Der Winterpalast in St. Petersburg

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Autor: L. D.
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Titel: Der Winterpalast in St. Petersburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 192–194
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Winterpalast in St. Petersburg.

Der abermalige Mordversuch auf den Herrscher Rußlands lenkt heute Aller Blicke nach der Schreckensstätte an der Newa, dem kaiserlichen Winterpalast in St. Petersburg, welcher die hauptstädtische Wohnung des russischen Czaren bildet. Die Lage dieses umfangreichen Baues ist eine ausgesucht reizvolle, besonders auf der Newaseite.

Der Strom selbst, mag er in seinen eisigen Banden ruhen, mag er seine tiefblauen Wasser in wieder erlangter Lebensfülle hinab nach dem finnischen Meerbusen tragen, bleibt immer einer der stolzesten und mächtigsten Flüsse unseres Welttheils. Am jenseitigen Ufer, rechts drüben, liegt die Peter- und Pauls-Festung mit ihrer wie eine endlose Goldnadel emporstrebenden Thurmspitze, die meilenweit hin leuchtet, als wolle sie Jeden daran erinnern, daß hier strenge Haft den Staatsverbrecher bedroht. Die Festungskirche birgt die Gruft, in der alle Herrscher Rußlands seit Peter dem Großen ruhen. Dem Winterpalast unmittelbar gegenüber, auf dem Insellande Wasilij Ostrow, hinter dessen Spitze hier der Arm der Kleinen Newa verschwindet, finden wir am Flusse entlang das mehr imposante, als schöne Börsengebäude, daneben die Colonnaden der Akademie der Wissenschaften, an die sich die Riesenbauten der Universität und des Pawlof’schen Cadettenhauses – einst Menschikoff’s Palais – nebst anderen großartigen öffentlichen Gebäuden reihen. Die Dimensionen der einzelnen Bauwerke treten durch die Menge der dazwischen liegenden Gärten doppelt imposant hervor. Unter den Gärten ist der schöne Solowiew’sche Square ein wahrer Schmuck von Wasilij Ostrow.

So schön auch das rechte Ufer der Newa ist, so wird es doch, was die Bauten anlangt, von der linken Seite übertroffen. In ihrer majestätischen Pracht tritt uns hier vor Allem die Isaaks-Kirche mit ihren achtundvierzig Monolithsäulen aus finnischem Granit entgegen. In langer Reihe ziehen sich wahre Paläste am englischen und am Palastquai entlang, und doch bleibt ihnen trotz ihrer Ausdehnung jede Monotonie fern. Das lebensvolle Standbild Peter’s des Großen zu Pferde, hoch oben auf dem Felsblocke, der mit undenklichen Mühen und Kosten zu Wasser aus Finnland hieher gebracht wurde, und der vor Kurzem wie mit einem Zauberschlage entstandene Admiralitätsgarten sorgen reichlich für wohlthuende Abwechselung. Der Winterpalast, zwischen den beiden eben genannten Quais gelegen, bildet gewissermaßen den Mittelpunkt dieser auffallend geschmackvoll angegelegten Stadtgegend.

Aber nicht die Flußseite allein ist erwähnenswerth: nach Süden hin finden wir einen schönen, von dem Riesenbau des Generalstabsgebäudes in weitem Halbbogen begrenzten Platz, welchen die Alexander-Säule schmückt, ein Monolith, der höher ist, als die höchsten ägyptischen Obelisken. Nach Westen liegt die Admiralität, deren goldene Thurmspitze allein 60,000 Dukaten kostete, ein weiter, ziemlich geschmackloser Bau, der aber jetzt, aus dem frischen Grün des kürzlich angelegten, zu seinen Füßen sich ausbreitenden Alexander-Gartens hervorragend, einen recht anmuthigen [193] Hintergrund bildet. Nach Osten schließt sich durch einen kühnen Bogen die Eremitage, jene Stätte voll unübertrefflicher Kunstschätze, an den Winterpalast an.

