Die Hexenprobe

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W. H.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Hexenprobe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 857–861
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[857]

Die Hexenprobe.

Eine culturgeschichtliche Studie.


Die mittelalterlichen Gottesurtheile, in denen die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten einem unmittelbar eingreifenden göttlichen Wunder anheimgegeben wurde, kamen in Deutschland schon während des 14. Jahrhunderts in Abnahme und verschwanden unter dem Einflusse des römischen Rechtes im Laufe des 15. Jahrhunderts vollständig aus dem deutschen Gerichtsverfahren. Nur eine düstere Domäne blieb ihnen, der Hexenproceß. War doch nach den Definitionen der Juristen die Hexerei ein Ausnahmeverbrechen und erheischte ein von den Normen des üblichen Rechtsganges entbundenes Ausnahmegericht. So haben denn hier alle Mächte des Aberglaubens zusammengewirkt, um mitten in der civilisirten Welt ein Ungeheuer von Rechtsverfahren zu schaffen, das an Dummheit, Rohheit und Heimtücke alle Gräuel der Wilden weit hinter sich läßt und der christlichen Cultur ein unauslöschliches Schandmal aufgedrückt hat.

Die Hauptperson in diesem Proceß war der Henker, der daher mit Recht in einigen deutschen Gegenden schlechthin „der kluge Mann“ genannt wurde; alle Zweifel löste der Scharfsinn des Folterknechts. Was der Angeklagte sagte oder that, ob er verneinte oder bejahte, ob er standhaft war oder verzagt, jeder Lebensumstand, jedes Wort, jede Miene verwickelte ihn nur um so unentrinnbarer im Kreuzspinnennetz des Inquisitors, bis er unter Martern verzweifelnd die Schuld bekannte, die für den Richter von Anfang an feststand. Die einzige Erlösung war der Tod. Ueber dem Eingang zum Hexenthurm stand wie über Dante’s Höllenthor die Inschrift: „Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden!“

Dem Verhör und der „peinlichen Frage“ pflegte das Gottesurtheil der Hexenprobe voranzugehen. Es gab verschiedene Arten, von denen in der Regel mehrere nach einander zur Anwendung kamen. Als die wichtigsten sind zu nennen: die Thränenprobe, die Nadelprobe, die Feuerprobe, die Wasserprobe und die Hexenwage.

Da nach allgemeinem Glauben die Hexen nicht weinen konnten, so legte der Richter der Angeklagten die Hand auf den Kopf und sprach: „Ich beschwöre dich um der bitteren Thränen willen die von unserem Heiland, dem Herrn Jesus Christus, am Kreuze für unser Heil vergossen worden sind, daß du, im Falle du unschuldig bist, Thränen vergießest, wenn schuldig, nicht!“ – In der Regel constatirten die Richter mit Genugthuung, daß die also Beschworene sich vergebens angestrengt habe zu weinen. Auch auf der Folter waren, so glaubte man, der wirklichen Hexe die Thränen versagt; weinte aber eine Gemarterte dennoch, so war das nach der Ansicht der untrüglichen Richter nur teuflisches Blendwerk.

Noch größeres Gewicht als dieser Thränenprobe legte man der Nadelprobe bei. Wie nämlich nach dem Propheten Ezechiel (9, 4), und der Offenbarung Johannis (7, 3) die Auserwählten Gottes das Zeichen des Heils an der Stirn tragen, so drückt der Teufel denen, die, von Gott abgefallen, sich ihm ergeben haben, ein unvertilgbares Zeichen auf, das sogenannte stigma diabolicum. Er macht dies entweder mit der einfachen Berührung seines Fingers oder er ritzt der neugewonnenen Hexe an irgend einem Körpertheil die Haut auf und saugt das rinnende Blut. Häufig bringt er dieses Merkmal an offen sichtbaren Stellen an, wie an der Hand, doch häufiger an verborgenen, z. B. unter der Zunge. Nach diesem Teufelszeichen wurde beim Hexenproceß eifrigst gesucht. Es sollte daran zu erkennen sein, daß es unempfindlich sei und kein Blut gebe. Daher stach der Henker mit einer langen Nadel in jede Narbe, jeden Leberfleck, jedes Muttermal am Leibe der Angeklagten. Der Erfolg dieser Probe lag völlig in der Willkür des Henkers; denn er war während derselben mit der Angeklagten in einer Kammer allein und konnte hernach aussagen, was er wollte. Doch wenn er auch gar nichts Verdächtiges fand, so ließ sich der Hexenrichter dadurch keineswegs irre machen. Denn, sagte er, der Teufel zeichnet nur diejenigen, deren er noch nicht ganz sicher ist; seine getreuesten Anhänger läßt er ohne Zeichen – und so wurde die Abwesenheit des Hexenmals nur ein um so schlimmerer Verdachtsgrund.

