Die Gems- und Bärenjagd in den Schweizer Alpen

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Autor: Hermann Alexander von Berlepsch
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Titel: Die Gems- und Bärenjagd in den Schweizer Alpen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 789-792
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Gems- und Bärenjagd in den Schweizer Alpen.
Von H. A. von Berlepsch.[1]

Der Aelpler ist eine feste, kernige, einfache Erscheinung in allen seinen Lebensbeziehungen, in allen seinen Lebensäußerungen. Ebenso genügsam, wie er in seinen Bedürfnissen, ebenso ungekünstelt, wie er in seinen Sitten, ebenso muthig, wie er in Gefahren, und ebenso ausdauernd, wie er bei den Beschwerden seines Erwerbes ist, – ebenso kühn und beharrlich, frisch und entbehrend ist er auch auf der Jagd. Sie steht im vollen Einklange mit seinem ganzen Wesen und mit der gewaltigen, großartigen Natur, die ihn umgibt.

Der Pirschgang auf Alpenthiere ist nach Terrain, Suche und Jagdart eine völlig anderen Bedingungen unterstellte, gänzlich anderen Umständen unterliegende Thätigkeit, als die zur Wissenschaft und noblen Passion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flachlande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zulässig oder sogar geboten sind, und deren genaue Kenntniß und fertige Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen nicht in Anwendung kommen; es ist keine paragraphisch-systematisirte Waidmannskunst, die sich theoretisch aus Büchern einschulen läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, sondern so urnatürlich derb und wild, wie die Alpen selbst, ist auch die Jagd. Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und Fasern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn bieten kann, wessen Auge nicht scharf und schwindelfrei in Abgründe zu blicken vermag, der lasse den Stutzen daheim, oder versuche sein Glück drunten im blassen, dürren Stoppelfelde und zwischen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Hasen fangen hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen gilt’s wilden Bestien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder der flüchtigen, weit witternden Gemse, oder den schlauen, scheuen Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfecter Nimrod auf Rothwild sein und in der Sauhatz schon mancher Bache den Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpenthiere erlegen zu können.

Abenteuer auf der Gemsjagd in Appenzell.

Zuvörderst gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter, sicherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Gestein an jäher Bergwand ihm unter den harten, stachelbewaffneten Sohlen weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinwegeilt, der sich zu helfen weiß im Labyrinth der Gletscher-Spalten und an der glatten, trügerischen Firnhalde, der nicht vorm Wagesprung zurückschreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf den Rasenbändern an den Felsenwänden so unbefangen geht wie der Dachdecker am Kirchthurm-Gesimse; – mit einem Wort, der Alpenjäger soll ein guter, ausdauernder Berggänger sein. Denn auf flinkem Jagdroß kann man nicht in die Flühenen reiten, wo das Wild haust; der eigene, feste Fuß muß den Alpenschützen hinauf in die zackige Gebirgs-Wildniß zum Waidwerk tragen. Dann ferner soll er vertraut mit den Revieren sein, in denen er sein Glück versuchen will. Er muß die Gebirgsstöcke und ihre Sippschaft, die Grate, Joche, Zinken und Kämme, den inneren Zusammenhang der Schluchten und gewundenen Felsengassen kennen, um sich nicht zu versteigen, wie weiland Kaiser Max an der Martinswand in Tyrol, oder Rudolph Bläsi von Schwanden, dessen haarsträubendes Jagdabenteuer der Dichter Reithard in seiner bekannten poetischen Erzählung: „Die beiden Gemsjäger“ aufbewahrt hat. Es ist wohl kaum ein rechter Bergschütz, der nicht schon oft in ähnliche Lagen gerieth und nur durch einen Verzweiflungs-Sprung sein Leben rettete. Wie viele schon dabei zu Tode stürzten oder einsam verhungerten, ist nicht zu berechnen. – Und endlich muß er entbehren können, entbehren Speise und Trank, Ruhe und Wärme. Wer bedenkt, daß die Jagd in den Bergen meist erst aufgeht, wenn die Alpen von den Heerden verlassen sind, daß also in den Hütten keine labende, kuhwarme Milch, kein Imbiß Brod zu haben ist, wer bedenkt, daß der Schütze oft vier bis fünf Tage in der Einöde umherschweift, ohne inzwischen zu seiner tief unten im Thale liegenden Wohnung hinabzusteigen, daß er also seine Mahlzeiten knapp eintheilen muß, um mit dem wenigen trocknen Brod und Käse und seinem Fläschchen „Chriesiwasser“ (Kirschgeist) auszureichen, – wer endlich erwägt, daß nicht einmal der rauhe Wildheusack in dürftiger Alphütte ihm eine gegen Kälte und Wetter schützende Lagerstätte bietet, sondern daß der Mann auf hartem Stein, in irgend einer Felsenspalte gar oft zu übernachten gezwungen [790] wird, wenn ihn die Nebel in den Höhen überfallen, und er ohne äußerste Gefahr nicht von der Stelle gehen darf, – der wird zugestehen, daß ein ungemein an Entbehrungen gewöhnter Körper außer den oben angeführten Eigenschaften zur Ausübung der Jagd in den Alpen gehört. Alle diese körperlichen Requisiten bedingt die edle Hochjagd in Deutschlands Auen und Wäldern nicht.

