Die Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge

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Titel: Die Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 186–190
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[186]

Die Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge.

Trotz der Eisenbahn, die seit zwei Jahren von allen vier Winden in die nächste Nähe unseres Gebirges führt, entspricht wenigstens der Winterbesuch desselben durchaus nicht den gehegten Erwartungen. Nicht die Zeitverhältnisse allein tragen daran die Schuld, sondern weit mehr der Mangel an Kenntniß von den großartigen Winterschönheiten unseres Gebirges. Auf einige dieser Reize aufmerksam zu machen, erachte ich für meine Pflicht. Es geschieht nicht blos im Interesse meines heimathlichen Winkels, nach Seume ja eines der „reizendsten der Erde“, sondern auch im Interesse Derer, welche Naturschönheiten zu würdigen wissen und sich den Hochgenuß einer Winterpartie in’s Riesengebirge nicht zu versagen brauchen.

Die meiste Beachtung verdient unbedingt die wundervolle Beleuchtung der mit Schnee und Eis bedeckten kolossalen Gebirgsmauer [187] bei Tag wie in Mondscheinnächten. Nächstdem aber sind es die tausendfach verschiedenartigen Gemälde, welche auf einer Wanderung durch unsere winterlich geschmückten Thäler und auf einigen der hervorragendsten Vorberge dem Auge sich darbieten und die Seele in Staunen und Entzücken versetzen.

Schon der bloße Anblick des Hochgebirges in seiner ganzen Ausdehnung und in seiner vollen Winterpracht ist eine Reise werth. Am schönsten ist und bleibt derselbe auf den Höhen bei Warmbrunn, ganz besonders in den Monaten Februar und März.

Wenn am frühen Morgen die Thäler noch im tiefen Schlafe unter dichter Nebeldecke ruhen, überhaucht oben auf dem Kamm schon ein rosenfarbener Schimmer die westlichen Häupter. Und während nach und nach die Gipfel des Hohen Rades, des Reifträgers, der Großen und Kleinen Sturmhaube, die Veilchenspitze und die Eisränder der Schneegruben und der Teiche nebst dem ganzen Silberkamm in der Morgenröthe erstem Hauche sich berauschen, schlummern alle übrigen Gebirgstheile, ganz besonders der östliche Flügel, noch immer unter ihrer Decke weiter und bis tief in den Morgen hinein.

Von Blick zu Blick steigert sich die Färbung oben und im Westen; dem Hauch folgt eine rosige Gluth, indeß immer noch festgehalten werden von süßen Träumen die Schläfer im Osten. Erst wenn nach einer Viertelstunde die Gluth an den westlichen Wangen sich immer tiefer dehnt, lüftet eine unsichtbare Mutterhand die Schattendecke an den östlichen Hängen, und die Waldung windet zum Morgengruß einen Strauß mit violetten Bändern, in welche der Berggeist all’ die vielen kleinen Sturzbäche als Silberfäden eingewirkt.

Wenn endlich der dunkelblaue Morgenhimmel im vollen Glanze strahlt, löst sich auch die Schattendecke über den östlichen Kanten des Schmiedeberger Kammes, der Schwarzen Koppe und der Riesenkoppe in Aether auf, und Felsengruppen, Wäldermeer und Baudendachung zeigen sich in ihrem winterlichen Morgen-Negligé, bis endlich die höher gestiegene Sonne das ganze Gebirge mit der gewöhnlichen Beleuchtung des Tages erfüllt. Es beginnt aber dann nicht etwa ein einförmiger und einfarbiger Tagesschimmer, sondern das wundervolle Wechselspiel geht ununterbrochen bis zum Sonnenuntergang fort, wo die volle Rosengluth über die Südseite des Gebirges sich ausgießt und die Bewohner Böhmens mit ihrem Zauberglanz erfreut, wie am Morgen die Bewohner der Nordseite.

