Erlebnisse und Ergebnisse der ersten deutschen Nordpolexpedition

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Otto Ule
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erlebnisse und Ergebnisse der ersten deutschen Nordpolexpedition
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 788–791
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[788]

Erlebnisse und Ergebnisse der ersten deutschen Nordpolexpedition.

Von Otto Ule.

Aus jenen furchtbaren Regionen der Nordpolarwelt, wo auf unabsehbare Fernen der Blick des Seefahrers nur auf Eis und Schnee fällt, wo nur Eisfelder und Eisschollen von wilden Stürmen bewegt ihr grausiges Spiel treiben oder riesige Eisberge, gleichsam aus schimmernden Sapphir- und Lasurblöcken zu den abenteuerlichsten Formen zusammengesetzt, das Auge mit Entzücken, die Seele mit Angst und Entsetzen erfüllen, wo Monate lang die Sonne nicht auf- und Monate lang nicht untergeht, aus jenen Regionen ist am 10. October ein deutsches Schiff in einen deutschen Hafen zurückgekehrt. Da wird die Neugier verlangen von den arktischen Wundern zu hören, welche die kühnen Helden dieses Schiffes erschaut, von den Abenteuern, die sie im Kampf mit all den Schrecken der nordischen Natur erlebt haben. Aber der Leser der „Gartenlaube“ weiß, daß diese Männer nicht ausgezogen sind, um erzählen zu können, sondern daß sie eine ernste Aufgabe zu erfüllen hatten, die ihnen von der deutschen Wissenschaft und der deutschen Nation gestellt war. Das rückgekehrte deutsche Schiff trug die erste deutsche Nordpolexpedition, die von einem deutschen Forscher angeregt, mit den Mitteln des deutschen Volkes ausgerüstet und bestimmt war, an der Lösung jenes großen Problems mitzuarbeiten, das bereits seit Jahrhunderten die größten seefahrenden Nationen der Erde beschäftigt hatte, der Durchforschung des geheimnißvollen Gebiets, welches den Pol unserer Erde umgiebt. Nicht Fragen der Neugier, aber des wissenschaftlichen und nationalen Interesses wird der Leser auf dem Herzen haben. Ist denn nun wirklich dieses Räthsel gelöst, oder hat unsere Expedition wenigstens diese Lösung gefördert? Hat der deutsche Seemann gezeigt, daß er es an Muth, an Ausdauer, an Geschicklichkeit und Tüchtigkeit den Seeleuten anderer Nationen gleichthun kann, daß er hoffen darf, sich einst neben die Hudson und Cook, Franklin und Parry stellen zu können? Hat das deutsche Schiff die Ehre der deutschen Nation gerettet, die sich so lange von allen solchen Entdeckungsunternehmungen ferngehalten hat, weil sie kleinmüthig und verzagt nicht mehr an ihren Beruf zur See, den sie doch einst so glänzend [789] bewährt, glaubte? So wird der Leser fragen, und er wird ein Recht auf eine Antwort haben.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal die Aufgabe, welche der ersten deutschen Nordpolexpedition gestellt war. Mit den beschränkten Mitteln, welche Petermann, dessen kühnem Vorgehen wir ja diese Expedition allein zu danken haben, zu Gebote standen, konnte nur ein kleines Segelschiff von etwa achtzig Tonnen ausgerüstet werden. Allerdings ersetzten die ausgezeichneten Eigenschaften der Führer, des Capitains Koldewey, des Obersteuermanns Hildebrandt und des freiwillig beigetretenen Untersteuermanns Sengstacke aus Holstein, wie die Tüchtigkeit der Mannschaft Vieles, was dem Schiffe an Größe, an Gewandtheit und Festigkeit abging. Immerhin aber durfte man ein so schwaches Fahrzeug nicht in die sturmbewegten Wogen des hohen Meeres hinaussenden. Man mußte ihm sicherere Fahrstraßen im Schutze der Küsten, zwischen dem gefürchteten Treibeisgürtel und dem festen Landeise anweisen, und man hoffte, daß es diese an der Ostküste Grönlands finden werde. Längs dieser grönländischen Küste also sollte der Versuch gemacht werden, so weit als möglich gegen den Pol vorzudringen.

