Die Universitäten (1914)

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Autor: Alfred Hillebrandt
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Titel: Die Universitäten
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Neuntes Buch, S. 3–13
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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Die Universitäten
Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Hillebrandt, M. d. H., Breslau


Allgemeines.

Wenn es möglich wäre, in einer Unterrichtsausstellung statt einer Sammlung von darstellenden Werken Zeichnungen und Modellen lediglich den Band des preußischen Unterrichtsetats niederzulegen und dem Besucher seine Zahlen nachhaltig einzuprägen, so würde auch der lebhafteste Gegner Preußens nachdenklich werden. Er würde sich von der Tatsache überzeugen, daß dieses Land, dessen Reichtum Fleiß und Tatkraft seiner Bewohner unter Fürsorge weitblickender Fürsten bilden, in seinem Aufwand für alle Zweige von Unterricht, Kunst und Wissenschaft und ihre organisatorische Gestaltung hinter keiner anderen Kulturnation zurücksteht, ja er würde vielleicht zugeben, daß es sie in mehr als in einer Hinsicht überflügelt hat. Sevin hebt in seinem Buch über Deutschlands Kulturausgaben an der Hand von Zahlen hervor, daß das Bild der Organisation des deutschen Bildungswesens eines seiner wesentlichsten Züge entbehren würde, wenn wir nicht der größten Kulturtat gedächten, die Preußen in Deutschland vollbracht hat.

Als am 18. Juni 1913 die Rektoren der deutschen Universitäten sich in Berlin versammelten, um an den Stufen des Kaiserthrones ihre Glückwünsche darzubringen, erfüllten sie eine Pflicht der Dankbarkeit. Im Geist standen hinter ihnen die Lehrer der deutschen Hochschulen, sonst so verschieden in ihrem Denken und Wirken, an dem Tage aber einig in dem freudigen Rückblick auf eine fünfundzwanzigjährige glückliche Zeit.

Universität und Nation.

Die Universitäten führen kein Sonderleben außerhalb ihrer Nation; sie sind durch den gleichen Pulsschlag von Freud und Leid mit ihr verbunden, und in den Tagen des Ernstes wie des Glückes ist die Nation gewöhnt, sie an ihrer Spitze zu sehen. Der Geist der Nation rinnt durch ihre Herzen, empfängt seine Vertiefung und Formung in den Hörsälen und in den Werken der Dozenten; wie sollten die Glockentöne eines deutschen Jubeltages nicht in den Mauern der Universitäten ein freudiges Echo finden! Sie werden bei der Unabhängigkeit ihrer Lehrer und ihrer Schüler vielleicht weniger erfaßt von dem leichten Wellenschlage des täglichen Lebens und Meinens, aber um so tiefer von dem, [1054] was auf dem Grunde der deutschen Seele klingt, und von den großen Wogen nationaler Geschicke.

Seitdem die gewaltige Tat des Jahres 1870 die widerstrebenden Geister zusammengerüttelt und lange Getrenntes zur Einheit zusammengefaßt hat, war es der deutschen Nation im friedlichen Wettbewerb beschieden, zu zeigen, was ihre Kraft vermag, wenn sie sich in inneren Kämpfen nicht verblutet und ein einheitlicher Wille unter dem goldenen Reif der Kaiserkrone ihre Geschicke lenkt. Durch Handelsverträge und geeignete Zollmaßnahmen geschützt, haben Fleiß und Tatkraft sie zu einer materiellen Höhe emporgeführt, die sie nie zuvor gesehen hat. In der Geschichte der Universitäten spiegelt sich, wie Döllinger einst lehrte, der Charakter und die durch ihn bedingte Entwicklung der Nationen ab. Sie reflektierten die materiellen wie geistigen Strömungen der Zeit, und so haben sie in der allgemeinen Wohlfahrt unseres Landes auch ihre Wohlfahrt gefunden und sind dankbar für die erhöhte Fürsorge, die der Staat ihnen auf allen Gebieten zugewendet hat und jetzt zuwenden konnte. Die ordentlichen Ausgaben für sie sind innerhalb von 25 Jahren von 9½ auf mehr als 20 Millionen gestiegen, die außerordentlichen von fast 3 auf mehr als 5 Millionen. Im weiten Kranze um die Universitäten gelagert oder zu ganzen Stadtvierteln vereinigt, erheben sich medizinische und naturwissenschaftliche Institute und bezeugen den Geist des naturwissenschaftlichen Jahrhunderts, der in diesen schirmenden Burgen der Arbeit ihrer Forscher und der Vorbereitung der akademischen Jugend zu wissenschaftlichem Denken eine Stätte gewährt. Jeder Jahrgang des Unterrichtsetats, jede Seite des Haushalts einer einzelnen Universität gibt Kunde von der staatlichen Fürsorge, die in Tausenden von kleinen Kanälen durch das akademische Leben rinnt, fachliche und persönliche Dinge umfaßt, ideale und materielle Bestrebungen fördert und neuerdings die Leibesübungen der akademischen Jugend durch Sport und Spiel im Auge gefaßt hat; Turnhallen oder Spielplätze werden eingerichtet, Vereinen, die in ihre Statuten den Rudersport aufgenommen haben, die äußern Sorgen erleichtert und bei akademischen Wettspielen Siegeskränze und Ehrenpreise gewährt.

