Die Jubeltage der „Deutschen Kunstgenossenschaft“ in Dresden und Meißen

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Textdaten
Autor: Fritz Wernick
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Titel: Die Jubeltage der „Deutschen Kunstgenossenschaft“ in Dresden und Meißen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 765–770
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Jubeltage der „Deutschen Kunstgenossenschaft“ in Dresden und Meißen.

Von Fritz Wernick.
Mit Originalzeichnungen von Woldemar Friedrich.

Nicht nur im Parlamente zu Berlin, überall, wo gemeinsame Bestrebungen und Interessen Deutsche aus allen Gauen des Vaterlandes zusammenführen, da ist Alldeutschland versammelt. So war es 1875 auf der Höhe des Teutoburgerwaldes am Denkmal des Cheruskers, so auch 1876 im Festspielhause von Bayreuth, so bei den Bundesfesten deutscher Sänger und Schützen, so jetzt in Dresden, wo die „deutsche Kunstgenossenschaft“ in den jüngsten Septembertagen das Jubiläum ihres fünfundzwanzigjährigen Bestehens feierte.

Im Herbst des Jahres 1856 hatten auf Anregung des Düsseldorfer „Malkastens“ Abgesandte aus allen Kunstgemeinden Deutschlands, von München und Wien, von Dresden und Berlin, von Düsseldorf, Weimar und Karlsruhe sich in der Stadt Bingen eingefunden, um einen Bund zu schließen. Nicht nur die Wahrung gemeinsamer materieller Interessen führte die Künstler zusammen, der neugegründete Bund verfolgte auch ideale Ziele: Aus der Münchener, Düsseldorfer, Wiener Kunst sollte eine gemeinsame deutsche erwachsen, und in allgemeinen deutschen Kunstausstellungen sollte gezeigt werden, daß es eine nationale deutsche Ausdrucksweise in der Kunst gebe, welche dieselbe geblieben von den Zeiten Dürer’s und Holbein’s bis auf unsere Tage: „geistvoll und innig in der Empfindung, bescheiden in der Ausstattung, sich streng an die Natur lehnend in der Darstellung“. Der Plan zur Gründung einer deutschen Nationalgallerie ist zuerst unter den Kunstgenossen berathen worden und hat dann 1861 durch die Annahme der Wagner’schen Sammlung seitens König Wilhelm’s die erste feste Gestalt erhalten. Die Meinung der Kunstgenossenschaft ist schließlich gehört worden in Fragen der Gesetzgebung, besonders denjenigen, die den Schutz des geistigen Eigenthums betrafen.

Nun blickt dieser Verband auf ein volles Vierteljahrhundert seines Wirkens zurück. Vier allgemeine deutsche Kunstausstellungen, in München 1858, in Köln 1861, in Wien 1868, in Düsseldorf [766] 1880, sind von ihm veranstaltet worden, und bei allen nationalen künstlerischen Kundgebungen hat man sich seiner Organisation bedient, mit Ausnahme der Vertretung auf der Pariser Ausstellung 1878. Die Zahl seiner Mitglieder ist auf weit über 2000 gewachsen und in großen wie in kleinen Kunstgemeinden verbreitet, wie auch aus den alljährlichen Berathungen seiner Delegirten praktische Beschlüsse zur Wahrung der Interessen der Kunstgenossen hervorgehen. Da war es denn wohl natürlich, daß man das Jubelfest mit besonderer Sorgfalt vorbereitete und mit ausgesuchtem Glanze beging. Dresden, seit 1878 Vorort der Genossenschaft, diente als Local dieser Festlichkeiten. Die heitere, kunstgeschmückte, in herrlicher Landschaft gelegene Elbstadt eignet sich vielleicht besser als jede ihrer deutschen Schwestern zu solchen Zwecken, besonders wenn, wie diesmal, alle Kreise ihrer Bevölkerung sich vereinen, um die Jubeltage glänzend zu gestalten. Das haben die Organe des Staates, die Behörden der Stadt, das haben die Künstler und Kunstfreunde, das hat die gesammte Einwohnerschaft der sächsischen Residenz gethan.

