Die Gartenlaube (1853)/Heft 12

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[121]

No. 12. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Die Taufe im Sterben.

Bis zu Ende der dreißiger Jahre kannte fast ganz Rom einen Mann und eine Frau von hohem Alter und ehrwürdigem Aussehen. Sie waren arm, schienen mit rührender Liebe an einander zu hangen und gingen fast immer Hand in Hand. Jeden Tag zu einer gewissen Stunde sah man sie so in die Peterskirche wandern, in welcher sie dann neben einander knieten und lange andächtig beteten. Sie trugen die gewöhnliche Kleidung, aber an ihrer braunen Gesichtsfarbe erkannte man leicht, daß sie nicht unter der Sonne Europas geboren waren. Auch in dem gastfreien Hause des Herrn v. Kästner, des Sohnes jener Lotte, die Goethe in seinem „Werther“ unsterblich gemacht hat, des geistreichen Kunstfreundes und Staatsmannes, um den sich immer ein Kreis von Landsleuten sammelte und den jetzt plötzlich der Tod hinweggerafft, sprach sich eines Abends eine so allgemeine Neugierde über jenes ehrwürdige Paar aus, daß alle Anwesenden sich um den Hausherrn drängten, als er bemerkte, er kenne die Geschichte der beiden Alten, da er eine Gelegenheit benutzt habe mit ihnen zu sprechen, und er wolle sie erzählen, wie sie ihm erzählt worden sei:

Zu Ende des vorigen Jahrhunderts erschien ein schon bejahrter Missionär in Paraguay, der eifrig die Sprache der Eingebornen erlernte und bald mehrere derselben zum Christenthume bekehrte. Die Häuptlinge aber, welche den langdauernden spanischen Druck noch nicht vergessen hatten, fürchteten, wenn der Glaube der Weißen unter ihnen sich weiter verbreite, aus ihren Hütten und Wäldern vertrieben zu werden und deshalb beschlossen sie den Tod des alten Geistlichen.

Ein junger Indianer wurde als Vollstrecker dieses Beschlusses erwählt. Melutiz, wie dieser Krieger hieß, hatte sich durch seinen Muth und seinen Haß gegen die Weißen ausgezeichnet. Mehrmals war er zur Hütte des Missionärs gegangen und hatte das Kreuz zerschlagen, weil dies ihn an das Unglück seines Volkes erinnerte. Die Häuptlinge konnten also keinen Geeigneteren wählen; trotzdem hielten sie es aber für nöthig, eine Belohnung auf seinen Gehorsam zu setzen. Melutiz liebte schon längst Velida, die Tochter eines der mächtigsten Häuptlinge, da er aber arm war, hatte ihm derselbe die Hand der Tochter stets verweigert. Jetzt sagte man ihm, er solle die Geliebte sein nennen können, wenn er den Kopf des Weißen bringe.

Nachdem Melutiz den Gebräuchen seines Volkes gemäß zur blutigen That sich vorbereitet hatte, machte er sich auf den Weg zu der Hütte des Missionärs, die auf einem Hügel am Saume eines Waldes stand. Es dunkelte bereits, obgleich die Sonne eben erst am Horizonte verschwunden war. Mit einemmal blieb der junge Indianer [122] stehen und schlug einen fast entgegengesetzten Weg ein, denn die Sehnsucht drängte ihn, die Geliebte noch einmal zu sehen, die er sich eben durch eine Blutthat erkaufen wollte.

Sie empfing ihn erfreut, aber bald fragte sie entsetzt:

„Du trägst Waffen bei Dir? Was willst Du beginnen?“

Melutiz lächelte und antwortete, er wolle sich die Geliebte verdienen.

„Du willst tödten, Melutiz!“ fuhr Velida entsetzt auf und faßte heftig die Hände des jungen Indianers. „Wirf die Waffen von Dir, wenn Du mich liebst; kehre heim in die Hütte Deines Vaters und warte da bis zum Aufgange der Sonne. Morgen wird Dir vor Deinem heutigen Vorhaben grauen, denn böse That bringt Reue und Blut ist nie von der Hand abzuwaschen, die es vergoß.“

Melutiz schüttelte den Kopf und antwortete:

„Die Häuptlinge verlangen es; sie haben lange gelebt und sind weise. Ich will auch nicht einen Krieger tödten, sondern einen Weißen, einen Sohn derer, die unser Volk mißhandelten.“

Velida erbleichte.

„Tödte den Weißen nicht!“ bat sie flehendlich. „Der große Geist hat ihn gesandt; seine Lippen sprechen Weisheit und ich verehre ihn.“

Sie schlang dabei ihre Arme um den Jüngling, um in diesen weichen Banden ihn zurückzuhalten; Melutiz aber entwand sich ihr und entfloh. Er eilte rasch auf dem Wege nach der Hütte des Weißen hin, aber immer lauter wurde das Echo, das die Bitte Velida’s in seinem Herzen geweckt hatte, so daß sein Vorsatz wankend geworden als er endlich die Hütte des Missionärs erreichte. Als er dann im Mondenlicht den Greis knieen und beten sah, als er das weiße Haar des Alten erblickte, das ihm wie ein Mantel um die Schultern fiel, sein Alter zu schützen, als er die Stirn betrachtete, auf welcher jeder Schmerz eine Narbe zurückgelassen, und das hagere Gesicht, das mancher Kummer durchgefurcht, verließ der Muth zu tödten den jungen Krieger ganz und gar. Er warf den spanischen Dolch von sich und trat rasch mit den Worten zu dem Betenden:

„Alter Mann, unsere Häuptlinge haben Dein Verderben beschlossen. Der Tod lauert auf Dich. Fliehe, verlaß unser Land. Eine Pirogue liegt ganz in der Nähe am Flußufer; steige hinein und rudere dahin, wo Du weiße Krieger finden wirst. Dein Bleiben ist Dein Tod.“

„Mein Sohn,“ antwortete der Greis, „Gott möge den Menschen vergeben, wenn sie meinen Tod beschlossen haben; aber ich werde ihn furchtlos erwarten und ohne Klage erleiden.“

„Bei meinen Vätern!“ fiel der junge Indianer ein; „es ist keine leere Drohung. Der, welcher Dich tödten soll, ist erwählt und Du weißt es, daß in unsern Wäldern der sicherlich den Tod findet, welcher ihn zu geben sich weigert. Der Erwählte liebt überdies die Tochter eines Häuptlings und Velida wird sein Lohn, wenn er den Auftrag ausführt. Ich bin der Erwählte, also zögere nicht.“

„Ich beklage Dich, aber ich verzeihe Dir,“ antwortete der Greis.

„Alter Mann, alter Mann!“ rief da der junge Wilde aus, „ich bewundere Deinen Muth, ich fühle Mitleid mit Deinem Alter und Dein weißes Haar erschreckt mich. Erbarme Dich meiner und verlaß unsere Wälder, denn siehst Du, Velida ist die schönste Jungfrau unseres Stammes. Um ihr zu gefallen, würde ich den Glauben meiner Väter verläugnen, um sie zu besitzen, würde ich Dich tödten, alter Mann, trotz Deinem grauen Haar, denn ich liebe sie, ich liebe sie mehr als Du Deinen Gott lieben kannst.“

Kaum hatte Melutiz dies gesprochen, so zuckten alle seine Glieder, denn er hörte Geräusch in der Ferne. Rasch trat er an die Thür der Hütte und lauschte in unbeschreiblicher Angst.

„Weißer alter Mann!“ sagte er dann zu dem Priester, indem er den Dolch, den er von sich geworfen, wieder aufhob, „meine Brüder kommen, .. ich höre ihre Tritte, .. benutze die Zeit, die Dir noch bleibt – fliehe!“

Der junge Krieger hatte einen schweren Kampf mit sich zu kämpfen. Wie viel ihn auch reizte, den Weißen zu hassen, die großartige Ruhe desselben lähmte seinen Arm. Er hob die Waffe nach dem Betenden und ließ sie wieder sinken, um ihn mit der rührendsten Bitte zur Flucht zu beschwören. Der Greis betete andächtig weiter. Die Wilden, die herbei kamen, näherten sich unterdeß mehr und mehr; sie konnten kaum noch hundert Schritte entfernt sein; Melutiz verlor die Geliebte und sein Leben, wenn sie herankamen und seine – Feigheit sahen .. Da raffte er sich auf, ergriff krampfhaft den betenden Alten und stieß ihm mit abgewandtem Gesicht den Dolch in die Brust.

Der Greis wankte und sank zu den Füßen seines Mörders nieder.

Dieser stand da wie erstarrt; nur seine Lippen bebten und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Gott vergebe Dir, wie ich Dir vergebe,“ sprach der schwer Verwundete; „er erleuchte Deinen Geist mit seiner Wahrheit!“

„Weißer Mann,“ rief der junge Wilde gewaltig ergriffen aus, „Dein Gott muß groß und mächtig sein, da er Dir die Kraft giebt, Deinem Mörder zu verzeihen. Ich schwöre es Dir, Dein Gott soll mein Gott sein!“

Da fand der Priester Kraft sich auf die Knie aufzurichten.