Nicht weniger reizende Bilder bietet die lange winterliche Mondscheinnacht; aus dem Silberschleier, den der Mond über das Gebirg breitet, steigen sie so zauberisch auf, daß sie bis zur heranschwebenden Dämmerung uns im Staunen und Entzücken erhalten.

Nicht immer ist das Hochgebirge frei oder „klar“, wie der Thalbewohner sagt, sondern oft mit Nebel oder Wolkenschichten mehr oder minder stark bedeckt. Doch auch dieses Nebel- oder Wolkenspiel hat seine Reize und gewährt in seiner Mannigfaltigkeit dem Beobachter oft die schönste Unterhaltung. Besonders interessant ist das Formen der ersten Wolkenmassen, das Auflagern und Verschwinden derselben von den Kuppen und Gehängen, ihr Verdichten und Wiederauflösen, ihr Herüber- und Hinüberlugen, Zusammenballen und Herabwälzen in bald lichter, bald dunklerer Färbung, manchmal sogar finster wie die Nacht.

Schon das unheimliche Kochen und Brauen, Sieden und Brodeln in den großen Küchen des Berggeistes, den Moorsümpfen des Isergebirges, der Naworer-, Mädel- und Weißen Wiese, in den Teichen und Gruben und in den Felsenstädten der Thor- und Korallensteine, fesselt den Blick und spannt die Erwartung. Oft ist der höchste Rücken des mit Schnee und Eis bedeckten Kammes noch frei von Wolkenmassen, während sich dieselben schon an den Gehängen und auf dem niederen Gebirge mit einander herumbalgen und nur hinter dem Kamm herauf eine finstere Wand sich emporthürmt. Dann erzeugen die von den Eisflächen abblitzenden Sonnenstrahlen einen wundervollen Goldsaum, der an dem dunklen Hintergrund sich abspiegelt und von den unteren Wolkenmassen aufgefangen wird.

Bald erhebt sich der Sturm, wirbelt Schneeschichten durch den goldenen Saum und über die Wände herab, und bildet einen prachtvollen, mit Silberfransen besetzten Spitzenschleier, der nach wenigen Augenblicken seines Erscheinens wieder von den immer höher schäumenden Wogen des Wolkenmeeres verschlungen wird. Der Kampf da oben braust toller und immer toller, während unten in den Thälern noch vollständigste Stille herrscht und kein Lüftchen sich rührt, wohl aber der Baudenbewohner dem Herabsteigen des wüthenden Kampfes mit Bangen entgegensieht.

Schon lange vor dem Herniederwälzen der Sturmeswogen hört man, nahe am Gebirgsfuß stehend, das Brausen und Toben derselben, als sausten tausend Eisenbahnzüge auf den Gipfeln der Bergkolosse hin und her. Am deutlichsten hörbar ist der Widerhall am Fuß des Kynast in Hermsdorf, am Fuß des Mühlberges in Petersdorf und in den Thälern des großen und kleinen Zackens. Oft währt es länger als eine Stunde, bevor man auf den Gipfeln der Vorberge die Baumspitzen sich beugen sieht; – dann aber folgt Stoß auf Stoß, und ein Hin- und Herwogen, Umarmen und Niederbeugen der Bäume und ein Heulen und Aechzen, als würde eine der furchtbarsten Schlachten geschlagen. Auch ein solch’ gewaltiges, großartiges Naturschauspiel zu beobachten, dürfte eine Reise in’s Riesengebirge lohnen. Am lohnendsten aber ist eine Fahrt durch das Zackenthal bis hinauf zur weltberühmten Glasfabrik „Josephinenhütte“ und, wenn möglich, bis hinüber nach den ersten böhmischen Fabrikdörfern Neuwelt, Wurzeldorf und Tannwald.

