Der Trost einer armen Wittwe

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Titel: Der Trost einer armen Wittwe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 717–719
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus den Erinnerungen eines Gefängnißinspectors.
3. Der Trost einer armen Wittwe.

In den Gefängnissen macht sich zu Zeiten eine Anhäufung gewisser Arten von Verbrechern bemerkbar. Namentlich ist das der Fall bei Meineidigen, bei Verbrechern gegen die Sittlichkeit, bei Kindesmörderinnen und bei Fälschern. Es ist gar nicht selten, daß diese Verbrechen längere Zeit hindurch nur ganz vereinzelt dastehen und daß dann urplötzlich aus den verschiedensten Classen der Gesellschaft sich eine Menge von jener Vergehen Angeschuldigten zusammenfinden und gleichzeitig das Gefängniß bevölkern. Ob dies reiner Zufall ist, oder ob dies durch irgend eine gleichartige geistige Einwirkung verursacht wird, das mag hier, wo nur erzählt werden soll, dahingestellt bleiben.

Vor einiger Zeit waren die Fälscher in dem Gefängnisse, das ich zu beaufsichtigen hatte, eine wahre Seltenheit. Da, mit einem Male, kamen an einem Tage vier und im Laufe derselben Woche noch sechs Fälscher zur Haft. Die Zahl steigerte sich in einem Zeitraume von noch nicht ganz drei Wochen auf siebzehn. Dann hörte die Zunahme wieder auf.

Bei dieser Gruppe Fälscher war die gleichartige Verübung des Verbrechens oder, was wohl bezeichnender ist, die Benutzung desselben Mittels zur Ausführung der That auffällig: es waren in der überwiegenden Mehrzahl sogenannte Wechselfälscher. Charakteristisch zeigten sich indeß nur zwei Persönlichkeiten, ein Kaufmann und ein gewöhnlicher Handwerker. Beide standen auf verschiedener Bildungsstufe und hatten in verschiedenen Gesellschaftskreisen sich bewegt. Der Eine hatte im Ueberflusse und alle Tage scheinbar als reicher Mann herrlich und in Freuden gelebt, der Andere im Schweiße seines Angesichts sein Brod gegessen; und dennoch hatten Beide dasselbe Mittel gewählt, um widerrechtlich Vortheile zu erwerben und sich zu bereichern.

Der Kaufmann Voigtsberg – von dem ich zuerst erzählen will – war nicht gerade ein schöner Mann, denn dazu fehlte die Uebereinstimmung der Körperformen, aber er verband mit einem passabeln Aeußern eine geschmeidige Gelenkigkeit in seinen Bewegungen und eine äußerst biegsame, einschmeichelnde Sprache, so daß er immer als eine angenehme Erscheinung gelten konnte.

Ich hatte noch keinen Gefangenen beherbergt, der mit so heiterm Sinn die Schwelle des Gefängnisses überschritten hatte; ich behaupte nicht zuviel, wenn ich sage: er tanzte lächelnd und singend darüber hinweg.

Als er sich in dem kleinen Raume umgesehen und außer Tisch und Bank nichts von Geräthschaften wahrgenommen hatte, hörte er zwar auf mit Singen, aber er lachte so laut und so anhaltend, daß es mir ganz unheimlich wurde. Ich dachte mir, daß der Ort, wo wir uns befanden, unter allen Umständen so entsetzlich sein müsse, daß wenigstens bei dem ersten Betreten ein Ergriffensein gar nicht unterdrückt werden könne, und vermochte nicht herauszufinden, weshalb Voigtsberg hiervon eine Ausnahme machte. Dieser ließ mir auch nicht viel Zeit Betrachtungen anzustellen, er trat, immer noch lachend, dicht an mich heran, und lachend fragte er:

„Herr Inspector, ist das Alles, was Sie mir bieten?“

„Nein!“ erwiderte ich kurz.

„Und was habe ich,“ fragte er weiter, „von Ihrer Güte noch zu erwarten?“

„Einen Strohsack mit Decke,“ versetzte ich ernst.