Gründer und Führer der ersten deutschen Nordpolexpedition.
     Capitain Carl Koldewey.  A. Petermann.      Obersteuermann Richard Hildebrandt.

Um aber dahin zu gelangen, mußte freilich erst jener breite Treibeisgürtel durchbrochen werden. War dies nicht möglich, dann sollte die Expedition sich nach Spitzbergen hinüberwenden und dort das im Osten dieser Inselwelt gelegene, noch fast gänzlich unbekannte Gillisland zu erreichen suchen. Keine dieser Aufgaben ist nun in Wirklichkeit von der Expedition erfüllt worden. Weder ist es ihr gelungen die grönländische Ostküste zu erreichen, noch den Treibeisgürtel zu durchbrechen, noch endlich zum Gillisland vorzudringen. Daß die Expedition gleichwohl nicht als eine mißlungene betrachtet werden kann, das beweist der glänzende Empfang, der den Rückkehrenden von den Seestädten an der Wesermündung bereitet wurde, wie der begeisterte Eifer, mit dem man bereits die Ausrüstung einer neuen großartigeren Expedition für das kommende Jahr betreibt.

Um die Erfolge der Expedition richtig beurtheilen zu können, wollen wir sie auf ihrer müh- und gefahrvollen Fahrt begleiten.

Es war am Nachmittag des 24. Mai, als die „Germania“ den Hafen von Bergen verließ. Bis in die Nähe der Insel Jan Mayen war die Fahrt rasch und gut. Hier aber brach am 30. Mai ein heftiger Sturm von Osten her los; die See ging hoch, und die Luft war so dick vom Regen, daß man kaum eine Seemeile weit sehen konnte. Die Temperatur fiel allmählich unter den Gefrierpunkt und der Regen wurde zu spitzigen Eisnadeln, während das Segelwerk sich mit einer Eiskruste überzog. Aber das Schiff hielt sich wacker und trieb unter dichtgerefften Segeln in voller Sicherheit durch den Sturm. Man hatte eine nordwestliche Richtung auf Grönland zu eingeschlagen, und bald zeigten sich die ersten Anzeichen des nahen Eises, dichte Nebel, durch welche man zwei Tage lang, eine Strecke von zweihundert Seemeilen, sich durcharbeiten mußte. Am 5. Juni drang man unter 74° 50' nördlicher Breite und 10° 38' westlicher Länge von Greenwich zuerst in das Eis ein. Nach dreitägiger angestrengter Arbeit [790] gelang es, zwischen den dichtgedrängten Schollen bis 75° 19´ nördlicher Breite vorzudringen. Da aber brach abermals ein Sturm von Osten aus, der die „Germania“ zwang sich im dichten Eise festzulegen und vorläufig mit demselben südwärts zu treiben. Am 16. Juni klärte sich zwar das Wetter wieder und man erblickte nun deutlich die nahe Küste Grönlands bis zur Sabine-Insel vor sich. Aber alle Anstrengungen, sich aus dem Eisgefängniß zu befreien, waren vergeblich. Erst am 22. Juni, nachdem man willenlos bereits bis 73° 3´ nördlicher Breite und 16° 9´ westlicher Länge zurückgetrieben war, lockerte sich das Eis und nach schwerer Arbeit gelang es nun endlich wieder das offene Wasser zu erreichen. Das Schiff hatte seine erste Probe bestanden, der erste Kampf mit dem furchtbaren Polareise war durchgekämpft.

