Die Bilder

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Die Bilder
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Achtes Bändchen, Seite 950–968
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Εἰκόνες
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Quelle: Scan auf Commons
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[950]
Die Bilder.[1]
Lycinus. Polystratus.

1. Lycinus. Nun weiß ich doch, Polystratus, wie denen ward, welche die Gorgo zu Gesichte bekamen. Ich habe neulich die schönste der Frauen gesehen, und es hätte wenig gefehlt, so wäre die alte Fabel wahr geworden; denn fast wäre ich zum Steine erstarrt von Bewunderung.

Polystratus. Hilf Hercules! was mag doch das für ein übernatürlicher, überwältigender Anblick gewesen seyn, wenn ein Weib sogar meinen Lycinus so sehr außer Fassung bringen konnte! Denn daß dir mit Jünglingsschönheiten dergleichen begegne, dazu gehört eben nicht viel. Da wäre es oft leichter, den ganzen Berg Sipylus von der Stelle zu schaffen, als dich aus der Nähe eines hübschen Jungen wegzubringen und zu verhindern, daß du nicht mit offenem Munde und schwimmenden Augen vor ihn dich hinpflanzest, unbeweglich wie jene Tochter des Tantalus.[2] Aber sage mir doch, Wer und woher ist denn diese versteinernde Medusa? Ich möchte sie doch auch sehen. Denn du wirst wohl nicht so eifersüchtig seyn, mir ihren Anblick zu mißgönnen, wenn ich wünsche, das Wunder recht in der Nähe zu beschauen, und mich gleichfalls versteinern zu lassen?

[951] Lycinus. O glaube mir, du würdest, auch wenn du nur von einer hohen Warte auf sie herabblicktest, athemlos vor Staunen und unbeweglicher, als eine Bildsäule, werden. Jedoch wäre diese Wirkung noch immer leidlicher und die Wunde minder tödtlich, wenn blos du sie anschautest. Wärfe aber auch sie einen Blick auf dich, welche Macht wäre im Stande, dich von ihr loszureißen? Sie würde dich, wie der Magnet das Eisen, überall, wohin sie wollte, mit sich ziehen.

2. Polystratus. Nun, guter Lycinus, höre einmal auf, mir Wunderdinge von dieser Schönheit vorzufabeln: sage mir lieber, Wer war denn die Frau?

Lycinus. Du glaubst, ich übertreibe? O ich fürchte, wenn du sie selbst gesehen haben wirst, werde ich dir als ein schwacher Lobredner vorkommen; so viel herrlicher wirst du diese Erscheinung finden. Uebrigens, Wer sie ist, weiß ich dir nicht zu sagen. Nur verrieth ihre zahlreiche Dienerschaft, der Glanz ihres Aufzuges, die Menge der sie begleitenden Eunuchen und zierlichen Zofen, daß sie einem höheren, als dem gewöhnlichen Privatstande, angehöre.

Polystratus. Also nicht einmal ihren Namen hast du in Erfahrung gebracht?

Lycinus. Nein, ich weiß nur so viel, daß sie aus Ionien ist. Denn einer der Anwesenden sagte, indem sie vorüberzog, zu seinem Nachbar gewendet: „Solche Schönheiten gibt es zu Smyrna!“ Und es ist in der That auch kein Wunder, wenn die schönste der Ionischen Städte auch das schönste Weib hervorbrachte. Der Mann schien mir [952] selbst aus Smyrna zu seyn, so sehr warf er sich in die Brust, als er Dieß sagte.

3. Polystratus. Je nun, weil du denn Stein genug warst, um ihr nicht nachzugehen, noch auch nur den Mann aus Smyrna nach ihrem Namen zu fragen, so entwirf mir doch, so gut es gehen mag, wenigstens mit Worten ein Bild von ihr: vielleicht daß ich sie kenne.

Lycinus. Welche Zumuthung! Wie sollten Worte, zumal die meinigen, vermögen, ein Wunderbild zu malen, wie es der Pinsel eines Apelles, Zeuxis, Parrhasius, oder eines Phidias und Alkamenes Meissel wohl schwerlich hervorzubringen im Stande wären? Ich wenigstens, mit meiner armseligen Kunst, würde das Urbild nur beschimpfen.

