Die Tauben im Dienste des Mars

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Autor: F.
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Titel: Die Tauben im Dienste des Mars
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 714–718
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Tauben im Dienste des Mars.

Es läßt sich wohl zweifellos behaupten, daß unsere heutigen Haustauben den Weg nach Deutschland allein vom Morgenlande her gefunden haben. Nur theilweise wurden sie direct über Griechenland und Italien eingeführt, wobei die Annahme nicht ausgeschlossen bleibt, daß einzelne Taubenarten durch die Mauren von Spanien her, oder durch den Handel zur See über die Niederlande und von hier schließlich selbst über östliche deutsche Häfen zu uns gelangt sein können. Ebenso kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die ersten Haustauben, welche nach Deutschland kamen, von weißer Farbe gewesen sind, und es darf auch wohl als berechtigt (? die Red.) erscheinen, wenn man die Bezeichnungen: „die Taube“, „den Taubert“ mit dem althochdeutschen Worte „Dagobert“ in Verbindung bringt, was den Tag-hellen, den Licht-hellen bezeichnet. Erst aus Taube und Taubert sind dann die niederdeutschen Worte: „Duvu“, „Duwert“ entstanden.

Die Taube ist im Morgenlande von altersher als Hausthier gepflegt worden, es geht dies unter anderm daraus hervor, daß schon die Taube Noah’s durchaus eine gezähmte gewesen sein muß, denn eine wilde Art hätte die Freiheit benutzt und wäre nicht wieder zu der Arche zurückgekehrt. Auch im Sanskrit, einer Sprache, welche Tausende von Jahren vor der christlichen Zeitrechnung gesprochen worden ist, finden sich gegen dreißig verschiedene Namen für sicherlich unterschiedliche zahme Taubenarten. Das Gleiche gilt für die alte persische Sprache, in welcher sich ebenfalls über ein Dutzend Bezeichnungen für Haustauben vorfinden, und auch Aegypten liefert in seiner Hieroglyphenschrift den Beweis, daß die Tauben 3200 Jahre vor Christi Geburt als Haustiere bekannnt gewesen sind. – Abgesehen von der Erwähnung der Tauben in der Bibel gelegentlich der Sündfluth, wird derselben noch öfters an anderer Stelle gedacht, und werden speciell solche von weißer Farbe als besonders zum Opfer geeignete Thiere erwähnt. Die weißen Tauben spielen aber auch in der Götterlehre anderer alter Völker eine hervorragende Rolle, namentlich bei Ausübung des Cultus der Venus, und kann von diesen Tauben sogar behauptet werden, daß sie die ersten Brieftauben gewesen sind, abgesehen davon, daß gelegentlich der griechischen Kampfspiele Tauben benutzt worden sind, um Freunden und Verwandten den Ausfall der Wettkämpfe so schnell wie möglich zu melden, und zwar durch Briefe, die man den in’s Theater mitgenommenen Vögeln anheftete, ehe sie, direct vom Zuschauerraum aus, freigelassen wurden.

Daß diese Tauben abgerichtet gewesen und nicht allein ihrem Instinct folgten, welcher sie trieb, der Heimath zuzufliegen, geht wohl aus der Art und Weise hervor, wie die Priester der Aphrodite die Tauben benutzten, um sich selbst und der Göttin der Liebe das nöthige Ansehen zu geben. Der Venusdienst verlangte nämlich unter Anderem, daß die Abreise der Göttin von Sicilien nach Libyen alljährlich festlich begangen werde, bei welcher Gelegenheit die in dem dortigen Tempel gepflegten weißen Tauben freigegeben wurden, um unter Anführung einer rothen, vielleicht mit Purpur gefärbten Schwester, welche die Göttin der Liebe selbst vorstellte, dem Meere zuzufliegen. Nach neun Tagen kehrten die Tauben dann wieder zum Tempel zurück.

