Die französischen Journale

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Autor: Ferdinand von Eckstein
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Titel: Die französischen Journale
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aus: Das Ausland, Nr. 67; 69–70. S. 265–266, 275–276, 280.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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[265]

Die französischen Journale[1].

Die folgende Charakteristik der Journale möchte gerade in diesem Augenblick, nicht blos als ein auffallendes Glaubensbekenntniß des Hrn. von Eckstein, sondern auch zu näherer Würdigung der französischen Zeitblätter und ihrer Redacteurs von allgemeinerem Interesse seyn.


Das Journal des Debats. Herr von Chateaubriand und Royer-Collard.

Ich habe für Journale gearbeitet und selbst versucht eines zu gründen. Ich dachte mir die Journale nicht als eine Macht, nicht als eine Tyrannei gegen die Gesellschaft; mir waren sie ein Bedürfniß der Zeit. Der Ehrenmann ehrt jeden Beruf; an dem gemeinen Menschen geht Charakter, Amt und Würde verloren. Das winzigste Blatt ist groß genug, um Talent, Beobachtung und selbst Wissen in sich aufzunehmen. Der Gehalt, nicht das Format der Werke entscheidet über ihren Werth. In der That, die brutale Verachtung gegen den Journalismus, wovon so manche Leute nicht genug reden können, ist in eben dem Grade albern, als die Eitelkeit der Journalisten, die sich eine politische Macht dünken, lächerlich ist; hassenswerth aber ist nur die Gemeinheit jener Afterschriftsteller, die ihre Feder und ihr Gewissen an die Macht oder an die Factionen versteigern. Wenn ich mich indessen schon harter Ausdrücke gegen den Journalismus bedient habe, so darf man dieß nicht mißverstehen. Die unbeschränkteste Preßfreiheit kann keinen eifrigern, keinen entschiedenern Vertheidiger haben als mich, nur setze ich voraus, daß man dem Staat das Recht einräumen müßte, diese Freiheit, sobald sie in Zügellosigkeit ausartet, durch gesetzliche, nicht inquisitorische, Mittel zurecht zu weisen.

Sey Jemand noch so sehr aufgeblasen über seinen Reichthum oder seinen Kredit, noch so erpicht auf die Wichtigkeit seiner geckenhaften Person, wenn sich vor ihr die Salons der großen Welt aufthun – ich nehme mir die Freiheit einem solchen Herrn zu sagen: „so ein Journalist, über den ihr hinwegseht, ist mehr werth als ihr insgesammt, was Geist, Kenntnisse und solides Urtheil betrifft, und damit ist am Ende erst noch nicht alles gesagt. Der Mensch überhaupt der seine Pflicht thut, verdient so viel Achtung als die erste Person im Staat. Aber der Journalist als solcher soll seine Ansprüche nicht über die ihm angewiesene Sphäre hinaus erweitern.“

Im allgemeinen werden die französischen Zeitungen von geistreichen Männern geschrieben, welche die in Form und Inhalt zu beobachtende Haltung selten aus den Augen verlieren.

Das Journal des Debats hat ziemlich ungefangene politische Ansichten, so lange der Kampf der Persönlichkeiten und der Stellen aus dem Spiele bleibt. Ohne Zweifel zeigt sich dieses Blatt in seinem Ton etwas stolz; aber bei seiner Wichtigkeit, wer würde da zum wenigsten nicht stolz seyn? Offenkundig ist, daß es über eine Menge öffentlicher Personen in Frankreich eine sehr große Herrschaft ausübt. Hat es sich um das Vaterland verdient gemacht? War sein Einfluß wohlthätig? Das ist eine andere Frage.

Sowohl innere als äußere Angelegenheiten, sowohl Gegenstände der Verwaltung als der Regierung behandelt das Journal des Debats mit einem consequenten und unermüdlichen Oppositionsgeiste. Hier wurde des Herrn von Villele absolute Unfähigkeit bewiesen, hier wurden seine Collegen an den Pranger gestellt, und die schmählichste Strafe, die man für sie ersinnen konnte, schien noch zu mild. Männer, deren wirkliche Ansichten nichts demagogisches enthalten, deren Grundsätze, eben so weit von dem Extrem der rechten als dem Ungestüme der linken Seite entfernt, sich zu jener politischen Mäßigung hinneigen, die den Wahlspruch „Gerechtigkeit und Versöhnung“ führt – diese Männer hörten nicht auf, mit den Waffen der wüthendsten Demagogie gegen ihre Feinde zu kämpfen. Wie konnte das Journal des Debats, dessen Redacteurs so mannigfaltige persönliche Ansprüche auf die Achtung ihrer Mitbürger besitzen, sich so weit in seiner Leidenschaftlichkeit vergessen? Ist Herr v. Villele wirklich der gräuliche Mensch, für den es ihn erklärt?