Polystratus. Sage mir immer, guter Lycinus, wie sie ungefähr aussah. Was hat es denn auf sich, wenn du es wagst, einem guten Freunde ein Bild von ihr zu entwerfen, die Zeichnung mag nun ausfallen, wie sie will?

Lycinus. So werde ich wenigstens, um desto sicherer zu gehen, einige von jenen alten Meistern herbeirufen, und mir von ihnen das Original nachbilden lassen.

Polystratus. Wie habe ich Das zu verstehen? Wie willst du es angehen, diese alten Todten heraufzubeschwören?

Lycinus. Nichts leichter als Dieß: nur muß ich dich bitten, mir eine Frage zu beantworten.

Polystratus. Recht gerne.

4. Lycinus. Nun so sage mir, bist du schon einmal zu Knidus gewesen?

Polystratus. O ja!

[953] Lycinus. Du hast also gewiß auch die dortige Venus gesehen?

Polystratus. Wie sollte ich nicht? des Praxiteles Meisterstück!

Lycinus. Nun so hast du unfehlbar auch die Anekdote gehört, die man sich dort erzählt, daß einmal Einer sich in diese Bildsäule verliebt habe, und heimlich im Tempel zurückgeblieben sey, um – ihr so nahe als möglich zu kommen? Doch – davon ein andermal! Diese also hast du gesehen: nun sage mir auch, hast du auch die Venus in den Gärten bei Athen, das Werk des Alkamenes, betrachtet?

Polystratus. Da müßte ich denn doch der unempfindlichste Mensch auf dem Erdboden seyn, Lycinus, wenn ich an dem schönsten unter allen Gebilden des Alkamenes vorübergegangen wäre.

Lycinus. Und da du mehr als Einmal auf der Akropolis warst, so brauche ich dich gar nicht zu fragen, ob du auch die Sosandra des Kalamis kennst?

Polystratus. Ich habe auch Diese öfters gesehen.

Lycinus. Nun gut: aber von den Werken des Phidias, welches hat am meisten deinen Beifall?

Polystratus. Seine Minerva von Lemnos, das einzige Werk, welchem der Meister seinen Namen eingraben mochte: und nächst dieser seine Amazone, die sich auf ihren Speer lehnt.

5. Lycinus. So hätten wir denn das Schönste dieser Art beisammen, mein Freund; wir bedürfen nun keinen weitern Meister mehr. Alle diese Gebilde will ich dir nun, so gut ich es vermag, in Eines zusammensetzen, indem ich von [954] jedem derselben Das entlehne, was an ihm das vorzüglichste ist.

Polystratus. Und wie willst du Das angehen?

Lycinus. Ich denke, es soll nicht schwer seyn: wir überlassen diese Bilder der Phantasie, und erlauben ihr, dieselben in ihre einzelnen Schönheiten zu zersetzen, und diese wiederum zu einem möglichst harmonischen Ganzen zu verbinden, so daß in dem Mannigfaltigen gleichwohl die Einheit bewahrt bleibe.

Polystratus. Wohlgesprochen! So mache sich denn die Phantasie an das Geschäft. Ich bin doch neugierig zu sehen, wie sie mit diesen Bildern umspringen, und aus so vielen ein Einziges zusammen setzen wird, das durchaus keinen Mißton enthalten soll.

6. Lycinus. Sie wird das neue Bild allmählig vor deinen Augen entstehen lassen. Von der Knidierin entlehnt sie blos den Kopf: den übrigen Körper, da er unbekleidet ist, wird sie nicht gebrauchen können. Die Haare also, die Stirne, die schön geschwungenen Linien der Augenbraunen wird sie so lassen, wie sie Praxiteles gebildet hat: auch das süß Schmachtende des Blickes, die heitere Grazie der Miene soll sie behalten, wie sie dieser Künstler seinem Bilde gegeben. Die Wangen aber und die übrigen Theile des Gesichtes von vorne wird sie von des Alkamenes Venus in den Gärten borgen, eben so die zierlich geformten Hände, und die zarten, schlank und fein auslaufenden Finger. Das Profil, die sanfte Rundung der Wangen, das schöne Ebenmaß der Nase wird die Lemnierin des Phidias, den herrlich geformten Mund und den reizenden Nacken seine Amazone liefern. Die Sosandra des [955] Kalamis wird ihr den Reiz holder Sittsamkeit leihen; und auch das feine, halb verstohlene Lächeln wird seyn, wie bei Dieser, nicht minder die gefällige und züchtige Anordnung der Bekleidung, nur daß das Haupt unseres Bildes unverschleiert bleibt. Für das Alter endlich und den Wuchs soll uns wiederum Praxiteles und seine Knidierin das rechte Maas abgeben. Nun was sagst du dazu, Freund Polystratus?

