Eine Soirée bei Andrassy

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Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Eine Soirée bei Andrassy
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 630–633
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine Soirée bei Andrassy.[1]


Oft werden unsere Leser in den Berichten der politischen Tagesblätter aus und über Oesterreich-Ungarn von einer „Politik am Ballplatze“ lesen, ebenso wie aus Berlin von einer „Politik der Wilhelmsstraße“. Diese Localisation der amtlichen politischen Vorgänge und Kundgebungen hat in den Wohnungen der betreffenden Lenker der auswärtigen Politik ihre Bedeutung. Wie in Berlin durch die Wilhelmsstraße, so ist in Wien durch den Ballplatz die auswärtige Politik Oesterreich-Ungarns bezeichnet und die Richtung, nach welcher der derzeitige Vertreter derselben, zugleich als Ministerpräsident für die beiden Reichshälften, Stellung genommen hat.

Wenige von den Weltausstellungsreisenden werden ihre Schritte nach dem Ballplatze lenken. Da lehnt sich an das in großem Stile erbaute Liechtenstein’sche Palais ein Gebäude an, stattlich mehr nach den Seitenfronten zu, die nach zwei vom Ballplatze ausmündenden Straßen gelegen sind, als gerade nach der Façade, die sich nur etwa mit sechs Fenstern Front nach dem Platze vorschiebt. Von diesem Gebäude aus, der früheren Reichs- und Staatskanzlei, das dem Fürsten Kaunitz von seiner dankbaren Souverainin Maria Theresia gebaut war, leitete der staatskluge Reichskanzler das deutsch-österreichische Staatsschiff durch die Stromklippen der Zeit; hier ersetzte ihn der schlaue, aber schwache Graf Cobenzl, der bald dem plebejischen, aber energischen und mit den Erfolgen der Rücksichtslosigkeit arbeitenden Minister Thugut weichen mußte, bis dann der schönste, glänzendste und schlaueste aller Diplomaten, der junge Wenzel Metternich vom Rheine, in die Säle einzog. An vierzig Jahre hielt er hier Salon und in den untern Räumen installirte er seine Gentz, Adam Müller und Pillat und wie sie alle hießen, diese Sumpfpflanzen der faulen Restaurationsperiode, die sich und den Fürsten in den Wahn einlullten, daß man mit Artikeln der Allgemeinen Zeitung der Zeit ihre geistige Richtung vorzeichnen könne und daß das moderne über die Geschicke der Völker entscheidende Fatum – die Polizei sei, bis dann der alte vornehme Herr, der Anbeter alles schönen Weiblichen, von einer Dame ausgemietet wurde, die nicht nach seinem Geschmack und der er nie [631] den Hof gemacht hatte – von der Revolution. Dann ging es eine Weile recht toll in diesem Hause zu; die Parteien spielten hier ihr „Kämmerchenvermiethen“. Vom Abgange des einen Ministers bis zum Einzuge des andern, seines Nachfolgers, brauchten nicht einmal frische Kerzen auf die Kronleuchter gesteckt zu werden. Das Princip der Stabilität war einzig durch den Portier vertreten, bis Felix Schwarzenberg mit seinem Pallasch kam, diese militärisch-aristokratische neue Auflage des seligen oder vielmehr unseligen Thugut. Dann brach für das Haus wieder eine Zeit an, wo man nicht jeden Monat eine andere Equipage mit anderer Livrée durch das Portal fahren sah, wo die aus den Fugen gegangene Zeit wieder eingerenkt wurde, wo Schmerling und dann Rechberg und zuletzt Beust die Vertreter der auswärtigen Mächte in den Salons empfingen, und wenn man jetzt des Morgens gegen zehn Uhr die Löwelstraße passirt, so kann man den Grafen Andrassy in leichter Sommertoilette von dem Gärtchen, wo er an schönen Sommermorgen frühstückt, nach seinen Amtsgemächern gehen sehen, um dort den Vortrag seines Sectionschefs entgegen zu nehmen.

