Eine seltsame Frau

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: A. S.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine seltsame Frau
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32–35, S. 415–462
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[415]
Eine seltsame Frau.
Von A. S.


I.

Der Winter war streng und anhaltend, noch zu Anfang des März kreischte der Schnee unter den Fußtritten und die Lerchen zeigten sich in den Straßen. Leipzig, das einen Theil seines wohlverdienten Rufes diesen armen Thieren verdankt, steht um diese Zeit in voller Blüthe, das heißt in der Blüthe seiner Concerte, Bälle, Soiréen, Vorlesungen, Opern und Recensionen. Wir führen dessen ungeachtet den Leser Morgens um die elfte Stunde in eine große, prachtvolle Privatwohnung, die sich in dem ersten Stocke eines Hauses in dem neu angebaueten Theile der Stadt befindet. Wir öffnen die Thür eines eleganten Boudoirs. Da sitzt auf einem Sopha von rothem Sammet eine junge Dame, von deren Schönheit ein blasser junger Mann bezaubert zu sein scheint, denn er liegt knieend auf derselben Fußbank, welche die Spitzen ihrer kleinen Füße berühren. Die zarte weiße Hand der vielleicht vierundzwanzigjährigen jungen Frau ruht auf dem blonden Haupte ihres Anbeters, der im stummen Entzücken zu ihr emporsieht. Die Schönheit ihres feinen Gesichts wird durch ein anmuthiges Lächeln verklärt, das offenbar der Ausdruck einer innigen Liebe ist; es verräth aber auch das Glück, das sie in dieser Liebe findet.

„Sollte ich mich getäuscht haben, Philipp?“ fragte sie mit einer lieblichen Stimme, die den Worten jenen Zauber verlieh, der sich in ihrem ganzen Wesen aussprach. „Sollte Deine Liebe zu mir nicht stark genug sein, um ohne Zögern einen Wunsch zu erfüllen, der Dir einen kleinen materiellen Verlust zufügt, zugleich aber das uns umschlingende Band noch heiliger und fester macht, als es bisher gewesen ist? Ich bestürme Dich nicht, Philipp, denn mein letzter Brief, den ich Dir nach Berlin sandte, hat Dich darauf vorbereitet.“

Der junge Mann ergriff ihre beiden Hände und bedeckte sie mit Küssen.

„Josephine,“ rief er aus, „hast Du auch reiflich überlegt, hast Du Deine und meine Zukunft in’s Auge gefaßt, als Du Dir den Plan bildetest, den ich nur aus Rücksicht für Dich nicht billige?“

„Ich habe nichts außer Acht gelassen, mein geliebter Freund;“ flüsterte sie. „Selbst den Fall nicht, daß uns die Mittel fehlen können, unser Leben wie bisher fortzusetzen. Doch, ich habe schon zu viel gesagt,“ fügte sie mit ruhigem Ernste hinzu. „Nicht weil ich Dich bitte, sollst Du handeln, sondern aus freiem Antriebe, nachdem Du mit Deinem Gewissen zu Rathe gegangen bist. Die Handlung der Gerechtigkeit, von der wir sprechen, soll kein Opfer sein, das mir Deine Liebe bringt, denn ich bin ja Deine Gattin, und nicht Deine Geliebte; es kann sich nicht darum handeln, daß Du mehr gefällst – nein, Philipp, ich liebe Dich, wie Du eben bist, und deshalb möchte ich, daß du mir die tiefste Achtung auferlegst. Ich mache Dich nicht verantwortlich für die Handlungen Deines Vaters; aber ich glaube fordern zu dürfen, daß Du alles Heilige achtest, das Deine Gattin in Dich legt. Du bist meine Ehre, mein Glück, mein Alles. Und doch hast Du Dich gegen mich vergangen, Philipp!“

Sie drückte einen Kuß auf seine hohe, jugendliche Stirn, und fügte mit einem Lächeln hinzu, das den Ernst, der sich ihrer unwillkürlich bemächtigt hatte, mildern sollte:

„Deine letzte Mittheilung, Philipp, hat mein früheres Glück getrübt. Am Tage nach unserer heimlichen Verbindung erzähltest Du mir die Heldenthat des Advokaten, durch die Dein Vater zum Besitze seines Vermögens gelangt ist. Ich schwieg, mein Geliebter; aber ich fand mich in Dir gedemüthigt, in dem Gatten, den ich für den Reinsten der Menschen hielt. Eine Geschäftsreise hielt Dich vier Wochen fern von mir, und, so schwer mir das Bekenntniß auch wird, ich muß es ablegen – die Sehnsucht nach Dir ward durch den Gedanken geschwächt: der Vater deines Mannes hat das Vermögen entwendet, mit dem du einst vor der Welt glänzen sollst. Philipp, du bist ein Edelmann – hast Du auch darüber nachgedacht, was Vermögen und Redlichkeit ist? Hast Du die Handlung Deines Vaters recht begriffen? Bedenke, daß es eine zu Grunde gerichtete Familie giebt, die unter Thränen ihr kärgliches Brot ißt, die vielleicht dich und mich verwünscht, weil wir Beide von ihrem Vermögen ein bequemes Leben führen.“

„Genug, Josephine!“ rief Philipp bewegt. „Besitze ich nicht in Dir alles Glück der Welt? Wohlan, ich habe den Willen und die Kraft, es mir rein und ungeschmälert zu erhalten. Du sollst mich achten, wie Du mich liebst, und der Segen jener armen Familie soll unserm Glücke die schönste Weihe geben. Zweifle nicht, Geliebte, daß ich über Deinen Brief nachgedacht habe –“

„Philipp!“ rief Josephine, indem sie ihn mit beiden Armen umschlang. „O, ich wußte es wohl, was ich von Dir erwarten durfte! Und was ist das Resultat Deines Nachdenkens?“

„Daß ich das Vermögen meines verblendeten Vaters wieder ausgleichen muß. Er ist nicht so strafbar, als es vielleicht den Anschein haben mag, denn seine Handlung ging aus der Liebe zu mir, seinem einzigen Sohne, hervor. Ich habe Dir noch nicht [416] Alles gesagt, Josephine. Mein Vater hat durch unglückliche Spekulationen sein Vermögen verloren, und wollte er nicht zur völligen Armuth herabsinken, wollte er seinen Sohn nicht hülflos in der Welt zurücklassen, so mußte er sich durch einen Prozeß das Gut aneignen, an das er scheinbar Rechte besaß. Der Ausgang des Verfahrens war zweifelhaft, und um auf den schlimmsten Fall vorbereitet zu sein, bezog ich die Universität, studirte Philosophie und Mathematik, damit ich, wenn es die Noth erforderte, in meinen Kenntnissen die Mittel zu meiner Existenz fand. Als meine Studien beendet waren, war auch der Prozeß entschieden – mein Vater befand sich in dem Besitze des einträglichen Guts. Er starb, und ich müßte ihn nicht genug kennen, wenn ich daran zweifeln wollte, daß seine Vaterliebe die Stimme des Gewissens unterdrückte, die ihm während seines kurzen Krankenlagers Vorwürfe machte. Da lernte ich Dich kennen, Josephine; ein neues, herrliches Leben ging in mir auf, und ich pries die Vorsorge meines Vaters, die mich dem Kreise erhalten hatte, dem Du angehörtest. Jetzt bist Du meine Gattin, und ich habe nichts mehr zu fürchten, als den Verlust Deiner Achtung. Es kann mir nicht schwer fallen, sie mir zu bewahren – heute noch werde ich die Forschungen nach den rechtmäßigen Besitzern meines Vermögens beginnen, zugleich aber auch meine Kenntnisse zu verwerthen suchen.“

Die junge Frau brach in Thränen freudiger Rührung aus.

„Nun bin ich getröstet,“ flüsterte sie, „nun kann ich stolz auf Dich sein!“

Philipp schloß von Neuem das herrliche Weib in seine Arme, und küßte ihr die Thränen von den sanft gerötheten Wangen. Josephine erhob sich und holte einen Brief aus dem Kasten ihres Schreibtisches.

„Vorgestern habe ich ein Schreiben von meinem Korrespondenten aus Moskau erhalten,“ sagte sie. „Damit Du auch siehst, wie meine Angelegenheiten stehen, lies!“

Philipp öffnete den Brief und las folgende Zeilen:

„Madame! Die amtliche Bestätigung des Todes Ihres Gatten, des Kaufmanns Herrn Lindsor, hatte ich bereits vor fünf Monaten die Ehre, Ihnen zu übersenden. Meine Bemühungen, eine Abschrift seines Testamentes zu erlangen, waren bis jetzt leider vergebens, das Dokument liegt noch versiegelt in dem Archive der Gouvernements-Kanzlei, und ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich es dem Einflusse des englischen Consuls hiesigen Orts zuschreibe, daß die Eröffnung desselben so lange hinausgeschoben wird. Trotzdem Herr Lindsor die letzten Jahre in Deutschland gelebt hat, so wird er doch stets noch als englischer Unterthan betrachtet, und steht mithin das Arrangement seiner Nachlaßangelegenheit unter der Leitung des englischen Consuls, der, wie ich vermuthe, nach Erben in England forscht, um das bedeutende Vermögen des Verblichenen seinem Vaterlande zu erhalten. Sie haben mich zu Ihrem Bevollmächtigten ernannt, und als solcher ertheile ich Ihnen wiederholt die Versicherung, daß ich Ihre Interessen scharf überwachen und wahrnehmen werde. Verfügt das Dokument zu Ihren Gunsten, so soll es keiner Anfechtung gelingen, Ihnen das Erbe zu entziehen oder zu schmälern. An eine Fälschung ist, bei der strengen Gerechtigkeit unserer Behörden, nicht zu denken, auch habe ich Vorsorge getroffen, daß das Testament nur in meiner Anwesenheit eröffnet werde. Der letzte Wille des Erblassers wird maßgebend sein, dafür birgt Ihnen mein Diensteifer.
Keraskoff, Advokat“ 

Der junge Mann gab schweigend den Brief zurück. Josephine warf das Papier auf den Schreibtisch, hing sich an den Arm ihres Gatten und ging langsam mit ihm im Zimmer auf und ab.

„Nun höre mich noch einen Augenblick an,“ begann sie schmeichelnd, „damit Du meine an Dich gerichtete Mahnung nicht auf Unkosten meiner Liebe deutest. Lindsor, mein erster Mann, war zwar ein guter, aber mit allen Eigenheiten seiner Nation behafteter Mensch. Er bewarb sich in Hamburg um mich, weil er sterblich verliebt war, wie er selbst sich ausdrückte, und ich nahm seine Bewerbung an, weil ich ihm nicht nur zu großer Dankbarkeit verpflichtet war, sondern auch die höchste Achtung vor ihm hegen mußte. Mein Vater, ein kleiner Kaufmann, stand mit ihm in Geschäftsverbindung, und wäre Lindsor nicht ein vortrefflicher Mann gewesen, so hätte meinen armen Aeltern eine traurige Zukunft bevorgestanden. Als ich seine Frau war, erfuhr ich erst, daß Lindsor ein ungeheures Vermögen besaß, und daß er durch die Heirath mit der armen Hamburgerin sich mit seiner stolzen Familie völlig entzweit habe. Dieser Umstand veranlaßte ihn, noch einige Jahre in Deutschland zu bleiben, um die erste Zeit seiner Ehe in Ruhe und Frieden zu verleben. Wir zogen nach Berlin und richteten uns standesgemäß ein. Von dort aus unternahm er eine Geschäftsreise durch Rußland, wohin ein großer Absatz seiner Fabrikate stattfand, und in Moskau starb er an der Cholera. Bin ich nun auch überzeugt, daß Lindsor in seinem Testamente für mich gesorgt hat, so muß ich dennoch befürchten, daß ich mit seinen englischen Verwandten, die höchst erbittert auf mich sind, eine genaue Abrechnung halten muß. Und sage selbst, Philipp, welchen Eindruck muß es bei jenen Leuten hervorbringen, wenn sie erfahren, daß ich kaum zwei Jahre nach dem Tode meines ersten Mannes schon wieder verheirathet bin? Ich habe Lindsor nicht geliebt, wie ich Dich liebe, mein Philipp; aber seine Verwandte sollen nicht daran zweifeln, daß ich ihm in Hochachtung und edler Freundschaft zugethan war, wie es der brave Mann verdiente. Ich bin es meiner Ehre schuldig, daß ich die Veröffentlichung meiner zweiten Ehe so lange unterlasse, bis ich in jeder Rücksicht frei und unabhängig geworden bin, bis ich dem Andenken meines Wohlthäters den vollsten Tribut gezollt habe. Trifft mich ein Vorwurf, so darf es nur der sein, daß ich meiner innigen Liebe zu Dir gefolgt bin, daß ich den Bitten dessen nachgab, an den ich mit der ersten glühenden Neigung des Mädchens hing. Ist es ein Fehltritt, so mag ihn mir Gott verzeihen, der Dich mir in einer Zeit zuführte, wo ich einsam und verlassen mich nach einem theilnehmenden Herzen sehnte. Ich weiß nicht, was Lindsor über mich bestimmt hat, Du kannst eine reiche, aber auch eine blutarme Gattin an mir haben –“

„Und dennoch räthst Du mir, mich meines Vermögens zu entäußern!“ rief Philipp. „Du bist eine edle, eine seltne Frau, Josephine, und ich werde Dir an Großmuth und Redlichkeit nicht nachstehen!“

„Begreifst Du nun den ganzen Umfang meiner Liebe? Philipp, du bleibst mir derselbe, auch wenn Du arm bist!“

„Josephine, wäre es möglich, so würdest Du mir noch mehr sein, wenn Dich Lindsor enterbt hätte, denn ich kann für Dich sorgen und arbeiten!“

„So leben wir von diesem Augenblicke an unserm Prinzipe getreu. Ich betrachte das Vermögen, über das ich bis jetzt noch zu verfügen haben, nur als ein anvertrautes Gut, und deshalb habe ich Berlin verlassen, um mich hier bescheiden einzurichten. Dort hätte man die plötzliche Veränderung meiner äußern Verhältnisse vielfach bekrittelt – hier wird man mich nehmen, wie ich mich gebe.“

„So mag Dich Leipzig als die Wittwe Lindsor, und mich als einen Schöngeist kennen lernen, der in einem Dachstübchen sein Brot verdient. Was Dir das Vermögen Deines Mannes, wird mir die Hinterlassenschaft meines Vaters sein!“

Ein glühender Kuß und eine innige Umarmung besiegelten den Bund, den diese beiden in unserer Zeit so seltenen Herzen geschlossen hatten. Denselben Tag noch bezog Philipp von Nerop eine bescheidene Wohnung, und Madame Lindsor traf ihre Einrichtungen, daß sie zwar ihrem Stande gemäß, aber höchst einfach lebte. Am folgenden Tage stellte sie sich der Familie eines Banquiers vor, mit dem ihr verstorbener Gatte in Geschäftsverbindung gestanden hatte. Diese gesellige Anknüpfung sollte die einzige sein; Josephine hielt sie für hinreichend, um sich der Medisance so wenig als möglich auszusetzen. Philipp erschien täglich in ihrem Hause, aber außer der vertrauten Kammerfrau, die Josephinen von Hamburg aus gefolgt war, ahnte Niemand sein wahres Verhältniß zu der jungen Frau.



II.

Ein Monat war verflossen, und die beiden jungen Gatten hatten in der Heimlichkeit ihrer Ehe einen Reiz gefunden, der ihr Glück zur höchsten Seligkeit erhob. Wie stolz war Philipp, wenn er seine Gattin im Theater oder im großen Concerte bewundert sah, wenn er sich die Leute in Vermuthungen über die junge reizende Frau erschöpfen hörte, die eine Freundin der so hochgeachteten Banquiersfamilie war. Auch nicht die leiseste Eifersucht regte sich in seinem Herzen, das eben so viel Liebe als bewundernde Hochachtung für Josephine empfand; nur von Zeit zu Zeit ward das Bedauern darüber in ihm wach, daß er sich nicht an ihrer Seite zeigen konnte, um sich wegen des Glücks dieses seltnen Besitzes beneiden [417] zu lassen. Ruhig gab er sich seinen literarischen Arbeiten hin, die in den Journalen freudig begrüßt wurden, da sie ein nicht gewöhnliches Talent und einen reinen Geschmack bekundeten.

Um die Zeit trat Philipp eines Morgens in das Zimmer seiner Gattin. Sie empfing ihn mit gewohnter Zärtlichkeit.

„Bist Du glücklich gewesen in Deinen Nachforschungen?“ fragte sie.

„Nein, meine Geliebte! Der letzte Brief aus Breslau meldet mir, daß sich der Amtmann mit seiner Familie aus jener Gegend entfernt haben müsse, denn er sei nicht aufzufinden. Ich habe nun der Polizeibehörde Auftrag gegeben, daß sie Nachforschungen anstelle, und schon in den nächsten Tagen werde ich eine Aufforderung in der Zeitung ergehen lassen.“

„Ich bin in eine unangenehme Nothwendigkeit versetzt,“ sagte Josephine in einem verdrießlichen Tone.

„Was ist geschehen?“

„Die Verhältnisse zwingen mich, eine Abendgesellschaft zu geben, wenn ich nicht als die geizigste Person von der Welt verschrien sein will. Ich habe schon scherzhafte und ernste Anspielungen hören müssen. Was räthst Du mir?“

„So gieb die Gesellschaft, wenn Du nicht umhin kannst.“

„Und unter welchem Titel wirst Du erscheinen?“

„Spiele die Beschützerin der schönen Künste und Wissenschaften, und lade mich als einen armen Novellenschreiber zu Tische.“

„Vortrefflich, Philip, so kannst Du Charakterstudien machen, denn Du wirst interessante Persönlichkeiten vorfinden.“

Beide saßen beim Frühstück, als die Kammerfrau ein junges Mädchen anmeldete, das zugleich beifolgende Karte übergeben habe.

Josephine betrachtete das elegante Papier, es enthielt den Namen der Madame F., der Gattin des befreundeten Banquiers. Auf der Rückseite standen die Worte. „Ist Madame Lindsor dringend empfohlen.“ Da ein Abweisen unstatthaft war, gab Josephine Auftrag, die Ueberbringerin der Karte eintreten zu lassen. Eine Minute später öffnete die Zofe die Thür wieder, und ein junges Mädchen erschien schüchtern auf der Schwelle.

„Treten Sie näher, mein Kind!“ sagte freundlich Josephine.

Die Angeredete war ein allerliebstes junges Mädchen von neunzehn Jahren mit blonden Haaren, einem feinen rosigen Teint, großen himmelblauen Augen und von zarter, eleganter Gestalt. Sie mußte trauern, denn sie trug ein schwarzes Kleid von grober Wolle, und einen kleinen Hut ohne allen Schmuck von derselben Farbe. Trotz der noch herrschenden Frühlingsfrische lag nur ein leichtes Tuch auf den schneeweißen Schultern. Ihre von Weinen gerötheten Augen, sowie der schmerzliche Ausdruck ihres lieblichen Gesichts verriethen, daß sie viel gelitten hatte. Die Trauernde stand mit gesenkten Blicken stumm und unbeweglich neben der Thür, unter dem linken Arme trug sie einen Karton von blauer Pappe. Philipp bemerkte mit Erstaunen, welch’ eine züchtige Jungfräulichkeit über der ganzen Erscheinung ausgegossen lag. Er konnte kaum seine Blicke von ihr abwenden. Josephine war gerührt von ihrem Anblicke.

