Ein Begegnen in den oberbairischen Bergen

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Autor: Dr. Karl Stieler
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Titel: Ein Begegnen in den oberbairischen Bergen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 830, 832–833
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Begegnen in den oberbairischen Bergen.

Von Dr. Karl Stieler.

Es mochte Ende October sein, wo der Reif schon auf dem Felde liegt und der Schritt härter hallt, als sonst. Ich war tief in den Bergen gewesen, in einer jener Winterstuben, die die Holzknechte bewohnen. Erst um Mitternacht kehrte ich heim. Der Weg, der etwa drei Stunden betrug, führte anfangs durch den Wald, dann stieg man an’s Ufer des Tegernsees hinunter, auf dessen anderer Seite unser Haus stand. Ich würde lügen, wenn ich behaupten wollte, daß dieser Spaziergang sehr behaglich war; allein die Nacht schien wenigstens sternenhell, der Mond zeigte das erste Viertel. Eilig und wachsam zog ich des Weges. Finstere Tannen standen zu beiden Seiten, die scharfe Luft zog mir um’s Gesicht, und in den Zweigen knisterte es leis, wenn Blatt um Blatt zu Boden fiel. Oft blieb ich stehen und horchte, dann und wann ertönte der Schrei eines Nachtvogels durch die lautlose Stille. Es ist merkwürdig, wie die Sinne sich anspannen, wie Auge und Ohr sich schärft, wenn einer allein durchs Dunkel geht.

Mit einem Mal hörte ich Tritte hinter mir – zu sehen war noch Niemand. Ich hatte einen guten Schritt, aber mein Nachfolger einen noch besseren, und es dauerte nicht lange, bis er mich erreichte. Mit rauher Stimme rief er mir Gute Nacht entgegen. Es war eine Gestalt im gewöhnlichen Bauernkostüm, nur etwas mehr gedrungen und finsterer, als die meisten sind. Ueber den Schultern trug er den Rucksack, in der Hand eine breite Hacke, die ganze Figur hatte etwas kriminelles, selbst ohne die Finsterniß. Wie eine Ironie klang die „Gute Nacht“ von seinen Lippen, denn mir wenigstens war sehr übel dabei zu Muthe.

Es verstand sich von selber, daß wir nun miteinander gingen. So ungemüthlich es ist, wenn man bei Nacht allein durch die Berge geht, so schien es mir doch, daß ich eine Gesellschaft gefunden, die noch weit ungemüthlicher war. Unwillkürlich stellte sich eine gewisse Ideenverbindung zwischen der Hacke und meiner Hirnschale ein, und mit einiger Unruhe maß ich mit jedem Schritte den Begleiter.

Was mir an ihm vor Allem auffiel, das war ein gewisser rabiater Ton, der sonst nicht im Charakter des Bauern liegt. Denn dieser ist gegen Unbekannte viel eher reservirt, als gesprächig und mehr zur Bescheidenheit als zum Pathos geneigt. Im Uebrigen sprach der Bursche ganz vernünftig; stellenweise hatte er sogar etwas Flottes, Chevalereskes in seinen Ansichten. Nur ein einziges Mal fiel ein Wort, das mir ein düsteres Licht auf seinen Charakter warf. Als die bleichen Felsen der Halserspitze herüberragten, deutete er mit der Hand nach denselben und sprach: „Da drinnen liegt auch Einer, den ich eingethan hab’.“ Und dabei machte er eine Bewegung, wie der Schütze, wenn er zielt. Ein leiser Schauder überrieselte mich, denn das Wort konnte ja dem Burschen bitterer Ernst sein, daß er ganz offen davon sprach.