Dieses Spiel ist wohl nicht anders zu erklären, als durch einen kleinen Betrug, der darin bestand, daß die Priester Tauben [715] fliegen ließen, welche an einem anderen Orte, vielleicht bei einem Amtsbruder zu Hause waren und erst vor dem Abflug in das Heiligthum der Venus gebracht wurden. Die Tauben dagegen, welche nach neun Tagen zurückkehrten, waren in dem Tempel selbst zu Hause; sie wurden rechtzeitig fortgetragen und von einem Eingeweihten an anderem Orte aufgelassen, von dem sie nach ihrem Wohnorte, dem Tempel, wieder heimflogen.

Nichts mehr und nichts weniger sind auch heutzutage unsere Brieftauben zu leisten im Stande; sie müssen an einem Orte völlig heimisch sein, um, dann fortgeschickt und an einem anderen mehr oder weniger weit entfernten Platze in Freiheit gesetzt, zur Heimath zurückzukehren. Die Heimathsrichtung muß hierbei stets dieselbe bleiben, und können daher Tauben zum Postdienst, mit genügender Sicherheit des Erfolges, nur zwischen vorher bestimmten Orten gebraucht werden, deren Route den Vögeln durch stückweises, immer fortschreitendes Einlernen eingeprägt worden ist.

Es ist zwar schon öfter vorgekommen, daß Tauben auf weite Entfernungen ohne jede vorherige Dressur und Kenntniß des einzuschlagenden Weges in ihre alte Heimath zurückgekehrt sind, hierbei ist aber auch stets constatirt worden, daß diese Tauben tagelang unterwegs geblieben sind, Tausende von Meilen geflogen und erst nach langem Suchen, vielleicht auch dann nur zufällig, den gewohnten Schlag wieder gefunden haben.

Ob nun die Tauben der Venus Cypria, die Brieftauben der Griechen und Römer, die Tauben, welche Ende des zwölften Jahrhunderts im Orient als Luftboten verwendet wurden, und diejenigen, welcher wir uns heute zu gleichem Zwecke bedienen, derselben Art angehören, läßt sich schwer feststellen, doch ist sicher, daß die Brieftauben des zwölften Jahrhunderts im Orient „Bagdetten“ (von Bagdad) genannt wurden, eine Bezeichnung für eine gewisse Taubenart, die noch augenblicklich, namentlich in England, bis zur Vollkommenheit unter dem Namen „Carrier“ – d. h. Bote – gezüchtet wird und als Stammvater der jetzigen Brieftauben angesehen werden muß.

Auf ganz kurze Entfernungen wird jede Taube in ihren einmal gewohnten Schlag zurückkehren, zu weiteren Entfernungen dagegen braucht sie eine größere Ausdauer, ein ausgesprochenes Flugvermögen; und außerdem bei schwierigem Terrain, d. h. im Gebirge und beim Durchfliegen ausgedehnter Wälder, ein weitsehendes Auge und stark ausgeprägten Orientirungssinn. Diese letzteren Eigenschaften sind beziehungsweise den Carriern, Tümmlern und Mövchen besonders eigenthümlich, und sind durch gewisse Kreuzungen dieser Taubenarten bestimmte Brieftaubentypen gezüchtet worden, welche sich ungefähr in derselben Weise unterscheiden lassen, wie z. B. ein in Gradis gezüchtetes Rennpferd von einem in Trakehnen gezogenen Carossier.

Die beiden hauptsächlichsten Brieftaubentypen, welche augenblicklich auch zur Zucht der deutschen Militärbrieftauben benutzt werden und welche durchaus als constant gewordene Rassen angesehen werden müssen, sind die Antwerpener Brieftaube, ein Kreuzungsproduct von Carrier und Tümmler, und die Lütticher Brieftaube, deren Stammeltern auf Tümmler und Mövchen zurückzuführen sind. Erstere Art zeichnet sich durch Ausdauer und großes Flugvermögen aus – Eigenschaften der Stammrassen –; leztere besitzt einen vortrefflichen Orientirungssinn – ein Erbtheil des Mövchens –, der auch vorhält, selbst wenn sie vor ihrer Reise Wochen hindurch eingesperrt gehalten worden ist.

