Drei Stunden in der deutschen Fremdenlegion

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Titel: Drei Stunden in der deutschen Fremdenlegion
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 441–442
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Drei Stunden in der deutschen Fremdenlegion.

Parade vor der Königin am 9. August. – Einrichtungen des Lagers. – Die Gemeinen. – Die Offiziere. – Die Heeresabtheilungen. – Deutsche Lieder und deutsche Entfremdung.

Auch bei der Königin-Deutsche-Fremdenlegion-Parade gewesen gestern, wirklich und persönlich, und zwar expreß der Gartenlaube wegen. Was sagen Sie dazu? Es war zu verführerisch, unsern d. h. Deutschlands Triumph in England mit anzusehen und sich gleichsam in Civil blos des Vaterlandes wegen auch etwas Schmeichelei mit weg zu stibizen, wie der Sperling, wenn die Hühner gefüttert werden. Sie wissen doch noch, wie vor Kurzem die Deutschen im englischen Parlamente als wahres Lumpenpack zur Sprache kamen, denen man durchaus keinen Antheil an der Vertheidigung englischer Ehre und Civilisation einräumen dürfe. Und nun fuhr die wirkliche Königin Englands mit dem wirklichen Prinz Albert und wirklichen Ministern in expressen Eisenbahnzügen und expreß geheizten Dampfschiffen hinunter nach Folkestone, und mit der expreß vorausgeschickten Equipage hinein in’s Lager der deutschen Fremdenlegion, ließ sie Revue passiren und sich die Offiziere (an der Spitze Baron Stutterheim und Oberst Wolridge) vorstellen und ein Frühstück („luncheon,“ zweites Frühstück) in einer deutschen Lagerhütte ganz vortrefflich schmecken. Und Königin und Minister und das Volk und die Presse heute bewunderten sie und machten den „männlichen, starken, tüchtigen, militärisch und persönlich ausgezeichneten Heldenblüthen,“ geschmuggelt und heimlich zusammengeschachert von deutscher Muttererde, die fettesten Elogen. Man wurde ordentlich versucht, seinen Hemdenkragen weiter aus der Halsbinde heraus zu zupfen, die linke Hand an’s Vorhemdchen zu legen, die Brust aufzupusten und mit stolzem Blick rings herum auszurufen: „Engländer, überseht mich nicht! Ich bin auch ein Sohn Teuts, bin ein Deutscher, kennt ihr meine Farben? Ich bin gleichsam Fremdenlegion in Civil.“

Und dann muß ich Ihnen sagen: ’s war überhaupt etwas Merkwürdiges, die kleine, nette Frau, die Königin (neben dem beinahe noch einmal so großen, schönen Prinzen Albert) eine deutsche Parade abnehmen zu sehen. Und die Soldaten sagten’s mir hernach selbst, es sei ein ganz merkwürdiges Gefühl, ein ganz angenehmer Stolz gewesen, vor der kleinen Repräsentantin der englischen Nation so straff und stolz in englischer Uniform, in englischem Solde vorbei zu marschiren. Sie waren fast alle Soldaten in Deutschland gewesen und waren von dorther nur an strenge, schnurrbärtige[WS 1], nach Fehlern luchsende Generale und dergl. gewöhnt. Und dann das Gefühl des neuen „Vaterlandes“ mit einer so kleinen, hübschen Frau an der Spitze, welche gar nicht schnurrbärtig finster blicken konnte, und im Gegentheil von unsern scharfen Blicken, die wir im Vorbeimarschiren fest auf sie hefteten, in ganz entschiedene Verlegenheit gebracht ward! Das war ihr noch nie vorgekommen, da die englischen Soldaten bei Paraden immer gerade aus sehen müssen. So fielen diese regelmäßigen Seitenblicke auch dem Volke auf, und über den exacten Schritt mit heruntergebogener Fußspitze konnten sie sich gar nicht genug wundern. Die englischen Soldaten richten ihre Fußspitzen nach der Nase und stulpsen mit der Hacke zuerst auf, dann in einem Platsch mit der Sohle hinterher. Na kurz, ich sage Ihnen, was wir Deutsche gestern mit unsern zusammengestoppelten verlornen Söhnen hier für Ehre eingelegt haben, ’s ist grausam. Man kriegte ordentlich Patriotismus in die Waden und ging unwillkürlich stramm. Und hatten unsere Brüder nicht 1100 republikanische Schweizer neben sich, diese uneigennützigen Helden, die dem König von Neapel mit derselben Hingebung dienen, wie dem Kaiser Napoleon und der constitutionellen Königin? Und sind die besten russischen Generale und Offiziere nicht auch fast durchweg Deutsche? Deutschland, was bist du Weltgeschichte? Was bist Du für’n Genie! Mit der socialen Republik im Herzen schießt ihr euch aus russischen und englischen Schlachtlinien und Schanzen gegenseitig todt und zankt euch wohl noch, wenn ihr neben einander auf dem Schlachtfelde als gefallene Russen und Engländer verblutet, über die Art, wie Deutschland später „einig und frei“ gemacht werden müsse. Mir fällt dies nicht etwa zufällig ein, sondern weil ich hernach mit einem Herrn v. B. Kaffee trank und rauchte, den ich in Berlin als „Brandrathen“ gekannt und der mir einen Brief von seinem Cousin aus Sebastopol zeigte. Er war der wahre Typus der Blasirten und Verzweifelten, die ich in großer Menge fand, von Offizieren, die da dichten und auch wirklich singen:

„Ich hab’ meine Sach’ auf Nichts gestellt,
Drum ist so wohl mir in der Welt,
Juchhe!“

Ich habe noch nie etwas so Dämonisches, Höllenbreughliches gehört, als dieses „Juchhe!“ Es durchbohrte mir das Herz. Doch ich will nicht sentimental werden und mich an die heitere Oberfläche halten. Diese war wirklich sehr heiter. Die Sonne schien immerwährend auf die Eisenbahn, die uns rasch nach Folkestone, an den England und Frankreich alliirenden, schiffwimpelnden Kanal hinunter brachte. Hernach wanderten wir zu Fuße, von Oben und vom Lande her gebraten, während zuweilen angenehme See-Brisen uns kühlend übergossen. Der Weg an der Meeresküste entlang, etwa Calais und Boulogne gegenüber, war mir neu, doch will ich mich nicht dabei aufhalten, wie das Meer hereinglänzte, plätscherte und plauderte und die Schiffe und Dampfer in verschiedenen Entfernungen heiter hin- und wiederflogen. Das Lager hat eine wunderschöne Position auf einer Anhöhe, von der aus man das geschäftige Meer weit in’s Unbegrenzte überschaut, mit einem hübschen, reinlichen Städtchen, Sandgate, unten. Die Anhöhe selbst, eine Klippe, heißt Shorncliffe. Es trägt die merkwürdige neue deutsche Lagerstadt mit viel Anstand. Eine Stadt ist’s wirklich. Die Wohnungen der Soldaten, jede für vierundzwanzig Mann eingerichtet, bilden Häuserreihen, die stattlicher aussehen als manche deutsche Provinzialstadt. Auch wohnen, essen, trinken und schlafen sie besser als mancher deutsche Bürger und Meister. Jeder hat seine eiserne Bettstelle mit Matratze, Kopfkissen und weicher, wollener Decke; früh, wenn er aufsteht, seinen Kaffee, seine Milch, seinen Zucker und sein Weißbrot dazu, Mittags 3/4 Pfund frisches Fleisch und Gemüse, und zwar so viel, daß es beim Herrn Calculator im Mutterlande für die ganze Familie ausreichen müßte, Abends seinen starken Thee (schwachen kennt der Engländer gar nicht) mit Zucker, Milch und Weißbrot. Dafür werden ihm von seinem täglichen Solde (nach unserm Gelde 101/2 Sgr.) täglich 61/2 Sgr. berechnet, so daß ihm täglich noch über 4 Sgr. für Cigarren und sonstige patriotische Lebensmittel übrig bleiben. Sobald sie für den Krieg eingeschifft sind, erhält Jeder 1 Schiliing = 10 Sgr. mehr, aber nicht baar, sondern blos in Rechnung. So viel Tage er im Kriege gewesen, so viel mal 10 Sgr. erhält er beim Friedensschlusse. Erlebt er den Frieden nicht – allerdings keine Unmöglichkeit – bekommen seine Erben den Schatz, für welche er also gleichsam eine Lebensversicherungsanstalt bildet.