Wissenschaft und Universität.

Der Etat der Universitäten läßt sich nicht von dem Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ trennen, das den allgemeinen wissenschaftlichen Anstalten oder Unternehmungen gewidmet ist; denn die großen Erfindungen und Entdeckungen der neuen Zeit üben ihren größten und unmittelbaren Einfluß auf die akademischen Forscher und ihren Unterricht. Was an neuen Gedanken gewonnen oder von den Schätzen der Vergangenheit durch den Spaten der Gegenwart wiedergegeben ist, findet durch Mitarbeit und Lehre alsbald seinen Weg zur akademischen Jugend. Die Ergebnisse der Polar- und Tiefsee-Expeditionen bringen neue Gedanken in die Hörsäle der Geographen und Zoologen, die glänzenden Funde der preußischen Turfanexpedition befruchten die Religionswissenschaft, die Linguistik, Orientalistik und Ethnographie, die Fortschritte der Bakteriologie dringen in die klinischen Institute und verbreiten als angewandte Wissenschaft ihren Segen bis in die Hütte des kleinsten Mannes. Die Einrichtung von Kursen über religiöse Kunstpflege, der Zuschuß zu dem Septuaginta-Unternehmen der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, die [1055] Ausgrabungen des römischen Kaiserpalastes in Trier, die auf der Saalburg, in Ägypten, Kleinasien, Mesopotamien, der Zuschuß zur Sammlung deutscher Volkslieder, die Beihilfe für das Institut für experimentelle Therapie in Frankfurt: wer möchte hier all diese Werke aufzählen, die neue Gedanken anregen und neue Kenntnisse sichern. Sie rufen akademische Kräfte auf den Plan, stellen ihrem Fleiß und Forschertrieb neue Aufgaben, beschäftigen die älteren und schulen die jüngeren Kräfte und leiten, bei der engen Wechselwirkung zwischen Universität und Wissenschaft, den Strom geistigen Lebens durch alle ihre Kreise. Wir wissen, wie sehr all diese Bestrebungen an dem Throne ihren erhabenen Protektor und verständnisvollen Förderer finden. Was immer das Leben der Nation bewegt und die Besten im Volke beschäftigt, darf hoffen, dort Gehör, schnelles Verständnis und die helfende Hand zu treffen, die, wenn nötig, hierfür die Mittel des Staates in Bewegung setzt. Die Gedanken Wilhelm von Humboldts, daß der Staat die Universitäten weder als Spezialschulen behandeln, noch im ganzen von ihnen etwas fordern dürfe, was sich unmittelbar und geradezu auf ihn beziehe, haben in ihrer praktischen Ausgestaltung die Universitäten davor bewahrt, Fachschulen zu werden und ihnen neben der Philosophie, der morum genetrix et magistra eine große Reihe von anderen Wissenschaften, orientalische Sprachen, Kunstgeschichte, Astronomie angegliedert, die von den Bedürfnissen des Tages unabhängig den Charakter der Universitäten als Pflegstätten der reinen Wissenschaft bezeugen und daran erinnern, daß sie nicht bloß Fachschulen sind und sein sollen. Die anfänglich gehegte Besorgnis, daß die in weitausschauender Initiative geschaffene Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Universitäten verdunkeln und ihr geistiges Leben beeinträchtigen könnte, erscheint nicht gerechtfertigt; denn schon jetzt wird eine Wechselwirkung zwischen ihren Instituten und den akademischen Kreisen erkennbar; vielmehr ist zu erwarten, daß die engere Beziehung ihrer Leiter und Arbeiter zu den Landesuniversitäten, zur Kritik und Teilnahme kollegialisch verbundener Amtsgenossen wie zur akademischen Jugend sie selbst vor Erstarrung und bürokratischer Gestaltung bewahren wird. Erst wenn Wissenschaften in dem akademischen Boden der Universität verankert sind und von festen Lehrstühlen her die Möglichkeit haben, sich öffentlich zu verkünden, entfalten sie die Schwungkraft gesteigerter Wirksamkeit und ihre Anziehungskraft. Das zeigt sich an verschiedenen Fällen, um ein Beispiel zu geben, an der Anthropologie und Ethnographie, die trotz ihrer Wichtigkeit in Preußen nur einen, in ganz Deutschland nur zwei Ordinariate besitzt und darum noch der festen Stützpunkte, um die sich wissenschaftliche Kräfte kristallisieren, entbehrt. Wenn der Studentenschaft die Möglichkeit gegeben wird, ihren Interessenkreis zu erweitern und Vertretern dieser Wissenschaft an verschiedenen Hochschulen zu begegnen, wird auch diese hinreichendes Verständnis finden und aus dem beschränkten Leben nahezu musealer Existenz zu einer ihrer Bedeutung entsprechenden allgemeinen Wirksamkeit sich erheben. Die Schätze des Berliner Museums, besser auf die Provinzen verteilt und an ethnographische Professuren an den einzelnen Landesuniversitäten angeschlossen, würden ganz andere Bedeutung und Benutzung finden, auch erheblicher zu dem Verständnis unserer Kolonien beitragen, als in der fast ausschließlichen Pflege von den in Berlin konzentrierten, wenn auch noch so ausgezeichneten Museumsbeamten und Professoren.

