Ein Reisespiegel

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Autor: Heinrich Noë
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Titel: Ein Reisespiegel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 634–635
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Reisespiegel.

Von Heinrich Noë.

Es vergeht kaum ein Sommer oder ein Herbst, wo nicht in der von der Reisezeit ins Leben gerufenen Litteratur Klagen über unliebsame Dinge zum Vorschein kämen, mit denen die Wandervögel in Wirklichkeit oder in der Einbildung in Berührung gekommen sind. Man hört da von Unbilden, welchen man hier und dort in Gaststätten ausgesetzt gewesen sei, von Uebelständen, die man auf Eisenbahnen angetroffen habe, von Uebervortheilungen, deren Opfer man gewesen, und Aehnliches mehr.

Die Fruchtbarkeit, welche alljährlich auf diesem schriftstellerischen Gebiet zu beobachten ist, kann nicht anders als dahin gedeutet werden, daß eben auch im Reisewesen die menschliche Unvollkommenheit in einer allerdings oft lästigen Weise sich offenbart. So zweifellos das ist, so nützlich dürfte es sein, gelegentlich auch einmal den Gebrechen die nicht den erwähnten Dingen, sondern den Reisenden selbst anhaften, einige Aufmerksamkeit zuzuwenden, ihnen zur Beförderung menschlicher Selbsterkenntnis einen klaren Spiegel, welcher nicht schmeichelt, vorzuhalten.

Unsere Vorfahren hatten eine Liebhaberei für derartige „Spiegel“ in Gestalt von Büchern. Da gab es ein Speculum puerorum. (Knabenspiegel), ein Speculum morum (Sittenspiegel), einen Ritterspiegel, einen Spiegel deutscher Leute etc. Auch der „Reisespiegel“, den ich im Sinne habe, könnte ein recht stattliches Buch werden. Es sollen hier indessen nur einzelne Augenblicksbilder herausgegriffen und dem Leser vorgeführt werden.

Als Einleitung zu denselben wäre im allgemeinen zu bemerken, daß die Menschen heutzutage aus dem Grund nicht mehr so viel geistigen Gewinn von ihren Erholungsreisen mit heimbringen wie noch etwa vor einem halben Jahrhundert, weil sie sich verhältnismäßig selten ordentlich vorbereiten. Jeder, der es an sich selbst erfahren hat, weiß, welcher Unterschied im Reisegenuß daraus hervorgeht, ob man vorher ein gut geschriebenes Buch über das Land, das man besucht, in sich aufgenommen hat, oder ob man es in gänzlicher Unwissenheit betritt. In letzterem Falle entgehen dem Reisenden ungezählte Beziehungen, die im anderen seine Teilnahme anregen. Wie sehr verschieden wirkt beispielsweise der Eindruck einer Stadt auf jemand, der sich im voraus ein wenig um ihre Geschichte bekümmert hat, und auf einen anderen, der davon nichts weiß! Für jenen sprechen die Steine, für diesen schweigen sie. Und ähnlich verhält es sich mit der Landschaft.

In unseren Alpenländern ist jetzt den meisten Bahnzügen ein sogenannter „Aussichtswagen“ eingefügt, der von wohlhabenderen Reisenden gern benutzt wird. Ein nicht geringer Teil dieser Reisenden zieht indessen aus dieser bequemen Einrichtung nicht den geringsten Gewinn. Während die Bilder vorüberfliegen, liest der eine emsig in seinem Bädeker, aus welchem er erfährt, was er sehen könnte, wenn er zum Fenster hinausschaute. Und Leute, welche das thun, gehören noch zu den geistig Regsameren. Andere begnügen sich damit, die Eintretenden zu mustern, die verlegenen Bewegungen zu beobachten, mit welchen diese sich nach einem nicht mit Gepäckstücken belegten Sitzplatze umschauen. Für solche liebenswürdigen Reisegenossen besteht die Bildung in der zur Schau getragenen gleichgültigen Miene, in frostiger Wortkargheit und Zugeknöpftheit, in modefarbenen Handschuhen und in der möglichsten Bethätigung des echt modernen Grundsatzes, die Grenzen des eigenen vermeintlichen Rechtes so weit wie möglich vorzuschieben. Wieder andere behelfen sich mit Kartenspielen auf dem von Sitz zu Sitz gebreiteten Plaid, oder kauen in banalstem Zwiegespräch während des zweiten Teils ihrer Fahrt den Inhalt der Zeitung wieder, die sie während des ersten Teils vom Leitartikel an bis zu den Verlobungsanzeigen durchgelesen haben.