Die Lage des kaiserlichen Palastes ist jedenfalls viel hervorragender, als die Bauart desselben; denn es ist schwer, in der riesenhaften viereckigen Steinmasse irgend einen rein durchgeführten Stil wieder zu finden. Die Höhe des Baues, siebenzig Fuß, entspricht, wie bei den meisten großen Bauten Petersburgs, nicht der Breite und Länge, welche letztere 700 Fuß ausmacht, und so großartig auch die Thore, Pforten, Säulen und Thürme im Einzelnen sind, so vermögen es doch diese Kunstwerke nicht, den ersten Eindruck des Ganzen zu verwischen; auch der gelbliche Ton des Palastes ist mehr eigenthümlich als wohlthuend.

Die Hauptanfahrt für den Kaiser und die kaiserliche Familie liegt nach dem Generalstabsgebäude hin; die fremden Gesandtschaften, die Generalität und die hohen Verwaltungsbehörden haben jede ihre besondere Anfahrt.

Ueber 5000 Menschen bewohnen den kolossalen Palast, dessen einzelne Räume sich in dem engen Rahmen dieser Schilderung unmöglich beschreiben lassen, so viel des Erwähnenswerthen sie auch aufzuweisen haben. Die Privatgemächer des Kaisers und der Kaiserin bleiben den Fremden, selbst in Abwesenheit des Hofes, streng verschlossen.


Ein Blick auf den Winterpalast in St. Petersburg.


Wenn man die Prunkgemächer des Palastes durchschreitet, wähnt man sich in das Feenland versetzt; so strotzt Alles von Gold und Silber. Es ist begreiflich, daß in einer Winterresidenz, wo der Tag um die Zeit der Anwesenheit der Fürstlichkeiten so kurz ist, auf die künstliche Beleuchtung ganz besonderer Werth gelegt wird; schönere Candelaber und Kronleuchter lassen sich wohl kaum finden als hier: in allen Ecken stehen auf hohen Sockeln, bald von Gold, bald von getriebenem Silber, bald wieder vom reinsten Krystall vielarmige Leuchter, stets in vollkommener Uebereinstimmung mit dem übrigen Schmuck des Gemaches. So ragen im grünen Malachitsaale, der rund herum an den Wänden in bedeutender Höhe mit schönem grünen Uralsteine getäfelt ist, die hohen Leuchter auf mit demselben Stein getäfelten Quadern. Die Säle des Palastes sind mit vorzüglichen Gemälden, meist Schlachtenbildern, reichlich geschmückt. Der große, in letzter Zeit oft erwähnte Speisesaal ist in seinem oberen Theil von einem engen Gitter von Wachskerzen umgeben, und bei der tageshellen Beleuchtung erglänzen die Gold- und Silberschüsseln auf den großen Prunkbuffets in erhöhtem Glanze.

In diesen herrlichen Sälen vergißt man es leicht, daß man sich im hohen Norden befindet, denn man weilt hier unter Palmen und allen Wundern der südlichen Vegetation; ja die Kunst versteht es, mit der Natur ihr Spiel zu treiben, und erzeugt wie mit einem Zauberschlage die Blumen und Früchte des Frühlings, des Sommers und des Herbstes zugleich, um damit die Wohnungen und die Tafeln des Czaren zu schmücken. Großartige Gewächshäuser stoßen unmittelbar an die Wohnräume und sind stets ein Lieblingsaufenthalt der kaiserlichen Gäste.

Einen besonders behaglichen Eindruck machen die Gemächer der kaiserlichen Tochter, der Großfürstin Marie, die seit der Vermählung ihrer Bewohnerin mit dem Herzog von Edinburgh dem Publicum offen stehen. Auch hier fehlt es nicht an prunkvollen Empfangsgemächern, aber was liebende Fürsorge vermag, wurde hier vereint, um dem Liebling ein freundliches Heim zu schaffen. Große, immer grüne Epheuwände theilen die Zimmer ab und bilden gemüthliche Erker und Ecken, wo schwellende Kissen, weiche Divans aller Art zur Ruhe laden. Neben einem der Empfangszimmer befindet sich ein grottenartiges Gelaß, in das man über breite mit blumigen Teppichen belegte Marmorstufen gelangt; eine plätschernde Fontaine, von üppigen Pflanzen umgeben, nimmt die Mitte des Raumes ein, und in schattigen Lauben, zwischen Muscheln und Blumen verstecken sich die lauschigsten Sitze.