„Ich bitte, mein liebes Kind,“ sagte sie mild, „tragen Sie mir ohne Scheu Ihr Anliegen vor. Die Empfehlung, die Ihnen vorangegangen, sichert Ihnen ein geneigtes Gehör.“

Die bleichen Wangen des jungen Mädchens färbte ein flüchtiges Roth. Dann schlug sie die langen Augenwimpern empor und sagte in einem zitternden Tone, der indeß mehr Schmerz als Furcht verrieth:

„Madame, dieser Karton enthält ein Kleid, das ich bereits den ersten Damen der Stadt zum Kaufe angeboten habe; allein alle weisen es mit dem Bemerken zurück, daß sie die dafür geforderte Summe nicht zahlen könnten.“

„Hat Ihnen auch Madame F., deren Karte Sie mir überreichten, dieselbe Antwort ertheilt?“ fragte Josephine, die eine Anspielung auf ihren Geiz in dem ganzen Handel zu erblicken glaubte.

„Ja, Madame! Sie fügte noch hinzu, daß eine Dame ihres Alters ein so kostbares Kleid nicht tragen dürfe, ohne lächerlich zu erscheinen, auch wenn sie den Kostenpunkt nicht berücksichtigen wolle. Dann gab sie mir die Empfehlungskarte mit dem Bemerken, daß Madame Lindsor keinen Grund haben könne, den Kauf abzulehnen. Sie sei jung, schön und reich!“

Die letzten Worte flüsterte das trauernde Mädchen so leise, daß sie kaum zu verstehen waren. Und zugleich nahm sie den Deckel von dem Karton, trat dem Sopha näher, und präsentirte ihren Verkaufsartikel.

Josephine stieß einen Schrei der Bewunderung und Ueberraschung aus.

„Himmel, welch’ eine köstliche Robe!“ rief sie, indem sie mit der allen Frauen eigenen Neugierde, wenn sie ein pikantes Toilettenstück erblicken, das Kleid auf dem Sopha ausbreitete, um die Feinheit des Mousselins und die bewunderungswürdige Stickerei besser beurtheilen zu können. Und wahrlich, hier zeigte sich ein Meisterstück, wie es wohl selten der neugierige Blick einer Tochter Eva’s gesehen hat. Blumen und Blätter von den geschmackvollsten Farben und Gestalten waren so dicht in einander verschlungen, daß man kaum den weißen Grund des Mousselins gewahren konnte. Das Kleid war von einer Sauberkeit und Eleganz, daß man es lieber für das Wunder einer launenhaften Fee, als für die Arbeit einer weiblichen Hand hätte halten mögen. War Philipp auch kein Kenner von Dingen dieser Art, so mußte er dennoch staunen über dieses Wunder von Geduld und Geschicklichkeit.

Wohl eine Minute verharrte Josephine in stummer Verwunderung vor dem ausgebreiteten Schatze, dann wandte sie sich zu der schüchternen Verkäuferin.

„Wer ist die Stickerin?“

„Sie hat die Ehre vor Ihnen zu stehen, Madame!“ antwortete das junge Mädchen mit einer leichten Verbeugung und indem ihr eine Thräne über die bleiche Wange rann.

„Wieviel Zeit haben Sie darauf verwendet?“

„Zwei Jahre!“ war die seufzend ertheilte Antwort. „Und dabei habe ich Tag und Nacht gearbeitet.“

„O, ich glaube Ihnen, armes Kind! und haben Sie diese mühsame Arbeit unternommen, um sie zu verkaufen?“

„Nein; sie war ursprünglich zu einem andern, für mich schönern Zwecke bestimmt. Aber leider bin ich jetzt gezwungen, sie um einen hohen Preis zu verkaufen, weil ich des Geldes nothwendig bedarf. Gebe der Himmel, daß ich einen Käufer finde!“ fügte sie mit einem Blicke auf Philipp hinzu, als ob sie ihn um seine Fürsprache bäte.

„Welchen Preis fordern Sie?“ fragte der junge Mann.

Die niedliche Verkäuferin schwieg einen Augenblick, als ob sie Furcht hätte, die verhängnißvollen Worte auszusprechen, die schon so oft ihre Hoffnung zertrümmert; dann flüsterte sie ganz leise:

„Dreihundert Thaler!“

„Dreihundert Thaler!“ wiederholte Josephine mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, den nur schöne Frauen in den Blick und in das Lächeln zu legen wissen. „Das ist viel! Philipp, ein Kleid um einen solchen Preis!“ wandte sie sich zu ihrem Gatten.

Dieser antwortete durch ein bedauerndes Lächeln.

Die Trauernde sah zwar lächelnd Philipp’s Gattin an, aber ein Strom von Thränen entrang sich ihren großen Augen.

„Madame,“ flüsterte sie mit unterdrücktem Schluchzen, „ich weiß, daß ich eine große Summe fordere; aber was ist sie für eine reiche Dame? Sie üben ein Werk der Wohlthätigkeit, wenn Sie mir die mühsame Arbeit abkaufen. Ach, Madame,“ rief sie lauter, indem sie wie eine Betende die flachen Hände zusammenlegte und fast auf die Knie sank „weisen Sie mich nicht ab, ich gehe der Verzweiflung entgegen, wenn ich mit leeren Händen Ihr Haus verlasse. Wäre es möglich, ich würde mich mit der Hälfte, selbst dem dritten Theile begnügen, aber es darf nicht ein Groschen an der geforderten Summe fehlen – ich kann nicht anders!“

Sie zog ein weißes Tuch hervor, um die Thränen zu trocknen.

Die beiden Gatten sahen sich in schmerzlicher Verwunderung einander an.

„Mein Kind,“ begann Josephine nach einer Pause halten Sie mich nicht für geizig oder hartherzig. Könnte ich frei über mein Vermögen schalten, ich würde nicht um eine Minute Ihre Sorge verlängern, auch wenn mich der Besitz dieses prachtvollen Kleides nicht reizte. O, mein Gott, Philipp, was kann ich thun?“ flüsterte sie ihm zu. „Unsere Grundsätze werden auf eine harte Probe gestellt. Die Empfehlung der Madame F. provocirt meine Ehre, und dieses arme Kind meine Wohlthätigkeit.“

Auch Philipp war gerührt.

„Wer sind Sie, mein Kind? fragte er die Weinende. Nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre Wohnung.“

„Anna Bornstedt!“ flüsterte sie.

„Wie?“

[418] „Anna Bornstedt – ich bewohne ein Stübchen in Nr. 12 der B.-Gasse.“

„Bornstedt?“ fragte er noch einmal, und sein Gesicht ward noch bleicher als es bisher gewesen war.

Aus Josephine’s Augen blitzte ein Freudenstrahl. Um die Befangenheit ihres Mannes zu enden, der bestürzt an das Fenster getreten war, wandte sie sich zu Anna:

„Ich weise Sie nicht ab, Mademoiselle! Ein solcher Handel erfordert indeß Ueberlegung – besuchen Sie mich morgen um diese Zeit wieder, und ich glaube Ihnen den Dienst leisten zu können, den Sie fordern.“

„Madame! Madame!“ rief außer sich das junge Mädchen. „Und Sie wollen den Preis zahlen?“

„Wenn es mir irgend möglich ist!“

„Lohne Ihnen Gott, daß ich nicht hoffnungslos von Ihnen scheide!“

„Bringen Sie mir Morgen Ihre Arbeit zurück –“

„Nein, behalten Sie das Kleid und prüfen Sie die Stickerei – vielleicht sind Sie geneigter, den Preis zu zahlen.“

Anna küßte hastig die Hand der Madame Lindsor und verließ das Zimmer.

Gleich darauf sah sie Philipp, der immer noch an dem Fenster stand, über die Straße eilen. Wie beflügelte die Hoffnung die Schritte der armen Anna! Ihr leichtes, armseliges Tuch flatterte im Winde, und ihre kleinen Füße schienen kaum den Boden zu berühren. Als der junge Mann sich wandte, stand Josephine ihm zur Seite.

„Du nanntest früher den Namen Bornstedt, wenn ich nicht irre,“ flüsterte sie. „Demnach ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieses Mädchen der Familie angehört, der wir ein Vermögen schulden. Ich entließ die Unglückliche, um die Verlegenheit abzukürzen, die ich in Deinen Zügen las. Philipp,“ – sie warf sich an seine Brust – „ich werde ganz glücklich sein, wenn mir auch nichts bleibt als Deine Liebe! Du kommst arm zu mir, aber Du bringst mir dennoch einen Schatz, den ich nicht genug würdigen kann!“

Philipp drückte die reizende Frau fest an sich und bedeckte ihren blühenden Mund mit Küssen. Die beiden Gatten feierten Augenblicke der höchsten Wonne.

„Madame F. wollte eine kleine Bosheit ausüben,“ sagte Josephine, „sie ahnt sicher nicht, daß sie mir einen guten Dienst erwiesen hat.“

„Ist Anna die Tochter des Mannes, den ich suche, so zahle ich ihr einen Preis, der sie für die mühsame Arbeit und für den erlittenen Kummer entschädigt! Du erlaubst mir, daß ich mir sofort Gewißheit verschaffe.“

Philipp entfernte sich. Josephine weidete sich noch einige Zeit an der kostbaren Stickerei, dann legte sie sorgfältig das Kleid zusammen und verschloß es.

„Ich werde doppelt stolz darauf sein,“ dachte sie, „wenn man mich in diesem Schmucke bewundert!“




III.

Madame Lindsor hatte ungeachtet ihres eingezogenen Lehens gewissen Kreisen Stoff zu Vermuthungen und Deutungen mancherlei Art gegeben. Ihre Besuche des Concertes und Theaters waren hinreichend gewesen, um die Damen neidisch und die Männer rebellisch zu machen, eine Erscheinung, die Leipzig mit allen Städten gemein hat. Die Soiréen des Banqiers, von denen Madame Lindsor dreien beigewohnt, hatten alle Varietäten der großen leipziger Familie vereinigt, mithin wurde die fremde Dame je nach der Anschauung dieser Gattungen beurtheilt.

„Wer ist denn eigentlich die Madame Lindsor?“

Diese Frage beantwortete um die Mitte des Monats Mai Jemand, der zum Geschlecht der Positiven gehört, durch folgendes Inventarium:

„Madame Lindsor ist eine erste Etage für sechshundert Thaler Miethzins, der halbjährlich nach Wechselrecht pränumerirt wird; solide Möbel, bürgerliche Küche, zwanzigtausend Thaler Revenüen, die ihr erlaubten, eine Equipage zu halten, wenn sie wollte. Ihr Mann ist ein englischer Kaufmann, der gegenwärtig eine große Reise macht. Solide Leute, gegen die sich nichts einwenden läßt.“

Hat der Positive, ein dicker, runder Mann mit kirschrothen Backen, der in der Regel einige Häuser mit Meßlokalitäten besitzt, diese Interpretation gesprochen, so bedeckt er die Oberlippe mit der Unterlippe, und bewegt das schwerfällige Haupt, als ob er die letzte Phrase dadurch bestärken wollte. Man weiß nun, er hat ein erschöpfendes Urtheil abgegeben.

Wendet man sich an einen fein gekleideten Mann, der schwarze Glacehandschuhe, glänzende Gummigaloschen und einen sorgfältig gepflegten Backenbart trägt, so erhält man die Antwort.

„Madame Lindsor ist noch nicht an unser Klima gewöhnt, sie leidet ein wenig an Tuberkeln; es hat jedoch nichts zu sagen!“

Dieser Mann ist ein Arzt. Nachdem er lächelnd diese Antwort gegeben, eilt er von dannen, und man ist geneigt zu glauben, er behandele die Dame. Bei nächster Gelegenheit läßt er zufällig die Ansicht laut werden: „Sie wird wohl einen Respirator tragen müssen!“

Wenden wir uns an den jungen Mann mit blondem Haare, einer feinen Brille und untadelhafter Toilette. Er sitzt gewöhnlich Nachmittags zwei Uhr im Café français und ißt Kuchen.

„Madame Lindsor, mein Bester? Eine himmlische Frau, ein göttliches Wesen! Sie hat die Dedication meines neuesten literaturhistorischen Romans angenommen, der in splendider Ausstattung bei Brockhaus erscheint. Famos, sage ich Ihnen, neue Typen, Velin! Charaktere, bis jetzt nicht dagewesen! Ich habe ihr neulich den Prolog vorgelesen – sie war entzückt. Ah, eine geistreiche Frau! Schade, daß Madame F. zugegen war.“

Dieser Mensch gehört zum Geschlechte der Schöngeister, einem der verbreitetsten in dem Mittelpunkte des Buchhandels. Sie sind nicht gefährlich, da die Eitelkeit ihre vorherrschende Schwäche ist. Nur die Buchhändler fürchten sie, wenn sie ein Manuscript aus der Tasche ziehen.

„Madame Lindsor!“ ruft ein Anderer, der mit drei bis vier Freunden Mittags durch die Promenaden geht, um die Damen zu mustern. „Ich weiß genau, daß sie schon dreißig Jahre alt ist, verblüht, falsche Zähne, schöne Augen, abgenutzter Sopran, viel Toilette, etwas Schminke und elegante Manieren – ziemlich verblüht, aber immer noch einer kleinen Liebschaft werth!“

Diese Antwort erhält man von einem höchst sauber gekleideten Manne, der zum Geschlechte der Frauenbesieger gehört. Er hat um elf Uhr stark gefrühstückt, und will durch einen Spaziergang die Verdauung befördern. In solchen Augenblicken sind die Frauenbesieger unerbittlich.

„Wer ist diese Madame Lindsor?“ fragt ein junger Kaufmann seine Gattin.

„Ich will nicht, daß Du die Soirée bei Madame F. wieder besuchst!“

Dies ist unstreitig die inhaltreichste Antwort. Sie läßt sich kommentiren: die Frau ist gefährlich, hat Geschmack und versteht sich zu kleiden. Sie flößt den Gattinnen Besorgniß ein.

Dort kommt ein nachlässig gekleideter Mann mit langen Haaren, von bleichem, gelehrtem Aussehen. Fragen wir ihn.

„Madame Lindsor? Mein Bester, wissen Sie denn nicht, daß diese Dame die ehemalige Geliebte des Lord Palmerston ist? Ah, man hat seine Correspondenten in London!“

Dieser Mann ist ein Doctor der Philosophie und gehört zur Classe der Widersprecher. Sie wittern alle Druckfehler in den neu erschienenen Büchern, berichtigen die Facta in allen Memoiren und wetten stets Hundert gegen Eins, daß sie Recht haben. Fast alle Widersprecher kritisiren in gelehrten Zeitschriften, haben eine zurücktretende Stirn und schreiben einen schlechten Styl. In der Politik gehören sie der Partei an, die die wenigsten Anhänger besitzt. Jetzt sind sie Russenfreunde, im Jahre 1849 schwärmten sie für Oesterreich.

Es verbreiteten sich so viel Meinungen über Madame Lindsor, daß wir sie nicht alle anführen können. Wir haben nur beweisen wollen, daß ein Mann, der die junge Dame kennen zu lernen sich bemühte, ohne ihr seinen Besuch zu machen, eben so gut hätte glauben können, sie sei verwittwet oder verheirathet, dumm oder geistreich, gut oder schlecht, reich oder arm, schön oder häßlich – mit einem Worte, es gab so viel Madame Lindsor, als Classen in der Gesellschaft und Sekten in dem Protestantismus. Dem guten Philipp kam Manches davon zu Ohren, aber er lächelte über das sonderbare Leipzig, vorzüglich nachdem man ihm die Geschichte von einem gewissen Makintosh erzählt hatte.

[431] Es war gegen Abend als er die Wohnung Anna Bornstedt’s aufsuchte. Er fand bald das bezeichnete Haus, das einem Positiven angehörte. Parterre befand sich ein Schuhmacherladen, im ersten Stocke wohnte ein Advokat und ein Arzt, im zweiten Stocke wohnte ein Agent und ein Advokat, im dritten Stocke wohnte ein Arzt und eine Leichebitter – beide Schilder prangten neben einander an der Saalthür, – im vierten Stocke wohnte ein Briefträger und Polizeidiener, und im fünften Stocke, wo die Holzgitter anfangen – –

Wir begleiten Philipp. Er öffnete eine aus Latten zusammengenagelte Gitterthür und trat auf einen schmalen, halbdunkeln Gang, der sich unmittelbar unter dem Dache befand. Als man seine ziemlich lauten Schritte nicht hörte, klopfte er an die Thür, die sich ihm zunächst zeigte. „Herein!“ rief eine dünne Stimme. Philipp trat in ein kleines Zimmer mit schräger Decke. An einem Tische der Thür gegenüber saß ein kleines zusammengeschrumpftes Männlein, das die Feder in der Hand hielt und sich neugierig umsah. Sein Gesicht zählte so viel Runzeln, als sein Haupt weiße Haare. Ein kleines mit alten Büchern angefülltes Bret deutete seinen Stand an. Er war ein Magister, der kümmerlich von seiner Feder lebte. Hinter einem Breterverschlage, der mit verschiedenen Stücken alter Tapeten verklebt war, hörte man das Leben und Schreien einer zahlreichen Familie.

Der Magister erhob sich, als er den jungen eleganten Mann erblickte.

„Verzeihung, mein Herr, ich suche Demoiselle Anna Bornstedt!“ sagte Philipp.

„Fräulein von Bornstedt!“ flüsterte freudig überrascht der kleine Magister. „Das junge Mädchen, lieber Herr, ist ein Fräulein.“

„Ganz recht!“ antwortete Philipp mit bewegter Stimme, denn er sah, daß er auf der rechten Spur war. „Wohnt die junge Dame hier?“ fragte er, indem er beschämt durch den traurigen Raum blickte.

„Sie hat mir ein Zimmerchen abgemiethet, lieber Herr! Sie wundern sich, daß ein adeliges Fräulein bei einem armen leipziger Magister wohnt – ach ja, man kann sich wohl darüber wundern, denn der Contrast ist ein schneidender. Die arme Anna steht mit mir auf gleicher Stufe: sie besitzt nichts weiter als ihren Adel, und ich habe nichts als meine Magisterwürde. von beiden kann man nicht leben. Sie wollen das Fräulein sprechen – ich werde sie rufen.“

„Ich bitte, Herr Magister, hören Sie mich einige Augenblicke an. Sind Sie mit den Verhältnissen der jungen Dame bekannt?“

„Wie wohl kein Zweiter in unserer guten Stadt. Ich war einst Hauslehrer bei dem Herrn Amtmann von Bornstedt, und Fräulein Anna ist meine Schülerin. Ach, es war eine schöne Zeit, als ich auf dem reizend gelegenen Rittergute unter den vortrefflichen Menschen lebte! Ach, mein Gott, ich habe vergessen, Ihnen einen Stuhl anzubieten. Nehmen Sie doch gefälligst Platz.“

„Ich will Sie nicht lange in Ihrer Arbeit stören!“ sagte Philipp, sich niederlassend. „Die junge Dame hat in einem gewissen Kreise Interesse erregt, und man ist gesonnen, sich ihr hülfreich zu zeigen.“

„Das lohne Ihnen Gott, lieber Herr!“

„Fräulein von Bornstedt bot eine Arbeit zum Kaufe an.“

„Eine kostbare Stickerei?“

„Ja!“

„So hat sie sich dennoch überwunden!“ flüsterte der Magister schmerzlich vor sich hin. „Anna ist ein herrliches Gemüth, eine seltene Perle! Ach, warum bin ich so arm? Es sollte wahrhaftig nicht so weit kommen, hätte mich der Himmel auch nur mit geringen Glücksgütern gesegnet. Und Ihnen hat sie den Kauf angetragen?“

„Einer Dante, die zu mir in naher Beziehung steht. Es handelt sich weniger darum, in den Besitz des kostbaren Kleides zu kommen, als der armen Stickerin, ohne zu verletzen, wirksame Hülfe zu leiste. Ich ward beauftragt, zu diesem Zwecke Erkundigungen einzuziehen.“

„Dann ist es Pflicht, daß ich rede! Ja, mein Herr, die Noth der armen Menschen ist groß, und um so drückender, als sie unverschuldet in diese traurige Lage gerathen sind. Der alte Herr von Bornstedt war einst ein reicher Rittergutsbesitzer, aber ein schurkischer Freund brachte ihn durch einen Prozeß, dessen Einzelnheiten ich nicht wiederholen kann, um das Seine. Die Bosheit dieses Freundes ging so weit, daß der arme Mann selbst die Revenüen herauszahlen mußte, die er während der Dauer des Prozesses gezogen hatte. So kam es, daß die Familie mit einem Schlage in das tiefste Elend gerieth. Sie wandte sich zunächst nach Breslau, wo Anna und Adolph – dies ist nämlich ihr Bruder – durch Arbeit die Subsistenzmittel für die betagten Aeltern zu erringen hofften; aber sie täuschten sich, und in den zwei Jahren, die sie dort lebten, mußten sie die wenigen Kostbarkeiten nach [432] und nach verkaufen. Da starb die Mutter, und der Schmerz gesellte sich den Nahrungssorgen bei.“

„Hat denn der alte Herr keine Freunde gehabt?“ fragte Philipp, der mit Mühe seine Fassung erhielt.

