Der Uhrendieb

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Autor: Collmann
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Titel: Der Uhrendieb
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 139
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[139] Der Uhrendieb. Erinnerung an den letzten Krieg. Nach einem starken Marsch, der uns über Avenay geführt hatte, war unsere Compagnie am Nachmittag des 8. September 1870 in’s Quartier nach Mutigny gekommen, einem kleinen Dorfe, welches bis dahin deutsche Einquartierung noch nicht gehabt hatte. Malerisch auf einer kleinen Anhöhe gelegen, wurde es umgeben von den herrlichsten Weingeländen, aus denen uns strotzende Champagnertrauben verlockend entgegen lachten.

Mein Quartierwirth, Victor Jobin, war ein armer, aber braver Gärtner, der sehr erfreut war und mittheilsam wurde, als er sah, daß der erste der so sehr gefürchteten Preußen, welcher seine Schwelle überschritt, nicht nur ein Mensch war, wie er selbst, sondern sich noch dazu ganz leidlich mit ihm in seiner Muttersprache zu verständigen wußte. Bald war dies in der ganzen Nachbarschaft bekannt geworden, und nun kamen eine Menge Einwohner zu mir, die sich mit der Einquartierung nicht verständigen konnten, oder sonst Anliegen oder Beschwerden hatten, um mich als Dolmetscher zu benutzen. Müde, wie ich war, suchte ich mich der schnatternden Gesellschaft zu entledigen, als plötzlich ein heftiges Geschrei vor dem Hause entstand und bald darauf ein Dörfler in blauer Blouse und mächtigen Holzschuhen in mein Zimmer polterte und mir in höchster Erregung auseinandersetzte, daß ihm einer der bei ihm einquartierten Soldaten eine Taschenuhr gestohlen habe. Auf meine Frage, ob er den Thäter bezeichnen könne, antwortete er mir mit einem Schwall von Worten, denen zu folgen ich Mühe hatte, daß er denselben zwar nicht genau angeben könne, daß es aber einer der bei ihm wohnenden Soldaten gethan haben müsse. Er habe den Letztern kurz vorher und in Gegenwart eines Nachbarn die betreffende Uhr, welche er in einem unverschlossenen Tischkasten verwahre, gezeigt und die alte Arbeit daran bewundern lassen; dann habe er die Uhr wieder an ihren Platz gelegt, jedoch eine halbe Stunde später sei sie verschwunden gewesen. Ich forschte weiter, ob er sicher sei, daß nicht etwa der mit anwesend gewesene Nachbar der Dieb sein könne, und machte den Bestohlenen auf die unangenehmen Folgen aufmerksam, die eine unbegründete Anklage gegen unsere Leute für ihn haben könne; doch er behauptete stets von Neuem, der Nachbar sei ein alter guter Freund und selbst reich genug und nur die Soldaten seien die Diebe.

Es blieb mir sonach nichts übrig, als zum Hauptmann zu eilen, ihm vom Vorgekommenen Meldung zu machen und mir weitere Instructionen zu erbitten. Der Compagniechef ertheilte mir die Weisung, zunächst die Corporalschaft, welcher die Beschuldigten angehörten, antreten zu lassen und die Taschen der Leute, sowie gleichzeitig deren Tornister zu visitiren. Falls die Uhr nicht zum Vorschein käme, solle dann die ganze Compagnie antreten und die Visitation nochmals im großen Maßstabe vorgenommen werden.

Da meine Nachforschungen in der Corporalschaft nicht zur Ermittelung des Diebes führten, so mußte ich schließlich die ganze Compagnie in strömendem Regen antreten lassen, indem ich die Mannschaften mit der Anschuldigung bekannt machte und zugleich aufforderte, mir den etwa bekannten Thäter namhaft zu machen. Ein unwilliges Murren aus den Reihen zeigte mir, wie sehr das Ehrgefühl der braven Schlesier durch den ausgesprochenen Verdacht verletzt worden war, und ich durfte mit Bestimmtheit annehmen, daß man mir den Dieb nennen würde, wenn solcher dem Einen oder dem Andern bekannt und überhaupt unter unsern Leuten sein sollte. Indessen nichts Derartiges erfolgte; die Visitation der Leute wie der Tornister blieb ohne jeden Erfolg und die Uhr war und blieb verschwunden.