Wenige werden im Stande sein, sich eine richtige Vorstellung von den Schrecken dieses Kampfes und von den Anforderungen zu machen, die er an den Muth und die Geistesgegenwart des Seemanns stellt. Der berühmte Nordpolfahrer Hayes entwirft ein ergreifendes Bild von einem ähnlichen Kampfe, den er am Eingänge in den Sinithsund zu bestehen hatte, und ich kann mich nicht enthalten, diese Schilderung hier einzuflechten, da sie dem Leser das beste Verständniß der Schwierigkeiten giebt, an welchen ein Theil der Erfolge unserer Nordpolexpedition scheiterte. Hayes hatte es während eines heftigen Sturmes versucht, durch enge Canäle im Eise sich in das jenseits lockende offene Wasser durchzuarbeiten. Aber die Eisflarden halten sich zusammengedrängt, die Canäle verschlossen und selbst den Rückgang versperrt. „Die Scene um uns,“ schreibt er, „war ebenso imposant als beunruhigend. Außer Erdbeben und Vulcanen giebt es in der Natur kein Schauspiel, dessen Gewalt sich mit den arktischen Eisfeldern vergleichen läßt. Wo die Flarden zusammentrafen, wurden große Bergrücken aufgeworfen, um wieder unterzutauchen, wenn der Druck in einer andern Gegend ausgeübt wurde, und diese pulsirenden Erhebungslinien, die in manchen Fällen eine Höhe von nicht weniger als sechszig Fuß – höher als unser Masttop – erreichten, sprachen über das um uns liegende Meer hin von der Stärke und Macht des Feindes, der uns bedrohte. Wir hatten uns in einen dreieckigen Raum hineingearbeitet, den drei sich berührende Eisfelder bildeten. Anfangs gab es reichlichen Platz uns herumzudrehen, wenn auch keine Aussicht zum Entkommen war. Aber die Ecken der schützenden Flarden wurden langsam abgedrückt und der Raum verengte sich mehr und mehr. Wir lauschten auf das Knackern und Knirschen des Eises und beobachteten mit Bestürzung das Vorrücken desselben. Endlich berührte das Eis den Schooner und es schien, als ob sein Schicksal besiegelt wäre. Er stöhnte wie ein selbstbewußtes Wesen bei Schmerz, krümmte und drehte sich, als wollte er sich seinem Gegner entwinden, und zitterte an allem Holzwerk von der Klote bis zum Kielschwein. Seine Seiten schienen nachzugeben, sein Deckgebälk bog sich in die Höhe und die Nähte der Deckplanken öffneten sich. Das Eis auf der Backbordseite arbeitete sich allmählich unter den Bauch des Schiffes und hob es endlich mit einem Ruck, der uns Alle taumeln machte, aus dem Wasser. Da die Eisflarden noch immer vorwärts drückten und, indem sie sich an einander drängten, zerbrachen, so stapelte sich unter und rings um uns ein großer Bergrücken auf und wir sahen uns langsam in die Luft steigen, als würden wir durch die hebende Kraft von tausend Schrauben emporgetrieben. In dieser Stellung lagen wir acht angstvolle Stunden. Endlich hörte das Krachen auf; der Wind hatte sich gewendet und die ungeheuren Eisflarden, die sich den Sund hinabdrängten, richteten ihren Lauf mehr nach Westen. Hier und da zeigten sich in dem bisher dicht zusammengepackten Eise kleine Fleckchen offenen Wassers. Die Veränderung der Scene war, obgleich weniger furchtbar, doch nicht weniger zauberhaft als zuvor. Bald dehnte sich die Bewegung auf die Eisflarden aus, die uns so unbehaglich fesselten, und sowie der Druck aufhörte, wichen die Eisblöcke, welche den vorderen Theil des Schooners trugen, und ließen, während die Buge ihnen folgten, das Hintertheil hoch in der Luft. So lagen wir einige Augenblicke ruhig, dann begann die alte Scene von Neuem. Die äußere Flarde, die uns hielt, wurde von einem anderen sich bewegenden Felde von größerem Umfange erfaßt und wieder ging das Einzwängen los, wieder schienen wir in so großer Gefahr wie vorher zu sein. Aber der Angriff war von kurzer Dauer. Die Flarde wälzte sich um und wir fielen, da der Druck fast augenblicklich beseitigt war, in’s Wasser und taumelten, während das Eis, sein Gleichgewicht suchend, sich kopfüber und in wilder Verwirrung von seiner erzwungenen Erhebung unter uns senkte, vorwärts und rückwärts und von einer Seite zur andern.“