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Natur- und Geisteswissenschaften.

Der Zug der Zeit hat sich im allgemeinen den Naturwissenschaften und der Technik zugewendet. Wer wollte angesichts der gewaltigen Beherrschung der Naturkräfte, die die Gegenwart zeigt, angesichts der alles Hoffen überflügelnden Errungenschaften und Wohltaten, die ihren Lichtschein über alle Länder und Völker ausgießen, nicht freudig und willig den neuen Geist anerkennen! Physik und Chemie, Botanik und Biologie, Landwirtschaft und Medizin haben in gleicher Weise Anteil und dürfen sich rühmen, das Weltbild wie das Leben des einzelnen neugestaltet zu haben. Wenn die Jugend sich diesem Zauber willig hingibt, so ist das die selbstverständliche Folge dieser sich täglich offenbarenden und sich nützlich erweisenden Macht. Scheint es doch, soweit man ohne statistische Grundlagen urteilen kann, daß Naturwissenschaften und Medizin selbst hinsichtlich der akademischen Lehrkräfte über ein größeres Angebot und dementsprechend über eine größere Auswahl verfügen, als alle übrigen Wissenschaften, die in manchen Fällen nicht geringe Schwierigkeiten finden, geeignete Männer für die Lehrstühle zu berufen. Die anscheinenden Schwierigkeiten, den Lehrstuhl eines jüngst verstorbenen großen Literarhistorikers neu zu besetzen, bilden nur eins der Beispiele.

Wie könnte es anders sein, als daß dieses Verhältnis auch im Unterrichtsetat zum Ausdruck kommt und der goldene Strom sich dorthin befruchtend lenkt, wo der Geist der Zeit ihm das Bett gegraben hat. Es würde genauer Untersuchungen bedürfen, um festzustellen, wie weit Entwicklung und Herrschaft von Medizin und Naturwissenschaften auch in der Neugründung von Professuren zum Ausdruck gekommen ist. Immerhin kann man darauf verweisen, daß in der rechtswissenschaftlichen Fakultät die Ordinariate seit 1888 von 68 auf nur 78 gestiegen sind[1]; ihr Bestand also, trotz des sich beständig erweiternden Stoffes und der sich verändernden Unterrichtsmethode, zwar nicht nach dem Prozentsatz, aber doch der Wirkung nach fast stationär geblieben ist und nur in der Verdreifachung der Extraordinate eine Ergänzung gefunden hat. Am besten aber vermag die Verschiedenheit, mit der die einzelnen akademischen Institute ausgestattet sind, die Vorherrschaft jener Disziplinen im Kranze ihrer Schwestern zu beleuchten. So verfügt das Chemische Institut in Halle über einen Staatszuschuß von 27 757 M., das Seminar für Jurisprudenz über 600, das Seminar für deutsche Philologie über 300 M. In Bonn steht das Chemische Institut mit 24 629 M. gegenüber dem Juristischen Seminar mit 750 und dem Germanistischen mit 300 M. Selbstverständlich bedingen die Naturwissenschaften ihrem ganzen Wesen nach einen größeren Aufwand sowohl hinsichtlich der Arbeitsmittel als der Arbeitsstätten; manches dringende Bedürfnis bleibt selbst hier noch unerfüllt, aber doch wird eine Darstellung unserer Universitäten nicht an den Wünschen nach Vermehrung der staatlichen Hilfe vorübergehen dürfen, die auf seiten der Geisteswissenschaften hervortreten und im bescheidenen Maße der Erfüllung harren. Von großem allgemeinem Wert verspricht die Neuerung zu werden, die jetzt zuerst die juristische Fakultät dadurch erfahren hat, daß auch bei ihr nach dem bei Naturwissenschaften und Medizin längst bewährten Prinzip, eigene Assistenten zur besseren Ausbildung der Studenten angestellt sind.

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Die Professoren.

Besetzung der Lehrstühle.

