Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 11

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Am eilften Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 18, 9–14.
9. Er sagte aber zu Etlichen, die sich selbst vermaßen, daß sie fromm wären, und verachteten die Andern, ein solch Gleichnis: 10. Es giengen zween Menschen hinauf in den Tempel, zu beten; einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12. Ich faste zweimal in der Woche, und gebe den Zehnten von allem, das ich habe. 13. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel; sondern schlug an seine Brust, und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14. Ich sage euch: Dieser gieng hinab gerechtfertiget in sein Haus vor jenem. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden.

 DA sich etliche in Gegenwart unsers HErrn vermaßen, daß sie fromm wären, und andere verachteten, stellte ihnen der HErr in einem Gleichnisse vor die Augen, wie viel vorzüglicher demüthiges Bekenntnis der Sünde sei, als der Eigenruhm des Selbstgerechten. − Wie es sich ziemt, schließen wir uns an die Worte unsers HErrn an und betrachten zuerst die Selbstgerechtigkeit des Pharisäers und dann die bußfertige Demuth des offenbaren Sünders.

 1. Ein Pharisäer wird von dem HErrn als Beispiel der Selbstgerechtigkeit aufgestellt, offenbar deshalb, weil die hervorstechende Eigentümlichkeit der Pharisäischen Secte den Menschen vorzugsweise in die Gefahr der Selbstgerechtigkeit versetzte, − wenn schon nicht deshalb, weil grade alle Pharisäer unausweichbar und nothwendig selbstgerechte Heuchler hätten sein müßen. Wir können deshalb die Antwort auf die Frage: Was ist Selbstgerechtigkeit? nicht im Angesicht und Leben eines jeden Pharisäers lesen; sondern wir brauchen dazu das Angesicht und den Wandel eines Pharisäers, wie der war, den uns unser HErr im Evangelium beschreibt. Den faßen wir ins Auge und da finden wir denn, daß Selbstgerechtigkeit Blindheit für die eigenen Fehler sei, und übermäßige Schätzung des vorhandenen Guten, unwahre Beurtheilung des Guten nach Menge und Lauterkeit. Der Pharisäer ist nicht deswegen ein Selbstgerechter, weil er die Sünden anderer Leute, Räuber, Ungerechter, Ehebrecher, Zöllner sieht; sondern weil er seine Sünden, z. B. den Hochmuth, mit welchem er sich nicht allein über andre Leute erhebt, sondern auch mehr, als Gott in Seinem Gesetze verlangt, zu leisten glaubt, − nicht sieht. Er ist nicht deshalb ein Selbstgerechter, weil er es für recht und dankenswerth erkennt, nicht geraubt, nicht Ungerechtigkeit und Ehebruch geübt zu haben; aber daß er thut, als wäre, wer diese Sünden nicht begangen, schon gerecht, daß das Register der Tugenden bei ihm so klein ist, das ist ein schlimmeres Zeichen und bereitet uns auf die üble Entdeckung vor, daß er ein selbstgerechter Thor sei. Sein Fasten, sein| Zehentgeben von aller seiner Einnahme hätte nicht nothwendig Selbstgerechtigkeit sein müßen; aber es ist starrende Selbstgerechtigkeit, weil er damit Gottes Forderungen überbieten und mehr thun will, als er schuldig ist, weil er darauf hin Gottes Wohlgefallen in Anspruch nimmt.