„Knie nieder!“ sprach er kaum hörbar zu seinem Mörder. Dann streckte er die Hände nach dem Weihwasser aus, legte sie auf das Haupt des zerknirschten Wilden und – taufte ihn. Darauf sank er nieder und starb.

Die Indianer, die jetzt herbeikamen, um zu sehen, ob Melutiz seinen Auftrag erfüllt, sahen den Weißen in hellem Mondenlichte in seinem Blute liegen, stießen ein grauenhaftes Siegesgeschrei aus und kehrten zurück, ohne ihren Bruder gesehen zu haben, der im tiefen Dunkel noch immer gebeugten Hauptes neben seinem Opfer kniete.

Langsam stand er endlich auf, grub ein Grab neben der Hütte und legte den Getödteten hinein.

Als der Morgen grauete, suchte er Velida auf.

„Du hast ihn getödtet! Du hast ihn getödtet!“ rief sie ihm voll Verzweiflung zu .. „Fliehe, Mörder! Berühre [123] mich nicht mit Deiner blutigen Hand .., denn ich bin Christin!“

„Fluche mir nicht, Velida,“ antwortete Melutiz bittend; „der weiße Mann hat mir vergeben und mich gesegnet. Sein Gott ist groß und er ist jetzt mein Gott, denn der Priester hat mich im Sterben getauft.“

Da leuchtete ein Blitz der Freude durch die Thränen Velida’s und sie hörte schweigend an, was ihr Melutiz erzählte. Dann sprach sie:

„Wir können unter unserm Volke nicht bleiben; die Häuptlinge würden uns den Tod geben; laß uns in das Land der Weißen fliehen, um den Gott anzubeten, den Du nach blutiger That erkannt hast.“

Sie entflohen beide dem Zorne ihres Volkes, aber es verging eine lange Zeit, ehe sie Gelegenheit fanden, auch aus ihrem Vaterlande zu entkommen. Italienische Missionäre endlich, die nach Europa zurückkehrten, nahmen das Paar mit sich. Melutiz und Velida gelangten so nach Rom und wurden da nach katholischem Ritus getraut. Seit zwanzig Jahren haben sie nun hier von ihrer Hände Arbeit still und zufrieden gelebt, aber jeden Tag gehen beide Hand in Hand in die Kirche, um Gott zu bitten, daß er Melutiz die blutige That verzeihe.




Jagd auf einen Sklavenhändler.

Niemand kann die guten Absichten Englands verkennen, wenn es auf der Unterdrückung des Sklavenhandels beharrt. Aber wenn man auch die gewaltigen Summen, welche dem ohnedies schon hinreichend belasteten Volke die afrikanische Küstenblokade kostet, nicht in Anschlag bringt, so bleibt doch die Frage, ob auch das gesteckte Ziel erreicht wird. Es ist allbekannt, daß die Furcht vor den englischen Kreuzern die Gräuel der Ueberfahrt von Afrika nach Amerika noch vermehrt hat, da die Menschenfleischhändler jetzt nur kleine, aber raschsegelnde Klipper bauen, um die Fahrt so schnell als möglich zurückzulegen, und so viele Sklaven hineinpacken, als nur irgend hineingehen. Die brittischen Kreuzer sind Ursache gewesen, daß die Neger auf den Märkten Brasiliens im Preise gestiegen sind. Der Sklavenhändler weiß, daß er, wenn er von drei Reisen nur eine glücklich vollendet und seine Ladung lebend an’s Land bringt, immer noch bei den drei Spekulationen einen erklecklichen Profit macht.

Was der Sklavenhändler wagt, um der Wegnahme zu entgehen, und wie leicht er zu Unheil kommt, das wird die folgende Skizze zeigen, welche einen in allen Punkten wahren Vorfall schildert.

An einem herrlichen, von einer strahlenden Sonne beleuchteten Tage steuerte vor leichter Brise die englische Kriegsbrig Semiramis in nordwestlicher Richtung den Kanal von Mozambique hinauf. Außer dem Mann am Rade und den Wachen oben in den Masten schien Jeder es sich bequem zu machen. Der Himmel war wolkenlos und die Luft so balsamisch und warm, daß schon sie zu athmen ein Genuß hieß. Die Männer lungerten, in kleinen Gruppen plaudernd, auf dem Verdeck umher; die Kadetten sannen neuen Unfug aus oder plagten den Koch; der Wundarzt beobachtete die fliegenden Fische und las zugleich in einer neuen Schrift über Anatomie, obgleich er kein Blatt umwendete. Der wachthabende Lieutenant baute inzwischen Luftschlösser und betrachtete gelegentlich die blauen, in der Ferne sichtbaren Berge Madagaskars durch sein Fernrohr.

„Segel ho!“ rief plötzlich die Wache im Vortopp.

„Wohinaus?“ schrie der Lieutenant aufspringend. In demselben Augenblick war die träge Sorglosigkeit der Mannschaft vorüber; ein jeder war bereit zu jedweder Thätigkeit.

„Ueber Steuerbord, hält Südwest!“

Der Kapitain eilte auf’s Verdeck, während der zweite Lieutenant in’s Takelwerk stieg, um das fremde Fahrzeug zu rekognosciren.

„Was ist es für ein Schiff, Herr Saunders?“ fragte der Kapitain.

„Schoonertakelage, Sir, Rumpf noch nicht zu sehen!“

„Schiff gewendet!“ kommandirte der Kapitain. Im Nu war ein Jeder auf seinem Posten.

Kommando folgte auf Kommando und wurde rasch ausgeführt. In fünf Minuten war die Semiramis in voller Verfolgung des fremden Schiffes begriffen.

Was ist es, das die Jagden aller Art so aufregend macht? Die unbeschreibliche Begierde des Menschen, Alles zu jagen, was irgend jagbar ist, ist im „Vathek“ nicht übertrieben, wo die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt einen bösen Geist verfolgt, der sich in eine Kugel verwandelt hat und vor ihnen herrollt, selbst die Lahmen und Blinden zur Verfolgung herbeiziehend. Aber wer möchte die mit einer Jagd zur See verbundene Aufregung schildern? Wie begierig sind alle Augen auf das fliehende Segel gerichtet! Wie eifrig lauscht jeder, wenn das Log geworfen wird! Wie viele Vermuthungen werden aufgestellt, was das fremde Schiff sein möge, und wie heiß ist der Wunsch, daß es eine nehmenswerthe Prise sei! Denn die Habgier kommt zu der Aufregung. Jedem, vom Kapitain bis zum Schiffsjungen, schweben die Prisengelder vor.

Da die Semiramis auf dem Strich, welchen sie jetzt einhielt, weit windwärts des Schooners war, so war alle Aussicht da, daß sie ihn bald einholte, wenn er bei seinem Cours blieb. Aber wer durfte das hoffen? Jedermann an Bord der Brig war darauf gefaßt, im nächsten Augenblick zu hören, daß der Schooner umlege und fliehe. That er das nicht, so war es ein Beweis, daß er in gesetzlichem Handel begriffen und nicht das sei, was sie voraussetzten und in der That wünschten.

Eine Stunde war vergangen, und die Brig war sichtlich dem Schooner näher gekommen. Vom Topp aus konnte man schon den langen, niedrigen, schwarzen verdächtigen Rumpf sehen.

„Sie müssen uns nun doch sehen!“ sagte der Kapitain.

[124] „Es ist just so ein Schiff, wie der Dom Pedro, den wir an dieser Küste aufbrachten,“ rief der zweite Lieutenant im Mastkorb.

„Ich hoffe, es wird eine bessere Prise sein,“ antwortete der Kapitain.

Jenen Dom Pedro nämlich hatten sie aufgebracht und für gute Prise erklärt; aber Kapitain und Rheder hatten appellirt und bewiesen, daß das Schiff nicht im Sklavenhandel begriffen gewesen sei. Demnach hatte jeder Mann an Bord, der bei der Wegnahme geholfen, statt Prisengeld zu bekommen, aus eigner Tasche seinen Theil zu den Entschädigungsgeldern beitragen müssen. Deshalb war der Dom Pedro eine schmerzliche Erinnerung an Bord der Semiramis.

Noch eine Stunde verging. Man konnte jetzt den Rumpf des Schooners schon vom Verdeck des Kreuzers wahrnehmen. Es war ein Fahrzeug von verdächtigem Aussehen. Jack strich die Taschen im Vorgenuß der Thaler, die bald hineingleiten mußten.

„Es ist doch wunderlich, daß er den Cours nicht ändert,“ sagte der Bootsmann auf dem Vorderkastell. „Er will uns wohl von der Spur bringen, indem er thut, als wenn Alles in Ordnung wäre und ihm gar nicht einfiele, daß wir es auf ihn abgesehen hätten.“

„Hißt die Flagge auf!“ rief der Kapitain auf dem Quarterdeck. „Wir wollen doch sehn, was er für Farben führt.“

Die brittische Flagge wehte alsbald über der Semiramis, aber der Schooner beeilte sich nicht, seine Farben zu zeigen.

