Edle Revanche

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: H. H.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Edle Revanche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 767–768
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[767] Edle Revanche. In einem österreichischen Regimente, welches in Mainz in Garnison stand, diente vor wenigen Jahren ein Hauptmann M..…r, ein Mann, der sehr stiller und zurückhaltender Natur war und wenig mit den anderen Officieren verkehrte, sondern sich lieber in seinen freien Stunden mit wissenschaftlichen Studien beschäftigte. Daher stand er bei seinen Cameraden nur wenig in Gunst, ja diese gingen mit ihrem Urtheile über ihn so weit, daß sie ihm nicht einmal denjenigen persönlichen Muth zuerkannten, der dem Soldaten und vor Allem dem Officier so nothwendig ist.

Das Regiment bekam zu jener Zeit einen neuen Commandeur in der Person eines Grafen L…….n, eines noch jungen Mannes, welcher in der ganzen Armee bekannt war wegen seiner Kriegs- und Friedensabenteuer und seiner lustigen Streiche und der nur seiner hohen Abstammung und der Verwandtschaft mit dem englischen Königshause dieses schnelle Avancement verdankte. Derselbe erfuhr bald die erwähnte Ansicht seiner Officiere über den Hauptmann M..…r und beschloß sich sofort davon zu überzeugen, ob dieselbe gerechtfertigt wäre oder nicht.

Bei einem gemeinschaftlichen Diner – einem sogenannten Liebesmahle, an welchem alle Chargen Theil nahmen – ließ er es so einrichten, daß der Hauptmann neben ihm zu sitzen kam. Die wirklich außergewöhnliche Schüchternheit und Zurückhaltung desselben machten den Grafen im Laufe des Mittags mehr und mehr glauben, daß die andern Officiere seinen Nachbar richtig beurtheilt hätten, er begann ebenfalls denselben für einen entschiedenen Feigling zu halten und nahm sich vor sogleich durch eine Probe sich hiervon Gewißheit zu verschaffen.

Er brachte daher beim Dessert das Gespräch geschickt auf das Pistolenschießen, worin er selbst Meister war, und schickte endlich einen Diener nach seinen Kuchenreutern, um an Ort und Stelle einige Proben seiner Geschicklichkeit abzulegen.

Die Pistolen kamen, der Graf lud dieselben und eine kleine Kreuzersemmel vom Tische nehmend, forderte er den Hauptmann auf, an das andere Ende des Saales zu treten und ihm dort besagte Semmel als Scheibe hinzuhalten. Alle Officiere an der langen Mittagstafel horchten gespannt auf und betrachteten schadenfroh lächelnd den Hauptmann, der sich natürlich gegen eine solche Zumuthung heftig sträubte, umsomehr, als er wußte, daß sein Vorgesetzter der Flasche im Laufe des Mahles nicht unbedeutend zugesprochen hatte.

„Aber Sie werden sich doch nicht etwa fürchten, Herr Hauptmann M..…r? der Geruch des Pulvers ist Ihnen doch nicht unangenehm?“ frug dieser endlich mit Ironie.

„Ich glaub’ halt nit,“ erwiderte der Hauptmann mit einem eigenthümlichen Lächeln, stand von seinem Stuhle auf und schritt dann ruhig nach dem Hintergrunde des Saales. Dort lehnte er sich gegen die Wand und hielt die kleine Semmel in der ausgestreckten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger empor; der Graf stürzte ein Glas Champagner hinunter, setzte das Lorgnon auf den Nasenrücken, hob blitzschnell das Pistol und drückte ab. Der Schuß ging los, die Kugel hatte mitten durch die Semmel getroffen.

Der Hauptmann M..…r hatte mit keiner Wimper gezuckt. Ruhig hob er die Semmel vom Erdboden auf und betrachtete diese und das kleine Loch, welches durch dieselbe geschossen war. Das Gelächter der Officiere war mit einem Male verstummt, die schadenfrohen Mienen verschwunden, und mancher bedauerte jetzt, so übel von einem seiner Cameraden gedacht zu haben. Der Graf aber eilte warmherzig auf seinen Untergebenen zu, um demselben etwas Angenehmes zu sagen. Dieser hatte mittlerweile die Semmel auf den Tisch gelegt, die andere Pistole ergriffen, und das Schießwerkzeug von allen Seiten betrachtend, sprach er mit dem treuherzigsten Gesichte von der Welt: „Schaun’s, Herr Graf, das muß ich halt sag’n, Sie sind ein sehr gewandter Schütz, Sie hab’n mich gar sauber behandelt, nicht einmal den kleinen Finger haben’s mir geritzt. Da möcht ich halt auch einmal probir’n, ob ich das fertig bekomm’. Jetzt, wenn’s woll’n die Gnad’ hab’n, dann halten’s mir a mal die Semmel, ich bin halt sehr neugierig, ob ich das auch kann.“

Es war interessant, die Gesichter der Gesellschaft zu beobachten, die eben noch so schadenfroh gelacht hatten. Der Spieß hatte sich mit einem Male umgedreht, Verlegenheit und Bestürzung spiegelte sich in Aller Mienen, am meisten bestürzt aber war Graf L…….n selber.

„Aber Sie sagten ja eben, Sie hätten noch nie in Ihrem Leben eine Pistole in der Hand gehabt,“ erwiderte er betroffen.

„Ja, da hab’n’s auch ganz Recht, Herr Oberst,“ entgegnete Jener mit dem freundlichsten Lächeln, „um so mehr thät mich’s aber grad freuen, wenn i halt richtig treffen würd’.“

Da half denn nun kein Reden, da halfen keine Vorstellungen, der Graf war gezwungen, um sich vor seinem Officier-Corps keine Blöße zu geben, dem Ansuchen des schüchternen Hauptmanns zu willfahren. Was in seinem Herzen vorging, weiß Niemand, soviel indessen ist gewiß, ruhig und ohne Zagen trat derselbe, zwar etwas blaß, an die gegenüberliegende Wand und hielt die Semmel empor.

Etwas ungeschickt erhob nun der Hauptmann das Pistol und zielte. Es dauerte lange. Die Waffe schwankte und zitterte in seiner unkundigen [768] Rechten, daß Allen die Haare zu Berge stiegen; es war so still im Saale, daß man den Herzschlag der Versammelten zu hören meinte, der Athem stockte – da plötzlich setzte der Hauptmann ab.

„Schaun’s,“ sprach er harmlos, „das wackelt halt doch gar zu sehr, wenn ich g’meint hab’, ich hätt’s, dann war’s gleich wieder daneben. Ich will’s halt lieber sein lass’n, ich könnt’ vorbei schieß’n und dann gäb’s am End’ gar ein Malheur. Ich dank’ auch vielmals, Herr Oberst,“ und somit setzte er den Hahn in Ruh und begab sich zurück auf seinen Platz. Vier Wochen später war der schüchterne Hauptmann M..…r Major in einem andern Regiment, später als Oberstlieutenant wurde er bei Königgrätz verwundet und ist jetzt pensionirt. Sein früherer Oberst, der seinen frevelhaften Uebermuth gewiß herzlich bereut hat, ist seit jenem Liebesmahle sein wärmster Freund geblieben bis auf den heutigen Tag.
H. H.