Drei künstlerische Momente hoben sich aus der Fülle der Festlichkeiten hervor: der Bewillkommnungsabend auf der Brühl’schen Terrasse, die Darstellung des „Faust“ im Hoftheater und das Costümfest in Meißen. Die alte Elbschanze, der einzige Rest der ehemaligen Befestigungen Dresdens, hat schon oft zum Festlocale gedient. Graf Brühl, der allmächtige Minister eines prachtliebenden Monarchen, hat diese Terrasse mit Gärten, Palästen, sowie Pavillons geschmückt und dorthin die Fürsten und Großen als Gäste geladen. Herrlicher mag aber nie ein Dresdener Fest, auch zu Brühl’s Zeiten, gelungen sein, als dasjenige, welches die Stadt Dresden den Künstlern veranstaltete. Der äußerste, weit über die Elbe hinausspringende Belvederehügel mit der aussichtsreichen Glasrotunde war den Gästen reservirt. Kaum dunkelte der Abend, da blitzte von den Bäumen, aus den Büschen, von den Rasengründen, aus den spitzen Basalten, welche die Hügelwände umkleiden, farbiges Flimmern, Flammen und Glühen auf, das den Eintretenden einen wahrhaft feenhaften Anblick bot. Obelisken und Säulen, die Kolossalmasken des deutschen Kaisers und des sächsischen Königs, eine mit Purpur drapirte Rednerbühne waren als neue Zierde des Gartengefildes zu dem schöneren natürlichen Schmuck der Blumen und Bäume, der Graspläne und des wundervollen Niederblickes auf den Strom hinzugekommen, aber erst das Licht, das aus Tausenden von Flämmchen und Leuchten flammte, gab dem Ganzen das strahlende Festkleid. Aus dem dichten Laube der Kastanien, Akazien und Platanen blickten rothe, grüne, goldfarbene Kugeln wie leuchtende Früchte hervor; die hohen Staudengewächse trugen Blüthenglocken von farbigem Lichte; im Rasen funkelten Tausende kleiner Flämmchen, und aus dem Gestein schienen die Feueraugen der Erdgeister hervorzulugen. Die ganze Terrasse, auch der dem Publicum freigebliebene Theil war geschmückt. Die architektonischen Linien der Palastfronten wurden von Lichtschnuren gebildet und die Erzbilder der Meister blickten von ihren Postamenten freundlich-ernst auf das Treiben der Künstlergäste herab.

In diesen herrlichen Lustgärten wogte die Menge der geladenen und einheimischen Festgenossen umher in der langen Herbstnacht. Man plauderte, nahm von den Dienern Erfrischungen, würziges Bier, das Küfer in rothen Westen und Lederschurz unablässig zapften, und erfreute sich an der Musik und den wunderbaren Effecten des elektrischen Lichts, dessen farbige Ströme bald das Dickicht, bald die Standbilder der Herrscher überflutheten, dann wieder einzelne Partien des Stromes und seine belebten Ufer aus der Nacht hervortreten ließen.

Die deutschen Kunstgenossen standen schon im ungezwungensten Verkehre mit den heimischen Theilnehmern, als der Oberbürgermeister der herrschenden Stimmung in warmen Worten Ausdruck gab. Er wies unter Anderem darauf hin, wie Dresden sich seit zwei Jahrhunderten unter der Pflege kunstsinniger Fürsten zu einer Stätte der Kunst entwickelt habe; er hätte hinzufügen können, daß die Fürstenresidenz an der Elbe schon ihre Raphael und Holbein, ihre Tizian und Murillo, ihr grünes Gewölbe und ihr Antikencabinet besessen, als man in München noch nichts von Kunstpflege wußte, in Berlin noch kaum die Anfänge einer solchen besaß.

Gleich warm und herzlich wie der Willkommgruß des Herrn Oberbürgermeisters tönte der Dank der Gäste aus dem Munde Karl Stieler’s zurück, der die Dresdener versicherte, daß alle, die als fremde Gäste gekommen, als Freunde scheiden würden.