Das ist nur eine der wilden und gefahrvollen Scenen, wie sie sich zu Tausenden in dem Kampfe mit dem Treibeis des Polarmeeres ereignen. Solch ein ernster Kampf war es auch, den unsre kleine „Germania“ bei ihrem ersten Versuch, die grönländische Küste zu erreichen, zu bestehen hatte. Aber sie hielt sich wacker und entging siegreich dem drohenden Untergänge, wenn auch erst nach vierzehntägiger angstvoller Haft, und wenn sie auch manche Wunde davon getragen, manche Eisenplatte verloren hatte. Ungebeugt durch die eben bestandene Gefahr, versuchte es der kühne Führer sogar noch einmal, längs der Eiskante hinfahrend einen Durchgang nach Norden zu finden. Aber Nebel und östliche Winde erschwerten die Fahrt, und das Eis zeigte sich überall so dicht, daß an ein Eindringen nicht zu denken war, selbst wenn man wahnwitzig genug hätte sein wollen, es bei diesem heftig wehenden Ostwinde zu versuchen. Einmal, als man in eine Bucht der Eiskante eingefahren war, gerieth man bei dichtem Nebel in ein zerbröckeltes Eisfeld, aus dem man nur mit großer Mühe wieder herauskam. Die Aussichten waren trostlos. Auch die Aussagen der Walfischfänger, denen man an der Eiskante begegnete, lauteten wenigversprechend. Noch in keinem Jahre hatten sie das Eis hier so dicht gefunden; nirgends hatten sich Buchten oder Gassen im Eise gezeigt, in die man einfahren und in denen man seinen Fischfang hätte betreiben können.

Da entschloß sich Koldewey am 30. Juni seine nutzlosen Versuche aufzugeben und sich, wie es ihm seine Instructionen für diesen Fall vorschrieben, nach Spitzbergen hinüberzuwenden, um dort sein Glück zu versuchen. Schon am Morgen des 3. Juli erblickte man die Südwestküste von Spitzbergen und umsegelte in dichtem Nebel das Südcap. Da das Eis im Osten sich ziemlich lose zeigte, so steuerte man in dasselbe hinein. Das Schiff hatte zwar wieder harte Stöße zu erleiden; aber man achtete ihrer nicht mehr, nachdem man die Stärke des Schiffes kennen gelernt hatte. Zwei Tage lang war man so in nordöstlicher Richtung vorgedrungen; aber der Erfolg war ein geringer, da eine unerwartet starke Südwestströmung entgegenwirkte. Inzwischen hatte sich das Eis im Norden und Osten immer dichter zusammengepackt, so daß jede Hoffnung schwand, in dieser Richtung noch weiter vorzudringen. Ein heftiger Nordsturm, der in der Nacht zum 6. Juli ausbrach, zwang endlich zu dem Entschlusse, wieder aus dem Eise herauszusteuern. Nach langen und schweren Kämpfen gelang es; aber jeder Versuch, abermals nach Osten vorzudringen und etwa um die „Tausend Inseln“ im Süden von Stans-Vorland herum zum Gillislande zu gelangen, blieb vergeblich. So entschloß man sich denn, wieder nordwärts zu steuern und sich zunächst der Westküste Spitzbergens zuzuwenden, um dort im Bellsund Wasser und Ballast einzunehmen. Es blieb ja noch die Möglichkeit im Norden Spitzbergens das durchzusetzen, was im Süden so vergeblich versucht war. Vom Bellsund richtete daher die Germania ihren Lauf gerade nach Norden der nördlichen Eisbarrière entgegen. Am 19. Juli befand sie sich unter 80° 13` nördlicher Breite und 6° 35´ östlicher Länge von Greenwich, aber auch hier fand sie nirgends einen Durchgang, starrte ihr überall eine unüberwindliche Eisschranke entgegen, die sich unabsehbar von Westen nach Osten hinzog.