Die Solde der Offiziere steigen vom Unteroffizier mit 24 Thaler, zu dem des Feldwebels (35) und dann im Lieutenant gleich bis 85 und im Kapitain zu 175 Thaler monatlich. Höhere und fettere Stellen werden mit Lordssöhnen, die nichts Besseres gelernt haben, aber Deutsch verstehen und sprechen müssen, besetzt, eine Demüthigung für die Legionen, auf die sie trotz ihrer verzweifelten Heiterkeit sehr schlecht zu sprechen sind, so daß möglicher Weise unangenehme Auftritte daraus hervorgehen können.

Das Lager, ein langes Viereck, mit einem großen Exercierplatze in der Mitte, ist für 5000 Mann gebaut. Bis gestern wohnten etwa 2500 Mann darin, doch kommen im Durchschnitt täglich 60 bis 70 Mann frische Waare von Helgoland an. Die Schweizer, welche zur Parade mit erschienen, etwa 1100 Mann, campiren näher bei Dower.

Von der Parade selbst brauche ich wohl nichts zu sagen. Sie marschirten gut, man erkannte in Schritt, Haltung und Linie deutlich die preußische Schule, die auch in den Offizieren durchaus vorherrscht. So viel ich bei einer dreistündigen Unterhaltung erfahren konnte, waren die meisten Lieutenants und Kapitains ehemalige preußische Soldaten, schleswig-holstein’sche Offiziere, darunter mehrere Söhne heruntergekommenen Adels. Die Gemeinen sprachen alle möglichen Dialekte Deutschlands, einige freilich gar keinen, da sie Dänen, Polen, Franzosen, Ungarn und Italiener waren. Die Zahl dieser Fremden in der deutschen Fremdenlegion ward [442] auf 75 angegeben. Nach den eigentlichen Parademärschen ging die Königin mit dem Prinzessen Albert, dem Kriegsminister Panmure, mehreren andern Ministern und Offizieren zu Fuße über den Platz an den aufgestellten Linien hin, und nachdem sie in einer Offizierfeldwohnung gefrühstückt, fuhr sie unter jubelnden Hurrahs wieder ab, wie sie gekommen war. Die Zahl der neugierigen Volksmassen schien nicht sehr groß. Die nächste Nachbarschaft ist dünn bevölkert und von London aus war’s etwas zu weit und kostspielig für den großen Haufen. Um 21/2 Uhr war Alles vorbei. Bei meinem alten berliner Bekannten lernte ich jetzt das Innere der Offizierswohnungen kennen. Jeder Lieutenant hat sein hübsches Zimmer für sich, nach Oben hin hat Jeder zwei bis drei Zimmer. Außerdem giebt es Familienfeldwohnungen für verheirathete Offiziere und sogar verheirathete gemeine Soldaten. Bis jetzt hatten sich aber nur zwei Offiziere und sieben Gemeine mit Frauen und Kindern eingefunden. Wir saßen an einem hübschen Tische mit eisernem Gestelle auf Klappstühlen oder der eisernen Bettstelle, Einer sogar auf dem Ofen und sprachen Deutschlands und Englands Vergangenheit und Zukunft ziemlich solide durch. Einer der Offiziere bewies sogar mit viel Scharfsinn und Wärme, daß England aus seiner Heuchelei und Koketterie von der Consequenz des ausgebrochenen Kampfes unerbittlich und unaufhaltsam getrieben werde, für die Freiheit Europa’s, die es von jeher grundsätzlich verrathen und verkauft habe, zu kämpfen und daß er deshalb hierher gekommen sei und er und seine Collegen diese Ueberzeugung unter den Gemeinen zu befestigen wüßten. „Die Botschaft hört’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. – Genug davon. –

Hernach zeigte man mir die wunderschönen, praktischen eisernen Kochhäuser, worin vom Hause selbst an bis zum kleinsten Geräthe Alles von Eisen gegossen ist, eben solche Waschhäuser, Retiraden von demselben Metall und endlich die neue Kirche, deren Kanzel, Altar, Stühle, Chöre, Abtheilungen ebenfalls größtentheils aus dem Hochofen gelaufen waren.