Um dem Journal des Debats volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir sagen, daß dieses Blatt, ungeachtet der Wandelbarkeiten, die ihm zum Vorwurf gemacht werden, immer mit Herrn von Chateaubriand[2] die Monarchie nach der Charte unter seiner Aegide genommen hat. Nur hat es von Zeit zu Zeit dieser Charte verschiedene Deutungen gegeben. Wenn die Parteien sich [266] einander genähert haben, wenn aus Ultraismus und Liberalismus Nüancen wurden, die oft in einander spielen, so ist der Grund davon, wie uns das Journal des Debats glauben machen will, nicht der, daß zwölf Jahre seit der Restauration verflossen, sondern daß die Doctrinärs der rechten Seite, mit Fievée an der Spitze, ohne ihren Chef zu wechseln, zu den Doctrinärs der linken Seite übergetreten sind. Ein System von ministeriellem Torysmus, verbunden mit einer Whig-Aristokratie à l’anglaise, war sonst das politische Glaubensbekenntniß des Journal des Debats. Man sprach von einer Repräsentation der Geistlichkeit, vom Erstgeburtsrecht, von Substitutionen, von Gemeinden mit Patriziaten. Die Demokratie selbst trug die Farbe der Aristokratie. So lautete die Sprache im Journal des Debats von der Restauration an bis zu dem Augenblick, wo Herr von Chateaubriand aus dem Cabinete trat. Schon etwas früher hatte sich Fievée in ein paar Flugschriften von seiner Linie entfernt. Er war zu Gunsten der Demokratie des Herrn von Villele gegen die Aristokratie des Herrn von Chateaubriand einiger Maßen in Opposition getreten. In diese Zeit fällt auch der Anfang des Zerwürfnisses mit der frommen Partei, als deren Haupt man den Herzog von Montmorency betrachtete.

Kaum war Herr von Chateaubriand auf eine, was die Form[3] betrifft, unbegreifliche Weise aus dem Cabinete gestoßen, so sah man die Doctrinärs der rechten Seite schnell linksum machen, und sich mit Einem Male in Doctrinärs der linken Seite verwandeln.

Welche Gründe zu Beschwerden auch Hr. v. Villele gegen Herrn von Chateaubriand haben mochte, so läßt sich doch des ersten Verfahren nicht leicht rechtfertigen: es lag in dieser Rusticität etwas beleidigendes für ganz Frankreich. Als sich dann aber der Unwille des verbannten Ministers in die öffentliche Blätter ausschüttete, da seufzten alle gutdenkenden Männer. Die Rache ist süß, aber es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Daß man auf seines Feindes Sturz losarbeitet, begreift sich; aber soll man deßwegen gleich mit Keulen drein schlagen? Alle Schwächen seiner Sache, alle Erbärmlichkeiten seiner Partei enthüllen, hieße doch wohl so viel als sich selbst anklagen, daß man sie vertheidigt, daß man sie im Conservateur ohne Vorbehalt und über Gebühr gepriesen, daß man sie in der Monarchie nach der Charte idealisirt habe. Denn ist gleich Herr von Chateaubriand weder für den politischen Absolutismus des Herrn von Bonald, noch für die Leiden, welche die Angst und der Abscheu vor der Publizität über Herrn Franchet gebracht, solidarisch verantwortlich, so ist er es doch für alle aristokratisirenden Auslegungen der Charte, namentlich zu Gunsten des Clerus und sogar zu Gunsten der Jesuiten, welche das Journal des Debats gegenwärtig aus allen ihren Anstalten hinausvotirt.