7. Polystratus. Es muß ein herrliches Bild geben, in der That! zumal, wenn es mit dem sorgfältigsten Fleiße vollends ausgeführt wird; denn ich muß dir gestehen, mein Vortrefflichster, du hast, so emsig du alle Reize zusammengetragen, gleichwohl noch eine wesentliche Schönheit aus deinem Bilde weggelassen.

Lycinus. Und die wäre?

Polystratus. Gewiß keine Kleinigkeit, mein Lieber: oder glaubst du etwa, daß die Farbe wenig zur Schönheit einer Gestalt beitrage, und daß es nicht sehr nöthig sey, jedem Theile seine eigenthümliche Farbe zu geben, so daß, Was schwarz seyn soll, wirklich schwarz, alles Weiße wirklich weiß, und, wo es hingehört, mit blühendem Roth untermischt sey? Ich fürchte also, es geht uns zu unserem Bilde noch etwas sehr Wichtiges ab.

Lycinus. Du hast Recht: woher nehmen wir aber Das? Meinst du nicht, wir rufen nun auch noch die Maler zu Hülfe, besonders Diejenigen unter ihnen, welche sich als die besten Meister in der Mischung der Farben und in der Kunst, sie schicklich aufzutragen, bewährt haben? – Nun so mögen sie uns denn zur Hand seyn, ein Polygnótus, Euphranor, Apelles, Aëtion. Diese mögen sich in die Arbeit [956] theilen: Euphranor soll ihre Haare gerade so malen, wie die seiner Juno; Polygnotus ihr die schönen Augbraunen und das sanfte Roth der Wangen geben, die seine Kassandra in der Lesche [Sprechzimmer] zu Delphi hat. Derselbe Künstler gebe ihr zum Gewande ein Gewebe, so fein, als nur immer möglich, das sich knapp anschließe, wo es erforderlich, im Uebrigen in weichen Falten hernieder walle. Die übrigen unbekleideten Theile male uns Apelles nach dem Muster seiner Pakate, und belebe die weiße Haut mit dem durchschimmernden Roth des Blutes: Aëtion aber ziere sie mit den Lippen der Roxane.

8. Endlich, und Dieß ist nicht das Geringste, heißen wir noch die Hülfe des Homer willkommen, des größten aller Maler, selbst einen Euphranor und Apelles nicht ausgenommen. Wenn Dieser die Farbe, welche die Hüften seines Menelaus zeigen, mit Elfenbein vergleicht, über welches eine leichte Nüance von Purpur gemalt ist, so haben wir das Colorit, das über unser ganzes Bild verbreitet sey. Derselbe soll uns auch die Augen malen, groß und prächtig, wie er seiner Juno gab, und der Sänger aus Theben [Pindar] helfe dazu und leihe die dunkelbeschattenden Wimper. Homer bilde sie uns zur Süßlächelnden, Lilienarmigen und Rosenfingerigen, kurz er mache sie – mit weit mehr Recht, als die Tochter des Briseus – nach allen Zügen zum Abbild seiner goldenen Aphrodite.

9. Alles Dieses nun werden uns Bildner, Maler und Dichter zu Stande bringen. Aber die über ihr ganzes Wesen ausgegossene Grazie, Freund, oder vielmehr alle Grazien [957] zusammen, und die Liebesgötter, die sie unsichtbar umschweben, Wer wird diese im Bilde auszudrücken vermögen?

Polystratus. Nun das muß wahr seyn, Lycinus, du schilderst mir da ein Wunder von Schönheit, dergleichen auf Erden nimmer geboren ward und nur aus dem Himmel herabgestiegen seyn kann. Aber womit war sie beschäftigt, als du sie sahest?