Jetzt rief der erste Lieutenant, welcher mit dem Fernrohr hinschaute: „Ein Brasilianer, wahrhaftig!“

Eine kurze Pause entstand. Alle Ferngläser an Bord waren in Thätigkeit; jedes Auge strengte seine Sehkraft auf’s Aeußerste an. Der Kapitain unterbrach das Schweigen: „Holla, er viert ab! Endlich macht er sich auf die Flucht!“

„Es ist nun bereits zu spät,“ sagte der erste Lieutenant. „Vor dem Winde sind diese Schooner Backtröge, beim Winde sind sie Klipper.“

Es war klar, daß der Schooner endlich auf seine Rettung bedacht war. Indem er mit dem Winde abhielt, kam er der Brig ziemlich voraus. Obgleich er vor dem Winde am schlechtesten segelte, war doch die Brise so schwach, daß sie, während sie ihm noch überweghalf, doch nicht genügte, auch der schwereren Brig hinreichenden Gang zu geben.

Noch drei Stunden dauerte die Jagd, und kein Schiff schien dem anderen Raum abzugewinnen. Aber nun gewann der Wind an Stärke, und die Semiramis fing an, dem Brasilianer bedeutend näher zu kommen. Gerade zur Rechten lag in dem Strich, den sie einhielten, eine weit in die See vorspringende Landspitze, und auf der Karte stand ein gefährliches Felsenriff verzeichnet, das von da aus noch drei Meilen weit sich hinauserstreckte. Beide Schiffe mußten auf das Riff laufen, wenn sie in ihrem Cours beharrten.

„Luv auf!“ kommandirte der Kapitain. „Wir kriegen ihn! In einer Stunde muß er auch in den Wind holen und kann nicht entkommen, wenn wir in Luv sind.“

Die Stunde verstrich, und noch kein Zeichen deutete an, daß der Schooner den Cours ändern wolle. Der Kapitain sah noch einmal auf die Karte; das Riff stand deutlich verzeichnet, und es schien ganz unmöglich, daß der Schooner vorbeikommen könne, wenn er so fortsteuerte. Aber sei es, daß er die Gefahr nicht kannte, oder daß er ihr Trotz bot: er versuchte es. Passirte er das Riff, ohne zu scheitern, so hatte er vor seinem Verfolger einen unermeßlichen Vorsprung gewonnen.

Es wäre nicht möglich, die Spannung zu beschreiben, mit welcher die Männer auf der Semiramis den kleinen Brasilianer beobachteten. Er stürmte wörtlich in den Rachen der Vernichtung. So wie er von den vorübergleitenden Wellen gehoben wurde, schien es jedesmal, als müsse er beim Herabgleiten auf die verrätherischen Klippen stoßen. Noch hielt er tapfer aus, und mochten auch in peinlicher Spannung jedem Mann an Bord die Lippen beben; das kleine Fahrzeug sah so schmuck und segelte so lustig vorwärts, seine weißen Segel und schlanken Spieren hoben sich im Sonnenlicht so zierlich hervor, daß selbst seine Verfolger, auch abgesehen von dem im Falle seines Unterganges verlorenen Prisengelde, innerlich für seine Rettung beteten. Denn Jack sieht nicht gern ein hübsches Schiff in Trümmer gehen.

Schon glaubten sie fast, der Schooner sei verzaubert. Er schien über das Riff selbst hinzugleiten; er war bereits mitten in dem Schaume der Brandung.

„Gott helfe mir, wenn ich nicht meine, es ist der fliegende Holländer!“ sprach eine Blaujacke zur andern.

„Dummes Zeug, Bill! Wir sind ostwärts vom Kap und der fliegende Holländer kann nicht herumkommen,“ entgegnete der Backsmaat.

Der kleine Schooner schießt lustig vorwärts; plötzlich stockt er, jede Spiere erzittert.

„Er hat gestoßen!“ rufen zwanzig Stimmen zugleich.

Nun wird er von einer herankommenden Welle gehoben; nun fährt er mit einer Gewalt nieder, daß die Stengen brechen und auf das Verdeck stürzen.

„Böte ausgesetzt!“ befiehlt der Kapitain der Brig. Alle Mannen beeilen sich, den Befehl auszuführen.

Eine neue Welle hebt den Schooner, er stößt noch einmal heftig und rollt über. Die Planken reißen auseinander, die Mannschaft kämpft in den Wellen, und – Schauder ergreift die Zuschauer – Hunderte von Negern, aneinander gefesselt und im Schiffsraum eingeschlossen, werden in der schäumenden Brandung sichtbar.

Die Seeleute in den Böten der Semiramis ruderten tapfer, aber sie retteten nur zwei gewaltige Schwimmer, die sich aus dem brausenden Gischt hervorgearbeitet hatten. Der Schooner war so leicht gebaut gewesen, daß er gleich beim ersten Aufstoßen zertrümmert worden war. Sechshundertunddreißig menschliche Wesen, mit schwerem Eisen zusammengeschlossen, hatten in den brausenden Wogen vor den Augen der Mannschaft der Brig ihren Tod gefunden; sie hatte das herzzerreißende Geschrei der Umkommenden mit ihren leiblichen Ohren gehört. Nur zwei der Kerkermeister waren übrig geblieben, um über die Zahl derer zu berichten, die im Meere versunken waren.




[125]

Album der Poesien.

Nr. 2.


 Das unterirdische Gastmahl.

Was schallt im Schooß des Berges für sonderlich Gebraus?
Was schimmert aus dem Schachte für helles Licht heraus?
Was singt und lärmt und jubelt heut’ in der Tiefe dort,
Wo still sonst bei der Blende der Bergmann steht vor Ort?

5
Das ist der Herr von Theler, beim schwelgerischen Mahl,

Und seine frohen Gäste, wohl hundert an der Zahl;
Die machen heut’ sich lustig tief in der Erde Bauch;
Denn oben nur zu schmausen, ist zu gemeiner Brauch.

Der reiche Herr von Theler ist aller Welt bekannt;

10
Er wird im ganzen Lande der Silberfürst genannt;

Die reichsten Silberzechen der Berge nennt er sein,
Und immer neue Gänge erschließt ihm das Gestein.

Die Schaar der Knappen mühet für ihn sich Tag und Nacht,
Wo in der dunkeln Tiefe die Silberader lacht;

15
Für ihn hebt sie die Schätze, die reich die Erde bot,

Und ißt doch selbst in Kummer der Armuth karges Brot.

[126]

Die schweren Wagen führen sein Erz der Münze zu,
Und bringen Silbergulden zurück in seine Truh!
Die weiß er zu vergeuden nach reicher Herren Art; –

20
Was hat’s der Theler nöthig, daß er noch kargt und spart?


Von Gold und Silber funkelt sein Haus im lichten Strahl,
Mit harten Thalern pflastert er seinen Speisesaal,
Die Hufe seiner Rosse schmückt silberner Beschlag
Und herrlich und in Freuden lebt er jedweden Tag.

25
Doch heut’ giebt er den Gästen gar einen neuen Schmauß,

Wie keiner noch gewesen in eines Großen Haus:
Er lud die Herrn und Frauen zum festlichen Gelag
In seine Silbergrube, zu schmausen unter Tag.

Von tausend Lichtern flimmert der Höhlung weiter Raum’

30
Es blitzt und strahlt so seltsam, wie bunter Märchentraum’

Es ist als ob der Berggeist mit seiner Gnomen-Troß
Heut’ Festgelage hielte im unterird’schen Schloß.

An einer langen Tafel, aus Silbererz gehaun,
Sitzt dort in Prachtgewändern der Kreis der Herrn und Fraun

35
Auf schweren Silberblöcken, mit Purpurstoff bedeckt –

Wie das am seltnen Tische so trefflich Allen schmeckt!

Sie merken’s nicht, wie droben der Sommertag sich neigt,
Sehn nicht, wie über ihnen der arme Häuer schleicht.
Der geht auf öder Halde, das Antlitz bleich und fahl,

40
Und hört das dumpfe Klingen vom unterird’schen Mahl.


Wie Lazarus, der Arme, an jenes Reichen Thor,
Steht er am Mund des Schachtes, und blickt zu Gott empor,
Verzehrt mit stillem Danke den trocknen Bissen Brot,
Und wiegt das Haupt bedenklich ob solchem Gastgebot.

45
Gern mag er Jedem gönnen das Glück, das er entbehrt,

Und läßt sich fromm genügen an dem, was Gott bescheert;
Doch eisig überläuft’s ihn bei dieses Festes Schall,
Und heimwärts kehrend denkt er: „Hochmuth kommt vor dem Fall!“

Da unten aber kreiset der Becher lustig fort,

50
Und immer lauter tönen Gesang und Jubelwort,

Und immer wilder sprudelt der übermüth’ge Scherz,
Und immer heißer glühet die Luft am Tisch von Erz.