Das Capitel von den Gemsen und deren Jagd ist von dem gründlichen Kenner der Alpen, Fr. v. Tschudi, in seinem „Thierleben“ erschöpft. Indem wir auf dasselbe verweisen, tragen wir zur Ausfüllung des Rahmens, der unsere Bilder umschließt, blos einige charakteristische Jagdabenteuer nach.

Jäger-Spürsinn und Wild-Instinct sind neben den soeben aufgezählten körperlichen Erfordernissen die ersten bedingenden Eigenschaften des Gemsen-Jägers. Er muß die Standquartiere, die Weidegänge und Nachtlager erforschen, um mit einiger Sicherheit berechnen zu können, in welcher Gegend er um irgend eine bestimmte Zeit Gemsen zu treffen hoffen dürfe. Der Spittler Jan aus dem Graubündner Münsterthale, seines Gewerkes eigentlich ein Musikant, zugleich aber einer der verwegensten Gemsenschützen, soll mehrmals Wetten gewonnen haben, weil er genau Stunde und Platz angab, an denen man so und so viel Stück antreffen müsse. – Kennt er nun überhaupt den Jagdplatz, auf dem er seine Beute holen will, so bricht er, je nach der Entfernung seines Wohnortes (wenn er, wie dies die besten Gemsjäger immer thun, allein jagt), um Mitternacht oder bald nachher auf und steigt in schweigender Nacht so weit empor, als er unbeschadet seines Jäger-Vortheils kommen kann. Hierbei achtet er sorgfältig auf die Richtung des Windes, damit derselbe nicht den Gemsen Witterung und Schall des Kommenden zutrage. Ist er nun den Thieren im Rücken, die noch ruhend im Grase liegen und nur die „Bogaiß“ als Posten auf erhöhtem Felsenblock aufgestellt haben, so schleicht er, noch unter dem Schutze der Dämmerung, so nahe als immerhin möglich sich heran und sucht seinen Körper durch irgend einen Felsenblock, Baumstrunk oder sonstwie zu decken. Hier wartet er, schußfertig, den Anbruch des Tages ab. Welche unendliche Behutsamkeit und Vorsicht gehört zu diesem katzenartigen Vorgehen, welch äußerst spannendes Lauern bei größter Ruhe und Kälte! Erst nachdem sich die Thiere erhoben haben, wählt er sein Opfer aus und schießt. Oft begegnet’s, daß der resolute Jäger, bevor das erschrockene Gemsenvolk die Gegend ausfindet, von welcher Gefahr droht, noch ein zweites Thier mit seiner Doppelbüchse erlegt. Hat er gut getroffen, so schnellt die Gemse hoch auf und stürzt rasch zusammen; es trifft aber auch, daß angeschossene Thiere, die nicht tödtlich verwundet wurden, mit dem ganzen Rudel auf und davon jagen. Mitunter gibt es auffallend große Gesellschaften dieses Wildes, die bis zur Paarung bei einander bleiben; der bekannte Berggänger Statthalter Gottl. Studer in Bern sah deren einst im Wallis 60 zusammen weiden. Solojäger pflegen in der Regel keine Hunde mitzunehmen.

