Drei Sommer in Tirol/Meran und seine Umgebung

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Meran und seine Umgebung.


Meran ist eine kleine Stadt und hat nur eine Gasse, aber eine hübsche Gasse mit Bogengängen, hier wie in Bozen Lauben genannt, die freundlicher und offener als in der Nachbarstadt, in den heißen Stunden wie beim Regenwetter ein behagliches Lustwandeln gestatten und in der Zeit der Früchte der Sitz der liebenswürdigen Obsthändlerinnen sind, die den Pilger, der im Anfang der Saison in der beglaubigenden Reisejacke vorüberschreitet, so freudenvoll begrüßen, wie Vater Noah seine Taube, als den ersten Vorboten der schönen Zeit, die so viele Fremde bringt, welche einer schwachen Lunge sind und mit dem süßen Traubenfleisch Schlund und Brustkasten auskalfatern und die Lücken zupichen wollen, die der deutsche Winter hineingerissen hat. Besonders anziehend wird der Gast diese Lauben auch an Sonn- und Feiertagen nach dem Gottesdienste finden, wo das Landvolk, das nach altem Herkommen gern zur Predigt in die Stadt geht, hier sich plaudernd zusammenstellt und in seiner trefflichen Tracht und seiner körperlichen Schönheit eine vorzügliche Augenweide darbietet.

Die Gegend um Meran, die man später das Burggrafenamt nannte, ist das Haupt- und Stammgut der alten Grafen von Tirol gewesen und daher kommt es daß Meran, lange Zeit dieser Herren einzige Stadt, im Ansehen die erste des Landes wurde und auch Residenz blieb, als nach dem Erlöschen der Andechser die Besitzungen im Inn- und Wippthale mit den alten tirolischen Herrschaften vereinigt worden, bis endlich Friedrich mit der leeren Tasche den Grafensitz in das junge [293] Innsbruck verlegte. Von der Höhe seiner mittelalterlichen Blüthe ist das Städtchen indessen schon vor langen Jahren herabgestiegen. Als das Hoflager fortwanderte, zog viel reicher Adel aus der Gegend weg; die berühmten Jahrmärkte verwelkten an der wachsenden Bedeutung der Bozner Messen, und durch den neugeöffneten Kuntersweg am Eisack verlor der Paß über den Jaufen nach Sterzing seine meisten Kunden. Dazu kamen noch die häufigen Verheerungen der Passer, so daß oft für Menschenalter eine trübselige Verarmung herrschte in der ehemaligen Landeshauptstadt, welche gleichwohl noch in unsrer Zeit auf den Landtagen allen andern Tiroler Städten vorgeht. Auch steht heutzutage unter den Häusern der Stadt noch eines, das jetzt dem Fürsten Taxis gehört, das Kelleramt, wo vor Zeiten die Grafen von Tirol Hof gehalten, mit der Capelle in welcher Margaretha Maultasch Ludwig dem Markgrafen zu Brandenburg und zu Lausitz, des heiligen römischen Reichs oberstem Kämmerer, getraut wurde, nachdem sie Herzog Hansen von Luxemburg, dessen untüchtiger Liebe sie nicht froh werden konnte, davongejagt.

Meran wird kaum einen prächtigern Tag gesehen haben als den zehnten Hornung[WS 1] 1342, wo der Kaiser und der Markgraf von Brandenburg, Herzog Ludwig der Römer und Stephan von Bayern, zwei Herzoge von Teck, die Bischöfe von Augsburg, Regensburg und Freising, zwei Grafen von Schwarzburg, darunter jener Günther, der später Gegenkönig wurde, die Grafen von Görz, Werdenberg, Kirchberg, Katzenellenbogen und viele andere Ritter aus Deutschland und Wälschland, in ihrer Mitte die schöne Braut von Tirol durch die Laubengasse ritten, um sich nach der Trauung in feierlichem Zuge auf das Hauptschloß zu begeben, wo in dem grauen Thurme, der noch jetzt gezeigt wird, das fürstliche Beilager gehalten wurde. Jenes Kirchlein aber im Kelleramt und seine Sakristei schmücken wunderliche Fresken, die man einem Christoph von Meran zuschreibt, der zu Margarethens Zeit gelebt hat und als der erste namentlich bekannte Tiroler Maler gilt. „Hart daran stoßen ein paar Gemächer, ehrwürdig wie man sie selten findet, unentstellt erhalten in ihrer ältesten Art. Des [294] braunen Getäfels Fügung und Ornament, die behaglichen Wandbänke, der sonnige Erker, wie der zierlichst bemalte und gemodelte Ofen, vor allem vier Wappenbilder, meisterhaft geschnitzt, ober den Thüren deuten auf die Zeit ihrer Einrichtung, den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts. Der Bindenschild und die fünf Lerchen reden von einem österreichischen Herrn, der Tiroleraar bezeichnet ihn als Landesfürsten, der braunschweigische Löwe gilt als Zeichen seiner Hausfrau. Die Schilde alle bezeichnen uns Herzog Friedrich mit der leeren Tasche als den, der diese Stuben eingerichtet. Man weiß, daß er im Jahr 1414 im October zu Meran Papst Johann XXII empfing, der, seinem Geleite sich überlassend, gen Constanz zum Concilium fuhr. Damals mögen diese Gemächer den Kirchenfürsten und seinen Gonfalonier beherbergt haben. Später, als der „Getreue" seine Redlichkeit mit Acht und Bann büßte und mit dem Adel seines Landes focht, der, auf alten Landesbrauch trotzend, den Fürsten nur neben, nicht über sich dulden wollte, schirmten die stillen Stuben wohl auch den geplagten Herrn, wenn er müde heimkam mit seinem Bauernhäuflein, das ihm die Burgen brechen half.“[1]

Die Meraner Pfarrkirche rühmt sich des höchsten Thurmes in Tirol und ist auch sonst ansehnlich und würdig, an den Außenwänden gleichfalls noch mit alten Gemälden geziert. Sie wurde von Margarethens Vater, jenem Könige Heinrich von Böhmen erbaut, nicht ohne daß ihm eine wohlhabende Bürgerin Vatlina Hemelin mit ihren reichen Mitteln dazu geholfen. Im hohen Thurm hängen sieben Glocken, wohlgestimmt und in klangreichem Accorde ertönend, übrigens mit beschwerlichem Dienste belegt, denn die Meraner Küster gehören zu den fleißigsten dieser Welt. Auch hat man noch nirgends in Deutschland so seltsame Glockenkünste bemerkt, wie hier, wo an den Feiertagen wunderlich wechselndes Geläute erschallt, mit spannenden Pausen, tiefernstem Solo, heitern Duetten, überraschendem Unisono und so fort. Die stolzen englischen [295] Städte, die ihre Ueberlegenheit in der schwierigen Wissenschaft des change-ringing, des Wechselläutens, so sehr zu preisen wissen, finden in Meran ihre Nebenbuhlerin, und die dortige Thurm- und Läutgesellschaft ist wohl befugt selbst dem berühmten Lancashire-bell-ringing-club den Handschuh hinzuwerfen. Das Innere der Kirche hat in der Ausschmückung nichts Alterthümliches mehr, dagegen etliche Gemälde von Martin Knoller, dem hochgefeierten, und eines, die Heiligen Sebastian, Rochus und Fabian darstellend, von Christoph Helfenrieder, einem Münchner Maler, der eine junge Frau hatte und bei ihr eines Tages im siebenzehnten Jahrhundert einen jungen Officier traf, diesen erstach, mit jener floh und sich ins stille Thal von Schnals begab, wo er bei den Karthäusern seine Kunst übte, und dann nach Meran, wo er ebenfalls malte und starb. Im Friedhof um die Pfarrkirche her liegen die seligen Meraner und mit ihnen im kühlen Grabe auch schon mancher, der der Genesung wegen aus der Ferne hiehergekommen, zu spät hieher gekommen, wie die Eingebornen sagen, denn sie behaupten, wer zur rechten Zeit komme, der müsse genesen.

Ein anderes schönes Gotteshaus steht außerhalb der Passerkirche und ist die Kirche des Spitals. Das gothische Portal zeigt oben einen besonders zierlichen Junker und eine fromme Frau, die auf beiden Seiten Gott Vaters knien, welcher den gekreuzigten Heiland in den Händen hält. Mit diesen Gestalten sollen Herzog Meinhard II und seine Gemahlin Elisabeth gemeint seyn, welche die ersten Gründer des Spitals waren. Im Innern ragen und ziehen die Pfeiler leicht und von hellem Lichte durchwebt empor in der schmucken Weise unsers alten Styls. Die schönen Glasgemälde an den Fenstern sind nicht zu übersehen und auch auf den Thürflügeln der alten Orgel sind innerhalb noch gute vorzeitliche Gemälde erhalten. Auf der rechten Seitenwand ist die traurige Chronik der Ueberschwemmungen aufgeschrieben, die aus dem Wildsee in Passeyr über Meran zerstörend hereinbrachen. Es werden vom Jahre 1419 bis zum Jahre 1774 ihrer acht besonders schädliche hervorgehoben. Deßwegen konnte auch Lertha, der Dichter von Kains, mit Recht von der Passer sagen:

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Maia, Meran! dir nähr’ ich mit Holz die Flamme des Herdes;
Doch als theures Entgelt nehm’ ich die Mauern dir oft.

Vom Spitale wieder über den Bergstrom zurückschreitend, kann man linker Hand die Wassermauer betreten, ein schönes Stück Damm zur Abwehr der Wildfluthen, breit und räumlich angelegt, mit buschigen Pappeln und stillen Ruhebänken besetzt, ein angenehmer Spaziergang zumal des Abends, mit offener Aussicht auf die Maiser Schlösser und den Freiberg, auf das Thal hinab gegen Bozen und auf die Gebirge jenseits der Etsch. Das schöne Volk von Meran kommt in gewöhnlichen Zeiten lustwandelnd nicht viel weiter, als auf diese Mauer. Die Einheimischen erachten den Platz für ausreichend zu ihrer Bewegung und überlassen den Fremden gerne das zwecklose Strolchen in ihrem Paradies. Die Leute in der Nachbarschaft wissen es auch sehr wohl, daß sie nicht zu fangen sind die Städter und geben sich keine nutzlose Mühe. Daher kommt es auch daß man für die entzückenden Wanderungen in den Rebenhügeln herum wenig oder gar keinen entsprechenden Ruhepunkt findet, was jetzt, da sich die spazierlustigen Curgäste von Jahr zu Jahr mehren, allmählich ein empfindlicher Mangel wird. Es ist unsers Wissens in der ganzen Umgegend von Meran noch kein kluger Wirthskopf aufgestanden, der es versucht hätte eine schöne Laube herzurichten, Tische, Stühle und Bänke hineinzusetzen und einen lieblichen Blumengarten davor zu pflanzen, etliche Castanienbäume bequem zu stellen und das Wachsthum so aufzuräumen daß die Aussicht offen würde. Jene heiteren Feiertagspartien, wie sie sonst in Süddeutschland üblich, wo man mit gesammtem Hauswesen und guten Freunden auf reizende Lustplätze zieht, in der Rebenlaube oder unter den Linden den Abendimbiß einnimmt, nebenbei Kegel schiebt und Lieder singt – diese Verzierungen des irdischen Lebens sind hier nahezu unbekannt. Die sonstigen Ergötzlichkeiten im Jahreslauf sind auch bald zusammengezählt. Die zwei Kaffeewirthe halten jährlich im Fasching zwei oder drei Bälle, die von Masken gerne besucht werden, wie denn überhaupt die alte deutsche Lust am Mummenschanze hier noch fröhlich grünt und auch die untern Classen sich das Vergnügen, [297] einmal des Jahres in einer andern Jacke zu erscheinen, nicht versagen. Ein paarmal während dieser Zeit verschafft auch der gutgeübte und lobenswerthe Musikverein etliche Unterhaltung. Darnach wird’s wieder sehr ruhig. Abendgesellschaften kennt man nicht, wohl aber Einladungen zur Marende. Man ißt hier gewöhnlich um eilf Uhr zu Mittag und nimmt um drei Uhr ein Vesperbrod, welches man die Marende nennt. Dazu laden denn hin und wieder die Frauen ihre Freundinnen und allenfalls die Ehemänner derselben. Die Marende, wenn sie als gastlicher Imbiß auftritt, besteht aus Kaffee mit „halbgeschlegelter“ Butter, aus Wein und großen Trachten von kalten Speisen. Sonst ist die Besuchzeit Sonntag Vormittag, wo man sich nach der Messe in feiertäglichem Putze Aufwartung macht. Die Meraner Familien fühlen sich so viel man hört sehr behaglich in dieser stillen Art des Lebens, und es ist daher auch kaum räthlich ihnen mehr Vergnügen aufreden zu wollen. Am wenigsten Trieb dazu möchten die Fremden empfinden, da ihrer in neuerer Zeit immer eine solche Anzahl vorhanden ist, daß sie wohl unter einander selbst Gesellschaft und Zeitvertreib genug zu finden haben. Mancher gute Plan mißlang auch schon und gleich der Gedanke, in einem der letzten Winter nach dem Muster des Ferdinandeums in Innsbruck wissenschaftliche Vorlesungen zu geben, scheiterte an Hindernissen, die nicht in den Ringmauern der Stadt selbst zu suchen sind. Bei solchen Umständen ist es allerdings fast wunderlich, wenn Pater Albertus der Capuciner, in seinen Predigten immer wieder auf die sündlichen Weltfreuden und die vielfältigen und unausgesetzten Lustbarkeiten der Meraner strafend zurückkommt und so viel Redens davon macht, daß in dieser Zeit einmal ein hypochondrischer Curgast mit größtem Fleiß zu ihm lief, bittend er möchte ihm um Gotteswillen sagen, wo diese Unterhaltungen vorgingen, indem er nahe daran sey vor Langweile zu bersten. Jetzt hat’s der fromme Dekan auch dahin gebracht, daß an den Sonntagen die Buschen (Weinschenken) und die beiden Stadtbillarde bis vier Uhr unzugänglich sind, und der schönste Traum, den er hat, ist die baldige Abschaffung des weltlichen Tanzens bei den Jahrtagen der Handwerker. – Die jüngeren [298] Herren von Meran treffen sich Nachmittags in Herrn Paris Kaffeehause, Abends da oder dort beim Weine. Wer sie kennen gelernt, wird gefunden haben, daß sie eines fröhlichen Muthes sind, dem Fremden in allem gerne an die Hand gehen und das Mögliche thun, um ihm den Aufenthalt angenehm zu machen. Auch Herr Bürgermeister Haller hat es sich seit Jahren so sehr angelegen seyn lassen den Gästen, welche in seinem Meran Zerstreuung oder Genesung suchen, alle Freundschaftsdienste zu erweisen, daß es wohl erlaubt ist ihn als liebreichen Patron der Pilgrime geziemend zu preisen.

Unter den Gasthöfen der Stadt ist der erste die Post mit schöner Aussicht aus ihren Fenstern. In den Herbstmonaten ist das ganze Haus voll Fremder und an der Tafel sitzen oft mehr als ein halbes Hundert. Mit der Küche sind nicht allein die Deutschen zufrieden, sondern auch die Engländer, und eben wegen seiner vortrefflichen Mittagmähler, die sich durch auserlesene Fische und seltenes Wildpret hervorthun, wegen seiner Tischtücher, die dem frisch gefallenen Schnee gleichen, wird es von Henry Inglis, dem englischen Reisenden, excellent genannt, excellent in the best sense of the word.