In dem ungestörten Frieden eines Vierteljahrhunderts haben die akademischen Lehrer, vom Staat geschützt und gefördert, ihre Saaten ausstreuen und dem Staat ein neues Geschlecht von Theologen, Richtern, Ärzten, Lehrern geben können. Die beiden Grundpfeiler der Universität, Freiheit der Forschung und der Lehre und Selbstverwaltung, stehen unerschüttert. Bisweilen ruft die Neubesetzung der Lehrstühle zwischen den Fakultäten und der vorgesetzten Behörde Meinungsverschiedenheiten hervor, die in wichtigeren Fällen auch ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Solche Differenzen entspringen dem Bewußtsein, daß den Universitäten, wenn auch nicht formell, so doch traditionell die gleiche Verantwortlichkeit für die Auswahl der Lehrer und Führer der Jugend obliege, wie der vorgeordneten Instanz. Die Empfindung, daß eine Nichtberücksichtigung ihres staatlich anerkannten und eingegliederten Organismus für sie eine Verletzung dieses Organismus bedeute, ist als Ausfluß eines über Rechte und Pflichten eifersüchtig wachenden Ehrgefühls trotz gelegentlicher Irrtümer hoch zu bewerten. Die richtige Besetzung der Lehrstühle ist eine schwierige Sache. Examina entscheiden nicht und können nicht entscheiden. Es ist möglich, daß das Ministerium eine geeignetere Wahl trifft als die Fakultät vorgeschlagen hat. Es ist aber auch möglich, daß es dabei eine weniger glückliche Hand zeigt, ja es mag sein, daß beide, Fakultät und Ministerium, sich manchmal gemeinsam irren; im ersten Falle werden die Wellen sich schnell beruhigen, wenn tägliche Beobachtung die Wahl des neuen Amtsgenossen als richtig erweist; im zweiten Falle wird jede Klage eines Studierenden, jeder Fehler des Entsendeten zu neuen Betrachtungen Anlaß geben und alte Wunden aufreißen.

Die Unabhängigkeit der Professoren ist durch die materielle Besser- und Sicherstellung erheblich verstärkt worden.

Nicht nur, daß die Fonds zur Erhöhung der Gehälter vermehrt worden sind; höher ist die Einführung regelmäßiger Gehaltssätze und das Aufrücken von Stufe zu Stufe zu veranschlagen, das dem einzelnen eine von jeder scheinbaren Willkür oder Bitte unabhängige Sicherung seiner Lage gewährt. Die mit dieser Besserstellung verbundene Verkürzung besonders hoher Kollegienhonorare war, wie wohl manchen Anfechtungen ausgesetzt, durch die ausgleichende Gerechtigkeit, wie durch die Tatsache gerechtfertigt, daß die Höhe der Kollegiengelder in vielen Fällen weniger von der wirklichen Tüchtigkeit oder Anziehungskraft des Dozenten als von äußeren Umständen, Mitgliedschaft der Prüfungskommission, Beliebtheit der Universitätsstadt und der privilegierten Stellung selbst abhängt. Ein gänzlicher Wegfall der Kollegiengelder würde aber einen so großen Eingriff in die Eigenheit des akademischen Lebens bedeuten, daß davon ernste Gefahren für die Stellung der akademischen Lehrer, namentlich nach ihrer materiellen Seite hin, zu befürchten wären. Dieser gesicherten Unabhängigkeit der Professoren gegenüber bedeutet es keinen erheblichen Nachteil, wenn ihr Titel, der lange Zeit nur durch literarische Arbeit gewonnen werden konnte und durch sie sein Ansehen empfing, jetzt als Altersprädikat [1058] auf weite Kreise übertragen wird und seine einstige Bedeutung als Merkmal wissenschaftlicher Betätigung verliert und damit an Wert einbüßt.

Literarische Tätigkeit erste Pflicht der Dozenten.

Noch immer aber bleibt die literarische Tätigkeit die erste Pflicht des akademischen Dozenten, durch sie hat er sein Amt, durch sie sichert er das allgemeine, über lokale Wirksamkeit hinausreichende Ansehen der Universität. Es wäre eine Schädigung und ein Merkmal des Niederganges unserer Hochschulen, wenn ein anderer Gesichtspunkt als die wissenschaftliche Leistung (wofür sich auch einzelne Stimmen geltend machen) jemals über die Berufung zum akademischen Lehrer entschiede. Jakob Grimm und Leopold von Ranke waren keine fortreißenden Dozenten. Dennoch strahlt ihr Name noch heut mit unvermindertem Glanz über Berlin, ja über allen Universitäten, Kants unsterblicher Ruhm ist mit Königsberg für alle Zeiten verbunden. Der Professor ist nicht nur um der Studenten willen, sondern ebensosehr um der wissenschaftlichen Arbeiten willen da. Er wäre sonst ein Oberlehrer. Und wir danken es der Regierung unseres erhabenen Herrschers, daß diese Pflicht nicht nur jederzeit anerkannt worden ist, sondern stete Unterstützung und Förderung erfahren, und damit den Hochschullehrern die Möglichkeit gegeben hat, den Universitäten ihre Stellung zu bewahren. Innerhalb ihrer Mauern bringt die Neuzeit mancherlei Bestrebungen zur Geltung, die ihre bisherigen Ordnungen umgestalten. Die außerordentlichen Professoren, vielfach Männer von großer Erfahrung und wissenschaftlichem Verdienste, oft an der Spitze großer Institute oder wichtiger Abteilungen derselben oder Führer neu emporblühender Wissenschaften, haben längst eine Änderung ihrer Stellung erstrebt und wünschen ihren Rat in der akademischen Verwaltung zu betätigen. Manches haben sie erreicht, manches bleibt zu erreichen, mancher Wunsch aber wird in der Praxis, wenn nicht der Unterschied zwischen außerordentlichen und ordentlichen Professoren überhaupt schwinden soll – und das wäre ein sehr fraglicher Fortschritt – unerreichbar bleiben.

