Die bedeutungsvollen Gedankenstriche

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Textdaten
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Autor: L. E.
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Titel: Die bedeutungsvollen Gedankenstriche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 240
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[240] Die bedeutungsvollen Gedankenstriche. In das gastliche Haus eines seit mehreren Jahren in Paris lebenden deutschen Edelmanns, Baron G**heim, ließ sich zu Anfang des Winters 1859 ein Franzose einführen. Der Geist und die Gewandtheit dieses jungen Herrn von F…au, der sehr gut deutsch sprach, gefielen dem alten Baron; er lud ihn ein, an dem Mittagessen Theil zu nehmen, das er an dem Tage gab. Herr von F…au stellte sich zur festgesetzten Stunde ein und fand, wie er erwartet hatte, nur Landsleute des Barons. Einige derselben erwiderten seinen tiefen verbindlichen Gruß so kurz und kalt, daß es Herrn von G**heim unangenehm auffiel und er sich über diesen Empfang in der Seele seines jungen Gastes verletzt fühlte. Er forschte leise und eindringlich bei einigen seiner nächsten Bekannten nach dem Grunde dieser Aufnahme und Rücksichtslosigkeit, und man flüsterte ihm zu: „Bester Baron, wie konnten Sie diesen Menschen einladen? Herr von F…au ist einer der schlauesten Spione, und wenn er öfter Ihr Haus besuchen sollte, so bleiben wir fort.“

„Ein Spion!“ rief der alte Edelmann entsetzt.

„Nichts anderes! Noch dazu der gefährlichste!“

„Was will ein Spion bei mir?“

„Sich wahrscheinlich über Ihre Ansichten in’s Klare setzen. Man wird endlich erfahren haben, daß hier im Hause ein freies Wort, eine offene Meinung über den Kaiser geäußert wird, und ohne Zweifel sind unsere unbefangenen Urtheile von Interesse für Andere.“ Der Baron ließ bei dieser Erklärung einen derben deutschen Fluch hören. Man gab ihm Winke, sich zu beherrschen, und er that es; doch als er sich von der Gruppe seiner Freunde trennte, sagte er ernst: „Herr von F…au soll sich nicht umsonst in mein Haus bemüht haben, und früher, als er es ahnt, über meine Ansichten in’s Klare gesetzt werden.“

„Nehmen Sie sich in Acht, er gehört zu der schlimmsten Sorte.“

Der Baron lächelte fein. Während den Diners sahen die Landsleute Herrn von G**heims oft mit Schrecken das Gespräch eine Wendung nehmen, die eine Explosion herbeizuführen im Stande war, und geschickt wußte immer Einer oder der Andere die in deutscher Sprache geführte Unterhaltung in’s Gleis der alltäglichen Lebensinteressen zurückzulenken. Der Wirth ließ es ruhig geschehen und war nie bemüht, ein gefährliches Thema festzuhalten. Sinnend blickte er aber einige Male vor sich nieder. Das Dessert kam, und es wurden Toaste ausgebracht. Die etwas lebhafter werdenden Deutschen stießen jetzt, angeregt durch ihren Wirth, auf rein deutsche Interessen an, und auf deutsches Wohl wurde manches Glas französischen Weins geleert! – Nach dem freundlichen Lächeln zu urtheilen, das Herrn von F…au’s Lippen umschwebte, schien er Alles äußerst natürlich und durchaus in der Ordnung zu finden. Er war ja in einer Gesellschaft, die nur aus Deutschen bestand. – Baron G**heim fixirte ihn scharf, und als der junge Franzose wiederum bereitwillig auf Etwas angestoßen, das gänzlich außer dem Bereiche seiner Interessen lag, rief er plötzlich verbindlich, sich mit leichter Verbeugung zu seinem neuen Gaste wendend: „Herr von F…au, wir sind nicht höflich gegen Sie, indem wir nur an uns denken! Nicht mehr als recht und billig wird es daher sein, auch Sie an die Reihe kommen zu lassen. Erlauben Sie mir, daß ich meinem und meiner Landsleute Dank für Ihre liebenswürdige Nachsicht Ausdruck gebe.“

