Englands Blutschuld am Weltkriege

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Textdaten
Autor: Ernst Haeckel
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Titel: Englands Blutschuld am Weltkriege
Untertitel:
aus: Sein Leben, Denken und Wirken. Eine Schriftenfolge für seine zahlreichen Freunde und Anhänger. S. 73–82
Herausgeber: Victor Franz
Auflage:
Entstehungsdatum: 1914
Erscheinungsdatum: 1943
Verlag: Gronau
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Erscheinungsort: Jena und Leipzig
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Quelle: Scans auf Commons
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[73]
Englands Blutschuld am Weltkriege


Von Ernst Haeckel

Der nachfolgende Aufsatz, den wir ohne die geringste Änderung wiedergeben, erschien zuerst am 14. August 1914 im Jenaer Volksblatt (denn wie meistens, kam Haeckel nur im Blatte der Faustarbeiter zu Worte, da die Presse der „Intelligenz“ ihm meist die kalte Schulter zeigte). Er wurde sodann durch die Druckerei Heymer, Meerane, zum Besten des Roten Kreuzes verkauft. Noch im selben Jahr erschien er in drei Auflagen bei Oskar Kayser, Eisenach; später wurde er auch anderwärts nachgedruckt, denn immer hieß es, wie auch jetzt noch: „Nachdruck erwünscht“.

Jena, 12. August 1914.


Entsetzt, ja betäubt, steht seit 8 Tagen die Kultur-Menschheit vor einer der größten Katastrophen der ganzen Weltgeschichte, vor dem plötzlichen Ausbruch eines Weltkrieges, dessen furchtbare Folgen gar nicht abzusehen sind. Alles was die leidende Menschheit bisher an Kriegsunglück erduldet hat, alle Greuel des Massenmordes, der Länderverwüstung, der Familienzerstörung, tritt zurück vor diesem universalen Weltbrande, der die ganze, in sechs Jahrtausenden mühsam errungene Kultur zu verschlingen droht. Diese furchtbare Tatsache ergibt sich für jeden gebildeten und klar denkenden Menschen aus der unbefangenen Betrachtung der ganzen heutigen Weltlage und namentlich der erstaunlichen Fortschritte, welche die moderne Wissenschaft und Technik im letzten halben Jahrhundert, ganz besonders in den letzten dreißig Jahren gemacht hat.

[74] Keinem Zweifel kann es mehr unterliegen, daß der Verlauf und Charakter dieses gefürchteten „Europäischen Krieges“, der direkt oder indirekt auch alle anderen Erdteile berühren und somit zu einem ersten wahren „Weltkriege“ sich auswachsen muß, alle bisherigen Kriege weit übertreffen wird. Man denke nur an die moderne Vervollkommnung der Waffen aller Art, die Schnellfeuergeschütze, die Luftfahrzeuge, die Überwindung von Zeit und Raum durch die moderne Elektrik und Maschinenausbildung, an die früher ungeahnten Hilfsmittel, welche die gewaltigen Fortschritte der Wissenschaft, vor allem der Physik und Chemie, den kämpfenden Völkern in die Hand gegeben haben. Die Opfer an Gut und Blut, an Menschenleben und Ver­mögen, die wir jetzt zu bringen haben, werden alles bisher dagewesene weit übertreffen. Da erhebt sich gleich im Beginn überall die berechtigte Frage nach den wahren Ursachen dieses ungeheuerlichen Weltbrandes, nach dem Volke oder dem führenden Manne, welcher vor dem Richterstuhle der Weltgeschichte die beispiellose Blutschuld an diesem internationalen Vernichtungskampfe auf sich zu nehmen haben wird.

Parlamente und Presse des feindlichen „Dreiverbandes“, englische, französische und russische Zeitungen, strengen sich gegenwärtig vergeblich an, die ganze Schuld auf Deutschland zu wälzen. Die Unwahrheit dieser Beschuldigung liegt für jeden, der die Tatsachen kennt, so auf offner Hand, daß sie keiner Widerlegung bedarf. Kaiser Wilhelm II. hat in den 26 Jahren seiner Regierung alles getan, um dem deutschen Volke die Segnungen des Friedens zu erhalten; mit Recht wurde er im vorigen Jahre, bei seinem 25jährigen Regierungsjubiläum, als „Friedenskaiser“ gefeiert. Vielfach wurde ihm sogar vorgeworfen, daß er gegenüber dem revanchelustigen Frankreich, dem anmaßenden England und dem panslawistischen Rußland in seiner versöhnlichen Nachgiebigkeit zu weit gegangen sei. Ebenso sind die beiden anderen Mitglieder des Dreibundes, Österreich-Ungarn und Italien, stets bestrebt gewesen, das kostbare Gut des Friedens zu erhalten und europäische Verwickelungen zu vermeiden. Vielmehr fällt die ganze Schuld für den Ausbruch des Weltkrieges auf den mächtigen „Dreiverband“, auf die seit langen Jahren vorbereitete „Entente cordiale“, jenes unnatürliche Räuber-Kleeblatt, in welchem Rußland, Frankreich und England sich verschworen haben, den mitteleuropäischen Dreibund zu zerstören und vor allem Deutschlands Großmacht-Stellung zu vernichten.