Nachdem wir so lange mit zimmerlichen Belangen uns beschäftigt, gehen wir desto lieber vor die Thore. Vor dem Thore aber erfreut uns immer wieder diese prächtige Zusammenstellung von beschneiten Höhen, die von finstern Tannen starren und von warmen Thalgründen, in denen Wein und Südfrüchte wuchern, von der rauhen Größe nordischer Gebirge und der milden Seligkeit hesperischer Landschaften. Und darin dieser unerschöpfliche Schatz von ritterlichen Burgen, von uralten Kirchlein und malerischen Bauernhäusern im Rebengelände unter bejahrten schattigen Bäumen! Lassen wir die Augen in die Runde gehen, so nehmen sie aus dem Reichthum wohl zuerst das Schloß Tirol, die alte, römische Veste, dann das Landespalladium, das jeweils in der Hand des Herrn seyn mußte, dem die Tiroler huldigen sollten. Das Hauptschloß, wie es die Bauern heißen, blickt von seinem lockern Sandberge noch ansehnlich in das Burggrafenamt herunter, einst von Brunnenburg und Durnstein, zwei wehrhaften [299] Burgen, behütet, von denen die eine ganz, die andere schier halb verfallen ist. Das winzige Kirchlein von St. Peter steht neben ihm auf dem Rebenberg, das älteste Bethaus der Gegend, welches die Sage zu einer Zeit erbaut werden läßt, als nur erst sieben Christen in der Gegend lebten. Darunter liegt Algund, das schöne Dorf in seinem Obstbaumwald, darüber hinaus Partschins mit seinem Wasserfall, allbereits oben in dem kühlen Luftzug des Vintschgaues, der vom Ortles herniederströmt. Von dieser Seite fluthet die Etsch herein, die von der Töll ab schäumend zu Thale fällt. Dann folgt der Marlinger Berg, oben mit weißen Höfen besäet, von Kornfeldern glänzend, und mit Weinlaub umgürtet; an seinem Fuße das schwarze Gemäuer der Burg zu Vorst, das mit Epheuranken schön verkleidet ist; weiter hin die graue Kirche von Marling und das Schloß von Löwenberg, ein vieldachiges, weithin gesehenes Gebäude. Neben der schönen Schlucht, die den Eingang ins Ultenthal anzeigt, erscheint das Dorf von Lana, mit seinem hohen Thurm an der gothischen Kirche. Ferner die Ruinen von Brandis und endlich über Erlenwaldungen und dem breiten Bett der Etsch hin im blauen Duft die Thürme der herrlichen Burg zu Eppan, des Horstes der hochfährtigen welfischen Eppaner, die einst der Grafen von Tirol mächtigster Widerpart, und die rothe Mendel, die ihre hohe Nase stolz über Bozen aufzieht, und noch weiter draußen in der Ferne die weißlich blinkenden Bergfirsten von Deutschenofen und Weißenstein.

Dicht ober der Stadt dagegen steht in Weinbergen der alte Thurm, von dem Niemand mehr zu sagen weiß was er ehedem bedeutet, und nicht weit davon liegt auf hoher Klippe über der rauschenden Passer die altergraue Veste Zenoburg mit der Aussicht in die haldenreiche Schlucht des Passeyer und der Veste gegenüber Mais, das ehrwürdige Dorf auf dem eingefallenen Schutt des Ifingerberges, uralten Namens als römische Pflanzstadt. In dieser Gegend und an den Halden des Freiberges hin zwischen dem platten Grün der Wiesen und dem gekräuselten Grün der Reben ist jene vielzählige Lagerung von mittelalterlichen Schlössern vom hohen Fragsburg [300] zum stolzen Schänna, etliche zwanzig in allem, theils wohlerhalten, theils halb und ganz verfallen. Auf den Halden von Mais, zwischen Schlössern, Villen und Bauernhäusern, zwischen Weingärten und Auen, unter alter Bäume Schatten, wo Bachesrauschen und Brunnenrieseln und Vogelgesang durch das Säuseln des Laubes tönen – dort sind die schönsten Gänge für den kühlen Abend wenn die Sonne im warmerleuchteten Vintschgau untergeht. Wie viel tausend poetische Spielereien der Natur sind da anzutreffen, welche reizende Ueppigkeiten des Wachsthums, und wie zauberisch ist die grüne Heimlichkeit dieser Weingüter, unter deren Lauben in kühlem Halbdunkel der rauschende Mais aufschießt und der prahlende Kürbis schwillt. Ueber dem ganzen Burggrafenamt liegt ein mittelalterlicher Duft – aber das Gedächtniß ritterlicher Herrlichkeit erwacht nirgends so lebendig, als auf den Halden von Obermais. Sie sind ein elegischer Anblick, diese verlassenen Burgen in den Trümmern ihrer Pracht. Da finden sich marmorne Treppen, die zu morschen Thüren führen, welche Niemand mehr öffnet, byzantinische Säulengänge, wo kein Fußtritt mehr erschallt, Capellen, in denen keine Seele mehr betet, steinerne Ruhesitze unter Nußbäumen, wo kein Reisiger mehr rastet, und zackige Zinnen über die kein Pfeil mehr fliegt. Cypressen ragen schweigend über die Mauern, auf den finstern Thürmen knarren verrostete Wetterhähne in die tiefe Stille und die Abendsonne scheint vergoldend darein. Hier wären vortreffliche Plätze um Rittergeschichten auszudenken – Rittergeschichten, die in denselben Sälen spielen müßten, in denselben Säulengängen und unter den nämlichen Nußbäumen und Weinlauben, die wir jetzt noch vor Augen haben. Aber auch da hat sich leider noch Niemand daran gemacht, die Herren und Frauen, Jungherren und Fräulein, die da ehemals ihres Lebens genossen, im wechselvollen Knäuel eines historischen Romans vorübergehen zu lassen. Doch würde es nicht schaden, wenn die vergessenen Geschichten einmal wieder erzählt werden, denn hier ist, wie wir bemerkten, bei Städter und Landmann sehr wenig Erinnerung geblieben an die Zeiten, die da einst unter Fehden und Landtagen, unter Waffenspiel und Minnegesang [301] dahinrauschten. In diesen unsern Tagen sind ohnedem die meisten jener Schlösser in den Händen der Landleute, und der Bauer hält fast zu wenig auf Thürme und Warten, auf Banketsäle, Waffenkammern und Frauengemächer. Er hat sich im Kleinen eine alte Gesindestube zur Wohnung restaurirt und läßt das Uebrige der Zeit trotzen so lange es vermag, oder wo in den letzten Jahrhunderten noch Herren auf den Gütern saßen, da geht er jetzt mit seinen Eisensohlen über den empfindlichen Parketboden und wärmt seine nackten Knie an den wälschen Kaminen und schneidet sich aus den hinterlassenen Ahnenbildern seinen Ofenschirm – der Industrielle.

Dieß Alles soll indessen nur eine flüchtige Ueberschau seyn, und um die Gegend näher kennen zu lernen, müssen wir nothwendig etliche Spaziergänge machen. Der erste Gang gilt aber dem Schlosse Tirol, denn dieß ist „der graue Pathe, der das Land nach sich genannt für ewige Zeiten.“ Der nächste Weg führt aus dem Friedhofe bei der Pfarrkirche empor in steilen Stufen, ziemlich schmal und holpericht. Der Berg, an welchem der Steig lange über den Dächern und Giebeln der Stadt sich hinzieht, heißt der Küchelberg und betrachtet sich wie ein vorgeschobenes Polster, das ziemlich gleichförmig abgerundet an die Füße der höhern hintenliegenden Jöcher hingelegt ist. Man hat von dieser Höhe eine gute Aussicht über die Stadt und ihre zwischen dem Bach und dem Berge eingeklemmte Lage.

Ein anderer Weg, etwas weiter, aber auch etwas bequemer geht durch das Passeyerthor und an der Passer aufwärts in die Höhe, wo die alte Zenoburg zur Seite liegt, auf einem schwarzen Schrofen, welcher senkrecht aus dem Bette des tosenden Wildbachs aufsteigt. Die Zenoburg ist auch verfallen, wie die meisten ihrer Schwestern. Braunes Mauerwerk von dichten Epheutapeten überdeckt schließt den Ring ab. Durch ein hölzernes Pförtchen tritt man ein. Innen ist ein leerer Burghof, felsig, höckerig; alte Reste bezeichnen noch hie und da den Gang der ehemaligen Mauern. Links erhebt sich ein fester Thurm, in dem ein uraltes düsteres Baumannsstübchen. Nebenbei findet sich eine kleine Cisterne, um welche eine spätere [302] sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb:

 
Schweig, leid und lach:
Gedult überwint alle Sach.

Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein [303] Margarethe, die später von einem Schlosse bei Bozen den Beinamen Maultasch bekam. Dieses Mädchen, das in der Geschichte von Tirol so bedeutsam wurde, hat sich auch im Volke ein dauerndes Angedenken gestiftet. Von vielen Schlössern behaupten die anliegenden Bauern, sie seyen Margarethens Sommeraufenthalt gewesen, oder wenn sie es jetzt nicht mehr behaupten, so haben sie es wenigstens gethan, denn auch Margarethens Gedächtniß wie das Herzog Friedels ist auf dem Lande sehr erblaßt, und die schöne Gräfin von Tirol lebt fast nur mehr im Munde bücherlesender Städter. In einem Stücke darf sich die Fürstin nicht beschwert erachten, wenn man ihrer vergißt, nämlich wegen des Leumunds ihrer weiblichen Tugend. Dieser ist sehr getrübt, und leider nicht allein in der Sage, sondern auch in der Geschichte. Die Tiroler Maler pflegten sie früher oft als Wahrzeichen anzubringen, immer ganz nackt, nur mit ihren goldenen Haaren bedeckt, und das Volk nannte jedes nackte Frauenbild, das keine Eva war, eine Maultasch. Schon Kaiser Max hat laut seines Tagebuches ein solches „schandbares Gemäld“ am abgetragenen Wappenthurm zu Innsbruck übermalen lassen und ein andres am goldnen Dachl wurde noch im vorigen Jahrhundert vertüncht, weil das Volk es gerne beschaute und über die „Herzogin von Meran“ unsaubere Reden führte. Der Ruf der Gräfin unterliegt indessen gegenwärtig einiger Reinigung. Hormayr nennt zwar die schöne Fürstin noch in neuester Zeit ein verliebtes Ungethüm, aber unter den treuen Tirolern findet sich wieder mancher Kämpe, der den Handschuh für sie aufnimmt. So ist schon im Jahre 1832 ein Ungenannter in den Beiträgen für Tirol und Vorarlberg aufgetreten und hat ihr einen natürlichen Sohn, mit dem sie bereits in vielen Büchern herumgezogen, glücklich wieder abgejagt. Den Schandfleck verdankte sie ihrem Schwager, Kaiser Karl IV. indem dieser in seiner selbstverfaßten Lebensbeschreibung von einem f. naturalis seiner Schwägerin spricht, welcher 1339 eine Verschwörung gegen Johann von Luxemburg angesponnen. Nun zeigt aber Anonymus, daß Margaretha nicht, wie andre angenommen, 1307, sondern 1318 geboren und daß daher der natürliche Sohn [304] 1339 kaum fünf oder sechs Jahre hätte alt seyn können – ein Lebensalter, in dem man sich noch nicht verschwört. So ist also ein filius naturalis eine Unmöglichkeit und das f. muß als frater angesehen werden. Nach der andern Annahme, die Margarethens Geburt ins Jahr 1307 setzt, kann man das Alter dieses Sohnes allerdings auf sechzehn oder siebenzehn Jahre bringen, aber nur dadurch, daß man die Königstochter im fünfzehnten oder sechzehnten Jahre außerehelich Mutter werden läßt. „Und, sagt Anonymus, wer fühlt nicht das Unanständige und das mehr Verwegene als nur Gewagte einer solchen unerwiesenen Behauptung oder Vermuthung gegen eine so junge noch unverehlichte Prinzessin?“ Diese Sache scheint also abgethan, aber die naiven Worte auf Margarethens Becher in der Ambraser Sammlung: Langer Liebesmangel ist meines Herzens Angel – diese Worte scheinen doch keine leere Prahlerei zu seyn, und mit Petermann von Schänna scheint’s auch seine Richtigkeit zu haben, und mit vielen andern edlen Herren und Rittern auch, und wie man behauptet, soll sie die Passeyrer zu „ihren nächsten Kämmerern“ ernannt und ihnen manche schöne Freiheit gegeben haben, nicht allein als Belohnung für ihre Treue, sondern auch für ihre Liebe. Uebrigens hat die Prinzessin in ihrer Jugend auch nicht die besten Beispiele um sich gesehen, denn ihr Herr Vater, der König Heinrich, war selbst kein Tugendspiegel.

Schloß Zenoburg ist den Freunden der tirolischen Literatur auch dadurch bedeutsam geworden, daß Dr. Johann Schuler es zum Schauplatz einer Novelle gewählt, die den Titel: Liebeswahnsinn führt, eine wahre Begebenheit zur Grundlage haben soll und unter den wenigen tirolischen Novellen für die beste erachtet wird. Sie findet sich in den Alpenblumen aus Tirol, einem Taschenbuch für das Jahr 1828. Allen denen, die vorigen Herbst in Meran waren, wird die Ruine aber in süßer Erinnerung bleiben wegen des Winzerfestes, das die Bürger der Stadt, hingerissen von dankbaren Gefühlen gegen ihre fremden Gäste, diesen dort bereiteten. Die Idee war zu Meran so neu, daß sie nothwendig Anstoß finden mußte. Ein fürsichtiges Wesen aus der guten alten Zeit – jeder Zoll ein [305] Zopf – wollte, obschon es nichts darein zu reden hatte, gleichwohl die günstige Gelegenheit, sich zu blamiren, nicht vorübergehen lassen, und legte ein Verbot auf das Fest. Derlei Beehrungen der „Ausländer“ seyen in der tirolischen Landesgeschichte unerhört, und eine solche Neuerung nicht erträglich; den Fremden sey alles zuzutrauen; sie wären am Ende boshaft genug, die fünfunddreißig Bundesflaggen wehen zu lassen, Was ist des Deutschen Vaterland zu singen, Oesterreich und dessen Zukunft leben zu lassen oder einen Toast auf die deutsche Einheit auszubringen, wie ihn Erzherzog Johann am Rheine ausgebracht. Das könnte Aufsehen machen, Aufsehen zu Innsbruck, Aufsehen zu Wien, Aufsehen überall. Die Meraner Bürger aber ließen sich von ihrem Vorsatze nicht abbringen. Ob Aufsehen oder nicht, sey ihnen gleichgültig; die tirolische Landesgeschichte könne diese und manche andre Neuerung ohne Schaden aufnehmen; das Fest sey den Gästen angesagt und könne nicht unterbleiben, ohne sie zu beleidigen; sie hätten keine Gründe sie zu verletzen, aber alle Ursache sie liebreich und ehrenvoll zu behandeln; sie würden sie höchstens bitten, die Bundesflaggen und die Toaste wegzulassen, um die Schwachen nicht zu erschrecken. Die Gemüther wurden schwierig und einzelne Würdenträger mitten in der Nacht aufgeschellt, um in den Rath zu kommen. Das Fest fand aber statt.