Die beigegebenen Abbildungen lassen die äußerliche Verschiedenheit der Stammeltern unserer Brieftauben und dieser selbst auf den ersten Blick erkennen, und bleibt es wunderbar, wie der Einfluß des Menschen, die fortschreitende Cultur, Klima und Nahrung auf das Urgeschlecht der wilden Tauben eingewirkt haben müssen, um so verschiedenartige Gebilde hervorzubringen, wie sich dieselben z. B. in der Feldtaube – jedenfalls der ältesten Art unserer zahmen Tauben –, im Carrier, im kurzschnäbligen Tümmler und im Mövchen aussprechen.[1]

Wie schon zuvor erwähnt, wird die deutsche Brieftaube aus Antwerpener und Lütticher Tauben gezüchtet. Auf die specielle Wahl der Zuchtthiere muß man aber noch ein ganz besonderes Augenmerk richten; denn es kommt bei der Zucht darauf an, alle nur möglichen guten und ausgezeichneten Eigenschaften auf ein Individuum zu übertragen, um auf diese Weise ein Material zu gewinnen, welches auch den höchsten Anforderungen entspricht.

Hier liegt wiederum der Vergleich mit unseren Rennpferden nahe. Auch bei der Zucht der letzteren wird seit langer Zeit ebenso verfahren. Dort hat ein Hengst ein Rennen gewonnen und dabei eine enorme Leistungsfähigkeit gezeigt, hier hat eine Stute Unglaubliches bei Ueberwindung von Hindernissen geleistet. Die Nachzucht beider wird sicherlich gute Steeple-Chaser geben. Bei den Tauben dagegen hat ein Taubert eine weite Strecke in kurzer Zeit durchflogen; eine Täubin ist in schwierigem Terrain bei höchst ungünstiger Witterung, wenn auch vielleicht langsam, so doch sicher, in den Schlag zurückgekehrt. Die Brut beider wird gewiß schnelle und sichere Reisetauben liefern.

Außerdem müssen bei richtiger Auswahl der zu verpaarenden Tauben Größe und Figur übereinstimmen und dunkel befiederte Tauben mit hellgefärbten vereinigt werden, da es darauf ankommt, dunkelfarbige Tauben zu ziehen, welche mehr als die hellgefärbten vor den Nachstellungen der Raubvögel gesichert sind.

Es liegt auf der Hand, daß die Auswahl des Zuchtmaterials nicht nur eine große Kenntniß der Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Tauben erfordert und daß dieselbe nur durch Sachverständige gehandhabt werden kann, sondern daß auch eine umfassende Controlle ausgeübt werden muß, welche stets gestattet, den Stammbaum der Tauben zu verfolgen und die zusammengepaarten Tauben auf dem Zuchtboden zu beaufsichtigen, die Nachkommen zu bezeichnen etc.

Da sich nun die Brieftauben in Farbe und Zeichnung mehr oder weniger gleichen und Abzeichen derselben nicht leicht genau zu beschreiben sind oder sich häufig wiederholen, so sind die Tauben [716] in den Stamm- und Brutlisten nur nach der Nummer aufgeführt, und trägt jede Taube ihre Nummer mehrfach auf die Schwungfedern gedruckt, was alle Jahre zur Mauserzeit wiederholt, auch öfters revidirt werden muß. Tauben, welche an ein und demselben Orte stationirt, aber auf verschiedene Richtungen abgerichtet sind, tragen diese Nummer auch in verschiedener Farbe. Geht eine Taube verloren, so wird an ihrer Stelle keine neue Taube mit derselben Nummer eingetragen, da sonst die Controlle aufhören würde.