Nicht blos alle Straßen im Zackenthal, nein, sämmtliche Straßen, Wege und Stege im Gebirge sind während des Winters fast mehr belebt, als im Sommer. Bis tief in die Wälder hinein und bis hoch zum Kamm hinauf wogt das menschliche Treiben Tag für Tag selbst bei dem tollsten Winterwetter. Das ganze Gebirge gleicht einem riesigen Ameisenhaufen, auf dem ein rastlos Leben waltet; denn gerade je mehr die Felsspalten, Klüfte, Schluchten und Gründe mit Schneemassen sich füllen, desto emsiger ist der Mensch bemüht, das Holz, welches man den ganzen Sommer und den größten Theil des Winters über geschlagen, von den höchsten Gipfeln, von den steilsten Wänden und Kuppen herab und über die gefährlichsten Spalten und Abgründe hinüber oder herüber zu schaffen. Wohin man sieht, da klebt ein Mensch, trägt ein Mensch, fährt ein Mensch, oft übermäßig schwer belastet, bis zu den Stellen, welche mit Pferden oder Rindern bespannte Schlitten nur irgend erreichen können. Auch dieses großartige, geschäftliche Treiben gehört zu den interessanten Winterbildern im Gebirge, die man eben sehen muß, um sie bewundern zu können.

Neuerdings ist von all’ diesen Winterfreuden des Riesengebirgs, namentlich durch die Bemühung des bekannten Berliner Reiseunternehmers Stangen, keine so vielgerühmt und gesucht, wie die sogenannte Hörnerschlittenfahrt. Der wunderlich klingende Namen rührt von der hörnerartigen Form des Vordertheils der Schlittenkufen her, die man ähnlich auch in anderen deutschen Gebirgsländern findet, wo solche Schlitten dann „Böcke“ oder „Böckchen“ genannt werden.

Man benutzt von Norddeutschland aus zu diesem Vergnügen die Eisenbahn bis Hirschberg, fährt von da zu Wagen oder Schlitten nach Schmiedeberg und besteigt hier zuerst Hörnerschlitten, aber größere als zur freien Herabrutschfahrt, weil wir bergauf von Pferden gezogen werden. Wir waren gegen fünf Uhr Abends in Schmiedeberg angelangt. Von dem Hôtel von Ruppert aus werden die Fahrten nach der Grenzbaude unternommen. In den Gaststuben wimmelte es von Fremden, die, von nah und fern hergekommen, ihre Schlittenpartieen theils schon gemacht hatten, theils frisch daran gingen oder eine Wiederholung derselben am nächsten Tage beabsichtigten.

Bald verkündete mehrstimmiges Glockengeläut die Ankunft der Hörnerschlitten. Jeder Schlitten war mit einem jener kräftigen Gebirgspferde bespannt, die eine fabelhafte Geschicklichkeit besitzen, die steilen und glatten Pfade emporzuklimmen. Dicht hinter jedem Pferde, sich an den Kufenhörnern festhaltend, den Zügel um den Hals gelegt, ging im Schnellschritt der Führer des Schlittens.

So fuhren wir durch Ober-Schmiedeberg das Gebirge hinauf. Wir waren durchaus nicht einsam. Bald links, bald rechts vom Wege tauchten einzelne Gebirgsbewohner auf, welche das schwierige Geschäft des Schlittentransportes übernommen hatten und mit Benutzung aller möglichen abkürzenden Pfade die zur Herabfahrt benutzten Schlitten hinaufzogen, die sich von den unsrigen dadurch unterschieden, daß sie niedriger und länger und mit einer Rücklehne versehen waren. Eine Strecke weiter, an einer nicht gerade steilen Stelle, sahen wir von oben herab einen gespenstigen Zug auf uns loseilen. Eine verspätete Partie, die aus einer Grenzbaude [188] kam! Zwei Damen und ein Herr im Hörnerschlitten, so fuhren sie mit hellem „Guten Abend“ an uns vorbei. Sehnsüchtig blickten wir ihnen nach – noch einen Moment – und sie waren im Dunkel verschwunden.

