Eine Sommerfahrt durch den Griechischen Archipel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ernst von Weber
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Sommerfahrt durch den Griechischen Archipel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 326–328
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[326]

Eine Sommerfahrt durch den Griechischen Archipel.

Von Ernst von Weber.
Von Alexandria nach Constantinopel. – „Fliegendes Kaffeehaus“ auf dem Schiffsdeck. – Land und Leute des Griechischen Archipels. – Die Spitzbuben von Constantinopel. – Die schönste Frau von Chios. – Die Metropole Kleinasiens. – Der Hafen von Smyrna sonst und jetzt. – Die Culturmission der Deutschen in Smyrna. – Das Brigantenwesen in Kleinasien. – Türkische Frauen und Kinder an Bord. – Dardanellen.

Nachdem ich vier lange Jahre unter dem strahlenden, sonnigen Himmel und in der balsamischen Luft der Hochebenen von Südafrika verlebt, hatte ich im Frühling 1875 meine Rückreise nach Europa längs der ostafrikanischen Küste angetreten und dabei einen längeren Aufenthalt innerhalb der sonnenglühenden Mauern von Zanzibar genommen. Hiernach hatte ich dann im Monat August den backofenähnlich erhitzten Kessel des Rothen Meeres durchzogen, im Lande der Pharaonen einige Tage der Ruhe gepflegt und schließlich mich auf einem Dampfer des österreichischen Lloyd nach Constantinopel eingeschifft.

Das Deck des Schiffes war, wie es ja gewöhnlich bei den Schiffen im Orient der Fall, zur Hälfte mit zahlreichen verschleierten türkischen Frauen angefüllt, die durch eine Barrière von den übrigen Passagieren abgesperrt waren. Ein Türke, und sei es auch der vornehmste, pflegt in der Regel nur den Deckplatz zu nehmen, da der Comfort und die Gesellschaft des Ersten Platzes ihn nicht reizen und überdies die eigene mitgenommene Kost von Brod, Zwiebeln, Gurken und Melonen seinem einfachen Geschmacke ungleich mehr zusagt, als die reichbesetzte Tafel der Ersten und Zweiten Kajüte. Wir hatten diesmal ausnahmsweise einen Pascha in der Cabine, der aber dessenungeachtet seinen mitreisenden Harem auf dem Deck schlafen ließ. Auch verschiedene türkische Officiere, theils in sehr abgeschabten, theils in brillanten neuen Uniformen, befanden sich an Bord; das Deck war überhaupt mit türkischen und griechischen Reisenden dermaßen überfüllt, daß man sich nur mit Mühe seinen Weg hindurchbahnen konnte durch diese eng zusammengeknäulte Masse von menschlichen Wesen, welche mit gekreuzten Beinen auf Hunderten von kleinen Teppichen zusammenhockten. Ein Kaffeewirth, der sein „fliegendes Kaffeehaus“ auf Deck aufgeschlagen hatte und zugleich Brod buk und Süßigkeiten verkaufte, lief fortwährend zwischen den bunten, rauchenden und still in sich versunkenen Gruppen hin und her, um seine Anwesenheit durch den unermüdlich wiederholten lauten Ruf: „Kaffeedschi! Kaffeedschi!“ allseitig in Erinnerung zu bringen und zugleich „Atésch“ (Feuer) herumzugeben. Die einfache und jedesmal nur wenige Kupfermünzen kostende Nahrung, welche der Kaffeedschi den türkischen Reisenden bietet, überhebt sie der kostspieligen Nothwendigkeit das Restaurant und die Table d’hôte des Schiffes in Anspruch zu nehmen, und was das Nachtlager betrifft, so ist dasselbe ja in heißer Sommerszeit ganz ungleich angenehmer auf dem kühlen Deck, als in den schwülen und engen, durchhitzten Cabinen.