Der gewaltigste Gemsenjäger der Jetztzeit möchte vielleicht Ignaz Troger von Ober-Ems in Eischol (Wallis) sein; wenigstens erzählen die Hirten auf den Alpen des Turtmann- und Nicolai-Thales völlige Wunderdinge von ihm. Er scheint ein moderner Colani der dortigen Gegend zu sein, der ein mehrere Quadratmeilen großes Gebiet stillschweigend als ausschließlich nur ihm zuständiges Jagdrevier usurpirt hat und in welches kein anderer Schütze sich getraut. Außerdem umgibt ihn der Volksglaube mit einem unheimlichen, sagenhaften Nimbus und macht ihn zu einem Freischützen, der auf jeden Schuß sich holen könne, was er verlange. Jedenfalls steht es fest, daß er im ganzen Kanton Wallis der beste Alpenjäger ist, und wahrscheinlich mag der Umstand, daß er unter schlauer Benutzung gemachter Erfahrungen vielleicht an einem Tage 3 und 4 Gemsen schoß, diese geschickt verbarg und dann eine nach der anderen in seine Wohnung hinabtrug, Veranlassung zu allerlei Fabeleien gegeben haben. Zugleich ist er der verwegenste und unternehmendste Berggänger; wenn die Ersteigung des Weißhornes je möglich sei, so erreiche Troger zuerst die Spitze, so behaupten es die Walliser. – Ein anderer vortrefflicher Schütze, der jährlich seine 20 bis 30 Gemsen schießt und auch schon zwei Bären erlegte, ist Battista Margnia im Val Calanca, der einen Theil des Jahres als Glaser die deutsche Schweiz, namentlich den Kanton Glarus durchzieht. In Graubünden gilt gegenwärtig Benedetto Cathomen von Briegels im Vorder-Rheinthale als der größte Gemsenjäger, auf den dann der berühmte Bären-Nimrod Fili, Postmeister in Zernetz, Jakob Spinas von Tinzen, Zinsli von Scharans u. A. folgen.

Minder gefährlich ist das von den weniger hervorragenden Jägern gesellschaftlich unternommene Treibjagen auf Gemsen. Es findet meist in den ziemlich wildarmen Voralpen statt und nähert sich in manchen Beziehungen der organisirten hohen Jagd des Flachlandes, weil eine Aufstellung der Jäger, wie beim Anstand, stattfindet und oft auch Hunde zum Zutreiben benutzt werden.