[75] In der vortrefflichen Thronrede, mit der Kaiser Wilhelm II. an dem denkwürdigen 4. August den Deutschen Reichstag eröffnete, hat er kurz und treffend die wahren Gründe bezeichnet, welche die Feinde unseres Deutschen Reiches zu ihrem hinterlistigen Angriff treiben: der Neid um das Gedeihen unseres teuren Vaterlandes, die Eifersucht auf dessen wachsende Macht, den Ärger über unseren erfolgreichen Wettbewerb in friedlicher Arbeit.

Im Hinblick auf die beispiellosen Opfer an Gut und Blut, auf die furchtbaren Verluste an kostbaren Kulturschätzen, welche dieser Weltkrieg der gesamten Kulturmenschheit auferlegen wird, hat man dessen Urheber in diesen schicksalsschweren Tagen mit Recht als den größten Verbrecher der Weltgeschichte angeklagt. Da ist es wichtig, gleich von vornherein klar festzustellen, welchem von den drei gewaltigen Gliedern jener fluchwürdigen Räuberbande der größte Teil der Blutschuld zufällt? Ist die französische oder die russische oder die englische Nation diejenige, welche die schwerste Schuld trifft, und welche wir am meisten zu fürchten haben?

Rußland wird jetzt, 14 Tage nach Ausbruch des Krieges, gewöhnlich der größte Teil der Blutschuld zugeschoben, weil es Anfang August zuerst den Angriff auf den mitteleuropäischen Dreibund eröffnet und tatsächlich die erste Kriegserklärung erlassen hat. Allein der schwache Zar Nikolaus, den man als absoluten Selbstherrscher dafür zunächst verantwortlich machen will, ist nur ein willenloses Werkzeug in der Hand der kriegslustigen Großfürsten und Offiziere, im Verein mit der russischen Beamtenwelt, die wegen ihrer Bestechlichkeit und Habgier den schlechtesten Ruf in den gesamten europäischen Regierungskreisen besitzt. Das russische Volk ist zum weitaus größten Teile noch heute so ungebildet, daß es kein Urteil über den ihm von seiner Regierung aufgezwungenen Krieg haben kann. Selbst der Haß gegen Deutschland (dem es doch den wertvollsten Teil seiner Kultur verdankt!) ist nicht so mächtig, wie der Panslawismus, der das ganze östliche Europa unter die Herrschaft der russischen Knute beugen will. Die Protektion der serbischen Mörderbande, die unmittelbar durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Gemahlin den ersten Anlaß zum europäischen Kriege gab, ist auch für Rußland eine natürliche Folgerung seiner egoistischen panslawistischen Grundsätze.

Frankreich ist zwar noch zum großen Teile von seiner nationalen „Revanchelust“ erfüllt und zugleich als Gläubiger des schwer verschuldeten Rußlands mit dessen Interessen verknüpft. [76] Allein der größte Teil des französischen Volkes ist keineswegs von Kriegslust erfüllt und würde gerade jetzt den Ausbruch des Weltkrieges gern vermieden haben, zumal seine Rüstung für denselben noch ungenügend ist. Auch in Frankreich, wie in Rußland ist es im Grunde nur „eine kleine, aber mächtige Partei“, welche jetzt zum Kriege mit Deutschland treibt, voran die ehrgeizigen Generäle und Offiziere, und jene beschränkten Chauvinisten, welche die „Grande nation“ allein als berechtigte Weltherrscherin anerkennen und selbst auf das verbündete (im nationalen Wesen vielfach grundverschiedene!) England mit stolzer Verachtung herabsehen.

