Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient/Nr. 8

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Autor: Claire von Glümer
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Titel: Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient. Nr. 8
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 665–668
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[665]
Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
VIII.

Wenn wir auf das äußere Leben der Künstlerin in den Jahren 1828–1838 zurückblicken, müssen wir es – trotz mancher von ihrem Berufe unzertrennlichen Kampfe und Täuschungen – als ein sehr glückliches, an Ruhm und Glanz fast überreiches bezeichnen. In ganz Deutschland wurde Wilhelmine Schröder-Devrient abgöttisch verehrt; in Paris und London hatte sie sich ihren Platz neben den ersten Berühmtheiten der Zeit, einer Pasta, einer Malibran errungen; ihre idealen Gestalten der Iphigenie, Doña Anna, Leonore, Agathe waren zu ewigen Typen geworden; selbst das Unbedeutende wurde durch ihre poetische Kraft erhoben, belebt, durchgeistigt; über Ungeschmack, Unwahrheit und die Macht des Herkommens hatte sie in ihrer künstlerischen Thätigkeit unzählige Siege errungen; wo sie erschien, flogen der Künstlerin wie der schönen Frau alle Herzen entgegen – und doch war sie einsam und tief unglücklich.

„Wenn ich mit Beifall überschüttet, durchglüht von der Freude an meiner Kunst nach Hause kam, war ich allein! ich hatte keine Seele, die mich verstand, die sich mit mir freute,“ sagte sie oft, und aus allen Tagebuchblättern, die aus jener Zeit erhalten sind, spricht dieselbe Klage. Sie schreibt: „Mir ist bang und unheimlich – hätt’ ich nur ein lebendes Wesen um mich, einen treuen Hund, irgend ein Geschöpf, das mir ergeben wäre! Wie sehne ich mich nach einem innigen Austausch meiner Gedanken – aber so allein! – und das zu schreiben, was in meiner Brust wogt, ich kann es nicht. Hier fehlt das warme Leben des Wortes von Mund zu Munde, und wo das Wort nicht mehr ausreicht, der Blick in ein Auge, das bis in die Tiefe unserer Seele dringt. – Es ist ein hartes Entbehren, so unverstanden durchs Leben zu pilgern.“ …

„… Heute habe ich beim Tagelöhner Lorenz Gevatter gestanden [666] und habe das menschliche Elend in seiner bejammernswürdigsten Gestalt gesehen. Gott, wie ist es möglich, daß Menschen so leben können? Der schrecklichste Mangel an Allem! Wie schwer versündigt man sich, wenn man klagt und sich unzufrieden fühlt – dorthin muß man schauen, um sich glücklich zu preisen. Und doch, wer weiß, ob das arme Weib auf dem Strohlager nicht glücklicher ist, als ich auf meinen seidenen Kissen. Sie hat ihren Mann, der sie pflegt, stützt und hütet; sie hat ihre Kinder – was ist mir geblieben?“ …

… „Warum kann ich mich nicht daran gewöhnen, allein in diesem Leben zu sein, wie es mir doch vom Geschick bestimmt ist? Grausames Geschick! Du hast mir ein Herz voll Innigkeit gegeben, eine Seele, die eben nur das Bedürfniß fühlt, verstanden, geliebt zu werden – und eben das muß ich entbehren. Ich habe Niemand auf der weiten Erde und fühle mein Alleinsein immer mehr und schmerzlicher, fühle, wie mein Herz blutet, wie es in banger Sehnsucht nach dem Unerreichbaren vergeht, und wie meine ganze innere Harmonie dadurch gestört wird. Ich bin zerstreut, gedankenlos, ungeduldig, verdrießlich. Ich möchte fort, hinaus in Wind und Wetter, soweit mich meine Kräfte tragen – sterben am liebsten, denn so vereinzelt in der Welt zu sein, ist ein traurig herbes Loos!“ …