Die Passagiere des Zweiten und Dritten Platzes hatten, wie dies auf solchen Schiffen trotz der gedruckten Verbote zu geschehen pflegt, rücksichtslos das ganze Hinterdeck überschwemmt, sodaß diejenigen des Ersten Platzes selten einmal eine Bank frei fanden, um sich darauf auszuruhen. Es waren zwar einige Lehnstühle mit der Aufschrift „Primo Posto“ aufgestellt – welcher Passagier Erster Classe möchte aber wohl so ungalant sein, eine ruhebedürftige Dame von einem dieser bequemen Stühle gewaltsam wegtreiben zu wollen? Auf der anderen Seite jedoch wurde für mich der plebejische Charakter dieses Lloyddampfers dadurch wieder aufgewogen, daß letzterer als ein deutsches Schiff (denn Triest ist und bleibt in meinen Augen eine deutsche Stadt) mich nach so langer Abwesenheit vom lieben Vaterlande außerordentlich angenehm anheimelte, und überdies hier den Passagieren in Bezug auf Toilette und sonstige Befindlichkeiten viel weniger Zwang auferlegt wurde, als auf den großen, sichtlich hauptsächlich für Nabobs und Millionäre bestimmten englischen Prachtschiffen.

Am zweiten Tage nach unserer Abfahrt von Alexandria schwammen wir in den Griechischen Archipel ein. Ich kenne kaum etwas Angenehmeres, als auf einem comfortablen Schiffe bei glatter See und hellem Sonnenschein durch diese malerische Inselwelt hindurchzudampfen, namentlich in den Frühlingsmonaten, wenn ein frisches Grün diese malerischen Bergformen umkleidet und die letzteren daher noch nicht die braune, verbrannte Färbung des Sommers und Herbstes angenommen haben.

Geht auch diesen Eilanden der Reiz einer üppigen Baumvegetation vollständig ab, wie solche z. B den Inselarchipel im Lake George in Nordamerika so paradiesisch schön erscheinen läßt, so tragen doch auf der andern Seite die elegant geschwungenen Linien ihrer mächtigen Bergformen, welche oft auf ihren höchsten Punkten mit weiß herüberglänzenden Häuschen oder dunkeln Klöstern gekrönt sind, ferner die zu den verschiedenen Tageszeiten so anmuthig wechselnden goldgelben, dunkelbraunen, blauen, violetten, rosenfarbenen und purpurnen Lichter, welche Berge und Thäler so mannigfaltig umkleiden, vor Allem aber die großen Erinnerungen, die aus grauer Vorzeit her alle diese Plätze mit einem geheimnißvollen Schleier von Poesie umweben, mächtig dazu bei, dieser Inselwelt einen bestrickenden Reiz zu verleihen. Namentlich in den stillen Nächten, wenn unser Schiff mit seinen funkensprühenden Schloten wie ein feuriger Drache über die schwarzen Fluthen dahinglitt, ein bleiches Mondlicht die Bergspitzen mit silbernen Nebeln umspann und hier und da an den dunkeln Ufern und auf den kühngezackten Bergkämmen helle Lichter und Feuer aufblitzten – dann versank ich immer in ein phantastisches Träumen, angeregt durch den zauberhaften Anblick dieser sagen- und erinnerungsreichen Küsten und eingewiegt durch den gedämpften Rhythmus unserer Dampfmaschine.

Die ionischen Inseln und Chios bieten dem Auge wahrhaft paradiesische Landschaften, von denen schon der geistvolle Fürst Pückler sagte, daß er sich so und nicht anders „die Gefilde der Seligen“ vorstelle. Syra, Tinos, Naxos und die übrigen südlicher gelegenen Cycladen und Sporaden, sowie Rhodos entbehren zwar den größten Theil des Jahres hindurch des schönen grünen Vegetationskleides, bieten aber dafür andere Reize, z. B. das schillernde Bild der fortwährend wechselnden Sonnenlichter und Schattenreflexe, welche die malerisch geformten Berggruppen und zerrissenen Seitenthäler und Klüfte mit prächtigen brennenden Farben umkleiden. Von den zahlreichen Bergspitzen dieser Inseln sieht man oft eine ganze Reihe von Nachbarinseln tief unter sich, von glühend blauem Aetherdufte umflossen, aus dem silbernen Meeresspiegel heraufleuchten; diese herrlichen Aussichten bilden die Hauptreize der griechischen Inselwelt.