An den Abenden macht die Gräfin Julius Andrassy geb. Gräfin Kendesy an demselben Platze zwischen den beiden Marmorsäulen die Honneurs, an welchem der alte Fürst Metternich Tag für Tag nach dem Diner seinen Whist zu machen pflegte.

Die Gräfin ist eine Siebenbürgerin. In ihrem Aeußern ist deutsches Sachsenblut ganz unverkennbar. Sie hat den zarten rosigen Teint und das aschblonde Haar einer Niederdeutschen, jedoch die großen lebendigen geistvollen Augen und die feine graciöse Gestalt scheinen Product ihres Adoptivvaterlandes Ungarn zu sein. Sie spricht das Deutsche, wie alle Siebenbürgerinnen, sehr rein, wenn auch mit scharfem Accent, und in ihrem ganzen Wesen, in ihrem Sprechen, ihrem Lächeln, ihren Blicken, den weichen Linien ihrer Bewegungen liegt ein unendlicher Liebreiz, ein bezaubernder Ausdruck des echt Weiblichen ausgegossen. Das Alter jeder Frau richtet sich nach den Empfindungen, die von ihr auf Andere ausgehen; darnach ist die Gräfin in jenem unbestimmbaren Stadium ewiger Jugend. Ihr Liebreiz ist ein zwingendes Verbot, den Gothaer Kalender nicht zu befragen. Wenn sie einst fünfzig Jahre alt sein wird, wird man sie noch für fünfundzwanzig halten. Dabei ist sie die glücklichste Gattin, die ihren Mann anbetet, ihren Kindern die zärtlichste, sorgsamste Mutter, Eigenschaften, die nicht ausschließen, daß sie am Abende in ihrem Salon die vollendetste Weltdame sein kann. Um sie stehen die Damen in weitem Kreise, zunächst die des diplomatischen Corps. Da ist Madame de Banneville, die Gemahlin des französischen Botschafters, das Urbild einer Französin des zweiten Empire, klein, brunett, lebendig, und wie jede Persönlichkeit der Ausdruck einer Farbe, so ist sie auf Kirschroth angelegt. Da ist in der Nähe die Gräfin Dönhoff, eine Prinzessin Campo Reale aus Florenz, die Verehrerin der deutschen musikalischen Richtung Richard Wagner’s. Diese kleine, schöne, graziöse Frau mit dem blassen Antlitze und den großen Augen, mit der jungen geistigen Lebendigkeit des Südens im Ausdrucke und im Wesen ihrer Persönlichkeit, sie war es, die den deutschen Componisten einst in Paris mit der Fürstin Metternich bekannt gemacht und die Aufführung des „Tannhäuser“ in der großen Oper zu Paris in Folge einer Wette der Fürstin Metternich mit dem Kaiser Napoleon veranlaßt hatte. Sie hält das Banner Richard Wagner’s gegenüber romanischer Musik noch immer tapfer aufrecht, und aus dem geistvollen und schönen Haupte sprechen alle Eigenschaften dafür, daß sie im Vereine mit der Baronin von Schleinitz in Berlin die Sache des modernen Reformators zu einem triumphirenden Ende führen werde. Sie steht mit ihrer Sympathie für seine Werke nicht allein in diesem Salon; sie hat noch eine sehr mächtige Bundesgenossin in der Gemahlin des einflußreichsten Mannes in der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie, des ersten Oberhofmeisters des Kaisers, des Fürsten Constantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Die Fürstin ist die Tochter jener Fürstin Wittgenstein, die so lange Zeit ein inniges Freundschaftsverhältniß mit Liszt unterhalten hatte; sie war als Prinzessin Marie Wittgenstein der ideale Mittelpunkt des damaligen Weimarer Musenkreises, von Dichtern wie Geibel als Fee Abunda besungen, von Kaulbach als solche gemalt – nun eine hohe vornehme Gestalt, von jenem brunetten Ausdrucke, der auf erhöhte Nervosität deutet, dabei im Sprechen und Sichbewegen voll geistiger Superiorität und an diesem Abende in reiche gelbe und braunrothe Atlasgewänder gekleidet. Unter den preußischen Damen bemerkt man die schöne Gräfin Eugenie von Fürstenberg-Stammheim, vom Rheinlande, eine volle imponirende Erscheinung mit wahrhaft katholischen Augen; sie ist eine geborene Oesterreicherin, eine Tochter aus dem Hause Auersperg, und wenn sich confessionelle und nationale Unterschiede in Persönlichkeiten darstellen lassen, so möchte im Gegensatze hierzu eine Frau aus einer der ersten Bürgerfamilien Berlins, Frau Ravené, ein geborenes Fräulein voll Kusserow von der Ostsee, durch ihre lichten hellen Augen, ihr volles blondes Haar und ihre zarte Gestalt eine protestantische Erscheinung zu nennen sein.