„Sonst nichts?“

„Zunächst nichts mehr.“

„Das ist allerdings wenig,“ entgegnete hierauf Voigtsberg, „indeß für einen genügsamen Menschen, wie ich bin, immerhin genug, um selbst einige Tage lang damit auszukommen.“

„Aber auch auf länger?“ fragte ich unwillkürlich.

„Ich denke, daß ich das nicht nöthig haben werde,“ versetzte er leichthin. „Mein Hiersein ist lediglich Folge eines Mißverständnisses, das sich jedenfalls bald aufklären wird. Dann –“

Er vollendete nicht, wendete sich vielmehr von mir ab und schritt in der Zelle auf und nieder. Ich hörte nicht mehr lachen und singen, Voigtsberg war mit einem Male still und auch ernst geworden.

Das überraschte mich nicht; die Lustigkeit konnte auf eine lange Dauer nicht vorhalten, sie mußte dem Ernste Platz machen. Die Umwandlung war mir nur ein wenig zu schnell und eigentlich ohne zureichende Veranlassung eingetreten; meine Frage, auf die er ja auch hätte vorbereitet sein müssen, konnte unmöglich tief eingewurzelte Gewohnheiten so urplötzlich beseitigen, nicht so im Umsehen den Frohsinn bannen, den finstern Ernst heraufbeschwören und so den Charakter des Mannes ändern.

Sollte er es auf eine Täuschung abgesehen haben?

Mit diesen Gedanken trat ich aus dem Gefängnisse heraus, schloß die Thür ab, hing das große, schwere Vorlegeschloß mit Geräusch in die eiserne Krampe und entfernte mich mit festen, starken Schritten.

Jede Gefängnißthür hat eine mit einer Klappe geschlossene kleine Oeffnung, welche dazu dient, das Thun und Treiben des Gefangenen belauschen zu können. Die Klappe kann nur von außen weggeschoben werden, und wenn das mit Vorsicht ausgeführt wird, so wird innerhalb der Zelle davon gar nichts wahrgenommen.

Ich wollte wissen, wie Voigtsberg sich nach meiner Entfernung benehmen werde, und kehrte daher leisen Trittes zur Thür zurück, schob die Klappe unhörbar fort und sah nun durch die kleine Oeffnung in das Gefängniß hinein.

Voigtsberg saß auf der Bank, die Arme ruhten ausgestreckt auf dem Tische, der Kopf war tief auf die Brust herabgesunken; in das Gesicht konnte ich nicht blicken. Er rührte sich nicht. Ich hatte ein Bild der tiefsten Niedergeschlagenheit, der größten Muthlosigkeit vor mir. Dies überzeugte mich, daß der Frohsinn erheuchelt [718] gewesen war, daß derselbe den Deckmantel für eine gewiß nicht geringe Schuld hatte abgeben müssen. Ich wartete wohl zehn Minuten auf eine Veränderung in der Stellung des Mannes, auf ein Zeichen von Leben; aber er verblieb unverändert in seinem dumpfen Hinbrüten.

Ich hatte genug gesehen, die Klappe fiel unhörbar zu.

Dieser Gefangene machte mir einige Tag lang viel zu thun. Seine Verhaftung war ganz unerwartet ausgeführt worden und hatte großes Aufsehen gemacht, es wurde in allen Häusern davon gesprochen.

Schon am folgenden Tage fanden sich eine Menge Leute bei mir ein und verlangten mit Voigtsberg zu sprechen. Sie behaupteten sämmtlich, ihm Geld geliehen zu haben, und nannten nicht selten erhebliche Summen. Später kamen auch Landleute in derselben Absicht zu mir; auch sie wollten Darlehen zurückfordern. Es versteht sich von selbst, daß sich die Leute vergeblich bemüht hatten und ihre Absicht nicht erreichten.