Um die Militärbrieftauben als solche weiter zu kennzeichnen, druckt man auf ihre Federn neben der Nummer noch den Stempel M. B. S. (Militärbrieftauben-Station) und die Route, für die sie abgerichtet und eingeflogen sind, z. B. für Hamm nach Köln, für Mainz nach Metz etc. (Vergl. unsere Abbildung S. 717.) Junge Tauben dagegen werden zuerst mit den Nummerstempeln ihrer Eltern, und erst nachdem sie mehrfach von Uebungsflügen zurückgekehrt sind, auch ihr Geschlecht sicher festgestellt ist, mit der laufenden Nummer versehen.

Zur Vermeidung aller Zweifel trägt auch jeder Nestbehälter, von welchen für jedes einzelne Paar Tauben je einer auf den Heimathsstationsschlägen vorhanden ist, auf einer Tafel dieselben Nummern, wie die darin nistenden Tauben. Diese Nestbehälter, welche in zwei bis drei Reihen über einander an den Seiten des Taubenbodens entlang laufen, sind derartig eingerichtet, daß sie unter einander völlig getrennt liegen, auch durch eine Gitterthür verschlossen werden können.

Nestbehälter in einer Militärbrieftauben-Station.

Sitzstangen in einer Militärbrieftauben-Station.

In diesen Räumen, welche auch dazu benutzt werden, Tauben zum Paaren abzusperren, stehen zwei Nestgefäße von gebranntem Thon, da die Tauben sich gewöhnlich schon zu einer wiederholten Brut anschicken, ehe die Jungen das Nest verlassen haben. (Vergl. die obenstehende Abbildung.)

Damit die Thierchen auch außerhalb der Nestbehälter sitzen können, sind im Schlage Sitzstangen angebracht, welche jedoch mindestens zwanzig Centimeter von den Wänden abstehen müssen, da die Tauben sonst sich die Federn an denselben scheuern würden. Auch diese Sitzstangen sind durch aufrechtstehende Brettchen gleichsam in Abschläge getheilt, um zu verhüten, daß sich die Tauben unter einander beißen und raufen, wodurch sie sich leicht beschädigen und in ihrem Flugvermögen beeinträchtigen könnten. (Vergl. die obenstehende Abbildung.)

Aus demselben Grunde ist auch der ganze Taubenschlag durch Gitter mit Gitterthüren, welche nur Durchlauföffnungen mit Schiebern zur Verbindung und beliebigen Absperrung der einzelnen Abtheilungen besitzen, in einzelne Abschnitte getheilt. Dank dieser Einrichtung können die Tauben weder den ganzen Schlag durchfliegen, noch sich in demselben herumjagen, durch welches Gebahren ebenfalls leicht Flügelbeschädigungen eintreten.

Auch für gehöriges Licht und ausgiebige Ventilation muß in den Taubenschlägen gesorgt sein. Die Fensteröffnungen sind jedoch außer durch Scheiben auch noch durch Drahtgitter zu schließen, damit unter allen Umständen genügende Sicherheit gegen Raubthiere, Marder, Iltis etc. vorhanden ist.

Zum Einfliegen der Tauben sind an den Heimathsstationen Kasten angebracht, welche nach Belieben geöffnet und geschlossen werden können, jedoch noch eine besondere Einrichtung haben, welche zuläßt, daß die Tauben nur in den Schlag herein, aber nicht wieder heraus können. Letztere Einrichtung ist noch mit einem Controllapparat und einer elektrischen Signalglocke verbunden, wodurch ermöglicht wird, daß eine Taube, sobald sie von der Reise zurückkehrt und den Schlag betritt, sich gewissermaßen selbst ankündigt und einen Wärter herbeiruft, der andernfalls fortdauernd auf dem Taubenboden anwesend sein müßte, um den Vögeln die Depesche abzunehmen.