 Wäre nur der Pharisäer, von welchem der HErr spricht, so gewesen, so könnten wir fröhlich sein; sein Beispiel föchte dann uns nicht an. Aber der HErr will nicht das Andenken eines einzigen Selbstgerechten verewigen; sondern Er will durch die misfällige Darstellung Eines Beispiels eine ganze nie aussterbende Classe von Menschen heilsam erinnern und durch Seinen Tadel zur Erkenntnis bringen. Ja, was sage ich, Er will das menschliche Herz in seiner angeborenen, sich täglich neu erweisenden Eigentümlichkeit schildern. Nicht einer von uns, wir alle sind von Natur so, wie der Pharisäer. Wir sehen anderer Leute Sünden sehr scharf, unsere eigenen, oft dieselben, welche wir an andern tadeln, vergeßen wir auf eine unbegreifliche Weise. Weh dem, der uns, wie Nathan dem König David, sagen würde: Du thust selbst, um weswillen du andere für unwerth achtest zu leben. − Das Gute, will sagen Scheingute, welches wir in unserm Leben auffinden können, betrachten wir mit demselben Wohlgefallen, mit welchem ein eitles Weib einen etwa entdeckten schönen oder geistreichen, d. i. schön oder geistreich sein sollenden Zug ihres Angesichtes im Spiegel studirt. Ja, mit einer so unbilligen Verehrung unser selbst betrachten wir unsere vermeinten geistlichen Schätze und Vorzüge, daß uns wie lauteres Gold und Silber erscheint, was wir bei einer nüchternen Beurtheilung als pures Kupfer oder gar als bloße Scherben erkennen würden. − Dazu belügen wir uns nicht allein durch Uebertreibung, sondern unser alter Mensch übt noch eine schlimmere Kunst. Denn wir finden im Grund doch zu wenig Gutes an uns, als daß wir zufrieden sein könnten. Da muß das Böse gut genannt werden, oder es muß durch Einbildung ersetzt werden, was in Wahrheit mangelt, oder nennt man nicht das Böse gut, wenn man Betrug Klugheit, den Geiz Sparsamkeit, Hurerei und Unreinigkeit eine menschliche Schwachheit, wohl gar eine verzeihliche Jugendlust − und viele andere Laster sogar mit den Namen der gegentheiligen Tugenden benennt? Und wenn wir uns einbilden, Christen zu sein, weil wirs nicht sind, und uns für vortrefflich halten, während in der Tiefe der Seele ein unruhiger, nicht zu beschwichtigender Zeuge die Erinnerungen an unsre Sünden schärft, gleichen wir nicht dem armen Narren, der im Strohkranz eine Braut und in Lumpen ein Kaiser im Purpur zu sein glaubt? − Ach HErr, ach HErr, laß uns erschrecken über uns selbst − und unser Stolz zerbreche, wenn Dein Geist das Wort: „Pharisäer“ in uns ausspricht und über uns ausspricht, wie ein Richter, der den Stab bricht.


