Die Franzosen in der Schweiz

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Autor: O. Henne am Rhyn
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Titel: Die Franzosen in der Schweiz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 220–223
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Franzosen in der Schweiz.

Eine historische Erinnerung aus der Zeit der großen Revolution.
Von O. Henne am Rhyn.

Eine jener geschichtlichen Unwahrheiten, wie sie oft von ganzen Völkern geglaubt und als unumstößlich richtig angenommen werden, ist auch die in der Schweiz weitverbreitete Ansicht, als ob die Franzosen mit diesem Lande stets im besten Einvernehmen gestanden, ihm nichts als Gutes und Wohlthätiges erwiesen, so als ob sie ihm eigentlich die vorher abhanden gekommene Freiheit gebracht hätten. Dieser falschen Ansicht gegenüber schlagen wir die Bücher der Geschichte auf und finden darin gar Manches, was geeignet wäre, jene „uneigennützigen Bringer der Freiheit“ in einem wesentlich andern Lichte erscheinen zu lassen, als dem, in welchem sie bei einer Menge wohlmeinender, aber in der Geschichte nicht besonders bewanderter Leute stehen. Daß die verrotteten Verhältnisse der Schweiz, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert bestanden, auch ohne einen Einfall der Franzosen in das Land eine Verbesserung erfahren hätten, und zwar, wenn auch eine langsame, doch eine natürliche, maßvolle, welche spätere Reaktionen erspart hätte, kann jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen.

Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß hierzu die französische Revolution von 1789 einen Anstoß gab, dessen Wirkungen unverkennbar sind, allein von diesem Anstoße bis zu einem Raub- und Mordanfalle, wie er 1798 von einem Nachbarvolke gegen ein anderes verübt wurde, ist noch ein weiter und keineswegs nothwendiger Schritt. Jedenfalls war es ein verhängnißvolles Unternehmen der schweizerischen Emigranten, die Hilfe Frankreichs herbeizurufen.

[222] Ihre Bemühungen bei dem französischen Direktorium trugen um so mehr Früchte, als ein Mitglied dieser Behörde, der Elsässer Reubel, einst als Advokat einen Proceß in Bern verloren hatte und bei diesem Anlasse auf die gefüllten Schatzkammern der Berner Regierung aufmerksam geworden war. Mit ihm verabredeten zwei Schweizer, der intrigante gewesene Stadtschreiber Ochs aus Basel und der antik-ideal angehauchte Waadtländer Laharpe, vorher russischer Prinzenerzieher, die Invasion ihres Vaterlandes und dessen Verwandelung in die „eine und untheilbare helvetische Republik“: ein Schritt, wie er gegenüber dem ganzen Gange der Geschichte natur- und vernunftwidriger sich nicht denken ließ und daher auch von den Ereignissen und dem Schweizervolke selbst in entschiedenster Weise verurtheilt worden ist.

Den im Frühjahre 1798 von Seite der französischen radikalen gegen die schweizerischen konservativen Republikaner geführten Krieg zu schildern, liegt außerhäln der Aufgabe dieser Zeilen.

Schon gleich nach dem Einzuge der Franzosen in Bern begannen die Schandthaten, welche die sogenannten Befreier des Schweizervolkes in dessen Gedächtniß unsterblich hätten machen müssen, wenn dasselbe nicht zu gutmüthig wäre, um erlittenes Unrecht den Feinden lange nachzutragen.

Das schöne und große Dorf Münsingen zwischen Bern und Thun wurde von den Kämpfern für Freiheit und Gleichheit in Brand gesteckt und die Einwohner von ihren „Befreiern“ mit Säbelhieben vom heimischen Herde weggetrieben. In der nächsten Umgebung Berns waren 500 Familien von den Franzosen aller Habseligkeiten beraubt worden und besaßen weder Geräthschaften, noch Vieh, weder Speisen noch Geld mehr; ihre Wohnungen hatten weder Fenster noch Thüren, ihre Zimmer keine Betten mehr; sie waren dem Hunger und der Kälte preisgegeben und der Verführung ausgesetzt zu Diebstahl und Raub zu greifen. Im „Bremgartenwalde“ bei Bern lag eine Menge unter unsagbaren Umständen gemordeter Frauen! Das eigentliche Ziel des französischen Einbruches war aber der Staatsschatz von Bern. Nachdem man ihn unter Siegel gelegt, sprengte man erst die öffentlichen Kassen, plünderte dann die Zeughäuser, sandte 130 Kanonen und 60000 Flinten nach Frankreich und raubte schließlich den Staatsschatz selbst aus, in dem sich nach der geringsten Angabe 7, nach der höchsten (und zwar einer französischen!) 26 Millionen Livres französischer Währung befanden. Von diesem Gelde wurden etwa 5 Millionen Frankem für die Expedition ausgegeben, welche der aufstrebende korsische Adler noch in demselben Jahre nach dem Lande der Pharaonen führte, und man soll noch lange nachher am Fuße der Pyramiden Berner Thaler und Doublonen getroffen haben. Sogar die drei lebenden Bären, den Stolz Berns, führten die Helden gefangen nach Paris!