Lycinus. Sie hielt eben ein halbaufgerolltes Buch in der Hand, und schien im Lesen der einen Hälfte noch begriffen zu seyn, die andere aber schon gelesen zu haben. Im Vorübergehen sprach sie mit Einem von ihrer Begleitung, doch nicht so laut, daß ich ihre Worte hätte vernehmen können. Aber sie lächelte und wies eine Reihe von Zähnen – Polystratus! ich kann sie dir nicht beschreiben, wie weiß, wie gleich, wie herrlich zusammengefügt! Denke dir die schönste Schnur von den glänzendsten und gleichsten Perlen, die du je gesehen – so prangte diese Linie von Zähnen: und was ihre Weisse noch mehr hervorhob, war das frische Roth der Lippen; sie schimmerten aus ihnen hervor wie Homer’s polirtes Elfenbein,[3] keiner breiter als der andere, keiner vorstehend oder abstehend von den andern, wie man sonst so häufig sieht, sondern alle von gleicher Form, Farbe, Höhe und gleich fest an einander geschlossen. Mit Einem Worte, mein Lieber, die ganze Erscheinung war ein wundervoller und alle menschliche Schönheit weit übertreffender Anblick.

10. Polystratus. Halt! – dieses Alles, und daß [958] sie aus Smyrna sey, läßt mich nun errathen, Wer die Frau ist, von welcher du sprichst. Sagtest du nicht, auch Eunuchen wären in ihrem Gefolge gewesen?

Lycinus. Allerdings auch einige Soldaten.

Polystratus. Nun siehst du, glücklicher Sterblicher: sie ist die hochgefeierte Gemahlin des Kaisers.

Lycinus. Und ihr Name?

Polystratus. Er ist eben so schön und lieblich als passend: denn es ist derselbe, den die reizende Gemahlin des Abradatas führte. Du kennst doch das schöne Gemälde, das Xenophon[4] von der tugendhaften und liebenswürdigen Panthéa entwirft?

Lycinus. Ob ich es kenne? Ist mir doch, so oft ich an jene Stelle des Xenophon komme, als ob ich diese Panthéa vor mir sähe, und reden hörte, und dabei wäre, wie sie ihrem Gatten die Rüstung anlegt, und mit edler Fassung ihn in den Kampf ziehen läßt.

11. Polystratus. Da du nun, mein Bester, diese Frau nur Einmal und zwar flüchtig wie einen Blitzstrahl an dir vorübereilen sahest, so ist nichts natürlicher, als daß du blos ihre äußere Erscheinung, ich meine ihren Körperbau und die Reize ihrer Gesichtsbildung, zu loben weißt. Ihre geistigen Vortrefflichkeiten hast du freilich nicht gesehen, und kannst nicht wissen, wie sehr sie durch die Schönheit ihrer Seele noch weit mehr, als durch ihre liebenswürdige äußere Gestalt, verherrlicht wird. Aber ich weiß das, da ich sie genau kenne, und als ihr Landsmann mehr als einmal sie [959] gesprochen habe. Du weißt, wie sehr ich überzeugt bin, daß einem sanften, humanen, edeldenkenden und reinen Charakter und einem gebildeten Geiste der Vorzug vor allen körperlichen Reizen eben so gewiß gebühre, als es ungereimt und lächerlich wäre, wenn man eine schöne Kleidung mehr bewundern wollte, als einen wohlgebauten Körper. Eine vollkommene Schönheit aber kann, wie ich glaube, nur eine solche genannt werden, bei welcher sich alle Vorzüge des Geistes mit körperlicher Wohlgestalt paaren. Ich wüßte dir gar viele Frauen zu nennen, mein Freund, die zwar recht hübsch aussehen, aber ihrem schönen Aeußern nicht die mindeste Ehre machen: denn wenn sie nur den Mund öffnen, so ist alle Schönheit entstellt und verwischt, und man bedauert nur, daß solche Reize einer so schlechten Herrin dienen sollen. Dergleichen Geschöpfe kommen mir immer vor wie die ägyptischen Tempel. Das Gebäude selbst ist groß und prächtig, mit dem kostbarsten Gestein überkleidet, mit goldenen Verzierungen und den schönsten Wandgemälden ausgeschmückt: trittst du aber hinein und suchst das Bild der Gottheit, so ist’s – ein Affe, ein Ibis, ein Bock oder eine Katze. Dergleichen Weiber gibt es nur zu viele. Aeußerliche Schönheit genügt also nicht, wenn sie nicht noch durch den ächten Schmuck erhöht wird: ich meine nicht durch ein Purpurgewand und Gold und Edelgestein, sondern durch die Tugenden, die ich so eben nannte, durch Sanftmuth, Sittsamkeit und einen edeldenkenden, leutseligen Charakter – Tugenden, welche sich an Panthéa in ihrer höchsten Vollendung finden.