„Die alten übriggebliebenen Mauern schienen wie freudig erstaunt, der trotzige Thurm, von dem wieder einmal eine heitere Fahne flatterte, schaute verwundert nieder in den Jubel der sich so plötzlich eingelagert unter den Büschen und Trümmern, zu denen sich sonst kaum ein verfolgtes Vöglein flüchtet oder ein Wanderer versteigt, der in Ruhe ausblicken möchte nach den Thälern der Etsch und der Passer. Sie gedachten wohl ihrer jungen Jahre als statt des Eppichs goldene Gewebe sie deckten, und in ihrem Schutze König Heinrich seiner Tiroler Grafschaft Zinsen und Gaben verschwelgte dem böhmischen Königstitel zu Ehren, und sein Töchterlein Margarethe in ihrem Schatten zu der üppigen Rose erblühte, die Reiz und Dorn gleich gut zu gebrauchen verstand. Sie meinten wohl, als sie die langen gedeckten Tafeln sahen, die Lasten [306] lockender Etschlandsfrüchte und die vollen Becher, als die schönen geputzten Frauen umherwandelten, die hellen Gesänge laut wurden, und die Trompeten schmetterten, es seyen die alten Tage rückgekehrt und der lustige Burgherr sey eingezogen mit seinem Hofhalte zum Banket, Herr Rüdeger von Rubein oder der von Sonnenburg singe maifrische Minnelieder, und das Ländlein werde immergrüne Festkränze tragen, wie damals als von den Flächen herein Frau Romanzia mit ihrem Schatzkästlein voll Liedes- und Lebenslust sich in seine Berge flüchtete. Wenn man in dem bunten Gewühl die mannichfachsten Abarten deutscher Zunge vernahm, schwäbisches Singen neben der haarscharfen reinen Redeweise des Hannovrers, das weiche Berlinische, wie das breite Münchener Deutsch und das derbe Tirolische überall daruntergemengt; wenn man dann in allen diesen Mundarten dasselbe fröhliche Thema verstand: „daß es nicht leicht auf deutschem Boden eine Stelle gebe, wo solche Stunden sich herrlicher genießen ließen“, da mochte man gern denken: hierher flüchtete sich die Lebensfreudigkeit des deutschen Volkes, hier hält sie ihre Traubenlese und jubelt keck hinein in die nahen wälschen Marken: „Wie fein ist’s hier auf meinen letzten Hufen und bei meinen letzten Söhnen!“ Es sah sich so gut mit an, wie Fremde und Einheimische wohlgemuth sich labten an den edlen Herbstgaben, und daneben lachenden Blickes auslugten in die freie Weite, wo das Sonnengold herübergrüßte von allen Höhen, blaue Schatten traulich winkten und rings die Burgen lauschten wie in den gebrochenen Hallen der Nachbarin so plötzlich die lauteste Hochzeit spuke, wie der wilde Passeirerwind die aufgepflanzten Waffenbündel klirren und die Banner tanzen machte, wie dann Abends aus allen Sträuchen gleich leuchtenden Blumen bunte Lampen aufwuchsen und rothe Feuer aus den Ruinen glühten. Spät erst irrlichtelten die Fackeln herab nach der Stadt, bei deren Schein die Geladenen mit ihren Wirthen heimzogen, alle höchlich befriedigt und in bester Laune.“*)[2]

[307] Von Zenoburg trachten wir also, wie oben verabredet, nach dem Schloß Tirol. Der Weg fällt in einiger Entfernung mit dem zusammen, der aus der Stadt über den Felsen hinaufgeht. Rechts hinein eröffnet sich das Passeirerthal, dessen Eingang zur einen Seite meisterlich vom Schlosse Schänna, zur andern von den Dörfern Kains und Riffian geziert wird. Das Kirchlein zu Kains mit seinem Sattelthurm sieht wie neugierig aus den Weinbergen und genießt einer herrlichen Aussicht. Es wurde ursprünglich im achten Jahrhundert, zur Zeit als noch die bayerischen Agilolfinger[WS 2] bis ins Etschland herein geboten, von dem heiligen Korbinian erbaut. Damals war diese Gegend von den Durchzügen der deutschen Völker, welche seit langer Zeit über den Jaufen nach Italien gegangen waren, wieder wüste geworden und nach Aussage eines Zeitgenossen, ein heimlicher Ort ohne Fußtritt eines Bewohners. Korbinian hatte die Gegend auf einer Romfahrt gesehen und fühlte seitdem einen innern Zug nach der elegischen Landschaft um das alte Castrum von Terioli, und nach dem grünen Thale bei Mais, wo St. Valentin, der Bischof und Apostel der Rhätier, begraben lag. Später als man ihm zu Freising an des Herzogs Hofe nach dem Leben strebte, ging er gerne wieder in die liebliche Einsamkeit von Cainina zurück und als er in Freising gestorben, wurde seine Leiche nach Mais gebracht und in der Kirche St. Valentins beigesetzt. Die Pfarre Kains ist bis auf unser Jahrhundert beim Hochstift Freising geblieben. Zur Zeit lebt an der kleinen Kirche der Herr Pfarrer Thaler, ein freundlicher Mann, in der tirolischen Sängerwelt unter dem Namen Lertha bekannt. Er hat vor wenigen Jahren seine Gedichte herausgegeben und ist gegenwärtig sehr emsig mit der Untersuchung der heimischen Dialekte beschäftigt.

Der Küchelberg ist an seinen Abhängen reich mit Weingärten besetzt, deren rothes Gewächse ehemals einen guten Namen hatte, aber jetzt ihn nicht mehr ganz ausnahmslos verdient, weil viele Besitzer übertriebene Wässerung anwenden, um mehr aber geringern Wein zu erzielen. Seine Lage ist allerdings die wärmste in der Gegend, so daß in den Felsenritzen [308] sogar der Cactus sich aufthut, wie zu Bozen auf den heißen Porphyrfelsen. Oben sind fette von mächtigen Obstbäumen beschattete Wiesen in wechselnder Fläche hingebreitet bis zum Dorf Tirol. Wenn der Küchelberg einst ganz mit Reben übersponnen ist, sagt das Volk, dann kommt der Antichrist und der Welt Ende ist nahe.

Das Dorf Tirol selbst ist nicht bedeutend, aber auf der offenen Höhe schön gelegen. Von den Fenstern des Wirthshauses aus eröffnet sich eine stattliche Aussicht über das Etschthal, ungefähr desselben Inhalts, wie die auf dem Schlosse Tirol. Zu diesem führt der Weg durch das Knappenloch, einen Tunnel nach Art des Urnerloches, der unter Kaiser Leopold I hergestellt worden ist. Wenn man aus dem unterirdischen Gang herauskömmt, so zeigt sich zur rechten Seite der Runst[WS 3] eines Wildbaches, in welchem eine Reihe von Erdpyramiden stehen. Es sind dieß dünne Sandpfeiler, die an einer brüchigen Halde über einander emporsteigen. Oben darauf liegt je ein Felsblock, der als Beschwerstein die Unterlage durch seinen Druck fester zusammenhält und ihr durch seine Fläche einen Schirm gegen das oberschlächtige Regenwasser verschafft, so daß diese bedeckten Nadeln trutzig stehen bleiben, während der obdachlose Haldensand von den Wettergüssen weggespült wird. Eine größere Sammlung von solchen Erdpyramiden findet sich auf dem Ritten ober Bozen und einzeln kommt die Erscheinung im ganzen Etschlande vor. Sie gehört wie Gletscher und Wasserfälle zu jenen Wundern, deren Bewunderung den Landleuten unausbleiblich ein Lächeln abnöthigt, und es wird wohl noch einige Zeit hergehen, ehe sie sich den städtischen Namen des Zeugs merken können.

Zur Linken über der Schlucht, aus deren Tiefe die schwarzen Trümmer von Brunnenburg melancholisch heraufschauen, zur Linken zeigt sich das Hauptschloß, fast auch nur anzusehen wie ein ausgezackter Beschwerstein auf einer riesenhaften Erdpyramide. In der That steht der hintere Theil der Burg dicht über einer thurmhohen, senkrecht abgerissenen Sandwand, die aus dem Bette des Gießbachs aufragt. Sie droht Jahr aus Jahr ein den Einsturz, hat sich aber gleichwohl seit Menschengedenken [309] nicht sichtlich verändert. Doch kann einst ein Tag kommen, wo der Sandberg einbrechen und das Hauptschloß von Tirol nachstürzen und in seinen Trümmern im Longvaller Bache liegen wird. Ein Flügel der Burg ist schon vorausgegangen – man weiß, daß vor Jahrhunderten ein Theil der Veste weggespült worden.

Daß das alte Terioli eine römische Bergveste und lange nach den Zeiten der Römer ein Sitz eigener Grafen geworden und daß auf die alten Herren von Tirol die Görzer gefolgt und ebenda gewohnt haben, dieß ist schon früher erwähnt worden. Im Volke lebt aber noch das Gedächtniß einer andern Dynastie, die freilich schon längst ausgestorben ist, ohne daß die Geschichtsforscher davon Notiz genommen. Die Nachbarn behaupten nämlich es hätten in dem alten Schlosse vor Zeiten die Riesen gewohnt und die Angabe läßt sich sogar dadurch unterstützen, daß man ehemals ledernes Rüstzeug eines ungewöhnlich großen und starken Mannes, vorgeblich des mythischen Hagene, da gezeigt hat. Jene Riesen, welche Heiden waren, lebten in stätem Hader mit den kleinen Zwergen, die bei St. Peter wohnten und sich zum Christenthume bekannten und so oft diese mit dem oft versuchten Kirchenbau zum Dachstuhl gekommen waren, langten die Riesen vom Schlosse herüber und schnellten das Gotteshäuschen mit dem Finger in das Thal hinab. Einmal aber gelang es den Zwergen in einer Nacht den Bau zu vollenden, ehe die Riesen erwachten, und da hatten sie keine Gewalt mehr darüber. Deßwegen ist auch die Kirche so klein geworden.

Als Margaretha, die Maultasche, das Land Tirol den Herzogen von Oesterreich übergeben und das Hauptschloß aufgehört hatte der Sitz der Landesfürsten zu seyn, wohnten noch etliche Zeit lang die Landeshauptleute in der Burg, bis auch diese nach Bozen zogen. Darnach stand sie leer, wurde aber immer erhalten. Auch blieb wenigstens der guten Stadt Meran noch die Auszeichnung, daß die Landeshauptleute mit großen Festlichkeiten und unter zahlreichem Zutritt des umwohnenden Adels dortselbst installirt wurden. Im Jahre 1808 hatten sie zu München den haarsträubenden Einfall die Burg [310] mit dem anderthalb tausendjährigen Namen an den Meistbietenden zu verkaufen. Der erste Käufer hatte sie zum Abbruch bestimmt und schon Hand angelegt. Um nicht von den Steinen erschlagen zu werden und Sand und Staub von seinen Weinbergen abzuhalten, nahm es der darunter wohnende Bauer jenem ab und entriß es der Zerstörung. Als Tirol wieder an Oesterreich gefallen war, brachte die Stadt Meran das alte Palladium an sich und verehrte es dem Kaiser Franz.

In den Burghof tretend erhalten wir den Gruß des Pförtners, des alten Blasius Trogmann, welcher der Fink genannt wird. Er saß früher auf einem Bauernhofe zu Mais, stand aber nebenbei schon 1797 in Gefechten und im Jahre Neun war er der Hauptmann der ersten Schützencompagnie seines Dorfes. Er hat den Sandwirth gut gekannt und weiß manches von ihm zu erzählen. In den Geschichten jener Zeit wird er als brav und tüchtig oft genannt. Der alte Held mit dem freundlichen Gesicht, den blauen Augen, weißen Löckchen und den sanften ruhigen Manieren trägt noch die braune Bauernjacke und den großen runden Hut, welche er nur bei besondern Gelegenheiten mit einer Uniform vertauscht, in welcher der treue Kämpe gewiß recht erbärmlich aussieht. Auch der gegenwärtige Schloßhauptmann, der bescheidene Herr Ilmer, hat im Jahre Neun befehligt. Die Pförtnersstelle, die jetzt der alte Fink versieht, verwaltete von 1828 an Joseph Hell, ein Bauernsohn von Vomp bei Schwaz, derselbe der die schönen Holzschnitzereien gearbeitet hat, welche im Ferdinandeum zu Innsbruck aufbewahrt werden. Er starb in großem Unglück auf Schloß Tirol im Jahre 1832.

Dieses Schloß besteht aber aus zwei Theilen, davon einer verfallen, der andere noch erhalten ist und ritterlich auf der Rebenhöhe prangt. In jenen verlegt die Sage das Gemach, wo Ludwigs und Margarethens Beilager gehalten wurde; in diesem ist, jetzt tapezirt und mit Bildnissen geschmückt, die Stube wo Kaiser Ferdinand 1838 den Andrä Erb, den Schwiegersohn des seligen Andreas Hofer, als Lehenträger für seinen Vetter, den jungen Andreas von Hofer mit dem Sandwirthshause in Passeier belehnte.

[311] Unten ist eine große schmucklose Halle und eine Capelle daran. Diese enthält zwar in ihrem Innern nicht viel mehr als etliche plumpe Gestalten alter Schnitzerei, aber ihre Pforte ist ein Kleinod. Sie ist mit einer steinernen Einfassung bekleidet, auf welcher ein Steinmetz der Vorzeit, etwa einer aus dem elften Jahrhundert, höchst ungeschlachte und wunderliche Basreliefs eingehauen, deren Sinn und Deutung bisher von den scharfsinnigsten Köpfen verschiedentlich beleuchtet worden. Der blöde Laye erkennt weiter nichts als oben im Halbrund der Thüre einen Christus am Kreuze und an der Seite eine Darstellung von Adam und Eva im Paradiese, voll wundersamer Affenähnlichkeit. Auch ein Centaure unter dieser Paradiesesscene scheint außer Zweifel. Mitten in der hölzernen Thüre ist ein Hufeisen aufgenagelt; es soll einst einem Schimmel der Margaretha Maultasch gehört haben.

Die Aussicht aus den Fenstern der Burg ist bezaubernd. Besonders schön gestaltet sich die perspectivische Verjüngung des Etschlandes gegen Bozen hin. Der Strom zieht in breiten Windungen durch das burgenvolle Thal. Weit unten am Schlusse stehen auf einem steilen Felsen die Thürme von Eppan, von der einst so feindlichen Veste, die aber seit Jahrhunderten den Frieden nicht mehr gestört hat.

Auf der Höhe von St. Peter sieht man gerade hinunter in den Weingärten des Thales viele zerstreute Häuser und zwei Kirchen, welche den Dörfern Gratsch und Algund angehören. Letzteres hat einen großen Umfang und zählt siebenzehnhundert Seelen. Die Algunder sind wohlhabend und zeichnen sich, wie behauptet wird, vor allen übrigen Bauersleuten der Gegend durch stolzes, selbstbewußtes Benehmen aus. Man rühmt ihnen nach, daß sie in Kriegszeiten bereitwillig zum Auszug und muthig im Gefechte seyen. Was sie in den ewigen Fehden des Mittelalters für ihre Herren gethan, ist zwar nicht besonders aufgezeichnet worden, aber in neuerer Zeit werden sie öfter genannt. Im Jahre 1703 standen sie schnell zur Landwehr auf, waren jedoch sehr betheiligt an der Meuterei, die zu Meran unter dem zugfertigen Aufgebot entstand. Sie wollten vor allem wissen, wie während des Auszugs Weiber [312] und Kinder zu Hause verpflegt würden. Sobald sie aber einmal dem Feinde gegenüber standen, thaten sie sich durch Tapferkeit hervor. Weniger Bedenklichkeiten wegen ihrer Weiber und Kinder zeigten sie Anno Neune, wo sie nach jetzigem Ausdrucke zu den eifrigsten „Rebellern“ zählten.

Am Fuße des Schloßberges, fast vergraben unter Nußbäumen und Weinguirlanden liegt also die kleine Kirche von Gratsch und daneben ein unscheinbares Bauernhaus, das wir im Vorbeigehen betreten wollen.

In der getäfelten Wohnstube steht der große Tisch fürs Mahl und zum Fenster schaut ein Feigenbaum herein. Durch sein Blätterwerk geht der Blick hinunter über lange Weingüter ins Thal der Etsch und am Flusse fort fast so weit, als man auf dem Schlosse selber schauen kann. Der bäuerliche Hausherr gilt als einer von den Schlauen, deren es in Tirol noch mehrere geben soll, als einer von den Pfiffigen, die sich in der Welt wohl auskennen gelernt haben und mit den Menschen umzugehen wissen. Er war schon Anno Neun dabei und hat zum Waffenhandwerk von jeher große Zuneigung gezeigt, so daß er zu seiner Zeit als der beste Schütze weit und breit in hohem Ruhm stand und auch jetzt noch die Schießen der Nachbarschaft nicht ohne Glück besucht. Er weiß in der rechten Laune viel zu erzählen und gibt gern ein Witzchen zum Besten. Vom Rosengarten, der in hiesiger Gegend liegt, weiß er wohl zu sagen, aber den König Laurin der darin hausen soll, kennt er nicht. Ersterer ist ein Rebengefilde in anmuthiger Lage; das Gewächs soll indeß nicht das beste seyn. Auch einige Beiträge zur Urgeschichte seiner lieben Pfarre zu St. Peter stellt er mit Vergnügen zu Diensten, nämlich daß einmal zur Zeit einer Christenverfolgung die Gläubigen des Sprengels über die unwegsamen Jöcher in das wilde Hochthal von Pfelders sich geflüchtet, so daß dadurch dieses seine Bevölkerung erhalten und nachmals, als die Verfolgung vorübergegangen, pfärrig zu St. Peter geblieben sey, wie das auch die Geschichte anerkennt, berichtend, daß die abgelegenen, zwischen Fernern eingeklemmten Wiesengründe von Pfelders erst im vorigen Jahrhundert einen eigenen Seelsorger erhielten, bis dahin aber die Hirten zu [313] Gottesdienst und zur ewigen Ruhe ins Etschland kommen mußten.

Unterdessen vereinigt sich das gesammte Hauswesen zum Abendessen. Der Bauer hat in seinem Erdenwallen sechzehn Kinder erzeugt und davon sind ihm dreizehn am Leben geblieben. Diese dreizehn also kommen allmählich hereingewandelt und mit ihnen auch die Mutter. Die Kleinen verlaufen sich schüchtern in einen Winkel und fangen an zu kichern, was der Fremde, dem es gilt, nicht übel nehmen darf, denn es ist gut gemeint. Sofort erscheinen auch die Mädchen und grüßen mit Freundlichkeit, setzen sich zusammen und lachen auch, jedoch mit einigem Rückhalt. Nun sind auch die Buben da, welche einen ernsten Willkomm sprechen und sich ebenfalls zusammen setzen, aber keine Miene verziehen. Alle zusammen bilden eine der wohlgeschlachtesten Familien, die in der Gegend zu finden ist; die Buben groß, stark und wohl gebaut, mit tüchtigen Gesichtern, die Mädchen hochgewachsen, schlank, eines natürlichen Anstandes und mit feinen ausdrucksvollen Zügen.

