Etwas von der Mode

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Textdaten
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Autor: Rosalie Artaria
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Titel: Etwas von der Mode
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 866–867
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Etwas von der Mode.

Glaube nicht, liebe Leserin, daß die „Gartenlaube“ jetzt auch ihre Spezialkorrespondentin nach Paris entsendet habe, um nach gewissenhaftem Studium der dortigen „Ateliers“ dem staunenden deutschen Gemüth zu verkünden, welche „Schöpfungen“ von „omdrierten“ Seidenstoffen mit dreifacher „changeant“-Wirkung, goldgestickten Tuchkleidern, edelsteinbesäten Ballroben, nie dagewesenen Hutformen und kostbarsten Pelzbesätzen in dieser Saison für unerläßlich gelten – lauter Dinge, die für eine deutsche Frau mit 300 Mark jährlichem Toilettengeld ebenso belehrend als nützlich zu lesen sind; wobei natürlich die Sage von der bereits unter dem Namen des Glockenrocks am hellen Tag wandelnden Krinoline nicht vergessen wird, so wenig wie die tröstliche Kunde, daß die Aermel diesen Herbst wieder um zwei Meter in der Weite zugenommen haben, so daß sie jetzt einer stattlichen Landsknechtspluderhose wirklich immer ähnlicher werden.

Nichts von alledem! Die Veranlassung zu diesen Zeilen ist der Brief einer Leserin, welche aus sorgenvollem Hausfrauenherzen sich darüber beklagt, daß durch den unerhörtesten Modewechsel die Kleider und Mäntel des vorigen Jahres nicht mehr zu tragen seien. Wenn man den betreffenden Stoff zufällig noch auftreibe, könnten die Stücke allenfalls durch kostspielige Aenderung noch gerettet werden, sonst seien sie werthlos, wenn man nicht den Muth habe – und die wenigstens hätten ihn – durch veraltete Toilette aufzufallen. Hier drohe geradezu eine wirthschaftliche Kalamität für Familien mit kleinem Einkommen, die unter dem Zwang der Mode zu unverhältnißmäßigen Ausgaben genöthigt würden. Wie also hier abhelfen? Das sei die große Frage.

Ein gutes englisches Sprichwort sagt: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.“ Fassen wir also den ersteren und schauen wir uns nach dem letzteren um!

Der „launischen Göttin Mode“ selbst Vernunft predigen zu wollen, wird niemand im Ernst einfallen, sie ist, wie der Schnupfen, unheilbar, aber vorübergehend. Diesen „Vorübergang“ zu beschleunigen, ist schon eher möglich. Wenn eine große Anzahl von Frauen die ärgsten Ausgeburten der Schneiderphantasien einfach ablehnt, wie es im vorigen Jahr den versuchsweise eingeführten Empirekostümen mit kurzer Taille und engem Röckchen erging, so verschwinden sie bald wieder von der Bildfläche. Und wo steht denn geschrieben, daß wir die abscheulichen, ungraziösen, unpraktischen Ballonärmel in ganzer Größe wider unsern besseren Geschmack tragen müssen? Die einfache Weisung an die Schneiderin: „Machen Sie mir keine solchen Ungethüme, ich trage sie nicht!“ würde doch genügen, [867] auch den neu angefertigten einen bescheideneren Umfang zu sichern, wie sie thatsächlich von einer Menge modern gekleideter Damen getragen werden, welche, dank der heutigen großen Freiheit, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden, die Mode mehr markieren als eigentlich mitmachen. Mit solchen gemäßigten Bauschärmeln aber schlüpft man ganz leicht in ein vor- und vorvorjähriges Jackett hinein. Denn der vollständige Façonwechsel vollzieht sich – und hier ist unsere gute Hausmutter im Irrthum – frühestens alle drei Jahre. So lange ist es bereits, daß wir hohe Aermel tragen, so lange sind auch Kutscherkragen und Capes im Schwange, welche die Schultern so schön verbreitern und die Figur so vortheilhaft verkürzen. Wer sich diese also damals anschaffte, kann noch heute mit Hochgefühl darin wandeln, selbst einem ehrwürdigen Paletot von fünf Jahren verleiht ein neu aufgesetzter Faltenkragen den Schein der Modernität. Und wie leicht und gefällig vermögen heute geschickte Hände ein ganz altmodisches Kleid mit glatter Taille und engen Aermeln durch eine aufgesetzte Draperie von Puffen und Volants in abstechender Farbe oder von Spitzen zum eleganten umzuwandeln!

Hier thut sich nun mit einem Male der gesuchte Weg ganz von selber auf. Diese Veränderungen sind nicht kostspielig, wenn die eigenen Hände der Frauen und Mädchen sie machen. Und im heutigen Zeitalter der Nähmaschine kann jeder Hausvater mit kleinem Einkommen verlangen, daß Frau und Töchter dieselbe zur Schneiderei benutzen, zu der einzigen Hausindustrie, die heute mehr lohnt als jemals, während durch das Wegfallen vieler anderer eine Menge freier Zeit besonders für die Haustöchter entstanden ist. Allzu viel wird diese Zeit auf der Straße mit dem Weg zu Besuchen und kleinen Besorgungen zugebracht; unsere in der Familie lebenden Mädchen sollten gleich ihren dem Studium und dem praktischen Erwerb nachgehenden Mitschwestern zu täglicher, ausgiebiger Arbeit im Haus und für die Ihrigen verpflichtet sein. Malen, Sticken, Holzbrennen und dergleichen Tändeleien thun es nicht: Erwerb oder Ersparniß durch produktive Thätigkeit heißt heute die Losung für die Frauenwelt des Mittelstandes. Und: „Geschicklichkeit ist keine Hexerei“ gilt ganz besonders für die heute überall zu lernende häusliche Schneiderkunst, die im töchterreichen Hause eine so große Ersparniß zu erzielen vermag!

Es steht also, trotzdem die Mode seit den letzten Jahrzehnten viel rascher wechselt als früher, nicht gar so schlimm mit ihrem unerbittlichen Zwange. Wenn man sich wie die erfahrenen Pariserinnen der Mittelklasse auf wenige gut gemachte Kleider beschränkt, die immer zwei Jahre unverändert zu tragen sind, ferner zu jedem neuen Kleid zwei Meter Stoff als Vorrath für Veränderungen kauft und bei der Wahl von Mänteln und Hüten die excentrischen Formen, die oft sehr kurzlebig sind, vermeidet, so ist es auch heute möglich, mit bescheidenen Mitteln hübsch und geschmackvoll gekleidet zu sein, ohne jemals ein noch ziemlich neues Stück als unbrauchbar beiseite legen zu müssen. Sind aber an einem älteren die Hüften nicht ganz so glatt, die Aermel nicht ganz so bauschig, die Rockfalten nicht ganz so glockenförmig, wie das moderne Ideal der in Dreiecken übereinander gipfelnden Persönlichkeit es verlangt – dann, liebe Leserin, tröste dich mit einem vorzüglichen Spruch, den meine gute Mutter anzuwenden pflegte, so oft unsere jugendliche Eitelkeit das Fertigtragen eines älteren Gewandstückes für unmöglich erklärte.

„Da sehen die Leute nur, daß Ihr auch schon vor drei Jahren ein gutes Kleid gehabt habt!“ sprach sie gemüthsruhig, und dabei hatte es sein Bewenden. Sollte es ganz unmöglich sein, modernen Töchtern etwas Aehnliches zur Antwort zu geben?

R. Artaria.