Eine neue Ueberraschung! Als wir auf der Hälfte des Weges bei dem steilen Mordhügel angelangt waren, von wo aus sich unser Pfad in Windungen durch einen hohen Wald hinzog, schimmerte uns röthlicher Lichtglanz durch die Bäume entgegen, und verwandelte sich nach wenigen Augenblicken in strahlenden Fackelschein, mit dem uns die freundlichen Besitzer der zum Gast- und Abfahrtsort gewählten Grenzbaude empfangen ließen. So zogen wir nun, wie weiland die Israeliten in der Wüste, hinter dieser Feuersäule her, der Schnee knirschte unter den Schlittenkufen und den Tritten der Pferde, der Wind heulte hoch oben in den Wipfeln der Bäume und links vom Wege starrte uns pechschwarze Finsterniß aus dem Abgrunde entgegen. Um sieben Uhr fuhren wir an dem schwarzgelben Schlagbaum vorüber in’s Oesterreichische hinein. Einige hundert Schritte davon entfernt, strahlten uns die erleuchteten Fenster der Grenzbaude entgegen und die Besitzerfamilie, Herr und Frau Blaschke, empfingen uns nun selbst mit herzlichem Willkommen und Handschlag an der Thür. Die warmen Pelze wurden abgelegt, und über die beeisten Stufen der kleinen Treppe traten wir in den großen, wohlgeheizten Saal ein. Hier trug alsbald die schwarze Nanni, die Schleißnerin der Baude, eine wahre Fülle von Speisen auf, denen sich ein herrlicher Ungarwein, eben so billig als trefflich, zur Seite stellte.

Aus dem Dorfe Klein-Aupa, dessen einzelne Bauden sich, nebenbei bemerkt, über einen nicht viel kleineren Raum erstrecken, als ganz Berlin einnimmt, kamen, von unserer Ankunft unterrichtet, böhmische Mädchen und junge tanzlustige Ehepaare zu uns herauf; auch die Musikanten ließen nicht lange auf sich warten, und so befanden wir uns plötzlich mitten in einem höchst interessanten Dorfballe, an dem wir uns nach Herzenslust betheiligten. Die Minuten, die Stunden flogen nur so dahin!

Tief Athem schöpfend trat ich endlich einmal, den Hut vorsichtig auf dem Kopfe, hinaus in’s Freie. Vor der Baude ein großes, weißes Schneefeld, links der Weg hinab in’s Preußenland, rechts und ringsum hohe weiße Berggipfel und oben am Himmel zwischen eilenden Wolken die noch fast volle Scheibe des eben aufgegangenen Mondes! Auf dem Boden aber zu meinen Füßen die verführerischen kleinen Hörnerschlitten! Da klopft leise eine Hand auf meine Schulter, ein Herr Fargau – Compagnon Blaschke’s – ist mir gefolgt – und mit einem „Wollen wir?“ springen wir Beide auf den Schlitten.

Niemand ahnt da drinnen, daß wir jetzt unter dem Schlagbaum wieder hindurchfahren, Niemand sieht, wie sich unser Schlitten auf dem spiegelglatten Wege, der plötzlich abschüssig wird, schneller und schneller in Bewegung setzt, wie er pfeilgeschwind dahinschießt, als ob er geradewegs in den Abgrund will. Das ist das wahre Gefühl des Fliegens, gar nicht ängstlich, als wenn man im Traum vom hohen Thurm fällt, sondern ein frisches, freies Dahinsausen, wie auf den Schwingen des Vogels!

Blitzschnell kommt mir dieser Gedanke und in demselben Moment – wir sind gerade an einer abschüssigen Stufe im Wege – hebt sich der Schlitten vom Schnee geradeaus in die Luft, fliegt eine gute Strecke weit fort und setzt dann mit pünktlicher Genauigkeit wieder mitten auf dem Wege auf, indem er unaufhaltsam weiter schießt. So geht es noch mehrere hundert Schritt vorwärts, bis wir an eine Stelle kommen, wo der Weg sich krümmt. Hier stemmt mein Führer plötzlich seinen Fuß mitten in den Schnee zur Seite des Weges und – der Schlitten gehorcht fast augenblicklich, indem er eine Schwenkung macht und dann stillsteht.