Des Abends sahen wir hier und da rothglühende Feuerstreifen auf den Meereilanden, die sich langsam schlängelnd längs der Bergabhänge fortbewegten – ein Zeichen, daß auch hier Jahr für Jahr der verderbliche Gebrauch des Abbrennens des verdorrten alten Grases fortgesetzt wird, über den ich mich schon in den Ländern der Kaffern von Südafrika so oft geärgert hatte und welcher gewiß die Hauptschuld daran trägt, daß auf diesen Inseln kein junger Baumwuchs mehr aufkommen kann, und daß sie, die in der schönen [327] alten Hellenenzeit lauter baumbedeckte grüne Paradiese waren, jetzt in der Mehrzahl so baum- und wasserarm geworden sind. Diese Inseln sind, obgleich sie teilweise noch unter türkischer Herrschaft stehen, doch beinahe ausschließlich von griechischer Einwohnerschaft bevölkert – soweit ich Sie kennen gelernt, eine höchst freundliche, liebenswürdige, einfache und ehrliche Bevölkerung; ich fand hier meine schon öfter gemachte Erfahrung bestätigt, daß Insulaner gewöhnlich eine liebenswürdigere Menschenrasse sind, als die Bewohner das nächstliegenden Festlandes von gleicher Volksrasse. In Folge seiner Weltabgeschlossenheit und des darauf hervorgehenden Bedürfnisses, einmal etwas Neues zu hören, pflegt der Insulaner namentlich gegen den Fremden mehr gastfrei, offener und entgegenkommender zu sein, als der von Touristen und Geschäftsreisenden so viel mehr überlaufene Festländer. Auch das Familienleben ist aus gleichen Gründen auf Inseln im Durchschnitte wohl inniger und gemütlicher, als auf dem Continente. Mir für meine Person ist das Leben auf Inseln immer unendlich sympathisch erschienen, namentlich in solchen Inselparadiesen wie Madeira, Zante, Chios, und ich begreife vollständig den gleichen Naturhang des feinfühlenden Bernardin de Saint Pierre, wenn derselbe in seinem unsterblichen „Paul und Virginia“ einen lebensmüden Greis dem wüsten und sinnverwirrenden Taumel der Welt entfliehen läßt, damit er seinen Lebensabend in stiller Zurückgezogenheit auf einem solchen abgelegenen schönen Eilande verbringe. Freilich: keine Regel ohne Ausnahme; so ist es z. B. bekannt, daß die größten Spitzbuben Constantinopel’s meist von den Inseln Tinos, Corfu, Cephalonia, Malta und einigem anderen in dieser Hinsicht speciell berüchtigter Eilanden gebürtig sind. Die moralische Verderbtheit dieser Leute dürfte aber leicht daraus sich erklären, daß die genannten Inseln zu dicht übervölkert sind und ein großer Theil ihres überflüssigen Bevölkerungszuwachses zu stetiger Auswanderung gezwungen ist; natürlich werden nun die mit Dampfschiffen so leicht und rasch zu erreichenden, nahe gelegenen Großstädte: Constantinopel, Smyrna und Alexandria mit solchen Proletariern unaufhörlich massenhaft überschwemmt; arme Teufel aber sind selbstverständlich in allen Großstädten der Welt der Demoralisation viel leichter abgesetzt als bemittelte Leute.

Nachdem wir die Inseln Skarpanto, Kos, Leros, Patmos, Rikaria und in einiger Distanz Samos, die Residenz des Fürsten von Samos, passirt hatten, hielt unser Dampfer zwei Stunden lang bei der Insel Chios an. Hier war es, wo mir bei einem halbstündigen Anslandgehen die edelste Frauengestalt begegnete, welche ich je in der Welt gesehen – eine von jenen beinahe überirdischen Schönheiten, deren erster Anblick das Herz wie mit einem elektrischen Schlage durchzuckt und uns in der Brust den Athem versetzt, indem er uns nur den einen Wunsch in der Seele erregt: vor einer solchen Himmelserscheinung niederzuknieen und in ihr das Spiegelbild des Urquells aller Schönheit und Vollkommenheit anzubeten. Es war eine junge Dame von sechszehn bis achtzehn Jahren, in welcher mir die herrliche Vestalis Tuscia der Dresdener Antikensammlung lebendig geworden erschien – ein treues Bild des uns durch zahlreiche Statuen überlieferten althellenischen Typus, mit dem Ausdrucke einer holden kindlichen Unschuld und eines klaren, himmlisch reinen Seelenspiegels.