Von den in der Vorzeit üblichsten Formen des Gottesurtheils, der Feuerprobe und der Wasserprobe, war die erstere im Hexenproceß nicht beliebt. Nach dem Criminalcodex der Hexenrichter, dem berüchtigten „Hexenhammer“, sollte zwar der Richter die Angeklagte fragen, ob sie zum Beweise ihrer Unschuld das glühende Eisen tragen wolle; er sollte ihr aber diese Probe nicht gestatten. Denn, so lautet die Begründung, die meisten erklären sich dazu bereit, weil sie auf die Hülfe des Teufels hoffen; auch gebe es betrügerische Mittel, um die Hand unverletzt zu erhalten. Daher sei die Berufung auf die Feuerprobe geradezu als ein weiterer Verdachtsgrund zu betrachten. Der einzige Fall, der uns bekannt ist, stammt noch aus der Zeit kurz vor Abfassung des „Hexenhammers“ (1487). Im fürstlich Fürstenbergischen Archiv zu Donau-Eschingen ist eine Urkunde erhalten, wonach sich eine gewisse Anna Henne von Röthenbach im Schwarzwald im Jahre 1485 durch das Tragen des heißen Eisens von der Beschuldigung des Hexenwerks zu reinigen vermochte.

Das am weitesten verbreitete und am längsten ausgeübte Hexenordal, die Hexenprobe schlechthin, war die Wasserprobe, das Hexenbad. Von alten Zeiten her hatte man bei den verschiedensten Völkern die Schuld eines Angeklagten dadurch zu erforschen gesucht, daß man ihn in’s Wasser warf. Dabei galten entgegengesetzte Anschauungen. Nach der einen handelte es sich für den Angeklagten darum, sich möglichst lang unter Wasser zu halten. So wurden bei den Tagalas auf den Philippinen sämmtliche eines Diebstahls verdächtige Personen in’s Wasser geworfen: wer zuerst wieder auftauchte, war der Dieb. Die gleiche Probe bestand bei den Papuas auf Neu-Guinea und bei den Negern der afrikanischen Goldküste. Auch die jüngeren Gesetzbücher der Inder bestimmten, daß der Angeklagte, an den Beinen eines im Wasser stehenden Mannes sich festhaltend, solange untergetaucht bleiben solle, bis ein abgeschossener Pfeil von einem Dritten im Laufe zurückgeholt werde; tauche er früher auf, so sei er schuldig.

Nach der anderen, verbreiteteren und alterthümlicheren Anschauung sollte die Unschuld des Angeklagten durch Untersinken, die Schuld durch Obenschwimmen erwiesen werden. Das Untersinken im Wasser galt überhaupt für ein günstiges Zeichen. Schon im Alterthum achteten die Syrer am Libanon darauf, ob die in den See Boëth geworfenen Opfergaben zu Boden sanken; geschah dies, so war es ein gutes Omen. Dieselbe Wasserprobe mit Opferkuchen übten die Lacedämonier. Auch die Schweden des 11. Jahrhunderts prüften die Richtigkeit eines Volksbeschlusses dadurch, daß sie einen Mann in den heilige Brunnen von Upsala niederließen: sank er unter, so war der Beschluß gültig.