Der reiche Herr von Theler, berauscht von Lust und Wein,
Schenkt sich den größten Humpen voll bis zum Rande ein,

55
Und in den Kreis der Gäste ruft er mit stolzem Muth:

„Wie mundet doch hier unten der kühle Wein so gut!“

„In einem bessern Festsaal, ich wage kühn die Wett’,
Gab nimmermehr den Gästen ein König sein Bankett!
Den Tisch, an dem wir sitzen, die Stühle um ihn her,

60
Sie sind, ihr lieben Freunde, zwar etwas plump und schwer;


Doch zahlen sie die Zeche von unserm frohen Schmaus,
Und halten wohl noch lange zu manchem andern aus.
Bei solchem Hausgeräthe steht fest der sichre Grund
Des alten Hauses Theler; ich sag’s mit frohem Mund!“ –

65
„Ein Hoch dem Herrn von Theler, ein donnernd Lebehoch!“ –

Ruft laut der Schwarm der Gäste; – doch kaum verklang es noch,
Da mischt sich’s, dumpf erdröhnend, in ihren Jubelschall,
In’s Klirren ihrer Becher, wie ferner Donnerhall.

Und stärker rollt’s und grollt es hoch über ihrem Haupt,

70
Und näher, immer näher die wilde Windsbraut schnaubt,

Und lauter, immer lauter durchtönt’s der Felsen Grund,
Und schweigend vor Entsetzen erstarrt die Tafelrund!

Urplötzlich ist geendet das fröhliche Gelag,
Und Alles drängt zum Schachte, und ruft: „Zu Tag! Zu Tag!“ –

75
Da horch! – Was für ein Rauschen! was für ein wild Gebraus!

Was für ein schrecklich Tosen! Was für ein neuer Graus!

Im Wettersturm geborsten, bricht auf der Wolke Schooß,
Und läßt in Einem Sturze all’ seine Fluthen los;
Und durch des Schachtes Mündung schießt jäh der Strom hinab,

80
Und bettet Wirth und Gäste in Einem feuchten Grab.


 Gustav H.....r.




Geheimnisse eines Theekessels.


„Das Wasser kocht!“ rief die Schwester, als wir am Tische um den singenden Theekessel saßen.

„Das Wasser kocht! Das sagt Ihr nun so hin. Wißt Ihr denn, was das Kochen ist und wie es zugeht, daß das Wasser kocht?“

„Welche Frage! Weil Feuer darunter ist.“

„Das ist keine Erklärung. In dem „Darunter“ liegt allerdings etwas, denn wenn man das Feuer auf den Kessel machen wollte, würde das Wasser darin nicht kochen. Das Wasser ist, wie man sich ausdrückt, ein schlechter Wärmeleiter, und es würde der Wärme sehr schwer werden, von oben in den Kessel hinunter an den Boden zu dringen. Dagegen geht sie leicht nach oben. Wie erwärmte Luft emporsteigt, so geschieht es auch, wenn man Wasser erwärmt: der erwärmte Theil desselben steigt empor und an seine Stelle rückt kälteres; so bilden sich z. B. in dem Theekessel oder in dem Kaffeetopfe über dem Feuer kleine auf- und absteigende Strömungen Wasser, bis dasselbe gleichmäßig erwärmt ist.“

„Das ist bald gesagt, es wird aber wohl schwer sein, es zu beweisen.“

„Keineswegs. Wenn man ein langes enges Glas [127] nimmt, schüttet erst ein wenig mit Indigo oder sonst gefärbtes Wasser hinein, dann auf dasselbe vorsichtig ungefärbtes, so daß beide sich nicht vermischen, endlich obenauf Spiritus und zündet den letzteren an, so kann man ihn brennen lassen, so lange als man will, das gefärbte Wasser wird ruhig am Boden bleiben; hält man aber eine Spirituslampe darunter, so wird man sofort das gefärbte emporsteigen und mit dem andern sich vermischen sehen.“

„Wenn aber das Wasser gleichförmig erwärmt ist?“

„Wenn es bis 80 Gr. R. erwärmt ist, dann kocht es. Was heißt das?“

„Es wallt!“

„Nicht alles, was wallt, kocht. Wenn das Wasser bis 80 Gr. erwärmt ist, dann kocht es, d. h. dann entwickelt sich Dampf. Man kann das Wasser nur bis zu 80 Gr. erhitzen; jeder Grad Hitze mehr, der in das Wasser kommt, verwandelt einen Theil davon in Dampf und entweicht mit demselben, wenn der Dampf nicht durch großen Druck zurückgehalten wird. Man kann das Feuer unter einem Topfe so groß machen, die Glut so hoch anfachen als man will, das Wasser wird wohl schneller kochen, aber nicht im mindesten heißer als 80 Grad werden.“

„Achtzig Grad R. ist also der Siedepunkt, wie man sagt?“

„Ja, bei gewöhnlichem Zustande der Luft, wie hier bei uns. Je höher der Ort liegt, an dem man Wasser kocht, bei um so wenigeren Graden Hitze kocht es. Wasser z. B., das man auf dem hohen Gipfel eines Berges kocht, ist nicht so heiß, als das, welches unten am Fuße dieses Berges gekocht wird. Auf dem Gipfel des Montblanc ist der Siedepunkt vielleicht 70 Grad. Je schwerer die Luft von der Menge Feuchtigkeit in ihr ist, um so heißer muß das Wasser werden, ehe es kocht. Wenn man es in einem Gefäße kocht, aus dem die Luft herausgepumpt worden ist, erreicht man seinen Zweck bei wenigen Wärmegraden. Daß das Kochen von dem Drucke abhängt, der auf dem Wasser ruht, beweiset man auch auf eine gewiß seltsame Art. Man kann nämlich Wasser durch Kälte kochen.“

„Warum nicht gar!“

„Füllt einmal etwas kochendes Wasser in ein Fläschchen, so daß es vielleicht zum vierten Theile voll ist, und stöpselt es fest zu. Das Kochen wird aufhören und die oberen drei Viertheile des Fläschchens werden sich mit Dampf füllen. Spritzt Ihr dann eiskaltes Wasser an die Flasche über dem Wasser, so wird dies sofort wieder zu kochen anfangen. Warum? Der Dampf in der Flasche drückt auf das heiße Wasser. Die Kälte condensirt den Dampf, d. h. verwandelt ihn wieder in Wasser. Dadurch wird der Druck entfernt – das heiße Wasser kocht und entweicht in Dampf so lange, bis es sich abkühlt. Auch auf einem Berge oben kocht das Wasser bei weniger Wärme, weil die Luft da nicht so schwer darauf drückt, als unten, mit andern Worten, weil sie oben leichter ist. Fünfhundert und dreißig Fuß Höhe machen etwa einen Grad Unterschied im Siedepunkte. Also kann man genau wissen, wie hoch man auf einem Berge oder meinetwegen nach dem Monde hinaufsteigt, wenn man einen Kessel mit Wasser und einen Thermometer bei sich hat.

„Das Wasser kocht aber auch in einem Gefäß schneller, d. h. bei weniger Hitze, als in einem andern, in einem metallenen z. B. leichter als in einem gläsernen. Die Metallfläche ist rauh und diese Rauhheit giebt viele kleine Zacken und Spitzen, von denen die Hitze in das Wasser übergeht, während es sich an eine glatte Fläche dicht und fest anlegt. Wirft man etwas Eisenfeilicht in das Wasser, dann kocht es eben der vielen Spitzen wegen schneller; wirft man Heu, Stroh u. s. w. in einen Kessel heißen Wassers, so steigt sofort Dampf auf. Der Siedepunkt des Wassers hängt aber von noch etwas Wichtigem ab, das der Theekessel z. B. jedesmal selbst meldet, ehe es kocht, obgleich nicht Alle seine Sprache verstehen. Das Singen des Kessels sagt uns...“

„Daß das Wasser bald kochen wird!“

„Allerdings, aber hauptsächlich daß das Wasser Luft enthält. Das Singen des Kessels ist das Geräusch, das die entweichende Luft macht, welche durch die Wärme aus dem Wasser vertrieben wird. Sie hängt an dem Wasser, bis die Wärme sie ausdehnt, so daß sie emporsteigen muß. Hält man ein Glas mit Wasser unter eine Luftpumpe, so fängt das Wasser an Blasen zu werfen, als wenn es koche; die Blasen sind die Luft, die ausgepumpt wird. Die Luftbläschen in dem Wasser wirken wie Keilchen zwischen den unsichtbaren kleinen Tropfen, die das Wasser ausmachen. Wenn sie nicht wären, würde das Wasser eine Masse sein, die so fest zusammenhielte, daß sie sich nicht in Dampf verwandeln ließe und nicht kochte, bis sie zu etwa 90 Grad erhitzt wäre, wie man nachweisen kann, wenn man Wasser kocht, aus dem die Luft ausgepumpt worden ist. Und nicht blos das; wenn es kochte, würde es auf einmal kochen und mit einem Knalle auffliegen.“