Schweigend gingen wir neben einander; wenn er Etwas behauptete, gab ich ihm Recht; kurz, ich war so „liebenswürdig“ als möglich. Nur als der See kam, dessen Ufer steil in die Tiefe fallen, trat ich heimlich auf die andere Seite. Endlich nahte sich unser Haus. Es war mir bedenklich genug erschienen, mit dem Burschen zusammenzutreffen, aber noch bedenklicher erschien es mir, mich nun von ihm zu verabschieden. Sollte ich ihm verrathen, wo ich daheim sei? Sollte ich die Hausthür in seiner Gegenwart aufschließen? Wenn der Hallunke etwas im Schilde führte, dann war jetzt der Augenblick gekommen.

Mein Herz pochte, als ich vor dem niedrigen Gartenthore stand. „So, da bist Du daheim?“ sprach Jener; „dann bist Du wohl gar einer von den Stielerbuben?“

„Jawohl, der bin ich,“ war die Antwort. „Und wo bist denn dann Du daheim, damit wir uns doch kennen, wenn wir wieder zusammenkommen?“

Der Angeredete brach in ein räthselhaftes Lachen aus und sagte: „Franzl heiß’ ich – gute Nacht.“

Damit trottete er von dannen, ich aber warf die Thür zu, und immer war mir’s, als ob der Franzl sich durch die Spalte hereindrängte und hinter mir die Treppe empor stiege. Es war halb zwei Uhr Nachts.

Am andern Morgen lief in der Tegernseer Gegend das Gerücht um, der Wiesbauerfranzl sei wieder da; er sei aus der Frohnveste ausgebrochen und über Lenggries zurück in’s Gebirg gekommen.

Ein unbehagliches Grauen befiel mich, es war kein Zweifel, daß ich gestern die Ehre gehabt, in seiner Gesellschaft nach Hause zu kehren. Die Beschreibung der Persönlichkeit, sein Lachen, sein Abschied, all’ das deutete darauf hin. Also in der Frohnveste war mein neuer Freund von Rechtswegen zu Hause!

Franzl war der Sohn eines armen abgehausten Bauern aus dem Bezirke Miesbach und hatte schon frühe seine criminellen Anlagen verrathen. Oftmals wegen Wilderns bestraft, war er von diesem poetischen zum gemeinen Diebstahl übergegangen und von da zum Raube. Eine Art von unheimlicher Furcht, welche sonst die Leute dieser Gegend nicht kennen, verbreitete sich um seinen Namen. Nirgends hielt er sich auf, aber überall war er da; Niemand wußte seine Wege, aber jeder fürchtete sie. Dies Gefühl erzeugte einen wahren Terrorismus. Mitten in der Nacht erschien der Franzl, klopfte an’s Haus und weckte die Leute. Dann mußte die Bäuerin aufstehen und Feuer anzünden, um eine Mahlzeit zu kochen, er aber saß plaudernd am Heerde und sah ihr zu. Er stahl nicht, um zu stehlen, nur wenn er Etwas brauchte und nur so viel er brauchte, begehrte er. In den meisten Fällen ward es ihm gutwillig gegeben, denn seine Kühnheit schüchterte die Leute ein. Dann benahm er sich wie ein Gast, ward leutselig und gemüthlich, und that als ob er zu Hause wäre. Niemals nahm er von solchen, denen das Geben sauer ward, allein wenn die Reichen sich weigerten, so drohte er mit den fürchterlichsten Flüchen, daß er den rothen Hahn auf’s Dach setzen und das ganze Dorf zusammenbrennen werde. Er war eine echte Räubernatur: großmüthig und grausam, wie es gelegen kam.

Erst nach langer Mühe war man seiner habhaft geworden und hatte ihn in die Frohnveste der Hauptstadt abgeliefert. Doch seiner verzweifelten Entschlossenheit gelang es, zu entfliehen, indem er sich durch sämmtliche Stockwerke herunterließ. Unten angelangt, gewann er das Freie und entkam in die Berge, in denen es zum allgemeinen Entsetzen hieß: Der Wiesbauerfranzl ist wieder da! Es war mir fatal, daß er nun auch mich zu seinen Freunden zählte; denn ich fürchtete, er würde die neue Bekanntschaft ausnützen und sich eines schönen Abends zum Souper (en petit comité) einladen.