Wo etwa achtzig Damen in zwei großen Salons, alte und junge, versammelt sind, da kann man wohl keine Kirchhofsstille erwarten – um so weniger, je lebhafter, voller und natürlicher sich das südliche Naturell giebt. Das lacht und spricht mit dem Munde, den Augen und Händen; das schwirrt und rauscht und glänzt in diesen Räumen, wie ein von der Abendsonne beglänzter Wasserfall, der sich über Felsentrümmer stürzt. Ein Herr in ungarischer Husarenuniform muß sich durch diese ellenlangen Schleppen, durch dieses Meer von Garnirungen einen Weg bahnen – und wehe ihm, wenn er das Unglück hätte, eine einzige dieser Falbeln oder Blumen mit seinen Sporenstiefeln zu knicken! Unauslöschlicher Haß würde ihm geschworen, viel mehr, als wenn er der feudal-föderalistischen Partei in Oesterreich den Daumen auf’s Auge drückte – er, der Leiter der Geschicke der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Minister des kaiserlichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten, Graf Andrassy – dieser scharfgezeichnete Typus seines Landes mit der zähen Widerstandskraft in der geschmeidigen Gestalt, mit der geistigen Ueberlegenheit und der kalten Ruhe in dem so leidenschaftlich gezeichneten Gesichte. Er giebt der Gräfin einen Wink, und sie folgt ihm durch die Salons hindurch bis zum Ausgang derselben, bis an die Treppe, auf deren Absätzen rechts und links ungarische Husaren in lichtgelber, mit Silber verschnürter Livrée und hellgrauen Pelzmützen aufgestellt sind.

Durch ein Glockenzeichen war der Herr des Hauses verständigt worden, daß eine Persönlichkeit aus der kaiserlichen Familie oder aus einem souveränen Hause im Anzuge sei, und derartige vornehme Herrschaften müssen vom Hausherrn am Fuß der Treppe, von den Damen des Hauses auf dem obersten Podeste empfangen werden. Zwei Kammerdiener in schwarzem Anzuge, Schuhen und Strümpfen, mit silbernen Armleuchtern in der Hand, gehen voran bis zum Eingang in die Salons, und am Arme des Grafen oder der Gräfin betritt die betreffende Fürstlichkeit die Gesellschaftsräume. So muß an diesem Abende das gräfliche Paar sehr oft diesen Weg machen – der Besuch der deutschen Kaiserin in Wien markirt die Höhe der Weltausstellungssaison, und es ist so viel fürstlicher Besuch am kaiserlichen Hofe, daß es hier – um scherzhaft zu reden – auf eine Ausstellung von Fürstlichkeiten abgesehen zu sein scheint.