Diesem Unglück zu entgehen, suchte Wilhelmine mit fieberhafter Hast nach einem Wesen, dem sie ihr sehnsüchtiges, leidenschaftliches Herz zu eigen geben könnte. Zuweilen glaubte sie gefunden zu haben, was sie begehrte. Die Sehnsucht löste sich in Entzücken, alles Gute, alles Schöne sah sie in dem geliebten Wesen, weil sie den ganzen Reichthum der eigenen Seele über dasselbe ergoß. Aber lange konnte der Traum nicht währen. Die Täuschung schwand, mit eigenen Händen entriß sie dem Götzenbilde, das sie sich selbst geschaffen hatte, den letzten Rest des erborgten Schimmers und wandte sich beim Anblick seiner Nichtigkeit voll Schmerz und Zorn von ihm ab. Sie war wieder allein mit ihrem sehnsüchtigen Herzen, und das Suchen begann auf’s Neue, um mit neuen Enttäuschungen zu enden. Wilhelmine hat schwer unter diesen Irrthümern gelitten, innerlich sowohl, wie in ihren äußern Verhältnissen.

Aber dann kam die Ungeduld über sie. Sie wollte nicht unglücklich sein. Sie suchte sich zu betäuben, zu zerstreuen, indem sie jede arbeitsfreie Stunde der Geselligkeit schenkte. Sie war die Fröhlichste unter den Frohen, konnte nächtelang tanzen, singen, lachen, war zu tausend tollen Streichen bereit, bis ihr die nächste einsame Stunde das alte Weh in verstärktem Maße zurück brachte und ihr nun plötzlich das gesellige Treiben ganz unerträglich erschien.

Während ihres Gastspiels in Wien, im Sommer 1830, wo sie von allen Seiten umdrängt und gefeiert wurde, schrieb sie:

„… Wie drückend und peinigend ist es für ein krankhaft erregtes, unruhiges Gemüth, in einer unruhigen, ewig angeregten Umgebung zu leben! Jede Nerve erbebt fieberhaft, und eine namenlose Angst und Beklommenheit treibt uns unstät umher. Es wäre für mich der sicherste Weg in’s Irrenhaus, wenn ich lange in solchem Trouble leben müßte. Ein so tiefverletztes, todtkrankes Gemüth, wie das meine, bedarf in seiner nächsten Umgebung der größten Ruhe, der strengsten Gleichmäßigkeit und Ordnung in der gewöhnlichen Tageseintheilung, denn nur durch die Einförmigkeit der äußern Eindrücke kann in etwas das verlorne Gleichgewicht in der schmerzlich wogenden Brust wieder hergestellt werden. Ein sturmbewegtes Meer, ein brausendes Ungewitter beruhigen die kranke Seele zwar auch, denn die ganze Spannkraft im Menschen ist dann auf das Außerordentliche gerichtet; man vergißt über die Allmacht die Gewalt der eigenen Schmerzen. Musik, die frommen Klänge einer Orgel an geweihten Stätten, der gestirnte Himmel, die untergehende Sonne, eine schöne Gegend, eine Blume, ein guter Dichter – sie lösen den Schmerz in der bangen Brust und entlocken dem Auge, wenn auch schmerzliche, doch wohlthuende Thränen. All das wirkt zerstörend, nicht zu leugnen: man vergeht an einem langsamen, aber süßen Gifte, während ein ungeregeltes, der Ordnung entbehrendes Leben das kranke Gemüth qualvoll zu Grunde richtet. So ist es mir – die Ruhe in meinem Herzen, die Ruhe in meinem Hause fehlt mir.“ …

Und einige Jahre später: … „Dieses Nachaußenkehren nicht gefühlter Gefühle, nicht empfundener Empfindungen, dies Verleugnen seiner eigensten Kraft, mit einem Wort, dies fatale conventionelle Leben bricht alle moralische und physische Kraft, erzeugt Nervenleiden und preßt die Seele gänzlich zusammen. Könnte man doch immer wie man wollte, wie vielen Menschen würde man sagen: „Hol dich der Teufel, du aus Langerweile gemachter Tropf mit einem Menschenangesicht!“ ….“

Wie oft mag Wilhelmine mühsam gegen dies Verlangen angekämpft haben, während sie mit lächelnder Miene im Kreise ihrer Bewunderer stand und eine Fluth geistloser Huldigungen über sich hinrauschen ließ – und wie oft mag ihr Herz bedrückt gewesen sein, während sie „wie eine Freude vor der Welt“ erschien!

