Die Lianen oder Schlingpflanzen des Gartens

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Autor: H. Jäger
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Titel: Die Lianen oder Schlingpflanzen des Gartens
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 218–219
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[218] Die Lianen oder Schlingpflanzen des Gartens.

 „Nicht, was ich angebunden, war, was am schönsten blühte,
 Sondern, was ich ließ ranken nach eigenen Gedanken.“

 Rückert.

Wenn überhaupt von „poetischen Pflanzen“ die Rede sein kann, so kommt diese Bezeichnung den Lianen[1] am meisten zu. Alles was die Phantasie an einem Pflanzenwesen sich Charakteristisches erdenken kann, findet sich daran; denn diese interessanten Rankengewächse zeigen sich in ihren Lebensgesetzen so regellos wie die Phantasie und bekunden doch alles Ebenmaß und alle Schönheit; sie sind gleichsam die durch die poetische Form verständlich gewordene Gedankenfülle in Ranken, Blättern und Blumen; sie ranken „nach eigenen Gedanken“, wie der Dichter in unserm Motto singt.

Es ließe sich noch Vieles in dieser Weise sagen, aber meine Absicht ist, den Lesern der „Gartenlaube“ Winke über die praktische Verwendung und den vielfachen Nutzen der Schlingpflanzen zu geben. Ihre verschönernde Wirkung ist so bedeutend, daß überall, wo sie auftreten, der Eindruck ihrer Umgebung ein anderer wird; sie tragen den Geist der Poesie überall hin. Wo etwas fehlt, nüchtern, leer aussieht, da gestatte man nur den Ranken der Lianen Eingang, und sofort macht sich ein gleichsam poetischer Hauch in der Umgebung geltend.

Bei der Verwendung der Lianen lassen sich zwei Formen bestimmt unterscheiden: die geordnete, welche sich an die Architektur anschließt, und die malerische, gleichsam verwilderte. Die erste schließt die zweite indessen nicht immer, ja selten ganz aus; die zweite erkennt kein Gesetz und betrachtet das schönste architektonische oder plastische Kunstwerk nur als willkommene Stütze. Eine Haupteigenschaft der Lianen ist, daß sie Unschönes verbergen und verschönern. Das gewöhnlichste Gebäude, an dessen nüchterner todter Regelmäßigkeit keine Spur von Schönheit zu finden oder dessen architektonischer Charakter durch den Baumeister verdorben worden, wird durch die Bekleidung der Schlingpflanzen nicht nur leidlich, sondern sogar schön.

Diese Wirkung steigert sich noch, wenn Veranden damit verbunden werden. Es giebt unleidliche, würfelförmige Häuser, welche im Verhältniß zu ihrer Höhe an der Giebelseite zu schmal sind. Bringt man nun an beiden Seiten nach der Art der Seitenschiffe einer gothischen oder byzantinischen Kirche, wenn auch nur kurze, auf den Schein berechnete Veranden an, so bessern sich sogleich die architektonischen Verhältnisse: das Haus erscheint niedriger, besonders wenn sich die Veranda auch auf der Schmalseite fortpflanzt.

Ist aber keine Gelegenheit zu Veranden da, oder will man sie aus anderen Gründen nicht, so verbessert es schon die Ansicht, wenn das untere Stockwerk ganz mit Schlingpflanzen begrünt ist. Wenn ein Gebäude alt, häßlich, aber malerisch in seinen schiefen oder vortretenden Theilen ist, so kann es durch eine Wildniß von Schlingpflanzen mit lang herabhängenden Ranken auch in den Augen Solcher reizend erscheinen, die sonst die malerische Schönheit alter Gebäude nicht zu schätzen wissen. Wer hätte nicht auf Dörfern, an Vorstadthäusern, an Burgen und anderm alten Mauerwerk schon die geschmackvolle Decoration von wucherndem Epheu oder üppigen Weinreben bewundert, wenn sie Giebel und Sims mit anmuthigem Geranke umzieht!

Das regelmäßige gut erhaltene Haus verlangt auch an den Schlingpflanzen Ordnung, aber jede Abweichung von der Regelmäßigkeit am Hause fordert gleichsam zum regellosen Wachsenlassen der Schlingpflanzen auf. Haben sie den Dachrand erreicht, so mag man sie überall herabhängen lassen. Hat ein Haus eine schöne Architektur und Ornamente, so wäre es eine Versündigung am guten Geschmacke, die Wände ganz mit Schlingpflanzen zu bekleiden. Die besonders für solche Zwecke ausgewählten Lianen müssen dann den Linien der Architektur folgen, müssen schmal gehalten werden, dürfen keine Verzierung verdecken. In dieser Weise war früher (vielleicht noch jetzt?) das Bahnhofsgebäude von Wilhelmshöhe bei Kassel ein Muster von gutem Geschmack.

