähr, daß sie werden bleiben können, da der Wali darauf besteht, daß alle verschickt werden. Einzelne haben hohe Summen für ihre Befreiung gezahlt. Man sollte etwas tun, um den Rest zu schützen. Der deutsche Botschafter in Konstantinopel hat für das armenische Personal des deutschen Waisenhauses in Mesereh, Waisenkinder, Lehrerfamilien und Dienstpersonal, zusammen einige 100 Personen, die Erlaubnis, dort zu bleiben, erwirkt. Falls keine Schritte getan werden, müssen wir damit rechnen, daß man die Schülerinnen unseres Kolleges vor unseren Augen in die türkischen Harems schleppt.“

Die Zahl der in den Wilajets Trapezunt, Erzerum, Siwas und Kharput teils massakrierten teils deportierten armenischen Bevölkerung wird in dem Bericht eines amerikanischen Missionars auf 600000 geschätzt.

Malatia.

In Malatia gab es etwa 10 bis 12 000 Armenier. Ein Deutscher, der unmittelbar vor der Deportation Malatia verließ, berichtet über die Dinge, die der Ausführung der Maßregel vorhergingen, das Folgende:

„Der Mutessarif Nabi Bey, ein äußerst freundlicher und wohlgesinnter alter Herr, wurde etwa im Mai abgesetzt, nach unserer Vermutung, weil er die Maßregeln gegen die Armenier nicht mit der gewünschten Härte unternommen haben würde.

Sein Stellvertreter, der Kaimakam von Arrha, war der Mann dazu. Seine Armenierfeindschaft und gesetzlose Handlungsweise waren kaum zu bezweifeln. Er ist wohl neben einer Klique reicher Beys für eine willkürliche Verhaftung vieler Armenier, eine unmenschliche Anwendung der Bastonnade und auch heimliche Tötung von armenischen Männern verantwortlich zu machen. Der rechtmäßige Nachfolger, Reschid Pascha, der Ende Juni aus Konstantinopel kam, ein gewissenhafter Kurde von geradezu erstaunlicher Herzensgüte, tat vom ersten Tage seiner Amtsführung an alles, was in seinen Kräften stand, um das Los der zahlreichen armenischen Männer im Gefängnis zu mildern, Übergriffe der irregulären Soldaten und Saptiehs gegen die armenische Bevölkerung zu verhindern und eine gesetzmäßige und humane Erledigung der äußerst schwierigen Angelegenheit zu ermöglichen, teilweise nicht ohne sich selbst in Gefahr und in die übelste Lage zu bringen. Trotz seiner Strenge genoß er auch bei dem größten Teile des armenischen Volkes den Ruf eines gerechten, unbestechlichen und warmherzigen Mannes. Leider war das, was in seinen Kräften stand, nur gar zu wenig. Die Bewegung war bei seiner Ankunft schon zu sehr erstarkt, die Gegenpartei zu mächtig, die ausführenden Organe seiner Gewalt zu wenig zahlreich und zu unzuverlässig, als daß er in durchgreifender Weise den Standpunkt des Rechts hätte vertreten können. Er erlag der Gewalt seiner Gegner, brach binnen weniger Tage gesundheitlich und seelisch zusammen. Noch während seiner schweren Krankheit tat er unter Aufbietung aller Kräfte alles, um den sicheren Transport der Verbannten und ihre Verpflegung zu gewährleisten.

Den Aufbruch der Armenier von Malatia hatte er von Woche zu Woche verschoben, teils in der stillschweigenden Hoffnung, es könne ihm noch gelingen, eine Gegenordre zu erwirken, woran er sehr gearbeitet hat, teils, um alle Vorbereitungen für eine humane Durchführung der Deportation treffen zu können. Schließlich hat er den strengen Weisungen der Zentralregierung und dem Druck der Gegenpartei in der Stadt nachgeben müssen.

Vor der Deportation, die Mitte August erfolgte, fand Anfang Juli ein Massenmord unter der männlichen Bevölkerung statt.“


4. Nachträge.


1) Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.

2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.

3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.

4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.

5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.

6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.

7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“

8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.


9) Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.

10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.

13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.

14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.

16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.

17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.

18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.

19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.

20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.

21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.

22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.

23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.

24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.

25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.

26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.

27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.

28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.

29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.


30) Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.




Anmerkungen

  1. Mesereh ist die Unterstadt von Kharput.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cornal