Diesem Brauche lag die uralte Vorstellung von der Heiligkeit des Wassers zu Grunde. Das Wasser weiht und entzaubert; das Wasser hält böse Geister ab; das Meer stößt alle seine Leichen aus und duldet kein Blut, daher sich schiffbrüchige Schwimmer den Arm blutig bissen, um vom Meer nicht verschlungen zu werden. So wehrt das reine Element auch alle moralische Befleckung von sich ab; den Verbrecher nimmt es nicht auf. Die Wasserprobe in diesem Sinne findet sich bei den Indern in ihrem ältesten Gesetzbuch, bei den Slaven und den Germanen. Die alten Gesetze der germanischen Stämme schreiben zwar das Wasserordal nicht vor; es muß aber dennoch im Gerichtsgebrauch gegolten haben, da es der Kaiser Ludwig der Fromme im Jahre 829 verbot. Wie wenig dieses Verbot gefruchtet hat, ersehen wir daraus, daß es 400 Jahre später vom Papst Innocenz III. auf dem lateranischen Concil (1215) wiederholt wurde. In England wurde bis um jene Zeit die Wasserprobe bei Mord- und Raubklagen angewendet. So wurde im Jahre 1177 einer der vornehmsten Londoner Bürger, Johannes Senex, der mit andern jungen Leuten aus adeligen Familien nächtliche Raubanfälle verübt hatte, durch die Wasserprobe überwiesen und dann gehängt. In Deutschland hatten sich diesem Gottesurtheil hauptsächlich niedere Leute und Knechte zu unterziehen. Doch soll auch ein Reichsfürst, der Graf Welf, im Jahre 1126 in einem Rechtshandel mit den Bisthümern Augsburg und Freising dadurch seine Unschuld bewiesen haben. Das um 1230 von Eike von Repkow verfaßte Rechtsbuch der Niedersachsen, der „Sachsenspiegel“, ordnet an: „wenn zwei Männer ein Gut beanspruchen und die Nachbarn darüber kein Zeugniß zu geben wissen, so solle das Wasserurtheil entscheiden.“ Dieselbe Bestimmung hat das schwäbische Landrecht [858] im „Schwabenspiegel“ (aus den sechsziger oder siebenziger Jahren des 13. Jahrhunderts), wo außerdem noch den wegen Raub, Diebstahl oder Falschmünzerei zum zweiten Mal Angeklagten der Reinigungseid verweigert und dafür die Wahl gelassen wird, das Wasserurtheil zu bestehen oder das heiße Eisen zu trage oder in einen wallenden Kessel zu greifen bis an den Ellenbogen.

Von einer Anwendung der Wasserprobe gegen Zauberer und Hexen im Mittelalter ist, in Europa wenigstens, nichts überliefert. Aus Indien berichtet der arabische Reisende Mohammed ibn Batuta, daß im Jahre 1330 eine Frau, die im Verdacht stand, einem Jüngling durch den bösen Blick das Herz in der Brust verzehrt zu haben, mit vier Tonnen voll Wasser an Händen und Füßen in einen Fluß geworfen und, da sie nicht untersank, verbrannt wurde. Erst im 16. Jahrhundert lassen sich Fälle dieser Art in Deutschland nachweisen, die frühesten in Westfalen, dann in Lothringen, den Niederlanden, Frankreich und England.

Das Hexenbad geschah meist öffentlich. Die Angeklagte wurde entkleidet und kreuzweis gebunden, so daß der rechte Daumen an der linken großen Zehe, der linke Daumen an der rechten großen Zehe festgeknüpft war. So wurde sie an einem Seil mit dem Rücken auf das Wasser hinabgelassen; war sie eine Hexe, so schwamm sie „wie Pantoffelholz“. Häufig findet sich in den Acten die Angabe, der Teufel habe der Hexe versprochen, ihr bei der Wasserprobe mit einer Eisenstange zum Sinken zu verhelfen; er habe ihr aber im entscheidenden Augenblick zum Hohne nur eine Nähnadel gebracht. Auch hier hatte wieder der Henker in der Art, wie er die Gebundene auf das Wasser legte, den Erfolg der Probe in der Hand. Theologen und Juristen aber bewiesen die Unfehlbarkeit dieser Procedur mit der Heiligkeit, welche dem Wasser durch seine Verwendung bei der Taufe verliehen werde, sodaß es Alles, was durch die Berührung des Teufels befleckt sei, von sich stoße. Es ist offenbar, schrieb der gekrönte Hexenhenker Jacob I. von England, Gott hat als ein übernatürliches Zeichen von der ungeheuerlichen Gottlosigkeit der Hexen angeordnet, daß das Wasser diejenigen in seinen Schoß aufzunehmen widerstrebt, welche das heilige Wasser der Taufe von sich geschüttelt haben. Dazu kam, daß man den Zauberern überhaupt wegen ihrer angeblichen Fähigkeit, durch die Luft zu fliegen, ein geringeres specifisches Gewicht zuschrieb. Schon die alten Griechen hatten den wegen ihrer Zauberkünste berüchtigten Thibiern am Schwarzen Meere nachgesagt, daß sie im Wasser nicht untersinken könnten.

