Die deutschen Bauernburgen in Siebenbürgen

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Autor: B. Sylvanus
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Titel: Die deutschen Bauernburgen in Siebenbürgen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 475–478
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die deutschen Bauernburgen in Siebenbürgen.

Ein deutsch-demokratisches Volksbild.

Wenn man aus der walachischen Tiefebene nordwärts aufsteigend die Kette der transsylvanischen Alpen bei Kronstadt durchwandert, so kommt man in das sogenannte Burzenland, einen Theil von demjenigen Gebietscomplex Siebenbürgens, den man den „Königsboden“ oder das „Sachsenland“ nennt. Diese Landschaft, theils aus Ebene, theils aus Gebirge bestehend und einen Flächenraum von etwa zweiunddreißig Geviertmeilen umfassend, bildet einen der schönsten Districte von Siebenbürgen und zeichnet sich zugleich vor vielen anderen Theilen dieses Landes durch die jahrhundertalte Cultur seiner Bewohner aus. Wie ein wohlgepflegter, reizender Garten öffnet sich das weite, ringsum von einem Gürtel prächtig geformter Gebirge und Berge umrahmte Thalbecken, dessen Anblick den Beschauer namentlich dann überrascht, wenn er aus den eintönigen, culturarmen Flächen der benachbarten „wilden Walachei“ herübergestiegen ist. Vor Allem fallen ihm die dem Blicke ringsum begegnenden Ortschaften auf – nicht Städte – denn weit und breit im ganzen Gebiet giebt es nur die einzige zwischen Bergen versteckte Stadt Kronstadt – sondern Dörfer, und zwar Dörfer, welche von einem Völkchen deutschen Stammes, einem Theile der siebenbürgischen Sachsen, [476] bewohnt werden. Stattlich und fast durchaus bedeutenden Umfanges liegen sie da, diese Ortschaften, Stein und Ziegel sind ihre Merkmale, die sie vom magyarischen Holzbau und von der walachischen Lehmhütte unterscheiden, während zugleich eine streng beobachtete Regelmäßigkeit in der Anordnung der saubern Gassen und der schmucken Wohnhäuser sie vor jenen vortheilhaft kennzeichnet. Das bedeutsamste Wahrzeichen des sächsischen Dorfes aber bildet die Burg, die sich entweder als sogenanntes „Kirchencastell“ inmitten desselben befindet, oder als Burg im eigentlichsten Sinne, die Giebel und Gassen der Ortschaft hoch überragend, seitwärts von Berg und Fels herniederschaut.

Diese Bauernschlösser, die im Burzenlande keinen einzigen und in den übrigen Bezirken des Sachsenlandes nur den wenigsten Dörfern gänzlich fehlen, bilden eine in ihrer Art einzige und auf ganz eigenthümliche Verhältnisse und Zustände zurückweisende Erscheinung, wie sie demjenigen, der sich für Volks- und Culturgeschichte

Honigberger Castell.
Nach der Natur aufgenommen.

interessirt, nicht so leicht sonstirgend begegnen dürfte und von der wir den Lesern der Gartenlaube im Nachfolgenden Einiges zur Anschauung vorführen wollen. Wir wollen zunächst bei den Castellen verweilen und dann in die Höhe zu den Burgen hinaufsteigen.

