Eine Rose des Morgenlandes

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Autor: A. B.
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Titel: Eine Rose des Morgenlandes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 694–696
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine Rose des Morgenlandes.

Schon mehrere Jahre sind vergangen, seit ich den letzten Becher aus des Niles Fluthen zum Abschiede trank, und noch immer habe ich die Wahrheit des arabischen Wortes: „Wer einmal den Nil gekostet hat, dem läßt die Sehnsucht keine Ruhe, bis er wiederkehrt zu seinen palmenbestandenen Ufern,“ nicht durch die That beweisen können, so gern ich auch wollte. Hundert Bande, die zu sprengen ich zu schwach bin, fesseln mich hier in der Heimath; nur der Geist kann sich ergehen auf jenen Lichtgefilden des Morgenlandes, welche mir lieb und theuer geworden sind, wie die Stätte meiner Geburt. Gar oft will mir ein eignes Sehnen im Herzen sagen, daß jene Länder mir zur zweiten Heimath geworden seien; denn niemals habe ich es vermocht, diese Sehnsucht von dem bittersüßen Heimweh zu unterscheiden. Ich sehne mich aber nicht blos nach den Ländern im Osten, sondern auch recht innig zuweilen nach Menschen, lieben, guten Menschen von dort her, welche mir einst theuer und werth waren. Gar befreundete Gestalten treten vor mein inneres Auge, wenn ich das alte, zerlesene Buch meiner Erinnerungen wieder aufschlage; jedoch ist unter ihnen allen kaum eine, welche sich mit der einen Rose vergleichen ließe. Ihr Duft hat mich eine Zeit lang berauscht, und weht heute noch oft herein in meine Gedanken und Träume. Es war ein frisch-milder, lieblich-wohliger Duft, den jene Rose vorstreute, und heut zu Tage noch kann ich traurig werden, wenn ich an sie denke. Wenn ich doch einmal mir die Brust schmücken könnte mit dieser Rose!

Ich war in den Tagen, von denen ich reden will, ein munterer Bursch von kaum mehr als zwanzig Jahren, welcher trotz mancher sehr ernsten Erlebnisse lustig in die Welt hinaussah, und fröhlich übermüthig alle übrigen Adamskinder nur als Gegenstände seiner Heiterkeit oder seines Spottes betrachtete. Ein hübsches Stückchen Erde hatte ich bereits gesehen; mit verschiedenen Völkern hatte ich mich vertraut gemacht; Italienisch und Arabisch, die beiden Hauptsprachen für den europäischen Reisenden, waren mir geläufig geworden. Da führte mich mein unstätes Jägerleben auch nach einer der bedeutendsten Städte des untern Egyptens, in deren Nähe ein großer, jagdreicher See sich ausbreitet. Die Stadt liegt reizend. Ein Arm des Nils geht mitten durch sie hindurch, Palmenwälder umhegen sie, und in nicht allzu großer Ferne bildet ein Stückchen Meer den prachtvollen Rahmen zu dem am wenigsten anziehenden Theile des Rundbildes, das man von den platten Dächern der höheren Häuser der Stadt genießt. Man hatte mir in Kairo Empfehlungsbriefe an einige der reichsten und deshalb angesehenen christlichen Bewohner der Stadt mitgegeben, welche mir sogleich nach meiner Ankunft eine Wohnung verschafften, wie ich sie gern habe. Kahil, so hieß mein Gastfreund, räumte mir und meinen Dienern mehrere Zimmer in einer alten „Wekahle“ ein, welche nur von Christen bewohnt wurde.