Und wirklich machte er mir bald einen neuen Schrecken. Ich war allein im Hause und saß noch Abends bei der Lampe, da kam mit einemmal die alte Dienerin gerannt und flüsterte entsetzt: „Denken Sie nur, draußen auf den steinernen Staffeln der Hausthür sitzt schon seit einer Viertelstunde ein Kerl; ich hab’ durch’s Küchenfenster hinausspeculirt, und fürchte, es ist der Wiesbauerfranzl. Jesus, Maria und Joseph,“ setzte sie hinzu, „jetzt wird er noch anklopfen und hereinwollen.“

Schrecken und Neugier waren gleich mächtig, und so stieg ich denn die Treppen empor, lautlos und ohne Licht. Oben wollte ich das Fenster öffnen und hinabspähen, denn vielleicht war es doch nur ein harmloser Handwerksbursche, der diesen unentgeltlichen Ruheplatz benützte.

Trotz der äußersten Sorgfalt hörte der Fremde, daß sich die Scheiben bewegten, und indem er den Kopf zurücklehnte, sah er regungslos und wortlos zu mir empor. Es war dieselbe Gestalt wie neulich’, es war der Wiesbauerfranzl. Um das Risiko zu vermindern, ergriff ich die Initiative. „Möcht’st was, Franzl, soll ich Dir was hinaustragen, wann D’ Hunger hast?“ – rief ich mit künstlicher Zärtlichkeit dem Gauner zu. Er aber erwiderte mit stoischem Kopfnicken „Dös braucht’s nit, Karl, ich hab’ schon g’futtert heut’ und muß noch weiter. Bloß rasten möcht’ ich a wenig.“ Kurz darauf erhob er sich und ging von dannen.

Unterdessen kam der erste Schnee; ich schloß meine Sommersaison und zog zurück in die Stadt; draußen aber geisterte mein Freund herum und fuhr fort zu requiriren. Wie es ihm dabei ergangen ist, erfuhr ich erst, als ich später einmal wiederkehrte.

Eines Tages, nachdem er Siesta gehalten, fiel er doch den Häschern in die Hände. Im Triumph ward er an das Gefängniß des Landgerichts abgeliefert, und Jedermann athmete [832] leichter, wenn man sich auch nicht ganz vor ihm geborgen glaubte. Denn etwas Unverwüstliches lag in seinem Wesen. Bald machte er neuen Alarm. Der nächste Tag war kaum angebrochen, so kam der Eisenmeister gelaufen und klingelte wie toll am Hause des Arztes. „Kommen Sie nur geschwind herüber, Herr Doctor, der Franzl hat sich heut’ Nacht erhenkt. Gerade, wie ich jetzt die Runde machen wollte, seh’ ich ihn am Kreuzstock hängen. Doch weil er schon eiskalt war, hab’ ich ihn gar nicht mehr abgeschnitten.“ Spornstreichs eilte der Arzt in das Gefängniß und fand, daß sich Alles nach Bericht verhielt. In jener wilden Verzweiflung, die bei energischen Naturen entsteht, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen, hatte der kühne Räuber beschlossen, sich selbst zu morden – Sofort schnitt der Arzt die Leinwandschlingen durch; kaltes Wasser wurde ihm in’s Gesicht gegossen, aber alle Belebungsversuche blieben erfolglos. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde im Ort und Viele, die sie vernahmen, meinten, das sei die erste nützliche Handlung des Franzl. Ja, wenn er nur wirklich hin ist! setzten die Pessimisten dazu, dem Teufel darf man nicht trauen, bis er im Grab liegt. Die Section war unterdessen vorbereitet; man ging daran, die Leiche zu entkleiden. Doch siehe da, die Wimper regt sich, ein Muskel zuckt, der Todte ist wieder lebendig geworden. Es war auch die höchste Zeit gewesen, denn das Sectionsmesser lag bereits auf dem Tische. So hatte die Lebenskraft des jungen Verbrechers über seine Willenskraft gesiegt; gegen alle Absicht befand er sich diesseits.