Studenten.

Mit uneingeschränkter Genugtuung darf man von dem Geiste sprechen, der unsere Studierenden beseelt. National im vollsten Sinne des Wortes wird die akademische Jugend unserer Zukunft eine sichere Stütze sein und unsere heiligsten Güter wahren. Die große Zeit der Reichsgründung hat für sie die Vorbilder geschaffen, an denen ihre Vaterlandsliebe erstarkt und sich bereichert; die Gegenwart leiht ihr den frohen Optimismus und den Blick in die Ferne. Wie die Ehrentafeln in unseren Hallen die Treue derer bezeugen, die 1813 und 1870 für König und Vaterland fielen, so wird die heutige Jugend in der Stunde der Gefahr sich ihrer Väter würdig zeigen. Die Gerechtigkeit gebietet anzuerkennen, daß die höheren Schulen, die unsere Studierenden vorbereiten, ihres Amtes hierin mit Gewissenhaftigkeit walten und die Möglichkeit nie versäumen, die ihnen anvertraute Jugend in den eindrucksvollsten Jahren auf den Weg der Vaterlandsliebe zu leiten. Die Volksschule muß ihre Zöglinge mit dem 14. Lebensjahre entlassen, [1059] und der in Hoffnung gesäte Same geht nicht in Vaterlandsfreudigkeit auf, sondern verdorrte bisher in dem tiefen Wüstensande zwischen dem 14. bis 20. Lebensjahre und erlag der demagogischen Verhetzung.

Vorbildung der Studierenden.

Die Vorbildung unserer Studierenden hat aufgehört, ausschließlich humanistisch zu sein. Es war ein an hoher Stelle richtig erkanntes Gebot der Zeit, Privilegien abzuschaffen, die anderen Anstalten mit verschiedenem, aber gleich langem und intensivem Bildungsgange den Zugang zu der Universität verwehrten. Die Allerhöchste Verordnung hat die Gleichstellung aller drei Schulgattungen durchgeführt und den einzelnen Formen die Möglichkeit freier Konkurrenz mit ihrer älteren Schwester, dem humanistischen Gymnasium, gewährt. Noch ist kein sicheres Urteil darüber möglich, ob diese Zulassung der Wissenschaft und der Universität selbst nützen wird, deren Lehrer sich einem sehr ungleich vorgebildeten Schülerkreise gegenübersehen; am wenigsten werden sich Schwierigkeiten in Medizin und Naturwissenschaften einstellen, die in gewissem Sinne mit neuem Stoff beginnen, während andere Disziplinen wie Geschichte, Sprachwissenschaft und Recht schon bei Beginn der Studienzeit bestimmte Kenntnisse voraussetzen müssen; es ist klar, daß überall dort, wo es sich darum handelt, Begriffe und Erscheinungen der Gegenwart in die Vergangenheit zu verfolgen, der des Latein und Griechischen Unkundige sich größeren Schwierigkeiten gegenüber befindet und nur der Starke und Befähigte noch imstande ist, nach der Schulzeit das hierin Fehlende nachzuholen. Der wesentlichste Nutzen dürfte dem Realgymnasium und der Oberrealschule selbst erwachsen, die sich von dem Vorwurf und dem Hemmnis befreit wissen, daß ihr Abiturientenzeugnis nur halbe Berechtigung gewähre; praktisch aber dürfte es erst im Lauf der Zeit deutlich werden, zu welchem Studium der Lehrgang der einzelnen Schulen am zweckmäßigsten und gründlichsten vorbereitet hat.

Frauenstudium.

Ein weiterer vom Geist der Zeit geforderter Fortschritt war die Umgestaltung und Ausgestaltung der Mädchenschulen, die längst im Interesse der Frauenwelt eine weitere Vertiefung ihrer Aufgaben erheischten. Auch diese tiefgreifende und fast überall freudig begrüßte Entscheidung hat die Universitäten stark beeinflußt und ihren Schülern eine große Anzahl eifriger und bildungsfroher Mädchen zugeführt, die in ihren Hörsälen eine tiefere und freiere Bildung suchen und finden, als ihnen bisher zuteil geworden ist. Es ist nicht bekannt geworden, daß aus dieser Zulassung ernste Übelstände entstanden sind. Zwar ist nicht zu verkennen, daß die tiefe innere Verschiedenheit beider Geschlechter sich auch in der akademischen Luft nicht verleugnen wird, daß die andere Art, die Dinge aufzufassen und wissenschaftlich zu behandeln, Vorlesung und Übungen einen anderen Charakter aufprägen muß, der den Unterricht leicht auf einen anderen Ton stimmt und nicht allen Dozenten erwünscht ist; solange aber nicht Frauen-Universitäten errichtet sind, gibt es keine andere Möglichkeit, um die in der Frau schlummernden Bildungskräfte zur Blüte und zur Reife zu bringen, als den Zutritt der Frauen zu der Stätte strenger wissenschaftlicher Schulung, [1060] zur Universität. Viele von ihnen, denen der höchste und natürlichste Wunsch ihres Lebens versagt blieb, können hier entsprechend sich zum Weg durch das Leben vorbereiten und ihre Kenntnisse zum Heile des Geschlechts vertiefen; einen tiefer greifenden Einfluß auf die Wissenschaft selbst zu üben, werden nur wenige vermögen, wenn die Natur nicht bereit ist, das Wesen der Frau selbst umzugestalten.