Um meinen deutschen Lesern die nöthige Beschreibung dieser Wohnung zu geben, muß ich wohl erst sagen, daß „Wekahle“ eigentlich ein verwaltetes Gut bezeichnet, gewöhnlich aber als Benennung eines großen Gebäudehaufens gilt, dessen untere Räumlichkeiten Waarenlager sind, während die oberen von verschiedenen Familien bewohnt werden. Meist sind diese Wekahlaht schon alt und mehr oder weniger zerfallen; im Hofe gibt es ein wirres Durcheinander von Gängen, Thüren, Winkeln, Ecken, in der Höhe malerische Erker mit kostbarem alten Gitterwerk, in welchem der ganze, große Reichthum einer arabischen Künstlerseele sich geltend gemacht hat, jetzt aber einzelne Stäbe oder größere Theile herausgebrochen sind, gleichsam, um ein Malerauge noch unwiderstehlicher zu fesseln, als es ohnehin geschieht. Dazu fällt nun das reiche Licht des Südens auf Mauer und Wände und webt und dichtet mit den alten Gittern, Erkern, Ecken, Winkeln, Vorsprüngen auf den buntfarbigen Mauern Gemälde zusammen, deren Reiz so gewaltig ist, daß sie auch das trockenste Menschengemüth mächtig ergreifen. In einem solchen Hause zu wohnen, ist gar ein eigener Genuß. Bald lacht die Sonne hell durch’s Fenster herein in’s alterthümliche, arabisch-märchenhafte Zimmer, bald wirft sie nur noch Streiflichter an irgend eine Wand desselben, bald schielt und schafft sie an einer anderen Hofseite mit Schatten und Licht; bald läßt der Wind den ziemlich einsam Hausenden durch die sich sanft und anmuthig neigenden Palmenhäupter, welche überall hereinsehen, grüßen; bald fesselt ein morgenländisches Menschengetriebe unten im Hofe die Aufmerksamkeit. Nach des Tages ununterbrochenem Wechsel haucht dann das Abendroth noch seine duftigen Farbentöne über die Halbtrümmer, und der Mond versucht es, das in Silber nachzumalen, was die Sonne in glühenden Goldfarben mit südlicher Meisterschaft vorgemalt hatte. Dann wird es still genug, um die Klänge des „Soht“, einer Art liegender Harfe, zu vernehmen, welche die einfache, wehmüthig ernste Weise begleiten, in die ein schmachtendes oder still beglücktes Menschenherz irgend ein Schasol einhüllt, weil dieses schier allzureich ist an Pracht und Fülle des Gedankens, Lieblichkeit und Anmuth des Wortes, als daß es so unverhüllt seine berauschenden Blüthen entfalten könnte. In einem derartigen Hause wohnte ich.

