Die Sprachmengerei der Gerichtskanzleien

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Autor: Dr. Gustav Dannehl
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Titel: Die Sprachmengerei der Gerichtskanzleien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 648–650
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Sprachmengerei der Gerichtskanzleien.


Motto: Ist denn kein Stephan da?

Seitdem wir uns den hemmenden Einflüssen ausländischer Politik glücklich entzogen haben und endlich ein Volk geworden sind, macht sich ein lobenswerther Eifer bemerkbar, auch die Sprache, soweit sie sich von obenher beeinflussen läßt, von fremdartigen und sonst überflüssigen Bestandtheilen zu reinigen. Die kaiserlich deutsche Reichspost ist rüstig vorangefahren und hat den fremden Flitterkram dem neuen Reiche erschlossen zum Opfer gebracht. In dem Generalstabswerke über den letzten Krieg finden wir manches Fremdwort, das sich ohne Gefahr für die Deutlichkeit beseitigen ließ, stillschweigend durch ein kerndeutsches Wort ersetzt. Selbst die Hochschule, welche verhältnißmäßig wohl das meiste Recht hat, an dem alten verschossenen lateinischen Doctorgewande festzuhalten, mit dem manches weniger Tüchtige und – Neue sich prächtig umhüllen ließ, gleichwie viele Sünden mit dem bekannten Mantel der christlichen Liebe zugedeckt werden, selbst die Hochschule gestattet seit einiger Zeit, daß Nichtphilologen deutsch mit ihr sprechen. Ein Häuflein von Sprachforschern, vom Reichskanzleramt berufen und auserwählt, erklärt zwei Dehnungszeichen, die sich bisher des unbescholtensten Rufes erfreut hatten und selbst Kundigen heute noch lieb und werth sind, unbarmherzig in die Reichsacht, und wenn man nun alle diese wirklich vaterländischen Bestrebungen in ihrer Gesammtheit betrachtet, so hat man das Gefühl, als sähe man einen Gärtner sorgfältig und peinlich jedes Gräschen aus den sauber gehaltenen Wegen entfernen, während er auf den Beeten das üppigste Unkraut ruhig weiterwuchern läßt. Ohne Bild gesagt: ich finde, daß ein Stück treuer deutscher Arbeit und guten Willens an die Beseitigung ziemlich unschuldiger Dinge verschwendet wird, während auf dem Gebiete oder den Gebieten der deutschen Rechtspflege nicht etwa blos zur peinlichsten Unbequemlichkeit, nein sogar, wie ich mir nachzuweisen getraue, zur wirklichen Benachtheiligung des Volkes eine Unzahl fremdländischer Sprachblüthen ungestört weiter treiben dürfen.

Die Klage über die Sprachmengerei der Kanzleien ist keineswegs neu. Im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert, wo das Unwesen am größten war, wo die deutschen Sprache Gefahr lief, unter dem Wust fremder Bestandtheile zu ersticken, [649] thaten sich die Juristen noch immer vor allen Anderen durch ganz außerordentliche Sprachmengerei hervor. Der Grammatiker Moscherosch sieht sogar die Kanzleien als die Hauptquelle der Fremdwörterfluth an. Und dabei ist der gute alte Philander von Sittewald durchaus kein Eiferer, und höchst unparteiisch geht er mit der „Latein- und Griechischfresserei der neusüchtigen Deutschlinge“ in’s Gericht. Er darf also wohl als Gewährsmann gelten und hat sicher das Richtige getroffen.

Man müßte nun freilich blind sein, wenn man nicht sehen wollte, daß seit der Zeit, wo Philipp von Zesen[WS 1] die ganze deutsche Sprache in der festen Zuversicht durch die „hochdeutsche heliconische Hechel“ zog, daß alle Fremdworte darin hängen bleiben sollten, Vieles auch auf dem Gebiete der Rechtssprache besser geworden ist. Allein wir werden auch sehen, daß uns noch recht, recht viel zu thun erübrigt. Wir möchten daher unseren Gesetzgebern und Landesvertretern, welche sich in der Kürze mit einer Umgestaltung unseres Rechtswesens zu beschäftigen haben, die Berücksichtigung der Kanzleisprache nach der angedeuteten Richtung hin auf das Angelegentlichste empfehlen.