[960] 12. Lycinus. Nun wohlan, mein Polystratus, zahle mir meine Beschreibung mit einer andern baar zurück, oder vielmehr, da du reich genug dazu bist, mit Zinsen,[5] indem du mir ein Bild ihrer Seele malest und mich in Stand setzest, mehr als blos die Hälfte von ihr zu bewundern.

Polystratus. Freund, die Aufgabe ist stark, und der Kampf ungleich: denn es ist bei weitem leichter, Vorzüge zu schildern, die einem Jeden in die Augen fallen, als unsichtbare Eigenschaften mit Worten deutlich darzustellen. Und so, denke ich, werde auch ich einiger Gehülfen zu diesem Geschäfte, und zwar keiner bloßen Maler und Bildhauer, sondern der Philosophen bedürfen, um nach ihren Regeln und Mustern mein Bild zu formen und es als ein Werk der ächten alten Kunst aufzustellen.

13. Wohlan denn! Vorerst ihre Stimme, um mit dieser anzufangen, ist voll und melodisch; und hätte Homer sie gekannt, gewiß er hätte von ihr vielmehr, als von seinem Pylischen Alten [Nestor] gesagt, daß ihr

– von der Zung’ ein Laut, wie des Honiges Süße daherfloß.[6]

Der Ton ihrer Rede ist äußerst weich, nicht so tief, um in’s Männliche zu fallen, aber auch nicht so hoch und fein, um allzu weiblich zu klingen und der gehörigen Fülle zu entbehren; kurz er lautet wie die Stimme eines noch nicht entwickelten Jünglings, süß, lieblich, und in das Ohr so sanft sich einschmeichelnd, daß, auch wenn sie zu reden aufgehört hat, uns ist, als töne die Melodie ihrer Stimme wie ein sanftverhallendes [961] Echo in unsern Ohren nach: so wohlthuend, so unwiderstehlich ist der Eindruck, den ihre Rede in unserem Gemüthe zurückläßt. Wenn sie aber nur erst zu singen anfängt, zumal wenn sie zur Guitarre singt, o dann müssen neben ihr alle Halcyonen, Cicaden und Schwäne verstummen. Denn mit jenem verglichen, tönt jeder andere Gesang unmelodisch; und selbst Philomele, wenn sie den ganzen Reichthum ihrer klangvollen Kehle aufbietet, ist gegen sie nur eine armselige Stümperin.

14. Ja Orpheus und Amphion selbst, die ihre Zuhörer zu bezaubern wußten, wie kein Sterblicher, die sogar leblose Dinge zu ihrem Gesange herbeizogen, selbst diese, glaube ich, würden, wenn sie die Panthéa vernähmen, ihr Saitenspiel verstummen lassen und mit schweigendem Entzücken diesen Tönen horchen. Denn diese genaue Beobachtung der melodischen und rhythmischen Gesetze, dieses richtige Treffen des rechten Maßes in Hebung und Senkung des Tons, diese unfehlbare Harmonie des Gesanges mit der Stimmung und Mensur des Saitenspiels, diese Fertigkeit der Finger, diese Weichheit der Modulationen, woher sollte das Alles jenem Thracier und diesem Böotier gekommen seyn, der seine musicalischen Uebungen unter den Viehherden des Cithäron anstellte? Glaube mir, lieber Lycinus, wenn du sie einmal singen hören wirst, so wirst du nicht mehr blos die versteinernde Wirkung der Gorgone an dir verspüren, sondern auch inne werden, was Homer mit seinen Sirenen meinte. Denn ich weiß nur zu gewiß, du wirst von dem Zauber dieser Töne auf die Stelle hingebannt (wie dort Ulysses), Heimath und Freunde vergessen. Und wolltest du auch mit Wachs dir die Ohren verstopfen, [962] auch durch das Wachs hindurch wird die süße Melodie in dein Inneres dringen. Ein solcher, so unzählige Zauberreize aller Art in sich begreifende Gesang kann nichts Anderes als die Frucht eines Unterrichtes seyn, den ihr eine Terpsichore, Melpomene oder Kalliope selbst ertheilte. Um mich übrigens kurz zu fassen, denke dir einen Gesang wie er seyn muß, um zu verdienen, aus solchen Lippen und durch solche Zähne hervorzugehen. Du hast sie ja selbst gesehen: nun stelle dir vor, sie auch gehört zu haben.