Meine Wohnung war von den übrigen streng geschieden. Wenn man von der Straße aus durch das große Hufeisenbogenthor hereintrat, kam man in eine Art Vorhalle mit einer prächtig alten, zerfallenen Holzdecke; zwei Treppen mit ziemlich unregelmäßigen Stufen führten rechts und links nach den oberen Geschossen. Man betrat nun einen breiten, durch Oberlicht erleuchteten Gang, in welchem die Eingangsthüren zu den einzelnen Wohnungen lagen. Die siebente oder achte Thüre führte zu meiner Behausung. Diese war im Ganzen einfach und klein. Eine Küche, ein Vorsaal und ein Zimmer lagen im ersten Geschoß, zwei Zimmer im zweiten. Von hier aus stieg man vermittelst einer Holztreppe zu dem platten Dache hinauf, welches mit hohen Mauern umhegt war und keinen Blick auf die Terrassen meiner Nachbarn gestattete, zum Glück aber noch einen Oberbau besaß, von wo aus das Auge nicht nur alle übrigen Terrassen des Hauses, sondern auch einen großen Theil der Stadt und das weite, in Fülle schwelgende Flachland beherrschen konnte. Was kümmerte es mich, daß allen früheren Bewohnern meines Haustheiles diese Höhe als heilige Stätte erschienen war, welche ihr Fuß nicht zu betreten wagte – weil sie von dort aus leicht irgend eine Frau der Nachbarn gesehen haben könnten! Ich wußte, daß meine Nachbarn Christen waren, und deshalb auf ihre Frauen unmöglich die eigentliche Bedeutung des Wortes „Harem“ – d. i. das Unantastbare – angewendet werden konnte; darum stieg ich unbesorgt allabendlich auf das Dach jenes kleinen Terrassenstübchens hinauf. Von da aber hatte ich eine so reizende Aussicht! Die Sonne ging jedesmal prachtvoll hinter einem dünnbestandenen Palmenwalde unter, und malte dann immer einen so überaus herrlichen Goldgrund zu dem Palmenbilde, daß jede einzelne Krone nicht nur scharf und deutlich davon abstach, sondern auch eine Farbe annahm, welche mir so wunderbar vorkam, daß ich mich gar nicht satt sehen konnte. Und das war noch durchaus nicht das Einzige, was ich sah. Jenes Zauberspiel des Lichtes, welches ich im Kleinen im Innern der Wekahle bemerkte, war auch über die Häuserreihen an beiden Ufern des Stromes verbreitet und dort von noch ganz anderer Wirkung – ich bin gar nicht im Stande zu beschreiben, von welcher. Nur das kann ich sagen, daß die kühnsten Gebilde meiner Einbildungskraft noch unendlich weit von der Wirklichkeit übertroffen wurden. Jeder Abend dort oben webte mir neue, gleich bunte und gleich liebe Träume um das Herz, [695] jeder Abend machte mir das Plätzchen theurer. Ich kannte zuletzt jeden Erker, ich wußte, wann dieser im Licht, jener im Schalten liegen würde; ich hatte die Barken auf dem Strome mit ihren weißen, dreieckigen, geblähten Segeln schon hundert Mal gesehen; ich wandelte schon seit mehr als Jahresfrist unter Palmen — und konnte doch nicht von meinem Schausitze lassen. Das kam daher, weil mir eine innere Stimme dunkel andeutete, daß ich einstmals noch weit mehr von jenem Orte aus entdecken sollte, als bisher.

Eines Abends träumte ich wiederum still der eben geschiedenen Sonne nach. Von den Minarets herab tönte noch die Mahnung des Mueddin an die Gläubigen, das Abendgebet zu sprechen. Deshalb war auch das Getöse der Stadt plötzlich verhallt, das Tiktak der Hämmer auf der nahen Werfte mit einem Male verstummt.

„Hai ál el salah!“ (Rüste Dich zum Gebet!) — sang der Verkündiger des Glaubens, und die meisten Gläubigen beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen. Einige hatten die Wäsche bereits vollendet und lagen im Gebet auf den Knieen, zuweilen sich erhebend, um wieder niederzufallen und die Stirne in den Staub zu drücken, zuweilen beide Arme ausbreitend und wieder die Hände zusammenhaltend, wenn sie das aufgeschlagene Buch des Propheten darstellen sollten, wie dies das Gesetz des Islam erfordert; die ausdrucksvollen Gestalten waren förmlich umflossen von dem Golde des Abends. Andere waren eben im Begriff, sich nach den vorgeschriebenen Regeln zu säubern, „um rein hinzutreten im Gebet vor Gott.“ Ein Andachtshauch ging durch die still gewordene Stadt; selbst die Palmenkronen bewegten sich nicht mehr: ich aber lebte doppelt, denn ich wachte und träumte zugleich. Da wurden meine Augen von einem Bilde gefesselt, welches ich dem Traume zuschreiben wollte, und mit Luft der Wirklichkeit zuschreiben durfte. Auf der nächsten Terrasse war eine Frauengestalt erschienen, so schön, so anmuthig, so kindlich lieblich, wie ich sie bisher noch niemals erschaut hatte. Ich konnte mich nicht losreißen von ihr, und mußte sie anreden:

„Gebe Dir Allah, der Erhabene, einen glücklichen Abend, Herrin!“ rief ich zu ihr herüber.

Sie erschrak, und wollte sich das Gesicht mit dem Schleier verhüllen, hatte aber zum Glück dieses jetzt ganz entbehrliche Kleidungsstück unten vergessen.