Die Gräfin hat ihren Gast mit Uniform oder Robe in ihren mit rothem Atlas decorirten Salon eingeführt. Ihr Gemahl ist im ersten Saale gleichsam auf Vorposten. Der stattliche Raum ist von dem männlichen Theile der Gesellschaft dicht gefüllt. An dieses Gemach stoßen zwar noch zwei größere Säle, ein länglicher Tanzsaal, der aber heute nicht seinem eigentlichen Zwecke zu dienen scheint, und weiter ein reich mit Blumen und dunkelrothen Sammetvorhängen drapirtes Gemach – aber diese Gemächer sind noch leer; die Gesellschaft der geladenen Herren drängt sich lieber im ersten Salon zusammen, durch diesen müssen auch die Damen ihren Eintritt nehmen – und der Reiz eines derartigen Abends liegt ja zumeist im Schauen. Unter den Herren ist die Uniform in Minderheit, nur die militärische ist vertreten; sonst herrscht die Uniform der civilisirten Erde, die weiße Binde und der schwarze Frack, wenn auch mit den verschiedenartigsten Kreuzen, Sternen und Bändern geschmückt und ausgezeichnet. Da sind sämmtliche Collegen Andrassy’s, das heißt die beiden Reichshälften gemeinsamen und die österreichischen Minister; bald drückt er Adolf Auersperg die Hand; bald tritt er dann zu der Gruppe Banhans, Glaser und Unger, begrüßt im Vorbeigehen einige Diplomaten und läßt sich später Mitglieder verschiedener Weltausstellungs-Commissionen, [632] und namentlich deutsche, vorstellen. Darunter befinden sich die hervorragendsten und weitklingendsten Namen deutschen Gewerbfleißes und deutschen Unternehmungsgeistes – die Fürsten der Arbeit – die großen Bürger des deutschen Reiches. Das deutsche Element steht, wie bereits bemerkt, an diesem Abende im Vordergrunde, wenn auch die deutschen Laute in Minderheit gehört werden. In welcher Sprache die Conversation fortrollt? In allen Zungen. Da hört man französisch, englisch, italienisch, spanisch, russisch – da hört man Laute, die man in keines dieser Idiome einrangiren kann, und die sich anhören, als ob die Sprechenden immerwährend niesten.

Die Flügelthüren des ersten Empfangszimmers öffnen sich in einer Weise, die einen Gast von hohem Range ankündigt. Ein alter Mann erscheint – mittelgroß und mager von Gestalt; diese selbst ist vom Alter gebeugt; der Kopf hängt etwas nach vorne. Der Ankömmling trägt einen schwarzen, einreihigen Rock mit Stehkragen, um den Hals eine goldene Kette mit einem großen goldenen, mit Brillanten besetzten Kreuze, mehrere Ordenssterne, rothe Strümpfe, rothe Handschuhe, über dem Zeigefinger der rechten Hand den Fischerring und auf dem Haupte ein rothes Käppchen, unter welchem schneeweiße Haare spärlich hervorschauen. Wer unter der Gesellschaft kennt ihn nicht, diesen hohen Würdenträger der römischen Kirche, einen der in Oesterreich und dessen Verfassungskämpfen am meisten genannten Namen – den Erzbischof von Wien, Cardinal von Rauscher? Eine Persönlichkeit, die auch ohne den Purpur, ohne den Nimbus, der diesen tapfern General der Streitmacht der Kirche umgiebt, die Aufmerksamkeit des physiognomischen Beobachters auf sich ziehen würde. Der Cardinal sieht nichts weniger als vornehm aus; seine ganze Erscheinung weist auf seinen Ursprung aus dem Volke zurück: der knochige Bau des Körpers, die Bewegungen, die den Landpfarrer noch nicht überwunden haben, und namentlich der Kopf mit den blassen, welken Zügen. Die Bedeutung desselben liegt weniger in den oberen Partien, in der Sphäre der geistigen Kraft, als in dem Unterbaue, namentlich in dem mächtigen Kinn, das auf ganz eminente Eigenschaften des Charakters schließen läßt. Es liegt in der ganzen Erscheinung etwas von dem Machtbewußtsein einer Partei, von der Rücksichtslosigkeit eines Principes; der Sohn des Volkes ist stärker betont, als der Sohn der Kirche; in dem Cardinal ist die demokratische Seite der römischen Kirche herausgekehrt. Er macht keine sehr tiefen Bücklinge vor allen den Excellenzen der Geburt oder des Geistes, die hier unwillkürlich einen Kreis um ihn bilden; er hat nicht das süßliche, kokette Lächeln der meisten seiner Collegen, und noch weniger die einschmeichelnden Mienen und die graziösen Manieren, in denen namentlich der Erzbischof von Posen Meister ist; er steht da wie Einer, der auch in der größten Gesellschaft einsam ist, ernst, in sich gekehrt, ja fast mürrisch. Selbst die Nähe der Sonne der Macht, die doch selten auf die Physiognomien der Menschen ihres Eindrucks verfehlt, selbst diese bringt in seinen Zügen keine Wandlung hervor.