Die Außenstationen, das heißt diejenigen Taubenschläge, auf welchen Tauben aufbewahrt werden, die, gelegentlich in Freiheit gesetzt, zu ihrer Heimathsstation zurückfliegen sollen, unterscheiden sich von Letzteren dadurch, daß sich in denselben keine Nestbehälter, sondern nur Sitzstangen befinden. Auch werden die Tauben hier nach Geschlechtern getrennt eingesperrt, damit sie nicht etwa durch Eiererzeugung für eine Reise unbrauchbar werden. Ebenso sind in diesen Taubenschlägen auch keine Ausflugkasten vorhanden, die Fenster derartig angebracht, daß die Tauben nicht hinaussehen können, da sie sich andernfalls die Umgegend einprägen würden, was sie vielleicht veranlassen könnte, später nicht die Reise in die Heimath anzutreten, sondern auf der Außenstation zu verbleiben.

Die Sorge um die junge Taube beginnt, sozusagen, schon mit dem Lege des ersten Eies. Dieses legt die Täubin etwa am elften Tage nach der Paarung in das Thonnest, welches zuvor nur mit wenigen Strohhalmen oder Reisern ausstaffirt worden ist. Das zweite Ei folgt zwei Tage später, und die ganze Brutzeit, während welcher der Taubert die Gattin täglich von zehn Uhr Vormittags bis vier Uhr Nachmittags ablöst, dauert circa achtzehn Tage. Die Jungen sind anfangs blind und nur mit Flaum bedeckt, und erst nach sechs bis sieben Tagen sehen sie; dann beginnen ihnen auch die Federn zu wachsen, und im Alter von fünf bis sechs Wochen sind sie flügge und verlassen das Nest. Zur Erzielung eines kräftigen Nachwuchses aber wird das schwächere Junge, sobald sich der Kraftzustand beider constatiren läßt, getödtet.

Die Tauben mausern, wie schon erwähnt, alle Jahre einmal und sind während dieser Zeit nicht recht reisefähig. Junge Thierchen – bereits im Alter von zwei Monaten – wechseln die Federn; mit dem vierten bis fünften Monat ist jedoch die Mauserung völlig beendet, und können von dieser Zeit ab Flugübungen mit den neuen Recruten vorgenommen werden. Dies geschieht aber nur mit denjenigen Tauben der ersten Brut, welche im zeitigen Frühjahr ausgekommen, und später erbrutete Thiere warten mit ihren Exercitien bis zum nächsten Jahr. Im ersten Jahr der Dressur werden die Tauben nur auf 40 bis 60 Kilometer Entfernung, im darauf folgenden bis zu 100 Kilometer von der Heimathsstation aufgelassen. Aeltere Tauben werden dagegen auf Reisen bis zur doppelten Entfernung erprobt. Nach jeder einzelnen Reise müssen sie jedoch wieder einige Tage in dem Heimathsschlag belassen werden, um in ihnen den Heimathssinn rege zu erhalten.

Wenn indessen letzterer sowie ihre große Gattenliebe sie auch nach dem alten gewohnten Schlag zurücktreibt, so können sie denselben doch nur dann wiederfinden, wenn sie auf die einzuschlagende Richtung dressirt worden sind. Die Fähigkeit der Tauben, ihre Heimath stets wieder zu finden, dürfte namentlich auf der Einprägung der Himmelsrichtung beruhen, wenn auch sicherlich das Wiedererkennen – selbst aus größerer Entfernung – einer einmal durchflogenen Gegend bei der Rechnung nicht außer Acht gelassen werden darf.

[717]

Deutsche Militärbrieftauben.
Für die „Gartenlaube“ nach der Natur gezeichnet.

Bei allen Abflügen von der ersten bis zur letzten Uebungsstation, welche vorher, um die Ausbildung ganz systematisch zu betreiben, in einem Flugprogramm zusammengestellt werden, muß daher der aus Weiden geflochtene Reisekorb, in welchem die Tauben transportirt werden, stets nach der Himmelsrichtung hin, in welcher die Heimath liegt, geöffnet werden, damit die Tauben jedesmal unwillkürlich dieselbe Direction einschlagen. Das Auflassen darf aber auch nur bei günstigem Wetter erfolgen, da Regen, Nebel, starker Wind u. dergl. m. die Tauben immer behindern, die einzuschlagende Himmelsrichtung zu finden oder doch festzuhalten.