Da es nun Zeit zum Abendessen ist, so stellt die Tochter das Mahl auf und dann fangen alle laut zu beten an. Während sofort die Plente, die Polenta von türkisch Korn, aus der großen Schüssel zum Munde geführt und mit rothem Wein hinabgeleitet wird, sitzen wir am Fenster und freuen uns zum hundertstenmale der reichen Landschaft, die jetzt, nachdem die Sonne hinter dem Tschegat hinabgesunken, in stahlblauen Duft leicht gehüllt mehr und mehr in Dämmerung versinkt. Wenn die Bauersleute zu Nacht gegessen, ist es ungefähr Zeit nach Hause zu gehen, und während die ganze Kinderschaft sich in die Kirche begibt, um dort den abendlichen Rosenkranz zu beten, beurlauben wir uns auch von dem Hausherrn und ziehen, freundlich eingeladen zur baldigen Wiederkehr, unsers schönen und stillen Weges in die Stadt. Hie und da begegnen uns heimkehrende Landleute, mitunter Mädchen, die in großen Körben auf dem Rücken Heu nach Hause tragen, oder auch ländliche Wagen, von großen weißen Rindern gezogen und von schmucken Jungen geleitet.

[314] Da wir eben aus dem Bauernhause herauskommen, so wollen wir noch etwas mehr über das Landvolk im Burggrafenamte beibringen. Vor allem bemerken wir, daß es ein überaus schöner Schlag von Leuten ist. Die Männer zeigen sich als die rechten und wahren Erben der altgermanischen corpora immania, hoch ausgestreckt, breitschulterig, stattlich anzusehen. Sie tragen große Hüte, braune Lodenjacken mit rothen Aufschlägen und ein rothes Leibchen, über dem der breite, grüne Hosenträger liegt. Durch eine gewisse ernste Gesetztheit im Thun und Lassen ist die Bauernschaft dieser Gegend wohl noch eindrücklicher, als die leichter beweglichen Zillerthaler. In ihrem Feiertagsgewand sind diese großen Gesellen äußerst sorgfältig und reinlich, dabei auch streng bedacht auf gleichförmige Beibehaltung des herkömmlichen Schnittes und der herkömmlichen Farben. Wie sie am Sonntage nach dem Amte zu Meran vor dem Kirchhofe stehen zu Hunderten einer wie der andere, so dürften sie nur die Stutzen in die Hand nehmen, um schnurstracks vom Platze weg als schöngeschmückter Schlachthaufen ins Feld ziehen zu können. Nur in den Hüten ist da ewiger Unterschied zu finden. Etliche ältere Bauern tragen nämlich noch die frühere Art, welche einen niedern Kopf und eine ungeheure flache Krempe zeigt, das gesammte jüngere Volk führt aber eine jüngere Form mit höherm Kopfe und schmälerer Krempe die von den Bergen herabgekommen seyn soll, weniger eigenthümlich als jene, aber gleichwohl noch genug von der heutigen Herrenmode abweichend, um zierlich zu seyn und hübsch zu stehen. Wenn die jungen Männer an feierlichen Tagen als Schützen ausrücken, so erscheinen sie mit großen, grünen Hüten, dem festlichen Abzeichen der Junggesellenschaft, welche dann auf einer Seite um im Tragen des Stutzens nicht zu hindern, hoch aufgeschlagen, ferner mit grünen Bändern und einem aufgesteckten Blumenstrauß verziert sind. Ein andrer Strauß steckt dann auch in der Mündung des Gewehrs. Ein solcher Schützenzug, wenn er stolz dahermarschirt, mit fliegender Fahne und klingendem Spiel, wenn die Schwegelpfeifen den heimischen Schützenmarsch blasen, ist eine sehr schöne Erscheinung und weckt Erinnerung [315] an kriegerische Zeiten, denn so sind die Wehrmänner des Aufgebots an den Berg Isel und aufs Sterzinger Moos gezogen. Es ist ein anmuthiger Gebrauch, daß dabei zwei Knaben zarten Alters, ganz genau gekleidet, wie die großen Burschen, mit ebendenselben Jacken und grünen Hüten, und mit leichten Stutzen bewaffnet an der Spitze gehen, als redendes Zeichen, daß auch der Knabe schon berufen sey, ein Landesvertheidiger zu werden, oder daß Vertrautheit mit den Waffen schon von Kindesbeinen an gepflogen werden soll. Die kleinen Schützen gebärden sich sehr ernsthaft, nehmen die Sache viel wichtiger als die großen, werden auch von den Zuschauern viel neugieriger betrachtet und sind stets, die niedlichsten Kerlchen der Pfarrei, die mit ihren blauen Augen, fast kriegslustig aus den blonden Locken herausschauen. In vollem Feierstaat treten die Schützencompagnien bei dem Umgang des Frohnleichnamstages auf. Ich erinnere mich gerne an den vorjährigen zu Mais, wo die schönste Sonne schien und die Böller so sabbathmäßig knallten, während das hochwürdige Gut mit den betenden Priestern und den wehenden Fahnen und unzähligem Volke in den besten Gewändern durch die Weingärten daherzog. Da wehte ein kühler Morgenwind aus Passeier heraus und spielte mit den Fahnen und mit den Bändern der grünen Schützenhüte, und die prunkende Mannschaft bildete das Spalier und der ehrenfeste Priamibauer, der erprobte Kriegsmann, stand mit blankem Säbel als Hauptmann vor der Fronte und commandirte mit schallendem Rufe: Präsentirt’s Gewehr.

Von den Kriegern zu den Schönen, ist ein leichter Uebergang. Wir behaupten mit Vergnügen, daß die Landmädchen um Meran in ihrer Schönheit dem wohlgeschlachten Männervolk vollkommen ebenbürtig seyen. Auch ihr Wuchs ist schlank und hoch, aber außer der Leibesgestalt treten sie auch durch den feinen Gesichtsschnitt angenehm ins Auge. Während am untern Innthal, das bekanntlich an schönen Mädchen keinen Mangel hat, eine runde und volle Form vorherrscht, ist hier das Antlitz länglich und schmal, dabei eines milden Ernstes und doch der freundlichstrahlenden Augen wegen nicht ohne liebliche Gutmüthigkeit. Zartgefärbte rothwangige nordische Gesichter wechseln [316] mit bleichen südlichen ab und wie sich in diesen vielleicht ein Nachwirken alten romanischen Blutes zeigt, so wohl auch in den rabenschwarzen Haaren, die freilich minderzählig neben den hellblonden zu gewahren sind. Die Haare, blond oder schwarz, werden aber aus der Stirne rückwärts gestrichen und nach dem Nacken hin auf italienische Weise durch eine breite Nadel festgehalten, worin nach Albert Schott ein Kennzeichen alemanischer Abkunft zu Tage läge. Sonst wollen Sachverständige die Tracht nicht vortheilhaft nennen, behauptend, die schweren violbraunen Röcke seyen dem Heraustreten des schönen Wuchses nicht förderlich und verliehen der Gestalt eine unbehülfliche Hülle. Anerkannt dagegen ist die kleidsame Pracht der brennrothen Strümpfe, und die Umschlingung des seidenen Halstuches, das sich rückwärts den vollen Nacken halb enthüllend, herzförmig einsenkt, ist besonders reizend ausgedacht.

So ist’s denn eine liebe Betrachtung das körnige Bauernvolk im Burggrafenamte, wie es umgeben von einem Kranze hoher Schneeberge in der warmen grünen Tiefe lebt, unter dem heißen italienischen Himmel, in der schmalen Ebene, die wie ein Herd erscheint, um Hitze auszukochen, – jetzt nachdem die Westgothen vorlängst spanisch, die Burgunder französisch, die Longobarden italienisch geworden sind, der letzte Rest germanischer Zunge, der unter Feigen- und Mandelbäumen Haus haltet. Ja von allen andern deutschen Stämmen, die einst mit gezücktem Schwerte über die hohe Wand der Alpen und der Pyrenäen nach den europäischen Südländern stiegen, von allen, die dort zu Ehren, Macht und Ansehen gekommen, ist keiner bei seiner Sprache und seinen Sitten geblieben, aber hier im oberitalischen Paradiese an der Etsch sitzt noch die ganze Gefolgschaft hochstämmiger Recken in urkräftiger Deutschheit beisammen, immer noch abweisend und schroff gegen den wälschen Nachbar, wie vor anderthalbtausend Jahren. Dieses Häuflein war so klug, nachdem die Mauer übersprungen, im ersten Vorhofe stehen zu bleiben. Hätte es sich weiter hineingewagt in den lockenden Feengarten, so wäre es wohl auch verzaubert worden und verschollen für die Heimath. Deßwegen hat auch die Stellung des deutschen Bauern an der [317] Etsch etwas Besonderes und Ausgezeichnetes – weil er allein von hundert und hundert Tausenden seiner Stammverwandten das Land der altgermanischen Sehnsucht nicht allein gefunden, sondern sich auch nicht darin verloren hat; denn der Orangenduft und die Mandelblüthe und die süßen Feigen hindern nicht, daß der deutsche Bauer hier der nämliche mannhafte Kerl ist, wie im kühlen Norden, ehrlich fest und tapfer, still und ruhig, dabei auch sehr fromm und betlustig und ein großer Liebhaber von Feiertagen, deren es hier nach angestellter Berechnungen so viele gibt, daß sie in vier Jahren ein volles Jahr für sich ausmachen.

Ein wirklich auszeichnender Zug dieser Landleute ist ihre feierliche Ruhe, die man mit anderm Worte vielleicht auch Phlegma nennen könnte. Der stillen Gelassenheit in Gang und Schritt entspricht die Schweigsamkeit in der Rede. Was aber gesprochen wird, klingt deutlich und wird, weniger zwar als im Vintschgau, jedoch noch immer leicht auffallend gesungen. Insbesondere haben die Mädchen eine hohe Stimmlage und überlassen sich gerne dem weichen Wiegen und Trillern des Tons. Die Sprache scheint mir unter den harten Dialekten Tirols die zarteste und lieblichste, und wenn wir hie und da ein gutaufgelegtes Mädchen hörten, wie es in metallischer Stimme ihre Reden halb singend herunter flötete, so kam es uns vor, als wäre der Meranerdialekt überhaupt unter den Deutschen einer der angenehmsten und wohlklingendsten. Die angeregte Schweigsamkeit zu erproben, laden wir aber den Leser insbesondre ein, sich eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf den Hauptplatz zu Meran zu verfügen. Dort wird er bemerken, daß alle die hundert Bauern, welche sich da scheinbar plaudernd zusammenstellen, kaum hinreichen, um ein halblautes Summen zu Stande zu bringen, und wenn einer eben aus Italien kommt, mit Ohren die noch von all dem Lärm eines italienischen Marktes gellen, so wird’s ihm desto mehr auffallen hier unter den Lauben, die so voll sind von Aprikosen, Pfirsichen, Trauben und Feigen, nur hie und da ein leise geflüstertes: Kafen’s ein! zu vernehmen. An Sonn- und Feiertagen werden wir auch an den Buschenhäusern vorüberstreifen, [318] zwar die Bänke voll Trinker gewahren, aber durch die offenen Fenster selten ein vernehmbares Wort erfassen können, so leisen Tones halten die Trinker ihre Gespräche ab. Selbst für Ja und Nein haben sie etwas ersonnen, was ihre Aussprache unnöthig macht, und Ja bezeichnen sie, indem sie leise einwärts pfeifen, Nein aber mit einem hellen Schnalzen der Zunge. Sind das die Ueberreste einer uralten Zeichensprache oder die Anfangsgründe einer neuen?

Gesang und Lieder sind unter diesem Volke wenig in Gebrauch, doch hört man hin und wieder eine Zither aus den Fensterchen klingen, die das Reblaub vergittert. Auch sagenreich ist die Gegend nicht, obgleich alte Schlösser anderswo ein guter Hort völksthümlicher Ueberlieferungen sind. Von den Bergmännlein haben sich noch einige Erzählungen erhalten, doch lassen sie sich, wie die Wirthin von Algund behauptet, nimmer sehen, seitdem man nicht mehr an sie glaubt. Sie heißen Norke, Nörkelen, im benachbarten Ultenthale Lorken – ein Name, der eine romanische Erbschaft und von un orco l’orco, dem alten Orcus abzuleiten ist, der bei den Italienern in einen Haus-, Wald-und Berggeist übergegangen. Von diesen wälschbenannten Männchen erzählt man eben dieselben Geschichten, wie von ihren deutschen Gesippten und sie sind auch ganz sicher aus der deutschen Mythologie herausgewachsen. So ist z. B. bei Vernuer ober Riffian eine Norkenhöhle und einer ihrer Bewohner kam einst täglich zu den Bauern um ihnen Korn mahlen zu helfen, verschwand aber, als man ihm zur Belohnung ein neues Röckchen hinlegte. Ebenso verschwand in einem Hause bei Algund ein Nork, der als Knecht gedient hatte, als man ihm an seine Peitsche, die er in den Stall zu hängen pflegte, ein silbernen Thaler gebunden. Diese Männlein haben also ungefähr denselben Humor wie jenes auf der Bärenweid im kleinen Walserthal. Auf der Muttspitze oben haust ein alter Nork, den ein Hirte einmal seufzen hörte: Wie bin ich so grau, wie bin ich so alt – denk den Muttkopf dreimal Wiese und dreimal Wald – eine Elegie, deren Seitenstück einst bei Münster im Unterinnthale vernommen wurde als der Geist der Tegerwiese behauptete, er habe [319] sie neunmal als Wiese und neunmal als Wald gesehen. Eine alte Nennung des Norken findet sich in Hans Vintlers, des Tirolers, Blume der Tugend, gedichtet im Jahre 1411. *)[3] Auch selige Fräulein ließen sich früher sehen, ja eines und zwar ein recht schönes und freundliches sahen die Schulkinder noch vor wenigen Jahren in den Weingärten unterhalb der Burg Rubein. In Ulten hatte ein solches einen Bauern geheirathet und ihm dreizehn Kinder geboren, verschwand aber mit diesen als ihr Ehewirth das Geheimniß auf dem Kirchweg einem Nachbarn anvertraut. In den Bergforsten gibt es übrigens wilde Männer, die den seligen Fräulein nachstellen. Diesen zu gefallen hauen die Holzarbeiter in jeden Baumstamm der beim Holzfällen stehen bleibt, drei Kreuze; denn wenn die verfolgten Fräulein auf einen solchen Stock springen, so können ihnen die wilden Männer nichts mehr anhaben.

Weniger zu rühmen als Gestalt, Kleidung, Art und Wesen der Meraner Landleute sind ihre Wohnungen, welche zumeist von außen ein verfallenes, von innen ein schlecht gesäubertes schmutziges Ansehen haben. Die vorarlbergischen Bauernhäuser, die hölzernen Villen im Bregenzerwald, die sich mit ihren hellen Fenstern, den schöngebohnten Wänden und den reinlichen Böden so angenehm darstellen, sie sind hier nicht mehr zu finden, dagegen zerbrochene Scheiben, bröckelnde Mauern, zerrissenes Holzwerk an allen Enden und Orten. In der Sorge für häuslichen Anstand und wohnlichen Comfort steht der Bojoare überhaupt hinter dem Alemanen zurück; dazu mag im Etschlande noch die Milde des Klima’s, das Beispiel der wälschen Nachbarn und vielleicht mehr noch als beides ein dritter Umstand nachtheilig auf die Sauberkeit der Wohnungen einwirken. Der hierländische Bauer lebt nämlich, sey’s als Baumann, Pächter oder Eigenthümer, fast der Mehrzahl nach in Wohnungen, die nicht für ihn erbaut sind und diese, wie sie oft an Räumlichkeit weit über sein Bedürfniß steigen, würden [320] auch, wenn sie in wohlgefälligem Ansehen bewahrt werden sollten, viel mehr Erhaltungskosten in Anspruch nehmen als er aufzuwenden im Stande ist. Die alten Schlösser sind wie bemerkt, schon größtentheils in ländliche Hände gerathen; manche unkriegerische Landhäuser einer spätern Zeit sind denselben Weg gegangen und von vielen ehemaligen Wirthschaftsgebäuden, die für größere Verhältnisse berechnet waren, gilt das Gleiche. Namentlich sind im Etschlande die Klosterhöfe zahlreich, stattliche Weinlager, zumeist bayrischer Stifter, deren Otto der Bischof von Freisingen bereits im zwölften Jahrhundert gedenkt. Es ist zu vermuthen, daß die Mehrzahl dieser Gebäude schon nicht mehr ganz gut gehalten war, als der Bauer ihr Besitzer wurde, und ganz deutlich ist es, daß er seitdem nichts mehr hinein verwendet hat. Jetzt kann man ohne Präjudiz behaupten, die Hälfte der hiesigen Landleute wohne in Ruinen, und wenn auch die übrigen, die es besser haben könnten, an Schmutz und Gerümpel keinen Anstoß nehmen, so mag es daher kommen, daß sie am Beispiel der andern erkennen, wie wenig Reinlichkeit zu einem gemüthlichen Leben nothwendig. Vielleicht liegt auch nachbarliches Zusammenhalten zu Grunde und die Abneigung, sich durch a glossy surface vor den andern Haushaltungen der Gemeinde neiderregend auszuzeichnen.