Aus diesen Besuchen und den mir dabei gemachten Mittheilungen ging aber hervor, daß Voigtsberg keineswegs der reiche Mann war, für den er im Orte gehalten wurde, daß er ungeheuer viel Schulden und gewiß zum großen Theil mit fremden Geldern gewirthschaftet hatte. Ich wunderte mich, wie ihm von so verschiedenen Seiten das Geld hatte zugeschleppt, wie ihm dasselbe, ohne irgend welche Sicherstellung, förmlich hatte aufgedrungen werden können. Als ich einen Landmann, der nach und nach über viertausend Thaler geliehen haben wollte, darnach fragte, erwiderte dieser geheimnißvoll: „I, das will ich Ihnen im Vertrauen sagen. Wenn wir Bauern unser Geld in die Sparcasse tragen, so erfährt der Landrath, wie viel wir alle Jahre erübrigen und zurücklegen; der steckt die Nase überall hin, auch in die Bücher der Sparcasse. Und die Folge davon ist? Merken Sie nichts? Na, im nächsten Jahre tritt, wie zufällig, eine Steuer-Erhöhung ein. Und wenn dann reclamirt wird, so hilft das nichts, denn in dem Contobuche der Sparcasse steht es Schwarz auf Weiß, daß Hans oder Kunz so und so viel erspart hat. Bei Voigtsberg hatten wir so Etwas nicht zu befürchten, der ist verschwiegen. Außerdem zahlt er auch vier Procent Zinsen, während die Sparcasse nur drei und ein Drittel Procent giebt.“ –

Voigtsberg sprach niemals über seine Vermögensverhältnisse; er erwähnte auch niemals seiner Frau und seiner Kinder, er that ganz so, als stehe er allein, als habe er da draußen, außerhalb der Gefängnißmauern, keinen Menschen, der Theil an ihm nähme. Ueber seine Führung konnte ich nicht klagen. Den Beamten gegenüber war er anspruchslos und fügsam, nie mürrisch, stets freundlich und heiter und immer aufgelegt, irgend eine humoristische Erzählung aus seinen Erlebnissen zum Besten zu geben. Ganz anders war aber sein Verhalten, wenn er sich unbeobachtet wähnte.

Ich bin oft an seine Zelle herangeschlichen und habe durch die Thüröffnung sein Thun und Treiben unbemerkt belauscht – obschon ich eigentlich diese Spionirlöcher und dies ganze Spionirsystem auf das Tiefste verabscheue. Es gewährte mir unwiderstehliches Interesse, mit eigenen Augen zu sehen, wie ein Mann, der eben erst gescherzt und gelacht, der in der launigsten und unschuldigsten Weise mich unterhalten hatte, wenige Augenblicke später dem größten Trübsinn anheimgefallen war und entweder regungslos auf der Bank saß oder gegen die Wand sich gelehnt hatte und in dieser Stellung Stunden lang verbleiben konnte.

Allein auch umgekehrt habe ich Wahrnehmungen gemacht. Wenn Voigtsberg für nichts weiter Sinn zu haben schien, als für seinen Schmerz, oder auch, wie ich wenigstens annehmen zu müssen glaubte, für seine Schuld, und ich dann so eilfertig, als ich dies nur zu thun vermochte, die Gefängnißthür öffnete, so trat mir derselbe wiederum freundlich, beweglich und gesprächig entgegen; nur einige Male war er nicht im Stande, eine Befangenheit zu unterdrücken, welche die Freiheit seines Auftretens beeinflußte. Die Haft hatte bereits über zwei Monate gedauert, das Mißverständniß sich noch immer nicht aufgeklärt; im Gegentheil, es war Anklage erhoben und Voigtsberg wegen Wechselfälschung definitiv in Anklagestand versetzt worden.