Die Ersteren liegen, wie schon oben bemerkt, regelmäßig auf einem freien Raume in der Mitte des Dorfes und bilden sozusagen den festen Kern, um welchen die übrigen Bestandtheile desselben sich lagern. Sie bestehen der Hauptsache nach aus einem bald einfachen, bald doppelten Mauerringe, welcher in regelmäßigen Abständen von vorspringenden Thürmen flankirt wird. Im Innern des Ringes befindet sich die Kirche, deren meist sehr massiver und starker Thurm entweder ein mit dieser verbundenes Ganzes bildet, oder, von ihr getrennt, ebenfalls in den Gürtel der Vertheidigungsmauern miteinbezogen ist. Thürme und Mauern sind mit zahlreichen Schießscharten und Wurflöchern, versehen, oft von Zinnen gekrönt, und das Ganze umfaßt ein mehr oder weniger breiter, ausgemauerter Graben. – Treten wir in das Innere des Burgringes ein, so zeigen sich uns zwar keine gothischen Erker und Bogenfenster, keine Eingänge zu geheimnißvollen Verließen und verödeten Prachtgemächern schauen uns an, um uns mit dem Zauberreiz alter Ritterromantik zu umspinnen; aber dafür überkommt uns eine gar eigene, wohlthuende Befriedigung. Was wir – etwa die Schweiz und das alte Ditmarsen ausgenommen – in den Culturländern des mittelalterlichen Europa vergebens suchen, das weht uns hier aus diesen Burgringen in einem wenig gekannten Winkel der Karpathen entgegen – der Geist eines freien, selbstständigen und, wenn wir wollen, heldenhaften Bauernthums. Aus diesen Mauern redet die alte, musterhafte, durch und durch demokratische Verfassung des siebenbürgischen deutschen Volksstammes, aus ihnen reden seine Schicksale, spricht seine Geschichte. Hier standen sie noch vor kaum zwei Jahrhunderten, die wackern sächsischen Bauersmänner, Weib und Kind vor dem Grimme wild andringender Horden beschirmend, oder ihr kostbarstes Gut, ihre bürgerliche Freiheit, gegen den Uebermuth eigener Landesherren vertheidigend, während draußen der Feind ihre Saaten verwüstete und ihre Höfe und Wohnhäuser vor ihren Augen in Asche sanken. … Diese Betrachtungen und Bilder sind es, die sich dem Beschauer beim Eintritt in die Castelle aufdrängen.

Wenn wir durch das dunkle, niedrige Thorgewökbe an dessen Eingang wir zwischen dicken Mauerbögen über uns noch die verrosteten Eisenspitzen des Fallgitters erblicken, in’s Innere der Feste gelangt sind, so stellt sich uns dasselbe als ein einfacher, ringförmig umlaufender Hofraum dar, dessen inneren Umkreis die Kirchenwände begrenzen, während die äußere Umrandung durch das hohe Umfassungsgemäuer gebildet wird. An dem letzteren bemerken wir eine Menge dicht aneinander gedrängter, bisweilen in mehreren Stockwerken übereinander hinlaufender Kammern, Anbaue, welche voreinst in den Zeiten der Noth beim Hineinflüchten der Dorfbewohnerschaft den Familien zum Aufenthalte dienten, jetzt aber die harmlose Bestimmung haben, die Fruchtvorräthe der Bauern in ihrem feuersicheren Verschlüsse aufzubewahren. Auch das Rathhaus der Gemeinde befindet sich fast jedesmal innerhalb des Schloßringes. Steigen wir in einen der Thürme hinauf, so gelangen wir aus demselben in die innere Umfassungsmauer, – ich sage in die Mauer, denn diese ist so [477] massiv, daß in ihrem Innern ein ordentlicher Umlaufsgang Platz gefunden hat. In diesem Ganggewölbe, das kaum soviel Raum gewährt, daß je ein Mann vor einer der Schießscharten sein Gewehr laden und auslegen kann, und welches sein spärliches Dämmerlicht nur durch die letztere erhält, können wir von Thurm zu Thurm fortschreitend den ganzen Burgring umwandeln. Ein solches Kirchencastell war das zu Wolkendorf, von dem die Geschichte Folgendes erzählt: Als um das Jahr 1611 der Landesfürst Gabriel Báthori der sächsischen Nation ihre Verfassung zu rauben gedachte, erhob sich der Burzenländer Gau gegen ihn in Waffen. Der Tyrann rückte, nachdem er bereits Hermannstadt durch List eingenommen, mit Heeresmacht in’s Burzenland. Seinem Grimme zum ersten Opfer fiel der Ort Wolkendorf. Das Dorf ging in Flammen auf; aber drinnen im Castell stand die Einwohnerschaft und wehrte sich hartnäckig. Trotzdem wurde das Schloß erobert bis auf den festen Hauptthurm, in welchem sich die Vertheidiger

Burg Rosenau.
Nach der Natur aufgenommen.

zuletzt zusammendrängten. Der Fürst bot ihnen Gnade an; allein sie ergaben sich nicht. Da ließ Báthori Holz- und Strohmassen an den Thurm anhäufen und anzünden – und gegen dreihundert Menschen Männer, Weiber und Kinder starben im glühenden Thurm eines gräßlichen Heldentodes.