Mühe und Arbeit des Meraner Landmanns ist neben der Viehzucht zumeist auf den Weinbau gerichtet. Art und Weise sowohl der Cultur der Rebe, als der Behandlung ihres Saftes ist aber von der sonst in Deutschland üblichen sehr verschieden. Erstgenannte, die Rebe, wird nämlich nicht an einzelnen Stöcken, sondern stets über ein hölzernes Laubengerüst gezogen unter dessen Bogen ein Mann aufrecht oder halbgebückt durchgehen mag. Dieß bildet eine höchst malerische Zuthat zu den Reizen des Etschlandes. Es ist wirklich ein herzerfreuender Anblick, in der Herbstzeit durch diese Weingüter wandelnd den Blick ins grüne Halbdunkel der perspectivischen Rebengänge hinauf und hinunter zu senden, wo vom laubgewirkten Baldachin die blauen Trauben groß und strotzend herunterhängen. Unten im Bodenraume werden andre Früchte, Mais, Kürbisse und dergleichen gebaut, und sehr gut nimmt [321] sich’s aus wenn im frühen Sommer durch den Laubengang hin die weißen Rinder den Pflug ziehen, den der Bauer rufend leitet. So zierlich und bildgerecht indeß diese Lauben sind, ein so gartenmäßiges, schmuckreiches Ansehen sie der Gegend auch verleihen, so werden sie doch und nicht mit Unrecht der großen Kosten des Holzes wegen von Vielen angefeindet und der rheinländischen Art des Baues, die auch bei Brixen gilt, obwohl bisher ohne werkthätige Folgen, der Vorzug gegeben. Sie sind wohl ein Vermächtniß der alten romanischen Weinbauern; und wie man die Güter und die Art der Bebauung von den Romanen übernommen, so hat man auch aus ihrer technischen Sprache für Rebe und Wein und was damit zusammen hängt, vieles sich angeeignet und bis auf den heutigen Tag bewahrt. Die Lauben selbst heißen in Meran von ihrer Brückenform Puntaunen (Pontone), in Bozen Bergeln (Pergola); die senkrechten Balken nennt man zwar je nach ihrer Dicke Stangen und Stecken, die obenauf liegenden Latten aber je nach der Richtung Stallein oder Marzan, von Stetone, Stengel und Marza, Propfreis. Dünne Rüthchen, die an der Seite eingesteckt werden, um junge Rebtriebe daran aufzuziehen, heißen Manail (Manuale). Für Kelter gebraucht man das am Bodensee gleichfalls übliche Torkel[WS 4]. Auch die Mäßerei wird mit undeutschen Ausdrücken bezeichnet; vier und eine halbe Maaß heißen eine Pazeide (Bacceda), fünfundfünfzig eine Ihrn, was ehemals auch Uern geschrieben wurde, und vom lateinischen urna herkommt. Auch die Traubengattungen haben zum Theile noch romanische Namen, wie Verseil, Vernatsch, Lagrein u. s. w. Letztere beide sind wohl nach ihrem Stammlande benannt, da Vernatsch als Veronaccia angesehen, auf Verona, Lagrein, aber als Lagarina betrachtet, auf das Lägerthal, Val Lagarina deutet, welches sich unter Roveredo der Etsch entlang an die Clausen von Verona erstreckt.

Was die Bereitung des Weins betrifft, so werden die Trauben nicht wie anderswo vom Stocke herab auf die Kelter gebracht und gepreßt, sondern zuvörderst in offene Bottiche geworfen und mit Knütteln zerquetscht. Was daraus entsteht, ein jauchenähnlicher Saft voll schwimmender Hülsen und Stengel, heißt [322] das Praschglet (graspato). Dieß wird alsbald in große, der Luft zugängliche Fässer geschüttet, wo es zu gähren beginnt. Nach vier Wochen hat sich der Wein abgeklärt, er ist licht geworden und das schwere Zeug ruht auf dem Boden. Nun wird die Flüssigkeit abgezogen und ist des Trunkes gewärtig; der Satz aber, die Trestern, auf den Torkel gebracht und ausgedrückt. Dieß gibt den Druckwein, eine untergeordnete herbere Sorte, die zumeist in häuslicher Verwendung aufgeht. Aus den gepreßten Trestern selbst wird Branntwein gebrannt; mit den ausgebrannten Trestern aber das Vieh gemästet.

Der auf diese Art erzeugte weiße Wein wird nicht immer so hell, als ihn die Trinker wünschen. Zur Erzielung größerer Klarheit dient ein besonderes Kunststück, das nicht für sehr heilsam gilt. Es wird nämlich ein eigens bereiteter, mit Schwefel und Gewürz getränkter Lappen an einem Drathe brennend in das Faß gehängt und sofort, ehe er verkohlt, wieder herausgezogen. Alsbald verspundet man das Gefäß und läßt den Qualm ein paar Tage darin sein Wesen treiben und sich ins Holz einsetzen. Hernach wird der Wein dareingeschüttet. Manchen Trinkern bekommt dieses Schwefeln mehr oder weniger unwohl; doch sind die Kellnerinnen in der Regel bedacht, den Gast zu warnen, bemerkend: der Wein habe starken Einschlag.

Eine andere, jetzt minder gewöhnliche Bereitungsart fällt mit der rheinländischen so ziemlich zusammen. Auf diese Weise entsteht ein weit haltbarerer Wein als jener, der aus dem Praschglet gewonnen wird, aber seine Tugenden stellen sich erst mit den Jahren ein. Er wird erst wohlschmeckend nach zwei, drei Herbsten, wenn der andre längst vertrunken oder versauert ist. Die Erzeugung solcher Sorten wird zunächst zu Gunsten der Vorarlberger betrieben, die sich bei ihren namhaften Bestellungen im Etschlande mit Vorzug an derartige Weine halten. Letztere Art, welche den Wein durch die Mostgährung gehen läßt, heißt die österreichische. Das Getränk, das sie liefert, nennt sich Kritzer oder Hepfwein, während die Praschgletgährung den Bergährner gibt. Diese Behandlung ist erst seit wenigen Jahrhunderten eingeführt. Was der neueren [323] Bereitungsart zunächst den Eingang erleichtert hat, ist der Umstand, daß der Wein bald trinkbar wird, daher das Capital sich schneller umkehrt und dabei große Gebäude und kostbare Geräthschaften zu längerer Aufbewahrung nicht nöthig sind.

In der Gegend von Meran und hinab gegen Bozen, um diese Stadt her und in den Gefilden von Kaltern wächst nun, zumal an den Halden – Leiten – manch gutes Getränke. Vor allen werden der Leitacher, der Siebeneichener und der Terlaner, die in der Nähe von Bozen aufkommen, und der Kälterer Seewein gerühmt. Der Meraner Küchelberger genießt, wie wir bemerkt, nicht mehr des alten Ansehens, doch scheint es fast, als sey der Löwenberger bestimmt die Ehre der Gegend zu retten. Bei vielen reichern Güterbesitzern nimmt übrigens die Ansicht überhand, der Wein, so gut er auch nach den bisher üblichen Behandlungsarten ausfallen mag, entspreche nicht überall dem trefflichen Wohlgeschmack der Trauben, und durch feinere und sorgfältigere Bereitung müßten Weine zu erzeugen seyn, die neben manchen hochgeschätzten ausländischen mit Glück würden auftreten können. So werden denn mannichfache Versuche gemacht, die zum großen Theile der Erwartung entgegen kommen. Man trinkt sogar schon etschländer Champagner, der dem bekannten schwäbischen Getränke dieses Namens an Billigkeit, vielleicht auch an Wohlgeschmack vorzuziehen ist, jedenfalls sich durch eine sehr einfache, ungekünstelte Bereitung auszeichnet. Eine schon längst geübte Praktik gibt den sogenannten Strohwein, indem man die Trauben oder gar die abgepflückten Beeren auf langen Strohlagern, Tablonen, etwas eintrocknen und dann unter den Torkel gehen läßt. Solches Getränk wird sehr süß und stark und ähnelt den geistigen Südweinen. Alle diese Extrasorten gehen übrigens in den Wirthshäusern unter dem Namen: Flaschenwein, und die Flasche steht je nach der Güte im Preise zwischen sechsunddreißig Kreuzer und einem Gulden. Wer sich über die Gaben der tirolischen Rebenhügel einige Erfahrung sammeln will, darf nicht unterlassen, in den Wirthshäusern von Zeit zu Zeit nach Flaschenwein zu fragen. Noch besser wird er sich allerdings unterrichten, wenn ihm vergönnt ist in [324] wohlhabenden Privathäusern des Etschlandes öfters einen Probetrunk zu thun.

Völlig unbekannt ist hier der Jubel der Weinlese, der am Rhein so begeisternd aufschlägt. Vermögliche Familien gehen allerdings während der Traubenzeit gern in die Weingärten, um die „Weimer“ – die Trauben – vom Stocke zu essen, ziehen dann auch wohl gute Freunde bei und geben eine nahrhafte Marende zum Besten; aber es geschieht in aller Stille, und selbst die Böller, die sonst bei den unerheblichsten Anlässen knallen, lassen sich dabei nicht hören. Die ländliche Freudenzeit in diesem Lande ist nicht die Weinlese, sondern die Zeit der Sommerfrische, die Saison der Bäder, für die Aelpler, aber insbesondere auch die lustige Heuernte auf den Hochalpen. Die Mahd auf dem Schlern und auf andern Bergwiesen, die zu beiden Seiten des Eisacks liegen, wird mit Musik und Gesang, mit mannichfachen bäuerlichen Scherzen begangen, und die Erinnerung an diese Freuden steht im Gedächtnisse der Bergjugend eben so verklärt, als anderswo die Vorstellung von der Weinlese. Freilich ist auch der Glanz dieser Jubelzeit im Erbleichen. Die Heumahd auf der Seißeralm, die wir mit eigenen Augen gewahrten, ging sehr still an uns vorüber, und auch auf andern Alpen soll die Eingezogenheit mit jedem Jahre wachsen. Manchmal mag die liebe Jugend den Ernst der Eiferer auch wohl sehr nachdrücklich herausfordern, denn die frischen, frohen Mahder stellen in ihrer Lebenslust gerne die Behauptung auf, über dem Wetterkreuz oben sey nichts mehr Sünde. – Nur in Meran wird der Fremde in ein Herbstvergnügen eingeführt, welches bacchischer Natur ist und mit der Weinlese wenigstens in naher Verbindung steht. Zur Zeit nämlich, wenn der neue Wein hell geworden und in seiner Jugendblüthe am schmackhaftesten ist, gehen die ansehnlichern Bauern zur Stadt und laden die freundlichen Herren ein den neuen Trank bei ihnen zu versuchen. Eigentlich soll dieß im Torkel geschehen und deßwegen heißt auch die lobenswerthe Uebung Törkeln; doch ist’s nicht weit gefehlt, wenn die Feier in der Stube vollzogen wird. Der Bauer, der die reinste Freude äußert, die Herren unter seinem [325] Dach zu sehen, trägt dann in großen Krügen seine besten Arten auf und schenkt unermüdlich ein; die Bäurin bringt etliche eigens aufbewahrte Trauben, volle Teller mit Kastanien, Nüssen und Aepfeln; die Kinder nahen sich allenfalls mit einem Blumenstrauße. Die Unterhaltung ist volksthümlich, heiter, lebendig. Der Bauer wird seines süßen Weines, die Bäurin ihrer schönen Kinder willen belobt; auf der andern Seite freut sich das ganze Hauswesen, daß die Herren heute so „gemein“ (herablassend) seyen. Manchmal wird’s besonders lustig und man kommt tief ins Zechen hinein, so daß um die Zeit des Törkelens viele „Affen“ nach Hause getragen werden.

Nicht unerwähnt darf hier die Figur des Saltners bleiben. Unter Saltner versteht man im Allgemeinen einen Flurschützen, auf den Alpen einen Hirten, im Weinlande aber zunächst den Traubenhüter. Der Saltner muß ein Mann des besten Leumunds seyn; er darf sich nie in verdrießliche Geschichten eingelassen, nie eine Strafe erduldet haben. Er wird jedes Jahr am 15 August eingestellt, bleibt bis die Güter abgeleert, erhält des Tages ungefähr einen Gulden, ferner verschiedene andre Reichnisse und genießt das Essen abwechselnd bei den Bauern. Nach diesen Anhaltspunkten schätzt man sein Einkommen während der drei Monate seiner Dienstzeit dem jährlichen eines wohlbestellten Knechtes gleich. Dieser zuträglichen Lage willen sind die Stellen sehr gesucht, und es findet eine förmliche Candidatur statt, indem der Aspirant zeitig genug bei den Bauern, in deren Markung ihm die Würde verliehen werden soll, umherzieht und sie mit Züchten um ihre Stimme bittet. Der Saltner hat wenigstens um Meran eine eigene wunderliche Tracht, nämlich eine lederne Jacke von besonderem Schnitt, lederne Hosen, kurze Stiefeln und einen dreispitzigen Hut, der mit Hahnenfedern, Gemsbärten und Eichhornschwänzchen verziert ist. Bei Tage führt er eine lange Ruthe, bei Nacht eine Hellebarde. Gegen die Unbill der Witterung schützt ihn eine Art von Taubenkobel, der auf vier mannshohen Stangen in das Gut gestellt wird. Der Saltner hat viel Plag und Mühsal, um seinen Dienst so zu verrichten wie das Herkommen es verlangt. Man nimmt [326] zwar an, daß er des Schlafes so gut bedürfe wie andere Menschen, welche nicht Saltner geworden sind, allein er soll sich nie schlummernd betreffen lassen – weder bei Tag noch bei Nacht. Auch des Essens wegen darf er sich aus seiner Markung nicht entfernen und überhaupt Speise und Trank nur nebenher einnehmen, stehend oder laufend, ohne Abbruch der beständigen Wache. In diesem Stücke ist der Bauer übermäßig streng, prüft den Saltner oft arglistig, und gibt die bündigsten Verweise und Drohungen, wenn der Mann eines Augenblicks nicht wachsam befunden wird. Ein Hauptziel seiner Thätigkeit ist die Beobachtung der verbotenen Wege. Von der Zeit an nämlich, wo der Saltner eingestellt wird, werden auch die Weingüter, die das übrige Jahr offen stehen und zum beliebigen Durchgang dienen, für geschlossen erklärt, und insbesondere alle getretenen Fußpfade die hindurch führen, bis auf die unentbehrlichsten als verboten ausgezeigt, was durch eine hölzerne Hand geschieht, die auf einer Stange steckt und mit Berberitzenzweigen umwunden ist. Wer solche verbotene Steige bei Tag betritt, und enthaltsam ohne Angriff auf die Trauben seines Weges wandelt, dem naht sich der Saltner mit Höflichkeit, zieht den Hut und bittet um den „Tabakkreuzer,“ eine ideelle Münze, welche gewöhnlich durch einen Groschen dargestellt wird. Wer bei Nachts in die gleiche Lage kömmt, zahlt um ein Gutes mehr und setzt sich auch unlieblichen Reden aus. Die volle Wucht saltnerischer Ahndung fällt natürlich auf jene, welche, sey’s bei Tag oder Nacht, ihrer Lüsternheit erliegen und im Weinberg naschend ergriffen werden. Freilich wird den Saltnern bei ihrer Verpflichtung vor der Obrigkeit bescheidene Höflichkeit gegen die herrischen, menschliche Milde und gesetztes Wesen gegen die mindern Leute aufs nachdrücklichste eingeschärft; doch vergeht selten ein Jahr, ohne daß man von blutigen Stößen zwischen den pflichttreuen Wächtern und naschhaften Dieben zu hören bekäme.