Überfüllung der gelehrten Stände.

Besorgniserregend wirkt der Andrang aller Kreise zum Studium selbst, das Anwachsen der Zahl der Studierenden von rund 28 000 im Jahre 1890–1891 auf 59 000 im Jahre 1911–1912; denn es ist unmöglich, daß diese Scharen im öffentlichen oder privaten Leben Aufnahme finden, und selbst die unendlich verzweigten Aufgaben der Gegenwart sind nicht imstande, diese Zahl der zuströmenden Jünglinge zu beschäftigen und ihnen die Stellung, der sie mit frohem Hoffen zueilen, im Leben zu vermitteln. Die zunehmende Wohlhabenheit unseres Volkes wird häufig als der Grund für diesen von Jahr zu Jahr anwachsenden Strom angegeben. Tatsächlich ist das nur einer und nicht einmal der bedeutendste der Gründe. Die Familien, aus denen die Mehrzahl unserer Studierenden hervorgeht, sind so wohlhabend im allgemeinen nicht, daß sie die lange, dem Staatsexamen folgende, anstellungslose Zeit ihrer Angehörigen ohne schwere Erschütterung ertragen können. Vielmehr sprechen andere und wichtigere Umstände mit. Verschiedene Stände, für die, wissenschaftlich betrachtet, das Abiturientenexamen lange Zeit nicht notwendig erschien, erstreben aus rein äußerlichem Standesinteresse die Vorbildung durch das Abiturientenexamen. Ein Teil der Zivilbehörden verlangt für die Aufnahme in den Staatsdienst das Primanerzeugnis und veranlaßt durch diese zu weitgehende Forderung manch jungen Mann indirekt, wenn er das Primanerzeugnis erst besitzt, dann noch die weiteren zwei Jahre auf der Schulbank zuzubringen, um die Reife für die Universität selbst zu erwerben. Vor allem aber hat, nach der Ansicht vieler, sich ständig mehrender Beobachter, der Andrang zur Universität ihre für die Betroffenen unheilvolle Ursache in der ungenügenden Auslese, an den milden Anforderungen, die von selten vieler Schulmänner bei der Abschlußprüfung erhoben werden und nach Ansicht nicht weniger akademischer Lehrer damit der Universität wissenschaftlich nicht vollwertige Elemente zuführen, die nachher bei der Ablegung der Staatsexamina scheitern[2]. Die Tatsache, daß 1911 bei der Referendarprüfung 30%, bei der Prüfung zum Gerichtsassessor 21,5% den Anforderungen nicht genügt haben, daß die Zahl der bei der Oberlehrerprüfung Nichtbestandenen mehr als ein Drittel der Bewerber betrug, läßt eine andere Deutung wohl nur auf künstlichem Wege zu.

„Vielleicht darf ich den Wunsch und die Mahnung aussprechen – sagt mit Bezug auf die Überfüllung unserer Hochschulen und den ungesunden Andrang zum Gelehrtenberufe Theobald Ziegler in seinen Vorträgen über Universitäten und Universitätsstudium –, daß beim Abiturientenexamen mit mehr Strenge verfahren werde, als dies gewöhnlich der Fall ist. Das ‚Landgraf werde hart‘ ist bei Prüfungen oft die Mahnung zur Barmherzigkeit an der richtigen Stelle.“ [1061]

Die Universitätsstadt.

Nachteiliger Zug zur Großstadt.

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß die Bevölkerung ihren Weg nach der Großstadt nimmt und die Arbeit wie die Freuden des Landes niedriger als die der Stadt einschätzt. Glanz und Schönheit der Hauptstädte dürfen nicht darüber täuschen, daß sie die Kraft des Landes an sich ziehen, um sie zu verbrauchen, und trotz ihrer Bedeutung am Mark des Landes zehren. In ihnen wächst nach den Worten eines geistreichen Nationalökonomen ein Geschlecht von Menschen heran, „das sein Leben ohne rechte Fühlung mit der lebendigen Natur verbringt, das die Sonne nicht mehr grüßt, das nicht mehr in den Sternenhimmel hineinträumt, das nicht mehr die Stimmen der Singvögel kennt und nicht die weiße Winternacht, wenn der Vollmond auf den Schneefeldern glitzert – ein künstliches Geschlecht.“ In der Großstadt wird der einzelne zur Massenerscheinung, die Umgebung wirkt auf die zarte Pflanze der jugendlichen Seele, die dem starken Eindruck der Umwelt erliegt und schließlich fremdes Licht reflektiert, statt eignes zu entwickeln. Die eigene Persönlichkeit vermag unter der Massenwirkung sich schwer zu entfalten, dazu gehört Freiheit und geistige Ruhe. Wenn die große Stadt dem, der ihr wieder entfliehen kann, unendliche Schätze der Anregung bietet, so nimmt sie leicht dem ständigen Bewohner, namentlich der Jugend die der Innenwelt. Nach der Überzeugung ernster und durch äußerlichen Glanz nicht beeinflußter Männer, wie des Freiherrn von Pechmann, gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Staatsweisheit, dem Zug in die ganz großen Städte, je wuchtiger er sich geltend macht, nicht widerstandslos zu folgen, sondern, wo es nur angeht, durch zielbewußte Dezentralisation nach Kräften entgegenzuwirken.