Der Haupträuber, Gehilfe des französischen Oberkriegskommissärs in der Schweiz, später Agent der französischen Regierung, war ein gewisser Rapinat, Schwager des Kriegsministers Reubel, und ein gelungenes Witzwort sagte damals von demselben: man wisse nicht, ob Rapinat von rapine (Raub) oder rapine von Rapinat abzuleiten sei. Den Kantonen Bern, Freiburg, Solothurn, Luzern und Zürich wurde eine Kriegssteuer von fünfzehn Millionen, der katholischen Geistlichkeit eine solche von einer Million Franken auferlegt. Erstere Summe sollte binnen drei Monaten von Seiten der früher regierungsberechtigten Familien entrichtet werden, und mehrere Mitglieder derselben wurden als Geiseln nach der französischen Festung Hüningen oder nach Straßburg geschleppt. Alle Kassen der Schweiz wurden geplündert, so daß die neuen „helvetischen“ Behörden nicht wußten, wie sie ihre Pflichten erfüllen sollten. Umsonst suchte Laharpe, der später in das helvetische Direktorium gelangte, seine Unbesonnenheit, mit der er die Franzosen in das Land gerufen, dadurch gut zu machen, daß er gegen jene Erpressungen protestirte und die Schändlichkeiten der Blutsauger unerbittllch aufdeckte. Innerhalb eines Monats erpreßte der General Brune, welcher die Truppen aus dem Waadtlande nach Bern geführt hatte, von den Schweizern etwa 200000 Franken für seine „guten Dienste“, wie er es nannte, und als er dann abberufen wurde, verließ er Bern in einer geraubten Kutsche, die aber wegem Ueberladung mit gestohlenem Gelde auf der Straße zusammenbrach.

Zwei Monate nach dem Falle Berns, zu Ende April 1798, war erst die ebene Schweiz für das künstliche Gebilde der helvetischen Republik gewonnen. Dagegen leistete ihr noch das gesammte Gebirgsland im Innern der Schweiz ernsten Widerstand. Man wollte sich dort, wo es keine Aristokratie gab, die alte Freiheit der Kantone mit ihren echt germanischen Landsgemeinden[1] nicht rauben lassen, und schloß einen Bund der Vertheidigung gegen neumodisch demokratische, in Wirklichkeit bureaukratische und französische Zustände, die den Bürgern wider ihren Willen aufgedrängt werden sollten.

Schwyz stand an der Spitze dieses altschweizerischen Gebirgsbundes und hatte den kühnen Plan, mit seinen Bundesgenossen die Schweiz zurückzuerobern und die alte Eidgenossenschaft, doch ohne Unterthanenlande, wieder herzustellen. Die helvetische Regierung sah sich durch die Umstände gezwungen, die fremden Heere gegen ihre eigenen Landsleute in Anspruch zu nehmen, und ungeachtet eines der alten Schweizer würdigen Heldenmuthes, durch welchen auf dem klassischen Boden von Morgarten unter Anführung des edeln Aloys Reding die Franzosen zurückgeschlagen wurden, siegte doch zuletzt deren gewaltige Uebermacht über die seit langer Zeit krlegsungeübten Gebirgssöhne, und ihr altes freies Land wurde von den fremden Scharen überschwemmt und grauenhaft mißhandelt. An der Stelle der Nachkommen der Männer vom Rütli regierte jetzt der scheußliche Rapinat am wundervollen Vierwaldstättersee. Er und seine Raubgesellen stahlen die Kassen der armen Waldkantone ebenso wie sie das reiche Bern geplündert hatten, und da das Geld ihnen zu wenig war, raubten sie auch die Rüstungen ünd Waffen, mit denen einst die Freiheit erkämpft worden war, aus den Zeughäusern. Was den armen Landleuten noch geblieben, fraßen die französischen Soldaten und ihre Pferde auf, und das die Bewohner nährende Vieh wurde zum Unterhalte der fremden Truppen, die man nicht gerufen hatte, geschlachtet. Um Geld zu erpressen, schossen die Franzosen in die Häuser, verjagten die Einwohner und plünderten dann ihre Habe. Umsonst machte die schwache helvetische Regierung, welche doch selbst die Fremden in das Gebirge gesandt hatte, durch das Elend ihrer Landsleute erschreckt, Vorstellungen in Paris. Das französische Direktorium antwortete höhnend: diese Klagen seien nur Folgen der Intrigen des englischen Gesandten! Umsonst auch bemühte sich der französische General Schauenburg (ein Lothringer), welcher über den Jura her in die Schweiz gezogen war, die Ausschweifungen seiner zuchtlosen Mannschaft zu zügeln.