Und nun begann des Festes zweiter Theil. Während in der Rotunde des Belvedere die riesigen Lendenstücke feister Rinder, die Forellen, Hummern, Muscheln, die Hirsche und Rehe, die Rebhühner und Enten, die der treffliche Wirth als ein Künstler in seinem Fache aufgebaut hatte, dem Appetite der Geladenen zum Opfer fielen, entwickelte sich auf der Elbe ein neues, glänzendes Schauspiel. Alle Dampfer, alle Boote, alle Nachen, jede der schwimmenden Bade-Anstalten, die Brücken und die Ufer hatten sich in feurige Gewänder gehüllt, und die Schiffe mit den farbigen Lichtpfannen schaukelten sich auf der dunklen Fluth, die jedes Flämmchen wiederspiegelte. Schlanke Schnellruderer jagten, stattlich bemannt, zwischen jenen hindurch und wurden von einem Strahle des elektrischen Lichtes erhascht, begleitet, bis sie, flinker als dieses, in der Nacht verschwanden, um später in neuem Lichtstrome aufzutauchen. Das gab ganz entzückende Bilder, ewig wechselnd, ewig neu fesselnd. Ein Feuerwerk prasselte zum Schlusse aus dem Strome auf, zum leider gar zu frühen, aber nothwendigen Schlusse; denn kaum senkten die letzten Leuchtkugeln sich zum Elbspiegel hinab, als sich ihnen staubfeine Regentropfen zugesellten. Das Wetter hatte gewartet, bis die gastliche Stadt ihr Programm erfüllt; dann trat der regnerische Herbst wieder in seine fatalen Rechte.

Den anderen Tag, den ersten des eigentlichen Jubiläums, vermochte der Regen nicht zu stören. Nach Audienzen, Wanderungen zu den einzelnen Kunstsammlungen, nach Festessen und Tafelreden bot das Hoftheater den Kunstgenossen seine Spende. Es war dazu der zweite Theil des „Faust“ gewählt, vielleicht das Allergeeignetste, was man gerade diesen Gästen zu bieten vermochte. Denn kein anderes dramatisches Gedicht, ja kaum eine große Oper böte Veranlassung zu einer solchen Fülle malerischer Scenenbilder, zur Entfaltung von Massenpracht, zu phantasievollen, übernatürlichen, traumhaft schönen Gebilden, als dieses auf der Erde und im Himmel, in der antiken Griechenwelt und im ritterlichen Mittelalter, am Hofe des Kaisers und in den gothischen Wölbungen der düsteren Studirstube spielende Drama. Was die Kunst Dresdens auch auf diesem Gebiete zu leisten vermag, das hat wohl alle Gäste mit Staunen und Bewunderung erfüllt.

Zur Darstellung hatten sich die ersten Kräfte des Schauspiels, der Oper, des Ballets vereinigt. Ihre Leistungen wurden aber noch übertroffen von denen der Ordner, Regisseure, Decorationsmaler und Maschinisten. Einzelne der Scenenbilder waren von geradezu vollendeter malerischer Schönheit, dabei charakteristisch und durch eine Fülle von Gestalten prächtig belebt.

Doch jedem dieser Festtage war eine Steigerung vorbehalten. Der folgende brachte die Fahrt zum Costümfeste nach Meißen. Mit glücklichem Griffe hatten die Dresdener für die zur Anschauung zu bringenden Aufzüge aus früheren Jahrhunderten die alte sächsische Fürstenstadt mit den engen gewundenen Gassen, den gothischen Kirchen, dem ehrwürdigen Rathhause, der mächtigen Albrechtsburg gewählt. Auf den bunt beflaggten und bekränzten Dampfern fuhr man zum Feste. Hunderte von Theilnehmern trugen alte Costüme. Die Einen trugen Rüstungen, Helme, Waffen von kunstvoller alter Schmiede-Arbeit; die Andern hatten sich nach den Zeichnungen der Künstler oder den Entwürfen Costümkundiger altdeutsche Anzüge fertigen lassen, während die Damen mit gewaltigen altdeutschen Hauben, breiten Hüten, von Federbüschen überwallt, mit hohen Kragen, mächtigen Krausen, Gewändern von prächtigem Sammet, schweren Wollenstoffen, Seidenbrokaten, oder auch in bescheidenen Gretchen-Costümen, alle Stände früherer Zeiten repräsentirten.