„So taugte ganz reines Wasser nichts?“

„Wasser, das so rein wäre, daß es nicht einmal Luft enthielte, wäre zu nichts zu brauchen. Vor allen Dingen könnten keine Fische darin leben; es würde ferner nicht zum Trinken taugen und man könnte es nicht kochen.“

„Wenn man nur zusehen könnte, wie das Wasser kocht!“

„Das ist allerdings ein gar merkwürdiges Schauspiel und man kann es sich verschaffen, wenn man Wasser in einem Glasgefäße kocht; das beste ist eine lange Glasröhre, die man mit einer Spirituslampe erhitzt; da sieht man zuerst, wie das Wasser in Bewegung kommt und wie die Luftbläschen durch die Wärme vertrieben werden. Wird das Wasser heißer, so erscheinen andere Bläschen, die von dem Boden emporsteigen. Kommen sie höher hinauf, so werden sie kleiner und ganz oben im Wasser kann man sie kaum noch erkennen. Das sind Dampfblasen und sie werden nach oben hin kleiner, weil da das Wasser nicht so warm ist als unten und bei weniger als 80 Gr. der Dampf wieder zu Wasser wird. Wird das Wasser gleichförmig heiß, so werden die Blasen größer, steigen schneller empor und entweichen an der Oberfläche, wenn man dies ihnen gestattet. Und der Dampf durfte viele Jahrhunderte hindurch entweichen, ehe der Mensch ihn zwang, für ihn zu arbeiten.“

„Der Dampfbezwinger hieß Watt, denn er erfand die Dampfmaschine.“

„Sehr richtig, und die Erklärung, wie dieselbe wirkt, ist sehr leicht. Das Wasser, welches in Dampf verwandelt wird, nimmt einen unendlich größern Raum ein als gewöhnliches Wasser. Kälte verwandelt den Dampf wieder in Wasser, das somit in einen kleineren Raum zurückkehrt. [128] Diese zweifache Bewegung – das Ausdehnen und Zusammenfallen – ist die gewaltige Kraft, welche die Dampfmaschinen aller Art treibt. Ich will Euch aber noch etwas Merkwürdiges vom Kochen erzählen, das man erst in neuerer Zeit entdeckt hat. Es kann ein Gefäß zu heiß zum Kochen darin sein.“

„Das glaube ich nicht. Wenigstens ist es mir noch nicht vorgekommen,“ bemerkte die Mutter.

„Der Versuch ist leicht genug zu machen. Erhitzt man z. B. eine Platinaschale sehr hoch oder laßt Ihr Euren Theekessel ohne Wasser darin glühend heiß werden, und einen Tropfen Wasser hinein fallen, so tanzt er in demselben herum, ohne zu kochen, bis die Hitze der Schale oder des Kessels sich vermindert; dann erst entweicht er in Dampf. Ja noch mehr. Wasser und sogar Quecksilber kann in einem rothglühenden Gefäße zum Gefrieren gebracht werden, wenn der Versuch geschickt gemacht wird. Vor zwei Jahrhunderten würde man dies für Hexerei gehalten und den, welcher den Versuch machte, selbst in’s Feuer geworfen haben.“

„Ich habe auch gehört, daß das Wasser in manchen Kesseln aus andern Gründen schwer oder gar nicht kocht,“ bemerkte Einer der Anwesenden.

„Allerdings, wenn sich außen an einem Topfe oder Kessel recht viel Ruß angesetzt hat, wird das Wasser darin schwer zum Kochen kommen, weil dieser Ruß ein sehr schlechter Wärmeleiter ist, d. h. die Hitze nicht schnell durchdringen läßt. Aus diesem Grunde kann man sogar, wenn man sich nicht scheut schwarze Hände zu bekommen, einen stark berußten Topf, in den man kochendes Wasser goß, auf der bloßen Hand tragen, ohne sich zu verbrennen. Ebenso hindert das Kochen der sogenannte Kesselstein, den man häufig in Dampfkesseln findet.“

„Was ist das?“

„Jedes Wasser enthält erdige und salzige Theile, mehr oder weniger; bei dem Kochen trennen sich diese Dinge von dem Wasser, setzen sich an der Wand des Kessels an und bilden da allmälig eine festanhängende Rinde oder Kruste. Dies ist der sogenannte Kesselstein, der schon manche Dampfmaschine zum Stillstehen brachte, weil das Wasser in einem solchen Kessel nicht zum Dampf zu bringen war. In der neuesten Zeit hat man zum Glück ein Mittel gefunden, ihn leicht zu beseitigen. – Aber jetzt kocht das Wasser in unserm Kessel dort wirklich; es entweicht Dampf aus ihm und wir können uns nun den Thee schmecken lassen.“




Aus der Menschenheimath.

Briefe
des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Siebenter Brief.
Das Mehl.

Neulich habe ich Dich mit den zierlichen Gestalten eines sonderbaren Steinmehles, denn so konnten wir es wohl nennen, bekannt gemacht; heute will ich Dir Einiges von dem wahren Mehle erzählen.

Ich zweifle nicht, daß es Dir angenehm sein wird, etwas Genaueres über diese mächtige Triebfeder in der Staatsmaschine zu erfahren. Getreidegewinnung ist ja Jahr aus Jahr ein eine der wesentlichsten Bedingungen zum gesicherten und gedeihlichen Bestehen der menschlichen Gesellschaft. Ein ungewöhnliches Steigen der Getreidepreise bringt sofort eine Störung der Staatsgesellschaft hervor, die sich bis zur Hungerpest und zur Revolution steigern kann.

Kleine winzige Glaskügelchen sind’s – denn so sehen die Mehlkörnchen unter dem Mikroskope aus – worauf die Wohlfahrt der Völker wesentlich beruht. Es ist nicht blos edle Wißbegierde – es ist schuldige Dankbarkeit gegen die Natur, zu sehen, wie sich die Mehlkörnchen im Zellgewebe der Pflanzen finden und wie sie von diesen bereitet werden. Die Betrachtung der geheimen Vorgänge im Pflanzenleben gewinnt sofort neben der geistigen Befriedigung, die sie gewährt, eine praktische Bedeutung, wenn sie uns Dinge vorführt, die in so unmittelbarer Beziehung zu unserem eigenem Leben stehen. Und daran unterscheide ich den wahren Menschen, das heißt den, welcher weiß, was er ist, was er soll und was er kann, daß er nicht gedankenlos die Gaben der Natur hinnimmt, sondern das Bedürfniß fühlt, ehe er genießt, zu wissen, was es ist, was er eben von der Natur nimmt.

Mein heutiges Bild habe ich Dir mit Hülfe des Mikroskopes zeichnen müssen. Das Mikroskop ist das Falkenauge, durch welches der Mensch in die geheimen Werkstätten der Natur schaut und jetzt Dinge klar und scharf unterscheidet, von denen man bis zu Anfange des 17. Jahrhunderts, wo es erfunden wurde, sich nichts träumen ließ. Verfälschungen des Mehles, der Wollen-, Seiden- und Leinengewebe entdeckt das Mikroskop mit Leichtigkeit. Es ist ein scharfer Aufpasser. Es entscheidet sogar in manchen Krankheitsfällen über das Wesen des Uebelbefindens.

Zuerst zeige ich Dir, wie sich das Mehl im Weizenkorn findet.

Figur 1 w. ist ein wenig vergrößertes Weizenkorn im Querdurchschnitt. Davon habe ich mit einem haarscharfen Messer ein möglichst dünnes Blättchen wie mit dem Hobel abgeschnitten. Du siehst oben rechts an Fig. 1 w. angedeutet, wo dies geschehen ist und in dem kleinen Viereck darüber ist die natürliche Größe dieses abgeschnittenen Stückchens dargestellt. Du siehst es Fig. 1 etwa gegen 300 Mal vergrößert. Du kannst Dir leicht nach diesem vergrößerten Stückchen ein Bild davon machen, wie groß in gleicher Vergrößerung der ganze Querschnitt eines Weizenkorns [129] erscheinen würde. Nach oben liegt an Fig. 1, mit s bezeichnet, die zarte gelbbraune Samenschale des Weizenkorns; Du siehst, daß sie aus mehreren unregelmäßigen Zellenschichten besteht. Zu unterst in ihr liegt eine dünne Schicht, welche eine Reihe schmaler Zellen

bildet. Dann kommt eine Zellenreihe mit k bezeichnet, an welcher die einzelnen Zellen nach außen sehr dickwandig sind. In den Zellen der Samenschale (s) ist kein Nahrungsstoff enthalten, wohl aber enthalten ihre Zellen-Häute für Menschen und Thiere unverdauliche Mineralsubstanzen, weshalb die mit Kleie gefütterten Müllerpferde so oft an Darmsteinen leiden. Aber die nun folgende Zellenschicht mit den dickwandigen Zellen (k) enthält den wichtigsten und nahrhaftesten Theil des Mehles, den so genannten Kleber, und zwar in der Form unendlich kleiner Kügelchen, wie Dir die einzelne noch stärker vergrößerte Zelle 1 k deutlich zeigt. Diese äußere Schicht der Getreidekörner ist allerdings die nahrhafteste, aber Kleienbrod ist wegen der darin enthaltenen Samenschale schwer verdaulich. Es ist ein arger Irrthum, wenn man es für ein Wegwerfen des Besten vom Getreide erklärt, wenn man die Kleie dem Vieh giebt. Wir erhalten es ja von ihm in Ochsen-, Schaf- oder Schweinfleisch verwandelt und als solches verdaulicher zurück.