Es war schon Abend geworden, als unser Dampfer sich wieder in Bewegung setzte. Die vielen allmählich aufblitzenden Lichter der Stadt, namentlich aber die vielfarbigen Lichtpunkte an den Leuchttürmen und an den Masten der Schiffe, die sich zitternd im Meere wiederspiegelten, gaben dem letzten Theile der Aus- und Einschiffungsscene, die unter einem großen Lärm vor sich ging, einen höchst malerischen Hintergrund. Verkäufer der berühmten chiotischen Süßigkeiten (Fruchtgelees in Gläsern und Rochatlikum, die beliebte Leckerei der Haremsdamen, ein auf der Zunge allmählich zerfließender sehr süßer Teig von geronnenen Fruchtsäften) boten schreiend ihre Waare aus und setzten viel davon an unsere zahlreichen Passagiere ab. Gespenstisch standen überall auf den Hügeln und Höhen zahlreiche kleine steinerne Windmühlen mit kurzen radartig ausstrahlenden und rasch sich drehenden Segelflügeln, deren pittoreske Silhouetten allen Landschaften dieses Archipels ein charakteristisches Gepräge verleihen.

Am nächsten Morgen dampften wir in den schönen, breiten Meerbusen von Smyrna ein, der mir ein alter Bekannter war. Wir passirten die „Brüder“, zwei gleich hoch neben einander aufragende sehr malerische Bergspitzen, und warfen gegen acht Uhr im Hafen von Smyrna Anker. Wie war ich aber erstaunt, als ich meinen Fuß an’s Land setzte! War das die engwinklige, luft- und lichtlose Stadt, in der ich nach noch im Jahre 1868 so beengt und bedrückt gefühlt hatte? Die zahlreichen, auf Palissaden im Wasser stehenden Kaffeehäuser, wo waren sie hin mit ihren luftigen und aussichtsreichen Verandas, mit ihren wehenden bunten Flaggen, ihren über den Wasserspiegel herübertönenden Guitarren- und Fiedeltönen und ihrem allabendlichen reichen Lichtergeflimmer? An die Stecke dieser malerischen Uferscenerien war ein breiter und vornehmer steinerner Quai getreten, der das früher ganz verdeckte Gesammtbild der Stadt für den ankommenden Reisenden offen gestellt hatte.

Die Bevölkerung von Smyrna zählt 150,000 Seelen, hauptsächlich Griechen und Türken, nebst einem Bruchtheil von Armeniern und Juden. Die griechische Bewohnerschaft zerfällt in zwei Classen, die einander grimmig hassen und niemals sich durch Heiraten mit einander vermischen, nämlich in die römisch-katholischen Griechen, die für sich die Bezeichnung „Smyrnioten“ besonders in Anspruch nehmen, und die orthodoxen Griechen. Diese beiden Classen wohnen getrennt von einander in verschiedenen Stadttheilen

Die deutschen Diakonissinnen der vom Pastor Fliedner errichteten Anstalt haben inmitten der Stadt eine große und vortreffliche und weithin in der ganzen Türkei berühmte Mädchenlehranstalt (nebst Hospital), deren helle weiße Säle sehr sauber, geräumig und luftig sind und wo Hunderte von jungen Mädchen aus den besten griechischen, armenischen, levantinischen (das ist im Oriente ansässigen europäischen) und selbst einige aus türkischen Familien eine vorzügliche Erziehung erhalten. Die Culturmission der deutschen Nation macht sich also hier in Smyrna in einer sehr rühmenswerten Richtung: in der Erziehung der Jugend geltend. Außerdem muß ich noch bemerken, daß das comfortabelste Hotel in Smyrna (die Pension Müller), der beste und gesuchteste Clavierlehrer (Herr Unger) und die geübteste Feuerwehrcompagnie deutsch sind: diese vier Richtungen des deutschen Culturelements repräsentiren also unsere Nation in der kleinasiatischen Metropole in durchaus würdiger Weise.