Ist der Saltner abgethan, so sind auch des Weins Verklärungswochen bald vorüber und man beginnt allmählich den neuen zu trinken. Wie die Knochen des Meraner Bauern fest und stark, so ist auch seine Gurgel für ihre Zwecke bewunderungswürdig [327] eingerichtet und er kann sehr aushältig zechen. Er selbst, der Herr und Meister auf dem Hofe, trinkt natürlich nach Belieben; aber auch dem Durst der Knechte ist ein sehr weiter Spielraum gesetzt. In der Regel dürfen sie sich des Tages bis auf zwei Maß hinaufnippen, bei gewissen mühseligen Arbeiten aber, wie zum Beispiel beim Wässern, mögen sie zu sich nehmen so viel sie wollen. Dieses Wässern geht in kurzen Unterbrechungen durch die ganze schöne Sommerszeit. Die Anstalten dazu sind in den letzten Jahrzehnten allenthalben sehr vervollständigt worden. Ueberall ziehen kleine Canäle, welche, sobald sie die tiefgrünen Wiesen der Ebene erreicht haben, zwischen lispelnden Alleen von Weidenbäumen dahin rieseln. Die Wässer sind unter die Flurnachbarn nach bestimmten Zeitperioden vertheilt, die man Tag- und Nachtroden heißt; denn, je nachdem es trifft, fällt das ganze Geschäft in die Nacht. Da sind denn die Fallen aufzuziehen, Rasendämme aufzuwerfen, der Gang des Wassers zu leiten, und wenn die Zeit vorüber ist, die Fallen zuzulassen, die Dämme abzuschaufeln und das Bächlein wieder wohlbehalten dem Nachbarn zu überantworten – ein Inbegriff von sehr mühsamen und austrocknenden Arbeiten. Bei diesen Wässerungen werden auch oft die Fußwege in Mitleidenschaft gezogen und mancher Lustwandler, der des Abends unbesorgt ins Freie gegangen, findet bei der Heimkehr statt des trockenen Pfades, der ihn hinaus geleitet, einen murmelnden Bach, der ihn bis an die Knöchel netzt, wenn er ihm nicht auf Umwegen entkommen kann. Wer nun nachrechnen will, wird finden, daß ein tüchtiger, mit vielen Knechten und erwachsenen Söhnen versehener Bauer das Jahr hindurch eine ziemliche Anzahl von Ihrn zum Haustrank aufwenden darf. Bei manchen soll der Verbrauch bis auf 4000 Maß steigen und in ungünstigen Jahren das ganze Ergebniß der Güter kaum hinreichen um den Bedarf der Haushaltung zu decken.

Dem reichlichen Weingenuß im Etschlande entspricht indessen auch die feste Nahrung, und es ist gewiß eine richtige Bemerkung, daß der Bauer und sein Gesinde in den wenigsten Gegenden Deutschlands so gut und viel zu essen haben, [328] wie dahier. Man setzt sich des Tages fünfmal zu Tisch, freilich nur zweimal auf längere Zeit. Man beginnt die Arbeit am Morgen mit dem Frühmuß, stärkt sich um neun Uhr mit dem Halbmittag, läßt um eilf Uhr das Mittagsmahl, und diesem um drei Uhr die Marende folgen, und ißt dann noch einmal des Abends. Plente und Milchsuppe kommen dabei allerdings mehr als einmal vor, allein wohl auch Fleisch, meist geräuchert, was in Verbindung mit dem zwiebackähnlichen Brode schon Lewald erstaunen ließ, hier in den Alpen die Lebensweise der Seeleute anzutreffen. Diese stärkende Kost mit dem süßen Weine soll, so zuträglich sie den Leibern der Landleute ist, den Gütern derselben eher nachtheilig seyn, und man will behaupten, daß die jährliche Minderung des Ertrags derselben schon seit Jahren eine Beschränkung im bäuerlichen Haushalt hätte herbeiführen sollen. Bei allem Schönen, was man vom Etschlande sagen muß, ist nämlich nicht zu verschweigen, daß der Wohlstand mählich abnimmt, daß der Bauer, schon Ehrenhalber nicht geneigt in seinem Aufwande Mäßigung eintreten zu lassen, von Jahr zu Jahr schwerer haust, und daß die Vergantungen[WS 5], durch welche namentlich die nüchternen Wälschen herbeigezogen werden, von Jahr zu Jahr häufiger vorkommen. Man erzählt viel von dem hohen Leben der Bauern, mitunter auch von dem Uebermuth der zu einer gewissen Zeit als Folge schnell entstandenen Reichthums bei ihnen an den Tag getreten. Damals, geht die Sage, seyen die reichen Hofherren und ihre Ehewirthinnen an Sonntagen nur reitend zur Stadt gekommen, oft noch gefolgt von einem Geleithaufen berittener Knechte, und bei Mahl und Tanz hätten sie die harten Thaler in Menge schonungslos verzecht. Es wird dieß lustige Bauernleben in die Zeit gesetzt, wo die Ihrn Wein, die jetzt zwischen fünf und sieben Gulden steht, noch zwanzig bis fünfundzwanzig kostete, und das war jene Zeit als Meran sich eine königlich bayerische Stadt nennen mußte, insbesondere die letztern Jahre vom Frieden zu Schönbrunn bis zur glorreichen Wiederkehr des Hauses Oesterreich. Es ist bekannt, daß Napoleon nach Beendigung des Kriegs in Tirol die gefürstete Grafschaft zerstückelte, den [329] nördlichen Theil zwar bei Bayern ließ, Oberpusterthal aber mit Illyrien und Südtirol mit dem Königreich Italien vereinigte. Die Gränzen des vergangenen Königreichs Italien fielen übrigens nicht mit den Marken der italienischen Sprache in Tirol zusammen, sondern schlossen auch noch ein gutes Stück völlig deutschen Landes ein und waren so gezogen, daß sie den Eisack bei Atzwang zwei Stunden ober Bozen, die Etsch bei Nals etwa in der Mitte zwischen letzterer Stadt und Meran durchschnitten. In dieser Art war also die Gegend von Bozen und Kaltern mit all ihrem reichlichen Erzeugniß höchst genießbarer Getränke von dem bayerischen Markte ausgeschlossen und Meran hatte nahezu das Weinmonopol im Königreiche Bayern, dem damals das rebenreiche Würzburg wieder entzogen war. Daher jene hohen, jetzt kaum mehr zu erlebenden Preise und daher jenes sehnsüchtige Verlangen der Meraner Bauern nach der guten, alten Zeit – ein Verlangen, das sie in ihrer Blödigkeit nicht anders ausdrücken, als mit den Worten: wenn wir nur wieder bayerisch wären! – Ich sage das, obwohl ein Bayer, lediglich als Zeuge der Thatsache, ohne Freude oder Hoffnung, da wir alle bei dem jetzt so schön erwachten deutschen Einigkeitsgefühl nicht denken können, daß im deutschen Bund für deutsche Fürsten noch etwas zu erobern sey. Liebhaber der Unwissenheit und der politischen Erstarrung, seyen es nun Staatsmänner oder nicht, möchten aber hier ein Beispiel haben, daß die Fülle der Ignoranz und der Apathie nicht immer das sicherste Mittel sey, den Landmann in jener gewünschten unerschütterlichen Anhänglichkeit ans angestammte Fürstenhaus fest zu halten. Wäre die Bildung des Bauern so beschaffen, daß sie ihn an dem, was im deutschen Vaterlande vorgeht, Antheil zu nehmen befähigte, so würden seine Wünsche, die jetzt weit über die Zuständigkeit eines guten Unterthanen hinausgehen, sich in erlaubtem Geleise bewegen, und statt den Sinn auf eine andere Herrschaft zu richten, würde der Landmann lediglich nach Veränderung im Zollwesen sich sehnen. Wie man sich denn nun aber nicht besser zu helfen weiß, als mit der Hoffnung auf einen zweiten Preßburger Frieden, so hat man auch schon in andern Beziehungen nachgefragt und [330] die jetzige „Erhebung des religiösen Bewußtseyns“ in Bayern hat mindestens bei den Meraner Bauern aufrichtige Theilnahme gefunden. So wenig Anklang die Wiedereinführung des alten Mönchswesens im Lande selbst genießt, so lobenswerth erscheint sie den Leuten im Burggrafenamte, und ich führe diesen freundlichen Widerhall um so lieber an, als der Gewinn, den wir hier unter dem beschränkten aber gutmüthigen Volk des Etschlandes gemacht, uns wenigstens einigermaßen entschädigen kann für die Kälte und den Sarkasmus, der über jene anziehende Verjüngung in andern aufgeklärten, aber boshaften deutschen Ländern an den Tag tritt. Nachdem es jetzt so gut steht „im religiösen Fach,“ sagt man in Untermais und in Partschins, so wäre gar nichts mehr auszusetzen. Getreid herein, Wein hinaus – das ist sprüchwörtlich geworden und überall zu hören und eben so oft kommt die Betrachtung vor: was hilft der Kaiser, wenn die Länder nicht „zusammenspielen.“ Bayern und Tirol sind aber durch die Natur zum „Zusammenspiel“ geschaffen, als sich gegenseitig durch ihre Haupterzeugnisse ergänzend, während die benachbarten Erbländer weder Getreide an Tirol abgeben können, noch Wein von demselben nehmen wollen. So hat denn allerdings innerhalb eines Menschenalters ein gänzlicher Umschlag der Stimmung stattgefunden, und die Meraner, die Maiser, die Algunder, einst so eifrig bei dem Kriege, dann so wonnetrunken, als der Kaiser Franz wieder seine feurigen Arme um die tirolische Jungfrau schlang, die Meraner, die Maiser, die Algunder, die Männer im Weinland bis an die weiland italische Gränze bei Nals trauern jetzt über die Trophäen von Anno Neun und meinen die damalige Erhebung sey „lei so a Dummheit, a zochete G'schicht“ gewesen. Die Meraner nehmen es sich noch jetzt übel, daß sie dazumal bei der großen Festbeleuchtung zu Ehren der Wiedervereinigung mit dem Kaiserreiche so unendlich viele transparente „Facken“ (Schweine) ausgestellt, Schweine nämlich, welche von Gebirgsschützen und anderm bewaffneten Volke aus dem Lande getrieben wurden. Hätten’s auch nicht gethan, sagt der Bürger, wenn wir gewußt, wie gut wir sie jetzt brauchen können. [331] In der That sind die bayerischen Traubengäste nicht unwillkommen in Meran, und bis sie etwa einmal den Engländern weichen müssen, wird man diese Colonie, die zeitenweise auf dreißig und vierzig Köpfe steigt, als unverwerfliche Einkommensquelle mit offenem Wohlwollen betrachten. Stehen doch jetzt die Miethpreise der Wohnungen drei- und viermal so hoch als vor zwanzig Jahren.

Die Meraner sind wegen ihrer politischen Meinungen und Ansichten von pflichtsüchtigen Menschen schon öfter schlimm überschrieben worden, und das ist ihnen natürlich unangenehm. Darum lieben sie über alles die Gelegenheiten, wo sie ihren alttirolischen Patriotismus und die unerschütterliche Anhänglichkeit an das habsburgische Haus in festlicher Glorie darlegen dürfen. Wenn daher der Kaiser oder die Erzherzoge nach Tirol kommen, so werden sie kaum irgendwo freudiger und feierlicher empfangen, als zu Meran. Die gnädigen Fürsten erklären dann auch mit Rührung, wie sehr sie sich getäuscht, wie freundlich sie sich angesprochen fühlen von all den zahllosen Beweisen unvergänglicher Treue und Liebe. Kaum sind aber die Böller verklungen, so fällt man wieder in den alten Vergleich zurück zwischen der Zeit, wo die Ihrn fünf Gulden, und der andern, wo sie dreißig Gulden kostet. So oft man indessen von diesen Dingen reden hört, so bleibt doch noch manches Bedenken über. Der höhere Preis, den der Wein früher hatte, ist keinem Zweifel unterworfen, aber andererseits scheint es fast, als sey der vielgerühmte damalige Absatz nach Bayern lediglich eine Einbildung, und als dürfe jener hohe Preisstand dem Zusammenwirken ganz andrer Verhältnisse zugeschrieben werden. In der Schrift: Tirol unter der bayerischen Regierung,*)[4] die von einem sehr gut unterrichteten Tiroler geschrieben ist, findet sich nichts von diesem segensreichen Verkehr mit Bayern, und es ist kaum zu glauben, daß der Verfasser davon geschwiegen hätte. Er sagt nur, daß durch die Einführung der neuern Methode die Ausfuhr des Tiroler Weines sehr abgenommen habe, keineswegs mehr bedeutend [332] sey, ja selbst vielleicht von der Einfuhr fremder Weine überstiegen werde. Dagegen kann man wieder geneigt seyn den Meranern Recht zu geben, wenn man nachliest, was Staffler über die Sache mittheilt.*)[5] Uebrigens, und dieß wird zur Zeit allerdings mit tiefem Schweigen übergangen, ist sehr glaubwürdig, daß dazumal im bayerischen Tirol ein sehr schwunghafter Schleichhandel betrieben ward, „der, wie jener Landsmann sagt, die Städte Meran und Brixen eben so sehr bereicherte, als den Charakter der Einwohner verdarb.“

Gehen wir indessen wieder einmal spazieren und zwar am kühlen Abende nach Mais, das gerade vor dem Thore, jenseits der Passer liegt. Es ist ein weitzerstreutes Dorf, zum Theil an die Landstraße, zum Theil auf die sanfte Halde hingebaut, die gegen den Freiberg aufsteigt. Jene Hälfte heißt Untermais, diese Obermais; in jener ist das bäuerliche Aussehen vorherrschend, diese besteht fast nur aus Schlössern und Ansitzen. Beide sind nach einstimmiger Annahme der Alterthumskundigen auf dem Bergschutte erbaut, der in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung vom Ifinger herabstürzend, das römische Majä überschüttet hat.

Also nach Untermais, dessen düstere Kirche über grüne Weidenbüsche herüberschaut und an der vordern Außenwand ein paar uralte steinerne Köpfe aufweist, aus jener Kunstschule, die sich in den Portalen auf Zenoburg und Schloß Tirol verewigt hat. Der gastfreundliche Pfarrhof von Mais, dem Stifte zu Stams im Oberinnthale gehörig, steht an der Straße und labt allabendlich ein kleines, aber auserlesenes Häuflein Meraner Herren mit der Blüthe seines Kellers. Das Wirthshaus des Dorfes entdeckte ich an einem Sonntage, als ich fremd noch und unbekannt mit Sitte und Gebrauch nach einem Orte fragte, wo etwa die Stadtleute in der Feier ihrer Sonntagslust zu betrachten wären. Man rieth mir in den Gütern von Mais herumzuschlendern, und so gerieth ich in den ansehnlichen Gasthof, wo ich zwar keine Gäste, aber sehr freundlichen Empfang fand, daher auch ein Seidel [333] trank und mir den Ort merkte. Ein paar Tage darauf kam ich wieder, denn in der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, in Untermais würde eine Hochzeit seyn. Die kühle Halle des Wirthshauses war der herrschenden Hitze wegen eine sehr angenehme Warte, um die Anfänge der Begebenheit zu beobachten. Allmählich fuhren mehrere Caleschen vor, vom lustigen Posthorn angekündet und mit weidlich aufgeschmückten Gästen besetzt. Man wollte sich da gegenseitig erwarten, und so sammelte sich nach und nach eine ziemliche Anzahl von Leuten. Die Männer prangten in ihrem besten, schon erwähnten Sonntagsstaat, in braunen Jacken mit rothen Aufschlägen, rothen Leibchen, grünen Hosenträgern, schöngestickten, mit den Namensbuchstaben versehenen Gürteln, schwarzledernen Hosen, weißen Strümpfen und rothausgenähten Schuhen. Die „Buben“ trugen große grüne, die „Mander“ (Ehemänner) große schwarze Hüte, und diese wie jene und die der Postillione waren mit bunten Sträußchen verziert.