Sehen wir uns die Ausdrucksweise der namentlich im Verkehre mit dem Publicum gebräuchlichen Formulare über „Mandats-, Bagatell-, Civil-, Injurien-, Exmissions- oder andere Klagen“ einmal etwas genauer an. Verklagter erhält in der Vorladung zu einem Termine die Weisung: „entweder in Person, oder durch einen gehörig legitimirten zur Proceßpraxis bei dem unterzeichneten Gerichte berechtigten Bevollmächtigten zu erscheinen.“ Ist er nun in Person, oder „durch einen Andern erschienen“, so soll er unter Anderem „die etwa erforderlichen ‚Editions- oder Adcitationsgesuche‘ anbringen“, widrigenfalls mit dem „Contumacialverfahren“ gedroht wird. Dennoch stellt sich der Vorgeladene zuweilen nicht, ja selbst der „Comparent“ ist schon zuweilen nicht erschienen, wie es im Protokoll stets zu heißen pflegt, und was so viel bedeutet, als „der Erscheinende erscheint nicht“.

Ein Kläger muß beweisen, daß das „Forum“ für die Klage begründet, der Sitz der Obligation in seinem Departement anzunehmen ist; seine Klage muß substantiirt, sein Legitimationspunkt erwiesen sein. Er muß sich entscheiden, ob er dem Verklagten den Eid deferiren will; er kann argwöhnen, daß Jener den Diffessionseid oder den verschmitzten Eid de ignorantia leistet, wenn er ihn überhaupt acceptirt und nicht refüsirt oder referirt. Ist nun in der Klage eine Cumulation der Art vorhanden, daß die Ansprüche des Klägers auf Geld oder fungible Sachen mit Ansprüchen anderer Art verbunden sind, so wird es die höchste Zeit, sich nach einem Assistenten oder Mandatarius umzusehen, dem noch (falls er durch ein lohnenderes Geschäft abgehalten sein sollte) die Substitutionsbefugniß ertheilt wird. Hat dieser im Audienztermine, vor commissarischer Verhandlung etc. seine Vollmacht producirt und sich zur Proceßpraxis legitimirt, so ist er befugt, für seinen Clienten Restitutionen zu ertheilen, angebotene Interventionsprocesse einzugehen, Gelder aus Depositorien zu nehmen, Arreste zu extrahiren, des Mandanten Vermögen für alle aus Nichtjustification entstehen könnende Schäden als Caution zu bestellen, in allen Instanzen auf Execution, Subhastation, Sequestration, auf Concurs-, Liquidations- und Prioritätsverfahren anzutragen, und endlich – wie der Fuchs mit dem Schwanze die Spur verwischt – die Manualacten zu cassiren. In dem Letzteren hätten wir zugleich eine nette kleine Probe von dem redlichen Bemühen der Herren Justitiarien, den Laien das Verständniß des gerichtlichen Verfahrens zu vermitteln.

Um zu verstehen, was ideeller Antheil, was materielle Verfügung, liquider oder illiquider Klageanspruch, Executionsanträge ohne executorische Titel, eine Verweisung ad separatum, periculum in mora, Agnitions-Resolut und hundert andere Formeln bedeuten, die in der mündlichen und schriftlichen Gerichtspraxis gang und gäbe sind, muß man schon einige philologische oder juristische Bildung besitzen. Was denkt sich wohl ein Bauer oder Tagelöhner, ein Handwerksmann oder gar eine alleinstehende „Unverehelichte“, wenn ihnen notificirt wird, daß in ihrem sistirten Processe unter Vorbehalt der Reassumtion auf Reposition der Acten angetragen werden kann? Was verstehen diese Leute wohl unter inexigiblen Forderungen, unter Insinuations-Documenten und Instrumenten, unter einem concludenten Petitum, Diffamations-, Possessorien-, Spolien-Sachen, Conventions- und Regreßklage, Purifications-Resolutionen etc. etc.? Ein gerichtliches Schriftstück kann ein Mandat, ein Decret, ein Protokoll, ein Manifest, ein Document, Instrument, Recurs, Regreß, oder das Duplicat von dem Allen und der Himmel weiß was sonst noch sein.