„O gewiß, lieber Herr; aber was sind die Freunde in der Noth? Sie boten dem Bedrängten ein Almosen, wie man es einem gemeinen Bettler giebt. Herrn von Bornstedt war zu stolz, um es anzunehmen, er darbte lieber, als sich so tief zu demüthigen. Im Drange der höchsten Noth schrieb Anna an mich, ihren alten Lehrer. Sie setzte mich von ihrem Unglücke in Kenntniß und bat um Auskunft darüber, ob sich ihr in Leipzig keine Erwerbsquelle öffne, da sie eine geschickte Stickerin sei; sie habe erfahren, daß die Meßstadt vorzüglich der Ort sei, wo man derartige Produkte vortheilhaft absetze. Ich wußte, daß ein reichlicher Gewinn aus dieser Beschäftigung zu ziehen sei, und deshalb schrieb ich in der Freude meines Herzens, daß Herr von Bornstedt mit seinen Kindern gleich kommen möge. Vater und Tochter betraten Leipzig als blutarme Leute, die Reise hatte die letzten Habseligkeiten verschlungen. Meine Gefühle bei diesem Wiedersehen kann ich Ihnen nicht schildern, lieber Herr; ich sage Ihnen nur, daß ich den niederträchtigen Freund, einen Edelmann, noch im Grabe verwünsche, der ein solches Unglück angerichtet hatte. Mein ehemaliger Brotherr ward nun mein Gast, und ich arbeitete täglich einige Stunden länger, um die vermehrten Ausgaben bestreiten zu können. Leider ist die Feder heutzutage ein schwaches Werkzeug, und ich gerieth trotz meiner Anstrengungen bald in Schulden. Die gute Anna fand Anfangs nicht gleich Arbeit, und als sie endlich nach Wochen Aufträge erhielt, ward ihr nur so wenig Lohn dafür, daß sie kaum davon leben konnte. Ich wollte meine eigene Armuth verbergen; aber da ließ mir eines Tags ein Gläubiger meine Bibliothek abpfänden, und die guten Leute wußten nun Alles. Seit dieser Zeit weigerten sie sich, irgend etwas von mir anzunehmen, Anna arbeitete und darbte, und sorgte heimlich noch für meine Kinder!“

„Sagten Sie nicht, daß Anna noch einen Bruder habe?“ unterbrach Philipp den Erzähler.

„Ganz recht! Der junge Mann hat in Breslau schon die Familie verlassen, um auf seine eigene Faust etwas zu unternehmen. Er will Unterstützung senden, sobald er kann. Wie man vermuthet, ist er nach Berlin gegangen. Es ist ein Jahr verflossen, und noch hat er nichts von sich hören lassen. Doch hören Sie weiter, das Unglück der armen Menschen ist noch nicht zu Ende. Vor vierzehn Tagen mache ich mit dem alten Herrn eine Promenade. Da begegnet uns ein Advokat, er grüßt Herrn von Bornstedt und freut sich unendlich ihn in Leipzig zu sehen. Nach einem kurzen Gespräche entfernt er sich wieder, indem er dem bekümmerten Greise herzlich die Hand drückt. Woher sich diese Bekanntschaft datirt, weiß ich nicht, und ich wollte auch nicht darnach fragen, weil ich bemerkte, daß dieses unverhoffte Begegnen einen peinlichen Eindruck auf meinen alten Freund ausgeübt hatte. Am folgenden Morgen ward der arme Herr von Bornstedt wegen einer alten Wechselschuld von dreihundert Thalern in das Schuldgefängniß gesperrt, wo er sich in diesem Augenblicke noch befindet. Ich lief zu dem Advokaten, schilderte ihm die Verhältnisse des Verhafteten und bat um Freilassung – umsonst, der wackere Mann sagte mir höhnend: dergleichen Geschichten kennen wir, Herr von Bornstedt hat Geld, er will es nur nicht herausgeben. Ich habe den Wechsel an Zahlungsstatt angenommen und werde ihn verwerthen. Mag es kosten, was es wolle, ich drücke die Citrone aus, so lange noch ein Tropfen Saft darin ist! – Die arme Anna erhielt dieselbe Antwort. So stehen die Sachen, und nun können Sie sich erklären, warum das Fräulein so bemüht ist, dreihundert Thaler anzuschaffen.“

„Wer ist der Advokat?“ fragte Philipp hastig.

Der Magister nannte ihn und beschrieb seine Wohnung.

„Jetzt brauche ich Fräulein Anna nicht mehr zu sprechen!“ rief der junge Mann, indem er aufsprang. „Ich danke für ertheilte Auskunft – leben Sie wohl!“

„Darf ich nicht wissen, wer mir die Ehre eines Besuchs gegeben hat?“

Diese Frage des verwunderten Magisters hörte Philipp nicht mehr, er hatte bereits die Dachwohnung verlassen und eilte die Treppe hinab.

„Ein seltsamer Mensch!“ dachte der arme Gelehrte, indem er die Gitterthür schloß. „Ich wette, er hat sich in das reizende Mädchen verliebt, und will sich auf diese Weise ihre Gunst erwerben. Was es auch sein möge, wenn nur der Gefangene seiner Haft entlassen wird, und ich wette, daß er in der Absicht, dies zu bewirken, fortgeeilt ist. Anna soll jetzt noch nichts erfahren, vielleicht steht ihr eine köstliche Ueberraschung bevor. Gott gebe es, Gott gebe es!“

Magister Elias zündete eine Lampe an und ergriff die Feder wieder. Die Arbeit ging indeß schlecht von Statten, der kleine Mann sah oft zu der schwarzen Decke empor und lächelte dabei, als ob ein entzündender Gedanke in ihm aufgestiegen sei. Man muß ein Novellist sein, der für Brot arbeitet, um die Wonne zu begreifen, welche die Auffindung einer glücklichen Idee zu einer Novelle hervorbringt. Der gute Magister, dem es bisher stets an geeigneten Stoffen zu einer selbstständigen Arbeit dieser Art gefehlt hatte, empfand jetzt zum ersten Male diese Wonne.

„Herrlich, herrlich!“ rief er aus, nachdem er wohl zehn Minuten mit verklärten Mienen die Decke angestarrt hatte, ohne den Höllenlärm der Kinder und die von der bedrängten Mutter in dem Nebenzimmer ausgetheilten Prügel gehört zu haben – „das ist eine wundervolle Idee! Ein reizendes Fräulein in Trauerkleidern, ein greiser Vater im Schuldgefängnisse, Noth und Elend, beide unverschuldet, auf der einen, und ein böser Advokat und ein vornehmer junger Mann, der das Fräulein leidenschaftlich liebt, auf der andern Seite – schließlich die Rückkehr des reichgewordenen Bruders, die natürlich an dem Hochzeitstage der Schwester erfolgen muß, in dem Augenblicke, wo der Vater seinen Sohn herbeisehnt, um ganz glücklich zu sein, dann die Entlarvung eines intriguanten Menschen, wozu ich gleich den Advokaten verwenden kann – das giebt eine Novelle, die sich prächtig für die Gartenlaube paßt! Aus dem Leben gegriffen, nur aus dem Leben gegriffen! Wenn aus der Hochzeit etwas wird, so ist Alles wahr, und mein Werk hat einen um so höhern Werth. Der junge Herr wird schon wiederkommen, und bis dahin will ich ihn bei der guten Anna so herausstreichen, daß sie ihn als ihren Wohlthäter lieben muß. Ja, ja, ich will dafür sorgen, daß ich ganz nach dem Leben arbeite, daß der Gang der Handlung sich wirklich so ereignet, wie ich ihn mir gedacht habe. Die Zwischenfälle werden sich schon finden, denn ohne Hindernisse kommt ein liebendes Paar nie zusammen. Das giebt eine Novelle von zwei Bogen, und Ernst Keil, der splendide Verleger der Gartenlaube, zahlt fünfundzwanzig Thaler pro Bogen – also erhalte ich funfzig Thaler Honorar!“

Es litt Elias nicht länger auf seinem Stuhle, er stand auf, und ging in freudiger Bewegung durch das Stübchen. Dann setzte er sich wieder nieder und warf eine flüchtige Skizze auf das Papier. Vielleicht eine Stunde war verflossen, als plötzlich die kleine heisere Schelle an der Thür sich vernehmen ließ. Elias ergriff die Lampe, eilte hinaus, öffnete die Thür, und der alte Herr von Bornstedt schwankte herein – er war der Wechselhaft durch Philipp’s Vermittelung entlassen. Der Magister führte ihn triumphirend in das Stübchen, wo Anna arbeitete. Vater und Tochter sanken sich weinend einander in die Arme. Elias stand unter Thränen lächelnd an der Thür.

„Armer Vater!“ schluchzte Anna.

„Ach, es giebt noch gute Menschen in der Welt!“ sagte der alte Herr, indem er die Stirn seines Kindes küßte. „Der Advokat erschien und kündigte mir mit dem Bemerken die Freiheit an, daß ein unbekannter Wohlthäter meine Schuld bezahlt habe. Anna, ich bin hier fremd, Niemand kümmert sich um mich – Du hast ohne Zweifel Schritte gethan – –“

„Ich bin erstaunt, lieber Vater, denn vielleicht morgen erst wäre es mir möglich gewesen, Ihnen zu nützen, Wenn der Herr Magister uns keine Auskunft geben kann –“

„Ich weiß nichts!“ rief Elias. „Seit acht Tagen habe ich meine Arbeitsstube nicht verlasse. Aber beruhigen Sie sich nur, wir werden wohl noch erfahren, an wen Sie eine Dankadresse zu richten haben.“

Anna dachte an Madame Lindsor. Wie aber konnte sie wissen, zu welchem Zwecke sie das Kleid feilgeboten hatte? Der Kauf sollte ja erst morgen Mittag abgeschlossen werden.

„Wenn sie es nicht wäre,“ dachte freudig bewegt das arme Kind, „wenn sich eine andere Person unserer angenommen hätte, so möchte ich wünschen, daß sie mir das Kleid zurückschickt.“

Die Glocke draußen ließ sich von Neuem hören. Elias kam gleich [433] darauf mit einer schon bejahrten Frau zurück, in der Anna die Kammerfrau der Madame Lindsor erkannte.

„Meine Herrin,“ sagte sie, „sendet mich, und Sie errathen wohl, in welcher Angelegenheit.“

„Richten Sie Ihren Auftrag aus, gute Frau,“ sagte Herr von Bornstedt, der sich auf Anna’s Arbeitsstuhle niedergelassen hatte. „Wir haben keine Geheimnisse vor einander. Wer sendet Sie?“

„Madame Lindsor.“

„Es ist die Dame, lieber Vater, der ich eine Stickerei angeboten habe,“ ergänzte die verwirrte Anna. „Und was läßt sie mir sagen?“ wandte sie sich an die Kammerfrau.

„Madame hat Ihre Arbeit geprüft und ein besonderes Wohlgefallen daran gefunden. Sie sendet den geforderten Preis von dreihundert Thalern.“

Die Kammerfrau legte ein Packet Banknoten auf den Tisch, dann grüßte sie und verließ das Zimmer. Elias folgte mit seiner Lampe. Der Anblick des Geldes hatte den armen Schriftsteller in eine fieberhafte Bewegung versetzt, daß er kaum das Schloß an der Ausgangsthür öffnen konnte, und dabei plagte ihn eine unbesiegbare Neugierde.

„Liebe Frau,“ flüsterte er, „sendet die Dame wirklich nur den hohen Preis, weil sie die Arbeit desselben werth erachtet, oder hat sie noch andere Gründe?“

„Ich bedauere, daß ich Ihnen keine Auskunft geben kann!“ antwortete lächelnd die Kammerfrau.

„Ist Ihre Herrin jung und schön?“ fragte Elias weiter, der nach neuem Stoffe für seine Novelle forschte.

Die Frau sah verwundert den kleinen zitternden Mann an.

„Sie ist jung und schön.“

„So! das ist mir lieb,“ flüsterte Elias wie zerstreut. „Daß sie einen großen Reichthum besitzt, läßt sich denken. Aber nun muß ich noch Eins wissen, liebe Frau.“

„Was?“

„Ist die schöne und reiche Dame schon verheirathet?“ fragte mit einem so gutmüthigen Lächeln der arme Schriftsteller, daß man hätte glauben mögen, er wolle ihr einen vortrefflichen Mann besorgen, wenn sie noch frei sei.

Die Kammerfrau war die einzige Mitwisserin des Geheimnisses Josephinen’s, eines Geheimnisses, dessen Wichtigkeit sie kannte. Diese Frage mußte natürlich ihren Argwohn erregen, da sie die poetische Absicht des Magisters nicht ahnte.

„Haben Sie ein Interesse dabei, lieber Herr?“

„Ei, das will ich meinen, ich würde mir sonst diese Frage nicht erlaubt haben!“

„Madame Lindsor –“

„Ah, sie ist eine Madame!“ flüsterte Elias gedehnt, „Das paßt mir allerdings nicht,“ fügte er nachdenkend hinzu, indem er die Hand an sein kleines Kinn legte. „Da muß ich meinen Plan ändern. Jung, reich und schön, das wäre mir gerade recht gewesen. Hm, hm, was fange ich denn da an?“

Die Zofe konnte kaum ein Lachen unterdrücken, als sie das betrübte Gesicht des Magisters mit den weißen Haaren sah.

„Mit dem ist es nicht richtig,“ dachte sie. „Nun, lieber Herr, beruhigen Sie sich nur,“ sagte sie laut. „Madame Lindsor ist eine Wittwe, sie war nur zwei Jahre verheiratet. Jetzt ist sie wieder zu haben.“

„Wahrhaftig?“ fuhr Elias auf.

„Gewiß.“

„Das ist himmlisch! Da wäre ich in aus meiner ganzen Verlegenheit! Danke, liebe Frau für gütig ertheilte Auskunft!“ rief er der Davoneilenden nach. „Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht fallen, es sind fünf Treppen, und jede Treppe hat siebzehn Stufen. Zählen Sie nur, dann können Sie nicht fehlen!“

Seelenvergnügt kehrte Elias zu seinen Miethsbewohnern zurück. Er wollte die beiden glücklichen Menschen beobachten, um treu nach der Natur zu zeichnen, was er bei einer Novelle für unerläßlich hielt. Zu seiner Verwunderung richtete weder der Vater noch die Tochter eine Frage an ihn, es schien, als ob sie wüßten, wer der großmüthige Wohlthäter sei.

„Ich täusche mich nicht,“ dachte der gute Magister, „hier ist bereits eine Liebschaft angeknüpft. Beobachten wir!“



IV.

Am Tage, der der beabsichtigten Soirée voranging, kam Philipp von seiner Gattin. Der Aufenthalt in Leipzig hatte nicht nur seine Liebe, sondern auch seine Achtung und sein Vertrauen erhöht, Josephine war für ihn das Ideal einer Frau, und hätte man die fabelhaftesten Gerüchte von ihr verbreitet, er würde ihnen eben so wenig Glauben geschenkt haben, als sich die Eifersucht in ihm regte. Ein Charakter wie Josephine, war keiner Unredlichkeit fähig. Philipp hatte also seine Gattin verlassen, um sie in den Vorbereitungen zu dem Feste nicht zu stören. Als er die Thür des Gitters schloß, das das Haus umgab, trat ihm ein Mann entgegen, dessen ganze Aufmerksamkeit nach den Fenstern Josephine’s gerichtet war. Er trug höchst elegante Kleider, war von schöner, hochgewachsener Gestalt und hatte ein fein gebildetes Gesicht mit einem kleinen blonden Barte. Die beiden Männer begegneten sich.

„Verzeihung, mein Herr,“ redete ihn der Fremde höflich an, indem er seinen Hut zog, „sind Sie in dem Hause bekannt, das Sie so eben verlassen haben?“

„Ich glaube, ja!“ antwortete Philipp.

„Man sagte mir, daß eine Madame Lindsor hier wohnen müsse.“

„Ganz recht, sie bewohnt den ersten Stock dieses Hauses.“

Der Fremde dankte, öffnete das Gitter und verschwand. Ein unbestimmtes Gefühl, das sich indeß mehr der Neugierde als der Eifersucht zuneigte, hemmte Philipp’s[WS 1] Schritte. Wenn man die heimliche Ehe, die Schönheit Josephinen’s[WS 2] und die verschiedenen Gerüchte über ihre Person und ihr[WS 3] Vermögen bedenkt, so kann man sich nicht darüber wundern, daß Philipp, trotz seines Vertrauens, einen Spaziergang vor dem Hause unternahm, um die Rückkehr des fremden jungen Mannes zu erwarten. Er hielt es selbst als Gatte für seine Pflicht, da es nicht unmöglich war, daß die reiche, allein stehende Wittwe – für die sie gehalten ward – mit ungebührlichen Anträgen bestürmt würde.

In Josephinen’s Zimmer zeigte sich Licht, und die Vorhänge wurden herabgelassen. Philipp ging eine Viertelstunde auf und ab, ohne die Thür außer Acht zu lassen. Das war eine Zeit, um mehr als einen Auftrag auszurichten. Wie gern hätte er das Haus betreten, und er sann auch schon auf einen schicklichen Vorwand dazu; aber was sollte Josephine von seiner Rückkehr denken, da er ihr gesagt, daß er erst am folgenden Morgen wiederkommen würde? Noch war er zu stolz, um Eifersucht zu zeigen, und Josephine stand ihm zu hoch, zu heilig, um sie durch Verdacht zu kränken.

„Was sie wohl gethan haben würde,“ fragte er sich, „wenn der Fremde während meiner Anwesenheit gekommen wäre? Ob sie mir morgen den Besuch mittheilt? O gewiß, sie hat keine Geheimnisse vor mir! Fast schäme ich mich, daß ich für Josephinen so entehrende Schlüsse ziehe. Sie hat mich aus reiner, uneigennütziger Liebe geheirathet, der klarste Beweis davon ist die Wiedererstattung des Vermögens, die sie so dringend betreibt.“

Das Geräusch der Thür ließ sich vernehmen und der junge Mann kam eilig heraus. Philipp trat hinter einen Baum, um sich seinem Anblicke zu entziehen, Dann folgte er ihm in kurzer Entfernung. Der Fremde hielt einen vorüberfahrenden Fiaker an, stieg ein, und verschwand. Philipp lächelte über seine Schwachheit und ging ruhig nach Hause.