„… Ich war erst 23 Jahre alt,“ schreibt sie, „als meine erste Ehe getrennt wurde. Aber ich hatte schon damals allen Schmelz der Jugend verloren, alle Illusionen, die das Leben schmücken. Ich konnte schon damals mit voller Wahrheit singen: „Ich bin ein Fremdling überall!““

Sie ging zu weit, wenn sie so klagte. Die ewige Jugend des Genius ist ihr bis an’s Ende geblieben, und ihr warmes Herz hat Illusionen, die Andern schon bei den ersten Schritten durch’s Leben verloren gehen, bis zum Tode festgehalten. Mißtrauen hat sie nie gekannt; jedes freundliche Entgegenkommen hielt sie für redlich gemeint; in jedem neugierigen Zudrängen sah sie ein warmes Interesse; trotz hundertfacher trüber Erfahrungen ist sie nie im Stande gewesen, Intriguen zu durchschauen oder zu vereiteln, und denen, die es darauf anlegten, sie für selbstsüchtige Zwecke auszubeuten, ist es immer gelungen. Dazu kam ein ganz wunderbares Talent, mit der Vergangenheit abzuschließen. Die Erinnerungen an das Erlebte kamen wohl wieder und kamen mit so furchtbarer Lebendigkeit, daß Wilhelmine alle alten Schmerzen auf’s Neue durchlitt. Die Qual war entsetzlich, aber sie ging vorüber wie ein böser Traum, ohne Einfluß auf die guten Stunden zu üben, die ihr die Gegenwart schenkte. War der Schmerzensausbruch vorüber, der Aufschrei des Zornes oder der Verzweiflung verklungen, so „schüttelte sie die Schwingen“, und die befreite Seele schwebte hoch über allen Nebeln und Wolken im heitersten Sonnenschein. Oft standen ihr noch die Thränen im Auge, welche ihr die Erinnerung erpreßt hatten, und schon flog wieder ein fröhliches Lächeln über ihr Gesichi; irgend eine komische Geschichte war ihr eingefallen – und der Mund, der eben noch so bitter geklagt hatte, ging zu Scherzen und Witzworten über. Jenen unablässigen, herzbeklemmenden Druck, jenes Ermatten und Insichversinken, das die gewöhnliche Folge schwerer Leiden oder leidenschaftlicher Kämpfe ist, hat Wilhelmine erst in der letzten Krankheit kennen gelernt.

Unvermittelt, wie der Uebergang vom Schmerz zur Freude, war aber auch der von Lust zu Traurigkeit. Mitten in der heitersten Gesellschaft, mitten im lebhaftesten Gespräch verstummte sie – ihre Lippen zuckten, ihre Augen wurden trübe. Es überschlich sie ein Erinnern, oder sie empfand inmitten der höchsten Triumphe, denen sie sich eben mit voller Seele hingegeben hatte, wie vergänglich ihre Kunstschöpfungen waren, oder es kam plötzlich jenes Verlangen nach Ruhe über sie, das sie durch ihr ganzes Leben begleitet hat, obwohl die Rastlosigkeit ihrer Natur aller Ruhe widerstrebte.

Wilhelminens Wesen war reich an solchen Contrasten, die von Allen, welche nur oberflächlich mit ihr bekannt waren – und dazu gehören Viele, die ihr äußeres Leben Jahrzehnte lang getheilt haben – falsch aufgenommen und ausgedeutet werden mußten. Nur die Wenigen, denen sie den Einblick in die Tiefen ihres Gemüthslebens gestattete, haben darin die Ausströmungen jener Doppelnatur erkannt, von welcher Goethe sagt:

„Zwei Seelen fühl’ ich, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen.
Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen.
Die andre hebt gewaltsam sich vom Duft –“

Mit welchen Schmerzen dies Ringen und Kämpfen verbunden war, läßt sich am besten aus Wilhelminens eigenen Aufzeichnungen erkennen.