Dieser Zug in die Großstadt prägt sich zum Teil auch im akademischen Leben aus. Die Universitäten innerhalb der größten Städte zeigen, wenn nicht geographische Gründe entgegenwirken, die größte Anziehungskraft. In Preußen wie im Reich steht Berlin, danach München und Leipzig obenan. Die beabsichtigte Gründung der Universität Frankfurt hat Gelegenheit gegeben, sich zu vergegenwärtigen, ob Großstadt oder Kleinstadt den Vorzug als Sitz der Universität verdient. Niemand wird verkennen, mit welchem Eifer auch an den Universitäten der großen Städte gearbeitet wird, daß eine Fülle von Anregungen in sozialer, merkantiler Hinsicht, auf allen Gebieten des Lebens in die akademische Jugend überströmt, auf die einzelne Schäden der Großstadt weniger wirken, weil sie freier, unabhängiger und auch wanderlustiger ist; aber was besagt das alles gegenüber der poesie- und reizumsponnenen kleinen Universitätsstadt, die mit ihrem Zauber bis ins Alter fortleuchtet und den schönsten Begriff des Civis academicus geschaffen hat. Welche Fülle inneren, gesunden Fühlens und Denkens reift hier, an dem kleineren Ort, in den jungen Geistern heran, fernab von der Menge sich jagender und bisweilen verführerischer Eindrücke der Großstadt. Die Nähe von Wald und Flur ermöglicht die leichte Erreichbarkeit der Spiel- und Turnplätze; die nahe Berührung zwischen Dozenten und Studenten wirkt oft tiefer und nachhaltiger als Hörsaal und [1062] Laboratorium; die Anekdote, die Erich Schmidt bei dem Berliner Universitätsjubiläum von zwei dortigen Professoren erzählte, die erst in Amerika einander vorgestellt wurden, lehrt, daß selbst zwischen den Dozenten die unmittelbare persönliche und wissenschaftliche Beziehung mit ihrer über das Fach hinaus befruchtenden Anregung den Verhältnissen der Großstadt zum Opfer fällt.

Zentralisation und Dezentralisation.

Die Notwendigkeit, dem immer stärker werdenden Zufluß von Studierenden nach Berlin gerecht zu werden und einer der Hauptstadt des Reiches entsprechende Universität zu schaffen, zeigt ein besonders großes Anwachsen der Ausgaben für die Berliner Hochschule. Das Wort des ersten großen Kaisers an den Minister Falck, daß Berlin seinen Ruf als erste deutsche Hochschule bewahren müsse, ist seinerzeit eingelöst und ganz erfüllt worden. Bis zum Jahre 1900 sind von allen zugunsten der Universitäten gemachten Ausgaben etwa 45% auf die Universität Berlin gefallen. Nach einer jüngeren Darstellung in der Statistischen Korrespondenz kamen von 95,16 Millionen 27,81 auf sie; der Etat von 1913 verwendet auf Berlin von 20 860 456 M. fast 5 Millionen, im Extraordinarium von 5 583 031 M. 1 409 600 M., abgesehen von den großen Ausgaben für die Charité und dem großen indirekten Nutzen durch die Zentralisierung all der großen Museen nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Universität selbst. Es scheint jetzt, nachdem jenes Wort Wilhelm I. erfüllt ist, wichtig, daß das Zünglein der Wage in Zukunft mehr zugunsten der Provinzen ausschlage. Der Berliner Botanische Garten mit dem Pflanzenphysiologischen Institut und dem Botanischen Museum steht mit 261 000 M. dem von Königsberg gegenüber mit rund 15 185 M.; dem von Bonn mit 28 592 M. Das Zoologische Museum mit dem Zoologischen Institut in Berlin mit 57 311 M. gegenüber dem in Königsberg mit 10 288 M. und dem in Bonn mit 4800 M. Die Spannung zwischen den Ausgaben der Königlichen Bibliothek in der Reichshauptstadt und den Königlichen Bibliotheken in den Provinzen ist zwar noch größer, aber hier wirkt der geniale Gedanke des Bücheraustausches zwischen Berlin und den Provinzen nicht nur ausgleichend, sondern im höchsten Maße förderlich, dezentralisierend und schöpferisch, weil es dadurch möglich ist, in jeder Provinz Bücher leihweise und billig zu erhalten, die von Berlin erworben sind. Die Befürchtung, daß die in der Hauptstadt mehr und mehr sich ansammelnden Kräfte uns allmählich französischen Verhältnissen entgegenführen, fängt an in der Ferne aufzutauchen. Der Gedanke, einer in der Hauptstadt befindlichen Weltuniversität, dem deutschen, ja dem germanischen Geiste fremd, hat in Frankreich dazu beigetragen, der Hauptstadt das Übergewicht zu sichern, das für seine Entwicklung sich als so verhängnisvoll erwiesen hat. Und wie die Menge der Gebildeten, ganz abgesehen von der großen Masse, an der Anhäufung der Kunstschätze an einer Stätte im Lande kein Interesse hat und Goethes Wort zu Boisserée unterschreiben wird, daß die Hauptsache sei, Kunstwerke und Altertümer viel zu verbreiten, so ruht auch die wissenschaftliche Kraft des Landes auf der gleichmäßigen Verteilung der sie nährenden Quellen. Der Ausbau der Universität Münster, wie die Errichtung der Technischen Hochschule in Breslau und Danzig, zeigen einen allgemein [1063] freudig begrüßten Schritt in der Richtung beginnender Dezentralisation. Wenn die Gründung von Frankfurt trotz des Opfersinnes seiner Bürgerschaft nicht überall und besonders nicht in allen akademischen Kreisen Beifall gefunden hat, so liegen die Gründe vornehmlich in der Rücksicht auf die in unmittelbarer Nähe befindlichen alten Universitätsstädte Gießen und Marburg, in der Besorgnis, daß die Berufung der Professoren nicht ganz allein nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen und ihre Unabhängigkeit nicht im gleichen Maße wie bei den staatlichen Hochschulen gesichert sein könnte, ferner in dem Widerspruch, den das Weglassen jeder theologischen Fakultät gegen die historische Entwicklung und bewährte innere Struktur der altern Schwestern erhebt. Es ist nicht gelungen, diese Bedenken alle zu zerstreuen.