Mit aller Sorgfalt ward er nun zum Bewußtsein und dann wieder in die Keuche gebracht, um am nächsten Tag nach München spedirt zu werden. Niemand mochte ihn gern „verwalten“; selbst das Gefängniß schien unsicher, so lang er darinnen war. Gleichwohl war er von stoischer Ergebung. Ja, es sah fast aus, als ob er kleinlaut geworden wäre, als ob er auf neue Todesarten sinne, statt sich des neuen Lebens zu freuen.

Am nächsten Tage wurde ein Bauernwagen eingespannt und Franzl, an Händen und Füßen gefesselt, nahm Platz auf demselben. Neugierig blickten die Leute auf das gefangene Wunderthier. Langsam zog das Gefährt des Weges, der dicht am Ufer vorüberführte. Plötzlich knackt es leise, die Fesseln waren zerrissen, – ein Ruck, und der Verbrecher schnellte aus dem Wagen. Kopfüber warf er sich in den See, daß die Wogen über ihm zusammenschlugen, und schwimmend suchte er das Weite. Da Niemand von seiner Bedeckung ihm folgen konnte, oder Jeder einen Ringkampf in den Wellen vermeiden wollte, so wurde ein Schiff geholt, das dem Entwichenen nachfuhr. Trotz des Vorsprungs hatten ihn die flinken Ruderer bald erreicht, allein was nun? Anfangs tauchte er unter, um sich den Blicken der Verfolger zu entziehen; jedoch sein Athem war von der Anstrengung gar bald erschöpft. Ein wahres Gefecht begann. Da ihm anders nicht beizukommen war, so ergriffen jene die Ruder und schlugen ihn, so oft er emportauchte, mit aller Macht auf den Kopf, um ihn zu betäuben. Seine Eisenstirne aber war nicht zu brechen, noch weniger war es möglich, ihn zu packen und hereinzuziehen; denn wie wüthend warf er sich auf das Schiff und suchte dasselbe umzuschlagen. Jetzt war die Gefahr auf der andern Seite und man fand es gerathen, die Verfolgung einstweilen einzustellen. Stürmisch brandeten die Wellen, als nach hartem vergeblichem Kampfe das kleine Schifflein an’s Land zurückfuhr; jener dagegen erreichte das hohe Schilf, das ihm ein sicheres Versteck gewährte.

Erst als es dunkel wurde, kroch er aus demselben hervor und fand es angemessen, für einige Zeit zu verschwinden. Wochenlang hörte man nichts mehr von ihm, und Viele glaubten, daß er im Sturm ertrunken sei. Plötzlich aber stand er wieder da, wie aus dem Boden gestiegen. Sein Wesen hatte sich nicht gebessert, dafür war die Feindschaft, die er gegen Alles hegte, was Gesetz und Friede hieß, durch die letzten Niederlagen nur geschärft worden. Jetzt nahm er die Fehde mit erneutem Ingrimm auf; er hatte sogar einen Compagnon (mit vier Beinen) gefunden, denn ein riesiger gelber Wolfshund folgte ihm auf Schritt und Tritt. Forschend sah er seinem Herrn in die Augen und leckte die räuberische Hand; auch knurrte er der ganzen Welt so misanthropisch entgegen wie sein Gebieter. Dieser schien ihm nicht minder zugethan, denn wenn er seine Mahlzeit forderte, so reichte er ihm den ersten Bissen, und wer sich weigerte, dem zeigte der „Wolf“ die Zähne, noch eh’ sein Herr mit den Augen winkte. Er besaß die einzige Liebe, die dem Burschen geblieben war, und wenn man den Beiden begegnete, so sah man’s ihnen an, daß sie auf Leben und Sterben verbunden waren.