Am nächsten Morgen verließ er schon früh seine Wohnung. Es schlug zehn Uhr als er die Treppe zu der Dachwohnung des Magisters hinaufstieg. Der Besuch, den er dem alten Herrn von Bornstedt abstatten wollte, war das Resultat seiner gestern mit Josephinen gepflogenen Unterredung; er sollte dazu dienen, die ersten direkten Einleitungen zu treffen. Aus dem kleinen Vorsaale trat ihm derselbe junge Mann entgegen, dem er Abends zuvor die Wohnung Josephinen’s bezeichnet hatte, Das blühende Gesicht mit dem blonden Barte erkannte er auf den ersten Blick wieder. Ohne zu grüßen, eilte er hastig die Stufen hinab.

„Gut,“ dachte Philipp, „vielleicht kann ich hier etwas von ihm erfahren.“

Elias, der den letzten Besuch entlassen hatte, stand des zweiten harrend an der schmutzigen Gitterthür.

„Zu wem wollen Sie?“ fragte des kleinen Mannes dünne Stimme durch die Stäbe.

„Finde ich den Herrn von Bornstedt zu Hause?“

[434] „Thut mir leid, mein Herr, er ist mit seiner Tochter ausgegangen. Der junge Mann, der Ihnen auf der Treppe begegnete, fragte ebenfalls nach ihm, Ich vermuthe, der Gesuchte wird bald heimkehren – wenn Sie ein wenig warten wollen –“

Diese Aufforderung kam Philipp gelegen, er folgte dem Magister in das Stübchen. Kaum traf das helle Licht die Gestalt des Besuchers, als Elias freudig überrascht ausrief:

„Ah, mein Herr, Sie sind es! Nicht wahr, ich hatte schon einmal die Ehre, Sie bei mir zu sehen? Ihr Besuch hatte die wohlthätige Folge für meinen Miethsmann – und ich konnte ihm so wenig Auskunft geben – ach, wie lieb ist es mir, daß ich Sie wiedersehe! Hätte ich Ihre Adresse gewußt, ich würde Sie aufgesucht haben.“

„Sie sind Magister?“

„Magister, Novellist und Correktor einiger unserer weitverbreitetsten Blätter.“

„So habe ich es mit dem gebildeten Manne zu thun, der meine Schritte nicht mißdeuten und die nöthige Discretion beobachten wird.“

Elias wickelte sich fester in seinen alten Schlafrock und verneigte sich.

„Die Familie Bornstedt ist Ihnen befreundet?“ fuhr Philipp fort.

„Ich theile Freud’ und Leid mit ihr. Alles, was sie betrifft, ist für nach von großem Interesse. Ich umspinne sie gewissermaßen mit den geheimen Fäden meiner Freundschaft, und wirke im Stillen so viel ich kann, um die Dankbarkeit der armen guten Menschen nicht zu provociren. So suche ich mich denn mit denen zu verbinden, die einen gleichen Zweck verfolgen, hinwieder aber auch die fern zu halten, die sich in feindlicher Absicht nahen. Ich habe einen köstlichen Schatz zu bewachen. Glauben Sie mir, ich bin Kenner – Anna ist eine seltene Perle. Sie vereinigt Jugend, Schönheit, Herzensgüte und Tugend in hohem Grade. Ich habe in dem Kinde schon einen vortrefflichen Grund gelegt. Freilich ist Anna nicht reich, sie besitzt nur ein Vermögen von dreihundert Thalern; aber sie bringt ihrem künftigen Gatten andere, größere Schätze – haben Sie die junge Dame schon gesehen?“

„Nein!“ antwortete Philipp, der seine Beziehung zu Josephine, wo er Anna gesehen hatte, nicht verrathen wollte.

„Doch, Verzeihung, lieber Herr,“ flüsterte der Magister mit einem Lächeln der Verlegenheit, „ich preise Ihnen da ein junges Mädchen an, und weiß nicht einmal, ob Uhr Herz noch frei ist. Sie sind wohl noch nicht verheirathet?“

Philipp mußte eine zweite Nothlüge aussprechen. „Ich bin unverheiratet!“ antwortete er lächelnd.

„Vortrefflich! Vortrefflich!“ rief Elias, der sich wieder in den Stoff zu seiner Novelle versenkte. „Sie haben dem Vater die Freiheit wiedergegeben, und Anna entbrennt in Dankbarkeit zu dem großmüthigen Retter. Sie dürfen sich dem Danke des guten Kindes nicht entziehen. Aber fürchten Sie nichts, ich bin discret, vor der Katastrophe, welche die handelnden Personen selbst herbeiführen müssen, kommt kein Wort über meine Lippen.“

„Wer war der junge Mann, der mir in der Thür begegnete?“

„Ja, lieber Herr, bestimmte Auskunft kann ich Ihnen nicht geben; aber ich habe so meine Vermuthungen. Er sagte mir, er käme von Madame Lindsor. Diese Dame ist nämlich eine reiche Engländerin, eine junge Wittwe. Wie mir scheint, ist jener schöne Mann ihr heimlicher Liebhaber. Ich müßte wenig Scharfsinn besitzen, wenn ich mich täuschen sollte.“

Dem armen Philipp rieselte es heiß und kalt über die Haut. Schon die Vermuthung des Magisters, dessen eigenthümliche Combinationen er mit seiner Gutmüthigkeit rechtfertigte, weckte das peinliche Gefühl der Eifersucht wieder, das er gestern Abend so großmüthig niedergekämpft hatte.

„Woraus schließen Sie das?“ fragte er, gewaltsam seine Verwirrung verbergend.

„Wie ich Ihnen schon gesagt, so liegt mir daran, die Personen kennen zu lernen, die nach der Familie Bornstedt fragen. Ich suchte ihn auszuforschen. Da drückte er mir freudig bewegt die Hand und sagte: „„Ihre Befürchtungen sind unnütz, Madame Lindsor ist eine so liebenswürdige Dame, daß sich jeder glücklich preisen kann, für den sie sich interessirt!““ – Mein Gott, gab ich zur Antwort, ich will die Dame nicht kränken. – „„Dann würden Sie in mir einen Gegner finden, der Sie vernichtet!““ rief der junge Mann, grüßte und ging. Sind Sie nicht meiner Ansicht, daß nur ein Liebhaber solches Feuer haben kann?“

„Er wollte also die Familie Bornstedt besuchen?“

„In einer dringenden Angelegenheit, wie er mir sagte. Weiter konnte ich nichts erfahren, denn er lief wie ein Besessener davon. Aber was ist Ihnen, lieber Herr? Sie zittern ja und sind bleich, als ob sie plötzlich krank geworden wären.“

„Herr Magister,“ sagte Philip ernst, „Sie müssen mir versprechen, meine Besuche gegen Jedermann zu verschweigen. Plaudern Sie, so kann Ihrer liebenswürdigen Schülerin ein Glück entgehen, das ihr jetzt so nahe bevorsteht.“

„Ich verbürge mein Ehrenwort! Uebrigens fürchten Sie den blonden Menschen nicht, Anna steht unter meiner speciellen Aufsicht, und meiner Einwirkung wird es möglich sein –“

„Auf Wiedersehen, Herr Magister!“

Philipp drückte dem kleinen Manne die Hand, und verließ hastig die Wohnung.

„Ich müßte ein schlechter Menschenkenner sein, wenn ich noch zweifeln wollte, daß der gute junge Mann eine zärtliche Neigung für Anna hegt!“ flüsterte Elias vor sich hin, als er wieder in seinem Stübchen war. „Was sage ich, eine zärtliche Neigung? Er ist schon Feuer und Flamme! O Himmel, nun habe ich wieder einmal vergessen, ihn um seinen Stand und Namen zu befragen! Das ist sehr unangenehm; aber es thut nichts, ein Novellist muß sich immer zu helfen wissen. Anna’s Liebhaber bleibt vorläufig ein Unbekannter, das reizt die Neugierde des Lesers, erhält die Spannung und giebt meinem Werke etwas Geheimnißvolles, wie man es jetzt liebt. Die Entwickelung ergiebt sich von selbst, ich brauche nichts zu erfinden. Nun will ich die zweite Scene ausarbeiten, ehe ich zu der dritten übergehe, werde ich wohl schon so viel von Madame Lindsor erfahren haben, daß ich sie dem Leser naturgetreu vorführen kann. Also zur Arbeit!“

Elias ergriff die Feder, sann einige Augenblicke nach, und begann emsig zu schreiben.



V.

Philipp befand sich auf dem Wege zu seiner Gattin. Es war die gewöhnliche Stunde, um die er ihr seinen Besuch abzustatten pflegte. Er ging langsam, um wenigstens so viel äußere Ruhe zu gewinnen, daß er der vielleicht unschuldigen Josephine seinen Seelenzustand verbergen konnte. Der junge Mann liebte zu leidenschaftlich, und die ersten Monate seiner Ehe waren unter so eigenthümlichen Verhältnissen dahingeschwunden, daß seine Eifersucht wohl wach werden konnte. In der festen Hoffnung, daß sie ihm den empfangenen Besuch unaufgefordert mittheilen würde, zog er die Glocke auf dem Vorsaale. Meta, die schon bejahrte Kammerfrau, öffnete die Thür. Eine Minute später ward er mit derselben Offenheit und Zärtlichkeit empfangen, die ihm Josephine stets bewiesen hatte. Sie befand sich noch im Negligée, da sie erst zu der Abendgesellschaft große Toilette machen wollte. Man unterhielt sich von der Soirée, und Josephine legte ihrem Gatten die Liste der Eingeladenen vor. Sie bestand aus vierzehn Personen, deren Bekanntschaft Josephine in den Abendgesellschaften des Banquiers gemacht hatte. Meta lud zum Frühstück ein, und man setzte sich zu Tische. Josephine sprach lebhaft von den getroffenen Einrichtungen, von der Sorge, deren sie sich durch die Soirée entledigte, und von dem neuen kostbaren Kleide, das sie heute zum ersten Male tragen würde. Der arme Philipp saß wie auf Nadeln, des verhängnißvollen Besuchs geschah mit keiner Sylbe Erwähnung. Da trat Meta ein. Sie brachte einen Brief von Madame F. Josephine öffnete und las. Ihre Züge verrieten eine unangenehme Ueberraschung.

„Madame F. wird diesen Abend nicht kommen!“ sagte sie gleichgültig, indem sie ihrem Gatten das Papier gab.

Philipp las die Zeilen, durch die der Banquier kurz und bündig ankündigte, daß ein Unwohlsein seine Gattin an das Zimmer fessele, und daß sowohl er als sie das Versprechen, diesen Abend zu erscheinen, zurücknehmen müßten. In der Abfassung lag eine Kälte, die nach Philipp’s Ansicht beleidigen sollte. Es waren nicht einmal die gewöhnlichen Höflichkeitsformen beobachtet.

[443] „Was ist das?“ fragte Philipp.

„Ich finde nichts darin!“ gab Josephine mit ihrem reizenden Lächeln zur Antwort. „Die gute Frau, die ihren Mann beherrscht, weil sie ihm ein großes Vermögen zugebracht hat, wird wieder einmal von Grillen geplagt. Man kann eine solche Ehe nur bedauern.“

„Sollte nicht ein Geheimniß zum Grunde liegen?“

„Mir ist keins bekannt geworden. Meine soeben ausgesprochene Vermuthung wird wohl die richtige sein. Die kleine capriciöse Frau hat eine zweite Soirée nicht zu erwarten. Die Sache ist zu unbedeutend, als daß wir uns länger damit beschäftigen sollten. Wie steht es, Philipp, mit der Familie von Bornstedt? Hast Du Dich dem armen Manne entdeckt, wie Du mir gestern versprochen?“

„Ich fand ihn nicht zu Hause.“

„O, säume nicht, lieber Freund! Du hast doch die Summe, die Du für das verkaufte Gut erhalten, nicht angegriffen? Wenn dies ist, so sage es mir, ich werde aus meinen Ersparnissen das Fehlende decken. Man soll nicht sagen, daß wir auch nur einen Thaler unrechtmäßig besitzen. Ich wiederhole es: lieber arm, als unredlich reich!“

Josephine hatte so dringend gesprochen, als ob in dem längern Zögern ein großer Verlust läge. Was konnte darauf ankommen, ob heute oder morgen die Uebergabe stattfände, da Vater und Tochter vor der Hand sorgenfrei leben konnten? Der Argwohn Philipp’s war einmal erwacht, und wie die Glut unter der Asche wuchs er still und unmerklich fort. Jedes Ereigniß gab ihm neue Nahrung, und der Brief des Banquiers, den Josephine lächelnd angenommen, erfüllte ihn mit einer schmerzlichen Besorgniß. Da fühlte er plötzlich den schönen Arm Josephine’s, der seinen Nacken umschlang.

„Mein Gott, Philipp, was ist Dir?“ fragte sie zärtlich, und indem sie mit ihren weißen Zähnen seine Wange berührte. „Du bist in ein so tiefes Brüten versunken, daß mir angst wird.“

„Die Annäherung an die arme Familie ist für mich eine schwere Aufgabe. Ich sinne nach, wie ich mich ihr auf eine Weise entledige, die so wenig als möglich meinen verstorbenen Vater compromittirt.“

„An diesen wichtigen Punkt haben wir noch nicht einmal gedacht! Philipp, wie liebe und achte ich Dich!“ rief sie bewegt. „Wir wollen zusammen überlegen, wie Du ein Vergehen Deines Vaters ausgleichst, ohne es anzuerkennen. Fast möchte ich Dir zürnen!“ fügte sie mit einer schmollenden Miene und in einem derselben entsprechenden Tone hinzu, daß dem armen Philipp wunderbar um’s Herz ward.

„Warum, Josephine?“

„Ich habe bei Deinem Eintritte schon bemerkt, daß Dir etwas auf der Seele lag. Anstatt daß Du es Deiner Gattin mittheilst, muß sie es ganz zufällig erfahren. Du hast ein Geheimniß vor mir gehabt, vor mir, die ich Dir Alles mittheile. Bin ich nicht auch die Tochter Deines Vaters?“

Sie konnte nicht fortfahren, denn Meta trat wieder ein. Sie trug wiederum einen Brief in der Hand.

„Vom Herrn Doctor B.,“ sagte die Zofe, indem sie das Papier überreichte. Dann entfernte sie sich wieder.

Philipp erinnerte sich, den Namen des Absenders auf der Liste der Gäste gesehen zu haben. Mit ängstlicher Spannung beobachtete er die lesende Josephine. Der Ernst ihrer wunderbar schönen Züge verwandelte sich in ein ironisches Lächeln.

„Auch der Doctor B. schreibt ab!“ sagte sie kalt und ruhig. „Er bezieht sich auf das Unwohlsein der Madame F., und da er durch den Banquier eingeführt werde, könne er aus Rücksichten mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nicht erscheinen.

Philipp fand, daß auch dieser Brief kurz und frostig abgefaßt war.

„Ich wundere mich nicht darüber,“ meinte die junge Frau. „Der Doctor ist zwar ein Mann der Wissenschaft, aber er macht dem Manne des Geldes, oder eigentlich seiner Frau, die Reverenz. Es sollte mich auch nicht wundern, wenn nun ein Geladener, der zu dem Doctor in Beziehung steht, ein ähnliches Billet folgen ließe. Nimm die Liste, Philipp, und streiche die Personen.“

Es ergab sich, daß diese beiden Familien die Hälfte der geladenen Gäste ausmachte. Bald kam ein drittes Billet an. Madame X. meldete, daß sie einen unerwarteten Besuch erhalten habe.

„Wer bleibt uns noch?“ fragte Josephine in großer Heiterkeit.

„Zwei Gäste.“

„Nenne sie.“

Philipp las aus der Liste! „Fräulein Bartels.“

„Eine Klavierspielerin, die wird nicht ausbleiben!“ lachte Josephine.

„Fräulein Canzona.“

„Eine Sängerin, die ich zur Unterhaltung der Gäste geladen hatte. Lieber Freund, schreibe den beiden Damen ein Absagebillet und lege einer jeden zwei Louisd’or bei – die Gesellschaft wird nicht stattfinden. Wir bleiben allein, speisen zusammen und unterhalten uns, so lange es uns gefällt. Während Du das kleine Geschäft besorgst, mache ich meine Toilette.“

[444] Heiter und unbefangen drückte sie einen Kuß auf seinen Mund und verschwand in dem Nebenzimmer.

Philipp besorgte mit beklommener Brust das ihm aufgetragene Geschäft. Jeder Andere würde die Dinge milder beurtheilt haben; er aber, dessen Verdacht einmal erregt war, zerbrach sich den Kopf darüber, ob Josephine nicht Veranlassung zu diesen Briefen gegeben haben könne. „Warum verheimlicht sie ihre zweite Heirath?“ fragte er sich. „Warum will sie immer noch für eine Wittwe gehalten sein?“ – Wie schwankend erschienen ihm die angegebenen Gründe, wenn er seine rasche Verheirathung und alles das bedachte, was sich seit gestern zugetragen hatte. Im Stillen segnete er die Hindernisse, die ihn von der Ueberlieferung seines Vermögens abgehalten hatten. Der Besuch des blonden jungen Mannes, den sie verschwieg, gewann eine furchtbare Bedeutung.

Bald erschien Josephine in einer einfachen, geschmackvollen Toilette. Seufzend betrachtete Philipp das reizende Geschöpf, das entweder der reinste Engel oder der boshafteste Dämon sein mußte. Sein Lebensglück hing von der Entscheidung dieser Frage ab, und er beschloß, mit großer Vorsicht die Lösung derselben zu suchen. Als er sich entfernte, hatte Josephine keine Ahnung von seinem Seelenzustande; sie erinnerte ihn heiter und unbefangen an den bevorstehenden Abend, und entließ ihn mit einem innigen Kusse. Er hatte nicht den Muth, ein Wort des Mißtrauens zu äußern.

Wäre Philipp eine Viertelstunde später gegangen, so hätte er einen Fiaker vor Josephine’s Wohnung halten gesehen, aus dem ein stattlicher Mann vielleicht von fünfzig Jahren stieg. Trotzdem er elegante Civilkleider trug, so ließ sich dennoch die Militairperson erkennen. Der volle gestutzte Bart über der Oberlippe war braun, das Haupthaar hingegen begann schon zu bleichen. Er sah aufmerksam nach der Hausnummer, dann, als er sie richtig befunden, stieg er die Treppe hinan. An der Thür las er die Namen: Josephine Lindsor.

„Ich bin am Ziele!“ murmelte er lächelnd. „Das ist der Name der Engländerin.“

Er zog seinen Oberrock aus, so daß er im schwarzen Fracke erschien. Auf der weißen, gestickten Atlasweste erglänzte ein Uhrgehänge von schwerem Golde. Auf dem Busenstreifen flimmerte ein Diamant. Nachdem er das Zeichen mit der Glocke gegeben, öffnete Meta die Thür.

„Madame Lindsor?“

„Sie befindet sich in ihrem Zimmer. Wen habe ich die Ehre anzumelden?“

Der Fremde überreichte eine Karte, mit der sich die Kammerfrau entfernte. Gleich darauf kam sie zurück und führte den Besuch in das Empfangszimmer. Mit prüfenden Blicken betrachtete er das Meublement. Wie festgebannt blieb er vor einem Oelgemälde stehen, das Josephinen vorstellte.

„Wenn dies ihr Bild wäre!“ flüsterte er überrascht. „Bei meiner Ehre, das sind die Züge eines Engels! Hat der Maler nicht geschmeichelt, so muß ich bekennen, daß ich nie ein reizenderes Frauenantlitz sah. Süperb, süperb, bei meiner Ehre!“

Jetzt trat Josephine ein. Hatte den Fremden das Portrait schon in Entzücken versetzt, so erfüllte der Anblick des Originals ihn mit einer Begeisterung, daß er fast die üblichen Formen der Begrüßung vergaß. Die junge Frau schien den Eindruck, den sie ausübte, mit großem Wohlgefallen zu bemerken. Sie verneigte sich lächelnd, indem sie verschämt flüsterte:

„Der Herr Major von Wildau bereitet mir eine Ueberraschung, auf die ich seit Wochen schon nicht mehr gerechnet habe!“

Der Angeredete vergaß jetzt vor Schrecken die schuldige Verbeugung.