 Wir haben nun wohl gefunden, was Selbstgerechtigkeit sei. Aber wenn wir die Aeußerung der Selbstgerechtigkeit bedenken, welche der HErr in unserm Texte schildert; so wird sie uns doch noch grauenhafter und wir müßen, ach vor unserm Bild, erschrecken, wie ein Abzehrender, der sich lange nicht gesehen und sich vor seinem Ende noch einmal im Spiegel beschaut. − Die Aeußerung von der wir reden, ist das Gebet. Wenn man einen Trunkenbold Sauflieder singen hört, ist er abscheulich; aber wenn er anfängt zu predigen, ist er doch viel häßlicher. Jede Sünde ist in dem Maße grauenhafter und schrecklicher, als sie in Gottes helles Licht tritt. Je glänzender und reiner das Licht, desto schwärzer ist die Finsternis. So ist ein Selbstgerechter, wenn er betet, am allerhäßlichsten, zumal wenn man bedenkt, was ein solcher seiner Natur nach nur beten kann. Seine Fehler sieht er nicht, dafür desto mehr Vortrefflichkeit. Er ist ja satt − er hat ja genug, was bedarf er noch, was hätte er noch zu bitten? Es ist für einen solchen vom eigenen Glanze verblendeten Menschen schon genug, wenn er Gott noch einen Antheil an der Ehre seines Zustandes, seiner Tugend läßt. Oder soll man lieber sagen, ein solcher hält seine Vollkommenheit für so groß, daß er sie nur für ein göttliches Werk erkennen, nur Gott als Ursächer und Schöpfer preisen kann? Kurz, zu bitten gibts da nichts mehr, wo nichts mehr fehlt, aber zu danken desto mehr. Drum ist das Gebet des Selbstgerechten, wenn er in demselben von seinem Seelenzustand und Wandel redet, nur ein Dank- und Lobgebet. Weit über andere sieht er sich von Gottes Hand erhaben; darum spricht er: „Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin wie andre Leute.“ − Es läßt sich ein Fall denken,| da einer wirklich beßer ist, als andre Leute und dann ist natürlich sein Dankgebet keine Sünde. Aber wenn ein Mensch, der in aller Blöße des unbekehrten Wesens vor Gott steht, so schamlos ist, seinen Zustand als den Gipfel alles geistlichen Wohlverhaltens und Wohlbefindens, als ein besonderes Werk des HErrn vor Gottes eigenem Angesichte zu bekennen; so ist das nicht allein eine schauerliche Verrücktheit, sondern auch, sofern ein solcher Mensch zurechnungsfähig ist, eine Lästerung des Heiligen und Vollkommenen. − Ach, daß wir aufhörten zu lästern und Gott über unsere sündliche Verkehrtheit zu preisen! Daß uns doch endlich einmal die Augen recht aufgiengen, zu erkennen, daß nichts Häßlicheres, nichts Lächerlicheres, nichts Bedauernswürdigeres ist, als ein Stolz auf Dinge, die keine Vorzüge sind, oder auf Vorzüge, welche man nicht besitzt.
 Bei einer so schauderhaften Höhe des Verderbens, wie das Gebet des Selbstgerechten ist, läge keine Frage näher, als die: „Wie rottet man dies Uebel mit der Wurzel aus?“ Aber eben die Beantwortung dieser Frage hängt wieder ganz von der Erkenntnis der Wurzel ab. „Was ist die Wurzel der Selbstgerechtigkeit? Woher kommt sie?“ Das muß deshalb die nächste Frage sein, die uns bekümmere. Die Wurzel ist zweigespalten, − in der Samenkapsel liegen zwei Samenkörner nebeneinander. Denn die Selbstgerechtigkeit hat nichts anderes zum Grunde, als einen Mangel an Erkenntnis Gottes und unsrer selbst. Der Selbstgerechte kennt Gott nicht, er begreift nicht nur nicht, sondern er ahnt nicht einmal, was das heißt: „Gott“ und „vollkommen“ sein. Er sieht nicht nur nicht ins Licht, das Gott umgibt, denn wer könnte das? sondern er wird auch nicht davon erschreckt, geblendet, in den Staub gebeugt. Das Volk am Sinai floh vor dem, der aus den Wolken redete, und offenbarte damit, wie einen großen Abstand von Gott und Seiner Heiligkeit es im Herzen inne wurde. Dagegen der Selbstgerechte steht dummkühn am Berge der Schrecken oder vielmehr, er gleicht dem Heiden, der seinen Gott nach seinem eignen Bilde zimmert; statt in Heiligkeit und strenger Forderung der Gerechtigkeit ein Bild des vollkommenen Schöpfers zu sein: wird er ein Schöpfer seines Gottes − und seines Gottes Gerechtigkeit ist ein Abbild der eigenen Gerechtigkeit. Er fertigt sich Gott und den Begriff göttlicher Gerechtigkeit nach seinem kleinen Maße, und mißt sich dann daran − natürlich zu seinem Lobe und Preise. − Sieh nur, wie der Pharisäer die Gebote Gottes auslegt, nicht weiter, als sie zu seinem Vortheil ausfallen können. Raub, Ungerechtigkeit, Ehebruch, Zöllnerei − das ist das Verzeichnis seiner Verbote, − diese Verbote sind sein Gesetz. Nichts von Liebe, Furcht und Vertrauen, − nichts von dem Namen über alle Namen, nichts von Anbetung der Seele, − nichts von Vater und Mutter, − − nichts von geistlichem Sinne des Gesetzes ist ihm bekannt. Wie klein ist sein Gesetz, wie leicht zufrieden sein Gott! Dem kann er freilich dienen und mit seinem Geben seines Gottes Fordern überbieten. Bei solcher Gottes- und Gesetzerkenntnis gibt es einen Gehorsam, der mehr leistet, als er schuldig ist, − da gilt, da spricht man, hört man ohne Angst ein: „Thue das, so wirst du leben,“ − da kommt statt der Beichte der eigene Ruhm: „Das habe ich Alles gehalten von meiner Jugend auf.“ − Ach wie blind, wie blind ist der, welcher je in seinem Leben dahin gekommen zu sein oder dahin kommen zu können wähnt, daß er den Forderungen des Gesetzes genüge. Du bist so heilig, HErr, in Deinem Gesetze − und wir so unheilig, so tief verderbt, so gar die umgekehrten Tafeln Deiner Gebote, das Gegentheil deßen, was Du bist, und von uns willst! In Sünden waren wir, da unsre Mütter uns empfiengen, wie Dein heiliger Geist zeuget, − unser Dichten ist böse von Jugend auf, von uns selber vermögen wir nichts Gutes zu thun, zu reden, zu denken, − was könnte Dir an uns gefallen? Was könnten wir Dir bieten nach Deinem Sinn, zu Deinem Wohlgefallen? Nicht einmal das Bekenntnis unsrer Armuth, geschweige ein Misfallen an ihr vermögen wir Dir darzubringen. Und der selbstgerechte Pharisäer meint mehr thun zu können, schon gethan zu haben, als du gebeutst!? Wie wenig kennt er sich! Wahrlich vom Dornstrauch und von der Distel erwartet er Feigen und Trauben, − ja er nimmt sie davon, nie anders, als weil er niemals Feige und Traube sah! Er weiß nicht was er thut! Wenn er wüßte, wie blind, wie thöricht er ist, er würde sich in die Löcher der Erde vor Schaam verbergen. Wenn er wüßte, wenn ers glauben könnte,| daß Du ihn mit seinem Dankgebete wie einen Cain verwirfst, daß er vor Dir und von Dir ungerechtfertigt bleibt, daß Du nicht loben kannst, was er lobt, − im Gegentheil, daß ihn Dein Wort trifft: „Wer mit Werken umgeht, der ist verflucht!“ − Ach wenn ers wüßte, aber daß weiß er eben nicht. Daran liegts. Er weiß es nicht, er wills auch nicht wißen, er will nicht herabgewürdigt, nicht klein werden, es ist ihm so weit und groß ums Herz, er sieht über andere so hoch hinweg: wie sollt er nun seine Aussicht durch seine Einsicht verändern laßen! Er will nicht: − wags nicht, ihn zu überzeugen, die Wurzel seines Seins anzugreifen, wags nicht, ihm zu helfen, Freund! Es möchte dir bezahlt werden, wie dus nicht verdienst. Der kämpft um seine Krone. Oder wags lieber! Wenn dirs gelänge, ihm die Krone als Papier, − und die weiten Räume als des Irrenhauses Räume darzustellen; ach, wenn du ihm ein Licht in sein Inneres bringen könntest, daß er sich erkennete, daß er aus seinen Wolken fiele, daß er von seinem Traum erwachte, von der frevelnden Einbildung, − daß er nicht mehr stände und mit schamloser Stirne Gott für die Gerechtigkeit dankte, die dem Vater des Lichtes nicht gefällt und nicht von ihm kommt: − daß er dem Zöllner ähnlich, nur erst so gerecht, wie der Zöllner würde, daß er nur erst ein Gewißen bekäme, wie es der Zöllner hat: ein gutes, scharfes Gewißen! Wenn du das in ihm bewirken könntest! Da wäre das Uebel an der Wurzel ausgerißen! Aber das kannst du nicht, das bewirkt kein Mensch am andern! Hier muß helfen der Allmächtige, dem wir Hosianna nicht als puren Wunsch, sondern als Gebet, ja, als Lobgesang bringen! Der hat schon so viele aus Pharisäern zu bußfertigen Sündern umgewandelt! Alle Seine Seligen um Seinen Thron sind umgeschaffene Selbstgerechte! ER hat es bewiesen an den Millionen von Auserwählten, daß ER aus Steinen Kinder bereiten kann! Von Ihm kommt auch unsre Hilfe! ER kann, ER will, ER wird uns helfen von uns selber, von dem Bilde des Satans, von dem Bettelstolze der Selbstgerechtigkeit! ER wird uns die Süßigkeit, die Seligkeit der Demuth, der Demuth mittheilen, die, völlig verarmt an allem Eigenen, von Seinem Reichtum zehrt und von Ihm mit heiliger Lust, wie mit einem Strom, erfüllt wird! ER wirds thun, uns helfen, die wir uns, ach wie sehnlich, darnach sehnen, − und denen, welchen wir ein gleiches Glück vergönnen!