Graf Andrassy hat seinen Souverain, den Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn, in die Gemächer geleitet und Franz Joseph sich mit dem Cardinal, seinem Lehrer, in den Tanzsaal zurückgezogen, wo beide in dem weiten Raume ganz allein sich befinden und, wie es scheint, in lebhaftem Zwiegespräch. Der Cardinal steht ehrerbietig vor seinem Kaiser und Herrn, aber aus seiner ganzen Haltung spricht es deutlich, daß er der Macht zu Liebe auch nicht ein Titelchen seines starken Bewußtseins hinopfern möchte. Nicht wie ein Unterthan steht er vor dem Kaiser, sondern wie ein Gleichberechtigter, der zu dem souverainen Herrscher gleichsam nur in einem Vertragsverhältnisse steht.

Auch der eifrigste Republikaner würde den anmuthenden Eindruck nicht wegleugnen können, den die Persönlichkeit des Kaisers Franz Joseph macht. Trotz der schweren Bürde einer Krone, wie er sie trägt, hat er sich eine gewisse Frische und Jugendlichkeit bewahrt; sein Wesen, in dem er sich giebt, ist einfach und natürlich, und in der Art und Weise, wie er zuhört, wie er das Gehörte innerlich verarbeitet und wie er die Antwort in sich vorbereitet, daraus spricht ein tiefer bewußter Ernst der ihm obliegenden Pflichten und ein eifriges Wollen des Guten.