„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst Du? Und warum willst Du mir das Licht des Vollmondes, Deines Gesichtes, entziehen? Weißt Du nicht, daß ich ein Franke bin? In meiner Heimath verhüllen die Wolken wohl oft die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen auf Erden. Ich bin gewohnt, unsern lieblichen Töchtern der Erzmutter Eva frei in's Angesicht zu schauen; warum willst Du Sonne Dich mir verbergen? Bist Du nicht Christin?“

„Wohl bin ich Christin,“ erwiderte sie, „gelobt sei Gott und unser Herr; aber ich kenne noch keinen fremden Mann, welcher mein Gesicht gesehen hätte. Dein Land ist nicht mein Land, Deine Sitte nicht meine Sitte, Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sclavin; bedenke das, Guter! Möge Deine Nacht glücklich fein!“

Sie wollte gehen.

„Halt, Herrin, warum willst Du davon eilen? Hast Du mich noch nicht gesehen?“

„O, schon sehr oft; gleich am ersten Tage Deiner Ankunft sah ich Dich und seitdem alle Tage.“

„Nun wohl, fürchtest Du Dich vor mir?“

„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit Dir zu reden.“

„Aber, Mädchen, ist denn die Sitte meines Landes nicht besser, als die des Landes der Mohammedaner?“

„Gewiß, Herr; ich habe oft gewünscht, die Tochter eines Franken zu sein; denn ich liebe die Franken, weil ich weiß, daß ihre Männer anders sind, als die unsrigen. Man sagte mir, daß ihre Frauen die wahren Freundinnen ihrer Männer wären; wir sind die Dienerinnen unserer Herren!“

„Hast Du denn einen Herrn, meine Herrin?“

„Nein, ich bin noch bei meinen Eltern. Doch glückliche Nacht!“

„Warum entfliehst Du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte Dich!“

„Ich darf nicht.“

„Go sage mir wenigstens Deinen Namen, Du liebliche Gazelle!“

„Ich heiße Warde.“

„Wirst Du wieder hierher kommen?“

„Ich darf nicht. Gute Nacht, Herr!“

Sie war verschwunden; ich wußte noch immer nicht, ob ich wachte oder träumte. Aber den Namen Warde hatte ich behalten, ich wußte genau, daß er „Rose“ bedeutet; denn ich verspürte den Duft dieser Rose — im Herzen. Ich hätte ja nicht einundzwanzig Jahre alt sein müssen! Zwar dachte ich an eine andere Blume in der Heimath, von welcher ich oft gemeint hatte, daß sie einmal für mich allein blühen werde; aber diese Blume war, seitdem ich die Rose des Morgenlandes gesehen hatte, fast verblichen. Ich entwarf Pläne, mich in das Haus meines Nachbars einzuschmuggeln, die Mauer zu übersteigen, welche mich von der mir zum Rosengarten gewordenen Terrasse trennte; ich dachte plötzlich an Hierbleiben und Hüttenbauen, kurz an Alles, woran ein junger Mann unter derartigen Umständen denken kann. Vorerst aber beschloß ich, abzuwarten, was der folgende Abend bringen würde.

Er kam und brachte mir wirklich meine Rose! Kindlich aufrichtig erzählte mir Warde, daß sie nicht habe kommen wollen; aber ich sei auch nicht, wie die andern fremden Männer. Das möge wohl daher kommen, daß ich ein Franke sei. Dann fragte sie mich, was ich von ihr wolle.

„Reden will ich mit Dir, Gazelle; meine Augen bedürfen ihres Lichtes; meine Seele bedarf des Hauches ihres Lebens; die Muscheln meiner Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“

Ich wollte noch weit mehr sagen, aber ich merkte, daß es zweierlei Sprachen gibt im Leben. Vorher hatte ich mir eingebildet, recht gut arabisch sprechen zu können; jetzt sah ich, daß ich gar nichts von der Sprache verstand, als die allergewöhnlichsten Worte. Ich quälte mich mit Versuchen, die Gedanken auszudrücken, welche mir eine Wortfülle brachten, wie früher nie — aber nur eine Fülle deutscher Worte. Das, was ich eben gesagt hatte, war mir kurz vorher von einem weisen Scheich gelehrt worden, mit welchem ich eiligst Freundschaft geschlossen hatte. Aber der Unterricht dieses edlen Mannes reichte ja nicht zum hundertsten Theile aus. Ein Glück nur, daß er mir gesagt hatte, „Habihbti“ bedeute „meine Geliebte.“ Ich radebrechte also flugs weiter:

„Ich wünsche, o Rose, Du bist Habihbti.“

Sie lächelte. Dann fragte sie ernsthaft:

„Bist Du verheirathet, Herr?“

„Nein, Warde.“

„Hast Du eine angelobte Braut?“

„Nein.“

„Hast Du Eltern?“

„Gott sei Dank, ja.“

„Hast Du Schwestern?“

„Ja, eine einzige; aber sie ist weit, weit von mir, und meine Eltern auch, und Alle, welche ich liebe; ich bin ganz allein hier in der Fremde.“

Bedauernd sagte sie:

„Ja, Mischihn (Du Armer)!“ — Dann setzte sie hinzu: „Wohl, so will ich Deine Schwester sein; nenne mich Schwester, ich werde Dich Bruder nennen!“

Nun folgten schöne, herrliche Tage oder vielmehr Abende; ich lernte verstehen, was das Wort: „Leila“ (Nacht) bedeutet es klingt mir noch heute wie Musik, wenn ich es höre. Ich sah Warde allabendlich; der Vater mochte schmollen, die Mutter grollen, wie sie wollten, sie erschien doch. Ich nannte sie Schwester, aber ich durfte sie auch Habihbti nennen, sie nannte mich ja auch zuweilen Habihbi“ — und das Wort schien mir das schönste, wohllautendste der arabischen Sprache zu sein. Der Scheich lehrte mich Worte, wie sie in seinen Büchern standen; Warde lehrte mich solche, wie sie das frisch erblühte Leben bedurfte. Die Rose duftete für mich; ich durfte ihren Duft einsaugen, denn ich durfte meine Brust mit ihr schmücken. Ich war glücklich — und lernte alle Tage besser arabisch. Wie ein Kind — sie war noch fast ein solches — freute sich das liebliche Mädchen, als ich ihr einst Hafisee's Worte, die mich der Scheich gelehrt hatte, ohne Anstoß vortrug:

„Salah âle lillahi, ila jâmel el johm wu el leïla,
Wodjak, ja nuhni, el johm, wu schahrak, habihbti, el leïla!“

zu deutsch:

„Ich preise Gott, der Tag und Nacht gemacht,
Den Tag, Dein Antlitz, und Dein Haar, die Nacht!“

[696] Aber die Tage flogen dahin; die Pflicht gebot mir, zu scheiden. Ich sagte es Warde lange vorher und betrauerte jetzt den Abend, an welchem ich sie zuerst gesehen.

„Die Betrübniß ist eingezogen bei uns und der Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr,“ sagte sie mir; „doch Du kannst mich ja mit Dir nehmen, o Lust meiner Seele!“

„Nein, Warde, das kann ich nicht!“

„Und warum nicht, Herr?“

„Weil ich nach Ländern ziehe, in denen die Erde Feuer, der Wind eine Flamme ist; in denen die Luft zum Gifthauche und die Sonne zur Qual wird; in denen selbst der Mond ein Feind des Menschen ist. Ich muß und will nach dem Lande der Schwarzen gehen; und Du weißt ja wohl, was das bedeutet. Du duftige Rose aus dem blühenden Garten Deines schönen Landes würdest verwelken in jener Gluth; Du liebliche Gazelle würdest verdursten in dem Feuer der Wüste; Dein Leib würde versiechen unter dem Gifthauche des Windes. Weiß ich doch nicht, ob ich selbst wiederkehren werde aus jenen Ländern, und ich bin ein Mann und gewohnt, Beschwerden zu ertragen!“