„Nun, wie hat’s Ihnen gefallen?“ rief Fargau, als wir Beide aufgesprungen waren, um nun den Schlitten gemeinsam die Strecke von etwa siebenhundert Schritt, die wir in der Zeit von wenig mehr als einer halben Minute zurückgelegt hatten, wieder hinaufzuschleppen.

„Mir fehlen augenblicklich die Worte,“ erwiderte ich. „Lassen Sie uns aber eilen, damit die Reisegefährten dieselbe Wonne genießen können!“

So geschah es denn auch. Als wir mit der Nachricht von unserer Fahrt in den Saal eintraten, eilten die Gefährten sofort hinaus und Einer nach dem Anderen vertraute sich dem Schlitten an und sauste auf seinen Schwingen den steilen Berg hinab.

Ja, es war eine tolle Nacht! Doch endlich mußte geschieden sein. Um drei Uhr machte ich meine siebente und letzte Hörnerschlittenfahrt und folgte dann dem allgemeinen Beispiele zur Ruhe und Ordnung.

Da früh das Wetter hell und klar war, so unternahmen wir eine gemeinsame Fußpartie nach dem Gipfel des Forstkammes. Unter Vorantritt einer Reihe von Schlitten, auf welchen wir von oben wieder hinunterfahren sollten, stiegen wir in einer langen Kette, das heißt Einer in die Fußstapfen des Anderen tretend, über den ungebahnten Schnee den Berg empor.

Aber, hilf Himmel! Schon nach den ersten zehn Schritten sahen wir, welche Anstrengung es uns kosten würde, auf den nur achthundert Fuß niedriger als die Schneekoppe liegenden Gipfel zu kommen. Knietief sanken wir zunächst, später aber schenkeltief durch die dünne Eiskruste in den Schnee ein. Jeder Schritt mußte mit zäher Ausdauer erkämpft werden. Trotz der schneidenden Kälte und des heftigen Windes fror uns jedoch nicht, wir vergossen vielmehr sämmtlich so viele Schweißtropfen, wie seit Jahren nicht. So gelangten wir nach unsäglichen Mühen auf den Gipfel des Berges und schauten nun gerade vor uns hinab in’s Hirschberger Thal. Die Herrlichkeit des Gebirgsbildes von solcher Höhe ist bereits oben geschildert. Wir genossen sie mit allem Behagen überstandener Mühen und winkender Freuden, und nachdem wir uns endlich, als den in diesem Augenblick wahrscheinlich „höchsten Personen“ Norddeutschlands, ein kräftiges dreifaches Lebehoch gebracht, bestieg jeder von uns einen Schlitten, die Führer ergriffen die Hörner und fort ging es den Berg hinab, zwar nicht so eilig, wie in der Nacht, da die Bahn ja nicht fest war, aber dafür sanken unsere Führer, die Schlitten und wir selber auch oft genug im Schnee fast ganz unter, was natürlich die allgemeinste Heiterkeit hervorrief. – So langten wir nach wenigen Minuten wieder unten in der Grenzbaude an und nachdem die Schneespuren von unseren Kleidern verwischt und einige der großstädtischen leichten Stiefel buchstäblich ausgerungen worden waren, setzten wir uns noch zu einem kräftigen Frühstück nieder und nahmen dann vom Ungarwein, von der gemüthlichen Baude und der Familie Blaschke Abschied, um die Schlitten zur großen Hörnerschlittenfahrt zu besteigen.

Von Besorgniß vor dem etwaigen Herausstürzen hatte natürlich Niemand eine Spur, ja, wir setzten uns nicht einmal sämmtlich auf den kleinen, mit Heu ausgestopften runden Sack im Schlitten, sondern Einer nahm gemächlich auf dem als Rücklehne bestimmten kleinen Geländer Platz.