Lange nachdem die Gottesurtheile im Civil- und Criminalproceß abgeschafft waren, erhielt sich die Wasserprobe als vorläufige Prüfung im Hexenproceß, obgleich sich früh schon gewichtige Stimmen dagegen erhoben. Die Universität Leyden gab schon im Jahre 1594 ihr Gutachten dahin ab, daß die Wasserprobe in keiner Weise als Beweismittel gelten könne; das häufige Obenschwimmen der Angeschuldigten erkläre sich aus der Art, wie sie kreuzweis gebunden gleich kleinen Schiffchen mit dem Rücken auf das Wasser zu liegen kommen. Auch in Frankreich wurde dieses Ordal, das man dort gegen geringe Leute in einer Kufe voll Wasser anzuwenden pflegte, durch einen Beschluß des Parlaments von Paris im Jahre 1601 verboten. Dennoch unterwarfen sich noch 1696 einige Verdächtige zu Montigny bei Auxerre freiwillig der Wasserprobe und ließen sich darüber eine notarielle Urkunde ausstellen. In den österreichischen Gesetzen wurde gleichfalls schon im 17. Jahrhundert die Wasserprobe „als eine verborgene, ungewisse, teuflische, Gott versuchende Anzeige“ ausgeschlossen. Dafür ließ aber der bayerische Oberst Hans Sporck im Jahre 1644 zu Schwäbisch-Hall eine Reihe von Soldatenweibern binden und zur Probe in den Kocher werfen! In Westpreußen fanden die amtlichen Hexenproben noch im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts statt. Damals kam eine ehrliche Frau aus Bischofswerder in den Ruf der Zauberei, weil ihr Vieh durch ihren Fleiß auffallend wohl gedieh. Im Gefühle ihrer Unschuld beredete sie ihren Mann, mit ihr nach Grunau im Kreise Flatow zu fahren, und unterzog sich dort mit anderen Verdächtigen der Wasserprobe. Allein zu ihrer größten Scham und Bestürzung schwamm sie sammt den übrigen und kam beim Volke erst recht in’s Geschrei. Die Herrschaft aber war verständig genug, trotzdem an ihre Unschuld zu glauben und sie unbehelligt zu lassen.

Im Jahre 1721 verbot der König Friedrich Wilhelm I. alle Hexenprocesse. Dennoch spukte der Unsinn noch lange und nicht blos in den Köpfen des niederen Volks. Von jeher haben die meisten Menschen an den Vorstellungen, welche ihnen in der Kindheit beigebracht worden sind, mit einer Pietät festgehalten, die alle Kritik ausschließt. Gewiß sind darunter jederzeit sehr ehrenwerthe, sehr wohlmeinende, oft auch sehr geistreiche Männer gewesen, und die von ihnen vertretene Tendenz des Beharrens hat als mäßigendes Element auf den Gang der menschlichen Entwickelung im Ganzen vortheilhaft gewirkt. Aber ebenso sicher ist, daß, wenn sie einzig maßgebend wären, die Menschheit noch nicht einmal die Culturstufe des Australnegers erreicht hätte. Jeder Fortschritt, und handelte es sich auch um die Abschaffung der elendesten Mißbräuche, mußte diesem conservativen Theile der Menschheit in heißem Kampfe abgerungen werden. Es darf uns daher nicht wundern, daß selbst die Hexenprocesse, die Tortur und die Wasserprobe noch lange ihre überzeugungstreuen Vertheidiger gefunden haben.

Noch im Jahre 1787 machte der katholische Pfarrer von Parchow bei Bütow in Pommern eine Eingabe an den König Friedrich Wilhelm II., in welcher er über die bedrohliche Zunahme der Hexerei und Besessenheit in dortiger Gegend klagte und die allerunterthänigste Bitte stellte, Seine königliche Majestät möchte „ohne Verzug denen Besitzern des Dorfes Zukowke wie auch zu Parchow gnädigst schwimmen befehlen“; denn dieses sei das einzige allerbeste Mittel, die Zauberer, als welche wie die Enten schwimmen und nie zu Grunde gehen, zu erkennen. Der Eingabe war ein Namensverzeichniß der Hexen und Zauberer beigelegt. Unter Parchow stand der Vermerk: „Es werden sich aber allhier noch mehrere Zaubere und Zauberer finden; nur muß das ganze Dorf geschwommen werden.“

