Deutsche Gouvernanten in England

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Titel: Deutsche Gouvernanten in England
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 706
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[706] Deutsche Gouvernanten in England. Da ist ein englisches Buch erschienen von Wilhelm F. Brand, dem auch unsere „Gartenlaube“ viele interessante Artikel über englische Zustände verdankt; es hat den Titel: „London Life, seen with German eyes“ (Londoner Leben, mit deutschen Augen gesehen) und enthält viele feine Beobachtungen über das Leben und Treiben in der Weltstadt. Was Brand über die deutschen Gouvernanten in London sagt, dürfte in Deutschland besondere Beachtung verdienen. Die Zahl der nach England strömenden deutschen Lehrerinnen ist überaus groß; auch finden allerdings viele derselben Stellungen. Sind sie so unterrichtet, daß die englischen Hausfrauen die ganze Erziehung ihrer Töchter ihnen anvertrauen können, so werden sie mit Rücksicht auf ihre Vielseitigkeit und Gewissenhaftigkeit vor den Erzieherinnen aus anderen Nationen bevorzugt. Diejenigen haben die meisten Aussichten, welche Deutsch und Französisch zu lehren verstehen, auch Unterricht in Musik und, wenn möglich, in Malerei und Latein ertheilen können. Die Gouvernanten, die man „finishing governesses“ nennt, das heißt solche, welche die letzte Hand an die Erziehung der Tochter zu legen im Stande sind, erhalten oft ein Jahresgehalt von 100 bis 120 Guineen; andere müssen sich aber mit geringeren Gehältern begnügen, als in Deutschland bezahlt werden. Es kommen eben auch viele junge Damen nach England, welche kein Examen gemacht haben und überhaupt ganz unfähig zur Kindererziehung sind. Sodann wird den deutschen Gouvernanten häufig der Vorwurf gemacht, sie hielten zu wenig auf ihr Aeußeres, und in der That kann man es einer Mutter nicht verargen, wenn sie nicht als Erzieherin, die doch ein Vorbild für die Tochter sein soll, eine Dame wählt, welche sich geschmacklos kleidet und linkisch in ihrem Benehmen ist. Am besten ist’s in England, wenn die junge Dame zu schneidern versteht und sich selbst ihre Kleider machen kann, da die Kleiderstoffe in England wohlfeiler sind als anderswo.

In Deutschland sind die Gouvernanten an das Leben im Kreise der Familie gewöhnt; sie werden oft als die ältesten Töchter des Hauses betrachtet und sind überall gern gesehen. In England werden sie in das Schulzimmer verwiesen; außerhalb desselben haben sie keine Rechte; hier nehmen sie die Mahlzeit einsam zu sich, während die ganze übrige Familie zusammen bei Tisch sitzt und den Abend gemeinsam verbringt. Die Engländer wollen in ihrer Familie durch keine Fremden gestört sein und nicht auf eine Gouvernante Rücksicht nehmen müssen.

Diese Abgeschlossenheit der Lehrerinnen ist gewiß eine Härte; doch sie hat auch wiederum den Vorzug, daß dieselben nicht ihre Abende langweiligen Tisch- und Gesellschaftsgesprächen zu opfern brauchen, sondern ihren Geist durch freigewählte Studien fortbilden können.

Unter dem Patronat der Herzogin von Connaught, der Großherzogin von Baden und anderer Fürstlichkeiten hat sich in den letzten Jahren ein deutscher Gouvernantenverein gebildet, welcher in jeder Hinsicht nur Gutes wirkt und deßhalb rasch eine geachtete, angesehene Stellung erlangt hat. Der Verein läßt nur solche Lehrerinnen zu, die ihre Berechtigung nachweisen können. Diese erhalten Stellungen, soweit dies irgend möglich ist, und für Krankheitsfälle sowie für die freien Feiertage ist ihnen ein Heim geschaffen, wie sie es sonst nirgends finden können. Stoßen sie auf Schwierigkeiten, so finden sie bei erfahrenen Kolleginnen Rath und Hilfe. Die Gesellschaft zählt 700 Mitglieder. Sonst ist es sehr schwer für deutsche Gouvernanten, Stellung zu finden; nicht jede hat persönliche Empfehlungen; die Anzeigen in den Zeitungen sind in England sehr theuer und die Vermittlung durch Agenten hat ihre großen Schattenseiten. †