15. Was aber ihre Sprache, ihre reine Ionische Mundart und die gefällige, mit Attischer Grazie gepaarte Gewandtheit ihrer Unterhaltung betrifft, so dürfen wir uns darüber um so weniger verwundern, als ihr das Eine angeboren ist, und das Andere sich auf den Antheil gründet, den sie als eine Smyrnäerin an dem Athenischen Bürgerrechte hat.[7] Und endlich, daß sie eine innige Vertraute der Dichtkunst ist, sollte uns Dieß an einer Landsmännin Homer’s befremden? – Hier hast du denn, lieber Freund, mein erstes Bild, worin ich dir, freilich mangelhaft genug, eine Vorstellung von ihrer schönen Stimme und ihrem Gesange zu geben versuchte. Laß dir nun auch die übrigen Bilder vorführen. Denn ich kann dir ihr inneres Wesen nicht, wie du bei ihrem äußern gethan, in einem einzigen, aus mehreren andern zusammengesetzten Bilde darstellen. Ein Solches würde, gelänge es mir, es auch noch so künstlerisch zu vollenden, doch immer nicht zureichen, so viele Schönheiten wiederzugeben; und immer dürfte die aus einer solchen Zusammensetzung entstehende Vielartigkeit [963] einen Widerstreit der einzelnen Züge unter sich zur Folge haben. Ich will dir also von jedem einzelnen ihrer Seelenvorzüge ein Gemälde zu entwerfen suchen, indem ich mich jedesmal so getreu als möglich an das Original halten werde.

Lycinus. Du versprichst mir wahrlich ein herrliches Fest, Polystratus! Nun ja, das heißt wohl recht mit Zinsen heimgehen. Thue es also doch gleich; denn ich wüßte in der That nicht, was du mir Angenehmeres erweisen könntest.

16. Polystratus. Da von allen schönen Eigenschaften, insbesondere von denen, welche durch Uebung erworben werden, die Bildung des Geistes unstreitig am höchsten zu schätzen ist, wohlan so stelle ich dir zuerst ein Gemälde ihres gebildeten Geistes auf, das so mannigfache Schönheiten umfassen soll, daß es auch hierin nicht hinter deinem plastischen Bilde zurückbleiben wird. Ich lege in dasselbe Alles, was der ganze Helikon Herrliches hat, so daß nicht blos einer Klio, Polyhymnia oder Kalliope, oder irgend einer einzelnen Muse Wissen und Kunst, sondern die Schätze Aller insgesammt, und noch dazu die des Mercur und Apollo, sich in ihr vereinigen. Denn Was je die Dichter in gefälligen Rhythmen Schönes geschaffen, Was die Geschichtschreiber überliefert, die Weltweisen gelehrt haben, mit allem Diesem sey mein Gemälde ausgeschmückt, und zwar nicht blos auf der Oberfläche leicht getüncht, sondern tief und bis zur vollen Sättigung eingetaucht in den edeln Färbestoff. Entschuldige nun Freund, wenn ich dir kein Urbild zu diesem Gemälde aufweisen kann: allein die ganze Geschichte stellt uns nichts Aehnliches von ausgezeichneter Geistesbildung auf. Daher lassen [964] wir immer dieses Bild gelten, so wie es ist: ich glaube wenigstens nicht, daß sich etwas daran aussetzen ließe.

17. Lycinus. Ganz und gar nicht, Polystratus! Es ist vielmehr vortrefflich und in allen seinen Zügen vollendet.

Polystratus. Hiernächst habe ich dir ein Bild ihrer Weisheit und ihres Verstandes zu zeichnen, und hiezu werde ich mehrerer Originale bedürfen, von welchen der größere Theil dem Alterthum, und Eines Ionien selbst angehört. Die Meister, die jene Originale malten, sind Aeschines, der Freund des Socrates, und Socrates selbst, Künstler, denen unter Allen das Treffen am besten gelang, und hier um so mehr, als sie mit Liebe malten.