Noch vor wenigen Jahrzehnten befanden sich in den Vertheidigungsgängen mancher Burgen die rohen, plumpen Hakenbüchsen, welche den Bauern statt der mangelnden Geschütze dienten. Das achtundvierziger Jahr hat die schwerfälligen Kriegswerkzeuge aus den Castellen, wo sie noch vorhanden waren, heruntergeholt und sie zu kleinen Kanonen umgewandelt.

Dieses ist der Typus der Kirchencastelle, von denen wir eins der besterhaltenen und auch historisch interessantesten dem Leser in der Abbildung vorführen. Ungleich bedeutender, sowohl an Umfang als in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Formen und der Gestaltung, sind die eigentlichen Burgen, deren es übrigens im Burzenlande nur zwei wirklich von Banernhänden erbaute giebt, nämlich die Marienburg und die Rosenauer Burg.[1] Die erstere, ursprünglich von den Brüdern des deutschen Ritterordens angelegt und dann später von den Bewohnern des gleichnamigen Marktfleckens verändert und umgebaut, zeigt gegenwärtig nur noch geringe Ueberreste; die letztere, ebenfalls vom Zahn der Zeit bereits stark mitgenommen, bietet gleichwohl – abgesehen von dem prachtvollen Ueberblick, dessen man von ihr aus über die nahen, formenherrlichen Hochgebirge genießt – immer noch ein recht interessantes und malerisches Bild. Hart über der Marktgemeinde Rosenau, auf sechshundert Fuß hohem, steilem Felsberge gelegen, präsentirt sie sich schon aus der Ferne als ein stattliches Schloß und macht, namentlich von der Westseite gesehen, mit ihrem zerrissenen, thürmereichen, mit dem schroffen, zackigen Felsgestein scheinbar in Eins verwachsenen Gemäuer eine romantische Wirkung. Im Innern bemerkt man außer den Trümmern anderer Gebäude die Reste einer Capelle. Eine besondere Merkwürdigkeit bildet ein neunzig Klafter tiefer, außerordentlich schön in Fels gearbeiteter Brunnen, der noch im vorigen Jahrhundert das köstlichste Trinkwasser lieferte, gegenwärtig aber in Folge der vielen von den Besuchern nach und nach hinabgeworfenen Steine seine Labe zu spenden aufgehört hat. Die Burg hat noch bis heute ihren „Burghüter“ – gegenwärtig ein alter Bauer nebst Ehehälfte – zu dessen Obliegenheiten unter Anderem ein allabendlicher Paukenanschlag nebst dem Absingen eines geistlichen Liedes gehört, und es macht eine gar nicht üble Wirkung, wenn nach dem Verklingen der Abendglocke in der Gemeinde unten der dumpfe Schall aus der Höhe ertönt und die zitternden Stimmen des alten Paares weithin über den stillen Marktflecken hallen.

[478] Die Marienburg ist, ebenfalls durch Kämpfe gegen jenen Báthori, ein Denkmal herrlicher Bauernsiege über Fürstenübermuth; zwei Mal wurde sein Kriegsvolk, und beide Male mit Spott und Hohn, vor den Mauern dieser Burg heimgeschickt.