Die Fahrt nach Meißen zeigt uns die letzten Gebirgswände, die der Elbstrom auf seinem Wege zur norddeutschen Tiefebene durchfließt. Auf dem letzten Theile der Fahrt bedeckt dichter Hochwald die Felswände; Schlösser blicken von den Höhen auf den Strom herab; Rebenrücken schmücken die sonnigen Hänge, und zuletzt tritt das alte Meißen hervor, imposant in seinen altersgrauen Steinarchitekturen, hoch auf steiler Felsklippe die gothische Albrechtsburg, die in den Strom und weit hinaus in die Meißener Lande schaut. Einen geeigneteren Tummelplatz für mittelalterliches Festgewoge dürfte es kaum geben. Selbst die modernen Menschen, geladene Gäste, ganz Meißen, halb Sachsen, wohl an zehntausend Köpfe, die rings die Uferhöhen belebten, störten den Charakter des Schauspiels kaum; denn die Straßen des guten Meißen mit ihren hohen Giebelhäusern sind so eng, winden sich so malerisch die Höhe hinan, daß Ritter und Mannen, Patricier und Bürger, vornehme Damen und himmelblaue Gretchen-Gestalten diese Gassen vollständig füllten.

[767] Noch wenig geordnet, bewegte der Zug sich zum Marktplatze hinauf. Altersgraue Kirchen, Wappenschilder in Stein gehauen Denkmäler der ersten Herrscher, Thore, Zinnenmauern traten wirksam hervor zwischen den modernen Häuserreihen, die sich hinter Laubgewinden, Flaggenmasten Teppichen halb verborgen hatten. Dennoch überraschte der Marktplatz die Ankömmlinge. Die mächtige Front des gothischen Rathhauses grenzt ihn ab, eine alte gothische Kirche wendet ihre Spitzbogenfenster, ihr Portal ihr zu, und auch hier trat das Moderne zurück hinter dem bunten Festschmucke des Tages.

Dieser herrliche Raum, den Kunstgenossen völlig offen gehalten, bildete den prächtigen Rahmen zu dem ersten Acte des Costümfestes; es entfaltete sich hier ein Bild, das der sinnige formgewandte Meister Woldemar Friedrich in einem der reizenden Bilder, welche diese Schilderung schmücken, mit bezaubernder Poesie festgehalten hat (vergleiche Abbildung S. 788!). Auf dem hohen Steinsöller schmetterte eine mittelalterliche Musikbande den Ankommenden ihre Fanfaren entgegen. Auf der breiten Terrasse vor dem Portale des Stadtpalastes stand der Bürgermeister in Patriciertracht des sechszehnten Jahrhunderts, die goldene Ehrenkette um den Hals, umgeben von seinen Schöffen, wie von den festlich angethanen vornehmsten Bürgern der Stadt. Stattliche Patricierfrauen und eine Schaar rosiger junger Meißnerinnen in himmelblauen Gretchen-Kleidern, Blumenkörbe in der Hand, erwarteten zugleich mit den Männern das Nahen der Festgäste. Diese zogen in langer Reihe auf, vor das Rathhaus hin. Jetzt erst war aus den schönen Einzelgestalten ein Bild geworden. Die strengeren gesellschaftlichen Satzungen, die schärfer markirten Standesunterschiede jener früheren Jahrhunderte blieben indessen auch hier gewahrt. Ritter in glänzenden Rüstungen; mit wallender Helmzier, einige hoch zu Roß, edle Frauen, geführt von den Sprossen vornehmer Geschlechter, begleitet von schönen Jünglingen und Knaben, entfalteten eine Pracht köstlicher Stoffe: Sammet und Brokat, schwere gemusterte Seidenstoffe, Gold, Edelstein und Federn – all diese Pracht erschien weder maskenhaft noch theatralisch, sondern völlig echt und treu. Dann folgten die Patricier, darauf die Bürgersleute mit ihren Frauen in schweren Wollenstoffen, mit breiten Hauben, hohen Kragen, gefältelten Schürzen, prächtige und sittsame Mädchenknospen ihnen zur Seite.

