Die fünfundsiebzigjährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins

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Autor: G. K.
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Titel: Die fünfundsiebzigjährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 669, 686, 687
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[669]

Das 75jährige Stiftungsfest der Hamburger Turnerschaft von 1816.
Die Stabübungen beim Hauptturnen.
Nach einer Augenblicksaufnahme von G. Koppmann u. Comp. in Hamburg.

[686] Die fünfundsiebzigjährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins. (Mit Abbildungen auf S. 669 und 687.) Die freie Hansestadt Hamburg beging den diesjährigen Sedantag außer durch ein allgemeines vaterländisches Erinnerungsfest noch in besonderer Art, unter lebhafter Betheiligung der Bevölkerung wurde das fünfundsiebzigjährige Jubiläum der „Hamburger Turnerschaft von 1816“ gefeiert. Auch an einem bleibenden sichtbaren Zeichen dieser Theilnahme fehlte es nicht: unsere Abbilduug auf der folgenden Seite stellt das Gruppenstandbild dar, das Angehörige und Freunde der Turnerschaft spendeten und das jetzt die Außenseite der großen Turnhalle auf der Kaiserwiese in der ehemaligen Vorstadt St. Georg schmückt.

Das durch den Meißel des hamburgischen Bildhauers Engelbert Peiffer aus rothem Sandstein geschaffene Standbild wurde schon am Sonntag den 30. August in festlicher Weise enthüllt. Es verkörpert die kräftige Gestalt des Altmeisters Jahn; ihm zur Rechten und Linken erheben sich zwei jugendliche Turner, der eine, von Hanteln, Sandsack des Springtaues und anderem Turngeräth umgeben, schwingt den Ger empor, der andere ist dargestellt als zur Wanderschaft gerüstet, sei es zur fröhlichen Turnfahrt, sei es, nur hinauszuziehen in die Welt und die vom Vater Jahn neu verkündete Lehre weiter zu tragen in andere deutsche Gaue.

Ein glücklicher Gedanke ist hier vom Künstler zum Ausdruck gebracht worden. Denn in dem Denkmal spiegelt sich gerade die Geschichte der hamburgischen Turnerschaft von 1816. Einmal haben die Hamburger Turner das Vermächtniß des Alten im Bart allezeit hochgehalten; sie haben sich stets vaterländische Gesinnung bewahrt, und welche Musterriegen sie zu stellen vermögen, das hat manches deutsche Turnfest bewiesen. Und dann war der Gründer dieser Turnerschaft eben ein Jüngling, der auf der Hasenheide bei Berlin vom Vater Jahn selbst die Unterweisung in der edlen Turnkunst erhielt und darauf, kaum 18 Jahre alt, in die Ferne wanderte, um den mitgebrachten Keim weiter zu verpflanzen, wohl kaum ahnend, daß das zarte Pflänzchen dereinst zu so stattlichem Baume emporwachsen werde.

Wilhelm Benecke hieß dieser junge Mann, der am Tage der Schlacht bei Waterloo, am 18. Juni 1815, in Hamburg ankam und in das kaufmännische Geschäft eines Senators eintrat. Er ließ sich auf eigene Kosten das nothwendigste Turngeräth anfertigen, um bald darauf im Garten einer befreundeten Familie mit seinem Landsmann Karl Krutisch, der ebenfalls Jahns Schüler gewesen war und in den Befreiungskämpfen mitgefochten hatte, sowie mit etwa 30 sonstigen Genossen in frischem Turnen Muskeln und Sehnen zu stärken.

Durch Anschluß an die Turnanstalt eines Fechtlehrers Nicolai gelangte die lose Vereinigung zu einem Turnboden, und als Nicolai bald einem anderen Erwerbe nachging, ward das Turnen in Hamburg zu einer rein gemeinnützigen Sache, der jede Absicht auf Geldgewinn fern lag. Sehr zu statten kam es der jungen Genossenschaft, daß am 21. September 1816 Blücher, der gefeierte Marschall „Vorwärts“, bei einem Besuche Hamburgs auch auf dem Turnplatze erschien. Der Alte zollte dem munteren Treiben seine Anerkennung und fügte das Mahnwort hinzu: „Glauben Sie mir, es giebt Augenblicke, wo der Mensch sich auf niemand als auf sich selbst verlassen kann, und wehe dann dem, der nicht zur rechten Zeit seinen Körper brauchen gelernt hat!“ –

In welch erfreulicher Weise schon nach Jahresfrist der schnell emporblühende Verein in der ihm von den Behörden bereitwillig eingeräumten ehemaligen St. Johanniskirche seine Uebungen fortsetzen konnte, das schildert lebenswahr ein Abschnitt des zur Jubelfeier erschienenen trefflichen Werkes: „Die Hamburger Turnerschaft von 1816, von ihrer Begründung bis zur Gegenwart“, im Auftrage des Turnrathes verfaßt von Karl Schneider (Kommissionsverlag von Otto Meißner in Hamburg). Das Buch bietet ein anschauliches Bild der Schicksale des Vereins, dem in wechselnder Fluth und Ebbe mancherlei Freud’ und Leid beschert ward, je nach den Zeitverhältnissen. Wohl gereicht es dem Hamburger Gemeinwesen zu hoher Ehre, daß es selbst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, wo alle preußischen Turnplätze als Nester staatsfeindlicher Bestrebungen geschlossen wurden, seinen Turnvereinen eine Freistatt bewahrte, aber damals wie in späteren bewegten Tagen hielten viele sorgende Eltern ihre Söhne vom Besuche des Turnplatzes zurück, so gab es 1831 ein Vierteljahr, in dem nur sieben Mitglieder der Turnerschaft Beiträge zahlten.

Trotz aller einzelnen Rückschläge stieg indessen im Lauf der Jahre die Zahl der Mitglieder beständig, selbst als nach dem Vorbilde dieser ältesten Turnerschaft sich noch manche andere Vereine mit dem gleichen Zweck bildeten. 1891 zählte die Turnerschaft von 1816 1243 erwachsene Mitglieder, 835 Knaben, 301 Damen, 544 Mädchen, zusammen 2923 Theilnehmende, eine stattliche Schar!

Die Betheiligung der Damen und Mädchen am Turnen, die seit 1889 eingeführt ist, gab auch dem Jubiläum am 2. September ein besonderes Gepräge. Die Damen- und Mädchenabtheilungen traten beim öffentlichen Hauptturnen unter freiem Himmel mit in die Reihe und führten Freiübungen und Reigen mit Gesangbegleitung vor. Der Erfolg war ein überraschend günstiger, er wird dazu beitragen, die noch vielfach vorhandenen Vorurtheile gegen das ungemein nützliche Turnen des weiblichen Geschlechtes zu besiegen.

Hamburgs Turnerschaft von 1816 blickt auf eine lange ehrenvolle Vergangenheit zurück, und viele Ehrenbezeigungen wurden ihr am Jubelfeste von nah und fern erwiesen. Ihr Stolz und ihre Freude wird sein, es auch ferner zu Ehren zu bringen, das Werk des Vaters der deutschen Turnerei, des Altmeisters Jahn! G. K.     

[687]

Das Standbild Jahns an der Turnhalle auf der Kaiserwiese zu Hamburg.
Nach einer Photographie von G. Koppmann u. Comp. in Hamburg.