Je mehr die Zeit vorrückt, desto mehr leidet die gesellschaftliche Bewegung und Unterhaltung unter dem Drucke der Erwartung und Spannung. Graf Andrassy spricht unterdeß viel und lebhaft mit einem Herrn von vielleicht fünfzig Jahren. Seine Züge sind kalt und nüchtern; seine Figur und seine Haltung haben etwas Pedantisches, fast Schulmeisterliches. Er sieht aus wie der prüfende, ordnende Verstand, gegenüber der productiven geistigen Thätigkeit, der aus genialem Geiste entspringenden Idee. Aehnlich ist auch das Verhältniß zwischen dem Grafen Andrassy und seinem geistig bedeutenden und hervorragenden ersten Rathe, dem Sectionschef im Ministerium des Aeußeren, Herrn von Hoffmann. Was der verstorbene Abeken seinem Bismarck war, was der Geheime Rath von Hamburger seinem Gortschakoff, das ist Hoffmann seinem Andrassy. Die Blicke des Grafen Andrassy schweifen von Minute zu Minute nach der Thür. Die Gräfin ist an die Seite ihres Gemahls getreten – endlich ein Zeichen! Der Hausherr begiebt sich nach dem Tanzsaal, um seinem kaiserlichen Herrn eine Meldung zu machen. Franz Joseph und sein Premier verlassen die Säle; die Gräfin folgt ihnen; das Spalier erweitert sich; die Stille der Erwartung lagert sich auf die Gesellschaft; die Thüren fliegen auf, und am Arme des Kaisers und Königs von Oesterreich-Ungarn erscheint die Kaiserin Augusta. Ihnen beiden folgen die Kaiserin-Königin Elisabeth von Oesterreich-Ungarn, das gräfliche Paar Andrassy und der persönliche Dienst der kaiserlichen Herrschaften. So geht der Zug durch die sich verneigende Gesellschaft hindurch nach dem großen Empfangssalon, wo zuerst die Gräfin Andrassy ihre Gäste empfangen hatte. Graf und Gräfin Andrassy machen die Herren und Damen mit einander bekannt; der Cardinal von Rauscher war den fürstlichen Herrschaften nicht gefolgt, sondern da, wo ihn der Kaiser verlassen hatte, einsam und allein geblieben, bis der Graf Andrassy ihn aufsuchte und mit den Worten: „Der Kaiser will Euer Eminenz mit der deutschen Kaiserin bekannt machen,“ den Kirchenfürsten nach sich in den Empfangssalon zog, wo sich die Kaiserinnen inzwischen auf das Sopha niedergelassen hatten. Die kaiserlichen Frauen erheben sich beim Erscheinen des greisen Kirchenfürsten, und die Kaiserin Augusta geht ihm einige Schritte entgegen. Kaiser Franz Joseph hat die Vorstellung übernommen; die Unterhaltung dauert vielleicht zehn Minuten.

Betrachten wir während dieses Ruhepunktes die beiden Kaiserinnen. Beide stammen aus kleinen deutschen Fürstenhäusern und beide schmücken die zwei größten Throne des mittleren Europas, Kaiserin Augusta durch ihre hohen geistigen Eigenschaften, Kaiserin Elisabeth durch den Liebreiz eines Lebensalters, der durch seine Eigenschaften alle Dichter und Philosophen in die Flucht schlägt. Ihre hohe Gestalt ist von einer jungfräulichen Elasticität; der Teint hat die Frische der Jugend behalten, und das dunkelblonde Haar wallt noch voll und reich von dem schönen Haupte nieder. Es gehört eben die Ruhe in dem ganzen Wesen der Kaiserin dazu, um die so flüchtige Jugend zum längeren Verweilen zu vermögen, und diesem Grundzuge entsprechen ihre Bewegungen, die Art zu sprechen, ja selbst sich einfach zu kleiden. In letzterer Aeußerlichkeit begegnen sich die beiden kaiserlichen Frauen. Auch die Kaiserin Augusta scheint keine auffallenden Farben zu lieben; weiß pflegt der Grundton ihrer Toiletten zu sein, aber wie sie sich äußerlich von der Gemahlin Franz Joseph’s durch den dunklen Ton ihres Haares und ihrer Augen unterscheidet, so auch durch die Lebendigkeit ihres Temperaments. Sie spricht schnell, mit einer etwas tiefen Stimmung des Organs und immer gewählt. Wo die Kaiserin Elisabeth die Dinge mehr an sich hinankommen läßt, geht sie ihnen entgegen, die Gabe des richtigen Augenblickes und des richtigen Wortes kommt ihr dabei sehr zu statten; in der Conversation hört die Kaiserin Elisabeth mehr zu, als sie spricht; bei der Kaiserin Augusta ist die Kunst des Zuhörens nicht am Platze; die Kaiserin Elisabeth spricht in privatem Sinne, die Kaiserin Augusta mehr in öffentlichem, mit Beachtung der Dinge, die Zeit und Menschen bewegen. Wie die Gestalt der deutschen Kaiserin durch die imponirende Würde wächst, so erhellt und erwärmt sich ihr Wesen, wenn ein Gesprächsthema, eine Persönlichkeit sie interessiert, wie jetzt der Cardinal von Rauscher.