Die berühmte Milesierin Aspasia nämlich, die Geliebte des allbewunderten, ja vergötterten Perikles, gibt uns ein nicht unbrauchbares Bild des Verstandes ab; und Alles, was sie von Kenntniß öffentlicher Geschäfte, von seinem politischem Blick, schneller Besonnenheit und Schärfe des Urtheils besaß, wollen wir ganz genau in unser Gemälde übertragen, nur mit dem Unterschied, daß das Bild der Aspasia auf einem sehr kleinen Raume entworfen, das unsrige hingegen im colossalem Maßstabe zu zeichnen ist.

Lycinus. Wie verstehe ich Das?

Polystratus. Ich meine, die Bilder sind zwar ähnlich, aber von ungleicher Größe. Denn der damalige Staat von Athen, und das gegenwärtige Römerreich lassen auch nicht von Ferne eine Vergleichung zu. Und so hat, bei aller Aehnlichkeit der Züge, unsre Panthéa an Größe den Vorzug vor Aspasia, weil sie auf einer geräumigern Tafel gemalt ist.

[965] 18. Als weitere Musterbilder dienen uns die berühmte Theano, die Dichterin aus Lesbos (Sappho), und endlich die weise Diotíma. Der Zug, den wir von der Erstern entlehnen, ist das Großsinnige ihrer Denkungsart: von der Sappho entnehmen wir die Zartheit des Gefühls, und von der Diotíma nicht blos die Vorzüge, welche Socrates an ihr pries, sondern auch ihre übrigen Talente, ihre Klugheit und ihre Geschicklichkeit, guten Rath zu geben. So hätten wir denn auch dieses Bild vollendet, Lycinus.

19. Lycinus. Und es ist in der That bewundernswürdig ausgefallen. Male mir nun auch die Uebrigen.

Polystratus. Nun möge das Bild ihres guten Herzens folgen, ihre Leutseligkeit, in welcher sich die Milde ihres Charakters ausspricht, und ihrer menschenfreundlichen Neigung, den Hülfsbedürftigen beizustehen. Es sey dieß[WS 1] ein Abbild jener Homerischen Theano, der Gattin des Antenor,[8] und der Aréte nebst ihrer Tochter Nausikaa, und wo immer eine Frau im Glanze glücklicher Umstände edeln Sinn bewahrt hat.

20. Um aber ihre reinen Sitten und ihre treue Anhänglichkeit an ihren Gemahl dir abzuschildern, diene das Gemälde, welches Homer von der tugendhaften und klugen Tochter des Ikarius (Penelope) entwirft, oder auch ihre Namensverwandte, die Gattin des Abradatas, von der wir vorhin gesprochen.

[966] Lycinus. Auch Dieß ist ein treffliches Bild, Polystratus. Allein du wirst nun wohl zu Ende seyn? Wenigstens hast du mir, dächte ich, nun alle Seiten ihres Geistes und Charakters dargestellt.