„O, Du irrst, Herr,“ erwiderte sie, „Du irrst, wenn Du glaubst, eine solche Reise besser ertragen zu können, als ich. Du bist ein Fremder hier im Lande; Dich haßt nicht blos das Volk der Länder, nach denen Du ziehst, Dich hassen auch dort die Sonne und der Mond, der Wind und die Erde. Dein Haupt wird der Wind beugen, Dein Auge wird die Sonne blenden, Deinen Leib wird ihre Gluth austrocknen, Deine Nacht wird der Mond zur Hölle machen. Ich bin eine Tochter des Landes, welches der Strom durchfließt; soweit seine Quellen reichen, dehnt sich meine Heimath. Diese Sonne glühte in der Stunde meiner Geburt; dieser Mond beleuchtete die erste Nacht meines Lebens. Meine Brust ist geschützt, wie die des persischen Kriegers gegen den Giftpfeil des Windes; Du aber wirst erkranken und verwelken und Niemand wird bei Dir sein und für Dich beten! Oder glaubst Du, daß Deine schwarzen Diener an Deinem Lager warten werden? Wären sie gute Menschen, hätte Allah ihnen nicht ein schwarzes Gesicht gegeben; so schwarz als dieses ist auch ihr Herz. Darum laß mich mit Dir gehen, ich folge Dir bis an’s Ende der Welt. Ich will Dir dienen, wenn Du gesund bist, und Dich pflegen, wenn Du erkranken solltest; ich will Dir Schaselaht singen, wenn Du fröhlich bist, und Dich trösten, wenn Du traurig wirst. Nimm mich mit Dir, Chalil, mein Bruder, mein Freund!“

„Seele meines Lebens, ich kann, ich darf nicht. Es wäre Sünde an Dir und Deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich Dich mit mir nehmen, Warde?“

„Als Dein Weib, Mann!“

„In meinem Lande heirathet man nicht so früh; ich zähle noch zu wenig Jahre, als daß ich Dich meine Frau nennen dürfte; das bedenke, o Gute!“

„So nimm mich mit Dir als Deine Dienerin, als Deine Sclavin; befiehl mir, was ich sein soll, ich werde Dir gehorchen, Herr, ich stehe auf Deinem Eigenthume.“

„Es geht nicht; es ist unmöglich, Warde,“ sagte ich traurig; „es wäre eine Sünde an Dir. Denke an mich, wenn ich in der Fremde bin!“

„O, Du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in Dein Zelt tritt und die Krankheit sich auf Dein Lager legt!“

„Ich werde Deiner immer gedenken, Warde!“

Sie antwortete nichts mehr; sie weinte. – Auch später bat sie mich nicht mehr, sie mit nach dem Sudan zu nehmen; aber wenn ich sie sah, bemerkte ich Thränen in ihren Augen: Himmelsthau auf der Rose! – Endlich mußte ich von ihr scheiden. Der Abschied brachte mir alle Trauer, welche in diesem Worte liegt.

„Allah behüte Dich und Issa (Jesus) sei mit Dir, Du lieber, böser, fremder Mann!“

Das waren die letzten Worte, welche ich von ihr vernahm.

Ich nahm einen arabischen Lehrer an und lernte mit wahrer Hast arabisch, um ihr schreiben zu können. Oft habe ich ihr geschrieben, doch niemals erhielt ich Antwort von ihr. Nach ihr zu fragen, verbot mir die Sitte des Landes. Wen hätte ich auch fragen sollen?

Ob sie wohl noch blühen mag, diese Rose? Ich weiß es nicht; das aber weiß ich, daß sie mir heute noch blüht, wenn mich der Wohlduft einer Rose anweht; und ich liebe darum diese Blume über Alles. Die Blume der Heimath war keine Rose – aber scharfe, giftig scharfe Dornen hatte sie wohl. Sie ist mir bald und vollkommen verblüht.

Die vorliegenden Zeilen beanspruchen nur Eins: die Würdigung der vollsten Wahrheit, welche sie enthalten. So weit ich es vermochte, habe ich arabische Worte treu in deutsche übersetzt.

A. B....