Die Deutschen in Konstantinopel

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Autor: G. A.
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Titel: Die Deutschen in Konstantinopel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 106–107
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Deutschen in Konstantinopel.

Entfernungen giebt es in der Gegenwart, dem Zeitalter des Dampfes und der Elektricität, nicht mehr; vor vierzig Jahren aber hat der deutsche Wandersmann, der von einer Reise nach Konstantinopel zu Hause ankam, Erstaunen erregt, er war ein Phänomen. Was wußte er nicht alles zu erzählen! Die abenteuerlichen Erlebnisse des Handwerksburschen Döbler auf seiner Wanderschaft nach Konstantinopel, die derselbe unter dem Patronate eines ehrsamen Pfarrherrn herausgab, fanden in Deutschland Hunderte von Abnehmern und der Verleger machte ein gutes Geschäft. Heutzutage ist er mit Recht sehr vorsichtig, wenn ihm ein Buch über Konstantinopel angeboten wird. „Die Herrin zweier Meere und Welttheile“ ist nicht mehr die verschleierte Schöne von dazumal; ob sie auch von ihren natürlichen Reizen nichts verlor, der Geschmack des Lesers ist ein anderer geworden und das allgemeine Interesse folgt jetzt mehr den Spuren des Afrikareisenden.

Eine Reise nach Konstantinopel ist heute kein Wagestück mehr; vor wenig Jahrzehnten noch konnte man aber dahin im wahren Sinne des Wortes seine Haut zu Markte tragen und es bedurfte zu einer Fahrt nach Konstantinopel kühner Unternehmungslust und Entschlossenheit; heute bedarf es nur einer Fahrkarte für den Orient-Expreßzug, um so behaglich als möglich an den Bosporus zu gelangen; heute findet der Europäer, woher er auch kommen möge, daselbst Landsleute, die unter dem Schutze von Konsulaten und Gesandtschaften vollster Freiheit und Unabhängigkeit genießen. Besonders rasch und erfolgreich entwickelte sich die Kolonie der Deutschen und Schweizer in Konstantinopel; sie ist eine rühmliche Frucht der Emsigkeit, Ausdauer und der Bereitwilligkeit zu gegenseitiger Unterstützung.

Ihre Entstehungsgeschichte ist keine außergewöhnliche. Deutsche Wanderburschen, die ihr Stern hierhergeführt, übten ihr Handwerk aus, hatten Glück, andere folgten nach, und der jedem rechten deutschen Manne angeborene Sinn für Pflege der Landsmannschaft und des geselligen Zusammenlebens brachte eine kleine Verbindung zu stande, die sich nach und nach erweiterte. So ruht also die deutsche Kolonie auf dem goldenen Boden des Handwerks.

Die Gründung des ersten Deutschen Vereins fällt in das Jahr 1843. Als damals die Handwerker einen jungen deutschen Wanderburschen, der den Strapazen und Mühen seiner langen Fußreise am Ziele seiner Wanderschaft erlag, mit all seinen Hoffnungen, die den Jüngling aus der Heimath in die Fremde gelockt hatten, zu Grabe trugen, da erweckte der deutsche Missionsprediger Metzger in den Herzen seiner Landsleute den guten Gedanken, sich zusammenzuthun zum Zwecke der Unterstützung hilflos ankommender Deutschen, die bislang in Konstantinopel kein ordentliches Obdach fanden und oft in schlechten Gasthäusern und verrufenen Spelunken Wohnung nehmen mußten. Ein Krankenhaus wurde gemiethet und vorläufig mit 7 Betten versorgt, der deutsche Arzt Dr. Stoll bot seine Dienste unentgeltlich an.