Wie man aber auch urteile, der Wunsch der Begründung von Frankfurt ist ein Zeichen geistiger Regsamkeit und eine Äußerung bürgerlicher Kraft, eine Folge der Wohlfahrt unseres Vaterlandes unter dem Schutze des hohenzollerischen Aars. Schwerlich weiß die Geschichte von einer anderen Zeit zu berichten, wo die Wissenschaft so in Blüte stand, wo liebevolle Fürsorge alle Zweige des geistigen Lebens von Universität bis Volksschule gleich liebevoll umfaßte und dank den Machtmitteln des Staates und dank dem Friedensreich umfassen konnte, wo Staat und Stadt alle Hände so eifrig sich regen sah, um das Bild der Pallas Athene zu bekränzen.

Ausblick.

Freilich haben, und das darf nicht unausgesprochen bleiben, weder die einzelnen Wissenschaften mit ihrer fortschreitenden Spezialisierung und Isolierung, noch hat die Technik trotz des unendlichen Fortschrittes es vermocht, dem so völlig umgestalteten Weltbild eine innere Einheit zu geben. Die Fülle ausgezeichneter Köpfe und der Blüte fast aller Wissenschaften fehlt der philosophische und literarische Name, in dem die deutsche Nation den Deponenten ihres Geistes erblickt, der ihre Seele in der Tiefe beleuchtet und sie freudig bewegt, der der Schar jener großen Geister sich würdig anreiht, die wie ein Chor von Propheten und Sehern 1813 die Wiege der deutschen Freiheit umstand. Das Leben mit seinem gewaltig antreibenden Schwungrad, mit seinem winkendem goldenen Lohn ruft andere Kräfte im Volke wach. Mit dem zunehmenden Reichtum steigt Wohlleben und Genußsucht empor, und deren Wagen folgen nicht die ernsten Musen; die Unrast des Lebens verhindert die Vertiefung. Wir haben an inneren Werten verloren. Es besteht die Gefahr, daß die Nation, mehr und mehr dem Praktischen zugewendet mit dem Idealismus den zeitgemäßeren Utilitarismus eintauscht und das innerste Wesen der Universitäten weniger versteht. Deutschland wurde ein Land der fruchtbaren Tat, weil es ein Land des Gedankens war. Es ist zu hoffen, daß die Nation sich auf sich selbst besinne und deutlich empfinde, daß äußere Wohlfahrt und praktisches, noch so hohes Können nur ein Kranz, ein Schmuck, aber nicht ihre Seele sind. Die sittlichen Kräfte stehen hoch über allem Können und Wissen; sie haben 1813 über den größten Meister der Kriegskunst und den Zwingherrn deutscher Freiheit den Sieg davongetragen. Der mächtige Schaffenswille des deutschen Volkes, dem eine starke Hand neue Wege in die Weite und in die Ferne ebnet, bezeugt aber seine Jugend und läßt hoffen, daß sich zu der Tat wieder die Tiefe philosophischen und idealen Denkens geselle.


  1. Nach W. Geh. Oberregierungsrat Prof. Dr. Elster in „Soziale Kultur und Volkswohlfahrt“ S. 53.
  2. Die Gründe entsprechen den Ausführungen bei den Etatsberatungen des Herrenhauses, am 29. April 1913.