England allein trifft jetzt unmittelbar der größte Teil der schweren Verantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges. An demselben 4. August, an welchem der Deutsche Reichstag einmütig dem Reichskanzler die notwendigen Mittel zur Verteidigung des Reiches gewährte, erklärte wenige Stunden später England den Krieg an Deutschland — angeblich unter dem Vorwande der Neutralitätsverletzung Belgiens — tatsächlich weil endlich der ersehnte Augenblick gekommen schien, den längst geplanten Überfall auf das Deutsche Reich auszuführen. Das „perfide Albion“, dessen hinterlistige Politik den rücksichtslosen „Nationalismus“, den brutalen „nationalen Egoismus“ im höchsten Grade darstellt, hat damit nur aufs Neue seine „praktische Moral“ betätigt, einzig und allein seine britische Weltmacht zu stärken, ohne jede Anwandlung von christlichem Altruismus, den es theoretisch auf seine Fahne schreibt — ohne jede Rücksicht auf Wohl und Wehe der übrigen Menschheit, und zunächst der germanischen Schwester-Nation. Geschützt durch seine isolierte geographische Lage, gestützt auf die große Seemacht, gestärkt durch unversiegliche Geldquellen, allmächtig durch seinen ausgedehnten Kolonialbesitz, kann das britische Reich allen Ansprüchen auf Recht und Gerechtigkeit offen Hohn sprechen.

Unser Reichskanzler, dessen starke und klare Haltung in dieser schweren Zeit besonders zu rühmen ist, hat beim Schlusse in der denkwürdigen Reichstagssitzung gesagt: „Der 4. August wird bis in alle Ewigkeit hinein einer der größten Tage Deutschlands sein“ — mit vollem Rechte; denn in dieser schicksalsschweren Zeit hörten alle Unterschiede der politischen Parteien, der Stände, der Konfessionen auf, in dem einmütigen Gelöbnis, Gut und Blut für die Erhaltung des teuren, hinterlistig überfallenen Vaterlandes zu opfern.

Mit demselben Recht dürfen wir aber auch von unserm gefährlichsten [77] Feinde, von Großbritannien sagen: „Der 4. August wird bis in alle Ewigkeit einer der dunkelsten Tage Englands sein“; — denn an diesem Tage erließ die englische Regierung die längst vorbereitete Kriegserklärung an Deutschland, und schon am folgenden Tage ließ sich das englische Parlament durch die gleißnerischen Reden seines intriganten Minister Sir Edward Grey bewegen, fast einstimmig die Mittel zum Kriege gegen Deutschland zu bewilligen. Nur ein einziges Parlamentsmitglied hatte den Mut, dagegen zu stimmen. Doch ist es zweifellos, daß viele Tausende vernünftiger, besonnener und ehrlicher Engländer dessen Ansicht teilen und die Neutralität zu erhalten wünschen. Dazu gehörten auch drei der besten Mitglieder des englischen Ministeriums, darunter der ausgezeichnete John Morley; sie legten wenige Tage darauf ihre Stellen nieder, um sich nicht an der Blutschuld dieses wahnsinnigen Krieges zu beteiligen.

Am 4. August 1914 schwebte das Schicksal der ganzen Welt auf des Messers Schneide. Es lag in der Hand Englands, seiner Regierung und seines Parlamentes, die welthistorische Entscheidung entweder zu Gunsten des Friedens, des Rechtes und des Guten fallen zu lassen, oder zu Gunsten des Krieges, des Verbrechens und des Bösen. Am 4. August, — an diesem großen welthistorischen Gedenktage hat England sich für das letztere entschieden und damit die Blutschuld des größten Verbrechens auf sich geladen, welches jemals die Menschheit erlebt hat, und dessen entsetzliche Folgen in ihrem ganzen Umfange gar nicht abzusehen sind. Der Fluch von Millionen unglücklicher Menschen fällt auf das Haupt des britischen Inselstaates, dessen schrankenloser nationaler Egoismus keine anderen Ziele kennt, als die Ausdehnung der britischen Herrschaft über den ganzen Erdkreis, die Ausbeutung aller anderen Nationen zu seinem Vorteil und die Ausfüllung seines unersättlichen Geldbeutels mit dem Golde aller übrigen Völker! Und dabei brüstet sich diese stolze englische Nation heuchlerisch mit der Maske des Christentums! Sie ist stolz auf ihre unzähligen Missionäre und ihre frommen Bibelgesellschaften, welche mit dem Lichte des Evangeliums alle Völker beglücken sollen, jenes Evangeliums der allgemeinen Menschenliebe, dessen Altruismus zu den egoistischen Grundsätzen des weltbeherrschenden und weltausbeutenden Englands im schneidendsten Gegen­satze steht.