„Wie,“ fragte er, „sollte ich das Unglück haben, zu spät zu kommen?“

„Sie sehen mich in diesem Augenblicke zum ersten Male, mein Herr – und schon sprechen Sie von einem Unglücke, wenn der muthmaßliche Zweck Ihres Besuchs ein verfehlter sein sollte. So schmeichelhaft dies für mich ist, so muß ich es dennoch für ein Kompliment halten –“

„Das ich Ihnen aus voller Seele zolle, Madame!“ sagte der Major, indem er ihre Hand ergriff, und mit dem Anstande eines Cavaliers einen Kuß darauf drückte. „Wir kennen Beide den Zweck unserer Zusammenkunft – wenn das erste Erblicken meiner Person nur einen halb so günstigen Eindruck auf Sie ausgeübt, wie jenes Portrait auf mich, so bedarf es nur noch der Besprechung von Nebenumständen, und wir sind am Ziele.“

Josephine erröthete, und entzog sanft ihre Hand der des Majors, der sie in der seinigen fest zu halten suchte.

„Verzeihung, mein Herr,“ sagte sie, „es ist mir unmöglich, sofort eine so wichtige Erklärung abzugeben. Ich bitte, nehmen Sie Platz!“

Beide saßen aus dem Sopha.

„Madame,“ begann der Major, „Freimüthigkeit ist von jeher eine der Tugenden gewesen, die ich am Höchsten achte, und deshalb habe ich mich bestrebt, sie stets zu üben. Erlauben Sie mir, daß ich auch Ihnen gegenüber, wo es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt, frei und offen sage, was ich fühle und denke.“

„Ich bitte darum, mein Herr, denn Sie haben dasselbe von mir zu erwarten.“

„Gut; bevor ich jedoch beginne, muß ich wissen, ob mein freimüthiges Bekenntniß am rechten Orte ist.“

„Was heißt das?“

Der Major ergriff abermals ihre Hand und flüsterte mit einem zärtlichen Lächeln:

„Sollte ich das Unglück gehabt haben, bei meinem ersten Erscheinen keinen günstigen Eindruck auf Sie ausgeübt zu haben, so wären alle weiteren Erörterungen unnütz.“

Josephine erröthete.

„Ich würde Sie wahrlich nicht veranlaßt haben,“ flüsterte sie gesenkten Blicks, „mir Eröffnungen zu machen, wenn sie für mich nicht von großem Interesse wären.“

„Wahrhaftig?“

„Ich versichere es bei meiner Frauenehre!“

„Nun, so versichere ich als Soldat und Edelmann, daß mir in der Welt nichts wünschenswerther erscheint, als Ihnen mein ganzes künftiges Leben zu widmen.“

Die junge Frau nahm diese Versicherung mit einer stummen Verneigung an.

„Nun, so kann ich beginnen!“ rief der entzückte Major. „Ich bin neunundvierzig Jahre alt, erfreue mich einer kernfesten Gesundheit, und besitze in Pommern ein Rittergut, das mir einen Reinertrag von jährlich zwölftausend Thalern liefert. Sie sehen, es ist alles vorhanden, was ein anständiger Haushalt erfordert. Vor fünf Jahren verließ ich den Dienst in der königlichen Armee, weil mir meine zu große Offenheit unter den höhern Vorgesetzten Feinde zugezogen hatte. Von jener Zeit an verwalte ich mein Gut selbst, und ich bereue, daß ich nicht schon früher auf diesen klugen Gedanken gekommen bin. In mir sehen Sie den einzigen Wildau, und außer einem erzliederlichen Vetter von mütterlicher Seite besitze ich keine Verwandte. Wenn ich nun so mein herrliches Gut betrachtete, wenn ich den Segen sah, der sich täglich mehrte, so stieg in mir der Gedanke auf: für wen schaffst du denn eigentlich? Wer genießt denn wohl die Früchte deines Schweißes, die je größer werden, je länger du arbeitest? Ah, dachte ich, wie schön muß das sein, wenn du die Gewißheit hast, du sammelst für deine eigenen Kinder, du kannst ruhig sterben ohne zu fürchten, dein Werk geräth in unwürdige Hände. Da dachte ich zum ersten Mal an’s Heirathen. Bei meinem abgeschiedenen Leben hatte ich wenig Bekannte, und bei ihnen klopfte ich als Freier an. Den Aeltern war der reiche Rittergutsbesitzer schon recht; aber den zarten Fräulein – wie rümpften sie die Nase bei meiner Offenheit, die sie Grobheit nannten! Sie fühlten sich selbst beleidigt, als sie erfuhren, daß ich mich nur deshalb verheirathen wolle, um mir Erben zu erzeugen. Eine wollte aus reiner Liebe heirathen und geheirathet sein; die andere erklärte geradezu, daß sie zu gut sei, um ihr Leben an das eines Bauern zu ketten. Da wählte ich einen Weg, auf dem einer meiner Bekannten zu dem glücklichsten Ziele gelangt ist. Ich ließ ein Heirathsgesuch in die Zeitungen rücken und empfing poste restante die Antworten der betreffenden Damen. Es erfolgten drei, aber ich bekenne offen, daß ich in Madame Lindsor die Lebensgefährtin gefunden habe, wie ich sie mir nur immer wünschen mag.“

„Sie sind ein Edelmann, Herr Major, und ich bin von bürgerlicher Geburt.“

„In dem letzten Briefe, Madame, haben Sie mir bereits Ihre Verhältnisse mitgetheilt; ich habe sie erwogen, und würde jetzt, nachdem ich das Glück gehabt, Sie zu sehen, jede Standesrücksicht unbeachtet lassen, wenn ich sie anders noch hegte.“

„Konnte ich auch einen solchen Erfolg nicht voraussehen,“ antwortete Josephine lächelnd, „so beantworte ich Ihr Gesuch dennoch aus dem Grunde, weil die in Ihrer Offerte angegebenen [445] Eigenschaften diejenigen sind, die mein zweiter Mann besitzen muß. Die zweite Wahl ist ungleich schwerer zu treffen als die erste, weil der Verstand die entscheidende Stimme hat. So mancher junge und reiche Bewerber hat sich mir vorgestellt –“

„O, ich glaube Ihnen, Madame!“

„Aber es war keiner unter ihnen, den mein Verstand billigte. Ich behaupte, daß ein in dieser Beziehung begangener Fehler nie wieder gut zu machen ist.“

„Ganz meine Ansicht!“

„Man muß an das reifere Alter denken.“

„Ganz recht!“

„Gegenseitige Achtung bildet die Basis einer glücklichen Ehe.“

„Ganz mein Grundsatz!“

„Und eine innige Freundschaft wird durch Runzeln und weiße Haare nicht beeinträchtigt.“

„Madame, das Schicksal hat zwei Menschen zusammengeführt, die für einander bestimmt sind!“ rief feurig der Major. „Ich biete Ihnen Herz, Hand und Vermögen an!“

„Ich würde eine Unredlichkeit begehen, wollte ich Sie in diesem Augenblicke durch ein Versprechen binden.“

„Wie?“

„Der Mann, dem ich für immer angehöre, darf mich nicht oberflächlich beurtheilen, er soll mich nach einer nähern Kenntniß schätzen und achten. Ich müßte jetzt schon in Ihren Augen verlieren, wollte ich durch Ihren mir so außerordentlich schmeichelhaften Eifer gewinnen.“

„Wohlan, ich bleibe eine Zeit lang in Leipzig, und wenn ich abreise, glaube ich die Gewißheit mit mir nehmen zu können, daß mir mein Heirathsgesuch eine schätzenswerthe und liebenswürdige Gattin verschafft hat.“

Der Major von Wildau hatte Josephinen ein ziemlich getreues Bild von seiner Person entworfen, und wenn er ihr den eigentlichen Grund seiner beabsichtigten Heirath verschwiegen, so glaubte er dadurch nur eine List auszuüben, um sich desto sicherer in den Besitz der Frau zu setzen, in die er sich während der kurzen Unterredung bis über die Ohren verliebt hatte. Madame Lindsor bezeichnete ihm nun die Stunden, in denen sie für ihn zu sprechen sei. Es war genau die Zeit, die Philipp zu seinen Arbeiten zu verwenden pflegte. Sie bat ihn, das angeknüpfte Verhältniß sehr geheim zu halten und bei seinen Besuchen sehr vorsichtig zu sein, damit sie der Medisance nicht preisgegeben würde, wenn er sich nach näherer Bekanntschaft bewogen finden sollte, zurückzutreten. Der Major, ein in seinen Entschlüssen rascher und consequenter Mann, sagte zwar nicht, daß er einen Rücktritt kaum für möglich halte, aber er dachte es. Ueber die Vermögensverhältnisse weigerte er sich zu verhandeln, da er der Mann sei, seiner Frau eine Subsistenz zu sichern. Er ging, und miethete sich in seinem Hotel ein Zimmer auf vier Wochen.

Kaum hatte Meta die Thür hinter ihm verschlossen, als sie zu ihrer Herrin eilte.

„War das der bewußte Heirathskandidat, Madame?“ fragte sie lachend.

„Ja, Meta!“

Er drückte mir einen Louisd’or in die Hand, als er schied. Seine Hand zitterte und sein Gesicht glühete vor Aufregung. Das sind Zeichen, die auf das Gelingen Ihres Plans schließen lassen.“

„Und dennoch glaube ich,“ sagte Josephine lächelnd, „daß dem Manne schwer beizukommen sein wird.“

„Sie sind schon Siegerin, Madame.“

„Gott gebe es, denn die Folgen einer Niederlage würden nicht wieder auszugleichen sein. Sei klug und verschwiegen, Meta, Du kannst Dich meiner Dankbarkeit versichert halten.“

„Ich werde meine Rolle schon spielen, Madame!“

Am Abend kam Philipp. Er schützte eine leichte Unpäßlichkeit vor, um seinen Gemüthszustand zu verbergen. Die junge Frau war ganz Aufmerksamkeit, ganz Zärtlichkeit und Bedauern. Sie sprach unverholen ihren Unmuth darüber aus, daß es ihr nicht vergönnt sei, ihm stets ihre Pflege widmen zu können.

„Was hindert uns, Josephine, die lästige Fessel zu brechen?“ fragte er. „Mir will es fast scheinen, als ob wir die Sclaven eines Vorurtheils wären.“

„Ist der Begriff von Ehre ein Vorurtheil?“ fragte sie ernst. „Philipp, Du bist von Herzen gut, aber schwanke nicht in Deinem Entschlusse. Die Welt ist einmal, wie sie ist, und wenn wir uns den Verhältnissen jetzt fügen, so sind wir dafür später in jeder Beziehung unabhängig. Ich fürchte mich nicht, mit Dir ein eingeschränktes Leben zu führen; aber ich fürchte den Reichthum, der uns nicht gebührt.“

„Nun, Josephine,“ rief Philipp, „auch ich leiste Verzicht auf ich will selbst nicht einmal hoffen, daß uns je ein rechtmäßiges Vermögen zufällt – der Versuch, meine literarischen Arbeiten zu verwerthen, ist geglückt, ich kann und will arbeiten, Josephine; aber schmälere mir nicht länger das Glück meines Herzens, zwinge mich nicht zu einem Raube an meiner Liebe! Warum wollen wir nicht gleich ein Leben beginnen, das uns im schlimmsten Falle bestimmt ist, das wir selbst erwählt haben?“

„Ach,“ seufzte die reizende Frau, „das ist auch mein innigster Wunsch, aber leider muß ich aus gebieterischen Rücksichten auf die Erfüllung desselben verzichten. Verzeihe mir, iieber Freund, daß ich in unserm eigenen Interesse mit ruhigem Verstande erwäge. Jetzt sind wir noch jung, und unsere Liebe genügt, uns glücklich zu machen. Wir haben nur für uns zu sorgen, und darben wir, so finden wir Ersatz in unserer Liebe. Aber bald schwinden diese poetischen Genüsse, unsere Empfindungen werden ruhiger, und das materielle Element des Lebens verscheucht die Poesie. Dieser Wandlung, Philipp, sind wir Alle unterworfen, sie ist ein Gesetz der Natur, dem sich kein Sterblicher entziehen kann. Es wäre eine große Unklugheit, wollten wir die Mittel unbeachtet lassen, die sich uns zur Milderung dieses bestimmt eintretenden Umstandes darbieten. Und dazu rechne ich meine Erbschaftsangelegenheit. Erfüllen sich meine Erwartungen nicht, nun, so habe ich mir später den Vorwurf nicht zu machen, daß ich etwas versäumt habe.“

„Josephine, auch diesen Grund lasse ich nicht gelten, denn er ist zu ängstlich! ich hege das feste Vertrauen, daß ich durch meine Arbeit die Sorgen verscheuche. Glaube mir, ich habe den Muth, diese Verpflichtung zu übernehmen, und Du, meine Gattin, wirst ihn aufrecht zu erhalten wissen.“

„Ja, Philipp, das wird mein Bestreben sein, weil es meine Pflicht ist. Ich weiß, wozu ich als Deine Gattin verbunden bin.“

„Und Du zögerst noch?“ fragte schmerzlich der junge Mann.

„Weil ich es ebenfalls für Pflicht erachte. Du giebst großmüthig Dein Vermögen hin –“

„Ich entbinde Dich von dieser Pflicht! Ich will ja nur Dich, Josephine, nur Dich!“

Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte:

„Philipp, habe ich nur Pflichten gegen Dich allein zu erfüllen?“

Der junge Mann stutzte; sein Argwohn erwachte wieder, und er fragte mit leise bebender Stimme:

„Josephine, sollte es inder Welt außer mir einen Sterblichen geben, der Ansprüche – –“

„Noch nicht!“ fuhr sie leiser fort, indem sie ihren Arm um seinen Nacken schlang. „Philipp,“ flüsterte sie erröthend, und indem sie ihren rosigen Mund an seine heiße Wange legte – „wir werden bald nicht mehr allein sein! Es kommt eine Zeit, wo mir ein drittes Wesen Pflichten auferlegt, und von diesen kannst Du mich nicht entbinden.“

Zwei große Thränen rannen über ihre Wangen, und fester drückte sie den Gatten an sich, der den Sturm von wunderbaren Empfindungen in seiner Brust kaum noch verschließen konnte. Einige Augenblicke stummen, süßen Entzückens folgten. Dann sank Philipp vor ihr nieder, und bedeckte ihre kleinen Hände mit Küssen und Thränen. Es drängte ihn, seinen Argwohn zu bekennen und um Verzeihung zu bitten; aber ihm fehlte der Muth, das herrliche Wesen in diesem Augenblick zu kränken, wo sie ihm ein so süßes, beglückendes Geständniß abgelegt hatte. Alle Zweifel waren verschwunden, und Philipp gelobte sich im Stillen, das Glück zu verdienen, das ihm seine Gattin gewährte.

„Begreifst Du mich nun?“ fragte sie verschämt, und sich zu ihm hinneigend.

„Ich folge Dir blindlings!“ rief der berauschte Philipp. „Bin ich schwach, so bin ich es aus Liebe zu Dir, darum sorge für mich und – –“

„Unser Kind!“ flüsterte sie ihm ganz leise in das Ohr.

Es war spät, als Philipp seine Wohnung betrat. Er konnte nicht schlafen, sein Glück beschäftigte ihn zu sehr, und im Angesichte desselben schämte er sich seiner Eifersucht. Er wollte keinen Verdacht hegen, denn er sagte sich, daß der Verdacht gegen eine Frau ein Verbrechen an der Liebe sei. Und sie war ja seine Gattin. [446] Nachdem er eine Stunde auf und abgegangen war, erschloß er seinen Secretär, legte Papiere in ein Portefeuille zusammen, und suchte mit dem festen Vorsatze sein Bett, morgen die Angelegenheiten mit dem Herrn von Bornstedt zu Ende zu bringen. Es erschien ihm selbst als keine schwere Aufgabe, dem alten Manne unumwunden die Motive seiner Handlung darzulegen. Philipp schlief endlich ein, um von dem Glücke zu träumen, das er von der Zukunft zu erwarten berechtigt war.



VI.

Gegen Mittag des nächsten Tages, ehe Philipp zu Josephinen ging, zog er die Klingel an des Magisters Thür. Elias öffnete, wie gewöhnlich. Auf Befragen antwortete er, daß Herr von Bornstedt zwar zu Hause, aber nicht allein sei.

„Wer ist bei ihm?“

„Der blonde junge Mann, der Ihnen neulich auf der Treppe begegnete. Ich glaube, er wartet auf Fräulein Anna, die mit meiner Frau ausgegangen ist, um Material zur Arbeit einzukaufen.“

„Auf Fräulein von Bornstedt wartet er?“ fragte Philipp, dem es lieb war einigen Aufschluß über ihn zu erlangen.

Der kleine Mann nickte lächelnd mit dem Kopfe. dann forderte er Philipp auf, einen Augenblick in das Zimmer zu treten.

„Sie meinen es gut mit der Familie, ich weiß es,“ begann Elias, „und deshalb hätte ich Ihnen gern eine bessere Nachricht in Bezug auf das Fräulein mitgetheilt.“

„Was wollen Sie sagen?“ fragte Philipp verwundert.

„Zunächst muß ich eine irrige Ansicht berichtigen. Ich sagte Ihnen, daß ich Gründe hätte zu glauben, jener blonde Herr sei der Liebhaber der Madame Lindsor.“

„So sagten Sie.“

„Er ist es nicht.“

„Und das wissen Sie genau?“

„Urtheilen Sie selbst. Gestern Abend, es war schon dunkel, komme ich aus der Druckerei. Ich bleibe unten auf der stockfinstern Hausflur stehen, um meinen kleinen Wachsstock anzuzünden, damit ich die steilen Treppen besser ersteigen kann. Während ich nach der Zündholzbüchse in meiner Tasche suche, treten auf einmal zwei Gestalten von der Straße herein. Ich bin Menschenbeobachter, lieber Herr, und lasse nicht gern eine Gelegenheit vorbeigehen, die mich belehren kann. So drücke ich mich in einen Winkel und lausche. Gleich an den ersten Worten erkannte ich unsern jungen Mann, und an dem folgenden Fräulein Anna. Das war eine Zärtlichkeit, ein Herzen und ein Küssen, wie ich es in einer Novelle nicht besser beschreiben kann. Für mich als Novellisten war dies eine kostbare Studie. Ach, seufzte Anna, hätten wir nur unser Vermögen noch, Du solltest nicht um elenden Lohn bei einem Advokaten schreiben, lieber Bernhard! – Was würdest Du thun, fragte Bernhard, wenn Dein Vater plötzlich sein ganzes Vermögen wieder erhielte? – Dann würde ich Dir gestatten, um meine Hand anzuhalten. – Wahrhaftig, Anna, Du verschmähst in diesem Falle den armen Schreiber nicht? – Ich würde ihm meine ganze Mitgift zur Verfügung stellen; so aber muß ich noch eine Zeit lang warten, denn es macht dem Vater Kummer, wenn er sieht, daß er meine Wünsche nicht erfüllen kann. – Anna, sagte Bernhard, warte noch einige Tage, und man bringt Deinem Vater das ihm gestohlene Vermögen in das Haus.“

„Wie!“ rief der erstaunte Philipp, „das sagte jener Mensch?“

„Ich habe es deutlich gehört; mir ist keine Silbe entgangen. Der junge Mann scheint mir ein großer Schwärmer zu sein, daß er von Dingen spricht, die in das Gebiet der Fabel gehören. Und so nahm es auch Anna, denn sie rieth ihrem Geliebten, sich eine einträglichere Stelle zu suchen. Dann schieden sie mit dem Versprechen, sich diesen Abend wiederzusehen. Das Fräulein sprang die Treppe hinauf, und ich folgte einige Augenblicke später nach.“

Dem armen Philipp wirbelte der Kopf. Jener Bernhard, dem er den Weg zu Josephine gezeigt, verrieth ein Geheimniß, das nur er und seine Gattin wußten. Was sollte er von ihrer Großmuth denken? Warum stachelte sie seine Ehre an und trieb ihn, das Vergehen seines Vaters auszugleichen? Er wollte keinen Verdacht hegen, und dennoch drängte er sich ihm gewaltsam auf.