Heute ragt das „Deutsche Krankenhaus“ in Pera aus der Menge der umliegenden Häuser als mehrstöckiger Bau weithin schauend hervor. Von seinen Zimmern aus genießt der Kranke eine herzerquickende Fernsicht auf den Bosporus und die umliegenden Orte, und in ganz Konstantinopel ist das deutsche Hospital berühmt geworden durch treffliche Einrichtung und Leitung. Die opferfreudige Pflege der Schwestern der Kaiserswerther Diakonissenanstalt – deren Oberin, Schwester Lisette, als Muster selbstloser Menschenliebe in Pera der größten Achtung genießt –, die Kunst tüchtiger Aerzte und das wohlthätige Walten eines unermüdlichen, freundlichen Seelsorgers haben dem Krankenhause einen solchen Ruf verschafft, daß nicht nur Deutsche, sondern Kranke jeder Nation und Konfession Zuflucht in demselben suchen.

Der Araber, der spanische Jude, der Arnaute sucht das Deutsche Spital auf. Da treffen sich neulich am Tunnelplatz in Galata zwei Freunde.

„Bist Du nicht ins Paradies gegangen?“ fragt verwundert der Türke den Perser.

„Ich lebe noch; el hamdü lillah!

„Wo bist Du denn gewesen?“

„Im deutschen Spital.“

Im Jahre 1847 miethete der Deutsche Unterstützungsverein einen Gesellschaftsraum in der Hauptstraße von Pera und richtete sich unter dem Namen „Teutonia“ ein. Zu dieser Zeit gab es dort noch keine Standesunterschiede. Der Kaufmann, der Beamte und der Handwerker lebten untereinander in patriarchalischer Gemüthlichkeit. Man sang und tanzte und vergnügte sich nach Herzenslust. Frau X. brachte ihren halbjährigen Buben und Frau Z. ihr 6 Monate altes Mädchen mit, man legte sie, wie ein Garderobestück, bei der Frau Wirthin aufs Bett, diese beaufsichtigte die [107] Kleinen, damit Mütterchen tanzen konnte. Zum letzten Glase sang man noch: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ und brachte ein Hoch aus auf den König von Preußen. Wie mancher, dem in Konstantinopel inzwischen die Haare grau geworden sind, erinnert sich noch an jene Tage einfacher, schlichter Geselligkeit, an die heiteren Fahrten nach Bebek am Bosporus zu den Kegelpartien im gastlichen Schneiderschen Hause!

Nun stand aber leider auch im Garten der „Teutonia“ ein Baum der Erkenntniß. Bereits nach fünf Jahren war die Mitgliederzahl des Vereins infolge raschen Aufblühens der Kolonie auf über 200 angewachsen, und bald fühlten die Handwerker, die bis jetzt das Heft in Händen gehabt hatten, einen Abstand zwischen sich und einer beträchtlichen Zahl der übrigen Mitglieder der „Teutonia“, so daß sie dieselbe verließen und sich selbst wieder als Handwerkerverein, zunächst als Hilfsverein, einrichteten. Das Vereinsleben der Kolonie spaltete sich von da an in zwei Lager. Doch eine innerliche Zerklüftung der Kolonie trat durch diese Trennung nicht ein, da keine der beiden Gesellschaften eine wirkliche Gegenpartei bildete. Das vaterländische Interesse umschlang beide und umschlingt sie noch heute.

Mehrmals brannte die alte „Teutonia“ ab und auch das Lokal des Handwerkervereins mit seiner Bibliothek wurde erst im Jahre 1885 noch durch eine Feuersbrunst zerstört, aber kein Unglücksfall, der die Vereine traf, vermochte ihren Bestand zu gefährden.

Die „Teutonia“ verfügt gegenwärtig über ein eigenes Gebäude, welches dem Einvernehmen der Deutschen und Schweizer seine Entstehung verdankt. Seit 25 Jahren bildet dieser Verein den Mittelpunkt der Kolonie. Er ist ein Anker des Deutschthums im Goldenen Horn und hängt mit unzerreißbaren Banden am Vaterlande; alles, was in der Heimath geschieht, wird hier von den Landsleuten mit warmer Theilnahme besprochen. Die „Teutonia“ zählt gegenwärtig an 200 Mitglieder, der Handwerkerverein 110. Weder Franzosen, noch Engländer, noch Italiener in Konstantinopel rühmen sich einer ähnlichen Verbindung. Die „Società operaja“ der letzteren gleicht dem deutschen Handwerkerverein und hat sich diesem gegenüber, anläßlich des erwähnten Brandunglückes, welches denselben vor nicht langer Zeit betroffen hat, in hohem Grade freundschaftlich benommen.