Unterdessen trieb es der Franzl ärger als je zuvor. Von Tag zu Tag ward er ungestümer und der Schrecken unter den Leuten größer. Eines Nachts hatte er wieder eine Bauersfrau geweckt, daß sie ihm kochen sollte. Zagend erschien sie am Fenster und weigerte sich der seltsamen Zumuthung, während er unten vor der Altane stand. Da ergriff er das breite Messer und stieß es in’s Haus, daß es durch die Balken fuhr. „Hast Du’s g’sehn? ’s nächste Mal trifft’s bei Dir,“ rief er drohend hinauf, und ging mit dem schäumenden Hund von dannen. Alle Nachforschung der Behörden blieb erfolglos, denn einen Schelm in den Bergen aufzuspüren, ist verlorene Mühe. Längst hatte die öffentliche Meinung ihn vogelfrei erklärt; und so geschah es denn, daß auch von Amtswegen ein Preis auf seine Einbringung gesetzt wurde. Es war das äußerste Mittel.

An der Straße, wo die Wege sich kreuzen, steht ein einsames mächtiges Wirthshaus. Es ist noch ganz im alten Styl errichtet; eichene Tische und steinerne Krüge. In der Bauernstube hängt das Fuhrmannszeichen, unter dem Ofen schnarcht der Kettenhund und der Wirth ist noch der mächtige souveräne Gebieter. Hier saßen in später Stunde einige Genossen zusammen, den Hut auf dem Kopfe und die trotzige Feder weit vorgerückt. Plötzlich ging die Thüre auf; ein gedrungener Bursche trat herein und setzte sich bei ihnen am Tische nieder. Jeder kannte ihn, so gut wie wir ihn kennen.

Es war am selben Tage, wo der Steckbrief gegen ihn erlassen worden war. „Weißt Du’s schon, Franzl, daß sie Dich verschrieben haben?“ rief der Eine. „Fünfzig Gulden kriegt der, der Dich fangt,“ versetzte ein Anderer. „Das muß Dich doch freuen, weil die Leut allweil sagen, Du bist nix werth!“ Lautes Gelächter scholl durch die Stube; der Franzl verzog aber keine Miene, sondern stemmte die Hände in die Seite und rief: „Nun ja, da habt ihr mich, so fang’ mich halt einer, wenn ihr a Schneid habt und kein Geld.“ Niemand rührte sich; nur unter dem Tische knurrte der gelbe Wolf, als ob er die Worte verstanden hätte. Schweigend setzte sich der Räuber nieder und trank dann gemüthlich mit den Andern weiter, wie er es so oft gethan. Etwas stiller als sonst aber war er doch geworden, denn nach einer halben Stunde legte er seine Kupferkreuzer auf den Tisch und ging in die Nacht hinaus, ohne sich mehr umzusehn. Nur der Hund wandte den Kopf unter der Thür und zog zornig die Lippen empor, daß die riesigen Fangzähne herausstachen. „Heut hat er keine Freud nit mit den Karten,“ sagte der Eine, der ihm ein verbotenes Hazardspiel angetragen hatte. „Glaub’s gern,“ erwiderte der Nachbar, „daß einen ’s Spielen nimmer freut, wenn man’s selber verspielt hat.“ Und dann rückten sie enger zusammen und munkelten: „Diesmal kommt er nimmer durch.“ „Todt oder lebendig, heißt’s in dem Schreiben,“ fügte Einer halbleise bei.