Der junge Franzose verneigte sich zustimmend; Baron G**heim füllte sein Glas und sich erhebend sprach er langsam nachstehende Worte, zwischen denen er zum Erstaunen seiner Zuhörer an Stellen eine kleine Pause machte, deren Sätze durchaus im Zusammenhange standen und wo ihnen eine Trennung als störend erschien:

„Es lebe weit und breit – Napoleon Deine Macht
Der Deutschen Einigkeit – werd’ von der Welt verlacht!
Es steige mehr und mehr – Napoleons hoher Glanz
Der Deutschen Glück und Ehr’ – umdunkle bald sich ganz!
Es leb’ in voller Pracht – des Franzmanns kluger Krieg
Die deutsche Heeresmacht – bleib ohne allen Sieg!
Gott sende Segen, Heil – Napoleon ganz allein
Auf aller Deutschen Theil – fall Unglück nur anheim!“

Je weiter der Baron sprach, desto mehr umdüsterten sich die Züge der Deutschen und nur das Antlitz des Franzosen leuchtete von Freude. Als der seltsame Toast beendet, brach er in warme Dankesworte aus, während alle Andern stumm dasaßen. Erregt schloß er: „O hätte ich diesen herrlichen Toast doch aufgezeichnet!“

„Wer weiß ob er Ihnen dann noch so gefiele, Herr von F…au! Geschrieben macht sich dergleichen oft nicht so gut.“

„Doch, doch, Herr Baron! Er kann nicht dadurch verlieren.“

„Gut! Ich werde ihn aufschreiben.“

„Können Sie es – wissen Sie ihn noch?“

„Mein Gedächtniß ist ausgezeichnet, Herr von F…au.“

„Ich werde mich überzeugen, ob Sie wahr sprechen, denn bemerken würde ich das Geringste, das Sie ausließen.“

„Beunruhigen Sie sich nicht unnöthig, ich werde Nichts fortlassen und sogar die Pausen, die ich im Vortrage eintreten ließ, durch Gedankenstriche bemerkbar machen!“

Herr von F…au lächelte dankbar. Der Baron schrieb den Toast in zwei Exemplaren und reichte ein Blatt seinem jungen Gaste, das andere seinen alten Freunden.

Alle griffen eifrig darnach. Auf den ersten Blick, den sie auf das Papier warfen, fiel ihnen die Trennung der zusammenhängenden Zeilen auf, und sie lasen jetzt den gutverdeckten schönen Toast auf ihr Vaterland.

Während sie lächelnd die Feinheit ihres Wirths bewunderten, hing das Auge des Franzosen wie gebannt an dem zweiten Theile der Rede und mit sprachlosem Entsetzen las er:

„Napoleon Deine Macht
werd’ von der Welt verlacht!
Napoleons hoher Glanz
umdunkle bald sich ganz!
des Franzmanns kluger Krieg
bleib’ ohne allen Sieg!
Napoleon ganz allein
fall Unglück nur anheim!“

„Die Gedankenstriche scheinen mir sehr bedeutungsvoll, Herr Baron!“ rief Herr von F…au mit erzwungener Ruhe.

„Das pflegen Gedankenstriche gewöhnlich zu sein!“ entgegnete der Baron mit vollkommenster Fassung.

„Durch die Trennung der Sätze beknmmt die Sache eine ganz andere Wendung!“

„Jede Trennung pflegt der Sache eine andere Gestalt zu geben. Nehmen Sie einfach mein schönes Vaterland. Was würde Deutschland sein, wenn es nicht getrennt wäre?“

„Dann wäre es Frankreichs Un – –“ Herr von F…au brachte diesen Satz nicht zu Ende. Die Gedankenstriche, die er, von plötzlicher Vorsicht erfaßt, im Geiste machte, waren auch bedeutungsvoll!
L. E.