Etwas mehr vom gewöhnlichen Sonntagsputze abweichend war die Tracht der „Weiberleute.“ Sie bestand aus violetten, rotheingefaßten Spensern, dunkeln rothbeborteten Röcken, von denen die schneeweißen Schürzen kräftig abstachen, und auf den Häuptern saßen die alterthümlichen Spitzelhauben. Diese Spitzelhauben sind, wie der Name besagt, aus schwarzen Spitzen gefertigt und umgeben das Haupt wie ein leichtes durchbrochenes Dreieck, so daß zwei Strahlen von den Schläfen ausgehen und ein dritter vom Scheitel. Hinten ist eine Art Cocarde oder Blume von seidenen Bändchen angebracht, welche bei den Jungfrauen roth, bei den Frauen weiß und mit einer großen Silbernadel befestigt ist. Der ganze Anzug sieht sehr schmuck und kleidsam aus. Ehemals soll er gewöhnliche Sonntagstracht gewesen seyn, noch früher war er wohl Gewand des Werktages. Die Spitzelhaube insbesondre verräth uns manches über die Geschichte der Volkstrachten. Jetzt ist sie in Meran und Bozen nur mehr als belächelte altfränkische Erscheinung an etlichen hochbetagten Höckerinnen zu sehen, dagegen bei dem Landvolke noch als Putz für Festtage und hohe Zeiten in Gebrauch, deßwegen auch auf den Grabgemälden, [334] wo die Hingeschiedenen im besten Feiertagsstaate gemalt werden, noch ständiger Kopfputz der Frauen, und nicht allein im Etschlande, sondern auch im Pusterthal. So geht die Volkstracht vom Werktag auf den Sonntag über, vom Sonntag auf den Feiertag, und stirbt dann im Zenith ihrer Würde, um noch als Kinderspott an den Leibern etlicher alten Männchen und Weibchen nachzugeistern. Je mehr sie sich den Augen der Menge entzieht, desto höher steigt ihre Bedeutsamkeit, bis die Stufe erreicht ist, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen nur mehr ein Schritt. Zu der Zeit, wo sie nur noch hervorgezogen wird, um die höchsten Tage des Jahres auszuzeichnen, ist sie in der Regel schon geheimer oder auch bereits öffentlicher Lächerlichkeit verfallen. Uebrigens nehmen die Volkstrachten, wie es scheint, ihren Ursprung immer in den höhern Ständen und steigen von diesen in die untern und zu den Bauern herab. Die Bauerntracht ist aber wie die Aloe, die nur alle hundert Jahre blüht – sie geräth nur nach langen Zwischenräumen in den Zustand der Empfängniß; der Bauer und die Bäurin häuten sich selten früher als nach der dritten oder vierten Generation. Vieles, was die wechselnden Moden den höhern Ständen bringen, geht wieder dahin, ohne daß von unten her ein Auge darauf geworfen wird – manche Erscheinung aber, die gerade in die Zeit fällt, wo das Landvolk wieder seinen Schooß eröffnet, hält sich auf mehrere Menschenalter hinaus. Eine der vorstechendsten Trachten Tirols war ehemals bei den Männern auf der Höhe von Castelruth in Uebung. Sie ist seit etwa dreißig Jahren untergegangen, und man sieht sie wie viele andre tirolische nur noch auf älteren Trachtenbildern. Sie bestand aus einem grauen Spitzhut, großer Halskrause, rother kurzer Joppe, gelben Hosen und weißen Strümpfen. Diese Kleidung, fast in allen Stücken das Vorbild der deutschen Hanswurstentracht, zeigt sich in genauer Uebereinstimmung bei den Kriegsleuten auf Bildern der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Die Jacke der Meraner Bauern ist wohl ein Erbstück aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die Spitzelhaube war nach einem Bildnisse im Braitenbergischen Hause zu Meran im [335] Jahre 1764 noch die Tracht der angesehensten Stadtfrauen. Die hohen Weiberhüte, wie sie jetzt im Unterinnthale getragen werden, bildeten nach ältern Votivtafeln, die in oberbayerischen Wallfahrtskirchen hängen, um den Anfang des vorigen Jahrhunderts die Zierde vornehmerer Damen. Die Pelzkappe, welche in unsern Tagen die vermöglichen Bäuerinnen in Oberbayern tragen, trug im Jahre 1669 die Frau Kammerräthin Mayr, deren Conterfei im Gange des Klosters Schäftlarn zu finden. Im Allgemeinen dürften wenige Trachten älter seyn als drei Jahrhunderte. Ihre Verschiedenheit aber scheint dadurch zu entstehen, daß sich in den verschiedenen Gegenden die chronische Empfänglichkeit zu verschiedenen Zeiten einstellt, wie sie denn auch bei den beiden Geschlechtern nicht immer gleichzeitig auftritt, und das eine oft eine Neuerung einführt, während das andere alles beim Alten läßt. Eine theilweise Aenderung hat in diesem Menschenalter der bayerische Bauer zwischen Isar und Lech vorgenommen und dabei, wie sich versteht, die Herrenmode mit den langen Röcken und den eingebogenen Hüten sich angeeignet, wie sie etwa vor fünfundzwanzig Jahren getragen wurden, beides freilich in etwas derberer Form. – Die Weiber dortiger Gegend aber blieben in allen Stücken beim alten Herkommen; dagegen sind die am Chiemsee und um den Tegernsee von den Keulenärmeln, die vor etwa fünfzehn Jahren das Neueste waren, hingerissen worden und haben sie mit Belassung des Uebrigen ihrem Anzug vereint. Gigotärmel und die langen Herrenröcke und eingebogenen Hüte werden in den angegebenen Gegenden wahrscheinlich unsre Enkel noch zu gewahren haben. Eine Hauptquelle für die Geschichte der Volkstrachten sind die Votivtafeln bei den Gnadenbildern. Schade, daß in den größern Wallfahrtsorten die ältern immer verworfen oder verbrannt werden, wenn wieder Platz für neue geschafft werden soll. Eine passende Auswahl aus den früheren würde manche anziehende Vergleichung gestatten.

Vom Wirthshause zog das Hochzeitspaar mit seinem Gefolge zur Kirche, in deren Wände neben jenen uralten steinernen Köpfen auch viele Grabmäler längst verstorbener Herren [336] und Frauen aus den Maiser Schlössern eingelassen sind. In den Weingärten knallten die Böller, vom Thurme herab schallten die Glocken, und die Weiber und Kinder von Mais liefen wie sie waren neugierig nach und stellten sich in dichtem Gedränge unter die hintere Kirchenpforte, gleich als sey es ungeziemend, bei solcher Feierlichkeit ohne hochzeitliches Kleid sich weiter in das Gotteshaus hineinzuwagen. Als die zarte Braut in ihrer Schüchternheit es übersah mit dem Bräutigam zur rechten Zeit vorzutreten und vom Priester herbeigewinkt werden mußte, brach das hintere Publicum in ein sehr vernehmliches Lachen aus.

Das Brautpaar hatte übrigens für gut befunden seinen Hochzeitschmaus auf der Post zu Meran zu bestellen, und als wir Mittags nach ein Uhr selbst dorthin zu Tische kamen, saßen die Hochzeitsleute schon beim Mahle und zwar an einer langen, mit Blumensträußen schön verzierten Tafel; die Frauen oben, die Männer unten, das Brautpaar in der Mitte, links und rechts zu seinen Seiten geistliche Herren. Das Essen hatte um zwölf Uhr angefangen und sollte in rascher Folge der Gerichte bis zum Abend dauern. Man saß in tiefster Ruhe beisammen und aß. Nur zuweilen ging ein leises Summen durch die Gesellschaft. Später nahmen die Weibsleute der Hitze wegen ihre Spitzelhauben ab und ließen ihre Zöpfe hängen, was sehr zierlich aussah. Als wir um fünf Uhr wieder zur Stelle kamen, fanden wir die Gesellschaft noch beisammen, etwas schweigsamer noch als vorher und ziemlich unverhohlen gähnend. Mit dem Mahle waren alle Freuden aus und die Gäste gingen in tiefer Ruhe wieder auseinander.

In dieser Art werden neuester Zeit in den meisten Gegenden des Landes die Hochzeiten begangen, und da oder dort, wo bisher noch etwas Leben, etwas Heiterkeit und Festtagsjubel gegönnt war, ist man so eben daran sie als unheilig und den guten Sitten gefährlich zu beseitigen. Die Geistlichen erklären, sie könnten bei diesen Hochzeitschmäusen nur dann erscheinen, wenn Musik und Tanz unterbliebe, da sie durch ihre Anwesenheit diesen sündhaften weltlichen Freuden nicht etwa eine stillschweigende Genehmigung verleihen dürften. [337] Nun wollen aber die Leute bei ihren „Hochgeziten“ der Priester nicht entrathen, und so erfüllt man in den meisten Gegenden die Bedingung; an einzelnen Orten, wo man noch am alten Herkommen hält, fehlt es nicht an schweren Unwettern von den Kanzeln herab. Armer Bauer in deiner Heiligkeit! eine Hochzeit ohne Musik und Tanz, ohne die schmetternden Trompeten und die gellenden Clarinette, ohne Jauchzen und das dröhnende Stampfen des Tactschlags, ohne Schwingen der erröthenden Jungfrauen und Ehrenreigen des Brautvaters – eine Hochzeit ohne alle Freude, nur mit vollem Magen und weinschwerem Kopf – was ist das für eine Erinnerung in den alten Tagen, wo man von der Jugend zehren muß!

Und nun noch einmal von den Schlössern, um dann das Meranerthal zu verlassen. In einem Lande, das überall von alten Burgen strotzt, ist es kaum zu verwundern, daß ihrer in den geräumigen schönen Gründen an der Etsch, auf den milden Weinbergen zu beiden Seiten der Stadt so viele erbaut worden sind. Die Hügel von Obermais gelten ja für die angenehmste Höhe des deutschen Südtirols. Für das feine Gefühl der Eingebornen hat nämlich diese Flur noch den Vorzug eines weichen süßen Klima’s mit lauen Lüften und warmen Sonnenstrahlen im Winter und mit frischen Winden aus dem Passerthale im Sommer. An heißen schwülen Juliustagen sehnen sich die Meraner in der Stadt nach diesen luftigen Hügeln, die ihnen über die Mauern hereinlugen, gleichsam als nach einer schönern Zone. Die andern Burgen liegen zum Theil minder günstig zur Sonne und zur Sommerkühle, aber keine ohne herrliche Aussichten aus den Fenstern. In ihrem äußern Wesen stehen sie untereinander in demselben Gegensatze wie im Kelleramte zu Meran die alten Zimmer aus der Zeit Herzog Friedrichs mit den neu eingerichteten Schreibstuben daneben. Etliche gehen über die Tage der schönen Margarethe zurück, an andern ist noch das späteste Rococo zur Verherrlichung gekommen. Die beste unter den alterthümlichen scheint mir die Burg Rubein, zwar klein und fast versunken zwischen den Weinbergen, aber ehrwürdig grau von außen und innerhalb im engen Burghof mit mancher Erinnerung [338] an altitalienische Baukunst. Außerhalb stehen ragende Cypressen um die dunklen Mauern. Die Burg in ihrer Stille und dem unversehrten, lombardischen Aussehen hat etwas Mährchenhaftes. Auch Fragsburg, die höchste in der Meraner Gegend, weithin gesehen auf dem buschigen Felsenvorsprung, ist solchen Schlages, und nicht minder das Schloß von Auer, das verborgenste von allen, hinten im heimlichen schattigen Winkel über der grausen Schlucht des Finelebaches. Es geht dahin ein sehr anmuthiger, einsamer Spaziergang über die kleine Hochebene von Tirol unter großen Obstbäumen. Neben diese feinen, wälschen Bauten stellt sich eine ungeschlachtere deutsche Art, worunter besonders Gayen hervorzuheben, das hoch ober Mais auf dem Freiberge liegt und der Stadt eine breite hohe Mauer zuwendet, über welche ein dicker Thurm aufragt. Vorst, oben an der Töll, gehört auch zu dieser deutschen Gattung. Es ist fast schwarz geworden vor lauter Alterthum. Man tritt in ein winziges Höfchen und steigt dann die steinernen Treppen auf und ab durch enge Gänge, aus denen die finstern Stuben zugänglich sind. Eine darunter, die Wohnstube der jetzigen Bestandsleute, ist mit Holz getäfelt wohl seit Jahrhunderten her. Oben an der Decke ersieht man zwei Kreuze eingeschnitten und diese bedeuten, daß darunter einst ein Ritter von Vorst seinen Bruder erstochen habe und das Blut des Ermordeten bis an die Decke gespritzt sey. Friedrich Mercey, derselbe welchem wir den fameux lac de Gewester verdanken, hat daraus eine lange, pathetische Geschichte gemacht, die er uns als dem Volke abgelauscht anvertrauen will, was um so lächerlicher, als die Sage, wie sie von den Leuten erzählt wird, in zwei Worten abgethan ist. Nach ihm aber hat der alte Herr von Vorst keinen männlichen Leibeserben, sondern nur eine Tochter. Er quält daher mehr als billig seine Frau Gertrude, welche, um diesen Drangsalen ein Ziel zu setzen, in einer nahen Höhle den dort wohnhaften berühmten Nekromanten besucht. Neun Monate darnach ertönt ein entsetzlicher Schrei im Schlosse; die Dienerschaft eilt herzu, findet die Burgfrau todt, aber neben ihr zwei neugeborne Knaben, die sogleich deutliche Zeichen eines [339] zwischen ihnen herrschenden Unfriedens von sich geben. Welcher von beiden der ältere, war nicht mehr zu ergründen, weßwegen auch der Haß der Brüder mit reifern Jahren nur immer zunahm. Dieser Haß, sagt Mercey, war bei ihnen instinctmäßig; sie haßten sich ohne Ursache, nur aus Vergnügen sich zu hassen. Zuletzt kam auch noch ein Grund dazu, da Otto und Adalbert (c’étaient les noms qu’on leur avait donnés) ein und dasselbe Edelfräulein liebten. Endlich erscheint ein frommer Priester, der Abt von Brixen, in der Gegend, hört von diesem Hasse, geht nach Vorst und nimmt beiden Brüdern das Versprechen ab, andern Tages in der Burgcapelle sich zur Versöhnung einzufinden. An diesem Morgen war viel Adel und Landvolk nach Vorst gekommen, um Zeuge der Begebenheit zu seyn. Otto und Adalbert traten auf den Wink des Priesters zum Altare und neigten sich gegen einander, wie um sich zu umarmen, aber auf einmal erschallen wieder zwei entsetzliche Schreie durch die Capelle. Blut spritzt auf und die beiden Herren von Vorst, die sich gegenseitig erdolcht, fallen röchelnd zur Erde und verscheiden unter den gräßlichsten Verwünschungen. Die Hostie, die auch von Blut befleckt worden, habe man noch lange Zeit im Schlosse gezeigt, bis sie eines Tages durch ein Wunder hinweggerückt worden. Dieses Ereigniß sey in der Gegend bekannt unter dem Namen: die Versöhnung von Vorst – der Abt von Brixen aber habe selbige Nacht einen Traum gehabt, worin ihm die heilige Jungfrau zu erkennen gegeben, er solle sich dieses Mordes wegen nicht betrüben, denn während jenes Besuches bei dem berühmten Nekromanten habe die Brüder der Teufel erzeugt und sie seyen daher nur zu ihrem Vater zurückgekehrt. – Solche verschönerte Geschichten finden sich bei Mercey mehrere; die Lieder aber, die er am Ende seines Buches in geschmackvoller Uebersetzung als tirolische mittheilt, die sind eigentlich noch viel lustiger.

Jene Burg zu Vorst und die andern genannten sind nun bäuerlichen Pächtern überlassen und für Herrenleute wohl auch nicht mehr herzustellen. Merkwürdiges ist nichts darinnen, als was eben die Architektur bietet – hie und da ein schöner [340] Säulenbogen, ein gothisches Fenster und dergleichen. Nur selten noch findet sich ein Ueberbleibsel alten Farbenschmuckes, ein ritterliches Wappenschild oder eine verblichene Malerei. Selbst die Burgcapellen sind wegen später Erneuerungen alles altertümlichen Reizes ledig. Die kräftigste Erinnerung an langvergangene Zeiten liegt wohl in den getäfelten Wohnstuben, an denen seit Jahrhunderten wenig geändert scheint. Die prüfende Vergleichung der verschiedenen Bauweisen, wie sie sich in diesen Schlössern darstellen, würde für die Kunstgeschichte des Etschlandes von Bedeutung seyn, doch hat sich noch Niemand daran gewagt. An Sagen und Geschichten waltet überraschende Armuth ob, wie wir schon einmal gesagt haben – die ganze Poesie der Landleute scheint sich in den Norkeln erschöpft zu haben. Von den alten Herren klingt kein Name mehr nach – die Ritter von Rubein, von Schänna, von Auer, von Partschins sind schon längst verschollen. Die Leute, die jetzt in ihren Horsten zu wohnen haben, sprechen von diesen mit kaltblütiger Verachtung, wie von altem, schnödem, nichtswürdigem Gemäuer.