„… Warum kann ich den erhabnen Geist, der sich so oft in meiner Brust niederläßt, nicht festhalten? Alle Quellen meines Gemüthes öffnen sich und strömen Gefühle voll warmen, unbeschreiblichen Entzückens aus. Könnte ich in solchen Augenblicken dichten, es müßte etwas ganz Gutes werden; könnte ich malen, wie wollte ich die weichen, lieblichen, kräftigen, blendenden Farben, in die sich meine Seele taucht, auf die Leinwand hauchen!, könnte ich componiren, wie sollten die Töne, die in tausendfachen Accorden, Harmonien und Liedern in meiner Brust erklingen, gegen den [667] Himmel anstürmen! O mein Gott! könnte ich das Leben, diese Welt, die in mir aufgeht, könnte ich sie hingeben und begreiflich machen! O Geist, Geist, der du so oft meine Brust zu deiner Ruhestätte machst, laß mich dich halten oder hebe mich empor und flöße mir Wissen und Gedanken ein! – und komme nicht blos, um mir die Brust durch deine Last zu erdrücken und zu zermalmen, komme nicht blos, um mir die quälendste Sehnsucht zurück zu lassen! gib mir ein Wort, einen Ausdruck und laß die Quellen alle, die sich dir öffneten, nicht wieder zu ihrem Urquell, in’s Herz, zurückdrängen. Der Raum ist zu klein für solche Strömung – sie wird ihn zersprengen! Thränen und ein Fleck im Mittelpunkt des Herzens, wo es immer wühlt und hämmert, das ist mein Leben.“ …

„… Daß doch der Geist dem Körper so oft Unterthan ist! – das geistige Auge sehnt sich danach, sich zu offnen und das unendliche Licht einzufangen, das mit warmen Strahlen in der Seele aufgeht, – da schließt sich das physische Auge durch die Gewalt einer ermatteten Natur, und jeder klare Gedanke geht unter in wirren, undeutlichen Träumen.“ …

„… O, es ist qualvoll, mit einer Brust, angefüllt mit warmen, wahren, unendlichen Empfindungen, sich in der schalen, leeren, alltäglichen Welt herumtreiben zu müssen und dann nicht einmal in einsamen Stunden den Ersatz zu haben, durch Worte, Töne aussprechen zu können, was man denkt und fühlt! Ein brennend heißer Fleck glüht mir inmitten meines Herzens, von ihm aus theilt sich ein unaussprechliches Weh meinem ganzen Wesen mit. So wie mein Haupt matt auf meine Hand sinkt, so sinkt auch meine Seele kraftlos zusammen. Machtlos und ohnmächtig bleibt all mein Streben, durch irgend eine Aeußerung meinen Zustand zu erleichtern … und doch erklingen die Saiten in meinem Innern so gewaltig und lösen sich auf in mächtigen Accorden und schmiegen sich wieder sanft mit leisen Melodien an mein krankes Gemüth. Aber nur meiner innersten Seele ist dieser Zustand deutlich und fühlbar; sie strebt mächtig empor an’s Licht, gleich einer verborgenen Quelle, die aber Widerstand findet an dem harten Felsen, der ihr den Ausgang weigert, so daß sie in sich selbst versiechen und vergehen muß.“ …

„… Kannst du dich nicht lösen, gewaltiger Schmerz? – nicht einmal Thränen! – da wühlt und wogt es im tiefsten Herzen – wie Felsenmassen drückt es mir die Brust, und keine Erlösung! O mein Gott, kein Leben, das wäre das Beste! Mir ist, als müßte mir leichter, wohler werden, wenn ich eine tiefe, tiefe Wunde in dies arme Herz bohren könnte, damit das Blut frei ausströmen, frei dahin rieseln könnte. Dann müßte diese Beklommenheit, diese Angst aufhören – Luft! Trost! Thränen!!“

„… Welcher Dämon wohnt oft im Menschen, der nicht zu bekämpfen, noch zu verscheuchen ist? – schwache, elende Natur – und doch keine schwache, elende Seele! eine Seele, aller guten, edeln Regungen fähig.“ …