Die Bevölkerung von Smyrna ist eine äußerst vielsprachige. Ich fand, daß die Töchter der sämmtlichen Familien, in denen ich eingeführt wurde, regelmäßig in fünf Sprachen sich geläufig ausdrücken konnten: im Griechischen, Französischen, Italienischen, Englischen und Deutschen, viele außerdem auch noch im Türkischen und Armenischen. Wie oft passirte es mir, wenn ich entlegene unbelebte Straßen durchwanderte, daß schmucke kleine Mädchen, die plaudernd vor den Hausthüren saßen, mir freundlich ein deutsches „Guten Tag“ zuriefen! Hätte ich ein englisches, französisches oder italienisches Aussehen gehabt, so würden sie mir mit gleicher Liebenswürdigkeit ein „Good morning“, „Bon jour“ oder ,„Bon giorno“ zugerufen haben.

Die Frauen und Mädchen von Smyrna sind schon von Alters her wegen ihrer Schönheit berühmt gewesen und sind es noch jetzt. Trotzdem dürfte die Stadt sich nur zum Wallfahrtsorte für solche heirathslustige Garcons eignen, die keinen Anspruch auf Zubringung einer Mitgift erheben; denn allen jenen reizenden „blumenbedeckten Abgründen“, wie einer unserer neueren Romandichter so ungalant die heiratsfähigen Mädchen zu bezeichnen beliebt, fehlt es hier in Smyrna in der Regel an dem nervum rerum, an einem gleich mitgegebenen oder doch wenigstens später mit Sicherheit zu erwartenden baaren Vermögen.

Die Umgebungen von Smyrna sind ganz reizend und namentlich die benachbarten Villendörfer Budschah und Burnabat reich an den geschmackvollsten Gartenhäusern mit schönen Gärten und Fernblicken. Das Leben auf dem Lande ist hier noch überraschend billig; in den netten Hotels von Budschah wird dem Fremden eine tägliche Pension von vier Mark achtzig Pfennig abverlangt.

Eisenbahnen verbinden die Stadt Smyrna einerseits mit Aya Solúk, den Ruinen von Ephesus, und Aidin (Güssel-Hissar), andererseits mit Magnesia. Die Ruinen von Ephesus zeigen dem Auge ein weit ausgedehntes prächtiges und das Gemüth tief ergreifendes Trümmerfelde sie sind reich an umgestürzten und zerbrochenen Marmorsäulen von mitunter riesenhaftem Umfange. Schwermütig weiden jetzt einzelne Schäfer ihre Heerden zwischen den einsamen gras- und buschumwachsenen Trümmern, und die ganze Gegend ist durch Moräste und Sümpfe äußerst ungesund geworden. [328] Die nächste Umgebung von Smyrna ist in neuester Zeit öfters durch Räuberbanden sehr unsicher gemacht worden. Selbst den unmittelbar im Rücken der Stadt emporragenden Schloßberg, der von gewaltigen Ruinen gekrönt ist und von dessen Höhe man eine herrliche weite Rundsicht genießt, durfte man nicht ohne Waffen besteigen.

Aber nicht allein außerhalb der Stadt lauern die Briganten, sondern auch innerhalb ihrer Mauern, wenn auch in dem unverdächtigen Costüm anständiger Leute. Es giebt nämlich im Handelsstande von Smyrna vielleicht mehr als an irgend einem anderen Platze der Welt eine gewisse Sorte von Geschäftsleuten aus allen Nationen, deren Haupthätigkeit im Betrug und in der Plünderung der ihnen vertrauenden großen und kleinen Capitalisten besteht. Ich selbst habe über diese Herren leider persönlich die unerwünschtesten Erfahrungen zu machen Gelegenheit gehabt. Betrügerische Bankerotte sind das Hauptmittel, mit dem sich diese gewandten Speculanten zu bereichern pflegen. Natürlich giebt es auf der anderen Seite auch eine Anzahl von guten und streng ehrenhaften Kaufmannsfirmen, es muß aber eben Jeder, der mit Smyrna in Geschäftsverbindung treten will, erst sehr genaue Personal-Vorstudien machen, ehe er Gelder oder Waaren nach diesem Platze zu senden riskiren darf.