Edelgesinnte Schweizer, namentlich der aus Preußen eingewanderte, damals hochgeschätzte Schriftsteller Heinrich Zschokke, sammelten im In- und Auslande für die so schwer heimgesuchten Urkantone. In der That kamen aus der ebenen und reicheren Schweiz, aus Deutschland, selbst aus Dänemark, Spanien, Italien und England ansehnliche Unterstützungen – nur Frankreich, welches das Elend angerichtet hatte, verweigerte jede Hilfe.

Es muß indessen zugestanden werden, daß in der nunmehr über die ganze Schweiz (Graubünden einstweilen ausgenommen) ausgebreiteten helvetischen Republik, allerdings durch die modern gesinnten Schweizer, nicht durch die Franzosen, höchst zweckmäßige Verbesserungen eingeführt wurden, deren sich die Schweizer heute noch erfreuen. Die helvetischen Behörden waren, soweit es ihre Schwäche gegenüber den Franzosen gestattete, von den besten Absichten beseelt, und es wurden großartige Ideen ausgesprochen, die heute noch nicht durchgeführt sind, wie z. B Rechtseinheit. Aber was fruchtete dies? Die helvetische Regierung ordnete an; Rapinat aber befahl „im Namen des französischen Direktoriums“, plünderte und raubte nach Belieben, ja setzte sogar eigenmächtig, auf die Bajonette seiner Landsleute gestützt, Regierungsmitglieder ab und ein! Und dabei gab es leider immer noch Schweizer, welche so servil waren, das von den Franzosen Verfügte zu beklatschen!

Die entsetzlichsten Scenen, welche die „Freundschaft“ Frankreichs für die „Schwesterrepublik“ zur Folge hatte, sollten aber erst noch kommen. Am 12. Juli 1798 beschloß die helvetische Regierung unkluger und überflüssiger Weise, von allen Staatsbürgern des Landes einen sogenannten Bürgereid zu verlangen und diejenigen, die denselben verweigern würden, mit dem Verluste des Bürgerrechts zu bestrafen! Wurde nun diese gehässige Maßregel schon in jenen Gegenden, welche sich der neuen Verfassung freiwillig gefügt hatten, mit Mißtrauen, Hohn und [223] Abneigung aufgenommen, so erwachte vollends in den zu der Verfassung durch Waffengewalt gezwungenen Urkantonen der alte Widerstand von neuem. Doch fügten sie sich, im Angesichte drohender neuer Kriegsgräuel, dem Bürgereide bis auf das kleine Nidwalden (den nördlichen Theil des Kantons Unterwalden), welches durch die mannigfachen, den alten Sitten und Zuständen und der alten Religion zugefügten Kränkungen aufs höchste erbittert war.

Es wurde hier wieder eine Landsgemeinde gehalten und eine provisorische Regierung aufgestellt. Zwar trat nachher eine kühlere Ueberlegung und Neigung zum Nachgeben ein, aber als man in Aarau (damals Hauptort der helvetischen Republik) die Auslieferung der aufreizenden Geistlichen und Volksführer verlangte, verstärkte sich die Opposition, und die Landsgemeinde beschloß thörichter Weise geradezu Aufhebung der helvetischen Verfassung.