Die Mitglieder des soliden und thatkräftigen schweizerischen Unterstützungsvereins „Helvetia“, sowie des deutschen „Turnvereins“ gehören zum größten Theil der „Teutonia“ an. Der „Deutsche Exkursions-Club“ will keine selbständige sociale Stellung einnehmen, aber er ist des schönen und edlen Zweckes halber, den er verfolgt, der Erwähnung werth, da er seinen Angehörigen die Möglichkeit zu verschaffen sucht, das an Denkwürdigem und Sehenswerthem reiche Konstantinopel und seine Umgebungen gründlich kennen zu lernen.

Die deutsche und schweizer Kolonie besteht im ganzen aus rund 1500 Deutschen und 200 Schweizern, von denen 1265 auf dem deutschen Konsulate eingeschrieben sind. Die Mehrzahl der Deutschen und der Schweizer gehört dem Kaufmannsstande an. Der Zuwachs der Kolonie richtet sich also in erster Linie nach den Handelszuständen in Konstantinopel und hat daher seit dem russischen Kriege nicht wesentlich zugenommen. Die blutigen Händel der Türkei mit anderen Nationen, der türkische Staatsbankerott hatten eine Zinsreduktion zur Folge und schädigten auch die Interessen der deutschen Kolonie. Die Kriegswirren des letzten Jahrzehnts, die Aufstände in Bosnien, Serbien und Montenegro, die bulgarischen Verwicklungen wirkten fortgesetzt nachtheilig, und die durch den russisch-türkischen Krieg hervorgerufenen Schwierigkeiten machten sich auch der deutschen Kolonie fühlbar. Wenn auch die nach dem Kriege eingetretene Reaktion das Geschäftsleben wieder in Schwung brachte, so verdankt doch der wohlhabende deutsche und schweizer Kaufmann in Konstantinopel – namentlich mit Rücksicht auf die theuren Lebensverhältnisse – seinen Erfolg mehr als auf irgend einem anderen Platze lediglich seiner außergewöhnlichen Geschäftskenntniß und fachmännischen Gewandtheit.

Mit dem gesunden Vereinsleben der Kolonie und ihrer socialen Kraft in Einklang steht ihre Schule, die „deutsche und schweizer Bürgerschule“ in Pera. Dieselbe verdankt ihren jetzigen Zustand ebenfalls der Einheit und dem Gemeinsinn der deutschen und schweizer Kolonie und ist ein erfreuliches Ergebniß der Vereinigung ihrer Kräfte. Schon lange vor Einweihung der evangelischen Kirche (1861) bestand eine sogenannte „preußische Schule“ in dem zu Pera gehörigen abgelegenen Stadtviertel Ainali-Tschesmé. Im Jahre 1868 gründeten Deutsche und Schweizer die jetzige Bürgerschule. Beide Schulen wurden fünf Jahre später verschmolzen und für die solcherweise zu Stande gekommene Gemeindeschule ward ein Grundstück angekauft und darauf ein Haus erbaut. Der größte Theil der Kosten wurde durch die Gemeinde selbst gedeckt, dann aber wurde diese auch durch namhafte und hochherzige Schenkungen des deutschen Kaisers unterstützt.