Smyrna hat mit den meisten Seestädten des mittelländischen Meeres die Eigenschaft gemein, daß ein jedes der besseren Häuser (meistens bunt angemalte Holzbauten) sein pittoreskes Aussichtsthürmchen und sein plattes Dach zum Spazierengehen hat. Eine Abendpromenade auf einem solchen Dachplateau giebt nicht nur eine herrliche Aussicht auf Meer und Schiffe, Gärten und Gebirge im Lichte der untergehenden Sonne, sondern auch auf zahlreiche schlanke Mädchentaillen, anmuthige Frauenköpfe und eine fröhlich sich tummelnde Kinderwelt; denn alle diejenigen Familien, denen platte Dächer zur Disposition stehen, lieben da oben in den kühlen Abendstunden die erfrischende Seeluft einzuathmen.

Nach siebenstündigem Aufenthalte und nachdem ich noch durch die Güte meines in Smyrna lebenden Freundes Stöckel die Bekanntschaft des bekannten deutschen Consuls Julius Frobel, des einstigen Genossen Nobert Blum's und Mitgliedes des deutschen Parlaments von 1848, gemacht, lichteten wir von Neuem die Anker und dampften wieder hinaus in die lange und weite, einem stundenbreiten Strome gleichende Bai. Unser Schiff hatte in Smyrna viele neue Passagiere an Bord genommen und das Verdeck war in Folge dessen gedrängt voll von fremdartigen Gestalten. Das Fenster meiner Privatkajüte ging nicht unmittelbar auf die See hinaus, sondern auf einen Corridor innerhalb der Schiffswand, der mit Gruppen von türkischen Frauen und Kindern angefüllt war und zu dem die männlichen Passagiere des Deckes weder Zutritt noch Einblick hatten, Türkische Kinder sind mit ihren frischen blühenden Gesichtchen und ihrem geschmackvollen bunten Costüm immer eine angenehme Erscheinung. Gilt in den Vereinigten Staaten mit Recht das Wort: „Amerika hat keine Kinder“, da eben die letzteren dort fast durchgängig einen in so außerordentlichem Grade frühreifen, selbständigen und unabhängigen Geist offenbaren, so scheint mir der Orient das Land der Kinder par excellence zu sein. Diese schmucken kleinen Türken und Türkinnen erschienen mir immer so still, so sanft und bescheiden, so respectsvoll und gehorsam gegen ältere Personen, daß sie mir fast wie kleine Engel vorkamen.

Das Türkenkind ist gewohnt, in jedem alten Manne mit weißem Barte ein ihm vorgesetztes höheres und verständigeres Wesen zu sehen, dessen Weisungen ohne Widerrede zu gehorchen ihm eine unweigerliche und ausdrücklich vom Koran gebotene Pflicht ist. Woher diese Verschiedenheit der Kindernatur in Amerika und im Orient? Ihr Grund liegt in der Erziehung; denn in der Türkei wird das Kind in strengem Gehorsam und straffer Disciplin auferzogen; in Amerika wird ihm in Allem vollständig der freie Wille gelassen, damit es ein würdiger, selbstbewußter und willensstarker Bürger der Republik werde. Beide Methode habe ihre guten Seiten, aber auch ihre Gefahren. Für edel angelegte, hoch und reich begabte Naturen mag im Allgemeinen die amerikanische Erziehungsmethode die bessere sein, für niedere und leitungsbedürftige aber (und bilden diese nicht leider die Mehrzahl der Menschen?) ist es entschieden die türkische.