Ich schalte hier ein, daß ich den Inhalt der Zellen an Fig. 1 weggelassen habe, weil er, namentlich im untern Theile der Zeichnung das Zellgewebe undeutlich gemacht haben würde, hätte ich diese Zellen alle mit Mehlkörnchen vollgestopft zeichnen wollen. Sie sind alle noch viel voller damit angefüllt, wie die einzelne Zelle Fig. 1 a es Dir zeigt. Du siehst, daß dieses mehlhaltige Zellgewebe fast ganz allein das Korn bildet. Ich habe diese Zelle an Fig. 1 mit a bezeichnet. Von einem Weizenkorne hätte ich wenigstens 1000 solcher Schnittchen machen können; es hat ungefähr 50 Zellen, in jeder Zelle finden sich wenigstens 40 Stärke- oder Mehlkörnchen. Diese weit unter der Wahrheit angenommene Schätzung würde in einem Weizenkorne zwei Millionen Körnchen geben. Von den kleinen Körnchen, die in jeder Mehlzelle (1 a) neben den größern liegen, sind einige Kleberkörnchen, die meisten jedoch Mehlkörnchen. Du wunderst Dich vielleicht über diese Behauptung, wenn ich Dir namentlich gestehe, daß sie ganz gleich aussehen. Mit Hülfe der Chemie ist es aber sehr leicht zu entscheiden. Du wirst dies nachher erfahren. aa sind einige größere Körnchen in 400maliger Vergrößerung.

Vergleichen wir nun hinsichtlich des Mehles die Kartoffel mit dem Getreide, denn im Roggenkorn ist es wesentlich eben so wie im Weizenkorn.

Fig. 2 stellt ein eben so kleines und eben so dünnes Kartoffelstückchen dar. Wir sehen nach oben die platten Zellen der Schale, und darunter die gerundeten, locker verbundenen, von mir ebenfalls leer gezeichneten, Mehlzellen. Es fehlen also hier die Kleberzellen, welche, da der Kleber stickstoffhaltig ist, dem Getreidemehl den Vorzug der größeren Nahrhaftigkeit vor dem Kartoffelmehle geben. Eine solche, mit großen und kleinen Mehlkörnchen angefüllte Zelle siehst Du in Fig. 2 a.

Ich muß Dir nun noch etwas Ausführlicheres über diese Mehlkörnchen mittheilen.

Vorerst bemerke ich, daß es in allen Pflanzen von ganz gleicher Beschaffenheit ist; nur in der Gestalt und Größe kommen da Verschiedenheiten vor. Du siehst also, daß die verschiedene Nahrhaftigkeit der Mehlsorten und der mehlreichen Samen (Bohnen, Erbsen, Linsen, Reis, Gerste, Heidekorn u. s. w.) niemals von diesen Mehlkörnchen abhängt, sondern immer von andern ihnen beigemengten Stoffen.

Man nennt diese Mehlkörnchen mit dem wissenschaftlichen Namen Amylum oder Stärkemehl. Sie sind immer glashell durchsichtig, sehr hart, schwerer als Wasser – was uns die Gewinnung des Kartoffelmehls so sehr erleichtert – quellen im siedenden Wasser zu dem bekannten Stärkekleister auf, ohne sich vollständig aufzulösen, und haben die auffallende Eigenschaft – das ist das vorhin angedeutete Erkennungsmittel, – von Jod, einem chemisch reinen Stoffe, der selbst eine braungelbe Flüssigkeit mit Weingeist aufgelöst giebt, sofort blau gefärbt zu werden, während andere ähnliche in den Pflanzenzellen vorkommende Körnchen von ihm braungelb gefärbt werden. Ich sagte vorhin, daß die Gestalt und Größe der Amylumkörnchen bei den verschiedenen Pflanzen oft sehr verschieden sei. Dadurch kann man z.B. leicht Mehlverfälschung mit Kartoffelmehl entdecken; nicht nur weil die Körnchen des letzteren viel größer sind, sondern weil man an ihnen schon bei 400maliger Vergrößerung einen schalenartigen Bau unterscheiden kann – Fig. 2 aa – welcher durch die schalige Zunahme bei dem Wachsthum der Körnchen entsteht.

Sieh, das ist eine kurze Schilderung dieser kleinen [130] wichtigen Körnchen, welche die Pflanze übrigens nicht für uns macht. Sie sind eine Reservenahrung für Neubildungen der Pflanze selbst. Sie kommen auch nicht blos im Samen vor, in welchem sie das Keimpflänzchen ernähren sollen. In den Holzzellen finden wir während des Winters große Vorräthe von Stärkemehl abgelagert, welche durch den aufsteigenden Frühjahrssaft zu gedeihlicher Nahrung aufgelöst werden.




Spanische Reisebriefe.

Von
E. A. Roßmäßler.[1]
Lyon, den 7. März 1853.  

Sie haben gewünscht, werther Freund, daß ich Ihnen für die Gartenlaube Reiseberichte schreibe. Ich thue es gern. Einmal weil die Vorliebe des Lesepublikums für Reiseberichte die Mängel meiner Berichte nachsichtig beurtheilen wird; einmal weil es mir ein wahres Bedürfniß ist, meine Art, die Dinge anzuschauen, Andern zur Beurtheilung vorzulegen. Ihrer Zustimmung glaube ich im Voraus versichert sein zu dürfen, denn ich weiß, daß Sie meine Anschauungsweise theilen. Wir sehen Beide überall und in Allem das Walten der Natur und ihrer Gesetze. Ich will diesem Walten jetzt für einige Zeit in dem südlichsten Himmelsstriche Europa’s lauschen, wo die mächtige Triebfeder, die Wärme, die Pulse des Lebens rascher und voller treibt und neben der anderen, kaum weniger mächtigen, dem Wasser – je nachdem es entweder fehlt oder in Fülle rinnt – entweder glühende Steppen oder üppige Gärten zaubert. Spanien ist, wie Sie wissen, das Ziel und seit lange der ersehnte Pol meines Strebens; Spanien, das ungekannte, und was schlimmer ist, das verkannte Spanien. Sie wissen noch nicht, was ich Ihnen berichten werde, wohl aber können Sie wissen, was ich Ihnen nicht berichten werde – Schilderungen von Schlössern und Palästen, von Domen und Kathedralen, Gemäldegallerien und Arsenalen, Festungen und Universitäten. Von dem Allen und sonstigen Ingredienzen der meisten Reiseberichte erwarten Sie in dem meinigen nichts. Die Natur Spaniens will ich Ihnen und Ihren Lesern schildern, so gut ich ihre Sprache, die überall dieselbe Verständlichkeit für den Naturforscher hat, verstehe.

Deshalb auch heute Nichts von Paris und Lyon. Was mich, den stillen Sohn der Natur, in Paris unsanft, ja roh berührt hat, das ist die Unnatur, die über Paris ausgebreitet, die aus Allem und Jedem hervorblickt. Ich habe mich nicht wohl gefühlt dort. Auch auf der Reise nach Lyon packte mich das Heimweh fast, so unbehaglich fühlte ich mich. Dank sei es meiner klassischen Gymnasialbildung, daß ich 8 Jahre lang wohl Lateinisch und Griechisch, aber kein Französisch gelernt habe. Das Wenige, was von letzterem aus der Lektüre wissenschaftlicher Bücher in den Ecken meines Gedächtnisses hängen geblieben ist, reicht gerade aus, um mich vor dem Hungertode zu schützen und um eine von mir niemals verkannte Wahrheit mir noch tiefer in’s Bewußtsein zu bringen: die Allmacht des Wortes. Man lernt dies niemals mehr würdigen, als in Gesellschaft ewig und immer parlirender Franzosen.


Marseille, den 9. März 1853.  