Diese Bitte wiederholte im September desselben Jahres ein benachbarter Edelmann, der in seinem seltsamen Deutsch dem Könige folgendes traurige Erlebniß zu klagen hatte: „Ew. Majestät werden es zu Gnade halten; ich bin dieses Jahr den 3. Mai bei einem Freimann (einem freien Bauern) Namens Michel N. N. auf die Hochzeit invitieret, da nicht hingehen wollte. Der Mann hat nicht abgelassen, da endlich hingangen. Wie ich zum Essen aus einem Spitzglas Branntwein trunk, kam mir was in den Hals, ging aber herunter. Um ein Weilchen nahm ich wieder einen Schluck aus demselbigen Spitzglas; da kam mir wieder was in den Hals und blieb stehen, und das Vorige, was heruntergangen, kam auch wieder in die Höhe und conjungierten sich recht im Schlucks, und das habe ich vorerst nicht ‚effomiret‘ (evomirt); aber nach und nach ward das immer schlimmer, und habe im Hals Brennen und Reißen und theils in der Brust und eine sehr große Beängstigung und eine erstaunende Plage. Also nach aller Absicht weiß ich nicht anders, als daß mir in dem Branntwein angeflogen, einen bösen Geist einzutrinken. Der Geist ist wie ein Nebel. Der Teufel thut sonst keinem Menschen nichts; aber die Leute, so mit dem Teufel Pacta haben, die befehlen ihm, daß er das thun muß. – Ich bin ein Mann 68 Jahr alt und habe das Unglück erlebet und die Plage. Als komme mit flehender Bitte an Ihro Majestäten, ob der Michel N. N. nicht wegen der bösen That, die mir geschehen, in seinem Hause die Freiheit und die Erlaubniß bekommen kann, zu untersuchen. Das Wasser ist heilig, die Wasserprobe ist gerecht. Kein Zauberer wird nicht ersaufen, noch zu Grunde gehen. Ein Zauberer hat Teufelszeichen am Leibe wie ein Schwamm; wenn er bestochen wird, hat keine Fühlung. Ein guter Mensch, ein Gotteskind, wenn das auf’s Wasser geschmissen wird, geht gleich unter. Seliger Andenken hoher Monarchen, hochseligen König Majestäten Friedrich Wilhelm Regierung sind noch Protocolla vorhanden, daraus deutlich zu ersehen, was das für eine Beschaffenheit damit hat.“

Solches schrieb der gute Freiherr im Jahre, da Goethe die „Iphigenie“, Schiller den „Don Carlos“ vollendete, sechs Jahre nach Lessing’s Tod und nach Kant’s „Kritik der reinen Vernunft“!

Aber leider hat unser culturstolzes 19. Jahrhundert kein Recht, auf die Thorheit des 18. pharisäisch herabzusehen. Die Gluth der Hexenbrände glimmt noch immer unter der Asche fort. Der Teufelswahn hat noch zahllose Anhänger. Von den Dämonen des Aberglaubens vor Allem gilt Schiller’s Wort:

„Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister;
Sie liegen wartend unter dünner Decke,
Und leise hörend stürmen sie herauf.“

Daß bei den Serben und andere halbcivilisirten Völkern noch immer Frauen als Hexen geschwemmt werden, darf uns nicht [859] in Erstaunen setzen, wenn noch genug Leute existiren, welche Hexenproben in Deutschland und in den Niederlanden miterlebt haben. Im Jahre 1823 ging durch alle Zeitungen die Nachricht, daß zu Delten in Geldern eine Frau von mittleren Jahren, welche in den Verdacht der Hexerei gekommen war, sich selber erboten habe, ihre Unschuld durch die Wasserprobe zu beweisen; daß diese Probe wirklich am hellen Mittag vor den Augen der herbeiströmenden Zuschauer in dem nahen Fahrwasser vorgenommen worden und zu ihren Gunsten ausgefallen sei. – Der glückliche Ausgang macht diesen Fall zum Possenspiel. Von fürchterlichem Ernst aber war ein anderer, der sich dreizehn Jahre später auf der Halbinsel Hela bei Danzig ereignete. Ein Mann des kassubischen Dorfes Ceynowa erkrankte an der Wassersucht, und ein Wunderdoctor bezeichnete dem versammelten Dorf eine einundfünfzigjährige Wittwe, Mutter von fünf unmündigen Kindern, als die Hexe, die ihn krank gemacht habe. Um sie zu zwingen, dem Verzauberten zu helfen, schlug und trat er die arme Frau in der erbarmungslosesten Weise; ebenso schlug sie der Kranke, an dessen Bett sie geführt wurde, mit einem Stocke blutig. Dann ruderten die Fischer und der Wunderdoctor zweimal mit ihr in’s Meer hinaus, banden ihr die Hände und warfen sie aus dem Boote. Beim zweiten Male zogen sie die Mißhandelte so lange im Wasser nach, bis sie ertrank. Die näheren Umstände lauten so grauenhaft roh, daß man einen Bericht aus den Ländern der Kannibalen zu lesen glaubt. Und das geschah im preußischen Staat im August des Jahres 1836!

Von den bisher genannten Hexenordalen waren die Nadelprobe und die Wasserprobe die häufigsten. Viel seltener war die letzte, welche noch zu nennen ist, die Probe der Hexenwage.