21. Polystratus. Nein, Freund, noch ist eine Tugend übrig, die ihr mehr als alle andern Ehre macht. So hoch das Glück sie über andere Sterbliche gestellt hat, so hat doch kein eitler Dünkel sich ihrer bemächtigt; und statt im blinden Vertrauen auf die Gunst des Geschickes, einen hochfahrenden und für Andere kränkenden Sinn zu hegen, hält sie sich vielmehr auf gleicher Stufe wie zuvor, und benimmt sich so leutselig, so herablassend gegen Jedermann, und grüßt jeden, der ihr naht, so freundlich, daß dieses ihr Betragen für Diejenigen, die mit ihr umgehen, um so wohlthuender ist, jemehr es von dem sonst häufigen vornehmen und steifen Wesen hoher Personen absticht. Leute, die ihre Macht und ihren Reichthum nicht zur Hoffart, sondern zur Mildthätigkeit gegen Andere anwenden, werden allein der vom Glücke ihnen verliehenen Güter würdig geachtet, und entgehen allein dem Schicksale der Großen, von Neid und Mißgunst angefeindet zu werden. Denn Wer sollte einem Vornehmen übel wollen, der im Gebrauche seiner Glücksgüter mit weiser Mäßigung verfährt, und nicht wie dort die Homerische Ate den Menschen über die Köpfe wegläuft und alles Niedrigere unter seine Füße tritt? Nur kleine Seelen von gemeiner Denkungsart werden das Letztere sich erlauben. Diese bleiben, wenn ein unverhofftes Glück sie auf seinem geflügelten Luftwagen emporgetragen, nie in ruhiger Verfassung; noch weniger schauen sie herab auf die Niedrigkeit ihrer frühern Lage, [967] sondern wollen mit Gewalt einen immer höhern Flug erzwingen; und so geht es ihnen denn, wie dort dem Icarus: das Wachs ihrer Flügel schmilzt nachgerade, die Schwingen lösen sich, und sie stürzen unter dem Gelächter der Zuschauer kopfüber in die Fluthen; die aber wie ein weiser Dädalus mit ihren Fittigen umzugehen wissen, und stets eingedenk, daß sie nur von Wachs sind, ihre Schwungkraft weislich zu Rathe halten und als bescheidene Sterbliche niedrig genug über den Wogen schweben, um ihre Flügel von ihnen angefrischt werden zu lassen, statt sie immer den Sonnenstrahlen entgegen zu breiten – diese fliegen mit Verstand und darum sicher. Und eben Das ist’s, was auch an dieser Frau so ganz vorzüglich gerühmt werden muß. Sie verdient, daß alle Welt ihr dafür mit dem aufrichtigen Wunsche lohne, daß der Flug ihres Glückes von Dauer seyn und fortan noch eine reiche Fülle alles Guten ihr zuströmen möge.

22. Lycinus. Das wollen die Götter! Sie verdient es um so mehr, da sie nicht wie Helena blos dem Körper nach schön ist, sondern unter diesen äußeren Reizen eine noch weit schönere und liebenswürdigere Seele birgt. Aber auch unser guter und menschenfreundlicher Monarch verdient zu dem vielen Schönen und Guten, das ihm geworden, auch noch das Glück, daß ein solches Weib unter seiner Regierung geboren werden, daß es sein Weib werden, daß es ihn lieben mußte. Denn in der That, für eine große Gunstbezeugung des Glückes muß eine Frau gelten, auf welche jene Homerischen Worte mit Wahrheit angewendet werden können:[9]

[968]

Aphroditen, der goldenen, gleicht sie an reizender Bildung,
Und ist klug, wie Pallas Athen’, an künstlicher Arbeit.

Unter allen Frauen, so viele ihrer sind, kann mit ihr keine in Vergleichung kommen, weder, wie Homer sagt:[10]

Weder an Bildung und Wuchs, noch an Geist und künstlichen Händen.

23. Polystratus. So ist es, mein Freund! So tragen wir denn unsere Bilder, das deinige von ihrem Aeußeren und die, welche ich von ihrer Seele entworfen, in Eines zusammen, und übergeben es – in Schrift gebracht – der Mit- und Nachwelt zur Bewunderung. Es dürfte leicht von längerer Dauer seyn als die Kunstwerke eines Apelles, Parrhasius und Polygnotus, um so mehr, da es nicht aus Holz, Wachs und Farben, sondern aus Gedanken gebildet ist, die uns die Musen eingaben, und daher den Vorzug hat, außer den Reizen ihrer Gestalt auch die Schönheiten ihres Geistes zu malen.


  1. Eine Lobschrift auf Panthéa, die Geliebte (nach Andern, Gemahlin) des L. Verus, Mitregenten Marc. Aurel’s.
  2. Niobe.
  3. Odyss. XVIII. Minerva goß über die Penelope ambrosische Schönheit, und (v. 196) „schuf sie weisser als Elfenbein, das der Künstler geglättet.“
  4. Im fünften und folgenden Buche seiner Cyropädie.
  5. „oder – Zinsen.“ Wieland.
  6. Iliade I, 245.
  7. Insofern die Ionier, welche Smyrna gründeten, aus Attika eingewandert sind.
  8. Iliade V, 69. ff.:

    – – Pedáos – – der Sohn des Antenor,
    Der unehelich war; doch erzog ihn die edle Theano
    Gleich den eigenen Kindern – –

  9. Iliad. IX, 389 f.
  10. Ebendas. I, 115.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: diß.