„Sie sind traurig, lieber Herr“, unterbrach Elias sein Nachsinnen. „Ach ja, es ist Schade, daß Anna sich schon so weit eingelassen hat, es wäre eine Frau für Sie gewesen. Ich hätte sie Ihnen von Herzen gewünscht. Wüßte ich nur ein Mittel,“ sagte Elias halb in Gedanken und indem er sich mit der Hand die Stirn rieb, „Sie schadlos zu halten, ich hätte Sie so gern zum Helden meiner Novelle gehabt. Da habe ich schon an Madame Lindsor gedacht, die eine junge, reiche und schöne Wittwe ist – aber das geht auch nicht, die hat ebenfalls schon ihren Theil. Die Geschichte hat sich seit gestern so verwirrt, daß ich den ganzen Plan noch einmal umarbeiten muß.“

„Was sprechen Sie von Madame Lindsor?“ fragte Philipp, der Alles für einen Traum hielt.

Der Magister fuhr erschreckt zurück als er Philipp’s aufgeregte Züge sah.

„Ich kenne die Dame nicht, ich habe nur von ihr gehört, daß sie eine ausgezeichnete Frau ist, die sich nächstens mit einem steinreichen, schon ziemlich bejahrten Herrn verheirathen wird“, sagte Elias.

Der junge Mann sah den alten verschrobenen Novellenschreiber mitleidig lächelnd an.

„Sie haben sich wieder tief in die Romantik versenkt, Herr Magister,“ sagte er. „Wollen Sie denn durchaus, daß Madame Lindsor sich wieder verheirathen soll? Sie verwechseln Fiction mit Wahrheit dergestalt, daß man versucht wäre zu glauben –“

„Ach ja, mir schwindelt auch mitunter der Kopf! Indeß bei dieser Arbeit wird meine erschöpfte Phantasie kräftig unterstützt. Madame Lindsor wird sich im Ernste verheirathen. Ja, wir Poeten kommen hinter seltsame Geheimnisse! Dann und wann kündige ich im hiesigen Tageblatte an, daß ich poetische und prosaische Aufsätze gut und billig fertige – da kam diesen Morgen schon ein großer stattlicher Herr mit einem schwarzen Barte, und gab mir den Auftrag, ein Akrostichon zu fertigen. Das Gedicht, sagte er, solle zärtlich und geistreich sein, denn er habe es für seine Braut bestimmt, die er nächstens heirathen werde. Und nun rathen Sie, welche Namen er mir angegeben hat. Josephine Lindsor!“

Das war zu viel. Hätte ihn der Gedanke an das verrathene Geheimniß seines Vermögens nicht abgehalten, er würde in ein lautes Lachen ausgebrochen sein, Er ließ sich nun den Mann, der das Gedicht bestellt hatte, beschreiben.

„Wann will er die Verse abholen?“

„In einigen Tagen; das Hochzeitsgedicht soll ich ebenfalls anfertigen. Als ich ihn fragte, ob er einen besondern Gedanken ausgesprochen zu haben wünschte, gab er mir zu erkennen, daß das überaus glückliche Verhältniß durch ein Heirathsgesuch in der Zeitung entstanden sei, und ich solle darauf anspielen. Weiter weiß ich nichts.“

Philipp hielt es für gut, sich seiner Papiere noch nicht zu entäußern. Er bat den Magister, über den Heirathskandidaten Näheres zu erforschen und es ihm mitzutheilen.

„Der Mann ist ein Narr,“ sagte er unwillkürlich hinzu „es kann Madame Lindsor nicht einfallen, sich zu verheirathen. Sie leisten mir und der Dame einen Dienst, wenn Sie dafür sorgen, daß diese Geschichte, die entweder Dummheit oder Bösartigkeit erfunden hat, nicht weiter verbreitet werde.“

Philipp verließ den verwunderten Magister. Er suchte den einsamsten Theil der Promenade auf. Seine Lage war entweder eine sehr komische oder eine sehr ernste, Er wunderte sich zwar nicht darüber, daß Josephine Heirathsgelüste erregte, und es war natürlich, daß Annäherungsversuche nicht ausbleiben würden, was aber konnte den jungen Mann zu ihr führen, der Anna’s Geliebter war und die Rückerstattung des Vermögens in Aussicht gestellt hatte? Warum hatte man einstimmig und in einem so frostigen Tone den Besuch der Soirée abgelehnt? Das Resultat seines Nachsinnens war die Ansicht, daß man Josephine’s heimliche Ehe vermuthe, und aus Neid Intriguen spinne, um ihr zu schaden. Die Beschuldigung einer Bigamie war zu plump, als daß er ihr Glauben schenken konnte. Philipp beschloß, im Stillen zu forschen, seiner Gattin nach und nach die herrschenden Gerüchte mitzutheilen, und sie endlich zur Abreise zu bewegen. Dem poetischen Bewerber wollte er je nach Umständen eine heilsame Lection ertheilen.

[455] So verflossen acht Tage, ohne daß Josephine, die weder Besuche gab noch empfing, nach der Familie Bornstedt gefragt hatte. Philipp änderte nichts in seinem Betragen, aber er beobachtete jeden Umstand mit großer Aufmerksamkeit. Zunächst faßte er die Kammerfrau in’s Auge. Eines Tages kam er eine Viertelstunde früher als gewöhnlich. Meta öffnete ihm die Thür.

„Wo ist Josephine?“

„Madame hat im Augenblicke ihre Toilette vollendet.“

„Sie ist jetzt noch bei der Toilette?“

„Weil sie eine Spazierfahrt zu machen gedenkt. Der Wagen ist um elf Uhr bestellt. Sie rechnet fest auf Ihre Begleitung. Das Wetter ist schön, Madame will den Tag auf dem Lande zubringen.“

Philipp war erfreut über diesen Plan; er erblickte darin eine Aufmerksamkeit für seine Person, die er schon längst erwartet hatte. Um Josephinen zu überraschen, ging er nicht in das gewöhnliche Empfangszimmer, sondern in das Boudoir. Josephine befand sich in dem angrenzenden Schlafkabinette. Hut und Shawl lagen auf dem Sopha. Meta war dem jungen Manne auf dem Fuße gefolgt. Als Philipp sie fragend ansah, glaubte er eine Aengstlichkeit in ihren Zügen zu erblicken, die sie umsonst zu verbergen suchte. Mit einem erzwungenen Lächeln deutete sie auf die Thür des Kabinets, und dabei suchte sie sich dem Spiegeltische zu nähern. Diesen kleinen Manövern hätte Philipp keine Bedeutung beigelegt, wäre sein Verdacht nicht längst rege gewesen.

„Dort!" flüsterte Meta. „ueberraschen Sie Madame!“

„Sie will mich entfernen,“ dachte der bestürzte Philipp, „hier geht etwas vor.“

Und zugleich ließ er seine Blicke durch das Zimmer schweifen. Da sah er einen erbrochenen Brief auf dem Spiegeltische liegen.

„Gehen Sie nur hinein!“ flüsterte Meta, indem sie zwischen ihn und den Spiegel trat.

Ihr Bemühen, das Papier seinen Blicken zu entziehen, war unverkennbar.

„Sagen Sie Madame, daß ich sie begleiten würde!" flüsterte Philipp mit bebender Stimme.

Meta erschrak, als sie bemerkte, daß das Erblicken des Briefes eine solche Wirkung hervorgebracht hatte. Sie ging rücklings dem Tische zu, und ergriff mit den Händen, die sie auf den Nacken gelegt, das Papier. Das war ein unzweideutiger Beweis von der Wichtigkeit desselben, und daß man es ihm verheimlichen wollte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe und alle Rücksicht vergessend, entriß er mit bebender Hand der Kammerfrau das Papier. Meta war so bestürzt, daß sie erbleichend auf einen Sessel sank. Philipp öffnete den Brief, und zu seinem Entsetzen fand er ein zärtliches Gedicht, dessen Anfangsbuchstaben den Namen Josephine Lindsor bildete. Dann verschlang er die Zeilen, die das Gedicht begleiteten.

 „Geliebte, anbetungswürdige Frau!

„Zwar nur seit kurzer Zeit genieße ich das Glück Ihres vertrauten Umgangs, aber Sie haben mir eine Achtung und eine Liebe eingeflößt, die mein ganzes Herz ausfüllen. Nehmen Sie mich an, theuerste Josephine, ich bin der Ihre mit Leib und Seele. Feiern wir morgen schon in aller Stille unsere Verlobung, ich will Sie nicht länger in der Ungewißheit über meinen Entschluß lassen. Eine Vereinigung, die aus so edeln Motiven hervorgeht, kann nur glücklich werden. Mögen die Engländer mit dem Vermögen Ihres verstorbenen Mannes beginnen, was sie wollen, Sie sind die unbeschränkte Besitzerin des meinigen. Mit großer Zärtlichkeit, der ich in beifolgenden Zeilen Ausdruck verliehen, erwartet den morgenden Tag
Ihr verlobter Bräutigam 
Max.“ 

Der Magister hatte Recht gehabt. Eine Todtenblässe überzog des armen Philipp’s Gesicht, während er das verhängnißvolle Papier, das sein ganzes Lebensglück mit einem Schlage vernichtete, in der bebenden Hand hielt. So traf ihn die reizend geschmückte Josephine, die in diesem Augenblicke eintrat.

„Was ist das?“ fragte sie überrascht, und indem sie einen vorwurfsvollen Blick auf Meta warf.

Ungeachtet seiner furchtbaren Verfassung hatte Philipp diesen Blick bemerkt.

Meta wollte sich rechtfertigen. Josephine befahl ihr, das Zimmer zu verlassen. Philipp war mit seiner Gattin allein. Er sah sie mit Blicken des tiefsten Schmerzes, der bittersten Verzweiflung an.

„Philipp,“ sagte Josephine ruhig, „ich errathe Alles.“

„Und Du zitterst nicht?“ rief er unter Thränen aus. „Du hast den Muth, mit dieser Miene Deinem schwer betrogenen Gatten unter die Augen zu treten, während er die Beweise Deiner Schuld, Deines gräßlichen Betruges in der Hand hält?“

Die junge Frau zuckte leicht zusammen; dann aber kehrte ihre vorige Ruhe zurück.

„Philipp,“ sagte sie, „ich beklage den unglücklichen Zufall, der Dir ein Geheimniß verrieth, das Du erst später erfahren solltest. [456] Ich beklage ihn doppelt, da er mir zeigt, wie leicht Dein Vertrauen zu mir zu erschüttern ist.“

„Großer Gott, das ist zu viel!“ rief Philipp. „Madame, kennen Sie den Inhalt dieses Briefes?“

Sie bebte zurück vor dem plötzlich veränderten Tone.

„Ich kenne ihn!“ sagte sie mit Würde.

„Wollen Sie mich nicht glauben machen, daß diese Zeilen nicht an Sie gerichtet sind?“

„Nein, mein Herr, denn ich müßte lügen!“

„O, Sie vermuthen ohne Zweifel, daß alles Leugnen umsonst ist! Oder, was noch schlimmer, Sie halten es wohl nicht einmal der Mühe werth, sich zu entschuldigen! Ziehen Sie getrost den Vorhang weg, Madame, der mir bisher Ihre listigen Manöver bedecken sollte. Zeigen Sie sich wie Sie sind, denn mehr kann ich ja nicht erfahren, um zu begreifen, daß ich mich wie einen Knaben habe gängeln lassen.“

„Philipp,“ sagte Josephine würdevoll, „Sie sind mein Gatte. Ich fordere von Ihnen das Vertrauen, das Sie der schulden, die mit Ihnen ein Bündniß für das Leben eingegangen ist. Wie ich sehe, verurtheilen Sie mich, ohne mich zu hören. Sie halten mich eines Verbrechens an meinen heiligsten Pflichten fähig, nachdem Sie meine Ansichten von Recht und Pflicht kennen gelernt haben. Das ist ein unzweideutiger Beweis, daß Sie meine bisher beobachtete Handlungsweise und meine so oft ausgesprochenen Grundsätze für Heuchelei, für Verstellung halten.“

Der junge Mann war immer noch mehr Liebhaber als Gatte, und darum hatte er nur sein vernichtetes Lebensglück im Sinne. Sein Schmerz ward von einer Stimme übertönt, die ihm zurief: Sie kann nicht lügen, und warum sollte sie dich verrathen? Er sah zu ihr empor, um den Ausdruck ihres Gesichts zu prüfen. Die reizenden Züge Josephine’s waren zwar blaß, aber es sprach sich eine würdevolle Ruhe darin aus, die der gewandtesten Heuchlerin zur Ehre gereicht haben würde, wenn sie erkünstelt gewesen wäre. Ein Mann, der mit der ersten Glut der Leidenschaft liebt, der den sichern Blick des ruhigen Ehemannes noch nicht besitzt, mußte sie für wahr halten. Und Josephine war ja kaum noch seine Gattin, sie war für ihn noch die Geliebte, voll Reiz und jugendlicher Frische. Der Gedanke an das süße Bekenntniß, das sie ihm erst gestern abgelegt, paralysirte seine Aufregung. Es lag, trotz der schweren Anklage durch den Brief, so viel Entschuldigung in den obwaltenden Verhältnissen, daß er sein Verdammungsurtheil nicht auszusprechen wagte.

„Josephine,“ rief er bewegt, „was soll ich von dem Brief halten? Was läßt er mich nicht Alles voraussetzen? Und ich müßte Dich weniger lieben, sollte ich so ruhig bleiben, wie Du es vielleicht forderst! Der Schreiber dieser Zeilen muß entweder ein Roué oder ein Narr sein!“

„Er ist keins von Beiden, mein lieber Freund!“ sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. „Die Briefe eines Boshaften theile ich meinem Gatten mit, wenn es mir nicht gelingt, ihn in achtunggebietender Ferne zu halten, und die eines Narren anzunehmen, verschmähe ich, weil alle meine Neigungen, selbst meine Eitelkeit, durch den Besitz meines Gatten befriedigt werden. Es soll dies keine Schmeichelei sein, Philipp, um Dich zu entwaffnen; aber ich spreche es aus, weil ich nicht will, daß Du irgend einen Zweifel über meine Person hegen sollst.“

„Dann fordere ich Aufklärung von Dir, Josephine!“

Du wirst sie zu der Zeit erhalten, die mir die natürliche Entwickelung der Dinge vorschreibt. Du lächelst mit zuckenden Lippen, Philipp, und ich glaube Hohn in Deinen Zügen zu lesen: ist dies das Vertrauen, das Du mir so oft ausgesprochen hast? Habe ich Dir zu viel zugemuthet, wenn ich auf Dein unbedingtes Vertrauen baue? Es war bisher mein Stolz, einem Manne anzugehören, der mich achtet und liebt, weil er jede Falte meines Herzens kennt – jetzt sehe ich, daß ich mich getäuscht habe. Du kennst mich nicht, Philipp, sonst würdest Du einen so furchtbaren Verdacht nicht hegen, der mich zu einer Verbrecherin, zu einer Courtisane herabwürdigt. Philipp,“ fügte sie feierlich hinzu, „ich habe Dir vor dem Altare Treue und Liebe geschworen – ich erfülle eine traurige Pflicht, aber ich erfülle sie dem Gatten unaufgefordert: ich schwöre es bei Gott, daß ich meinen ersten Eid nie verletzt habe!“

„Großer Gott, Josephine, aber dieser Brief?“

„Ich würde ihn Dir selbst vorgelegt haben, sobald die Zeit dazu gekommen wäre.“

„Gieb mir jetzt Aufklärung, nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“ bat Philipp.

„So genügt Dir mein Schwur nicht?“ fragte sie, bestürzt zurückweichend. „Ich habe Gott zum Zeugen angerufen, und Du vermagst Dich nicht zu beruhigen? Das ist mehr, als ich gefürchtet habe!“

Sie trocknete mit ihrem weißen Spitzentuche eine Thräne aus dem großen Auge, während sich ein tiefer Seufzer ihrem Busen entrang.

„Philipp,“ begann sie nach einer kurzen Pause, „ich konnte zwar diesen unglückseligen Zufall nicht voraussehen, eben so wenig als ich Dein grenzenloses Mißtrauen fürchtete; um aber so viel als möglich Deine Ruhe zu sichern, habe ich Dich von heute an stets um mich haben wollen, damit Du Zeuge aller meiner Handlungen wärst. Die Landparthie sollte Dich für den ganzen Tag an mich fesseln.“

„Wohlan, Josephine, so zeige Dich von diesem Augenblicke an öffentlich als meine Gattin!“

„Du kennst die Rücksichten, aus denen ich die Oeffentlichkeit meide,“ antwortete sie im Tone wehmüthigen Schmerzes. „Aber bleibe von diesem Augenblicke an bis zu unserer Abreise bei mir, und bist Du dann nicht vollständig befriedigt, kannst Du mir Dein volles Vertrauen nicht zurückgeben, so füge ich mich in jeder Beziehung Deinem Willen. Die so eben stattgehabte Unterredung werde ich vergessen – ich verspreche es Dir! Behalte den Brief, Du wirst seiner bald bedürfen.“

Der Stolz des Ehemannes und die Eifersucht des Liebhabers ließen ihn schweigend einwilligen. Nachdem Meta gemeldet, daß der bestellte Wagen angekommen sei, bot Philipp seiner Frau den Arm und führte sie hinunter. Während des ganzen Tages bewiesen sich die beiden jungen Leute jene Aufmerksamkeiten, die nicht völlig frei von Affectation sind. Ihre Blicke verriethen eine erzwungene Heiterkeit, welche diejenigen zu erkünsteln sich bemühen, die sich selbst täuschen wollen. Philipp konnte trotz der erhaltenen Versicherungen seine Zweifel nicht verbannen, und Josephine, die den Zustand ihres Gatten zu beurtheilen vermochte, empfand Besorgnisse und ein inniges Mitleiden. Aber Beide hegten ein gegenseitiges Vertrauen, sie liebten und hatten sich zu rein geliebt, als daß sie nicht auf eine giückliche Fügung der Dinge hoffen sollten. Josephine beobachtete mit klugem Takte ein Benehmen, das den Verdacht von ihr entfernte, als wollte sie den Argwohn ihres Gatten durch übergroße Zärtlichkeiten einschläfern. Eine schmerzliche Freundlichkeit verrieth, daß es ihr einige Ueberwindung kostete, das gegebene Versprechen zu halten. Sie machte die Zeit der Rückkehr von Philipp abhängig, und dieser schob sie so weit als möglich hinaus. Es war zehn Uhr Abends, als sie die Stadt wieder erreichten. Nach dem Abendessen wollte Philipp sich entfernen.

„Wohin?“ fragte sie lächelnd.