Die Verhandlung vor den Geschworenen war eine der interessantesten, der ich beigewohnt habe. In dem Wechsel, welcher durch Voigtsberg gefälscht sein sollte, war bis auf die Unterschnft jedes Wort lesbar, mit fester Hand und schwarzer Tinte geschrieben. An der Stelle, wo die Unterschrift gestanden haben sollte, waren dagegen nur einige Striche von einer schwachen, dunkeln Färbung ohne allen Zusammenhang erkennbar. Man konnte diese Striche nicht einmal als Theile eines Buchstabens ansehen und mußte sie für Schmutzflecken halten, die zufällig entstanden, aber nicht wieder zu beseitigen waren. Die Staatsanwaltschaft behauptete nun, daß die Unterschrift absichtlich mit Tinte, welche nach und nach verflüchtigt und verblichen, geschrieben und auf diese Weise gefälscht sei. Zum Beweise dieser Behauptung sollte die Unterschrift durch einen Chemiker vor den Geschworenen wieder hergestellt und die Echtheit sodann durch Schreibverständige dargethan werden.

Es war eine eigenthümliche Fälschung und eine ebensolche Beweisführung, das Ergebniß der Untersuchung daher sehr zweifelhaft, und dies erhielt bei Betheiligten und Unbeteiligten eine Spannung, welche sich in Worten gar nicht wiedergeben läßt.

Voigtsberg zeigte sich, wie er im Gefängniß gewesen war, sobald ich oder ein anderer Beamter ihm gegenübergestanden hatte. Frei von jeder Gemüthsbewegung, gab er auf die ihm vorgelegten Fragen lächelnd Antwort; es war keine Unruhe an ihm bemerkbar, und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß er allein ruhig zu sein schien, während die Hunderte von Menschen, welche der Verhandlung beiwohnten, nicht im Stande waren, eine mit Sorge und Furcht gemischte Neugierde zu unterdrücken. Ich konnte von vielen Gesichtern ablesen, daß an der Schuld des Angeklagten gezweifelt, oder doch, daß tief im Innern gewünscht wurde, der Beweis möge mißglücken, die Schuld nicht dargethan werden und der Angeklagte frei ausgehen, der Gesellschaft und seiner Familie wiedergegeben werden. Bei vielen Anwesenden mochten dies allerdings selbstsüchtige Wünsche sein, denn ich bemerkte darunter viele Gläubiger des Angeklagten, welche in der Erfüllung dieses Wunsches gewiß die einzige Möglichkeit sahen, ihr Geld wieder zu erhalten.

Die Hauptzeugin, eine schon bejahrte Dame, die Wittwe eines Beamten, erzählte, daß sie auf Anrathen eines guten Freundes ihr erspartes und erdarbtes Vermögen, bestehend in eintausend fünfhundert Thalern, aus der Sparcasse entnommen und, um mehr Zinsen zu erhalten, an Voigtsberg geliehen; daß dieser den Schein – so nannte sie den Wechsel – eigenhändig unterschrieben und daß sie die Unterschrift noch in ihrer Wohnung gesehen habe. Als sie kurze Zeit darauf den Schein ihrem guten Freunde habe vorzeigen wollen, sei von der Unterschrift nichts mehr zu sehen gewesen. Sie versicherte hoch und theuer, daß der vorliegende Wechsel derselbe sei, welchen Voigtsberg unterschrieben habe.

Diese Aussage fand nur eine entfernte Unterstützung in dem Zeugnisse des „guten Freundes“ und einer andern Dame, welche Beide bekundeten, daß die Wittwe ihnen mitgetheilt habe, sie wolle dem Angeklagten Geld leihen. Die Sache lag so, daß eine Freisprechung zu erwarten war, wenn die Unterschrift nicht hergestellt werden konnte. Der chemische Sachverständige trat vor; ihm zur Seite befanden sich die Schreibverständigen.