Sind die Tauben auf kürzere Entfernungen sicher eingeschult, so wird zu weiteren Uebungen übergegangen; ältere Tauben, die auch von diesen zurückgekehrt, werden schließlich Dauerversuchen unterworfen, d. h. man sperrt sie bis zu sechs Wochen auf einer Außenstation ein, ehe sie zur Rückkehr in die Heimath aufgelassen werden. Das Auflassen selbst aber hat stets aus einem Reisekorb stattzufinden, der an einem möglichst hochgelegenen freien Orte aufgestellt wird.

Ein systematisches Reiseprogramm enthält Entfernungen von 7, 15, 30, 50, 70, 90, 120, 150 etc. Kilometer, und bei den [728] Dauerversuchen pflegt man den Tauben auch eine Depesche an eine Schwanzfeder zu heften, wie dies für den Ernstfall vorgesehen ist.

Als Futteral für die Depeschen dient der Kiel einer stärkeren (Gänse-)Feder, in welchen die Depesche, auf feines Papier oder auf ein Collodiumhäutchen geschrieben, gedruckt oder durch Mikrophotographie auf Letzteres gebracht, gesteckt wird. Die Oeffnungen des Kiels sind durch Wachspfropfen zu schließen, um das Hereindringen von Feuchtigkeit zu verhindern; der Kiel selbst aber wird sorgfältig an einer der mittleren Schwanzfedern der Taube, mittelst fester Faden, wie es die Abbildung (S. 717) zeigt, befestigt. Letztere Arbeit ist sehr sorgfältig auszuführen, da hierbei leicht die Schwanzfeder in ihrer Hautfalte gelockert werden, beim Fliegen der Taube herausfallen und mit ihr die Depesche verloren gehen kann. Um derartige Zufälligkeiten nach Möglichkeit zu verhindern oder doch zu beschränken, werden im Ernstfall stets mehrere Tauben mit derselben Depesche abgesandt; denn es dürften ja Verluste der geflügelten Couriere selbst eintreten, indem sie einem Raubvogel, vielleicht sogar einem vom Feinde abgerichteten, zur Beute fallen oder dem Blei eines wachsamen feindlichen Postens erliegen könnten.

Doch die zarten Boten der Luft, welche im Laufe der Zeit aus dem Dienste der Venus in das rauhe Lager des Mars übergehen mußten, werden bei der einsichtsvollen Schulung, welche sie in Deutschland genießen, schon nach Möglichkeit ihre Pflicht und Schuldigkeit thun. Bis jetzt hat freilich unsere Kriegsgeschichte noch keine Erfolge auf dem Gebiete des Brieftaubenwesens aufzuweisen, hinter den Leistungen aber, zu welchen die französischen Brieftauben sich während der Belagerung von 1870 bis 1871 aufgeschwungen haben – hinter diesen Leistungen werden auch die jüngeren deutschen Schwestern sicherlich nicht zurückbleiben.

Vorläufig eine gründliche, unermüdliche Friedensschulung – vielleicht später einmal eine hohe Kriegsleistung!
F.