Aus diesem farbenreichen Gewühl hoben einzelne Gestalten sich besonders hervor, Damen von hoher Schönheit und Ritter in schwarzem mit Silber und Gold eingelegtem Stahlkleide, Reisige, Condottieri mit zerschlitzten Pluderkleidern und verwetterten Gesichtern. Immer neuer Zuzug langte an aus verschiedenen Richtungen, unter ihnen Landsknechte, Jagdgesellen und zuletzt Meißner Landleute. Diese Letzteren waren Weinbauer, Winzer und Winzerinnen, die sich zum Feste schmuck gerüstet hatten. Ein mächtiges mit Rebenlaub bekränztes Stiergespann zog den Karren, auf dem, zwischen Weinranken, Früchten, Emblemen gruppirt, die Winzer des Landes mit ihren Dirnen munter zechten und also fröhliches Leben in die vornehme Welt brachten. Damit hatte die Mannigfaltigkeit, die Farben- und Formenfülle der festlichen Gruppen sich zu höchster Wirkung gesteigert.

Der Bürgermeister hieß die Bläser schweigen, trat an den Rand der Plattform und begrüßte die Gäste mit herzlichem Zuspruch, dankte für ihr Erscheinen in der ehrwürdigen Fürstenstadt und forderte zum Bleiben auf. Kaum hatte man dankend geantwortet, kaum das Klirren der Schwerter, das Schwenken der Barretts und Federhüte, das Hochrufen geendet, da sprengte ein Heroldszug von der Albrechtsburg herab, durch den alten, von Gnomen mit greisen Bärten behüteten Thorbau, um die Botschaft des kurfürstlichen Burgherrn zu verkünden, der alle Gäste hinauf in sein Schloß lud. Nun ordnete die bunte mittelalterliche Welt sich auf’s Neue; auf’s Neue wogte malerisches Gewühl die engen steilen Gassen hinan durch schwere Thorbogen, über Zugbrücken an altem Gemäuer vorüber auf den Burghof. Wieder eine Steigerung des Genusses! Die Albrechtsburg in Meißen gehört zu den würdevollsten und interessantesten Palastbauten aus gothischer Zeit. Der innere Hof derselben wird umschlossen von der mächtigen Gewölbemasse des Domes, von der Hauptfront des alten Schlosses, aus der hohe Giebel, schlanke Dacherker hervorspringen während das Ganze reizvoll belebt wird durch tiefe Spitzbogenblenden und den „Wendelstein“, die zierliche Wendeltreppe, die sich frei und fein gegliedert zwischen Spitzbogenwerk außen an die Baumasse anlehnt. Zur andern Seite grenzt ein Bau von offenen Loggien, mit Erkerthurm und Nische, eine lebhaft profilirte Front, das Geviert ab, in das die Gäste einzogen.

Gegenüber dem Eingange zum Burghof war eine Estrade errichtet, überdacht mit kostbarem Baldachin von Purpur und Gold, der sich auf schlanke Metallsäulen stützte und dem ganzen Hofstaate des improvisirten Kurfürsten ein prachtvolles Schutzdach gewährte, ganz wie unser trefflicher Künstler sie den Lesern heute in seinem prächtigen figurenreichen Bilde (vergleiche Abbildung S. 789!) so meisterhaft zur Anschauung bringt. Auf goldenen Sesseln thronte der Fürst und sein stattliches Gemahl; Damen edler Geschlechter, die Großen des Hofs, Kämmerer und Mundschenk, Kanzler und Marschall, Edelknaben und holde Jungfrauen umgaben das Herrscherpaar, vor dem jetzt die Geladenen aufzogen. Alle waren gekommen: außer Rittern, Patriciern und Bürgern aus der Ferne auch der Bürgermeister mit seinen Schöffen und Trabanten die Meißener Jungfrauen, die Spielleute, die Landsknechte, Jagdgesellen und der Stierkarren mit dem lustigen Winzervolke.