Graf Andrassy steht während der Unterhaltung der deutschen Kaiserin mit dem Cardinal in Sprach- und Hörnähe. Jetzt, da das Gespräch zu Ende ist, wendet er sich an den Kaiser Franz Joseph. Er sagt einige Worte wie eine Einladung – der Kaiser [633] reicht der deutschen Kaiserin den Arm, und rückwärts bewegt sich der Zug nach dem ersten Empfangssalon, in welchem eine Portière von rothem Sammet bis jetzt von zwei Dienern fast ängstlich bewacht worden war. Beim Nahen des Zuges öffnet sich diese, derselbe passirt einen schmalen Gang, der rechts und links mit rothen goldgestickten Sammetdraperien verhängt ist, es ist eine Brücke, deren Passage so gegen jede Zugluft geschützt ward, und nun befinden sich die Gäste des Grafen im Zaubergarten der Armida, inmitten der Märchenwelt aus Tausend und einer Nacht. Der Garten der Bellaria ist in eine Fluth von Licht getaucht. Um die äußere Umhegung sind Tausende von großen farbigen Ballons und Lampions gezogen; sie gehen in Festons von Baum zu Baum und hängen aus allen Zweigen. „Je braverai la nature,“ hatte Graf Andrassy scherzweise gesagt, als man ihn auf die drohenden Wetterwolken aufmerksam machte, die sein Fest wohl verderben möchten, und gleich als ob die Drohung des Premiers gefruchtet hätte, der Himmel ist jetzt tiefblau und wolkenlos. Aus dem dunklen Aether schauen die funkelnden Sterne, und im leisen Abendwinde wiegen sich die Ballons.

In den Rosen- und Jasminbüschen glühen rothe, grüne und gelbe Glaskugeln wie riesige Leuchtkäfer; am Ende des Gartens ist ein elegantes Zelt mit Sophas und Fauteuils errichtet. Ueber demselben bauen sich hohe Lampenpyramiden auf und werfen ihre blendenden Lichtstrahlen über den ganzen Garten. Horch! diese Cymbalklänge, diese Fiedeln mit ihren bald ausgelassenen, lustigen, bald tiefwehmüthigen Klängen, mit ihren grellen Uebergängen und ihren hinreißenden, sinnfesselnden Melodien – ist diese Musik nicht eine Erinnerung an die ungarischen Pußten, an das Heimathland des Festgebers? Ja wohl! Wer einmal Zigeuner hat spielen hören, der vergißt diese Musik nimmermehr. Da vorn auf dem Rasen ist das Orchester aufgepflanzt. Die schwarzgebrannten Musiker sind in das bunte ungarische Nationalcostüm gekleidet – eine Art blauer und rother Husarentracht –, der Cymbalspieler mitten in der Bande; die Augen der Spielenden funkeln; die Fiedelbogen fliegen; Graf Andrassy hat sie veranlaßt, näher an das Zelt zu treten, in dem sich die kaiserlichen Herrschaften niedergelassen haben. Die Kaiserin Augusta scheint sich des Zaubers dieser Töne nicht erwehren zu können; in eine Fülle von weißen Spitzen gehüllt, lehnt sie in dem rothseidenen Sopha, und die Künstler von der Pußta müssen, sobald sie geendet haben, immer von Neuem wieder beginnen und immer mehr spielen, bis fast der Reichthum ihrer Melodien erschöpft ist.