Nun beging aber die helvetische Regierung, wie man es wohl nennen darf, das Verbrechen, den Einmarsch französischer Truppen, während sie doch einheimische zur Verfügung hatte, in Nidwalden anzuordnen. Das Ländchen war vollständig isolirt; Obwalden hing der neuen Ordnung der Dinge an, und aus Uri und Schwyz erschienen nur kleine Hilfsscharen in Stans, welches über 1540 Mann und acht Kanonen verfügte. Gegen diese Handvoll Leute nun marschirten zu Anfang des September 18000 bis 20000 Mann Franzosen, das heißt mehr als das Doppelte der Gesammtbevölkerung des bedrohten Ländchens! Am 9. September fand der Angriff und der furchtbare Kampf statt, welchem das heldenmüthig ringende Völkchen endlich erlag, nachdem die Franzosen durch die niemals fehlenden Unterwaldner Schützen weit mehr Leute verloren hatten, als ihre Gegner Kämpfer zählten. Aber ihre Rache war schauerlich! Schauenburg hat durch diesen Tag seinen Namen auf ewig gebrandmarkt. Er erzählt in seinem Berichte selbst: „Gegen 6 Uhr Abends waren wir Meister dieser Gegend, die größtentheils verbrannt und verheert ist … mehrere Priester und leider auch eine große Anzahl Weiber sind auf dem Platze geblieben … Alles, was bewaffnet war, wurde niedergemacht.“

Im Kampfe waren nicht hundert Nidwaldner gefallen, aber nach dem theuer erkauften Siege der Eindringlinge wurden, abgesehen von zahlreichen barbarischen Mißhandlungen, Personen, darunter 8 Geistliche, 50 Kinder, viele Greise, Kranke und Frauen wehrlos gemordet, selbst in den Kirchen machten die Scheusale die frommen Beter und Beterinnen, wie auch solche, die sich hinein flüchteten, unter entsetzlichen Nebenumständen nieder. Ja die Franzosen ließen sich von Männern und Frauen mehr oder weniger Geld für die Sicherung ihres Lebens zahlen und – marterten sie dann zu Tode. Neun Kirchen und Kapellen, 316 Häuser und über 300 andere Gebäude wurden niedergebrannt. Alle vorgefundenen Geräthschaften wurden zertrümmert, Speisen ruchlos weggeworfen, wenn die Unholde satt waren; was irgendwie abzulösen war, gestohlen und die armen Leute wurden gefoltert, wenn man meinte, sie besäßen noch etwas. Namentlich wurden die Kirchen auf die empörendste Weise geschändet und geplündert. Von zahl- und namenlosen Verbrechen gegen die Sittlichkeit schweigen wir, auch abgesehen von solchen wurde mit rohester Absichtlichkeit der sittliche und religiöse Sinn des Volkes verletzt und verhöhnt. Zweiundzwanzig überwundene Kämpfer wurden, während noch ihre Wohnungen rauchten, in strömendem Regen gefesselt aus der Heimath nach Schwyz, Aarburg und Basel in entsetzliche Kerker geschleppt und nach langer Haft zu schweren Ehren- und Geldstrafen verurtheilt. Siebenundsiebzig Flüchtlinge verloren Hab und Gut. Die wegen ihrer Abneigung gegen die Franzosen und die „Helvetik“ bekannten Frauen mußten die Straßen und das in eine französische Kaserne umgewandelte Kapuzinerkloster in Stans reinigen.

Diese und ähnliche Schmachthaten dauerten fort, bis die neue Ordnung der Dinge unter französischem Oberbefehl in Nidwalden wieder hergestellt war. Die „Freiheit“ und „Gleichheit“, die als Motto damals überall hingepinselt wurden, waren in dem verwüsteten Ländchen zur Wahrheit geworden; denn das Volk war nun von allen irdischen Gütern frei und in Elend und Noth gleich. Man schätzte den finanziellen Schaden, welchen Nidwalden damals erlitt, auf anderthalb Millionen Gulden. Nach alledem aber beschloß der kriechende helvetische „Senat“: die französische Armee habe sich um das Vaterland verdient gemacht! Freilich ließen die Behörden auch eine Liebessteuer für die Unglücklichen sammeln und verabreichten ihnen selbst einen Beitrag; aber konnten sie damit die Todten auferwecken, die namenlos Gekränkten entschädigen und ihre eigene Schmach auslöschen? Vier Wochen nach dem „schrecklichen Tage“, wie er seitdem mit Recht hieß, schwur das gebeugte Volk des verheerten Nidwalden den Bürgereid.