Noch einmal wandte sich Koldewey darum nach Westen, der grönländischen Ostküste zu; aber seine Hoffnung, jetzt günstigere Verhältnisse dort zu finden, als vier Wochen vorher, ward getäuscht. Bis zur Mitte August wurde Alles aufgeboten, die Küste zu erreichen. „Wir haben unser kleines Fahrzeug,“ schrieb Hildebrandt am 27. August, „gegen die Eisschollen anrennen lassen, wir haben uns hineingebohrt, um nur zollweise unsre Westlänge zu erreichen. Was half’s? Nachdem unser Schiff stark gelitten, waren wir endlich auf 73° 30´ nördlicher Breite und 18° westlicher Länge. Wir sahen die Küste so klar und deutlich vor uns, daß es uns schien, als müßte es nun bald gelingen, hinüberzukommen. Unsre Freude wurde erst recht groß, als wir in freies Wasser kamen. Aber dahinter erstreckte sich ein unabsehbares Eisfeld, welches fest auf dem Lande lag. Alle Versuche, die Küste zu erreichen, erwiesen sich als fruchtlos. Die ganze Küste von der [791] Sabine-Insel bis Hudsons ,Hold with Hope’ vor uns und jedes einzelne Schneefeld zu erkennen, und doch nicht hingelangen zu können – das war hart! Schon machte es sich fühlbar, daß die Tage kürzer wurden, es fing bereits an während einer Nacht zölliges Eis zu frieren, und noch auf einen Durchbruch des Eises hoffen? – das schien Wahnwitz. Wir hatten uns tief in das Eis hineingearbeitet und mußten uns eben so schwer wieder herausarbeiten. Einmal waren wir wieder so vom Eise besetzt, daß uns unsre Lage bedenklich erschien. Aber ein frischer Nordostwind, der nachher auf offner See zum Sturme anwuchs, befreite uns bald aus unsrer Gefangenschaft.“

Trotz alles Ungemachs war die heldenkühne Schaar noch keineswegs entmuthigt. Die Erreichung des Hauptzieles, der Expedition an der grönländischen Küste hatte zwar aufgegeben werden müssen; aber wenigstens sollte nun noch der Versuch gemacht werden, bei Spitzbergen Erfolge zu ertrotzen. Vor der Henlopenstraße, welche die Hauptinsel Spitzbergens von dem östlich gelegenen „Nordostlande“ trennt, fand man das Eis durch einen Sturm aufgebrochen und wagte es daher, in diese Straße einzulaufen. Bisher hatte noch kein Schiff diese Straße in ihrer ganzen Länge durchfahren. Immer noch hatte man sich, mochte man von Norden oder von Süden her eingelaufen sein, vor ihrem Ausgange durch undurchdringliche Eismassen Halt geboten gesehen. Der „Germania“ gelang es zum ersten Male, die ganze Straße bis über Cap Torrell hinaus zu passiren. Hier freilich versperrte wieder eine Eisschranke den Weg. Gillisland auf diesem Wege zu erreichen, war so wenig gestattet, als auf dem zwei Monate früher von Süden her eingeschlagenen. Man mußte sich wieder nordwärts wenden und erreichte am 14. September sogar die Breite von 81 Grad 5 Min., die höchste, die je zuverlässig von einem Schiffe erreicht wurde. Aber auch hier zeigte sich das Eis undurchdringlich, und man mußte sich nun endlich, in Anbetracht der vorgerückten Jahreszeit, zur Rückkehr entschließen. Am 30. September lief die „Germania“ wieder in den Hafen von Bergen ein.