Treten wir auf abendlichem Spaziergang in einen solchen Burghof, so rastet dort auf der steinernen Treppe der Baumann in tiefem Ernste beim Nachttrunke und raucht aus winzigem Pfeifchen seinen starken Knaster; hier am rauschenden Brunnen spinnt seine Ehewirthin und im Irrsaal ringsherum spielen die rothbackigen Kinder. Die Hausfrau lächelt, wenn wir ihr gestehen, daß wir den weiten Weg aus der Stadt gemacht um das Schloß zu sehen. S’ ist nichts als altes Winkelwerk, pflegt sie anzumerken, nimmt den Schlüssel und geht voran. Aus der Wohnstube beginnt die Wanderung durch die Trümmer der Vorwelt, durch düstre Gänge, über düstre Treppen in düstre Gemächer. Hier in der vergilbten Bankethalle ist die Speisekammer und es hängen da in schwebenden Leisten die Zwiebacke; in einer andern Prachtstube sind die Aepfel aufgeschüttet, der Mais und andre Früchte. Im trüben Gemache daneben voll Spinngeweben und Schmutz stehen ein paar schadhafte Bettstätten, worin die Dirnen schlafen; in einer andern, eben so finster und herabgekommen, hausen [341] die Knechte. Andre Räume sind ganz leer, ganz windoffen, ganz verfallen, andre mit etwas vergessenem Hausgeräthe besetzt. Da wird nichts mehr gebessert und gerichtet, und so verwittert denn eine Zinne nach der andern; die Kreuzstöcke, aus denen die Edelfräulein guckten, fallen vom Wind gelöst heraus, die Thurmtreppen, über welche die Gewappneten rasselten, brechen zusammen, die Decken der Gemächer, die einst von Liedern wiederhallten, sinken ein, und die Burg, vor Zeiten so stolz und so fest, oft um viele hundert Pfund Meraner Pfennige verpfändet, oft von hundert von Reisigen berannt, steht traurig und zerknickt vor unsern Augen, öde und ausgestorben.

Die Wahrheit zu sagen, läßt sich freilich auch an der Hand der Geschichte nicht mehr viel Leben in diese Burgställe bringen, Schloß Tirol und die Zenoburg natürlich ausgenommen. Sonst wird etwa ein Herr Eppo von Laubers genannt (1178) als Marschall der Grafen von Tirol, ein Herr Bertholdus de Ruvina (Rubein) als ihr Truchseß. Heinrich von Laubers that sich zur Zeit König Heinrichs von Böhmen hervor; Petermann von Schänna war ein Liebling seiner Tochter, der primus inter pares wie es scheint; auch Otto von Auer gehörte dazu. Von vielen andern Herren weiß man nur, daß sie gelebt haben. Als nach Margarethens Zeiten das Hoflager in Innsbruck aufgeschlagen wurde, verblich auch der politische Glanz der Meraner Gegend; die Burgengeschichte wird mit dem Anwachsen des historischen Materials reicher an Namen, nicht an Begebenheiten. Doch fällt noch ins Jahr 1423 die Belagerung von Schänna, das dazumal die Starkenberger besaßen.

Der bauernfreundliche Besucher wird sich vielleicht da und dort den Abgang historischen Schimmers durch den Verkehr mit den gegenwärtigen Einwohnern etwas ersetzen lassen. Auf Schloß Auer habe ich im Vorhofe der Burg einen ländlichen Bücherliebhaber gefunden, der alle seine Sparpfennige daran gewandt, um sich auf den Versteigerungen einen tüchtigen Kram alter Scharteken anzuschaffen. Mit ihrem Inhalt sucht er nun in allen Nebenstunden seine Wißbegierde zu [342] sättigen, die ein Faß der Danaiden scheint. In Gayen traf ich eines schönen Abends einen alten Helden, der im bayerischen Heere bei Hanau und bei Bar sur Aube gefochten. Er sprach mit Feuer von jenen Kriegsjahren und wie gerne er Soldat gewesen. Diese frohe Erinnerung an die Zeiten, wo sie mit den Söhnen bayerischer Mütter in Reih und Glied gestanden, ist keine seltene Erscheinung unter den Tiroler Bauern. Auch zu Kappel im Paznaun kam mir solch ein ehemaliger Kriegsmann vor, der seinen Cameraden vom Jahre 1813 das Beste nachsagte. Von den bayerischen Officieren meinte er zwar, so lange man daheim gewesen, hätten sie die Tiroler nicht gerne unter ihren Leuten gesehen, da vom Jahre 1809 noch zu viel Gift übergeblieben, wenn’s aber ins Feld gegangen, da hätten sie bald Gefallen daran gefunden, dieweil die Tiroler sich allwege als rechtschaffene und tapfere Kriegsleute erwiesen. Der alte Soldat von Gayen schien auch viel Sinn für die Schönheit seiner Gegend zu haben. Als ich da mit ihm am Fenster saß und die Landschaft vergnügt betrachtete und lobte, sagte er: ja, unsere Berge sind wie Altäre mit Büschen verziert.

Unter den andern Schlössern, die entweder jüngeren Baues sind oder durch spätere Wiederherstellung ihr mittelalterliches Gepräge eingebüßt haben, steht das schon öfter genannte Schänna oben an. „Schänna, die stattliche Veste, eine Wegstunde von Meran, ruht am linken Passerufer unter den Spitzen des Ifingers. Ueppige Pflanzenfülle umrankt den Weg. Eine tüchtige Anstufung des Schännaer Berges, auf dem sich die Höfe der Gemeinde weit ausgestreut lagern, trägt das Schloß und die Kirche mit dem Häuserkern des Dörfleins. In der Burg saßen in ältesten Tagen die gleichnamigen Edlen. Petermann von Schänna wird obenan genannt, wenn von den Tiroler Landherren die Rede geht, welche es verstanden, am veilchenblauen Minneseil die launige Gebieterin, Margarethe die Maultasche, zu gängeln. Ihr trotziger zweiter Gatte, der bayerische Ludwig, hat einmal mit bewehrter Hand gar unfein beim hofebaren Petermann angepocht auf Schänna und ihm grob genommen, was er fein erworben. [343] Dann kennen wir die gewaltigen Starkenberge, die Oberinnthaler, als Insassen, und da sie in der Fehde mit dem Friedl, dem mit der leeren Tasche, schon alles verspielt hatten, wehrte sich hier noch Ulrichs Hausfrau, Ursula Truchsessin von Waldburg. Erst nachdem sie des Gatten Bedrängniß erfuhr, gab sie das Banner mit den drei Kronen und die Thorschlüssel in des Feindes Hand. Später hielten hier die Lichtensteine einen verschwenderischen Hof; sie bauten auch das Schloß um in seine jetzige Gestalt. Gedehnte Saalfluchten setzten sie über die alten Gewölbe; nur noch die Treppe mit den Spitzbogen und der derbe halbrunde Brückenthurm konnten sich in wehrhafter Form retten vor der prunkhaften Renaissance. Mit dem Grafenleben, mit den verhängnißvollen „sechs Schimmeln,“ die in allen Prachterinnerungen der Landleute ihre Rolle spielen, fuhr aber auch des Schlosses beste Zeit von dannen, und dem Verfall hat es nur ein günstiger Zufall entrissen. Das reiche Urbar fesselte die unritterlichen Besitzer, und so stand doch Mauer und Dach sicher genug, ehe der neue Schloßherr als ersehnter Wiederhersteller einzog. *)[6]

Dieser neue Schloßherr ist nun der Graf von Meran, für den sein Vater, Erzherzog Johann, voriges Jahr die Burg erworben hat. Der neue Nachbar ist in der Gegend mit Jubel begrüßt und mit sinnigen Festlichkeiten aufgenommen worden. Man erwartet viel Schönes von der Zeit, wo der Hofsitz des Grafen in Schänna wird aufgeschlagen seyn. – Mehrere andere Edelsitze, zumal auf der Halde von Obermais, sind im vorletzten oder am Anfange des letzten Jahrhunderts wieder hergerichtet worden. Dazumal traten an die Stelle der alten tirolischen Geschlechter mehrere adelige Familien aus Graubünden, die hier in den innern Unruhen ihrer Heimath ein Asyl suchten. Da erscheinen die Planta, welche die Burg Greifen stattlich umbauten; die Flugi von Aspermont erkauften Knillenberg, die vältlinischen Paravicini saßen zu Rundeck, auch die Grafen von Mohr aus dem Engadein hatten neben dem Schlosse Dornsberg im Vintschgau [344] Güter zu Mais. Dazu kamen dann etliche Familien aus Wälschtirol und Italien, wie die Herren von Ruffin, von Priami, von Rolandin und so fort. Von älteren einheimischen Geschlechtern waren wenige mehr übrig, etwa die Brandis auf dem Schloß Brandis bei Lana, die Fuchsen auf Löwenberg. Dagegen waren zwei neue Namen zu Ehren und Ansehen gekommen, nämlich Rosenberg und Knillenberg. Eckart von Rosenberg, ein natürlicher Sohn des Deutschmeisters Maximilian von Oesterreich, saß zu Winkel, einem trefflichen Ansitze nahe bei der Stadt. Sein und seiner Ehefrau Bildniß hängt dort und in der Jörgenkirche zu Mais, in letzterer auch das Fähnlein, welches er im Türkenkrieg getragen; auf dem Altare ein Bild der heiligen drei Könige mit Porträtköpfen, welche ein sehr zweideutiges Verhältniß verewigen, da der kniende Heiligedreikönig den Erzherzog, Maria Maxens Freundin, des Herrn von Rosenberg ehelich Gemahl, das Jesuskind den lieben Eckart vorstellt. Der heilige Joseph ist natürlich der Herr von Rosenberg. – Die Knillenberge stammten aus Mittenwald im bayerischen Gebirge und kamen zur Zeit Kaiser Max I durch den Kriegsdienst in die Höhe. Sie kauften später das Gut, dem sie ihren Namen beilegten. Die letzte Knillenbergin lebt noch jetzt darin. Das Schloß Labers, das in jener Zeit auch sehr schön gewesen seyn mag, ist jetzt schon lange wieder im Verfalle. In den letzten Jahren hat es der geheime Rath v. Klenze in München erworben.

So können wir uns vorstellen, daß zur Zeit des Reifrockes und etwas früher noch diese Gehöfte mit anspruchsvollen Adelsgeschlechtern reich besetzt waren. Die alte Herrlichkeit erglänzte wieder im Jahrhundert des Rococo. Daß der Meraner Adel in diesen Zeitläuften eben so liederlich gewesen als der im übrigen Europa, scheint nicht anzunehmen; nach mehrfachen Andeutungen möchte man eher auf Gottesfurcht und frommen Lebenswandel schließen. Im übrigen theilte er seinen Geschmack und davon sind die Spuren noch meistentheils unverwischt. Als Muster kann vielleicht Knillenberg gelten, wo in einem der Gemächer mythologische Darstellungen erhalten sind, Adonis als grüner Jäger mit engen, [345] ungarisch ausgenähten Hosen, Venus im Reifrocke, und wenn ich nicht irre mit Schönpflästerchen, sofort andere Gottheiten und sterbliche Menschen in analoger Darstellung. Auch ein werthvolles Archiv soll in diesem Edelsitze gewesen seyn, man hat es aber vorlängst korbweise in die Stadt geholt und Düten daraus gemacht. – Die Bündner Familien sind bis auf die Mohr zu Dornsberg alle ausgestorben oder wieder fortgezogen. Unter ihren Gliedern ist der meistgenannte Andreas Flugi von Aspermont, der sich während des bayerischen Einfalls 1703 als thätiger und kühner Mann hervorthat, voll kriegerischen Geistes, aber auch voll böser Anschläge und unerlaubter Gedanken. Er soll nicht unschuldig seyn an dem Tode Bigils von Hohenhausen, des Oberstwachtmeisters der Landmiliz, welcher damals von den aufgestandenen Bauern des Burggrafenamtes zu Saltaus in Passeyr als Verräther erschossen wurde. Auch sey er des Willens gewesen, das schöne Vintschgau seinem Vaterlande als republicanisches Angebinde darzubringen. Keinem der versetzten Bündner Herren schlugen aber die Meranerlüfte besser an als dem Freiherrn Bernhard Paravicini de Capellis. Man traut seinen Augen kaum, wenn man im Tiroler-Boten von 1825 liest, daß dieser, der am Anfang des vorigen Jahrhunderts nach Meran gekommen war und 1714 Rundeck und Rametz erkauft hatte, sich im zweiundachtzigsten Jahre zum viertenmale verehelichte und zwar mit einem jungen Freifräulein von Zinneberg, die ihm noch zweiundzwanzig Jahre den langen Spätherbst seiner Tage versüßte. In dieser glücklichen Ehe gebar die junge Freifrau zwölf Kinder, deren letztes – ein Monat nach dem Tode des Vaters zur Welt kam. Der alte Herr starb 104 Jahre alt 1770 zu Meran. Hufeland hat ihn als merkwürdiges Beispiel in seiner Makrobiotik erwähnt. – Die jüngste Erneuerung ist dem schönen Rametz auf der Maiser Halde angediehen. Dieses besitzt zur Zeit Franz Flarer, der, obwohl armer Leute Kind vom Dorf Tirol, der berühmteste Augenarzt Italiens geworden ist. Er hat zu Landshut, Wien und Pavia studirt und lebt jetzt als Professor an letzterer Universität. Jeden Herbst zieht er mit seiner anmuthigen [346] Familie aus Wälschland heraus in seine deutsche Villa. Diese bewahrt noch ein schöngetäfeltes Prunkzimmer aus den Zeiten der Planta von Wildenberg; das übrige hat der jetzige Eigner neu und schmuckvoll hergestellt, so daß es ein reizender Sommeraufenthalt geworden. Um den Hof geht nunmehr eine hohe Mauer mit zackigen Zinnen, damit der Ansitz wieder burgmäßig auf Meran herabschaue. Gegen Aufgang von diesem Landhause liegt in einem heimlichen Thälchen, in einer grünen Wiese, die von Weinbergen umgeben ist, die kleine Kirche St. Valentin. Der Heilige dieses Namens war ein Apostel der Rhätier, der auch zu Passau gepredigt haben soll. Er starb 470 zu Mais und wurde hier begraben. Auch Corbinian fand da seine Ruhestätte. Herzog Tassilo von Bayern beschloß 769 auf dem Tage zu Bozen die Uebertragung der Gebeine St. Valentins nach Passau. Bischof Aribo führte dann auch die des heiligen Corbinian nach Freising. Diesen beiden Heiligen verdankt man, daß in jenen Jahrhunderten ein hellerer Lichtstrahl auf die Gegend von Mais fällt. Aribo, der das Leben Corbinians schrieb und sein dritter Nachfolger wurde, war selbst ein Bürgerssohn aus dem Castrum Majense, und so weiß man denn nicht allein von verschiedenen Reisen der Heidenbekehrer, von Kriegszügen der Bojoaren und Longobarden, von Niederlassungen, Predigten, Sterbfällen, Leichenbegängnissen, sondern auch ein für heutige Localblätter prächtiges Unglück, nämlich daß Aribo, als Knabe, im achten Jahrhundert von der Stadtmauer hoch herab in die Passer gestürzt, aber gleichwohl unversehrt davongekommen ist.


  1. Aus dem Aufsatze J. F. Lentners: des Erzherzogs Johann letzte Reise in Tirol im Mai 1845. Morgenblatt desf. Jahres Nr. 169.
  2. *) Aus einer Schilderung des Festes von J. F. Leutner. Allgemeine Zeitung vom 17 October 1844.
  3. *) So sagt manger er hab den orken gar eben gesehen. Grimms deutsche Mythologie, 1 ste Ausgabe. Im Anhang I.III.
  4. *) Aarau 1816. S. 32.
  5. *) 1. 222.
  6. *) Aus der Seite 294 angeführten Schilderung J. F. Lentners.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hornung, im julianischen Kalender der germanische Name für den Februar
  2. Agilolfinger, erste bayerische Herzogsdynastie
  3. Runst, Lauf eines Flusses
  4. siehe Torkel
  5. Zwangsverkauf, Versteigerung, vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7, Leipzig 1907, S. 324.
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