Zwei Tage waren seitdem verstrichen, da pochte der Franzl wieder an die Thür eines Bauernhauses. Es war in der Nähe von Gmund, auf jenem Höhenzug, der wie ein Riegel vor dem Gebirge liegt und von Tegernsee bis Miesbach hinüberreicht. Als die Bäuerin unter die Thüre trat, erkannte sie wohl in verhaltenem Schreck den Missethäter, allein sie stellte sich, als ob sie einen Armen aufnähme, und hieß ihn in die Stube treten. Unterdessen rief ihr Mann die Nachbarn zu Hülfe. Lautlos schlichen die Gerufenen durch die Hinterthüre in den Stall und beriethen dort, wie man ihn überwältigen könne; aber keiner hatte den Muth dazu. „Todt oder lebendig, heißt es im Schreiben; wie wär’s, wenn wir ihn niederschießen?“ Unter den Herbeigeeilten war ein junger Soldat, der als guter Schütze berühmt und erst vor wenigen Tagen vom Regiment zurückgekehrt war. Dieser beurtheilte den Fall nach Standrecht und meinte, daß nicht für die Einbringung des Todten, sondern für die Tödtung der Preis bestimmt sei. Der bringt doch noch Einen um, wenn er weiter lebt, dachte er sich, und da ist’s besser, ich bring’ ihn selber um. „Hinten beim Ofen hängt mein Zwillingsstutzen,“ flüsterte der Bauer und dann trat athemlose Stille ein.

Unterdessen hatte der Franzl sein Mittagsbrod verzehrt und rüstete sich zum Aufbruch.

„B’hüt’ di Gott, Bäuerin,“ rief er, „und wenn Dich wer fragt, wem Du aufgewart’ hast, dann sag’ nur: dem Wiesbauerlumpen.“

[833] Mit diesen Worten trat er vor die Thür; von der andern Seite aber eilte ein schlank gewachsener Bursche in die Stube, der noch die blaue Soldatenmütze trug. Schweigend nahm er die Büchse von der Wand und verbarg sie unter dem Fenstersims, dann öffnete er leise die kleinen Scheiben.

„Nicht so g’schwind, Franzl,“ rief er dem Dahingehenden nach; „diesmal bleibst stehen oder es schnallt.“

Jener wandte sich um und lachte mit lautem Hohne.

„Wer mir was will, soll nur zu mir kommen; ich geh’ Niemandem zu G’fallen.“

Noch ein Schritt und ein sausender Knall erdröhnte. Wie ein Baum zu Boden schlägt, sank der Getroffene darnieder; stromweise quoll das Blut aus seinem Munde. „Faß“, rief er halblaut dem Hund entgegen. Es war sein letztes Wort. Mit den Fingern riß er die Erde auf, noch ein paar Mal zuckte sein Körper und dann lag eine Leiche auf dem Boden. Der Hund aber stürzte wie rasend auf das geöffnete Fenster, als wollte er mit einem Sprunge den Kreuzstock niederreißen. Da krachte der zweite Lauf des Stutzens und auf halbem Wege brach das treue Ungethüm zusammen. Röchelnd kroch er noch bis zur Stätte, wo die Leiche seines Herrn lag, und nach wenigen Athemzügen verschied er.

Es war ein seltsamer Zufall, daß ich gerade an diesem Tage aus der Stadt in die Berge kam und gerade auf jenem Weg, wo das Ereigniß stattgefunden hatte. Da die Gerichtscommission erwartet wurde, so durfte an der Stellung der Leiche nichts geändert werden, und das ganze Drama, wie es vor wenig Stunden sich zugetragen hatte, lag noch vor meinen Augen. Sonderbar ward es mir zu Muthe, als ich den Gefährten hier wiederfand, mit dem ich einst in tiefer Nacht gewandert war.

Weil alle Nachstellungen so lange vergeblich blieben, so hatte sich vielfach das Gerücht verbreitet, daß der Franzl verhext sei und ein Zaubermittel besitze, um sich unsichtbar zu machen. Merkwürdigerweise fand sich in seiner Tasche (als man die Leiche untersuchte) eine Wurzel von räthselhafter Gestalt. Was er damit bezweckte, hat Niemand erfahren, daß aber jener Aberglaube dadurch nur befestigt ward, kann man sich denken. Die Wurzel aber, die Niemand zu nehmen wagte, liegt noch heute in meinem Schrank.