Nicht gering ist die Anzahl derjenigen Reisenden, die nicht einmal ein Reisehandbuch besitzen. Reiu aufs Geratewohl fahren sie im Lande umher. Ihre Erkundigungen ziehen sie bei Mitreisenden ein, die oft selbst nicht besser unterrichtet sind, bei Bahnbediensteten, Hotelportiers, Dienstmännern u. dergl. Namentlich Frauen, welche ohne männliche Begleitung reisen, verfügen selten über ein Buch. Man scheut die Ausgabe dafür und muß dann oft den Mangel durch einen einzigen Fehlgriff teurer büßen, als das Buch gewesen wäre. Das ist um so verwunderlicher, als kein Volk Reisehandbücher besitzt, die sich in Bezug auf Brauchbarkeit und verständige Anordnung des Inhalts mit den deutschen messen können.

Mit welcher Unwissenheit gereist wird, ist oft geradezu unglaublich. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich, einmal auf einer Fahrt von Wien nach dem Süden die Bekanntschaft einer aus neun Köpfen bestehenden Familie gemacht zu haben. Als wir uns schon in der Nähe der Adria befanden, jammerte der Familienvater über die Länge und Kostspieligkeit der Reise, deren Ziel Venedig war. Auf meine verwunderte Frage, warum er diese Eisenbahnlinie, die über den Karst führt, gewählt habe und nicht die weit kürzere und viel billigere über Villach und Pontebba, antwortete er unter Berufung auf seinen Bädeker, daß es von Wien nach Venedig keine andere Eisenbahnlinie gebe als eben diejenige, auf welcher wir fuhren. Und sein Bädeker hatte recht – aber nur für die Zeit, in welcher er gedruckt war, nämlich für zwanzig Jahre vorher. Hätte sich der Mann mit einer neuen Auflage versehen, so würde er sich einen guten Teil der Weglänge erspart haben, über die er jetzt jammerte.

Ein anderes Mal hatte ich Gelegenheit, einen ähnlichen Familienjammer zu beobachten. Auf einer Fahrt von Wien nach dem Semmering befand sich ein norddeutscher Hausvater mit seinen zahlreichen Angehörigen. In der Nähe von Vöslau frug er mich über die Bedeutung eines langhingezogenen brückenähnlichen Mauerwerkes. Er meinte damit den Aquäduct von Wien. Ich sagte, es sei die Hochquellenleitung, die Wien mit Gebirgswasser versorge. „Das muß ja furchtbar teuer sein,“ bemerkte der Herr. Etwas verwundert antwortete ich, daß wohl der Bau der Leitung viel Geld gekostet habe, im übrigen aber mir von einer Wasserteuerung in Wien nichts bekannt sei. Darauf zeigte er mir eine Rechnung seines Gasthofs, auf welcher „Bäder in Hochquellenwasser“ zu unglaublichen Preisen berechnet waren. Man hatte ihm die Meinung beigebracht, Hochquellenwasser sei eine Flüssigkeit eigener Art. „Ich konnte es ja thun,“ fügte er selbstgefällig hinzu, „und ermahnte den Hotelbediensteten, nur das teuerste Wasser zu nehmen.“ Meine Bemerkung, daß es in der Wasserleitung der Stadt Wien überhaupt kein anderes gebe, bereitete ihm nachträglich Verdruß. Ergötzlich war auch sein Erstaunen über die bergige Umgebung, durch die wir dahin fuhren. Niemand in der Familie hatte gewußt, daß Wien eine solche Umgebung habe. Die Leute waren auf die Empfehlung eines Lohndieners hin am ersten Tag in den Prater gefahren und hatten diese Fahrt während ihres Aufenthaltes von über zwei Monaten alltäglich wiederholt, weil es ihnen dort gefallen hatte.