Auf den Teppichen, mit denen die Wege des Gartens belegt sind, bewegt sich die übrige Gesellschaft. Da plaudert Graf Andrassy vertraulich mit einem hochgewachsenen und stattlichen Herrn, der die preußische Uniform der Generale à la suite trägt; es ist der Botschafter des deutschen Reiches in Wien, General von Schleinitz, und die Art und Weise, wie Beide miteinander verkehren, ist eine Bürgschaft, daß zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn „All right“ ist. In der Nähe steht der Kaiser Franz Joseph. Er hat die beiden Kaiserinnen auf einen Augenblick verlassen und spricht mit einem Herrn, dessen gedrungene Gestalt im schwarzen Fracke, mehr noch der graumelirte Cotelettenbart diesem ein ausgesprochen amerikanisches Aussehen geben. Es ist der Generaldirector der Weltausstellung, der vielangegriffene Freiherr von Schwarz-Senborn. Um den Kaiser und den Generaldirector hat sich ein Kreis von Herren gebildet. Unter diesen ragt eine Persönlichkeit über alle Anderen um eine Kopflänge hervor. Kennen wir ihn doch! Ja wohl, obwohl er anfängt, dick und grau zu werden, – und das ist immer peinlich für einen so großen Virtuosen der Persönlichkeit wie Franz Dingelstedt, einst Deutschlands Nachtwächter und Heerrufer. Nun ist er Herr von Dingelstedt, Ritter des Comthurkreuzes und anderer Kreuze.

Aber nicht nur der Director des Burgtheaters ist da, auch die Dramatiker des Musentempels am Michaelerplatze befinden sich in der Nähe und einer seiner ältesten und genialsten darstellenden Mitglieder – der treffliche Laroche. Eine Weile später geht es wie ein Lauffeuer durch die Säle: „Laroche! Wo ist Laroche? Die deutsche Kaiserin will ihn sprechen!“ – Der berühmte Künstler war noch unter Goethe in Weimar engagirt und von dort datirt wohl auch die persönliche Bekanntschaft der deutschen Kaiserin mit ihm. Der Mann an seiner Seite mit der gedrungenen Figur, mit dem röthlichen Barte, der Brille und einem kleinen Firmament auf der Brust ist Mosenthal, der Andere neben ihm stehende mit dem schwarzen Vollbarte Weilen. Der Dritte in der Gruppe ist kein Deutscher; dieser Michel-Angelo-Kopf auf einer Gnomenfigur gehört keinem Geringeren an als dem großen französischen Genremaler Meyssonnier. Er wird von einem deutschen Maler, dem Schöpfer des „Triumphzuges der Germania“, von dem hageren Piloty aus München fast um drei Kopflängen überragt.

So ist hier Geist und Geburt, Rang und Verdienst, Jugend und Schönheit einmüthig versammelt. Auf dem grünen Rasen rauschen die bauschigen Schleppen; unter den grünen Laubenbogen blitzen Augen und Diamanten hervor, und um das Früchtebüffet unter dem Lindenbaume hat sich eine Gesellschaft von jungen Herren und Damen gruppirt, die an Reiz und Fröhlichkeit der Jugend an Winterhalter’s Decamerone erinnert. Das wogt und schwirrt, das plaudert und lacht. Dazwischen tönen die Melodien der Zigeuner und flimmern die Sterne und blähen sich im lauen Abendwinde die Ballons an den Bäumen und die Schleier in den halbgelösten Locken. Durch die Blätter geht ein Wogen wie eine leise Mahnung an die Anwesenden, die heilige Ruhe der Nacht nicht länger zu stören und daß es Mitternacht und Zeit sei, nach Hause zu gehen. Die Antwort darauf ist nur ein erneutes Aufwallen der hochgehenden Festeslust. Wer könnte sich von dem Paradeisgärtchen auf der Bellaria, von der Soirée des Grafen Andrassy so leichten Herzens und zu so früher Stunde trennen? Georg Horn.



  1. Obwohl Schilderungen von Hof- und diplomatischen Festen nicht zu den Aufgaben der Gartenlaube gehören, so glauben wir doch, daß es unsern Lesern Vergnügen bereiten wird, an der Hand unseres geistvollen Mitarbeiters Georg Horn, dessen vortreffliche Kriegsberichte noch in gutem Andenken stehen, einmal ausnahmsweise durch die Säle einer Weltausstellung von Fürstlichkeiten und Diplomaten zu flaniren.
    D. Red.