Vor meinem Fenster hatte sich auf weichen bunten Kissen und Teppichen eine Gruppe von jungen Türkinnen von zwölf bis zwanzig Jahren gelagert (hier zu Lande sind schon die zwölf- bis vierzehnjährigen Mädchen vollkommen erwachsen und heirathsfähig), deren freies ungenirtes Wesen mich nicht wenig belustigte; sie hatten es wohl bemerkt, daß ich sie öfter durch das Fenster beobachtete; ich habe jedoch wiederholt die Erfahrung gemacht, daß Türkinnen sich vor Europäern nur dann ängstlich zu verschleiern und zu verbergen pflegen, wenn sie wissen, daß ein türkischer Mann sich in der Nähe befindet, fühlen sie sich aber vor der Ueberwachung eines solchen sicher, so scheint es ihnen Spaß zu machen, sich vor dem europäischen Fremdling so wenig zu geniren, als wenn auch er nichts weiter als ihresgleichen wäre. Da ich nun häufig einige leckere Süßigkeiten von der Table d'hôte meinen türkischen Reisegefährtinnen durch das kleine Fenster zuschob, so steckte sich zwischen uns rasch eine Art Freundschaft her. Die Türkinnen sind oft sehr anmuthige Erscheinungen, freilich nur bedingungsweise; sie tragen ihr Haar rings herum in unter den Ohren hinlaufender gleicher Linie verschnitten, gerade so, wie es die Ritterpagen des Mittelalters bei uns zu tragen pflegten. Diese Haartracht steht den intelligenten weißen und oft höchst edel geschnittenen Gesichtern sehr hübsch. Das Costüm freilich, der lange unförmliche, rosenfarbene, purpurrote, braune, grüne oder orangene Zeugmantel mit seinem vollständigen Mangel an Taille – die katzenartige, platte Rundung des Kopfes, welche durch die dickanliegende Verschleierung desselben hervorgebracht wird, und die gräßlichen weiten und losen und jedes Absatzes entbehrenden gelben Ritterstiefel, an denen gleichfarbige Pantoffeln plump und schwerfällig hin- und herschleppen, bilden in ihrem Ensemble wohl die geschmackloseste, unschönste und widerwärtigste Tracht, die jemals für Evastöchter erfanden werden konnte. Viele der vornehmeren Türkinnen sind übrigens in den letzten Jahren zu der Einsicht gekommen, daß ihre traditionelle Fußbekleidung die ungefälligste von der Welt ist und daß ihre niedlichen Füßchen sich unendlich hübscher in eleganten Wiener oder Petersburger Stiefeletten ausnehmen. Es ist daher schon gar nicht mehr selten die Perle des Harems in den feinsten europäischen Absatzstiefelchen einherwandern zu sehen. Der geheimnißvolle Gesichtsschleier, der Stirn Nase und Kinn Quer umspannt, hat sich auch in den letzten Jahrzehnten allmählich immer mehr und mehr verdünnt und ist jedenfalls unvergleichlich gefälliger, als die schwere dunkelfarbige Gesichtsmaske, deren unsägliche Häßlichkeit mich immer so sehr bei den arabischen Fronen von Zanzibar empört hat.

Wenn diese kleinen Modenveränderungen und Neuerungen allmählich so fortschreiten, dürfte vielleicht binnen ein paar Jahrzehnten auch der bunte lange Mantel und die weiten bauschigen Beinkleider einer europäischen Taillenrobe und zierlich beränderten schneefarbigen Pariser Jupons weichen. In schlanken Taillen werden freilich die Türkinnen (ausgenommen solche, die noch in der frühesten Jugend stehen) wohl nie besonders glänzen, da die Disposition zur Körperfülle mit zunehmenden Jahren fast allgemein bei ihnen, wie ja überhaupt bei den Frauen des südlichen Europa, sich geltend macht. Zum Glück für sie verlangt aber gerade der Schönheitssinn der türkischen Männer eine solche Corpulenz, und eine elfenhaft-zierliche, englisch-amerikanische Taille würde daher vermuthlich den Frauen vollständig die Herzen ihrer Gatten entfremden.

Nachdem wir die langgestreckte Bai von Smyrna hinter uns hatten, passirten wir die schönen Inseln Mitylene, Tenedos und Lemnos und fuhren dann in die herrliche Wasserstraße der Dardanellen ein, deren raschfluthender Meerstrom fortwährend mit zahlreichen Segel- und Dampfschiffe überdeckt ist. Sowohl am Eingange der Straße wie auch beim Austritte derselbe in Gallipoli hielt unser Schiff eine halbe Staude an und dampfte nun in das spiegelglatte Marmara-Meer hinein, dessen entfernte Ufer wir nie ganz aus den Augen verloren.

Am 23. August früh sah ich endlich die mir so wohl bekannten eleganten Contouren der zahlreichen runden Moscheekuppeln und schlanken Minarets von Constantinopel sich am nordöstlichen Horizonte abzeichnen, und um 7 Uhr warfen wir in der Mitte des herrlichsten vom lichten Glanze der Morgensonne überflutheten Rundpanoramas im „Goldenen Horne“ Anker. Endlich, nach 41/2 Jahren, betrat ich nun wieder den heimatliche Boden Europas, und ich fühlte mein Herz freudig schlagen.