Die deutsche Legion auf Shorncliffe besteht bis jetzt aus einem Jäger-Regimente von etwa 1100 Mann mit dunkelgrünen Uniformen, schwarz polirten Helmen, schwarzen Beinkleidern und Minié’s mit Bayonnetten, dem ersten leichten Infanterie-Regiment von etwa 800 Mann mit rothen Waffenröcken, die bei den Offizieren mit geschmackloser Goldstickerei, Streifen, Schnüren und „Raupen“ überladen sind, einer Heerde noch nicht eingereihter Rekruten, und zwei Regimentern Cavallerie von 150 Mann zu Fuße. Pferde und die übrigen Reiter gedenkt man erst mit Geschicklichkeit und List zusammen zu schmuggeln, obgleich alle neutralen Staaten (Amerika am Grimmigsten) aufpassen wie die Hechelmacher, daß die Schmuggler ihnen ihre Unterthanen nicht à 5 Pfund per Stück wegkaufen. Außerdem giebt’s auch hier schon russische Agenten, welche die braven Bauerburschen, bankerotten Gesellen und Lehrjungen zum Desertiren verlocken, wie ja schon ein solcher Fall vor ein Gericht in London kam. Ein zweites Regiment leichter Infanterie wird auf Helgoland organisirt. Es besteht jetzt aus etwa 700 Mann. Wenn in jedem das Tausend voll ist, sollen sie in Southampton für die Krim eingeschifft werden.

Aus der Fremdenlegionskirche zurückgekehrt, lagerten wir uns im Schatten einer Barake und fingen an, deutsche Lieder zu singen. Deutsche Lieder ertönend aus rothen Jacken, blauen Waffenröcken, grünen Uniformen, scharlachrothen, goldblitzenden, stockenglischem Tuch – das war wieder herzerschütternd. Lauter junges, ursprünglich hoffnungsvolles, jetzt erbittertes, von Noth, von Ehrgeiz, von Tücke, von Rache, von Verzweiflung, von neuen Idealen getriebenes deutsches Blut zusammengestohlen, zusammengewürfelt, jetzt zu einem neuen, fremden Organismus einexercirt und harmonisch zusammenschmelzend in den „drei Reitern, die zum Thore hinausritten,“ in Lützow’s „wilde verwegene Jagd,“ in „Morgenroth, Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod“ und endlich in „Vater, ich rufe dich!“

Die Feierlichkeit dieser Melodie ergriff offenbar die Herzen Aller, die sich zahlreich zu uns gesellt. Es war, als horchten die Schiffe draußen auf dem Meere mit gespannten Segeln. Einige Gemeine standen mit dummen Gesichtern horchend, aber unwillkürlich die Hände faltend. Und ich rief: „O, Theodor Körner, Sänger und Opfer eines deutschen Befreiungskrieges für die Throne und die Regenten Deutschlands, daß hier das ferne Meer, daß hier die Deutschen als Fremde, als Miethlinge Deine Lieder brauchen, mißbrauchen! Warum lebtest Du nicht, dem deutschen Volke ein Lied der Freude und der Freiheit zu singen? – Warum – ja warum? Was hilft das Fragen?“ „Was ist des Deutschen Vaterland?“ „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?“ Mitten in den Klängen des „Vater, ich rufe dich“ nickte ich meinen Bekannten zu und ging fort nach Folkestone. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Diese Entfremdung und Entweihung Deutschlands war mir zu feierlich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schnurbärtige