Der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Herr von Radowitz, welcher schon als Geschäftsträger in Bukarest ein warmes Herz für seine Landsleute bewies, vermittelte der deutschen Kolonie einen namhaften jährlichen Reichszuschuß für ihre Schule. Leider aber steht dem Auswärtigen Amte in Berlin zur Unterstützung für Schulen im Auslande nur ein verhältnißmäßig niedriger Betrag zu Gebote. Daher kommte es, daß auch die deutsche Schule in Konstantinopel nicht ganz ohne Sorgen in die Zukunft blickt. Dennoch fährt sie ruhig fort, ihre Aufgabe zu erfüllen, und wird sich hoffentlich auch in der Folge, wie bis heute, so fortentwickeln, daß sie im Stande ist, als Pflanzstätte deutscher Bildung und Sitte im Orient das Ansehen des Vaterlandes zu mehren. Daß die Schule heute diesen Zweck erfüllt, erweist sich aus dem Umstande, daß sie nicht nur von Deutschen und Schweizern besucht wird, sondern daß fast alle in Konstantinopel vertretenen Nationen Kinder in die deutsche Schule schicken. Namentlich mehrte sich die Schülerzahl in den letzten Jahren, so daß sie gegenwärtig über 300 beträgt. Den Grund hierfür haben wir weniger in der Zunahme der deutschen Bevölkerung in Konstantinopel zu suchen (da dieselbe seit dem Jahre 1877 sich fast gleich blieb), sondern einerseits in der freudigen Opferwilligkeit der deutschen Gemeinde, die ihren Stolz in das Gedeihen ihrer Schule setzt, andererseits in der Tüchtigkeit und dem harmonischen Zusammenwirken von Vorstand und Lehrerschaft. Seit 1876 ist Herr Bergrath Dr. E. Weiß, ein sehr verdienter und allgemein geachteter Mann (zugleich Präsident der „Teutonia“), Vorsitzender des Schulrathes.

Ein unvergeßliches Andenken bewahrt die Gemeinde Herrn Felix Mühlmann, jetzt Direktor des k. Seminars zu Oranienburg, der als Rektor der Bürgerschule (von Oktober 1879 bis Herbst 1887), unterstützt von tüchtigen Männern, durch redliches und unentwegtes Streben die Schule auf ihren gegenwärtigen Standpunkt hob.

Das Zusammenhalten und gediegene Vereinsleben der Deutschen und Schweizer in Konstantinopel steht demjenigen anderer Nationen voran und läßt sich nicht verweichlichen und verflachen oder, wie Murad („Türkische Skizzen“ I. S. 72) sich ausdrückt: „Es widersteht hartnäckig jeder Verschmelzung mit dem perotischen Element.“ Das wirkt naturgemäß befestigend auf den Zustand der gemeinschaftlichen Schule, und dies begründet es, daß Schulen anderer Nationen sich nicht der Frequenz der deutschen „Bürgerschule“ erfreuen können, wenn jene auch finanziell ausnahmslos besser gestellt sind als die deutsche Schule. Das Wachsthum der deutschen Schule bedeutet eine Mehrung deutschen Wesens und deutscher Kraft und ist für das Vaterland um so wichtiger, als Schüler der deutschen Schule, welche sich dem Kaufmannsstande widmen, fast ausnahmslos in deutschen Häusern Beschäftigung finden. Wenn sie also die Bedingung erfüllt, an und für sich und in ihrer Art eine der besten deutschen Schulen überhaupt zu sein und außerdem eine Menge besonderer Schwierigkeiten, die ihr in den Weg traten, zu überwinden vermochte, so muß uns die Lebens- und Thatkraft, welche in der deutschen und schweizer Kolonie zu Konstantinopel mächtig ist, mit Genugthuung erfüllen.

Eine jährliche Schulfeier, welche sich zu einem Fest für die ganze Kolonie gestaltet und jedes Frühjahr im deutschen Parke zu Therapia abgehalten wird, giebt dem freudigen Gefühl der Schulgemeinde und ihrem berechtigten Stolze Ausdruck. Wenn sich dann ein Zug von mehr als 300 Kindern, fröhlichen Knaben und Mädchen, mit deutschen und schweizer Fahnen durch die Stadt bewegt, um, weit weg von der Heimath, ein deutsches Jugendfest zu feiern, dann haben wir auch zu Haus alle Ursache, an dieser Freude theilzunehmen mit unseren besten Wünschen für Jung-Deutschland im Orient. G. A.