Das Haus führt uns zur Laube, einem Häuschen im Grünen. Was Lauben sein können, habe ich den alten Lesern der „Gartenlaube“ schon vor mehr als zwei Jahrzehnten erzählt (vergleiche „Gartenlaube“ 1856, Nr. 20 und 1859, Nr. 16). Hier mag die Andeutung genügen, daß nur mit Schlingpflanzen bezogene Lauben schön und sogar nicht einmal alle Lianen bei Lauben schön wirken. Eine solche nicht brauchbare Liane ist der sonst so schöne Jelängerjelieber, weil man bei seiner Anwendung in der Laube nur kahle Zweige sieht und seine Schönheit deshalb unsichtbar bleibt.

Zur Absonderung von nicht zum Schmuckgarten gehörenden Gartentheilen, sowie zur Verdeckung von Höhen und anderen unschönen Plätzen, giebt es, wenn nicht dichtes Gebüsch angebracht werden soll oder kann, kein besseres Mittel, als einen Schirm von Schlingpflanzen. Derselbe wird zum Laubengang, wenn ein Gitterdach über dem daran hinführenden Wege angebracht wird. Die Innenseite muß ganz offen bleiben. Unerschöpflich ist die Verwendung der Lianen, an den verschiedensten Gestellen als Bogen, Schirmen, Pyramiden, Säulen, Laternenträgern, in Form von Guirlanden u. dergl. m.

An diesen Gestellen, die zu erdenken namentlich die Damen viel Geschick zeigen, finden besonders die schön blühenden Lianen Verwendung. Obgleich eine Aufzählung auch nur der schöneren Schlingpflanzen hier nicht erforderlich ist, so kann ich mir doch nicht versagen, einige zu Guirlanden unvergleichlich geeignete zu nennen. Es sind Pilogyne suavis und die ähnliche Cephalandra quinqueloba, die man leicht im Zimmer durchwintern und im Frühjahr durch Stecklinge vermehren kann. Der ersteren steht die einjährige leicht aus Samen zu erziehende Melothria cucumerina nahe. An Schirmen und Bogen, überhaupt an jeder Stelle, wo die Ranken herabhängen können, übertrifft die herrliche Glycine (Glycine oder Wisteria chinensis) mit den langen hängenden blauen Blüthentrauben jede andere holzige Liane an Schönheit. Leider kommt sie nur im südlichen und westlichen Deutschland gut fort, ist aber auch dort vor allen beliebt.

Weniger bekannt und gebräuchlich ist die Anwendung der Schlingpflanzen in ganz natürlicher Weise, ohne jeden Zwang, an Bäumen und Gebüschen. Dort sind sie die eigentlichen Lianen, deren Schönheit [219] A. von Humboldt schilderte, und ein Garten, wo sie häufig vorkommen, macht auf Jeden den Eindruck des Romantischen, Außerordentlichen. Wer hätte nicht schon in der freien Natur auf Gebüschauen den wilden Hopfen bewundert, wie er an Erlen und Weiden emporklimmt, oder die den wilden Rosenbusch umschlingende Waldrebe (Clematis), wenn sich die weißen seidenartigen Samenbüschel mit den Korallenfrüchten vermischen! Schön ist auch die Zaunwinde mit den großen weißen Kelchblumen und der Epheu, zumal wenn er in reicher Fülle und Ueppigkeit in südlicheren Gegenden den Baum umspinnt.

An Bäumen hat die Liane zwei verschiedene Aufgaben zu erfüllen; entweder: sie schmückt nur den Stamm in derselben Weise, wie die Säule, und überzieht, wie der Epheu, Stamm und Aeste, oder: Stamm und Aeste sind nur Träger der nackten Ranken; denn die grünenden suchen das Licht, klettern in die äußersten Zweige und entwickeln erst dort Blätter und Blüthen. Die erste Art, die Bekleidung des Stammes, darf nicht oft vorkommen, weil diese so geschmückten Stämme gekünstelt aussehen und ihre eigentliche Schönheit verloren geht; dagegen kann die zweite Art häufiger Anwendung finden, obgleich auch hier eine Beschränkung geboten ist. Man vertheile diesen Schmuck nicht im ganzen Parkgarten, sondern bringe ihn nur in gewissen Theilen an, namentlich an Ufern. Als Träger dieser Lianen sind Laubholz- und Nadelholzbäume gleich geeignet; nur fallen sie an letzteren mehr auf. Wer die Wildniß von Wildweinranken an den Fichten unterhalb der Villa Solms in Baden-Baden gesehen hat, wo die Ranken zwanzig Fuß hoch herab über den Bergweg hängen, der wird diesen reizenden seltenen Anblick nicht vergessen.