Für uns Deutsche nicht allein, sondern für die ganze Kulturwelt und ihre Zukunft, ist die unheilvolle Entscheidung Englands [78] von unabsehbarrer Bedeutung. Als Rußland Anfang August an Deutschland und Österreich den Krieg erklärt hatte, galt es für uns nur um einen schweren europäischen Krieg, mit der Front nach zwei Seiten, gegen Ost und West. War dieser Kampf auch schwer, so durften wir doch sicher hoffen, ihn zu gewinnen, gestützt auf unser scharfes erprobtes Schwert und im Bewußtseins unseres guten Rechtes und unseres reinen Gewissens. Dadurch aber, daß auch England am 4. August uns den Krieg erklärte, ist die politische und strategische Lage völlig verändert worden. Jetzt müssen wir einen harten Kampf auf Tod und Leben gegen drei Fronten bestehen, gegen zwei mächtige Landheere in Ost und West, und gegen die größte Seemacht der Welt, die unsere Flotte, unsere Seeküsten, unsere außereuropäischen Kolonien mit dem Untergang bedroht. Erst dadurch — allein durch die Schuld Englands — ist der gefürchtete „Europäische Krieg“ zu einem universalen Weltkrieg von beispielloser Ausdehnung geworden! Denn nun werden alle anderen Nationen des Erdballs, mögen sie wollen oder nicht, direkt oder indirekt in Mitleidenschaft gezogen werden.

Wenn man einer einzelnen Person in führender und verantwortlicher Stellung den größten Teil dieser ungeheuerlichen Blutschuld zuschieben will, so kann weder der schwache russische Zar Nikolaus II., noch der ehrgeizige Präsident der französischen Republik Poincaré in Frage kommen, sondern einzig und allein der ränkevolle englische Minister Sir Edward Grey, der seit langen Jahren an dem großen eisernen Spinnennetze gewebt hat, von dem Deutschland rings umfangen und erwürgt werden soll. Er hat jetzt den rechten Augenblick für gekommen erachtet, um den Knoten zuzuziehen und den natürlichen Todfeind Englands, das slawische Rußland, als Spießgesellen zur Ermordung des verhaßten Deutschlands zu benutzen. Indessen ist ja Sir Edward Grey nur der Testamentsvollstrecker des verstorbenen Königs Eduard VII., jenes fluchwürdigen Fürsten deutschen Geblütes, dessen wichtigste Tätigkeit während seiner ganzen Regierungszeit in der vollständigen „Einkreisung Deutschlands“ bestand. Viele Jahre hindurch wendete dieser Coburger Fürst alle Mittel auf, um die Koalition gegen das verhaßte Deutsche Reich zustande zu bringen; und dabei war er der Bruder der deutschen Kaiserin Friedrich und der Neffe jenes Herzog Ernst II. von Coburg, der sich vor 50 Jahren vielfache Verdienste um dessen Gründung erwarb und 1860 beim ersten deutschen Turnfeste (dem ich in Coburg persönlich beiwohnte) als „Schützenkönig“, ja sogar als Anwart auf den deutschen [79] Kaiserthron gefeiert wurde. Die „christliche Moral“ des talentvollen Eduard VII. war freilich nach unseren Begriffen eigentümlich; denn er verlebte seine angenehmsten Stunden in feinen Pariser Restaurants mit galanten französischen Kokotten und im Hasardspiel der feineren englischen Gesellschaft. Daß er dabei gelegentlich als Falschspieler (im Bakkarat) ertappt, ja sogar vor Gericht zitiert wurde, tat seiner großen Popularität in England keinen Eintrag; denn er war ja äußerlich ein „tadelloser Gentleman“, übte mit Geschick jeglichen vornehmen Sport und hielt bei unzähligen Gelegenheiten glänzende Reden, in denen er seiner britischen Nation ihre (von Gott gewollte) Weltherrschaft eindringlich vorführte.

Das kitzelnde Ziel des britischen Universal-Imperiums fand vor zwei Jahren einen drastischen Ausdruck im englischen Parlament, als die leitenden Minister des stolzen Albions unter lautem Beifall erklärten, daß Großbritannien nicht allein gegenwärtig die mächtigste, allen anderen Seemächten überlegene Flotte besitze, sondern auch für alle Zeiten die alleinige Seeherrschaft behaupten werde. Das erinnert lebhaft an das stolze Wort des letzten (blinden!) Königs von Hannover, der 1866 bei Ausbruch des preußisch-österreichischen Krieges erklärte: „Mein Haus und mein Reich werden bis zum Ende aller Dinge dauern (!). Wenige Wochen später waren sie durch die Schlacht von Langensalza hinweggefegt!