Ein förmliches Gottesgericht der Wage, wobei das Gewicht des Menschen über seine Schuld oder Unschuld entscheiden soll, finden wir sonst nur in Indien. Zwar kommt es in der ältesten Rechtsquelle, dem Gesetzbuche des Manu, noch nicht vor; das kennt nur den Reinigungseid, die Feuerprobe und die Wasserprobe. Aber in der späteren Fünfzahl und der noch späteren Neunzahl der indischen Gottesurtheile steht das der Wage obenan. Es war vorgeschrieben für Brahmanen, Frauen, Kinder, Greise, Kranke, Blinde und Lahme. Der Angeklagte fastete einen Tag, badete dann in heiligem Wasser, opferte im Feuer und verehrte die Götter. Dann wurde er in einer vorschriftsmäßig gebauten Wage zweimal gewogen, und wog er beim zweiten Male weniger als beim ersten, so war er unschuldig. Das entscheidende zweite Wiegen geschah mit großer Feierlichkeit. Die Wage wurde mit Fahnen und Kränzen geschmückt. Opfer wurden beim Schall der Instrumente den Göttern dargebracht. Der Richter stellte den mit dem Wiegen beantragten Männern vor, daß, wenn sie nicht ehrlich dabei zu Werke gingen, ihnen im Jenseits diejenigen Strafen zu Theil würden, die den Mörder eines Brahmanen und den falschen Zeugen erwarten. Darauf wurde dem Angeklagten ein Blatt um den Kopf gebunden, auf dem die gegen ihn gerichtete Anklage geschrieben stand zugleich mit dem Spruche: „Sonne und Mond, Wind, Feuer, Himmel, Erde, Wasser, das Herz und Yama (der Todtenrichter), Tag und Nacht, beide Dämmerungen und Dharma (der Gott des Rechts) kennen des Menschen Wandel.“ Dann sprach der Richter oder der Angeklagte selbst ein Gebet an die Wage wie folgendes: „Du, o Wage, bist der Sitz der Wahrheit. Du wurdest vor Alters von den Göttern erfunden. Bring die Wahrheit an den Tag, du Geberin des Glücks, und reinige mich von allem Verdacht! Wenn ich schuldig bin, o du gleich meiner Mutter Verehrungswürdige, dann laß mich niedersinken! Bin ich aber schuldlos, so hebe mich in die Höhe!“ – Ueber den Fall, daß beim zweiten Wiegen das Gewicht sich gleich bleibe, waren die Gesetzgeber getheilter Meinung: nach dem eineh war dies ein Zeichen der Schuld wie das schwerere Gewicht; nach dem andern war es ein Zeichen geringerer Schuld; nach dem dritten sollte die Probe wiederholt werden.

Wie wir noch heute bildlich von einer Last der Schuld sprechen, so sollte also hier die von einem göttlichen Geist beseelte Wage symbolisch andeuten, ob diese Last auf dem Angeklagten liege oder nicht. Eine ganz andere Vorstellung lag dem Glauben an die Hexenwage zu Grunde. Schon bei der Wasserprobe haben wir gesehen, daß den Zauberern ein geringeres specifisches Gewicht beigelegt wurde, als anderen Menschen. Sie mußten also überhaupt ihrem absoluten Gewichte nach leichter sein als andere von gleicher Leibesbeschaffenheit. Wie bei der Wasserprobe derjenige schuldig war, der oben schwamm, so wurde durch das Urtheil der Wage derjenige als schuldig erwiesen, der weniger wog, als er nach seinem Aussehen geschätzt wurde.

Im Jahre 1728 wurde zu Szegedin in Ungarn nach dortigem Gebrauche an einer Anzahl Personen beiderlei Geschlechts, die der Hexerei beschuldigt waren, außer der Wasserprobe auch die Probe mit der Wage vorgenommen. Dabei, so sagt ein gleichzeitiger Bericht, habe sich das Wunder ergeben, daß ein großes dickes Weib nicht mehr als anderthalb Loth, ihr Mann, welcher auch nicht von den kleinsten war, nur fünf Quentchen, die übrigen aber entweder ein Loth oder drei Quentchen oder noch weniger gewogen haben. Sie wurden sämmtlich lebendig verbrannt.

Wenn nicht, wie hier, offenbarer böswilligster Betrug mitunterlief, so mußte dieses Gottesurtheil stets zu Gunsten des Beschuldigten ausfallen. War man doch in Friesland schon zufrieden, wenn der Gewogene über elf Pfund schwer war. Im Jahre 1707 wog der Pöbel bei Bedford in England ein verschrieenes Weib gegen die zwölfpfündige Kirchenbibel ab, und da es sich schwerer als diese erwies, wurde es frei.