Außer den beiden genannten giebt es in den übrigen Theilen des Sachsenlandes noch zahlreiche von Bauernhänden erbaute Burgen, unter denen wir nur die Kaisder, die Michelsberger und die auf röthlich-braunem Porphyrkegel außerordentlich maurisch gelegene Repser Burg hervorheben. Sie sind alle, nachdem am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts das Land unter österreichische Oberhoheit überging, in der langen Friedenszeit des vorigen Jahrhunderts mehr oder weniger zerfallen und scheinen nur noch da zu sein, um die schönen Gelände an der Aluta und an den Kokeln mit dem Reiz ihrer Ruinen zu schmücken, und das Andenken seiner drangvollen, aber glorreichen Vergangenheit im Volke wach zu erhalten. Denn was ihnen ihren besondern Werth verleiht, das ist ihre volksgeschichtliche Bedeutung. Die Burgen sind keine Wohnstätten stolzer Adelsherrschaft gewesen, erbaut zur Verherrlichung selbsteigner Macht und zur Unterdrückung und Niederhaltung untergebener Elemente, nein, sie sind Schöpfungen goldener Volksfreiheit, echte, wirkliche Bauerburgen, hervorgegangen aus dem Geist eines freibürtigen, selbstbewußten Bauernstandes. Und darin liegt eben das Fesselnde, das Wohlthuende der ganzen Erscheinung. Zu einer Zeit, wo der Bewohner des platten Landes noch fast, im ganzen übrigen Europa in den Banden des Frohndienstes und der Leibeigenschaft schmachtete, blühte hier am Fuße der Südostkarpathen bereits ein entwickeltes Bürger- und Bauernthum, das in Bezug auf Freiheit der Institutionen und bürgerliche Selbstherrlichkeit fast ohne Gleichen dastand und den freien schweizer Landgemeinden sich ebenbürtig an die Seite stellen durfte. Auf der Grundlage großer politischer Selbstständigkeit, die ihnen von ungarischen Königen zuerkannt worden war, hatte sich unter den im zwölften Jahrhundert aus den Gegenden des Niederrheins eingewanderten siebenbürger Sachsen schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert die glücklichste demokratische Verfassung ausgebaut, welcher dieses Völkchen, rings umgeben von fremdartigen, zum Theil barbarischen Elementen, nicht nur seine bürgerliche Autonomie, sondern auch die Erhaltung seiner deutschen Nationalität, seiner deutschen Cultur und Gesittung zu verdanken gehabt hat. Vollkommene bürgerliche Gleichgestelltheit vom Oberhaupte der Nation an bis herunter zum letzten Bauersmanne war eines der Grundgesetze jener Verfassung; – es gab keinen Adel unter den Sachsen und es durfte Keinen geben, ja dem benachbartem magyarischen Edelmann war es nicht einmal gestattet, ein Haus oder sonstiges Grundeigenthum in der sächsischen Stadt, im sächsischen Dorfe durch Kauf zu erwerben. Jeder Gau bildete in der Gliederung des Ganzen eine Republik für sich, jedes Dorf, obschon dem Gesammtverbande als untergeordnetes Glied eingefügt, ein lebendiges, freies Gemeinwesen, das in’s Getriebe des nationalen Gesammtlebens thätig mit eingriff, aber in Bezug auf seine speciellen Angelegenheiten frei und selbstständig war.

Dieser Geist, der Geist eines freien, starken Bürger- und Bauernthums ist es, der uns aus den geschilderten altersgrauen Castellen und Burgen anspricht und sie bedeutsam macht. Denn sie waren nicht nur als Schutzwehren gegen äußere Feinde, gegen die häufigen Einfälle der Türken, Tataren und der walachischen Woywoden errichtet, sondern sie mußten, wie schon oben angedeutet, auch häufig genug als Bollwerke gegen von innen kommende Angriffe dienen, hinter welchen die braven Männer ihren Drängern Trotz boten und ihre Freiheit behaupteten.
B. Sylvanus.



  1. Es dürfte vielleicht nur wenigen Lesern der Gartenlaube bekannt sein, daß der Orden der deutschen Ritter, bevor er sich im heutigen Preußen festsetzte, dreizehn Jahre lang (von 1211 bis 1225) in dem ihm vom ungarischen König Andreas dem Zweiten vergabten, damals noch wüsten Burzenlande verweilte. Die Ritter legten hier sechs, zum Theil in einigen Ueberresten noch vorhandene Burgen an, unter denen die Marienburg der Hauptsitz des Ordens war. Sie hatten in dem kurzen Zeitraum auch bereits einen bedeutenden Landstrich der Walachei erobert, wurden aber, da sie den eingegangenen Vertrag nicht hielten, von König Andreas zur Räumung des Landes gezwungen. Die heutigen sächsischen Bewohner des Burzenlandes sind die Nachkommen der deutschen Colonisten, welche die Ritter in’s Ländchen zogen.