Die Völkergeschichte lehrt uns mit genügender Deutlichkeit, daß eine dauernde Universal-Herrschaft eines einzigen Volkes überhaupt nicht möglich ist. Wie lange hat das griechische Reich Alexander des Großen bestanden? Wie lange das „Weltreich“ der römischen Cäsaren? — oder das spanische Reich Philipps II.? — oder das gallische Reich Napoleons I.? — Im zwanzigsten Jahrhundert, wo die nationalen Interessen der Völker und ihre internationalen Beziehungen mannigfaltiger und verwickelter sind als je zuvor, wo die größeren Kulturstaaten bestrebt sind, ein erträgliches politisches Gleichgewicht herzustellen, erscheint der Traum eines allbeherrschenden Universal-Reiches absurder denn je zuvor.

Finis Germaniae! Vernichtung des unabhängigen Deutschen Reiches, Zerstörung des deutschen Wesens und Wirkens, Unterwerfung des deutschen Volkes unter britisches Imperium, das ist der stolze Traum der englischen Regierung und zu dessen Verwirklichung verbündet sie sich mit dem feindlichen Slawentum, das ihre eigne Weltherrschaft in Europa wie in Asien am schwersten bedroht. Germanen gegen Germanen! Ein [80] Volk, das Bacon und Shakespeare, Newton und Darwin hervorgebracht hat, gegen ein stammverwandtes Volk, das Luther und Kopernikus, Schiller und Goethe zu den seinen zählt! Aber die erhebende Einmütigkeit, mit der sich seit 14 Tagen das ganze deutsche Volk, alle Unterschiede der politischen Parteien und der religiösen Bekenntnisse vergessend, um seinen Kaiser geschart hat, der grenzenlose Opfermut, mit dem alle Stände und Berufsklassen ihr Leben und ihre Habe zum Schutze von Haus und Herd, von Gemeinde und Vaterland darbringen, sind sichere Bürgen für unseren Sieg; sollte er uns aber trotz unseres guten Rechtes nicht beschieden sein, so werden wir mit derselben Ausdauer von der unerträglichen Tyrannei Englands uns zu befreien suchen, mit welcher vor hundert Jahren unsere Väter die Gewaltherrschaft Frankreichs abgeschüttelt haben. „Lieber tot als Sklave!“

Finis Britanniae! Vernichtung des unabhängigen Großbritanniens, Zerstörung seiner eigentümlichen Nationalität und Kulturarbeit wollen wir nicht, wohl aber völlige Befreiung von dem unerträglichen Joche, unter welches das britische Imperium alle übrigen Völker beugen will. Und dabei werden wir starke Bundesgenossen unter allen jenen Nationen finden, die dieses Joch bereits tragen und die ihnen drohende Gefahr erkennen. Wie sich 1789 die Vereinigten Staaten von Nordamerika von ihrem tyrannischen Mutterlande England abgelöst haben, so werden früher oder später Canada und Irland, Indien und Australien, Ägypten und Süd-Afrika ihrem Beispiel folgen. Wozu sollen alle diese reichen Länder, die naturgemäß ihre individuellen Eigenschaften immer mehr divergent entwickeln, ihre Kräfte und Mittel dem eigensüchtigen Mutterlande England opfern, das je länger je mehr in nationalen Egoismus versinkt und als maritime Weltherrscherin alle übrigen Nationen unter seinen Willen beugen will.




Der westeuropäische Kontinental-Bund.