Was kann erst aus dem Menschen durch seine Berührung mit dem Gerichte nicht Alles werden! Bald ist er Mandant, Implorant, Implorat, bald Impetrant, Recurrent, Provokant, Provokat, Petent, Legator, Assignat, bald gar Succumbent oder Inculpat, oft nur Expertent, Intervenient, Intervent oder Cointervent.

Ich habe im Vorstehenden nur ein ganz geringes Pröbchen von der Sprachmengerei der gerichtlichen Geschäftssprache zu geben versucht. Die mitgetheilten Beispiele ließen sich ohne große Mühe verzehnfachen, und wem nach mehr gelüstet, dem empfehle ich die etwa tausend Arten Justizformulare, welche in einem preußischen Appellbezirke gebraucht werden, als lohnende Fundgrube.

Was hilft solchen Dunkelheiten gegenüber, wie wir sie oben probeweise mitgetheilt haben, selbst dem Gebildeten sein Wissen? Er muß so gut zum Rechtsanwalte seine Zuflucht nehmen, wie der gemeine Mann, wenn er sicher gehen will. Oder er denkt: „Die Gebühren kannst du sparen“ und schlägt eins jener nützlichen Bücher auf, welche das allgemein gefühlte Bedürfniß nach Aufklärung in Gerichtssachen in’s Leben gerufen hat, etwa den „Rechtsbeistand für den X’schen Staatsbürger“. Schön! Da findet er eine reichliche Auswahl Muster und Beispiele von allerlei Klagen des Kaufmanns Nimmersatt, des Cigarrenhändlers Rauchstengel, des Branntweinbrenners Fusel, der Gastwirthe Kellermann, Kleinglas und Bratwurst und vieler Anderer contra Schuster Crispin Knieriem, Anton Pech und August Pfriem, contra Schneider Bock, Fingerhut und Nähseide, wider den Maler Pinsel, den Färber Sudelmann, den Major Haudegen etc., er erfährt, wie er in dem Concurse des Kaufmanns Hiob Garaus seine Ansprüche vorschriftsmäßig geltend machen muß, und hat er einen Injurienproceß, so kann ihm das Beispiel der Klage des Bengel contra Lümmel zum Vorbilde dienen.

Aber auch diese Bücher können bei aller Ausführlichkeit nur annähernd allen vorkommenden Fällen genügen, und da sie nach amtlichen Vorlagen gearbeitet sind und sein müssen, so können sie nie ganz volksthümlich oder auch nur einigermaßen gemeinverständlich sein. Für Gebildete mag also diese Literatur ganz nützlich sein, doch auch diesen geben sie wenig mehr, als das Muster zu einem Klageantrag.

Nun stelle man sich vor, daß Leute, wie die bei Fritz Reuter mit wunderbarer Naturtreue geschilderten Tagelöhner Krischan Däsel und Johann Päsel, oder selbst wie der Bauer Schwart und der Küster Sur eine solche mit Fremdwörtern gespickte Vorladung. wie wir sie vorhin erwähnt haben, zugesandt bekommen. Ist wohl anzunehmen, daß Verklagte aus den bezeichneten Bevölkerungsschichten, mit denen doch die „Abtheilung für Bagatellsachen“ vorzugsweise zu arbeiten hat, wirklich eine genügend klare Vorstellung von dem bekommen, was alles in der Zuschrift verlangt wird? Wer diese Frage bejaht, giebt sich das unwiderlegbare Zeugniß, daß er die niederen Volksschichten nur von Hörensagen kennt. Sollten nicht viele meiner Leser schon recht oft von ungebildeten um Aufklärung und Lösung derartiger Räthsel angegangen worden sein? Setzen wir nun einmal den Fall, der Empfänger eines gerichtlichen Schriftstückes wohnt auf einem abgelegenen Dörfchen. Der Schullehrer ist vielleicht der einzige Schriftgelehrte im Ort, und man wird zugeben, daß auch dieser, daß selbst ein Geistlicher oder Gutsherr nicht immer die gewünschte Auskunft zu geben im Stande ist oder Lust dazu hat. Und ferner: ist es im besten Falle für einen ohnehin schon bedrängten Verklagten wohl angenehm, einem Fremden einen Einblick in seine Verhältnisse gestatten zu müssen? Viele sonst hochgebildete Nichtjuristen würden wohl nicht im Stande sein, genügende Auskunft darüber zu geben, was Editions- und Adcitationsgesuche sind, von denen doch in einer ganz einfachen Vorladung zu einem Termin gesprochen wird. Sollte daher die Dunkelheit und Unverständlichkeit der Gerichtssprache nicht recht häufig zum mindesten etliche unnöthige Wege, z. B. in die meilenweit entfernte Stadt, in der das Gericht seinen Sitz hat, auch hin und wieder eine falsche Maßnahme, eine Versäumung nothwendiger Schritte und die sich daraus ergebenden Nachtheile zur Folge haben?