Herr von Montlosier hat die Blößen des Clerus, Herr von Chateaubriand die der Männer der Monarchie aufgedeckt. Das Werk des Herrn von Montlosier wäre verdienstlich gewesen, wenn es sich darin nicht um die Verfolgung alter Freunde, sondern blos um die Berichtigung ihrer Fehler gehandelt hätte; so ist es nun aber der Religion wie der Monarchie gleich verderblich geworden. Die Religion wird sich aus der Sache ziehen: die Ewigkeit gehört ihr an, und sie findet immer wieder neue Wege, die Welt zu erobern. Ob es aber auch die Monarchie kann? Ich weiß es nicht. Als sich Herr von Chateaubriand vor dem Altar der Elite der Demokratie niederwarf, hat er alle royalistischen Imaginationen entzaubert.

Wo noch ein kräftiger Geist war, der begleitete ihn in die neuen Reihen; die übrigen, die diesem Wechsel der Ideen nicht nachzukommen vermochten, blieben zurück und ließen sich tyrannisiren. Als Herr von Chateaubriand sich mit Royer-Collard indentifizirte, mußte sicherlich einer von beiden auf seine Grundsätze verzichten. Ich sage aber, Royer-Collard ist keine Linie von seiner Stelle gewichen.

Liebe, Achtung und Verehrung diesem würdigen Bürger! Die Huldigung, die seinem schönen Charakter in der gleichzeitigen Ernennung von acht Departements zu Theil wurde, scheint mir ein öffentlicher Triumph. Wie weit immer die Bemühungen der liberalen Partei, die sich durch die Wahlen ein glänzendes Ansehen geben wollte, eingreifen mochten, als man zu dieser Wahl schritt, so ist doch anzunehmen, daß sich darin eben so wohl auch der freie Wille des Volks aussprach, das durch jenes achtmalige Hervorziehen des Namens Royer-Collard aus der Urne die Anerkennung hoher Bürgertugend proclamirte. – Wenn ich mich über die Verbindung Chateaubriands mit Royer-Collard wundere, so glaube man ja nicht, daß ich die Vereinigung großer Talente ungern sehe – darin bestände die Stärke des Landes. Aber es ist hier ein Bund, den nicht sowohl Uebereinstimmung in den Grundlagen als Vermengung der Prinzipien gestiftet hat. Ich wäre zum Beispiel recht begierig, zu wissen, wie sie sich in Bezug auf die Angelegenheiten der Geistlichkeit – ich rede nicht von der Congregation, die sich in die Politik mischt, noch von Priestern, die im Dienste der Censur und der Polizei stehen – verständigt haben. Sollte es Herrn von Chateaubriand nicht leicht seyn, die letztere zu verdammen, ohne seine frühern kirchlichen Ansichten geradezu aufzugeben? Aber der große Schriftsteller und sein gefeierter politischer Freund, wie werden sie es halten mit der Frage von der Ausdehnung der Universitätsgerichtsbarkeit über die Seminarien, mit der Frage über Manns- und Frauenklöster, über die Jesuiten, und endlich mit der Lehre von der absoluten Freiheit der katholischen Kirche, wozu sich Herr von Chateaubriand einst bekannte? Ueber diese folgenreichen Fragen, die so leicht ein Interregnum religiöser Reaktionen herbeiführen könnten, sollte man sich mit Bestimmtheit erklären.

[275]
Die Quotidienne und die Etoile oder Gazette de France.

Vom Charakter der Quotidienne läßt sich nicht so leicht eine Definition geben. Der Haupteigenthümer ist ein Mann von viel Geist. Aber Herr Michaud, der als Gelehrter einen geachteten Namen hat, gehört nicht zu denjenigen Politikern, die sich Zeit genommen, ihre Meinungen zu fixiren, daß man ihr System unter einen allgemeinen Begriff bringen könnte. Lange Zeit diente sein Blatt dem Hofroyalismus zur Folie; es zeigte damals einen gewissen Hang zum alten Regime, ohne sich jedoch ganz zu der Heftigkeit der HH. Madrolle und Genoude hinreißen zu lassen, die uns im Anfang reinen Ultraismus gaben. Wer übrigens die Quotidienne mit einiger Aufmerksamkeit las, mußte sich überzeugen, daß ihr Royalismus nie der theoretische der HH. von Bonald und von Frenilly, sondern ein Royalismus der Neigung, die Persönlichkeit des Herrn Michaud war. Dieses Blatt enthält daher mehr gemüthliche Plauderei als politisches Räsonnement; weniger hochfahrend in seinem Ton als das Journal des Debats, zeigt es auch weniger Bestimmtheit in seiner Ansicht; mehr den Parteigeist vergnügend als die politische Vernunft, war es nie in dem Grade die Pythia der Faction wie das Journal des Debats. Da es endlich nicht lauter gleiche Interessen verfocht, so konnte es auch keinen sich gleichbleibenden Charakter haben.