Das war des Schönen und Erhabenen, des Lieblichen und Anmuthigen, des Neuen und Anziehenden fast zu viel für zwei Tage! – Ueberall habe ich die Provence und Provencalen nur schimpfen hören, und ich bin heute von meiner zweitägigen Rhonefahrt, die größtentheils in der Provence sich bewegte, entzückt, betäubt. Ich weiß aber, woher das kommt. Wer diese Reise im Sommer macht, der findet die baumlose Gegend öde und traurig. Jetzt konnte ich noch kein Grün erwarten und vermißte es daher auch nicht. Der Schauplatz der lieblichen Göttin Flora, als welchen diese die Provence freilich fast ganz verschmäht hat, ist eben hier, von der Rhone aus gesehen, so großartig wie nur irgendwo. In Spanien erwarte ich die tiefsten, die entzückendsten Eindrücke, aber keiner wird den Eindruck der Rhonefahrt verwischen können. Es mag sein, daß meine naturwissenschaftliche Anschauung den Dingen um mich einen größeren Reiz verlieh. Für mich ein Beweis mehr, wie nothwendig es zur menschlichen Bildung gehöre, den leiblichen Sinnen durch naturwissenschaftliches Verständniß zu Hülfe zu kommen.

Lyon, die gewaltige Fabrik, brachte mich unter tausendstimmigem Ufergetöse in das große, aber alte und schmutzige Dampfboot unter. Von den hohen Ufern der Saone schauten die siebenstöckigen Häuser auf das Treiben herab, als wollten sie die Einschiffung ihrer kostbaren Waarenballen überwachen. Nahe unterhalb der Stadt tritt die Rhone – warum machen wir Deutschen den Rhodanus der Römer und le Rhone der Franzosen zu einem weiblichen Wesen? – in die Saone ein, die nun ihren Namen an jene verliert. Mir scheint dies ein Unrecht an ihr zu sein, denn die Saone scheint mir bei ihrer Vereinigung mit der Rhone der größere Fluß; dazu kommt, daß von der Vereinigung beider an die Richtung der vereinten Ströme die der Saone bleibt, ja die schöne blaue Farbe der Rhone wird von der mehr gelblichen der Saone [131] nach der Mischung überwältigt. Mir schien dabei die Rhone das schöne Bild eines Menschen, welcher Namen und Ruhm einem Anderen abtritt, nachdem er sich zu gemeinsamem Wirken mit ihm vereinigt hat.

Die schon von Lyon aus hohen Ufer bilden sich bald zu einer Doppelreihe malerischer Berggelände aus, mit Weinbergsterrassen bedeckt, wo es nur irgend möglich war, sie anzulegen. Zahllose Ortschaften säumen die Ufer; nur vermißte ich an ihnen die freundlichen rothen Ziegeldächer und die helle Tünche der rheinischen Uferstädte. Dies und der Mangel der Bewaldung der Uferberge stellt eine Rhonefahrt allein gegen eine Rheinfahrt zurück. Außerdem muß ich jener den Vorzug der Großartigkeit einräumen. Doch ich will jetzt keine Beschreibung der Einzelnheiten versuchen. Mein Brief würde sonst fast das Ansehen einer geologischen Skizze annehmen. War es ja doch vornehmlich der vielfach wechselnde Blick in die Schichtengliederung der zu beiden Seiten aufgethürmten Berge, was mich unaufhörlich in der aufmerksamsten Spannung erhielt. Auch der Ortschaften, von durchaus südlichem Character, will ich nicht namentlich gedenken. Nur die zierlichen Drahtbrücken, deren bis Avignon nicht weniger als 13 beide Ufer verbinden, will ich erwähnen, als einen Beweis, wie sehr der Franzose mehr als der Deutsche darauf bedacht ist, den Verkehr zu fördern. Daneben gereicht ihm freilich die Unkenntniß seines eigenen Landes, soweit diese dessen geographische Seite betrifft, zu schlechter Ehre, denn wohl sechs meiner französischen Reisegefährten fragte ich vergeblich nach dem Namen des Gebirges, welches am rechten Ufer seine schneebedeckten Berge über die niedrigen Höhen emporschauen ließ. Ohne Zweifel sind es die Cevennen. Unterhalb Vienne aber mußten diese unbekannten Berge in meiner Beachtung plötzlich entschieden zurücktreten, denn in längerer Reihe dehnte sich am östlichen Horizonte die schneeweiße Kette der Alpen aus. Wiederum konnte mir Niemand, auch nicht der Capitain des Bootes, sagen, welches der mächtigen Häupter darin der Montblanc sei; und doch mußte er darunter sein, da man ihn schon von den Lyoner Höhen sehen kann. Mit dem Sinken der Sonne verwandelte sich das blendende Weiß der Alpenkette in ein liebliches Rosa und mein überraschtes Staunen in ein begeistertes Entzücken, welchem ich glücklicherweise Worte geben konnte, da ich kurz vorher auf dem Verdeck zwei deutsche Reisegefährten ausfindig gemacht hatte. Fern von nationaler Bornirtheit machte mich das doch sehr glücklich. Es war eben nur die Allmächtige, die Sprache, das Wort, unter deren Botmäßigkeit ich wieder trat, während ich bisher ein Verlassener gewesen war.

Gegen Abend landeten wir in Valence. Der scharfe Luftzug der Rhonefahrt hatte mir neckisch verhehlt, daß ich mich bereits in milderen Lüften befinde. Es lag für mich aber eben darin eine fast zauberhafte Ueberraschung, als ich am Ufer warme Frühlingsluft mich anwehen fühlte. Als ich weiter ging, ragten über eine Gartenmauer drei Cypressen hervor. Ich mußte sie laut begrüßen – meine zwei deutschen Reisegefährten hatten sie nicht beachtet – und rieft „ja nun bin ich im Süden!“ Doch bevor ich Marseille erreichte, sollte der Zauber des Südens noch mächtiger über mich kommen. Um 2 Uhr des folgenden Tages verließen wir in Avignon das Boot. Eilig überantworteten wir uns einem der sich um unseren Besitz fast prügelnden Führer. Gegen Abend, vor Abfahrt der Eisenbahn nach Marseille, besuchten wir allein zum zweitenmale die Höhe, auf welcher der päbstliche Palast liegt. Wer vermag diese Rundschau zu beschreiben! Dicht neben uns der Palast, – jetzt ein Gefängnis! – mit der alten Kirche, deren Portal ein Ueberrest eines römischen Tempels ist; um uns blühende Gesträuche eines südlichen Himmels und rings um unsern Standpunkt herum ein fast vollständiges Rundgemälde von der mannigfaltigsten Zusammensetzung. Zu unseren Füßen die Rhone und die alte graue Stadt, gegen Osten die ferne Alpenkette, aus der in größerer Nähe der mächtige Mont Ventoux in rosiger Abendbeleuchtung emporragte. Unser Führer hatte uns die Stelle bezeichnet, wo die berühmte source de Vaucluse rinnt, wo Petrarca um seine Laura trauerte. Im Museum hatten wir den überraschenden Reichthum hier gefundener römischer Alterthümer überblickt; im einsamen Garten desselben, eingehegt von den edeln Frauen des Gebäudes, hatten mich die Düfte der Myrten und Lorbeerbäume betäubt – – werden Sie sich wundern, daß ich mich nur schwer von dem päbstlichen Palaste Avignons trennte? Es musste aber sein, denn ich reise nicht in meinem eignen Interesse allein, wie Sie wissen, sondern um der Wissenschaft und Denen zu dienen, die mir im Interesse jener das Reisegeld gaben. Um 8 Uhr fuhr ich mit dem pfeilschnellen Abendzuge der Eisenbahn ab und traf mit dem einen meiner deutschen Reisegefährten um 10 Uhr in Marseille ein.

Bis hierher schrieb ich meinen Brief, ehe ich mir den Besuch der Stadt und Umgegend gestattete, um nicht durch neue die gestrigen Eindrücke zu verwischen oder wenigstens zu stören. Ich hatte Recht daran gethan, denn nicht umsonst nennt der Franzose Marseille die schönste Stadt Frankreichs. Von 11 bis Nachmittag 4 Uhr irrten wir in der unbeschreiblich malerischen Gegend umher. Wir überließen es, ich und mein Reisegefährte, einem Fiakre, uns an einem entlegenen geeigneten Punkte aus der Stadt an das Ufer zu führen. Ich sah das Meer nicht zum ersten Male; in Triest hatte ich schon die stürmende Adria gesehen. Jetzt verschwand sie vor der Pracht des Hafens von Marseille. Der Anblick des tiefblauen Meeres unter dem klaren Himmel wäre mir ein hinreichender Genuß gewesen; nun aber stand ich sprachlos vor Staunen und Entzücken, als ich Meer und Himmel gewissermaßen blos als den Hintergrund fand, auf welchem die großartigste Berglandschaft gemalt ist. Es schmerzte mich, als ich daran denken mußte – ich weiß nicht, wie mir der Gedanke kam – daß auch hier in diesem Tempel der neuen, großen Natur die Menschen wohl auch nur die Menschen von anderwärts sein werden. Sie werden nicht über mich lachen, denn Sie verstehen mich, – belächeln mußte ich meine fromme Kühnheit selbst – ich dachte: Reisen, Reisen der Menschen zueinander, der bevorzugten Marseilleser zu den Stiefkindern der nordischen Haiden und dieser zu jenen, das muß die Menschen einander nähern; ja, die Menschen sollten reisen müssen; es müßte Nationalsache – doch weg mit den Nationen, die würden dann keine trennende Bedeutung mehr haben – es müßte Sache der Menschheit und ihrer Erziehung werden. – Ich dachte an die Meinigen daheim; ich fragte mich lächelnd, was sie jetzt wohl machen würden, wenn ich sie mit auf die Reise hätte nehmen, ihnen diesen Genuß bieten können. O gewiß, sie wären mir vor Dank [132] und Freude um den Hals gefallen, stumm, nur mit einer Thräne im Auge. Nur ihre Abwesenheit verhinderte, daß ich mich jetzt ganz glücklich fühlte, so glücklich, als ein Mensch nur sein kann – und ich meine, ein Mensch kann sehr, sehr glücklich sein. – Niemals, auch nicht gestern in Avignon, war ich glücklicher über meine Kraft – ja es ist eine Kraft – mich der Natur freuen zu können, so recht aus Herzensgrunde.