[650] Die Heimlichthuerei, die zopfig-verschnörkelte, unfaßbare Sprache der Gerichte ist aber nicht blos eine peinliche Unbequemlichkeit, führt nicht blos oftmals zu Benachtheiligungen der Betheiligten, sondern sie hat auch noch tiefer liegende sittliche Bedenken. Niemals wird sich bei der gegenwärtigen Geschäftsordnung ein rechtes Vertrauen zu Gesetz und Recht bei dem gemeinen Manne einbürgern. In den sprachlichen Wendungen „einen Proceß gewinnen, einen Proceß verlieren“, oder wie es in der Volkssprache heißt „verspielen“, findet sich deutlich genug ausgeprägt, daß das sprachbildende Volk eine Proceßsache mehr oder weniger als ein Glücksspiel aufzufassen gewohnt war, während doch eine einfache Klage ein rein geschäftlicher Vorgang ist.

Wie viele Rechtsstreitigkeiten um nichtige Dinge würden ferner vermieden werden, wie viel aussichtslose Appellationen an eine höhere Instanz würden unterbleiben, wenn der Geschäftsgang der Gerichte klarer, ich möchte sagen: durchsichtiger wäre! Nur die eine Hoffnung, daß er das Glück haben könne, das Gewinnloos zu ziehen, treibt oft den Menschen an, eine Klage, eine Appellation zu unternehmen, selbst wenn ihm sein gesunder Menschenverstand sagt, daß das Unrecht auf seiner Seite ist.

Man sollte überhaupt meinen, daß die streitenden Parteien berechtigt wären, für ihr Geld eine volksthümliche Behandlung ihrer Sache zu verlangen, ja daß es im Interesse der Gerichte selbst liege, auf ihrem Gebiete das Volk zur Selbstthätigkeit anzuleiten. Statt dessen zwingt die Dunkelheit der gerichtlichen Geschäftssprache dasselbe, bei der geringfügigen Sache seine Zuflucht zu einem Rechtsanwalt zu nehmen. Das ja eine neue, nicht zu rechtfertigende Besteuerung der ohnehin schon meist genug bedrängten Parteien.

Und doch sind die noch am besten daran, welche in ihrer Bedrängniß gleich an die rechte Schmiede, das heißt zu einem Rechtsanwalt gehen. Schlimmer ergeht es meist denen, welche ihre Unberathenheit einem Winkeladvocaten in die Krallen treibt. Das Geschäft dieser dunklen Ehrenmänner ist meist doppelter Art. Die unschuldigere derselben ist die Anfertigung von Klagebeantwortungen und ähnlichen Schriftstücken, sowie die Ertheilung von Rathschlägen. Sie pflegen dabei wie medicinalpfuschende Barbiere und sonstige Wunderdoctoren ihre Unwissenheit mit Erfolg hinter einigen Dutzend richtig oder falsch gebrauchten zunftmäßigen Kunstausdrücken, wie wir sie oben aufgeführt haben, zu verstecken. Die Vergütigung, welche sie dafür beanspruchen, wird meist nicht hoch sein, sich aber nicht nach einer bestimmten Taxe, sondern nach der größeren oder geringeren Unerfahrenheit des Kunden richten. Das Schlimmste, was diesem bei solcher Handhabung des Geschäfts begegnen kann, ist, daß er einen falschen Rath bekommt, oder daß seine Eingabe, wie durch neuerliche Verfügungen des preußischen Justizministeriums bestimmt wird, ganz unberücksichtigt bleibt.