Die berühmteste Hexenwage befand sich in der holländischen Stadt Oudewater an der Yssel. Die Bürger beriefen sich auf ein von Kaiser Karl V. ihnen verliehenes Privilegium, wornach die der Zauberei Beschuldigten auf ihrer Stadtwage sollten gewogen werden, und wenn sich dabei ergäbe, daß das Gewicht der gewogenen Person mit der natürlichen Beschaffenheit ihres Körpers übereinstimmte, so sollte das bei allen Gerichten des heiligen römischen Reichs Glauben finden und jede andere Probe ausgeschlossen sein. Wann und wo der Kaiser dieses Privilegium erteilte, ist unbekannt; weder das Original noch eine Abschrift der Urkunde ist erhalten. Im Jahre 1575, als die Spanier die Stadt erstürmten und die Einwohner niedermachten, ging das Stadthaus mit allen Pergamenten und Papieren in Flammen auf. Ueber die Veranlassung dieses Privilegs gab es verschiedene Meinungen. Nach der einen hörte der Kaiser in einem benachbarten Dorfe, daß dort Jemand wegen Zauberei verbrannt werden sollte, weil sein Gewicht zu gering befunden worden sei. Der Kaiser verlangte Bericht über den Verlauf des Processes, und da er sah, daß der Schulz und der Pastor in ungehöriger Weise vorgegangen waren, verfügte er, daß der Beschuldigte zu Oudewater gewogen werden solle, weil dort das Troy-Gewicht (das nach der Stadt Troyes benannte französische Handelsgewicht) gebraucht werde. Nach einer andern Ueberlieferung hatte der Kaiser vernommen, daß in der Stadt Oudewater nie ein Mensch als Zauberer verbrannt worden sei, weil man da die Uebung habe, die Beschuldigten zu wiegen, statt sie wie anderwärts der Wasser- und Nadelprobe zu unterwerfen. Darauf soll der Kaiser unter Gutheißung einer so verständigen und menschenfreundlichen Maßregel die Stadt mit jenem Privilegium begabt haben.

Und menschenfreundlich in der That war diese Anordnung, die den Aberglauben mit seinen eigenen Waffen bekämpfte; sie hat viele vor der Folterbank und dem Scheiterhaufen bewahrt. Denn welche Bewandtniß es auch mit dem Privilegium haben mochte, thatsächlich genoß die Stadtwage von Oudewater fern und nah das allgemeinste Vertrauen, und Leute, die in ihrer Heimath in den Verdacht der Hexerei kamen, wurden von ihren Gerichten hingeschickt, um sich wiegen zu lassen und ein Attest darüber heimzubringen. Besonders zahlreiche Kundschaft kam aus den Bisthümern Köln, Münster und Paderborn. Ein Augenzeuge aus den Jahren 1645-1648 erzählt von einem jungen Mann aus Paderborn, der in solcher Angst hinkam, daß er eher einem Todten als einem Lebenden glich; als er aber die Probe glücklich bestanden, sprang er vor Freuden auf und rief: „Das heißt Leben und Gut gewonnen!“

Das Wiegen geschah vor einer besonderen Commission, welche aus zwei Schöffen und dem Stadtschreiber bestand. Die Person mußte sich bis aufs Hemd entkleiden und wurde untersucht, ob sie nicht irgend einen Gegenstand, der sie schwerer machen sollte, bei sich trage. Bei Männern nahm der Gerichtsbote, bei Frauen die Stadthebamme diese Untersuchung vor. Frauen mußten ihre Haare aufgelöst über die Schultern fallen lassen. Der geschworene

[860]

Die Hexenwage zu Oudewater in Holland.      Originalzeichnung von Fritz Bergen.

[861] städtische Wagemeister wog die Person, und der Stadtschreiber stellte darüber das Certificat aus.

Es sind uns mehrere solcher Urkunden in holländischer Sprache erhalten. Als Beispiel diene eine der letzten, aus dem Jahre 1717, welche ein holländisches Ehepaar betrifft:

Wir Bürgermeister, Schöffen und Räthe der Stadt Oudewater in Holland thun kund und bescheinigen hiermit auf Ansuchen des Klaas Ariens van den Dool, gebürtig zu Noordeloos, gegen sieben und dreißig Jahre alt, mit blauen Augen, dunkelbraun von Haut und Haar, – und der Neeltje Ariens Kersbergen, gebürtig von Lakerveld, gegen ein und dreißig Jahre alt, von mäßiger Postur, braun von Haut, mit blauen Augen, – Mann und Frau, wohnhaft auf dem Dool unter Meerkerk, – daß heute vor uns erschienen sind die Herren Dirk van der Lee und Gerrit Ingen van Liesveld, Schöffen dieser Stadt, zugleich mit Jan Racaute, geschworenem Wagmeister, welche auf Ansuchen der Bittsteller erklärten, sie wollten wahr und wahrhaft sein; daß sodann durch den vorgenannten Wagmeister auf ernstliches Ansuchen der Bittsteller in Gegenwart der vorgenannten Herren Schöffen und anderer notabler Personen der vorgenannte Klaas Ariens mit der gewöhnlichen Wage und dem richtigen Troy-Gewicht, wie man es stets in dieser Stadtwage gebraucht, ist gewogen worden, nachdem Philipp van der Werf, Gerichtsbote dieser Stadt, erklärt hatte, daß derselbe Klaas durch ihn entkleidet und Schuhe, Strümpfe sammt den andern Kleidern ausgezogen worden seien, und so allein im Hemde, ohne daß er irgend etwas Schweres an sich hatte, ist derselbe hundert und zwei und zwanzig Pfund schwer befunden worden. Darauf ist die vorgenannte Neeltje Ariens damit gewogen worden, nachdem Jacomyntje Aerts Dekker, Stadthebamme allhier, erklärt hatte, daß die mehrgemeldete Neeltje von ihr war entkleidet, Schuhe und Strümpfe ausgezogen worden, und so allein bedeckt von ihrem Hemde und ihrem schwarzen Frauenmantel (falie), mit lose von ihrem Haupte hangenden Haaren, ohne daß sie irgend etwas Schweres bei sich hatte, ist dieselbe Person hundert und zehn Pfund schwer befunden worden. Dem gemäß bescheinigen wir, daß das vorgenannte Gewicht beider Personen mit deren natürlicher Leibesbeschaffenheit sehr wohl zusammenstimmend ist befunden worden, und da sie hierüber unseren offenen Bestätigungsbrief sich erbaten, um sich desselben gehörigen Falles zu bedienen, haben wir ihnen denselben nicht verweigern können noch wollen.
Alles ohne Betrug und zum Beweise der Wahrheit haben wir dies mit unserem Stadtsiegel und der Unterschrift unseres Stadtschreibers bekräftigt am 21. Juni 1727.
Adriaan Maas.     
Gebühren.
Schöffen       1 Gulden 16 Stüber
Stadtschreiber 2 18
Bote 12
Wagmeister 12
Hebamme 12
Summa 6 Gulden 10 Stüber.

Zahlreiche solche Bittsteller kamen freiwillig nach Oudewater, ohne von ihrem Gerichte dahin geschickt zu sein; denn es war das beste Mittel, jeden auftauchenden Verdacht der Zauberei gleich im Keime zu ersticken. So wurde einmal ein Mann in einem ungenannten deutschen Ort von einem andern, mit dem er in Streit gerathen war, als Hexenmeister verschrieen. Seine Freunde riethen ihm gleich, sich in Oudewater wiegen zu lassen, und er reiste auch dahin, unterließ aber die Probe aus Unschlüssigkeit oder Furcht und kehrte ohne Attest in seine Heimath zurück. Die Folge war natürlich, daß sich nun das Gerücht verbreitete, er sei gewogen und zu leicht befunden worden, und der Richter, dem das zu Ohren kam, stellte einen Haftsbefehl gegen ihn aus. Zu seinem Heile wurde er noch rechtzeitig gewarnt und entfloh. Er traf mit einem zusammen, dem es ähnlich ergangen war, und dieser rieth ihm dringend, nach Oudewater zurückzukehren. Er faßte sich ein Herz, ging hin, ließ sich wiegen und brachte die gewünschte Bescheinigung nach Hause. Damit war sein guter Name wieder hergestellt, und der Richter gab ihm sein Vermögen, das er bereits confiscirt hatte, wieder heraus.

Vor allen andern Menschen waren diejenigen, die ein herumziehendes Leben führten, beim Volke der Zauberei verdächtig. In manchen Gegenden, wie am Niederrhein, war das Wort Zigeunerin gleichbedeutend mit Hexe. Daher lag es diesen Heimathlosen besonders nahe, in Oudewater ihre Zuflucht zu suchen. Eine solche Scene hat der Künstler, dem wir unsere Abbildung verdanken, dargestellt. Wir sehen da allerlei fahrendes Volk, eine Zigeunerbande und Bittsteller in Pilgertracht, welche vor der Rathscommission erschienen sind, am sich den rettenden Vorweis zu holen.

Nach unverbürgter Ueberlieferung datierten diese Proben bis in’s Jahr 1773. Die letzte, von der wir sichere Kunde haben, wurde im Jahre 1754 mit einem Mann und einer Frau aus dem Münsterlande vorgenommen.W. H.