Diese Jagdweise hat indessen auch wieder ihre eigenthümlichen Fährlichkeiten, die nach der Ursache und Veranlassung bei der Solojagd verhältnißmäßig weniger vorkommen können. Wie bei jedem Treibjagen, so muß auch hier ein Plan, eine gewisse Verständigung unter den Jägern und Treibern stattfinden; wird die getroffene Abrede durch einen der im Gebirge leicht möglichen, unvorhergesehenen Zwischenfälle nicht genau inne gehalten, so ist leicht ein gänzliches Fehlschlagen des Jagdtages das Resultat vieler Anstrengungen. Einen solchen Moment repräsentirt unser Bild. Drei wohlgeübte Schützen des Appenzellerlandes jagten an der Gloggern, jener hohen Wand südöstlich von der Seealp, an dem Wege gelegen, wenn man vom Weißbad über Meglisalp zum Sentis aufsteigt. Einer derselben ging diesen unteren Weg, ein zweiter droben über Marwies, und der dritte Jäger über ein schmales Rasenband an der Felsenwand, zwischen den beiden zuerst Genannten. Auf dieses Rasenband waren die Gemsen getrieben. Der zu unterst und zu oberst Gehende hatten leichteren Marsch und kamen früher an der Stelle an, wo das gemeinschaftliche Schießen beginnen sollte. Ersterer sieht die Thiere auf sich zukommen, ihm direct in den Schuß gehen, wartet und wartet und erblickt immer noch nicht den auf dem Rasenband treibenden Jäger. Die Gemsen kommen immer näher; er befürchtet um den Schuß zu kommen, legt fieberhaft aufgeregt an, drückt los und – aufgeschreckt durch den Knall, kehren die Thiere sofort um und fliehen in jagendster Hast auf dem Rasenbande den Weg zurück, den sie gekommen waren. Just an einer sehr schmalen abschüssigen Stelle von kaum etwas mehr Breite, als für einen Menschen zum Gehen nöthig ist, da, wo es um eine Felsen-Ecke biegt, stoßen sie in wildester Flucht auf den mühsam emporkletternden Jäger. Ein Begegnen Beider in aufrechter Stellung, auf diesem schwindelnden Felsenbande, hätte unfehlbar zum Sturze des Jägers in eine mehr als hundert Fuß absinkende Klippentiefe führen müssen, da die Gemsen instinctmäßig in der Angst der Verzweiflung den Durchpaß zwischen der Felsenwand und dem Jäger gesucht haben würden. Dies erkennt der besonnene Mann, und um sein Leben zu retten, wirft er sich nieder, und läßt das ganze Rudel in flüchtigem Sprunge über sich hinwegbrausen. – Ein anderer Jäger, im Glarnerlande, in ähnlicher Lage an kritischer Stelle, glaubte dennoch durch raschen Entschluß seine Beute erlegen zu können und kauerte sich sitzend, fest an die Felsenwand gestemmt, nieder und schoß. Die Ladung ging fehl, die Gemse setzte über ihn hinweg, berührte ihn aber im schnellenden, elastischen Sprung mit einem der Hinterläufe an seiner Jacke und riß ihm das oberste Knopfloch aus; ein Hängenbleiben hätte unfehlbar zum zerschmetternden Sturze Beider geführt.

Von einem tessiner Gemsenjäger aus dem Val Blegno wird folgende verbürgte Force-Tour erzählt. Ihrer Zwei waren auf’s Treiben ausgegangen. Da kommt der Eine von ihnen zum Schuß, trifft den Gemsbock gut in’s Vorderblatt, der verwundet und blutend dennoch fortrennt und dem andern Jäger in einem Defilé zwischen zwei kolossalen Felsenblöcken entgegenspringt. Dieser, durch den einen Block gedeckt, so daß das geängstete Thier ihn nicht sehen kann, schlägt an, drückt los, – aber das Gewehr versagt. Rasch entschlossen wirft der Tessiner seine Waffe fort, springt dem großen Gemsbock in dem Augenblick entgegen, als dieser in der Felsengasse weder rechts noch links fortkann, packt ihn glücklich erst mit einer, dann auch mit der andern Hand bei den Hörnern und läßt sich von dem wahre Löwenkräfte entwickelnden Thiere 30 bis 40 Schritte weit über Rasen und Gestein bis dicht an einen Abgrund schleifen, wo dasselbe erschöpft zusammenbricht. Noch zwei oder drei Sprünge, und der Abgrund hätte Beide aufgenommen. Hier am Rande der Tiefe entsteht nach einer Secunde, in einer Blutlache, nochmals ein Ringen Beider. Mit der einen Hand hält der Jäger krampfhaft den zähen Zweig einer Föhre fest, während er mit der anderen die Hörner des Thieres umspannt, [791] auf dessen Halse er kniet. So verweilt er einige Minuten, bis sein Gefährte herbeieilt und durch einige Stiche mit dem Brodmesser dem Leben des bis zum Tode sich wehrenden Thieres ein Ende macht.