Ich war einigermaßen in Verlegenheit wegen dieses Mißerfolges, und zwar nicht sowohl dem bestohlenen Bauer und den nach Hunderten zählenden Zuschauern, sondern auch den eigenen Leuten gegenüber, deren Unwille um so größer wurde, je mehr der anhaltende heftige Regen sie bis auf die Haut durchnäßte.

Nochmals wandte ich mich an den Bestohlenen, der in der Nähe stand und sich nicht den Triumph versagen mochte, die Uhr aus der Tasche eines der verhaßten Prussiens zum Vorschein kommen zu sehen, ob nicht möglicher Weise doch sein Nachbar der Thäter sein könne, aber mit Beharrlichkeit wies er diese Möglichkeit auf das Entschiedenste zurück, indem er dessen Ehrlichkeit außer Frage stellte. Doch der erwachsene Zweifel ließ mir jetzt keine Ruhe mehr, und so forderte ich den Kläger auf, mich zu seinem Freunde zu begleiten.

Einige handfeste Unterofficiere bedeutete ich, uns zu folgen, und bald fanden wir den Gesuchten inmitten einer Anzahl Bauern, denen er, heftig gesticulirend, etwas erzählte, vielleicht den Uhrendiebstahl, der rasch im ganzen Dorfe bekannt geworden war. Der Mann machte einen entschieden ungünstigen Eindruck, und es hätte kaum des momentanen Zusammenschreckens bei unserm Anblicke bedurft, um uns auf den ersten Blick erkennen zu lassen, daß wir den Dieb vor uns hatten. Ein Wink, und zwei meiner Leute hatten den Burschen am Kragen, während gleichzeitig ein Dritter in seine weiten Hosentaschen fuhr und die gestohlene Uhr zum Vorscheine brachte. Die Menge verstummte und suchte sich still und so rasch wie möglich zu entfernen, denn die Mienen meiner Begleitung deuteten auf nichts Gutes, und auch der Bestohlene, sprachlos vor Staunen, hätte sich jetzt gern aus dem Staube gemacht, wenn nicht die Faust eines meiner Leute ihn ebenfalls an die Stelle gebannt hätte. Es waren keine Schmeicheleien, welche der Unglückliche auf dem Wege zum Quartiere des Hauptmanns zu hören – wenn auch nicht zu verstehen bekam, und mancher Puff dürfte ihm einen Vorgeschmack von dem gegeben haben, was ihm noch bevorstand.

Der Hauptmann war anfangs selbst im Zweifel, was mit dem Burschen anzufangen sei. Sie einsperren zu lassen, das hätte keinen Zweck gehabt, weil die Compagnie am nächsten Morgen mit dem Frühesten wieder abmarschiren mußte. Sie straflos laufen zu lassen, wäre gegen jedes Gerechtigkeitsgefühl gewesen; hiergegen sprachen auch die Mienen unserer vor dem Quartier angesammelten Leute, welche auf das Entschiedenste die Forderung einer entsprechenden Genugthuung für die schmähliche Anschuldigung ausdrückten.

Die beiden Bauern, der Bestohlene und der Dieb, hatten sich inzwischen etwas gefaßt, und Letzterer hatte nun die Frechheit zu behaupten, er habe die Uhr nur genommen, um solche vor den lüsternen Augen und Fäusten der Soldaten in Sicherheit zu bringen, habe aber die feste Absicht gehabt, dieselbe ihrem Besitzer nach unserm Abmarsch wieder zuzustellen. Dieser Letztere, der es augenscheinlich mit seinem reichen Nachbar nicht verderben wollte, stimmte dieser Controverse jetzt eifrigst bei.

Diese Frechheit mußte natürlich dem Fasse den Boden ausstoßen, und sie zumeist verhalf den Beiden zu der gerechten Strafe, die nun folgte. Rasch hatte sich die zuerst verdächtigte Corporalschaft mit tüchtigen Knütteln versehen, alsdann vor der Thür eine offene Gasse gebildet, in welche endlich die beiden Delinquenten hineingestoßen wurden. Was nun folgte, ist unschwer zu errathen: die Execution war streng, aber gerecht, und jedenfalls die wirksamste Strafe, die wir im Augenblicke verhängen konnten.

Die Franzosen können sich heute noch nicht über die deutschen Pendulen-Räuber beruhigen, denen sie mit beispielloser Frechheit alle möglichen Schlechtigkeiten andichten; sollten nicht tausend andere Fälle in ganz ähnlicher Weise ihre Erklärung finden, wenn man sich nur die Mühe nehmen wollte, ihnen näher auf den Grund zu gehen?

Collmann, Reserveofficier.