Am Schlüsse der denkwürdigen, an jesuitischen Trugschlüssen und Entstellung der historischen Tatsachen reichen Rede, in welcher am 5. August Sir Edward Grey seine Kriegserklärung gegen Deutschland vor dem englischen Parlament zu rechtfertigen suchte, hat er offen einen der tieferen Gründe seiner niederträchtigen Politik ausgesprochen. Er fürchtet, daß in diesem Kriege Deutschland und Österreich siegen werden und daß dann die Vereinigung Westeuropas gegenüber seinem gemeinsamen [81] insularen Feinde England stattfinden werde. Um das zu verhindern, muß England schon jetzt jenen beiden, vom Räuber-Kleeblatt zum Kriege gezwungenen Friedens-Staaten in den Rücken fallen, mit seiner übermächtigen Flotte unsere schwächere Seemacht vernichten und dann sein Imperium auch über den Kontinent ausdehnen. Aber Frankreich — eingedenk Faschodas und der früheren Übergriffe Englands — wird bald einsehen, daß es von dem gewissenlosen, perfiden Albion auch diesmal getäuscht wird. Es wird sich dem großen Friedensbunde der Vereinigten Kontinentalstaaten Westeuropas zuwenden, welcher unserm gequälten Erdteil endlich Ruhe geben und ihn ebenso gegen die brutalen Angriffe des slawischen Rußlands von Osten schützen wird, wie gegen die unablässigen Ränke des heuchlerischen Englands von Westen. Denn eitel Heuchelei ist es, wenn Großbritannien sich damit brüstet, den Frieden gewollt zu haben, während es nur tatsächlich Zeit gewinnen wollte, sich besser zum Kriege vorzubereiten.




Persönliches.

Mit blutendem Herzen und lediglich dem Drange meines patriotischen Pflichtgefühls folgend, schreibe ich als achtzigjähriger deutscher Staatsbürger diese schwere Anklage gegen das stammverwandte England nieder. Denn ich gehöre seit mehr als sechzig Jahren zu den Gelehrten, welche für die gewaltige Kulturarbeit Großbritanniens die höchste Anerkennung hegten. Seit ich 1866 zum ersten Male englischen Boden betrat und in London das großartige Getriebe der Weltstadt kennen lernte, seit ich in ihren reichen Museen und wissenschaftlichen Instituten eine erstaunliche Fülle edelsten Bildungsstoffes entdeckte, erfüllte mich die Energie und Schaffenskraft des britischen Volkes mit aufrichtiger Bewunderung. Dazu kam die höchst anregende persönliche Bekanntschaft mit den weltberühmten Koryphäen der Wissenschaft, die damals in und bei London lebten, mit Charles Darwin, Charles Lyell, Thomas Huxley und Alfred Wallace, Joseph Hooker und John Lubbock (Lord Avebury).

Viel enger noch gestalteten sich meine wissenschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu Großbritannien zehn Jahre später, als ich (im August 1876) die britische Naturforscherversammlung in Glasgow besuchte und die dort ausgestellten Sammlungen der Challenger-Expedition kennen lernte; jener vierjährigen Weltumseglung, welche zum ersten Male die Wunder des Tiefseelebens aufdeckte. Die persönliche Bekanntschaft mit [82] deren berühmten Leitern Sir Wyville Thomson und Sir John Murray, führte dazu, daß mir ein bedeutender Anteil an dem großartigen, von ihnen herausgegebenen Reisewerk (50 starke Quartbände mit 3000 Tafeln umfassend) übertragen wurde. In zwölfjähriger Arbeit habe ich fünf Bände dieser „Reports of H. M. S. Challenger“ geschrieben (größtenteils in englischer Sprache) und dazu mehrere tausend Figuren auf 230 Tafeln gezeichnet. Während des wiederholten längeren Aufenthalts in Edinburgh genoß ich die liebenswürdige Gastfreundschaft von Sir John Murray, mit dem ich auch später gemeinsam mehrere interessante Reisen in Schottland und England ausführte.

In den genannten und vielen anderen bedeutenden Männern der Wissenschaft lernte ich die vortrefflichen Seiten des britischen Nationalcharakters kennen; sie alle kannten und schätzten auch deutsches Wesen und deutsche Wissenschaft. Sie alle würden, wenn sie noch lebten, den heimtückischen Überfall Deutschlands durch England aufs Härteste verurteilt haben. Wie oft sprachen wir davon, daß die beiden germanischen Schwesternationen zu gemeinsamen höchsten Kulturzielen eng verbunden zu arbeiten hätten! Und nun ist jetzt dieses schöne Band grausam zerrissen! Auf England fällt in erster Linie die ungeheuere Blutschuld, diesen beispiellosen Weltkrieg jahrelang in niederträchtigster Weise vorbereitet und dann mit Hilfe Rußlands — seines eigenen gefährlichsten Feindes! — zum wirklichen Ausbruch gebracht zu haben. Hoffen wir, daß die Nemesis der Geschichte dafür gerechte Vergeltung üben wird, und daß der verjüngte Phönix des germanischen Genius aus der Asche dieses kolossalen Weltbrandes neu gestärkt und veredelt hervorgehen wird.