Die französischen Truppen blieben nach diesen Ereignissen noch über drei Jahre in der Schweiz und zehrten nicht allein alles auf, was im Lande zu finden war, sondern im Jahre 1799 halfen ihnen darin die Oesterreicher und Russen, welche die alten Regierungen wieder zurückzuführen versuchten, aber nach einem blutigen Kriege mit den Franzosen auf Schweizerboden durch die entscheidende Schlacht bei Zürich am 26. September hinausgeworfen wurden. Das Schweizerland war nach diesem Kriege vollends ein Trümmer- und Leichenfeld. Das hielt aber die Franzosen nicht ab, den Schweizern noch den letzten Rest ihrer Habe zu rauben. General Massena, der Sieger von Zürich, erpreßte von dieser Stadt und Basel je 800000, von St. Gallen 400000 Franken. Die Preise der Lebensmittel wuchsen, das Brot stieg bis auf acht Batzen (etwa eine Mark) das Pfund, und die Requisitionen der Truppen waren nicht zu erschwingen. Eine Menge Familien besaß kaum das nackte Leben; von Kleidern, die diesen Namen verdienten, war keine Rede, von Betten vollends gar nicht. Und wenn Jemand es wagte, sein Eigenthum gegen die Räubereien oder weibliche Ehre gegen die Attentate der Franzosen zu schützen, der wurde einfach niedergeschossen. –

Unter diesen Umständen nahm die Sympathie für die helvetische Republik, deren Lenker immer mehr Werkzeuge Frankreichs wurden, stetig ab und Alles sehnte sich nach Herstellung der alten Zustände, freilich vorwiegend mit Verbesserung derselben; nur die Patrizier der Städte blieben unbelehrbar und träumten von vollständiger Reaktion. Als endlich Frankreich an der Spitze der Schweiz, mit Hilfe mehrerer Staatsstreiche, lauter gefügige Leute sah, zog es im Sommer 1802 seine Truppen aus dem ausgesogenen Lande zurück. Kaum war dies geschehen, so brach in den Urkantonen der Aufstand gegen die Einheitsrepublik los und griff, unterstützt von den Sympathien fast der ganzen Schweiz und von – englischen Guineen, rasch weiter um sich. Die helvetische Regierung mußte am 18. September aus Bern, ihrem damaligen Sitze, nach Lausanne fliehen; eine Tagsatzung versammelte sich in Schwyz, und überall begann die alte Schweiz wieder aufzuleben.

Das hatte der „erste Konsul“ Bonaparte erwartet, um die Schweiz, unter dem Scheine, zugleich ihr Wohlthäter zu sein, vollständig an sein Interesse zu fesseln. Er bot sich jetzt der zerrissenen Schweiz als ihr „Vermittler“ an, benahm sich aber in Wahrheit als ihr Beherrscher. Er befahl die einstweilige Wiederherstellung der helvetischen Republik, unterstützte diesen Befehl durch den abermaligen Einmarsch französischer Truppen unter General Ney und ließ durch diese die ganze Schweiz entwaffnen; denn Geld und Lebensmittel waren nicht mehr vorhanden, und etwas mußten doch die Franzosen zu rauben haben. Alle Bewaffnungsstücke, die bis in die entlegensten Hütten zu finden waren, selbst Galanteriedegen und Kinderspielwaffen, wurden weggenommen, und kein früherer Raub hat die Schweizer so sehr erbittert wie dieser. Eine Kriegssteuer von 625000 Schweizerfranken (zu 1,40 franz. Franken) wurde der Schweiz auferlegt und darauf befahl Bonaparte die Abordnung von Gesandten aller Kantone nach Paris. Hier entwarf er mit ihnen die neue Verfassung der Schweiz, welche man die Mediationsakte nannte. Sie stellte die Kantone unter einer machtlosen, jährlich zwischen sechs Städten wechselnden Centralleitung wieder her, schuf aus den ehemaligen „zugewandten Orten“ und Unterthanenlanden sechs neue Kantone und war insofern ein Meisterstück der Diplomatie, als sie der Schweiz Frieden gab und sie doch dem Willen Frankreichs unterwarf, dem sie Truppen stellen mußte, die an allen Feldzügen des Kaiserreichs von Austerlitz bis Moskau theilgenommen haben.

Im März 1803 trat diese kraftlose und friedliche Verfassung in Wirksamkeit, und die Franzosen verließen die Schweiz, welche sie fast fünf Jahre lang geschändet hatten, – für immer! Seither hat die Schweiz mancherlei Schicksalswechsel erfahren, aber keinen, und wird auch hoffentlich keinen mehr erfahren, der ihr so viel und so herbe Wunden schlägt, wie es ihre Besetzung durch die von Unkundigen als Freiheitskämpfer angestaunten Franzosen gethan hat!





  1. Siehe von dem Verfasser dieses Artikels „Die Landsgemeinde von Appenzell-Innerroden“ im Jahrgang 1868 (S. 393) und „Die Landsgemeinde von Uri“ im Jahrgang 1882 (S. 434) der „Gartenlaube“.