Mit orientalischem Luxus sind auch die verschiedenen Badestuben im Palaste ausgestattet, die in Rußland selbst im Dorfe zu den unentbehrlichen Einrichtungen gehören.

St. Petersburg ist eine zu neue Stadt, als daß sich an seine einzelnen Gebäude viel große historische Erinnerungen knüpfen könnten.[1] Man hat überall den Eindruck des plötzlich Entstandenen[2] man fühlt den Willen des stolzen Kaisers, der in einem Moraste sprach: „Es werde eine Stadt!“ Aber so kühn Peter's des Großen Pläne bei der Anlage der Stadt sein mochten, so würde er dennoch sicherlich staunen, könnte er sehen, was unter seinen Nachfolgern zur Ausführung kam.

Wie viel prunkvoller ist die heutige Behausung der russischen Herrscher, als das bescheidene Häuschen des Begründers der Stadt, das auf der Petersburger Seite steht und von dem aus er seit 1703 die Arbeiten für seine werdende Residenz leitete! Die ersten Steinhäuser entstanden 1810; bis dahin wurde nur mit Holz gebaut, und noch heute finden wir eine große Menge solcher Holzhäuser, die mit ihren doppelten Wänden der Kälte reichlich so gut trotzen, wie die besten Steinmauern.

Dort, wo heute der Winterpalast prangt, stand früher das Haus eines Grafen Apraxin, der es dem Kaiser Peter dem Zweiten vermachte. Nach diesem wohnte die Kaiserin Anna darin. Als aber Elisabeth den Thron bestieg, genügte ihr die bescheidene Wohnung nicht; sie ließ dieselbe niederreißen und berief den italienischen Architekten Rastrelli, der den ersten Winterpalast erbaute. Im Jahre 1765, unter Katharina der Großen, wurde das riesenhafte Schloß bezogen und von der kunstsinnigen Fürstin mit Kunstwerken aller Art reich geschmückt. Katharina's unersättlicher Thatendrang kam ihrem Reiche sehr zu Statten, dessen innerer Ausbau und Verwaltungsorganisation noch heute großentheils auf den unter dieser Kaiserin gebildeten Grundlagen beruhen.

[194] Unter der Regierung ihres Sohnes, Paul’s des Ersten, trat der Winterpalast in den Hintergrund des Interesses. Paul erbaute sich ein Schloß, das zugleich als Festung gelten konnte, das jetzt als Sitz der Militär-Ingenieur-Verwaltung dienende Michaelow’sche Palais, in welchem der unglückliche Monarch auch sein Ende fand. Erst unter Paul’s Sohn, Alexander dem Ersten, unter dem eine neue, bessere Zeit für Rußland heranbrach, wurde der Winterpalast wieder kaiserliche Residenz.

Eine schwere Katastrophe brach über das stolze Czarenheim zwölf Jahre nach der Thronbesteigung Nicolaus des Ersten herein. Es war am 29. December 1837, da schlugen plötzlich die Flammen aus seinen Fenstern, und so furchtbar wuchs die Gewalt des Elementes, daß man ihm die Zerstörung des Innern überlassen mußte. Aber den Ruinen gegenüber standen ein kaiserlicher Wille und kaiserliche Machtmittel; der Czar Nicolaus befahl, möglichst schnell das Andenken an die Katastrophe zu verwischen, und dank der fieberhaften Thätigkeit des Generals Kleinmichel, welchem der Plan Rastrelli’s in die Hand gegeben worden, stand fünfzehn Monate später das kaiserliche Schloß in weit größerer Pracht als vorher – so, wie wir es noch heute bewundern – fertig da.
L. D.


  1. Vorlage: „knüpfe ; könnten.“
  2. Vorlage: „Entstandenenu“