Sie schritten an dem Throne vorüber und füllten den Burghof. Da erschallte neuer Bläsergruß aus der Ferne. Ueberrascht blickte man zurück und sah einen hohen mit köstlichen Stoffen drapirten Triumphwagen nahen, auf dem die erhabene Gestalt der Kunst in weißen Gewändern thronte, den goldenen Lorbeer um das blonde Haupt geschlungen, umgeben von den Genien aller Künste, die zu ihren Füßen lagerten. Der Triumphwagen hielt in der Mitte des Hofes; die Göttin erhob sich, sprach hellklingende Verse, die zwar mit einem Hoch auf König, Kaiser und Reich etwas anachronistisch schlossen, aber die lebhafte Begeisterung der Menge erweckten; denn seitab, als einfacher Zuschauer, wohnte der König mit seiner Familie dem Festspiele in der Thurmloge bei. Wieder klirrten die Schwerter laut an einander; wieder flogen die Hüte in die Höhe; wieder durchbrauste stürmischer Hochruf den Raum. Dann begannen die Würdenträger des Kurfürsten zu sprechen: der Baumeister erzählte Ausführliches von der Errichtung der alten Burg; der Mundschenk bot den Herren einen Becher von Meißener Landwein, während die Gruppen der Festgenossen sich mehr und mehr belebten. Auch das fürstliche Paar erhob sich; gefolgt von seinem Hofstaate trat es einen Rundgang über den Burghof an. Nun mischte alles Volk, Ritter und Patricier, Bürger, Waffenknechte, Meißener Mädchen und Jagdknappen sich unter einander. In dichtem malerischem Gewühle lösten sich die geschlossenen Gruppen, stoß die Fülle herrlicher Gestalten zusammen. Auf dem Hoffest war ein mittelalterliches Volksfest geworden. Inzwischen war der Schluß des Festes allmählich gegen drei Uhr Nachmittags herangekommen. Der Kurfürst verkündete ihn in kurzer Rede und gab seinen Gästen damit allgemeine Bewegungsfreiheit, von der denn auch ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.

Mit dem Schlusse des Festspiels hatte auch die Gunst des Himmels ein Ende. Es begann erst staubfein, dann immer heftiger zu regnen, sodaß man in den Hallen und Sälen der gastlich geöffneten Burg eine Zuflucht suchen mußte. Selten wohl hat der alte, höchst glücklich restaurirte Bau eine so starke und kunstverständige Besucherschaar in seinen Mauern empfangen. Den Nachmittag füllten die Besichtigung der Burg und Wanderungen durch Meißen aus, wo das Volksfest sich fortsetzte. Und als es Abend ward, da begannen die altersgrauen Architekturen, die kühn den Burgfelsen erklimmenden Mauern und Häuserzeilen zu leuchten und zu glühen. Hoch vom obersten Thurme der Albrechtsburg strömten farbige Lichtfluthen hinab über die gothischen Baumassen, deren Geglieder nun noch kräftiger in allen Einzelnheiten aus der nächtlichen Umgebung hervortrat. Auch die mächtigen Fensterbogen des Domes strahlten farbiges Licht aus, und als ob die Stadt nur das Signal erwartet hätte, begann auch sie ihre Freudenfeuer zu entzünden. Bengalische Flammen ließen einzelne malerische Baugruppen grell hervortreten; Lämpchen, Transparente, Pechpfannen und Feuerkörbe warfen rothes Flackerlicht dazwischen, und Fackeln schwingend, geleiteten die Mannschaften der Feuerwehr die Gäste in langem Zuge zum Bahnhofe. Schöner noch wurde es, als dieser Zug über die Brücke zum andern Ufer sich bewegte. Da stand die Bergstadt, von der Burg überragt, in feuriger Lohe; der Dom, das Schloß, die Thürme, die Häuser waren von verschiedenfarbigem Lichte überfluthet; selbst die Wogen des Stromes schienen von feurigem Glanze zu erglühen, und die Darsteller des heutigen Festes selbst wurden von Fackelschein und elektrischen Flammen in wahrhaft magischer Weise beleuchtet. Dieser Schluß des wechselvollen Tages rief

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Im Amselgrunde: Zigeunerlager.

Vor dem Rathhause zu Meißen: Ankunft des Winzerwagens.
Das Jubelfest der deutschen Kunstgenossenschaft. Originalzeichnungen von Woldemar Friedrich.

[769]

Im Amselgrunde: „Zur rothen Amsel“.

Im Schloßhof der Albrechtsburg: Ankunft der „Kunst“.
Das Jubelfest der deutschen Kunstgenossenschaft. Originalzeichnungen von Woldemar Friedrich.