Ueber den glänzenden Empfang, welcher der rückkehrenden Expedition in der Wesermündung am 10. October bereitet wurde, haben die Zeitungen berichtet. Ueberschauen wir die Thaten unserer ersten Nordpolexpedition, so haben wir keinen Grund zu klagen oder kleinmüthig zu sein. Die ganze viermonatliche Fahrt war ein unausgesetzter, mit seltener Ausdauer und nicht zu beugendem Muthe durchgeführter Kampf gegen einen übermächtigen Feind. Jeder Fuß breit Terrain mußte den wilden Elementen abgetrotzt werden. Daß nicht mehr erlangt wurde, daß namentlich die großen Ziele unerreicht blieben, ist nicht die Schuld der vortrefflichen Seeleute, denen diese Expedition anvertraut war, sondern einerseits der Kleinheit des Schiffes, das man in diesen schweren Kampf geschickt hatte, andrerseits der unerwartet ungünstigen Eisverhältnisse des Polarmeeres. Der ungewöhnliche Sommer dieses Jahres hatte auch ungewöhnliche Erscheinungen im hohen Norden hervorgerufen. Noch niemals, darüber sind alle Walfischfänger einig, welche in diesem Jahre die nordischen Meere besuchten, sind so ungeheure Eismassen vom Norden herabgekommen. „Es ist dieses Jahr ein Eisjahr gewesen,“ lautet der Bericht der schwedischen Nordpolexpedition, welche mit Hülfe eines der besten Dampfschiffe dieselben Aufgaben zu lösen versuchte, welche der deutschen Expedition gestellt waren, – „so daß z. B. das Meer zwischen den ,Sieben Inseln’ und dem ,Nordostlande’, welches 1861 schon in der Mitte des August eisfrei war, jetzt noch, in der ersten Hälfte des September, großentheils mit festem Eise bedeckt war.“ Auch diese schwedische Expedition hat trotz ihrer glänzenden Ausrüstung keine besseren Erfolge zu erzielen, selbst keine höhere Breite zu erreichen vermocht, als die kleine deutsche. Die grönländische Ostküste namentlich ist noch in keinem Jahre so unnahbar gewesen als in diesem. Mit seltener Hartnäckigkeit anhaltende Ost- und Nordostwinde hatten ungewöhnliche Eismassen gegen Grönland herangeführt und dort zusammengedrängt. Nichts destoweniger war es dem kleinen deutschen Schiffe, wie wir gesehen haben, sogar gelungen, diese Eismassen zu durchbrechen; aber das zusammengedrängte Eis hatte sich am Lande festgelegt und verhinderte sowohl die Annäherung an die Küste, als es den sonst mit Sicherheit zu erwartenden Canal freien Wassers längs der Eiskante versperrte.

Nur mit bewunderndem Stolze können wir auf die Seeleute blicken, welche unter so unerhört schwierigen Verhältnissen noch solche Erfolge ertrotzten, welche mit ihrem kleinen Fahrzeuge das grönländische Packeis durchbrachen, welche im Osten der Bäreninsel weiter als irgend ein Schiff jemals vor ihnen vordrangen, welche die Henlopenstraße bis über das Cap Torrell hinaus durchsegelten, welche endlich auch gegen den Pol hin die ungewöhnliche Höhe von 81 Grad 5 Min. erreichten.