Während der Erstere die nothwendigen Vorbereitungen traf, nahm Voigtsberg, der bis dahin aufrecht gestanden hatte, auf der Verbrecherbank Platz. Er mußte müde geworden sein, er stützte den Kopf durch Auflegen auf die rechte Hand. Auf das, was der Sachverständige vornahin, hatte er gar keine Aufmerksamkeit, nicht ein einziges Mal wandte er den Kopf nach der Stelle hin, wo dieser sich beschäftigte. Ich hatte ebenfalls nicht darauf geachtet, vielmehr unausgesetzt nur Voigtsberg im Auge behalten, weil dieser allein mich interessirte. Da, wie durch eine Feder emporgeschnellt, sprang Voigtsberg von seinem Sitze in die Höhe, die Hände griffen nach der Lehne der Bank und klammerten sich hier krampfhaft fest, der Kopf beugte sich in der Richtung, in welcher die Sachverständigen thätig waren, weit vor, so daß ich fürchtete, der Oberkörper müsse das Uebergewicht erhalten und ein Niederstürzen herbeiführen; das Auge hatte sich ganz ungewöhnlich vergrößert und war stier geworden, und in dem Gesicht drückte sich eine Angst des Herzens und der Seele aus, welche unwillkürlich Entsetzen einflößte. Dieser Zustand war durch mehrstimmige Ausrufungen veranlaßt.

Der chemische Sachverständige hatte die Unterschrift hergestellt; das allmähliche Klarwerden der Schriftzüge und endlich das vollständige Gelingen seines Unternehmens hatten jene Ueberraschung und Freude ausdrückenden Rufe laut werden lassen.

[719] Voigtsberg war jedenfalls nicht theilnahmlos gewesen; er hatte auch hier täuschen wollen, der Entwickelung aber mit größter Spannung entgegengesehen und das Mißlingen gewiß mit Zuversicht erwartet. Die Rufe, welche von ihm gehört sein mußten und in ihrer Bedeutung nicht mißverstanden werden konnten, rissen ihm die Larve von dem Gesicht und stellten ihn in seiner Natürlichkeit dar. Sein Muth war gebrochen, Widerstand nicht mehr zu erwarten. Als ihm der Wechsel und insbesondere die vollständig lesbare Namensunterschrift vorgewiesen wurde, da weinte er wie ein Kind und unter Schluchzen legte er ein umfassendes Geständniß ab.

Die Strafe wurde hoch bemessen und auf sechs Jahre Zuchthaus und eine namhafte Geldbuße festgesetzt. –

Am Tage darauf kam ich zu einer ungewöhnlichen Stunde auf den Corridor, auf welchem sich die Zelle des Voigtsberg befand. Zu meiner größten Verwunderung bemerkte ich, daß eine Dame durch die Thüröffnung in diese Zelle hineinsah. Ihre Aufmerksamkeit war durch das, was sie sah, gefesselt; sie bemerkte nicht einmal meine Annäherung, obgleich diese nicht eben leise erfolgte. Erst als ich sie hastig und ungestüm von der Thür wegschob, wendete sie sich erschrocken mir zu. Ich hatte die Wittwe vor mir. Auf meine Frage: was sie hier suche? erwiderte sie nur: „Das ist schrecklich! Hier müßten Alle hergeführt werden, die Böses thun wollen; sie würden die schon ausgestreckte Hand zurückziehen, niederfallen auf ihre Kniee, die Hände falten und beten: ‚Führe Du, lieber Gott, mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich von allem Uebel.‘ Wissen Sie, lieber Herr, ich habe mein ganzes Vermögen verloren, ich bin durch den Mann da drinnen ganz arm geworden und muß nun auf meine alten Tage Entbehrungen ertragen und Noth leiden; allein ich nehme von hier den Trost mit hinweg, daß ich ein ruhiges Gewissen habe und daß über mich keine solchen Leiden kommen können, wie sie der Mann da drinnen tragen muß.“

Die Frau konnte nicht weiter sprechen. Ein Unterbeamter trat zu uns und bekannte, daß er durch vieles Bitten sich habe bewegen lassen, die Frau hierher zu führen, welche Voigtsberg nur einmal im Gefängnisse habe sehen wollen. Es war dies eine Dienstwidrigkeit, die strenge Ahndung verdient hätte, diesmal aber nur mit einem Verweise gerügt wurde. Denn ich mußte der Wittwe Recht geben, daß es Viele abhalten müßte, Böses zu thun, wenn ihnen Gelegenheit gegeben würde, die bewohnten Gefängnisse in Augenschein zu nehmen.