Herr Michaud vereinigte bei der Gründung seines Journals eine Anzahl junger Talente, deren Schimmer der Partei der Emigration neue Proselyten zuführen sollte. Bei diesen jungen glänzenden Schriftstellern ist es auffallend, wie sie ihren Auftrag mit Eifer erfüllen, ohne daß, wie es scheint, eine sehr tiefe Ueberzeugung von der Wahrheit ihrer Sache sie durchdrungen hätte. Als Männer von Geist ähnlich den liebenswürdigen Weltkindern (roués) aus den letzten Zeiten des alten Regimes, wo dieß Modeton war, nehmen sie die Dinge von der leichten Seite, und bekümmern sich wenig darum, ob es Recht sey oder nicht, gegen eine Ansicht oder gegen eine Person zu schreiben oder zu reden: man kann nicht unterhaltender mit dem Ultraismus spielen. Indessen erscheinen demjenigen, der diese Ultraisten nicht aus der Nähe kennt, ihre Absichten sehr ernsthaft. Aber sehen muß man sie diese Schlösserbewohner, man muß einer Sitzung dieser leidenschaftlichen Contreopposition beiwohnen, um sich an ihnen recht zu erbauen. Welches Feuer, wenn sie ihre Artikel berathschlagen!

Als sich die Quotidienne gegen die weiland Etoile oder die Gazette de France in Harnisch warf, das war ein seelenzerschneidender Schmerz. „Auch du!“ rief Herr Genoude aus, als er das Journal des Herrn Michaud las. „So giebt es also keinen Royalismus mehr auf Erden! Wie! ist das die Quotidienne, welche die Liberalen bald die schluchzende Nonne, bald die ehrsame Wittwe der adeligen Vorstadt nennen, die nun ihre vatermörderische Hand gegen die Erkorenen der rechten Seite erhebt, gegen diese Minister, zu deren Gunsten die alte Majorität der Chambre introuvable votirt, die die HH. von Sallaberry und von Saint-Chamans mit dem Gewicht ihrer Beredsamkeit noch immer aufrecht halten!“ Die Quotidienne blieb übrigens auch der Etoile nichts schuldig. „Elende, rief sie, bist du nicht den Grundsätzen abtrünnig geworden, um dich an einen Menschen zu verkaufen? Bist du nicht die Verwegene, die den liebenswürdigen Humor ihres Herrn gegen die Pointus aufmuntert? Umsonst, Despotin, möchtest du allein herrschen, und deine alten Freunde ausschließen! Höre auf, die Sache zu verrathen, die du zu vertheidigen vorgibst! Zeïstin in Spanien, hältst du es in England mit Canning, in Frankreich mit Rothschild; du bekennst deine Brüderschaft mit Boyer; – nein, du bist nicht mehr auf der Höhe der heiligen Allianz.“

[276] Bei diesen Worten wurde die Etoile vor Grimm abwechselnd blaß und roth. „Was wird man in der Vorstadt, im Schloß, in den Provinzen denken? Schnell unser Geschütz vom stärksten Kaliber herbei! Laßt uns die Vermessenheit durch die Invektive niederschmettern!“, „Wir denunzieren,“ sagte hierauf die Etoile, „die gottlose Allianz der Quotidienne und des Constitutionnel. Um eine Opposition zu machen, hat sie ihren Posten am Altar des Royalismus im Stich gelassen: die ältesten Freunde sind durch ihre Umtriebe getrennt; sie bringt die Zwietracht in unser Lager.“ „Wir werfen alle deine Verunglimpfungen auf dich zurück,“ erwiederte die Quotidienne. „Ha, fährt die Etoile mit fast athemloser Stimme fort, kann man es ohne Entrüstung sagen? Die Quotidienne (horresco referens) führt das Ministerium Pasquier im Schild. Während Herr Michaud seine Contreopposition am Hof und bei der rechten Seite bildet, kommen die Bedienten einer Excellenz von ehegestern daher, um diesem alten Centrum der rechten Seite, schon einmal so grausam verletzt von der Quotidienne, als sie Herrn von Richelieu stürzte, nach Hause zu leuchten. Verrath! Verrath! Sinon ist in den Mauern von Troia.“