Die erste deutsche Nordpolexpedition hat bestätigt, was ein bekannter preußischer Corvetten-Capitän schon am 2. December 1865 in der Sitzung der geographischen Gesellschaft in Berlin über die deutschen Seeleute öffentlich aussprach. Er habe selbst, sagte er damals, Tausende von deutschen Seeleuten unter Händen gehabt und die gefährlichsten Momente mit ihnen durchlebt, aber er glaube nie bessere Seeleute befehligen zu können. Auch seien ihm soviel Anträge zur Theilnahme an einer künftigen Expedition von der Elite unserer Seemannschaft zugegangen, daß er seine ganze Mannschaft aus Männern wählen könne, deren jeder seine Steuermannsprüfung bestanden habe und mithin mit jedem nautischen und bei der Expedition in Frage kommenden wissenschaftlichen Instrumente umzugehen wisse. Solche geistige Verhältnisse seien weder je bei anderen Expeditionen vorhanden gewesen, noch würden sie bei anderen Nationen vorkommen, und deshalb müsse eine deutsche Nordpolfahrt in wissenschaftlicher Beziehung viel mehr leisten, als dies irgend ein anderes Volk vermöge. In der That hat kaum jemals eine Polarexpedition in so kurzer Zeit und unter so unablässigen und schweren Kämpfen durch Beobachtungen, Messungen und Sammlungen eine reichere wissenschaftliche Ausbeute geliefert, als diese kleine Expedition trotz der geringen Zahl ihrer Mannschaft, trotzdem sie von keinem wissenschaftlichen Forscher begleitet war. Das größere Publicum wird diese wissenschaftliche Bedeutung der Expedition erst ganz zu ermessen vermögen, wenn der ausführliche Reisebericht, mit welchem Koldewey gegenwärtig noch beschäftigt ist, und das Ergebniß der Untersuchung, welcher die Sammlungen der Expedition von Seiten der bedeutendsten Gelehrten Deutschlands unterliegen, zur Veröffentlichung gelangt sein werden.

Als einen der besten und erfreulichsten Erfolge unserer ersten Expedition müssen wir endlich die rasche Entschlossenheit bezeichnen, mit welcher bereits eine zweite glänzendere deutsche Nordpolexpedition für das kommende Jahr vorbereitet wird. Eine sichere Bürgschaft ihres Zustandekommens ist die begeisterte Theilnahme der deutschen Seehandelsplätze an der Weser, die nicht nur einen merkwürdigen Contrast zu der kühlen Gleichgültigkeit bildet, mit welcher das deutsche Volk vor drei Jahren Petermann’s erste Anregung zu einem solchen Unternehmen aufnahm, sondern auch den Beweis liefert, daß man wenigstens an den deutschen Nordküsten die Wichtigkeit des Unternehmens, den Einfluß, welchen es auf die Interessen der Marine, auf den Sinn für Seefahrt, auf den nautischen Geist des Volkes haben muß, vollauf zu würdigen versteht. Der Plan der neuen Nordpolfahrt ist in seinen Grundzügen bereits entworfen und sieht seiner Veröffentlichung in Kürze entgegen. Ohne vorgreifen zu wollen, kann bereits so viel gesagt werden, daß nicht wieder einem zwerghaften Segelschiffe die große Aufgabe anvertraut werden soll, daß ein, womöglich zwei kräftige, in jeder Beziehung dem ernsten Kampfe mit den Elementen der Polarwelt gewachsene Dampfschiffe eine auserwählte, von bewährten wissenschaftlichen Forschern begleitete Mannschaft tragen werden, daß ein weiterer Schauplatz als zuvor ihrer Thätigkeit offen stehen wird, nicht blos die Ostküste Grönlands, nicht blos das spitzbergische Meer und das unbekannte Gillisland, sondern das weite, eisgepanzerte Meeresbecken von Grönland bis Nowaja-Semlja, und daß endlich auch eine Ueberwinterung auf Grönland zum Behuf ausgedehnter wissenschaftlicher Forschungen in Aussicht genommen wird. Nicht der Pol im eigentlichen Sinne, sondern die Erschließung und wissenschaftliche Erforschung des arktischen Polarbeckens wird das Ziel dieses Unternehmens sein, dessen Ausführung uns der im deutschen Volke so kräftig erwachte Sinn für die Ehre des Vaterlandes, dessen Erfolge uns der bewährte Seemannsruhm unserer Koldewey, Hildebrandt und Sengstacke verbürgt. Der Ausgang steht nicht in des Menschen Hand; was aber Menschen zu dem Erfolge beitragen können, das darf Deutschland getrost von seinen Seeleuten erwarten.