Herrlich ist auch der Jelängerjelieber, wenn er niedrige Nadelholz- und Lebensbäume durchschlingt und das magere Grün mit seinen Blättern und seinem herrlichen Grün schmückt. An Laubholzbäumen bemerkt man die eingeflochtenen Lianen erst recht, wenn die Blüthen erscheinen oder der Herbst die Blätter roth färbt, wie am Wildwein. In manchen Fällen macht die Aehnlichkeit der Blätter des Baumes mit denen der Lianen einen besonders guten Eindruck. So steht z. B. in Bad Kissingen, an einem der Mittelwege, jenseits des Curhausbrückenstegs eine Gruppe von Platanen, welche so von wilden amerikanischen Weinreben durchwachsen sind, daß man die ähnlichen Blätter fast nicht unterscheiden kann. Sie schlingen sich in verwilderten Guirlanden von Baum zu Baum und hängen von einer absterbenden Baumkrone in schöner Regellosigkeit herunter. Mit den Lianen in Gebüschen muß man vorsichtiger sein; denn manche unterdrücken ihren Träger so, daß er kaum das Leben fristet. Dies gilt besonders vom Hopfen, dessen weibliche Pflanze mit den duftigen Blüthenzapfen so überaus malerisch ist.

Am verträglichsten sind in dieser Hinsicht die Waldreben oder Clematis und die Gaisblatt-Ärten (Jelängerjelieber). Die niedrigen, großblumigen Clematis können auch kleinere Sträucher ohne Schaden für dieselben überziehen. Für größere Sträucher ist die gemeine Waldrebe, Clematis Vitalba, mit weißen, wohlriechenden Blumen und wie Federsterne geformten Samen unübertroffen.

Aber nicht nur Bäume und Sträucher werden von den Lianen bewohnt: auch mit dem Boden begnügen sich einige, wenn sie nur eine Stütze haben. Wo sie im Walde einen entwurzelten Baumstock finden, da umstricken sie ihn mit ihrem Geflechte. Man kann diesen Naturzufall absichtlich nachahmen und im Parke (ja nicht im Blumengarten) Baumstöcke mit Wurzeln so aufstellen, daß die Wurzeln nach oben stehen und diese mit verwilderten Lianen überwachsen lassen. Auch an Felsen sind sie gut angebracht.

„In der Oede liegt ein Stein
So ganz allein, ganz allein –
Ist der Epheu still gekommen,
Hat ihn in den Arm genommen.“

sang Clemens Brentano in der „Chronica des fahrenden Schülers“.

In bergigen Gärten giebt es Stellen, wo man die Aussicht frei halten, aber doch keinen Rasen haben will oder erhalten kann. In diesem Falle pflanze man geeignete Schlingpflanzen, besonders Jelängerjelieber an, weil dieser so besonders zur Geltung kommt, indem man die schönen Blüthen unter sich sieht und den herrlichen Duft voller als von oben genießt. Man zieht die Ranken über Draht oder auch nur über Baumäste, welche man ihnen als Unterlage giebt. Hierher gehören auch die großen Kürbisarten, die man auf kurzem Rasen sich ausbreiten läßt.

Die Zahl der in Gärten gezogenen Lianen ist sehr groß, und man muß sich auf eine kleine Auswahl derselben beschränken. Bieten doch die großen Samenhändler allein von der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceen) etwa zweihundert Arten und Sorten als Samen an, wozu auch die oben genannten Guirlandenpflanzen gehören. Man unterscheidet holzartige und krautartige Lianen, von letzteren wieder ausdauernde und einjährige. Im Parke und Parkgarten, zu Lauben, Wänden etc. sind die holzartigen vorzuziehen, wogegen die krautartigen sich meist durch schöne Blüthen auszeichnen. H. Jäger.     


  1. Das Wort Liane gebrauchte in deutscher Sprache zuerst Alexander von Humboldt. Es war ein glücklicher Griff; denn Liane besagt alles, was sonst Kletterpflanze, Schlingpflanze, Winden- und Rankenpflanze etc. genannt wird.