  1. Manchem Leser dürfte die folgende genaue Beschreibung der einzelnen Rassen nicht uninteressant sein:
    Der Carrier ist eine Taube von imposanter Figur; trotz seines breiten Rückens und der starkknochigen, eckigen Formen, macht er in Folge seiner hohen Ständer und seines verhältnißmäßig dünnen und langgestreckten Halses einen höchst eleganten Eindruck. Das meist einfarbige Gefieder liegt knapp und eng an dem Körper an, und markiren sich daher namentlich die volle, breite Brust, sowie die Schulterknochen ganz besonders, wodurch es auch den Anschein gewinnt, als ob die sich eng anschmiegenden Flügel tief in die Brust hineinhingen. Besonders auffallend erscheint der Kopf dieser Taubenart, der rechtwinkelig gegen die Halswirbel angesetzt ist und rücksichtlich seiner anderweitigen Eigenschaften, auch im Vergleiche zu der Gesammtgröße des Vogels gewissermaßen klein erscheint. Der Kopf zeigt zwar eine hohe, aber doch stark geneigte schmale Stirn, welche letztere mit dem kräftigen, bis zum Mundwinkel fünfundzwanzig bis dreißig Millimeter langen Schnabel fast eine gerade Linie bildet. Der Schädel ist geradlinig, langgestreckt und fällt zum Nacken hin eckig ab. Die Nasenhaut, der Mundwinkel, auch der Unterschnabel tragen einen runzligen, aufgerichteten, warzigen Fleischauswuchs, der am Oberschnabel überhängt und etwa auf der Hälfte desselben spitz ausläuft. Ebenso umschließt das feurige, mit rothgefärbter Iris versehene Auge ein breiter Warzenring, der bei älteren Tauben mitunter das Auge überhängt.
    Der Tümmler kommt in den verschiedensten Varietäten vor und zeigt in seiner äußeren Gestalt seinen ganz beständigen Typus: im Allgemeinen unterscheidet man: kurzschnäblige und langschnäblige Tümmler, und nach Art ihres Flugvermögens: Ueberschläger oder Bugler – Dauer- und Hochflieger. Allen diesen Arten gemeinsamt ist eine breite Brust, ein volles Gefieder, edle Haltung, lange Flügel, welche beinahe bis zur Schwanzspitze reichen. Das Auge ist groß, die Iris gewöhnlich hellfarbig. Fein gezüchtete Arten haben stets eine beinahe wasserhelle, wenig roth angelaufene Iris, sogenannte Glasaugen. Häufig ist das Auge auch mit einem rothgefärbten Fleischring umgeben. Der Kopf, der auf einem schlanken Halse ruht, ist meist klein und kurz, erscheint eckig, zeigt bei hoher und steiler Stirn einen flachen Scheitel. Der Schnabel, welcher bei kleinen Arten, z. B. beim Weißkopftümmler, bis zum Mundwinkel nur achteinhalb Millimeter mißt, hat dagegen bei den großen Spielarten, z. B. beim Danziger Wolkenstecher, eine Länge von dreiundzwanzig Millimeter.
    Der Dragon, wenngleich nur ein Kreuzungsproduct beider vorbeschriebenen Arten, kann als ein constant gewordener Taubentypus betrachtet werden; er zeigt im Allgemeinen die Figur des Carriers, aber die weicheren Formen des Tümmlers.
    Aus Dragon und weiterer Verpaarung mit dem Tümmler sind die Antwerpener Brieftauben hervorgegangen; auch ihnen steht die Abstammung auf der Stirn geschrieben, und erinnern sie stets mehr oder weniger an eine ihrer Stammrassen.
    Das Mövchen ist im Ganzen kleiner als der Tümmler; es erscheint von Gestalt eckig, wozu namentlich das hervortretende, meist dunkel gefärbte Auge, die vorstehenden Augenknochen, ein breiter Schädel, welcher in seinem hinteren Theil hervorspringt, beitragen. Eine besondere Zierde trägt das Mövchen in dem Jabot auf der Brust, einer Federkrause, welche unter dem starken, kurzen Schnabel beginnt und tief am Körper herunterreicht.
    Die Lütticher Brieftaube, welche, wie ihre Antwerpener Schwester, ihre Abstammung nicht verleugnet, zeigt oft noch die Ansätze zu diesem Jabot, ja weist dasselbe auch mitunter in ausgebildeter Form auf; ebenso trägt sie häufig eine Kappe.