In Wirklichkeit weichen die Lehrmeinungen der Etoile und der Quotidienne kaum um ein Haar von einander ab. Die letztere mag etwas weniger fromm seyn, den Fall ausgenommen, wenn Herr Laurentie seine ultramontanische Feder ergreift, ohne daß er nöthig hätte, seine Gedanken zu maskiren. In diesem Fall trägt die Etoile unter ihrem politischen Oberrock das Unterkleid einer Ultramontanerin, solange die Declaration von 1682, welche die königliche Gewalt von der alten kirchlichen Censur emancipirt hat, unangetastet bleibt. Herr Laurentie dagegen führt freimüthig das Wort für die Meinungen des Herrn von Lamennais. Sonst aber sprach die Etoile ihre religiösen Verpflichtungen entschiedener aus als ihre Nebenbuhlerin, und man sah, daß sie von einer innigeren Ueberzeugung beseelt war.

Ihren Ultraismus wußte die Quotidienne immer so zu bewahren, daß die Politik des Herrn von Villele nicht selten Wohlgefallen an ihr fand oder wenigstens, vielleicht aus Gründen einer anderweitigen Nöthigung, freundlich mit ihr that. Die Etoile konnte sich im Grunde keines reellern Ultraismus rühmen, als ihre Gegnerin. Aber die Etoile hatte die Rolle des Ministerialismus übernommen; genug für die Quotidienne, um mit dem ganzen Gefühl ihres erwachten Stolzes alle Widersprüche und Irrthümer, die der Armen zuweilen entschlüpften, unbarmherzig aufzudecken. Hin und her geworfen zwischen ihrem Gewissen und dem Präsident Boyer, zwischen ihren Vorurtheilen und Herrn Canning, zwischen ihren apostolischen Neigungen und Zea half sich die Etoile in ihren Verlegenheiten so gut sie konnte. Bedenkt man aber hiebei ihre schwierige Lage, so scheint doch ihr Benehmen nicht so ungeschickt gewesen zu seyn, als ihre Nebenbuhlerin vorgibt.

Die HH. Capefigue, Audibert und Malitourne mit ihren mannigfaltigen Talenten, mit der Geschmeidigkeit ihres Geistes, mit der Lebendigkeit ihrer Sprache und der Wärme ihrer Gedanken haben oft einen schönen Glanz über die Quotidienne verbreitet. Ihrem Journal fehlte die zierliche Zeichnung, aber es war zu Zeiten das interessanteste für den, der sich gerne das kleine Vergnügen macht, die große Carnevalsscene der Welt mit den läppischen und fantastischen Figuren, die bald erscheinen, bald verschwinden, an sich vorübergehen zu lassen.

Der Aristarch hatte eine mehr ernste und concentrische Haltung, sein Zorn mehr Ausdruck: oft warf er sich im Unwillen über die Quotidienne her: sie schien ihm nicht genug von jener Kraft des Hassens zu besitzen, welche die Gewölbe der Versammlungssäle erschüttern, welche Herrn von Villele stürzen sollte. Da dieses Blatt, dem seine Eigenthümer nur schwachen Vorschub leisteten, nicht mehr existirt, so reden wir davon nur in sofern als sein schnelles Aufhören beweist, daß der energischste Theil der Contreopposition nicht gesonnen ist, seine politische Rolle mit großen Opfern zu behaupten. Ohne Zweifel würde, wenn diese Partei zum Besitz der Macht gelangte, die Hälfte ihres Feuereifers erlöschen, und dadurch ihren ergebensten Anhängern die Binde von den Augen fallen. Der Renner, der sich am schnellsten erhitzt, hält nicht am längsten im Lauf aus.

[280]
Der Constitutionnel, der Courrier, das Journal du Commerce.