„Nach meiner Wohnung!“

„Dort ist Dein Schlafzimmer, Philipp; es wird durch eine Thür von dem meinigen getrennt. Hast Du unser neues Uebereinkommen vergessen?“

„Ich habe mir vorgenommen, Dir ferner nicht mehr zu mißtrauen.“

„Und Deine Frau fordert von Dir, daß Du bleibst. Sie wird die Gewährung dieser Forderung für den Beweis halten, daß Du sie nicht für schuldig hältst! In Deiner Wohnung weiß man, daß Du auf einige Zeit verreis’t bist.“

„So füge ich mich, weil Du es willst!“

Philipp zitterte unter dem Kusse, den ihm das reizende Weib zur guten Nacht auf den Mund drückte. Er betrat sein Schlafgemach und machte seine Nachttoilette. In welcher sonderbaren Lage befand er sich! Er war ein Gast bei seiner eigenen Frau und zugleich ihr Hüter. Tausend Gedanken, tausend Vermuthungen durchkreuzten seinen Kopf. Was kann sie beabsichtigen? fragte er sich. Warum treibt sie mit einem Dritten ein Spiel, das mir und ihr gefährlich werden kann? – Er zog noch einmal den Brief hervor, den er in seiner Tasche verwahrt hatte, und las ihn. Dann blieb er gedankenvoll in dem Sessel sitzen. Und war es auch nur ein Spiel, das sie trieb, es bemächtigte sich seiner ein Schmerz, den die Erinnerung an das bisher genossene Glück vermehrte. Aber die trauernde Liebe, der die feste Ueberzeugung des [457] nur augenblicklich getrübten Glücks bleibt, gewährt eine bald freudige, bald schmerzliche Wollust, und Philipp empfand diese Wirkungen in einem Maße, daß ihn der Schlaf floh.

Mitternacht war vorüber, und immer noch saß Philipp neben dem Tische, auf dem das fürchterliche Papier lag. Die Kerze war tief herabgebrannt. Da öffnete sich leise die Thür und Josephine schlich vorsichtig herein. Als sie den sinnenden Mann erblickte, der ihr Erscheinen nicht bemerkte, sah sie wie flehend zum Himmel empor, indem sie einen Seufzer unterdrückte. Sie wollte bezaubernd sein, und sie war es. Ein elegantes Negligée von weißem Batist schloß ihre üppigen Formen ein. Der Busen war nachlässig verhüllt, und das dunkele Haar quoll in wirren Locken auf die blendend weißen Schultern herab. Pantoffeln von violettem Sammet bekleideten den kleinen Fuß. Mit der Miene der Siegerin schlich sie leise näher und legte ihre niedliche Hand, an welcher der Trauring glänzte, über die Augen ihres Mannes. Dann neigte sie sich zu seinem Ohre, daß ihr Athem ihn anhauchte und die Spitzen ihrer Zähne ihn berührten, indem sie flüsterte!

„Woran denkst Du?“

Und indem sie ihn an sich drückte, umschlang sie ihn mit ihren Armen, als ob sie ihn seinen bösen Gedanken entreißen wollte. Dann küßte sie seine heiße Stirn.

„An Dich!“ antwortete er.

„In welchem traurigen Tone sagst Du mir das! Philipp, Du leidest!“ fügte sie theilnehmend hinzu.

„Ja, Josephine, ich will es Dir nicht verbergen. Soviel ich auch kämpfe, ich kann den Inhalt jenes Briefes nicht vergessen, so lange er mir ein Geheimniß bleibt. Er hat mein Innerstes verletzt, ich muß es eingestehen. Es drängen sich mir Vermuthungen auf, die meine Liebe verwirft, und ich liebe Dich mit derselben Innigkeit. Du bist meine Gattin, und meine Gattin hegt Gedanken, die mir unbekannt bleiben sollen? O, ich weiß, was Du sagen willst!“ rief er aus, als er sie bitter lächeln sah. „Aber dasselbe habe ich mir tausendmal gesagt seit den zwei Stunden, die ich hier sitze.“

Josephine erhob sich und sah mit einem schmerzlichen Lächeln vor sich hin.

„Ich bedauere Dich und mich, Philipp!“ flüsterte sie. „Dich, weil Dein Glück getrübt ist, ohne Deine Schuld, und mich, weil ich Dir weniger bin, als ich Dir sein wollte. Fast muß ich glauben, daß eine Ehe, wie ich sie mir denke, zu den Verhältnissen gehört, die man nicht erschaffen kann, wenn sie der Zufall nicht fügt. Du weißt, daß mich nicht Liebe, sondern nur Dankbarkeit an meinen ersten Mann fesselte, und bei der großen Verschiedenheit unsers Lebensalters konnte dies auch nicht anders sein. Ich hing an Lindsor wie die Tochter an dem Vater, ich war eine Gattin ohne Gatten. Mein Mann war ein Engländer, mit allen Vorzügen und Schwächen seiner Nation begabt. Er war eitel, selbst stolz darauf, wenn man seine junge Frau bewunderte und ihn darum beneidete; aber nie hat er mich durch Eifersucht oder Verdacht gekränkt. Als man ihn darum befragte, gab er zur Antwort: wenn ein junges Mädchen die Pflicht der Dankbarkeit so weit ausübt, daß sie ihr junges Leben an ein altes knüpft, daß sie auf das Glück der Liebe Verzicht leistet, nur um die letzten Tage ihres bejahrten Vaters zu verschönen und die Ehre desselben zu retten – dann, mein Freund, ist der leiseste Verdacht ein Verbrechen, dann giebt es keine Charakterconsequenzen mehr in der Welt, wollte man annehmen, daß Josephine meine Ehre verunglimpfen kann. Hätte nicht schon ein natürliches Prinzip meine Handlungen geregelt, diese Kundgebung eines mich hoch ehrenden Vertrauens würde mich zu dem größten Opfer befähigt haben. Schon vor der Abreise meines ersten Mannes sah ich Dich, und ich verhehle nicht, daß eine Veränderung in mir vorging, die mich zittern machte. Aber ich kannte meine Pflicht, und nur erst als ich dieser entbunden war, folgte ich der ersten Regung der Liebe, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Mein Mann empfing mich zwar als eine Wittwe, aber ich brachte ihm alle Empfindungen einer Jungfrau mit, die zum ersten Male liebt. Philipp, ich konnte an dem Manne nicht zur Verrätherin werden, den ich nur achtete; soll ich Dich verrathen, den ich liebe und den ich nun auch unbedingt achten muß, nachdem er seinen schönen Charakter so glänzend an den Tag gelegt hat? Du giebst jener armen Familie ein so großes Vermögen zurück, und mir verweigerst Du das Geschenk Deines Vertrauens? O, mein Gott, jetzt, wo Du mir zum ersten Male beweisen kannst, daß Du mich am Höchsten achtest in der Welt, jetzt würdigst Du mich in eine Klasse von Frauen herab, welche die tiefste Verachtung verdienen. Dem Schreiber jenes Briefes glaubst Du – mir nicht! Ich habe Dir genügende Aufklärung versprochen und doch hältst Du mich für schuldig. Du siehst mein Bemühen, Deinen Argwohn zu zerstreuen; und dennoch hegst Du ihn, Dir und mir zur Marter. O, ich habe schon zu viel gesprochen ein einziges Wort hätte hinreichen müssen. Philipp, Du liebst mich, aber Du verstehst mich nicht!“

Die letzten Worte hatte sie mit bebender Stimme gesprochen. Sie wandte sich ab und bedeckte ihr Gesicht.

„Josephine,“ sagte der junge Mann, indem er ihre Hand ergriff, „ich will ruhig sein, ich verspreche es Dir! So lange ich kann, will ich Dein Geheimniß achten; aber ich wiederhole es, gieb mir Aufklärung nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“

„Könnte ich, so sollte es gleich geschehen; aber Rücksichten für Dich verbieten es mir. Wäre in jenem Briefe von weniger als von einer Heirath die Rede, ich würde es nicht über mich gewinnen können, Dich länger in dieser Ungewißheit zu lassen. So aber, mein Freund, prüfe mit dem Verstande, und nicht mit dem Herzen. Gute Nacht, Philipp!“

Sie küßte ihn und entschlüpfte rasch in ihr Zimmer.

„Sie hat Recht!“ dachte Philipp, und ging zu Bett. Er schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß ihn nur noch die Neugierde plage, und es gelang ihm, einzuschlafen.

Wenn ein Gewölk den klaren Horizont zweier Liebenden getrübt, die das höchste Glück in dem gegenseitigen Austausche ihrer Gefühle gefunden, so bleibt stets eine Spur in den Genüssen zurück, nachdem es sich wieder verzogen hat. Wie das Land nach dem Regen sich erfrischt, so wird die Liebe entweder lebendiger, oder die Erschütterung dauert fort wie der Donner, der noch einige Zeit bei hellem Sonnenscheine nachhallt. Die Liebe vermehrt oder verringert sich.

Der unbekannte Bewerber hatte versprochen, am andern Tage zu erscheinen. Philipp’s Unruhe läßt sich denken. Er beobachtete Josephine – sie war liebenswürdig und unbefangen, wie immer. Sie verrieth durch kein Wort, keine Miene, daß eine wichtige Katastrophe bevorstehe. Als sie gegen Mittag aus ihrem Boudoir trat, hatte sie eine reizende Toilette gemacht.

„Willst Du ausgehen?“ fragte er.

„Nein. Es ist möglich, daß ich Besuch erhalte.“

Und dabei lächelte sie erröthend. Dann hing sie sich an seinen Arm, und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Plötzlich ward draußen die Glocke gezogen. Die beiden Gatten blieben stehen und sahen sich lächelnd an. Philipp glaubte zu bemerken, daß Josephine’s Hand ein wenig zitterte.

„Willst Du den Besuch allein empfangen?

„Du bist mein Gatte, und hast zu bestimmen.“

In diesem Augenblicke trat Meta ein und meldete mit lauter Stimme:

„Ein Fremder, der sich Major von Wildau nennt, wünscht Madame zu sprechen!“

Philipp erbleichte.

„Major von Wildau?“ wiederholte er.

„Hier ist seine Karte!“ sagte die Kammerfrau, sich verneigend.

„Er ist’s!“ flüsterte der junge Mann, nachdem er den Namen auf dem eleganten Blatte betrachtet hatte. „Was mag er wollen?“ fragte er in sichtlicher Bestürzung.

„Wir werden es erfahren, wenn wir ihn empfangen!“ antwortete Josephine ruhig.

„Meta, führen Sie den Fremden in den kleinen Saal!“ sagte Philipp.

Die Kammerfrau entfernte sich.

„Was ist Dir, lieber Mann? Die Ankunft des Majors hat Dich in eine seltsame Aufregung versetzt. Kennst Du ihn?“

„Ich glaube. Josephine, empfange ihn zunächst allein. Du wirst mir gestatten, daß ich in dem kleinen Kabinette der Unterredung beiwohne, das durch eine Vorhang von dem Saale getrennt wird. Weder Eifersucht noch Mißtrauen veranlassen mich, ein unsichtbarer Zeuge zu sein – ich schwöre es Dir, Josephine! Der Major wird ohne Zweifel nach mir fragen; aber nimm seine Aeußerungen mit Vorsicht auf, er ist ein grober, auf seinen Reichthum pochender Hagestolz, der eigentlich abgewiesen zu werden verdiente. Aber fürchte nichts; sollte er Dich beleidigen, selbst nur durch ungeziemende Worte Dich kränken, so steht Dein Mann Dir zur [458] Seite. Er ist meinetwegen gekommen, und kannst Du es, so verbirg ihm unsere Heirath, ich selbst werde sie ihm mittheilen.“

„Jetzt spielst Du den Geheimnißvollen!“ sagte die junge Frau, indem sie lächelnd mit dem Finger drohete. „Hegte ich nicht ein unbegrenztes Vertrauen zu meinem Manne, so würde ich schließen müssen – –“

„Schließe und denke nichts, Josephine, was Du von dem Major auch hören wirst. Gleich nach seiner Entfernung gebe ich Dir Aufschlüsse – –“

Josephine verneigte sich, und ging in den Saal.

„Ich bedarf der Aufschlüsse nicht, denn ich weiß bereits Alles!“ flüsterte sie vor sich hin.

„Was ist das? Was ist das?“ fragte sich Philipp. „Der Major sucht meine Frau auf? Der brutale Mensch ist sicher nur gekommen, um mir zu schaden. Aber wie kann er wissen, daß ich mich in Leipzig aufhalte? Wer hat ihm meine Verbindung mit Josephine entdeckt?“

So leise, als es seine Aufregung erlaubte, schlich er über den Corridor in das Kabinet. Als er die Falten der grünen Gardine ein wenig auseinanderzog, sah er den Gast neben seiner Frau auf dem Sopha sitzen, das dem Verstecke gegenüberstand. Der Lauscher konnte genau die in einer Unterredung begriffenen Personen beobachten.

„Er ist es!“ flüsterte Philipp, der leise zitterte. „Ich werde seinen bösartigen Plan auf eine Weise vereiteln, daß er mir nie wieder in den Weg treten soll.“

Wie erstaunte Philipp, als er sah, daß der Major die Hand seiner Frau ergriff und in einem zärtlichen Tone, den er bei dem derben Soldaten nie gekannt, flüsterte:

„Nicht wahr, Madame, Sie erlauben mir, daß ich dem Drange meines Herzens folgen und Sie Josephine nennen darf?“

„Herr Major, jeder Ausdruck Ihrer Achtung und Zuneigung ist mir willkommen!“ antwortete sie, mit dem sichtlichen Bemühen, von dem Lauscher deutlich verstanden zu werden.

„O, zweifeln Sie nicht, daß Sie beide Empfindungen lebhaft in mir angeregt haben. Daß ich völlig mit mir im Klaren bin, habe ich Ihnen bereits in meinem Briefe angezeigt. Sie sind die Frau, wie ich sie mir wünsche, und darum empfangen Sie den Verlobungsring.“

Fast hätte Philipp seine Anwesenheit verrathen, als er in dem Major den Heirathskandidaten kennen lernte, der ihm so viel Sorgen gemacht hatte. Statt in der gefürchteten bösartigen Absicht, war der Major in der zärtlichsten von der Welt gekommen – er wollte die reizende Josephine heirathen.

„Warum mystifizirt sie den Major?“ fragte er sich zitternd. „Wo hat sie ihn kennen gelernt, und wo hat die Annäherung stattgefunden? In welcher Absicht hat sie diese seltsame Heirathsgeschichte eingeleitet?“

Er sollte bald die Antwort auf diese Fragen erhalten.

„Bevor ich Ihren Ring annehme,“ sagte Josephine, „muß ich Ihre Bedingungen kennen lernen –“

„Mein Gott,“ rief der begeisterte Major, „reden wir nicht von Bedingungen! Doch ja, eine Bedingung habe ich Ihnen zu stellen.“

„Und welche?“

„Daß der Verlobung sofort die Vermählung folgt. Ich habe einen wichtigen Grund, meine junge Frau sofort mit mir zu nehmen.“

„Fürchten Sie meine Untreue, wenn Sie mich noch einige Zeit in Leipzig zurücklassen?“ fragte Josephine lachend.

„Nein, Josephine, nein! Bei meiner Ehre als Soldat: nachdem ich Ihre Grundsätze kennen gelernt, kann es mir nicht einfallen, den leisesten Verdacht zu hegen. Die Eifersucht ist in meinen Augen das häßlichste Laster an einem Bräutigam oder Ehemann. Beweist sie nicht, daß er sich unfähig fühlt, das Herz seiner Geliebten ganz auszufüllen? Oder daß man ihr nicht trauen darf? Madame, regte sich Mißtrauen in mir, so würde ich Ihnen diesen Ring nicht anbieten.“

„Und dennoch wollen Sie mich sofort mit sich nehmen?“

„Der Grund liegt bei mir, Madame, und ich will ihn nicht verhehlen. Sie erinnern sich, daß ich von einem erzliederlichen Neffen sprach, einem Sohne meiner verstorbenen Schwester.“

„Ganz recht.“

„Dieser Bursche wäre mein Erbe, wenn ich ohne Kinder bliebe. Vor länger als einem Jahre erfuhr ich, daß er in Berlin ein leichtfertiges Leben führe, und daß er mit einer Frau von höchst zweideutigem Rufe sein väterliches Vermögen vergeude. Ich hätte mich den Teufel um ihn gekümmert, wenn nicht ein Testament meines Vaters vorhanden wäre, wonach mein Gut Wildau auf meine Schwester oder deren Kinder übergehen solle, wenn ich unverheirathet bliebe. Der einzige Junge meiner Schwester, Philipp, kennt diese Testamentsklausel, und darum wirthschaftet er eben so darauf los, wie sein Vater, der leichtsinnig und pflichtvergessen seine arme Frau in das Grab gebracht hat. Das Sprüchwort bewährt sich: der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ich schrieb also vor ungefähr einem Jahre an meinen saubern Neffen, und ermahnte ihn, seine kostspielige Geliebte und sein verschwenderisches Leben aufzugeben. Ja, da kam ich schön an! Die Geliebte, eine von ihrem Manne getrennt lebende Frau, muß ihn völlig in ihrer Gewalt haben, denn er antwortete mir in einem höchst impertinenten Tone, daß ihm seine Geliebte mehr werth sei, als der Onkel, der außerdem als ein Hagestolz die Liebe nicht zu beurtheilen verstehe. Zugleich rieth er mir, mich um seine Verhältnisse ferner nicht zu kümmern, und ruhig meinen Acker zu bebauen. Meinen Groll, Madame, können Sie sich denken, als ich später erfuhr, daß er sein Gütchen verkauft habe, um das Geld seinem Götzen zu opfern. Nun faßte ich den Entschluß, mir eine Frau zu nehmen. Das Uebrige wissen Sie bereits. Ich war so glücklich in meiner Wahl, daß ich dem Jungen, der mich dazu veranlaßt, verziehen haben würde, hätte er nur die geringste Lust zur Umkehr auf einen bessern Weg gezeigt. Gestern schreibt mir mein Correspondent aus Berlin, er habe erfahren, Philipp sei mit jener Person, deren Mann plötzlich gestorben wäre, verheirathet, und Beide schmiedeten nun eine Intrigue gegen mich, um auf Grund des vorhandenen Testaments Geld zu erpressen. Ah, Madame, ich muß gesattelt sein, denn mein Neffe artet nach seinem Vater, von dem die rechtlichen Leute sagten, daß sie keinen Prozeß mit ihm haben möchten. Schon bei dem Worte Prozeß sträuben sich mir die Haare empor! Eine Heirath schützt mich vor allen Angriffen, ich verschreibe meiner Frau mein Vermögen, und kann ruhig und zufrieden leben. Das ist mein Geheimniß, ich habe Ihnen nicht mehr zu entdecken.“

Die letzten Eröffnungen des Majors waren Philipp ein Räthsel, denn es war ihm nicht in den Sinn gekommen, irgend etwas gegen den Bruder seiner Mutter zu unternehmen, obgleich er die Hoffnung auf die Erbschaft nicht aufgegeben hatte.