Nun schossen wir los – es war etwa elf Uhr – zuerst ganz steil den bereits in der Nacht gefahrenen Weg hinab. Die Stufe, bei der die Schlitten wieder gewaltige Sätze durch die Luft nahmen, wurde mit lautem Hurrah und Schwenken der Hüte passirt, dann bogen wir um die Ecke des Weges und links ging es weiter in immer schnellerer Fahrt. Jetzt kam eine Stelle, wo sich mehrere der erwähnten Stufen dicht hinter einander befanden, und es gewährte einen prachtvollen Anblick, wie jeder unserer Schlitten den vorgeschriebenen Luftsprung mit der vollendeten Gracie eines Schulpferdes ausführte. Bald links, bald rechts extravagirten unsere Schlitten dann ein wenig von der Bahn, aber stets kehrten sie gehorsam auf den leisesten Wink des Führers zurück, der vorn saß und dadurch, daß er einen der beiden Füße, die er schwebend dicht über dem Schnee hielt, stets zur richtigen Zeit als Steuer einsetzte, die vollständige Lenkung in den Händen hatte.

Als wir so einige Minuten im tollsten Laufe dahingefahren waren milderte sich die steile Böschung, der Weg wurde weniger abschüssig und augenblicklich parirten unsere Schlitten, indem sie langsamer liefen. Doch schnell sprangen die Führer auf die Füße, ergriffen die Schlitten an den Hörnern und rannten mit ihnen vorwärts, indem sie uns so lange zogen, bis wir wieder an steilere Stellen kamen. So gelangten wir bald bis zu dem Orte, wo wir am Abend vorher mit Fackellicht empfangen worden waren. Hier beschreibt der gewöhnlich benutzte Weg einen großen Halbkreis durch ein kleines Gehölz, es giebt aber, wenn auch gewöhnlich nur von den Eingeborenen benutzt, einen anderen Weg, welcher in gerader Linie die Sehne dieses Halbkreises bildet und über den steilen Mordhügel hinabführt, wodurch eine ziemlich große Strecke von der Partie abgekürzt wird.

[189]

Auf der Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge.
Nach der Natur aufgenommen.

[190] Es war schon vorher davon gesprochen worden, daß wir diesen Weg benutzen wollten, und als uns hier nun die Führer einen fragenden Blick zuwarfen, riefen wir ihnen ohne Bedenken ein Vorwärts zu und fort ging es in unglaublicher Schnelligkeit weiter. in der Mitte des Mordhügels befand sich wieder eine Stufe, diesmal machten wir aber einen so ansehnlichen Luftsprung, daß man nicht viel Zeit hatte, sich nach seinem Hintermanne umzusehen. Unten mäßigte sich der Lauf wieder, aber nun war auch leider das beste Ende der Fahrt zurückgelegt. Das Thauwetter der vorhergegangenen Tage hatte selbst noch in dieser Höhe zu wirken vermocht und der Schnee war nicht nur weich geworden, sondern auch durch den Wind und die Huftritte der Pferde an manchen Stellen ganz verschwunden.

Bis hierher hatten wir etwa sechs Minuten gebraucht, nun aber mußten die Schlitten an verschiedenen Stellen gezogen werden. Dies störte unseren guten Muth indessen durchaus nicht, und sobald der Weg wieder steil wurde, glitten wir wieder vorwärts, bald über Schnee, bald über Sand und Steine, bis wir endlich wohlbehalten unten am preußischen Zollhause in Oberschmiedeberg ankamen. Gegen siebenzehn Minuten hatte die Fahrt gedauert, sie würde aber bei strengem Frost in zehn Minuten zu machen gewesen sein. Es giebt, wie man uns versicherte, in Schmiedeberg Leute, die diese Strecke bereits in sieben bis acht Minuten zurückgelegt haben.

Wir verabschiedeten hier nun unsere Führer und begaben uns nach Ruppert’s Hotel, wo wir uns. mit allen Anzeichen eines respectablen Appetites zu Tische setzten. Auf der Fahrt nach Hirschberg lag noch einmal unter dem blauen Himmel die ganze in winterlicher Pracht schimmernde Kette des Riesengebirges vor uns – und fast wehmüthig nahmen Auge und Herz von der Herrlichkeit Abschied.