[770] noch einmal allgemeine Begeisterung hervor, und dann folgten die Abschiedsgrüße, die zunächst dem gastlichen Meißen, dann den Genossen der Festtage galten, von denen viele schon hier sich losrissen, um in die Heimath zurückzukehren.

Hunderte blieben jedoch in Dresden, um noch den letzten Festtag abzuwarten, der einen Ausflug in die sächsische Schweiz brachte. Das Wetter war am Morgen zwar wenig einladend, aber trotzdem mußten zwei lange Extrazüge in Anspruch genommen werden, um die Schaar der Kunstgenossen aufzunehmen. Die gleiche warmherzige Gastlichkeit, die Dresden und Meißen dem Jubiläum deutscher Künstler entgegengebracht, fanden diese auch in den Elbstädtchen der sächsischen Schweiz. Ehrenpforten von grünen Reisern, singende Dorfjugend, böhmische Spielleute, Händler, die den bunten Kram von allerlei Andenken feilboten, empfingen die Festfahrer, die in den waldigen, von starren Sandsteinnadeln eng umschlossenen Amselgrund zogen und hier im Schatten einer primitiven Waldkneipe „Zur rothen Amsel“ genannt, einen erfrischenden Imbiß einnahmen (vergleiche Abbildung Seite 769!) Hier überraschte man eine Bande lagernder Zigeuner, braunes Volk mit wirren Haaren, in Lumpen gehüllt, das seine Habe von einigen mit Schindmähren bespannten Wagen abgeladen hatte und nun in brodelndem Kessel Essen kochte, kleine Kesselflickerarbeit trieb, Hühner, Enten und alles greifbare Gut zu stehlen suchte. Auf die vornehme Pracht der früheren Tage folgte hier das wildeste, naturwüchsigste Leben. Waldemar Friedrich hat auch diese Scene in seiner feinsinnigen Weise im Bilde (vergleiche Abbildung S. 768!) verewigt, wofür ihm die Leser gewiß dankbar sein werden.

Man glaubte sich in die Berge bei Granada, in die russischen Steppen versetzt, wenn die braunen dürftig bekleideten Weiber listig und verschlagen sich dem Fremden näherten, durch Tanz, Wahrsagen oder ärgere Künste etwas zu erhaschen suchten. Mit äußerster Treue und Wahrhaftigkeit ward hier die Wirklichkeit nachgeahmt. Da plötzlich schrilles Pfeifen und kreischendes Fiedeln, das aus der Tiefe des Grundes hervordrang! Es waren Freunde, eine andere Bande des heimathslosen Volkes, die mit ihrem Troß daherzog. Nun gab es ein Begrüßen, ein Springen und Umschlingen, das gewiß sehr ernst gemeint war, aber doch sehr komisch wirkte. Diese bunten lebhaft bewegten Bilder aus dem Zigeunerleben konnten nicht verdunkelt werden durch das Erscheinen eines Berggeistes, der die Künstler durch lange Versrede in seinem Revier bewillkommnete.

Dann zog man zur Bastei hinauf, und wieder war das Wetter dem Augenblick günstig; selbst die Sonne blickte hervor, um die überraschende Aussicht auf die phantastischen Felsgebilde, auf den mächtigen Klotz der Festung Königstein, auf den Elbstrom und das weite anmuthige Land freundlich zu beleuchten. Es ward nun getafelt – zum letzten Mal in fröhlicher Gemeinschaft. Erst als es dunkelte, schifften wir uns zur Rückfahrt ein. Und wieder flammten Feuergrüße zu beiden Seiten des Stromes. Das Jubelfest der deutschen Kunstgenossen schloß auf dem Linke’schen Bade, heiter, fröhlich, wie es begonnen. Dresden und seine Kunstgemeinde haben den Gästen und Genossen aus der Ferne gezeigt, daß hier die Kunst nicht nur eine treue, sondern auch eine verständnißvolle Pflege findet. Karl Stieler hat mit den ersten Worten, die er der heiteren Stadt zurief, Recht: „Als Gäste sind wir gekommen – wir scheiden als Freunde.“