Wilhelmine hatte Recht. Es war etwas Dämonisches in ihr, das mit den Jahren immer schärfer hervortrat. Ein fremder, finstrer Geist, den tausend bittere Erfahrungen ihr angepeinigt hatten, und der – so sehr sie sich sträubte – doch nur zu oft, bald auf längere, bald auf kürzere Zeit, die Oberhand gewann, ihr ganzes Wesen veränderte, ihr Leben vergiftete, indem er sie nicht zum Genuß des noch so schmerzlich Ersehnten, noch so leidenschaftlich Erstrebten kommen ließ und sie oft dazu trieb, denen weh zu thun, die ihr lieb waren. So lange das Sehnen und Ringen dauerte, sah sie nur das Ziel, empfand sie nur das Verlangen, es zu erreichen. Aber sobald es erreicht war, kam der Zweifel, der Ueberdruß. – Sie hatte schon so viel erstrebt, ohne je Befriedigung zu finden, hatte so Vieles mit glühendem Herzen erfaßt, um es bald darauf wieder zu verlieren – besser war es, mit eignen Händen zu zerstören, was doch zerfallen mußte; besser, sich von vornherein zu sagen, daß alle Liebe, alle Freundschaft, alle Erfahrung verweht wie ein Traum. Daß sie Andern weh that, konnte sie nicht hindern; litt sie doch selbst am meisten dabei!

Auch in ihrer künstlerischen Thätigkeit drängte sich dies dämonische Element zuweilen hervor. Daß Wilhelmine durch ihre dramatischen Schöpfungen ebenso begeistert war, wie sie Andere begeisterte, ist schon gesagt, aber zuweilen war es, als müßte sie der eigenen Erhebung spotten. Eine übermüthige Laune kam über sie, und die Scherze und Neckereien, die sie oft in die erschütterndsten Scenen hineintrug, brachten die Mitspielenden in Gefahr, aus der Rolle zu fallen. Unzählige, oft recht derbe Witzworte werden von ihr erzählt, und viele davon sind wahr, – aber wohl die wenigsten nur sind der Ausdruck eines fröhlichen Herzens. Gewöhnlich ist’s der Aufschrei ihrer geängstigten Seele, die von der Nichtigkeit aller Dinge so tief durchdrungen ist, daß sie auf Augenblicke an Allem zweifelt und selbst der eignen Begeisterung nicht mehr zu glauben wagt. Es ist die Stimmung, in welcher der Dichter ausruft:

„Ich lache über alles Menschenwerk,
Weil ich nicht weinen darf.“

Wie Wilhelmine in dieser Stimmung zu vielen Mißdeutungen Anlaß gegeben hat, so hat sie das noch viel mehr durch ihre rücksichtslose Wahrheitsliebe – rücksichtslos gegen sich selbst wie gegen Andere – und durch ihren unbezwinglichen Freiheitsdrang gethan, der die Grenzen des Herkömmlichen nicht immer respectirte. Diese gewaltige Natur konnte sich nicht beugen, nicht einschränken, sie mußte sich immer ganz so offenbaren, wie sie war, Alles so nennen, wie es ihr erschien. Auf Augenblicke konnte ihr das den Anschein der Härte, der Rücksichtslosigkeit geben – und doch war sie das gütigste, weichherzigste Wesen, immer bereit zu helfen und zu fördern, immer bereit das Gute und Schöne anzuerkennen, mochte es ihr in der Kunst oder im Leben, bei Freund oder Feind entgegentreten. Ganz unerbittlich aber war sie gegen die sich spreizende Mittelmäßigkeit, gegen Arroganz, Eitelkeit, Selbstüberschätzung, vor allem gegen das Geschmacklose und Unwahre in der Kunst, das so oft von der Mode beschützt wird. Ihre Meinung darüber zu verleugnen oder auch nur zu verschweigen vermochte sie nicht. Ob sie sich selbst Unannehmlichkeiten dadurch zuzog oder einflußreiche Persönlichkeiten gegen sich erbitterte, zog sie nie in Betracht.