Die Herren „Commissionäre“ oder „Volksanwälte“ haben aber zuweilen noch daneben eine andere Art, ihr Gewerbe zu handhaben. Ihre Beschäftigung giebt ihnen Gelegenheit, den Kunden gehörig auszufragen und sich genaue Kenntniß von seinen Vermögensverhältnissen, von seiner augenblicklichen Lage und ähnlichen Dingen zu verschaffen, welche Gelegenheit zur Einmischung in gewinnsichtiger Absicht bieten. Ist trotz der augenblicklichen Verlegenheit des Betreffenden noch etwas bei ihm zu holen, so wird er beispielsweise durch wucherische Darlehne, durch Verlockung zu leichtsinnigen Verkäufen, die dann zuweilen gegen Reugeld rückgängig gemacht werden und durch hundert andere abgefeimte Schliche gehörig hineingeritten. Entspinnt sich daraus, wie es nicht selten der Fall ist, ein Proceß zwischen dem Winkeladvocaten und dem Winkelclienten – also Habicht contra Gimpel, wie es in dem oben citirten Rechtsbeistand heißen würde, – so gewinnt gewöhnlich, vermöge seiner überlegenen Geschäftsgewandtheit, der in alle Kniffe der Rechtsverdrehung eingeweihte Ehrenmann, und der arme Gimpel wird unter dem Scheine des Rechts, ja unter dem Schutze des Gesetzes, ganz gehörig gerupft. Wer die Handlungsweise dieser Menschen, die in jedem kleinen Neste zu finden sind, erschöpfend schildern wollte, müßte ein Buch schreiben, und das Material dazu wäre nicht schwer aufzutreiben. Ein solches Buch würde ein Stück wahrer Leidensgeschichte des armen Volkes enthalten.

Es kann mir nicht einfallen, den Gebrauch von Fremdwörtern allein für dieses Unwesen verantwortlich machen zu wollen; man wird mir aber zugeben müssen, daß der Mangel an Gemeinverständlichkeit, an dem das ganze Gerichts-Verfahren noch immer krankt, ein recht treuer Bundesgenosse der unsauberen Zunft ist. Und kann es wohl einem gewissenhaften Richter gleichgültig sein, wenn er zu Ungunsten eines auf oben beschriebene Weise Hineingefallenen und zu Gunsten eines Betrügers entscheiden muß, der sich durch den Buchstaben des Gesetzes gedeckt hat?

Man darf sich nun freilich keineswegs verhehlen, daß die hier empfohlene Vereinfachung der Kanzleisprache ihre großen Schwierigkeiten haben wird. Nicht für jedes Fremdwort dürfte sich ein gleich kurzer, gleich schlagender, völlig gleichbedeutender deutscher Ausdruck finden lassen. Man wird also etwa nach der von Daniel Sanders vorgeschlagenen Regel verfahren können, wonach völlig eingebürgerte, d. h. auch dem gemeinen Manne verständliche Fremdwörter, für welche sich nicht gut ein passender deutscher Ausdruck darbietet, immerhin beibehalten werden mögen. Aber selbst dieses zugestanden, werden sich noch hunderte von gerichtlichen Kunstausdrücken oben erwähnter Art finden, welche ohne Bedenken ausgemerzt und durch gut deutsche Wörter ersetzt werden können, wenn man nur mit dem nöthigen guten Willen und mit rechtem Ernst an die Sache herantreten will.

Man wird bei etwaigen Besserungsversuchen am natürlichsten von einer reinigenden Durchsicht der sämmtlichen für den Verkehr der Behörden mit dem Volk bestimmten Formulare ausgehen. Der einzelne Beamte kann eigenmächtig gar nichts oder so gut wie gar nichts zur Steuerung des Unwesens thun. Die Sprachreinigung, die ich hier empfehlen möchte, muß unbedingt von oben herab bewerkstelligt werden, und zwar mit einem Schlage, wie bei der Post, deren geschicktes Verfahren bei Erledigung derselben Sache den mit der Aufgabe zu Betrauenden zum Vorbilde dienen könnte. Verfügungen und Erlasse der Ministerien, welche den Gerichtsbeamten anempfehlen und einschärfen, daß sie sich einer möglichst verständlichen Sprache bedienen sollen, würden wenig nützen, so lange das Unkraut noch in den Formularen wuchert. Gott bessere es!
Dr. Gustav Dannehl.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Philander von Zesen