Verzeihen Sie, Freund, diesen Jubel meiner Begeisterung. Sie wissen aber, ich kann nicht anders. Sie müssen meine Briefe schon nehmen, wie Sie mich immer in Freundschaft genommen haben. Ich und meine Briefe sind Eins.

Ich will es versuchen, die unbeschreibliche Schönheit des Ortes mit einigen Worten zu beschreiben.

Vor mir lag das ruhige Meer, das von einem leichten Seewinde überblasen nur in fast regelmäßig abgemessenen Takten wohl dreißig Schritt lange, aber ganz flache Wellen an die sandigen Küstenstellen hinanrollte. Die Sonne stand im Zenith und glitzernde Wellchen warfen millionenfach in einer breiten Fläche ihre Strahlen zurück. Links gegen la Ciotat trat eine lange Bergkette aus dem Lande bis vor in das Meer, deren höchste Gipfel, wohl mehrere Tausend Fuß hoch, nicht die eintönigen weichen Formen der Waldberge, sondern die malerischen Ecken und Klüfte der Felsengebirge hatten. Sie kehrten mir ihre Schattenseite zu und waren daher in einen blauen Duft gehüllt. Rechts glänzten im blendenden Sonnenschein, fast reinweiß, die mit Bastionen gekrönten Kalkfelsen von einigen Inseln, welche den Hafen von Marseille schließen, welches selbst ganz von einem Vorsprunge des Felsenufers sammt dem eigentlichen Hafen verdeckt war. Dahinter dehnte sich das ferne Ufergebirge als blaue zackige Coulisse aus; aber alles fern genug, daß Alles zusammen eben wie Coulissen auf dem Horizonte des Meeres zu stehen schien, und nur die Deutlichkeit und Schärfe, oder die Weichheit und Undeutlichkeit der Einzelheiten ließ das Nahe von dem Fernen unterscheiden. Den linken Vordergrund bildeten über einer selbst schon gegen 100 Fuß hoch gelegenen Straße bergige Gärten, aus deren einem über einen Felsenvorsprung ein krystallklarer Bach herunterstürzte. Er mußte aber vorher einen Theil seines Wassers hergeben, um mitten auf einer Erweiterung des Weges aus einem runden, wohl gegen 20 Schritte breiten Bassin eine Fontaine hoch emporzuspritzen, die, so klar war das Wasser, von weitem kaum zu sehen war. Die bergige Lage, nach dem Wege zu geneigt, gestattete den Blick in die Gärten. Die Seekiefer und die Oelbäume bildeten neben hohen Haidebüschen noch das einzige Grün darin, welches düster von den fast kreideweißen Kalkfelsen hervortrat. Nicht elegante Landhäuser, sondern bunt durcheinanderstehende schlichte Häuschen waren die weit passendere Zuthat der menschlichen Hand zu diesem Werke der Natur. – Dies ungefähr, – meine Worte werden es Sie freilich nicht mir nachempfinden machen – sah und empfand ich heute – und vor kaum mehr als einer Woche sah ich nichts, als die langweiligen schneebedeckten Ebenen Leipzigs!

Von der Stadt und dem Hafen schreibe ich nicht; beide haben Häuser und Schiffe und Verkehrsgewühl wie alle Hafenstädte, nur vielleicht Marseille etwas mehr, als manche andere.

Ich bin ja auch nur erst eine wandernde Schwalbe. Uebermorgen denke ich mich auf dem spanischen Dampfboot el Barcelona einzuschiffen. In Barcelona soll es mich auf spanischem Boden aussetzen. Dort erst will ich das Reisen genießen, dort erst kann ich hoffen, daß meine Briefe Sie einigermaßen zum Mitreisenden machen.




Blätter und Blüthen.

Wellington, Napoleon und Blücher. Der selige General von Müffling erzählt in seinen Denkwürdigkeiten: „Während des Marsches (nach der Schlacht bei Waterloo) hatte Blücher einst die Aussicht, Napoleon gefangen zu nehmen, wonach er auch recht sehr strebte. Den französischen Bevollmächtigten, welche zu ihm gesandt wurden, um einen Waffenstillstand mit ihm zu unterhandeln, stellte er sogleich die Bedingung, Napoleon auszuliefern. Ich wurde von Blücher beauftragt, dem Herzog von Wellington vorzustellen, daß der Wiener Congreß Napoleon für vogelfrei erklärt habe und daß er entschlossen sei, ihn niederschießen zu lassen, sobald er ihm in die Hände falle. Dennoch wünsche er zu wissen, was der Herzog von der Sache denke, denn wenn er (der Herzog) dieselbe Ansicht habe, so würden sie zusammen auf die Erreichung des Zieles hinarbeiten können. Der Herzog sah mich erstaunt an und begann die Richtigkeit der Erklärung, welche sich der Marschall von der Wiener Proclamation mache, zu bestreiten, weil dieselbe durchaus nicht bezwecken könne, zu einem Morde Napoleon’s zu berechtigen oder anzureizen; er meine daher, daß man aus dem erwähnten Document kein Recht entwickeln könne, Napoleon todtzuschießen, falls er zum Gefangenen gemacht werden sollte, auch halte er seine Stellung und die des Marschalls seit dem gewonnenen Siege für eine zu hohe, als daß sie sich eine solche Handlung erlauben dürften. – Ich hatte die Kraft aller Argumente des Herzogs gefühlt, bevor ich die Botschaft überlieferte, welche ich sehr ungern übernommen hatte, daher ich auch nicht geneigt war, dem Herzog zu widersprechen. „Ich wünsche daher,“ fuhr der Herzog fort, „daß mein Freund und College die Sache so ansehen möchte, wie ich es thue; ein solcher Act würde unsere Namen mit Verbrechen befleckt der Geschichte überliefern, und die Nachwelt würde von uns sagen, daß wir nicht werth gewesen wären, Napoleon’s Sieger zu sein. Außerdem würde eine solche That nutzlos sein und kann keinen Zweck haben.“ Ich benutzte von diesen Ausdrücken nur so viel, wie nöthig war, um Blücher von seinem Vorhaben abzubringen.“

Müffling hat in dem Anhange zu seinen Denkwürdigkeiten drei Depeschen mitgetheilt, in denen Blücher den Herzog von Wellington zur Hinrichtung Napoleon’s zu vermögen suchte. Diese Depeschen sind von Gneisenau unterzeichnet und lassen keinen Zweifel, daß man das im Kriege vergossene Blut an der Ursache desselben rächen wollte, wäre diese in die Hände des preußischen Befehlshabers gefallen. Es war Blücher’s fixe Idee, daß der Kaiser an derselben Stelle hingerichtet werde müsse, wo der Herzog von Enghien seinen Tod erhalten hatte. Die letzte Depesche wirft dem Herzog von Wellington eine „romanhafte Großmuth“ vor, welche man im preußischen Hauptquartier nicht begreifen könne. – Wahrscheinlich ist es nur wenigen Franzosen bekannt, daß Napoleon’s Leben mit vieler Mühe von dem Nebenbuhler desselben erhalten wurde.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.

  1. Unsere Leser werden bereits aus den Zeitungen erfahren haben, daß der bekannte Naturforscher Prof. Roßmäßler mit englischem Gelde vor Kurzem im Interesse der Wissenschaft eine Reise nach Spanien angetreten hat, von der er wahrscheinlich erst nach 6 oder 8 Monaten zurückkehren wird. Es gereicht uns zum besonderen Vergnügen, heute unsern Freunden mittheilen zu können, daß Herr Professor Roßmäßler seine Reiseberichte in der Gartenlaube veröffentlichen wird. Daß diese Berichte nicht in wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern in frischen naturgetreuen Bildern und Schilderungen aus dem schönen Lande bestehen werden, bedarf wohl bei der populairen Tendenz unseres gemüthlichen Blättchens keiner Erwähnung. Die Red.