Bei Streifzügen durch die Alpen begegnet höchst selten, daß Touristen, wenn auch nur in großer Entfernung, Gemsen zu sehen bekommen. Eine Stelle gibt’s, wo man im Frühsommer fast täglich sehr nahe Gemsen sehen kann; dies ist in den Churfirsten-Alpen oberhalb Wallenstad im Kanton St. Gallen. Diese Berge zwischen dem Speer und dem Gonzen sind zu „Freibergen“ von der Regierung erklärt, – dort darf bei hoher Strafe keinerlei Wild geschossen werden. Wer in Wallenstad übernachtet und frühzeitig nach den Alpen Lösis und Büls aufsteigt, wird außer einem großartigen Gebirgs-Panorama leicht Gemsen zu sehen bekommen. Der Weg ist ganz bequem, selbst für Damen praktikabel.

Die Bärenjagd ist nicht, wie die Gemsenjagd, ein zur Leidenschaft gewordener Act waidmännischen Vergnügens oder des Geldverdienstes; sie ist entweder (und zwar in den seltensten Fällen) eine unfreiwillige, durch den Zufall herbeigeführte Muthprobe für den Aelpler, – oder ein absichtlich aufgesuchter, höchst gefahrvoller Vernichtungskampf gegen den gefürchten Heerden-Räuber. In beiden Fällen ist diese Jagd nicht minder beschwerlich und drohend als jene, nur daß die Gefahr weniger in dem zu passirenden unzugänglichen Terrain, als vielmehr in der Natur des zu erlegenden Wildes beruht.

Die eigentliche Bärenheimath in den Alpen sind die Kantone Wallis und Graubünden. Als das am schwächsten bevölkerte Alpenland, welches zugleich noch die ausgedehntesten, dichtesten Waldungen und umfangreiche, wenig betretene Gebirgsreviere besitzt, bietet es dem großen Raubwild die beste Gelegenheit zu ungestörtem Aufenthalt. Es vergeht kein Jahr in den rhätischen und walliser Alpen, daß nicht bald hier, bald dort die Schreckensbotschaft in’s Thal hinabkommt, der Bär habe wiederum Schafe, Kälber oder überhaupt Jungvieh auf der Alp zerrissen. Aber zur Genugthuung der allgemeinen Sicherheit verbreitet sich dann auch oft die freudig wiederhallende Kunde durch die Berge, daß, oft unter den abenteuerlichsten Umständen, wieder ein Bär erlegt worden sei. Die Summe der in den Alpen geschossenen Bären darf in neuerer Zeit immerhin jährlich auf 12 bis 20 Stück angenommen werden. Es gibt, möchte man sagen, Bärenjahre, in denen sich diese Bestien außerordentlich zahlreich zeigen, und viele derselben in engen Grenzen geschossen werden, und wieder andere Jahre, in denen wenig von diesem Raubthiere verlautet. Die Menge der erlegten Bären würde bei weitem größer sein, wenn es mehr Jäger in den Bergen gäbe und die gesetzte Schußprämie größer wäre. (Graubünden z. B. zahlt von Regierungswegen nur 28 Francs für jeden erlegten Bären, ob alt oder jung, wobei dem Schützen dann das Thier sammt Fell zum Verkauf noch bleibt.) Taxationen von Forst- und Jagd-Männern schätzen den Bären-Reichthum von den Grajischen Alpen bis hinaus nach Steyermark und Krain auf etwa 500 Stück; doch ist diese Annahme um so unsicherer, als erwiesen ist, daß der Bär in fortwährendem Wandern zwischen dem Osten und Westen Europa’s begriffen ist und nur für unbestimmte Zeit feste Standquartiere bezieht.

