Ein zahmer Schmetterling

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Titel: Ein zahmer Schmetterling
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 308
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[308] Ein zahmer Schmetterling. An einem kalten, düstern Novembermorgen, dem Monate des Selbstmords in England, wenn der Himmel wie ein aschiger, feuchter Sack über trägem, dichtem Nebel hängt, ging eine zarte Dame zum ersten Male wieder aus ihrem Krankenzimmer in einen anstoßenden Raum, wo sie vom Fenster draußen mit der Empfindung eines Genesenden, sich nach Außen Sehnenden einen heitern, bunten Schmetterling bemerkte. Erstaunt, die zarte Creatur der Blumen und des Sonnenscheins in einer so traurigen Situation zu finden, beobachtete sie dessen Bewegungen und Operationen. Manchmal brach die Sonne etwas durch und glänzte und wärmte einige Minuten an den Scheiben. Jede dieser kostbaren Minuten benutzte die aus Sonnenschein und Blumenduft gewobene, zarte, verspätete Creatur, um sich noch seiner letzten Augenblicke zu freuen. Er flatterte lustig auf und gab so dem Zimmer inwendig und der schwachen Dame einen warmen Anflug von Heiterkeit und Hoffnung. Gegen Abend freilich war’s aus. Nasse, trübe Kälte wehte gegen das Fenster und das zarte Gebild schien still darin zu ersterben. Die Dame bemitleidete ihn, nahm ein warmes Glas, stellte es über ihn und nahm ihn dann im Glase herein in’s warme Zimmer, wo er über dem Kamin übernachtete. Am Morgen lag er anscheinend todt auf dem Boden des Glases. Die reconvalescente Dame, bekümmert, daß die erste flatternde Fahne des Lebens draußen, welche sie gestern begrüßte, das heitere Symbol der Unsterblichkeit und der Auferstehung, so bald gestorben sein sollte, machte verschiedene Versuche, sein zartes Leben wieder zu erwecken. Sie setzte ihn auf ihre warme Hand und beathmete ihn. Diese warmen Lebenshauche waren bald von Erfolg. Er regte sich und wurde in einem verdeckten Glase am offenen Feuer bald wieder ganz lebendig und lustig. Als die Sonne gegen die Scheiben glänzte, ward er herausgelassen, und das bunte, elegante, kleine Wesen freute sich in seinem warmen Lichte jedes Strahles. Als die Sonne verschwand, fiel das Thierchen wieder traurig zusammen auf den Boden. Wieder in’s Leben gehaucht und warm übernachtet flatterte er den folgenden Tag wieder lustig im Sonnenschein, bis er wieder anscheinend todt niederfiel. So wechselten Tod und Leben mehrere Tage hinter einander, bis das dankbare, kleine Wesen ganz zahm ward und seine Wohlthäterin zu kennen schien. Wenn sie am Fenster ihre Finger hinhielt, flog oder kroch er selbst darauf. Wenn sie las oder schrieb, blieb er oft Stundenlang an ihrem Halse oder auf ihrer Hand sitzen. Er speiste und trank von ihrer Hand, einen Tropfen Honig und einen Tropfen Wasser am Finger – alle zwei oder drei Tage. So lebte der Schmetterling den ganzen Winter und einen Theil des Frühlings hindurch als dankbare, graziöse Gespielin der Dame, bis im April seine bunten Schwingen die Farbe verloren und durchsichtig wurden. Die Sonne des Frühlings lockte ihn nicht mehr aus dem Glase. Er saß ruhig dann, bis er eines Morgens ganz todt war.