In den liberalen Journalen ist das Terrain der Meinungen mehr durchschnitten. – Was den Constitutionnel betrifft, so ist seine Rouerie transparent geworden. Er ist die Quotidienne der linken Seite, nur unter einem viel weiteren Horizonte. Von Herrn Etienne, der seinen pikanten Witz hineinwirft, hat er, was an ihm Munteres ist. Herr Thiers bringt seinen Vorrath ernster Studien dazu: hier schon die systematisirte Revolution und der Uebergangspunkt auf den Courrier. Die andern liberalen Blätter sind nicht gut auf den Constitutionnel zu sprechen: sie betrachten ihn als einen Finanzmann, der sich nicht gerne compromittirt. Rückt die Macht mit einer bestimmten Willensäußerung hervor: gleich senkt sich der Ton dieses Blatts. Der Courrier dagegen und das Journal du Commerce sind unbeugsam. Das macht, der Constitutionnel hat viele Abonnenten zu befriedigen: deßwegen sucht er sich gegen gerichtliche Anfechtungen sicher zu stellen. Wenn der Constitutionnel zu schlummern schien, mochte man sich so einen guten alten Kauz von einem Tartüffe denken, der sich in seinen Sorgensessel drückt, in seinen Winterpelz hüllt, kaum ein Auge öffnet, und die bessere Jahrszeit abwartet, bis er aufsteht. Gleich schrieen die an Abonnenten ärmeren und an Muth reichern Journale: „Er hat sich verkauft, das ist ein falscher Bruder; er spielt liberalen Villelismus.“ Indessen zieht die Gefahr vorüber, der Constitutionnel erhebt sich mit einem Male, ein doppelt Geharnischter, und läßt die Fahne der Unabhängigkeit wehen, bis sich der Himmel von Neuem in Wolken hüllt. Aber wie will man auch dem reichen Manne zumuthen, daß er sein Vermögen dem ersten Winde Preis gebe?

In dem Courrier ist nichts oder doch nur sehr wenig von jener Rouerie sichtbar. Er ist die systematisirte Revolution mit einem Anstrich von Doctrinalismus; man könnte ihn das Journal des Debats der linken Seite nennen. Herr Mignet, ein Mann von bedeutendem Talente, widmet ihm zuweilen seine Feder; Herr Rabbe läßt in ihm seine mit Kraft gepaarte Leichtigkeit, Herr Keratry seine alt-bretagne’sche Freimüthigkeit glänzen. Indessen ist Herr Keratry in diesem Journal eine Dissonanz. Wie der Constitutionnel auf dem Papier ein Gallikaner, in der Wirklichkeit aber ein Voltairianer ist, so ist der Courrier, wenn sich Herr Keratry darin hören läßt, ein Gallikaner in der Weise des überspanntesten Jansenismus – die Lanjuinais, die Gregoire könnten es nicht besser seyn; – schweigt aber dieser Schriftsteller, so fördert der Courrier ganz und gar verschiedene Meinungen an den Tag, und hält sich so zu sagen schadlos; so daß sich auch der Blindeste überzeugen kann, wie sehr ihm religiöse Fragen eigentlich rein gleichgültig sind. Was übrigens diese beiden liberalen Blätter einstimmig mit einander wollen, das ist die Losreißung der Nationalkirche von Rom. Man gebe ihnen diesen Punkt zu: die Nationalkirche wird dann bald abgespeist seyn.

Das Journal du Commerce betritt nicht ganz dieselbe Bahn. Es ist in ihm, trotz seines Industrialismus, etwas Edelsinniges; wie der Globe kennt es die Verfolgung nicht, und statt zu hassen, empfiehlt es bloß Verachtung. Seine Redaction wurde zu Zeiten mit ausgezeichnetem Talente geführt. Aber, weniger leidenschaftlich als der Courrier, weniger den Intriguen zugänglich als der Constitutionnel, ist es monotoner als beide. Der Mann der Industrie in Frankreich findet kein besonderes Vergnügen an den Systemen des Industrialismus; dieser ist für ihn weniger ein Gegenstand der Theorie als des innern Stolzes.

  1. Le catholique, par M. le Baron d Eckstein. Man vergleiche den Constitutionnel vom 26. Febr. 1828.
  2. Bertin der Aeltere und Salvandy kommen als Redacteurs vorzüglich in Betracht. Letzterer besonders besitzt den esprit und den ton dominateur, der diesem Blatt eigen ist.
  3. Man sehe Dictionnaire historique de tous les Ministres depuis la revolution jusqu’en 1827; par M. Leonard Gallois, Paris 1828.