Einmal wurde mir an einer Bahnhaltestelle, die etwa hundert Kilometer von der Küste entfernt liegt, eine Frage gestellt, die meine kühnsten Anschauungen über den Unverstand, mit dem manchmal gereist wird, über den Haufen warf. Es befindet sich dort neben dem Bahnhof ein etwa zwanzig Meter langer und zehn Meter breiter Sammelteich, der das Wasser zum Speisen der Lokomotiven enthält. Mein Reisenachbar wollte wissen, ob das „schon das Meer sei“. Ich antwortete verneinend und fügte belehrend hinzu, das Meer sei viel größer. Doch konnte ich mich nicht enthalten, meinerseits ihn zu fragen, wie er auf die Vermutung komme, hier das Meer vor sich zu haben. Er antwortete, daß er gehört habe, das Meer sei grün, und in der That besaß das Wasser des schlammigen Sammelteiches einen Schimmer von apfelgrüner Farbe.

Ein anderes Mal hatte ich Gelegenheit, mich über die Vorbildung zu verwundern, mit welcher mancher unserer Zeitgenossen seine italienische Reise antritt. In einem Garten zu Florenz ging ich hinter zwei Herren her, welche diese Anlage als eine pflichtschuldige Sehenswürdigkeit „abthaten“. Plötzlich blieb der eine der beiden vor einem Baume stehen, faßte ein Blatt an und rief seinem Begleiter im Tone der Ueberraschung zu: „Da sieh, das ist ja ein Lorbeerblatt!“ Und als der andere, nicht minder überrascht, hinblickte, fuhr der erste fort: „Ein ganzer Baum! Und hier wieder einer, viele, viele!“ Bis jetzt hatte er ein Lorbeerblatt offenbar nur für ein Ding gehalten, welches man zeitweilig in Bratensaucen und hinter den Auslagefenstern von Fleischwarenhandlungen auf den Stirnen von Schweinsköpfen wahrnimmt. Daß es auch haufenweise auf Bäumen vorkomme, davon hatte er offenbar keine Vorstellung. Ich erwog, wie viele deutsche Schriftsteller [635] sich um das Land, wo die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, abgemüht hatten und wie vielen Lyrikern beim Preise des Laubes, welches das Haupt des Musengottes schmückt, die Saiten zersprungen waren. Alles umsonst!

Ich füge hinzu, daß diejenigen, welche in diesen Augenblicksbildern auftraten, durchweg Reisende erster Klasse waren.

Wenn es einem in Anbetracht solcher Erfahrungen mitunter vorkommt, als wenn diese sammetgepolsterten Abteilungen vorzugsweise von dem Protzentum der Halbbildung in Beschlag genommen würden, so möchte dieser Eindruck noch durch die Beobachtung der Sitten verstärkt werden, die sich hier nur allzuhäufig breit machen. Endlosen Stoff verwöchten Schaffner und Bahnbedienstete über die seltsamsten Auftritte beizubringen, die sich hier zwischen Reisenden abspielen. Da giebt es Streitigkeiten wegen des Belegens der Plätze, wegen Fensteröffnens und dergleichen, die in der Form, in welcher sie geführt werden, meistens der Bildung weder des einen noch des anderen Teils Ehre machen. Nicht selten kommt jemand ganz schuldlos dazu, daß ihm eine Stunde, von der er sich gerade recht viel Schönes versprochen hatte, durch seine verehrten Mitmenschen verbittert wird. Ein Beispiel.

Ich steige an einem der schönsten Schweizer Seen, längs dessen die Bahn hinführt, ein, und zwar im letzten Augenblick, bevor der Zug abgeht, vom Schaffner gewissermaßen in den Wagen hineingeschoben. Der Schaffner entfernt sich alsbald wieder. Die Insassen der Abteilung sind ein Herr und eine Dame. Sämtlicher Raum oben und unten ist von ihnen mit Hutschachteln, Körbchen und Taschen belegt. Ich bleibe stehen in der Erwartung, daß man mir einen Platz freimachen werde. Weder Herr noch Dame rühren sich. Endlich beseitige ich mit der Bitte um Entschuldigung eine Tasche, und lege sie auf einen Koffer, der einen der Sitze einnimmt. Nach wenigen Augenblicken entspinnt sich folgendes Gespräch:

Der Herr: „Mit welchem Rechte berühren Sie einen Gegenstand, welcher mir gehört?“

Ich: „Das Sachverhältnis ist klar. Ich besitze Anspruch auf einen Sitzplatz. Ihr Gepäck verhindert mich, einen solchen einzunehmen. Sie treffen keine Veranstaltung, Ihre unrechtmäßige Inanspruchnahme des Raumes hier einzuschränken. Demnach bleibt nur die Selbsthilfe übrig.“

Der Herr: „Das war nicht korrekt von Ihnen. Sie hätten den Schaffner rufen sollen, der mußte Jhnen Platz schaffen.“

Ich: „Der Schaffner läßt sich vor der nächsten Station, zu welcher wir nahezu eine halbe Stunde zu fahren haben, nicht mehr sehen.“

Der Herr. „Es war inkorrekt.“

Ich: „Jedenfalls nicht mehr als Ihr vorhergehendes Verhalten.“

Nun entstand eine Pause, während welcher die beiden Reisenden mich mit ingrimmigen Blicken maßen, während ich die meinigen der blauen Wasserfläche zuwandte, über welcher in blendender Pracht die Eisfelder glänzten. Aber ich hatte nicht mehr die Freude daran wie früher. Die flüchtige Stunde war mir durch den geschilderten Auftritt getrübt, nicht etwa, weil mich das Treiben dieser Menschen persönlich berührt hätte, sondern durch den Gedanken, daß in diesen Kreisen der Gesellschaft solche Denkungsweise überhaupt möglich ist.

Es kam aber noch anders. Nach einer Weile folgte Fortsetzung des Gespräches.

Die Dame: „Wie kommt mein Mann dazu, sich von Ihnen Unterweisung in der guten Lebensart geben zu lassen?“

Ich: „Wenn der Vater Ihres Herrn Gemahls die Erziehung seines Sohnes vernachlässigt hat, so kann es diesen kaum in Verwunderung setzen, wenn unter Umständen von anderer Seite nachgeholfen wird.“

Diese Bemerkung veranlaßte eine Reihe von Schimpfworten, die dem Gehege der Zähne meines holdseligen Gegenübers entflohen. Ich erwiderte, daß ich die Kunst des Insultierens nicht verstände und den Zwischenfall als geschlossen erachte. Und dabei blieb es, obwohl es noch eine Weile auf mich herabhagelte. Die schöne Stunde der Fahrt längs des Sees aber, auf die ich mich gefreut hatte, war gründlich verdorben.

In den meisten Fällen, wo man zum Zeugen solcher Reiseunarten wird, kann ja von persönlicher Kränkung nicht die Rede sein, und doch fühlt man sich im Innersten empört. Wer würde beispielsweise, obwohl ihn die Sache als Person gar nicht berührt, nicht eine Anwandlung des Unwillens empfinden, wenn er sieht, wie Leute der sogenannteu gebildeten Stände im Gastzimmer aufliegende Zeitungsblätter, von deren Inhalt ein von tagelanger Wanderung im einsamen Hochgebirge zurückgekehrter Reisender erwartungsvoll Kenntnis zu nehmen wünscht, ohne weiteres auf ihr Zimmer mitnehmen oder auch ganz behalten? Wer ärgert sich nicht darüber, wenn elegante Herren Ballen von Edelweiß und anderen schönen Alpenblumen, die sie kaum zu schleppen vermögen, von einem Ausfluge mit ins Hotel bringen? Wenige Tage später liegt ein großer Teil dieser Blumen zertreten draußen im Staub der Straße.