Münchhausen ist nicht blos ein College der Jäger des Hügel- und Flachlandes, er hat auch Niederlassung bei den Alpenjägern gesucht und gefunden; daher kommt’s, daß eine Menge der übertriebensten Anekdoten von Bärenjagden existiren. Dies schließt indessen nicht aus, daß es Jagdabenteuer gibt, die zu den wirklich drastischen gehören.

Eine höchst tragikomische Bären-Attaque trug sich im Sommer 1857 in der Tiefe des Engadiner Val d’Uina zu. Schon mehrfach hatte ein hungeriger Mutz Heerden angefallen, die unterm Griankopfe und an den Abhängen des Piz Cornet weideten, so daß man Jagd auf ihn machte. Ein Mann von Sins begegnet in wilder Einöde dem zottigen Gesellen, legt auf ihn an und brennt ihm eine Kugel auf den Pelz. Der Bär, zu gering verwundet, um durch den Schuß kampfesunfähig zu werden, wendet sich zornig gegen den Jäger, der, das Gefahrvolle seiner Lage sofort erkennend, sich hinter einen großen, ringsum freien Felsblock flüchtet. Während der laut brummende Bär hinkend ihn verfolgt, ladet der Jäger auf’s Neue, indem er den Felsen fortwährend umläuft. Da, als die Büchse wieder schußfertig ist, stellt er sich zum zweiten Mal, und trifft das Thier, abermals jedoch, ohne es tödtlich verwundet niederzustrecken. Die Wuth des Bären wird dadurch nur gesteigert, und bald rechts, bald links den Block umgehend, entsteht nun ein Haschens- und Versteckens-Spiel zwischen dem fortwährend blutenden Thiere und seinem flüchtenden Verfolger, das von Augenblick zu Augenblick schrecklicher zu werden beginnt. Denn weit und breit nur felsige, todte Einöde, – kein rettender Freund, kein kampfunterstützender Jagd-Genosse. Der Sinser Bauer verliert immer noch nicht seine Geistes-Gegenwart und die gewiß seltene Kaltblütigkeit; im Springen gelingt es ihm, die Büchse zum dritten Mal zu laden und den dritten Schuß auf seinen Gegner abzufeuern. Ob dieser traf, ist unbestimmt. Zu seinem Entsetzen entdeckt aber der Jäger nun, daß seine Munition zu Ende ist; wahrscheinlich hatte er einen Theil derselben während des springenden Ladens verloren. Das Verfolgungsspiel beginnt gräßlich zu werden. Zwar zeigen sich die Blutverluste des Bären immer mächtiger, aber auch die Wuth desselben steigert sich immer mehr. Noch eine Zeitlang setzt der nun fast die Besinnung verlierende Aelpler das Fluchtspiel um den Felsenblock fort und glaubt das Thier so zu ermatten, daß ihm zuletzt die Kraft zur weiteren Verfolgung fehle; – aber vergeblich. Stets fort und fort sieht er sich von dem lautbrüllenden Ungeheuer auf Schritt und Tritt verfolgt, bald unmittelbar dicht hinter sich, bald durch Umkehr ihm entgegenkommend. Die Kniee zittern ihm, der Fuß wird unsicher und strauchelt ein übers andere Mal, – der Athem geht ihm aus, und in Schweiß gebadet wähnt er jede Secunde ohnmächtig niederstürzen zu müssen. Da endlich ermattet auch das Raubthier, sein Gebrüll ertönt nur noch stoßweise, und Unterbrechungen im Laufe treten ein. Diesen Umstand benützt der auf den Tod geängstete Jäger und stürmt, mit letztem Aufwand aller seiner Kräfte, dem Thale zu, – lange Zeit ohne umzuschauen, ob er verfolgt werde oder nicht. Er war gerettet, vermochte aber kaum seine Wohnung zu erreichen. Eine schwere Krankheit warf ihn auf’s Siechbett. – Nachbarn, die am andern Morgen gut bewaffnet an die bezeichnete Stelle gingen, fanden, den Blutspuren folgend, das Thier in ziemlicher Entfernung vom Schauplatze des entsetzlichen Jagdspieles verendet.