Wilhelmine hat nie in irgend einer Weise danach gestrebt, anders zu scheinen als sie war, und wenn sie bei Andern ein solches Bestreben entdeckte, fühlte sie sich unwiderstehlich zur Opposition getrieben. So ist’s denn auch kein Wunder, daß sie trotz ihrer Güte und ihrer bezaubernden Liebenswürdigkeit viele und erbitterte Feinde hatte. Sie erwuchsen ihr aus Allen, die sich von ihr verletzt oder gedemüthigt fühlten, und deren Zahl war groß – denn Wilhelmine wies sowohl Hochmuth wie Herablassung mit ebenso treffenden als derben Sarkasmen zurück; Geziertheit, Prüderie, vor allem aber erheuchelte Frömmigkeit oder Servilität waren ihr unerträglich, und in ihrem Drange, das Kleinliche, Unwahre, Gemeine zu bekämpfen, ging sie mit äußerster Rücksichtslosigkeit zu Werke. Sie ging dann nicht allein bis an die Grenze des Erlaubten, sie übersprang dieselbe kühn und keck. Kein Wort war ihr dann zu scharf oder zu derb.

Dasselbe hat sie zuweilen ohne äußere Veranlassung gethan. Es war ein übermüthiges Spiel, das sie sich im Gefühl ihrer Kraft erlaubt, – wußte sie doch, daß sie jeden Augenblick im Stande war, die Geister, die sie entfesselte, wieder zu bändigen. Im Grunde der Seele hat sie sich bis an’s Ende die höchste Zartheit bewahrt, obwohl sie zuweilen alle Formen zu mißachten schien, die wir zu ehren gewöhnt sind.

Wenn ihre Freunde sie zur Mäßigung, zur Vorsicht ermahnten, hörte sie sie gewöhnlich ganz geduldig an. „Ihr mögt Recht haben,“ sagte sie dann wohl, „aber ich kann nicht anders! Wär’ ich besonnen, hieß ich nicht der Tell.“

Ein Wesen wie Wilhelmine kann freilich eben so wenig mit dem gewöhnlichen Maß gemessen, wie als Vorbild für Andere betrachtet werden. Uns ist es versagt, ihre Größe zu erreichen – sie war zu gewaltig organisirt, um innerhalb der Schranken auszuhalten, deren wir zu unserem Schutze bedürfen.

Und doch hat sich diese so ganz selbstständige Natur, die sich keiner der gegebenen Formen anpassen konnte, zuweilen gleichsam selber aufgegeben, sodaß sie zum Echo ihrer Umgebung wurde – und diese war leider nicht immer gut! Meistentheils war es freilich nur ein augenblickliches Ermatten, aus dem sie sich schnell wieder aufraffte, ein unbewußtes Sichgehenlassen mit der Strömung – vielleicht auch das Verlangen, einmal in der Weise glücklich zu sein, wie so viele Andere, die sich im engen Kreise behaglich und fröhlich bewegen – denn ach! wie oft hat Wilhelmine schmerzlich empfunden:

„Daß groß sein heiße, keinen Nächsten haben,
Und daß es traurig sei, so groß zu sein.“

Zuweilen aber, wenn die Leidenschaft über sie kam, wenn sie das ersehnte Idol ihres Herzens gefunden zu haben glaubte – [668] war es ein wirkliches Aufgeben aller Selbstbestimmung, alles Urtheils. Trotz ihrer Größe blieb Wilhelmine immer ein echtes Weib, das sich in Liebe unterordnen muß, und maßlos wie ihr ganzes Wesen war auch ihre Hingebung, ihr Vertrauen. Mehr als einmal hat sie am Rande eines Abgrundes erwachen müssen, und sie bedurfte dann aller ihrer Kraft, sich wieder zurecht zu finden. Ein solcher Moment des vollständigen Sichselbstaufgebens war ihre zweite Ehe (mit Herrn von Döring) und die Zeit, welche derselben voranging – ich werde später darauf zurückkommen müssen.