Alle diese scheinbaren Kleinigkeiten gehören mit zu dem modernen Zuge der Gesellschaft, sich um andere so wenig wie nur möglich zu bekümmern. Und dieser Zug tritt auf Reisen mit besonderer Stärke hervor. Erwähnenswert ist auch das, was ein nicht geringer Teil von Reisenden sich selbst anthut. Statt auf der Reise, wie man es vor Jahrzehnten zu halten gewohnt war, Genuß und Anregung zu suchen, reisen jetzt viele nur, um anzukommen. Um sich die Fahrt selbst so langweilig als möglich zu machen, pflegen solche, die ihrer persönlichen Würde durch Steifheit Ausdruck zu geben vermeinen, harmlose Gespräche so gut wie vollständig abzulehnen. Vor wenigen Jahrzehnten noch war der Ton zwischen Reisenden ein anderer, gemütlicherer. Gerne wurden flüchtige Bekanntschaften angeknüpft, welche zu nichts verpflichteten und man ging in dem Gefühl auseinander, den Dingen, von welchen die Menschen bewegt werden, wieder irgend eine neue Seite abgewonnen zu haben. Das ist heutzutage schon viel seltener geworden In jene vergangenen Jahrzehnte ragten eben noch die Nachwirkungen aus der guten alten Zeit der Postwagen und Landkutschen herein, während unser Geschlecht sich in seiner Empfindungsweise mehr und mehr dem rücksichtslosen Getriebe einer Beförderung durch Maschinen anpaßt. Darum lernen die heutigen Reisenden verhältnismäßig wenig über die Menschen. Mit unbekannten Reisegenossen kommen sie meist nicht viel, noch weniger aber mit den Einheimischen der von ihnen durchreisten Länder in Berührung, Sie erinnern an jene Koffer, welche mit einer Menge von Hotelmarken beklebt sind.

Eine Einrichtung, welcher an und für sich die Nützlichkeit nicht abzusprechen ist, trägt hierzu bei. Ich meine die sogenannten „Zusammenstellbaren Rundreisehefte“. Da wird um billigen Preis das Recht erkauft, so und so viele hundert Kilometer Eisenbahn fahren zu dürfen. In vielen Fällen wäre etwas weniger mehr gewesen. Aber da wird den Bahnverwaltungen kein Kilometer geschenkt. Die Schienen müssen abgefahren werden.

Eine weitere Einrichtung, welche geradezu zur Verblödung des ganzen Reisewesens beiträgt, sind gewisse Coupons, die von Cook’s ticket office, einer englischen Unternehmung, ausgegeben werden. Sie sind von verschiedener Farbe und bedeuten je nach dieser die Fahrkarte auf der Eisenbahn für eine bestimmte Strecke oder Wohnung, Frühstück, Mittag- oder Abendessen in bestimmten Gasthöfen, mit welchen jenes Reisebureau in Verbindung steht. Diese „Vereinfachung“ des Reisewesens wird vornehmlich von Engländern benutzt. Es wird ihnen dadurch ermöglicht, zu reisen, ohne irgend ein Wort von einer fremden Sprache zu verstehen, zu speisen, ohne von der landesüblichen Lebensweise, von der Verschiedenheit der Gerichte und der Erzeugnisse des Bodens irgend welche Anschauung zu gewinnen, weil eben jenes Bureau in seinen Verträgen die von den Auftraggebern gewünschte Bewirtung und Abfütterung zur Bedingung macht. Der Gehirnaufwand, den das Reisen in fremden Ländern erfordert, wird durch diese schöne Erfindung auf das denkbar geringste Maß herabgesetzt.

Es ist eine unleugbare Thatsache, daß unendlich viel Schönes, das in einiger Entfernung von den durch die Eisenschienen vorgezeichneten Linien der hastigen Rundreise liegt, abseits gelassen wird, weil man nicht einen halben Tag „opfern“ kann, sondern von Anschluß zu Anschluß eilt - und leider ebenso unleugbar die weitere, daß manche sehr merkwürdige Oertlichkeit, zu welcher keine Eisenbahn hinführt, nicht etwa unmittelbar wegen Mangels einer solchen vernachlässigt, sondern deshalb nicht besucht wird, weil man sich denkt, daß eine Eisenbahn dorthin führen würde, wenn der Ort in Wirklichkeit ein beachtenswertes Wanderziel böte. Angesichts solcher Thorheiten und Gebrechen in unserem neuzeitlichen Reisewesen thut man gut, sich auf die guten Gepflogenheiten früherer Tage zu besinnen und dafür Sorge zu tragen, daß der bildende und anregende Wert des Reisens nicht gänzlich zu nichte werde.