Nicht mindere Geistesgegenwart und rettende Entschlossenheit entwickelte einst der als Gemsenjäger hoch berühmte Colani von Pontresina im Ober-Engadin. Auf seinen Streifzügen entdeckte er eines Tages die unverkennbaren Fährten eines Bären und verfolgte dieselben über ein nur wenig Fuß breites Felsenband (ähnlich dem, wie es unsere Abbildung des Gemsenjagd-Abenteuers zeigt) bis zu einer Höhle, vor welcher der Pfad auslief. Da es schon spät am Tage war, und er nur eine leichte Büchse bei sich trug, so beschloß er den Angriff auf das Thier zu verschieben, und nahm seinen Rückweg mit der größten Vorsicht.

Am andern Morgen, zu rechter Jägerzeit, noch ehe es tagte, ging er, von seinem damals zwölfjährigen Sohne begleitet, mit der besten Doppelbüchse bewaffnet, vor die Bärenhöhle; auch der Knabe trug eine gleiche Waffe. Nicht lange liegen Beide auf der Lauer, der Alte kniet zuvörderst, der Knabe dicht hinter ihm, als es da drinnen lebendig zu werden beginnt. Bald funkeln zwei Augen, den Kohlen gleich, aus dem Dunkel der Höhle hervor, und der alterfahrene Schütze sendet ihnen die erste, wohlgezielte Kugel entgegen. Sie hat getroffen, denn laut stöhnendes Geheul erschallt aus der Tiefe; zugleich aber auch entwickeln sich die dunkelen Umrisse immer mehr, und im nächsten Augenblick kriecht eine gewaltig große Bärenmutter aus der Höhle hervor. So wie Colani des Schusses sicher zu sein glaubt, gibt er die zweite Salve. Sie zerschmettert dem Ungethüm die rechte Vorderpfote, das mit donnerndem Gebrüll zwar niederstürzt, jedoch sofort sich wieder erhebt, vollends hervorkriecht und sich zum Kampfe auf den beiden Hinterbeinen emporrichtet, da ihm die vorderen den Dienst versagen. – „Vater! soll ich schießen?“ ruft der über seines Vaters Rücken im Anschlag liegende Knabe, vor Begierde zitternd. Aber der alte Colani verliert nicht einen Augenblick seine entsetzliche Jäger-Ruhe und kalte Besonnenheit. Der nächste Schuß mußte unbedingt dem Thier ein Ende machen, sonst war’s um ihn und sein Kind geschehen. – „Gib mir die Büchse!“ herrscht er, ohne den Blick von seiner Beute zu verwenden, dem Knaben zu und wechselt, während der Bär nur wenige Schritte von ihm entfernt ist, mit fester Hand die Waffe. So läßt er das hochaufgerichtete Thier in fürchterlicher Ruhe so dicht herankommen, daß fast die Mündung der Rohre in den weit aufgerissenen Rachen der Bestie reicht. –

[792] Ein Druck, – der erste Schuß versagt, – der zweite knallt, und die Kugel jagt durch das Gehirn, daß das Raubthier mit schwerem Fall zusammenstürzt. Da leidet’s den Bub nicht mehr; im Nu hat er am jähen Abhang den Vater umklettert und hämmert mit verkehrter Büchse auf den Schädel des röchelnden Feindes ein, daß diesem der letzte Lebensfunken entflieht. – Colani ist schon lange gestorben, aber der 12jährige Bub ist jetzt ein muthiger Gemsjäger und im Sommer Führer zu dem Gipfel des Piz Languard.



  1. Zweite Bild- und Textprobe aus dem soeben erschienenen Pracht-Werke unseres verehrten Mitarbeiters: „Die Alpen in Natur- und Lebensbildern“. Das schön ausgestattete Buch ist, wie bereits früher gemeldet, mit 16 größeren Illustrationen von Rittmeyer verziert und eignet sich seinem inneren und äußeren Werth nach sehr zu einer Festgabe.   D. Red.