„Herr Major,“ begann Josephine, „Ihre Offenheit ehre ich, denn sie beweist mir, daß ich es mit einem redlichen Manne zu thun habe.“

„Ich rede, wie ich denke, Madame, und meine zukünftige Frau muß alle meine Familienverhältnisse kennen. Sie soll nicht zufällig erfahren, was ihr zu wissen gebührt. Und darum wiederhole ich, daß ich mich jetzt aus reiner Neigung verheirathe, wenn ich auch die angegebenen Rücksichten nicht ganz außer Acht lasse.“

„Ihr Neffe, Herr Major, ist also der Grund, daß wir uns kennen gelernt haben?“

„Ja.“

„Denn es ist meine Pflicht, daß ich mich für ihn verwende; er soll nicht sagen, daß ich ihm Alles geraubt habe. Wie Sie mir mittheilten, ist er mit seiner Geliebten verheirathet – kennen Sie seine Frau?“

„Nein; aber man sagt, daß sie eine ausgemachte Kokette sei, für die sich der junge Mensch ruinirt habe. Und der Beweis liegt ja vor – warum hat er sein Gut verkauft? Es thut mir leid, daß ich Ihnen die erste Bitte versagen muß.“

„Verzeihung, mein Herr, wenn ich beharre. Die Welt liebt es, zu übertreiben, und sie verurtheilt oft eine Frau nach dem bloßen Scheine. Wenn Sie nun der Gattin Ihres Neffen Unrecht gethan hätten?“

„O, Madame, dann will ich mein Unrecht bekennen, dann will ich die ersten Gründe fallen lassen, wie auch bereits geschehen, und verheirathe mich aus Achtung und Liebe.“

„Ihre Dienerin, mein Herr!“ sagte Josephine, sich stolz verneigend. „Damit wäre ich zufrieden gestellt, aber nicht ihr armer Neffe, den Sie doch nicht vergessen dürfen.“

„Ich wünsche ihm, daß er eine eben so schöne und achtbare Frau besitzen möge, als mir das Glück in Ihnen, Madame, zugeführt hat.“

„Und wenn dies der Fall ist?“ fragte Josephine mit einem reizenden Lächeln.

[460] „O, ich kann Alles versprechen, denn dieser Fall wird nicht eintreten;“ rief der Major.

„Sie machen mich erröthen, mein Herr! Sie dehnen Ihre Galanterie bis zu einem Grade aus –“

„Wie Sie ihre Bescheidenheit und Gutherzigkeit, theuere Josephine! Bei meiner Ehre,“ fügte er feurig hinzu und indem er ihre Hand ergriff, „gleicht Philipp’s Frau Ihnen, so soll er sich über mich nicht zu beklagen haben, denn ich finde seine Leidenschaft erklärlich. Und da Sie doch einmal meine Universalerbin sind – denn das Testament spricht nur von einer Frau – so gebe ich Ihnen Vollmacht, die jungen Leute zu bedenken. Aber finden sich Makel, ist sie eine Verschwenderin –“

„Sie selbst sollen urtheilen, mein Herr! Doch sorgen wir zunächst, daß wir die Dame kennen lernen. Und bis dahin bitte ich, jede weiter Feststellung aufzuschieben, denn ich möchte den Tag, der mir auf immer die Achtung und Liebe eines Ehrenmannes sichert, durch einen Akt der Milde und Versöhnung weihen. Ich kann Ihr Vermögen nicht annehmen, bevor ich nicht weiß, daß keine Thräne darum fließt. Dies mag die erste Bitte Ihrer Braut sein –“

„Und ich gewähre sie, obgleich mein Glück verzögert wird!“ rief der Major, indem er ihr einen Ring an den Finger steckte.

„Den meinigen erhalten Sie an dem Tage der Entscheidung, und bis dahin bleiben Sie in Leipzig, damit sich das angeknüpfte Band fester schlinge.“

Der entzückte Liebhaber bat um einen Kuß, und Josephine, tief erröthend gewährte ihn. Man besprach nun die einzuleitenden Schritte, um die Erben zu ermitteln, und über ihren Charakter Forschungen anzustellen. Nach einer halben Stunde schied der Major mit der Versicherung, daß er noch an demselben Tage seinem Correspondenten in Berlin schreiben würde. Kaum hatte er sich entfernt, als Philipp in den Saal stürzte.

„Josephine,“ rief er überwältigt, „jetzt begreife ich Dich! Verzeihe mir, denn ich sündigte gegen Dich, weil ich Dich bis zur Anbetung liebe!“

Sie hing sich an seinen Hals und flüsterte unter Thränen:

„Ich habe Dir nie gezürnt, Philipp, weil ich Dein Herz kenne! Du leistest meinetwegen Verzicht auf das Vermögen Deines Onkels – ich erachtete es für Pflicht, es Dir zu erhalten. Das Geheimniß, das ich bewahrte, war Dein eigenes, und ich würde es preisgegeben haben, hätte ich den Erfolg meines kleinen Kunststücks voraussehen können. Dies wirst Du ohne Zweifel der Eitelkeit zu Gute halten, von der keine Frau frei ist.“

„Wie aber hast Du erfahren, daß ich überhaupt einen Onkel habe, und auf welchem Fuße ich mit ihm stehe?“

„Der Zufall ward zum Verräther Deiner großmüthigen Discretion gegen mich. In meinem Zimmer in Berlin verlorst Du den letzten Brief Deines Onkels, der mir völligen Aufschluß über die obwaltenden Verhältnisse gab. Er kündigte Dir selbst seine bevorstehende Verheirathung an. Da ich wußte, daß es Dir Kummer machen würde, wenn mir das Urtheil Deines Onkels über mich bekannt würde, so verschwieg ich Dir den Fund und verschloß den Brief. Nun machtest Du die Reise, um Dein Gut zu verkaufen. In dieser Zeit wurden mir durch einen Advokaten heimlich Heirathsanträge gemacht, und man beschrieb mir die Person des Majors von Wildau, Deines Onkels. Mein Plan war sofort gefaßt, ich verließ Berlin, um von hier aus mit dem Heirathskandidaten in Correspondence zu treten, meldete Dir meine Ortsveränderung, und suchte Dich zu bewegen, unsere Heirath ferner geheim zu halten. Den Erfolg meiner kleinen List hast Du gesehen – jetzt ist es an Dir zu handeln.“

„Josephine, den letzten Akt des Drama’s werde ich ausführen!“

Nach Tische verließ Philipp seine Gattin.




VII.

Um drei Uhr betrat der junge Mann die Wohnung des Magisters. Elias, der ihn lange nicht gesehen, empfing ihn freudig und führte ihn in das Stübchen des Herrn von Bornstedt. Der Greis colorirte Bilderbücher, eine Arbeit, die ihm der Magister verschafft hatte. Anna war mit Stickereien beschäftigt; erröthend erhob sich das hübsche Mädchen, und begrüßte in dem Gaste den Fürsprecher bei Madame Lindsor. Philipp nahm keinen Anstand, sich zu entdecken; er übergab dem freudig bestürzten Manne die für das Gut erhaltene Kaufsumme in Wechseln und Staatspapieren, und entzog sich rasch dem Danke der weinenden Menschen. Der kleine Magister, der die Unterhaltung belauscht hatte, stand wie eine Salzsäule auf dem Vorsaale. Philipp ging mit ihm in sein Arbeitsstübchen.

„Kennen Sie die Wohnung des Mannes, dem Sie[WS 4] ein Gedicht an Madame Lindsor gefertigt haben?“

„Ja, mein Herr!“ stammelte der bewegte Novellist.

„Ueberbringen Sie ihm diesen Brief.“

„Gern, lieber Herr!“

„Wenn er nach dem Absender fragt, so sagen Sie ihm, er sei ein armer verheiratheter Schriftsteller, und Ihnen befreundet. Durch Sie habe er die Adresse des Herrn Majors von Wildau erfahren. Als Lohn für diesen Weg werde ich Ihnen den Druck Ihrer Novelle besorgen, und ein doppeltes Honorar vermitteln. Antwort bringen Sie mir nur dann, wenn Sie den Adressaten nicht zu Hause getroffen haben.“

Philipp verließ eilig das Haus, daß Elias nicht einmal nach seiner Wohnung fragen konnte. Fünf Minuten später schritt der Magister mit seinem Briefe über die Straße dem Hotel de Bavière zu. Er traf den Major in seinem Zimmer, gab den Brief nach der erhaltenen Vorschrift ab, und entfernte sich wieder. Kaum hatte der Empfänger die wenigen Zeilen gelesen, als er einen Lohndiener kommen und sich von ihm nach der bezeichneten Wohnung Philipp’s führen ließ.

„Das trifft sich gut!“ murmelte er, als er die schmale Treppe hinanstieg. „Der Bursche ist also so verarmt, daß er meine Mildthätigkeit anflehen muß. Die gute Josephine hat sich für ein leichtsinniges Weib verwendet, das ist klar. Wollen sehen, wer die saubere Huldgöttin meines Neffen ist.“

Er traf Philipp in einem einfachen, freundlichen Zimmer. Die gegenseitige Begrüßung läßt sich denken.

„Vortrefflich, Herr von Martern,“ rief der Onkel, „es ist also meine Prophezeihung eingetroffen! Man heirathet eine leichtsinnige Person, um an den Bettelstab zu kommen. Ich hätte Deinen Brief unberücksichtigt lassen sollen; da es mich aber drängt, Deine liebenswürdige[WS 5] Gattin zu sehen – –“

„Sie werden sie kennen lernen,“ sagte Philipp, der vor Aufregung zitterte. „Darum bitte ich, Ihr Urtheil so lange zu verschieben.“

Der Major setzte sich auf einen Stuhl, und betrachtete Philipp mit Inquisitormienen.

„Du kennst meine Offenheit, Philipp,“ begann er nach einer Pause, „und darum theile ich Dir zunächst mit, daß ich nach Leipzig gekommen hin, um mich zu verheirathen. Hieraus ermiß die Ansprüche, die Dir von Rechtswegen an mein Vermögen bleiben. Willst Du Dir mein Wohlwollen erhalten, so verhehle mir nichts. Du hast Dich für Deine Frau ruinirt?“

„Nein!“

„Halt Du gespielt?“

„Auch das nicht!“

„Beim Teufel, was hast Du denn mit Deinem Vermögen angefangen? Lüge nicht, Philipp, es wird Dir nicht gelingen, meine Meinung von Deiner Frau umzugestalten!“ rief aufbrausend der Major.

„Und dennoch muß ich es, lieber Onkel, weil Sie die Wahrheit von mir fordern!“ antwortete ruhig der junge Mann, indem er sich dem Onkel gegenüber niederließ. Ich leugne nicht, daß meine Frau allein die Schuld an meiner gegenwärtigen Lage trägt, und daß ich auf ihre Veranlassung um mein Vermögen gekommen bin.“

„Ah, das wollte ich wissen!“ rief befriedigt der Major „Aber was sind das für Widersprüche?“

„Ein Zufall setzte meine Frau von dem unglücklichen Prozesse in Kenntniß, durch den mein Vater das Gut des Herrn von Bornstedt erhielt.“

„Ja, das war ein Prozeß, der noch heute zum Himmel schreit!“ murmelte der Major. „Gott habe meinen Schwager selig; aber ich schäme mich, wenn ich seiner gedenke!“

„So sprach auch meine Frau, die sich ihres Mannes schämte, weil er wissentlich ein unrechtmäßiges Eigenthum besaß. Sie brachte eine völlige Umwandlung in mir hervor. Fuhr ich in meinem glänzenden Wagen, so fragte mich eine Stimme: gehören [461] dir die Pferde, die man bewundert? Saß ich an einem reich besetzten Tische, so flüsterte dieselbe Stimme: gestohlene Speisen, gestohlener Wein! Während du schwelgst, hungern gewisse Leute und verwünschen deinen Vater im Grabe! Onkel, ich schämte mich vor mir selbst! Da eilte ich zu meiner Frau, und gestand ihr, was in mir vor ging. „„Komm arm zu mir,““ rief sie aus, „„aber mit einem unbefleckten Gewissen!““ An diesem Tage genoß ich Freuden des Herzens, die Millionen aufwogen. Ich suchte und fand die Familie Bornstedt, und gab ihr die aus dem Verkaufe gelöste Summe sammt Zinsen zurück.“

Der Major hatte erstaunt zugehört.

„Und Deine Frau selbst besitzt kein Vermögen?“ fragte er.

Philipp gab nun Aufschlüsse über Josephine’s Vermögensumstände, wie sie der Leser bereit kennt.

„Darum treffen Sie mich in dieser ärmlichen Lage. Ich lebe von dem, was ich verdiene, und verliert meine Frau ihr Vermögen, so habe ich mir eine Subsistenz gegründet, die uns Beiden genügt. Sie sehen, ich rechne nicht darauf, Ihr Erbe zu werden; und wenn ich Sie bat, mich zu besuchen, so wollte ich nur die Achtung für meine Frau wiedergewinnen, die Sie ihr bisher versagt haben.“

Der Major schüttelte sein Haupt, indem er einen Augenblick zu Boden sah.

„Philipp,“ sagte er, „liegt Deiner Frau wirklich an meiner Achtung? Ich erinnere mich, daß ich in harten Ausdrücken über sie geschrieben habe.“

„O, mein Onkel, sie hat selbst zu einem Mittel ihre Zuflucht genommen, das Ihr Urtheil völlig feststellen muß.“

„Gut, ich will sie sehen, führe mich zu ihr!“

Philipp begann sich anzukleiden.

„Die Redlichkeit trägt Zinsen, sagte meine Mutter oft. Ich fühle es, Onkel, denn ich bin ein glücklicher Mensch. Und giebt es ein Paradies, so muß auch mein Vater jetzt glücklich sein, denn ihn segnen die Freudenthränen einer armen Familie.“

„Er hat das Gemüth seiner Mutter!“ flüsterte der gerührte Major. „Und wäre meine Braut nicht so reizend, wer wüßte, was ich thäte. Philipp,“ rief er laut aus, „mag es in meinem Alter immerhin eine Thorheit sein – aber ich verheirathe mich. Ich habe einmal mein Wort gegeben, und das muß ich halten.“

In diesem Augenblicke ließen sich Schritte und ein leises Klopfen an der Thür vernehmen. Gleich darauf trat Josephine ein. Das liebliche Köpfchen schmückte ein leichter, einfacher Strohhut. Den Shawl trug sie über dem Arme. Der Major glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er seine Braut erblickte.

„Madame Lindsor!“ rief er aus.

„Meine Frau!“ sagte Philipp, indem er sie ihm vorstellte.

„Unmöglich! Sie ist ja meine – –“

„Ihre Verwandte, Herr Major von Wildau,“ sagte Josephine mit einer reizenden Verbeugung, „die sich glücklich schätzt, Ihre Achtung, selbst Ihre Liebe zu besitzen. Nehmen Sie Ihr Urtheil über mich nicht zurück, ich würde auch sonst meine Meinung von Ihnen ändern müssen. Ihren Ring behalte ich, er soll mich erinnern, wie hoch ich in der Gunst dessen stehe, der mich einst zu meinem Schmerze nicht anerkennen wollte.“

„Madame,“ murmelte zornig der Alte, „Sie haben ein arges Spiel mit mir getrieben, so daß ich versucht bin, es für eine Komödie zu halten, die einen eigennützigen Zweck hatte. Philipp, Deine bedrängte Lage hat Dich zu Schritten verleitet –“

„Genug, Herr Major!“ sagte Josephine ernst, „Philipp’s Lage ist die beste von der Welt. Sie sind ja unser Onkel,“ fügte sie lächelnd hinzu, „und deshalb darf ich ihn wohl in Ihrer Gegenwart bitten, mein Vermögen mit mir zu theilen. Es trieb mich her, ihm zu sagen, daß mir vor einer Stunde der russische Gesandte ein Aktenstück zugesendet hat, das den im Beisein des österreichischen und preußischen Internuntius ausgesprochen letzten Willen meines verstorbenen Mannes enthält. Er hat mich ohne irgend einen Zusatz zu seiner Universalerbin erklärt. Du hast Dein Vermögen großmüthig hingegeben, um die Ehre Deines Vaters – und Ihres Schwagers, Herr Major – zu retten – nimm jetzt das meine, Philipp, ich bringe es Dir zur Morgengabe. Herr Major,“ fügte sie im Tone leisen Vorwurfs hinzu, „mein Mann besitzt Schätze, die nur Gott allein vergrößern kann!“

Dann warf sie sich weinend an seine Brust.

„Kinder,“ rief bewegt der Alte, „was macht Ihr denn aus mir? Wollt Ihr mir denn die Thorheit recht klar vor Augen legen, daß ich auf den Gedanken gekommen bin –“

Josephine schloß ihm den Mund mit einem Kusse.

„Onkel,“ flüsterte sie mit feuchten Augen, „bei der Offenheit, die wir uns gegenseitig gelobt haben: bekennen Sie, daß Sie mir Dank schuldig sind! Sie besitzen alle Eigenschaften eines vortrefflichen Menschen; aber wenn Sie sich den Chancen der Ehe mit einer jungen Frau ausgesetzt hätten –“

„So wäre ich ein Narr gewesen!“

„Verzeihung, ich bitte um Ihr Urtheil über mich!“ fiel sie rasch ein.

„Sie sind eine Syrene; aber auch ein Engel, die einen Mann verdient wie Philipp, und einen Onkel, wie ich zu sein mir jetzt vornehme.“

Die drei glücklichen Menschen fuhren in einem herbeigeholten Wagen nach Josephine’s Wohnung, wo der Major, der Schwarz auf Weiß liebte, die eingegangenen Papiere prüfte. Er fand Alles in Ordnung. Am Abend erschienen auf ergangene Einladung Herr von Bornstedt, Anna und der brave Magister. Kurz vor Tische führte Josephine den blonden jungen Mann ein; sie stellte ihn den Gästen als ihren Bruder vor.

„Wieder ein Geheimniß,“ flüsterte ihr Philipp zu.

„Das ist die Rache für den verheimlichten Onkel!“ flüsterte sie zurück.

„War ich es Dir nicht schuldig?“

„Wie ich es Anna schuldig war, die ihn schon lange liebt. Sie lernten sich in Breslau kennen, wo mein Bruder studirte. Er ist ihr nach Leipzig gefolgt und nahm Schreiberdienste bei einem Advokaten. Anna nannte ihm die Käuferin ihres Kleides, und er fand seine Schwester.“

Bei Tische kündigte Herr von Bornstedt die Verlobung seiner Tochter an, und der Major brachte den ersten Toast auf das Wohl des jungen Paars. Es war spät, als die Gesellschaft sich trennte. Als die beiden Gatten allein waren, sagte Josephine:

„Nun, Philipp, will ich Dir noch eine Entdeckung machen, die für Dich von Interesse ist. Erinnerst Du Dich der ersten Gesellschaft, die nicht zu Stande kam?“

„Ja!“ antwortete er ein wenig verlegen, denn er schämte sich seines damals gehegten Verdachtes.

„Ich hatte darauf gerechnet, daß man mir absagen würde – an jenem Abende tanzte Pepita de Oliva im Theater. Der Enthusiasmus für die Fußkünstlerin hat mir einige lästige Stunden erspart. Giebt es noch einen Schleier zu lüften?“

„Den, der auf unserer Verbindung ruht!“

„Es steht bei Dir, ihn wegzunehmen, denn von diesem Augenblicke an bist Du der souveräne Mann!“




Einige Tage später bezog der alte Bornstedt die Wohnung Josephine’s. Madame Lindsor war verschwunden; die jungen Gatten hatten den Major auf sein Gut begleitet. Mancherlei Gerüchte über die reizende Wittwe tauchten nun auf, aber keins brachte Kunde von dem Glücke der jungen Leute, die am Weihnachtsabende desselben Jahres mit einem Sohne beschenkt wurden, den der Major aus der Taufe hob. Magister Elias vollendete seine Novelle und lieferte sie dem Verleger der Gartenlaube ab; er erhielt zwar das doppelte Honorar, aber Philipp, der mit der Redaction in Correspondence stand, übergab sie einem Freunde zur Umarbeitung, und nachdem er sie geprüft, ward sie in vorstehender Gestalt zum Drucke befördert. Der gute Magister hat versprochen, es nicht übel zu nehmen, wenn er nur als eine handelnde Person, und nicht als der Verfasser des Werkchens bezeichnet wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Philpp’s
  2. Vorlage: Joiephinen
  3. Vorlage: sihr
  4. Vorlage: sie
  5. Vorlage: liebenswüdige