 2. Dieses Glück werden wir genauer erkennen, wenn wir nun das Beispiel des Zöllners, der Buße that, ins Auge faßen.

 Man nennt den Zöllner den offenbaren Sünder. Ein eigener Ausdruck! Dürfen wir ihn denn gebrauchen? Wird er denn auch durch die gründlichste Erklärung gerechtfertigt? Gibts denn in der Welt andere Leute, als offenbare Sünder? Liegt nicht bei einem jeden, kenntlich auch für den, welcher am Richten keine Freude hat, das Böse zu Tage, − ausgelegt, wie eines Krämers Waare? Ach, wir sind alle offenbar, wenn mans recht nimmt. Aber freilich, die Welt ist doch der pharisäischen Secte voll − und die Pharisäer sehen ja mit andern Augen: sie finden an sich und andern nicht so gar viel Böses. Nur grobe Sünder sind im Pharisäerreiche andern, und nicht einmal diese immer sich selber offenbar. Offenbare Sünder, das sind deshalb nach der babylonischen Sprachverwirrung unsrer Tage − grobe Sünder, wenn man ein falsch gebrauchtes Wort durch ein anderes, eben so falsch gebrauchtes, im falschen Brauch jedoch verständliches erklären darf. Denn wir sind, genau genommen, sämmtlich grobe Sünder, − und die Sünde ist nie fein, am allerwenigsten, wenn sie, ins Innere zurückgezogen, alles geistliche Leben und Keimen der Seele wie ein Grabstein erdrückt.

 Jedoch, was brauchen wir dem Sprachgebrauch der Welt zu huldigen? Laßt uns dem Namen „offenbare Sünder“ eine richtigere Deutung geben, den einen offenbaren Sünder nennen, der nicht bloß vor andern, sondern auch vor sich selbst in seinen besondern Sünden offenbar geworden ist, − laßt uns sagen: alle Menschen sind Sünder, offenbare Sünder aber sind die reumüthigen Sünder, die ihre Sünde bekennen. So wollen wirs nehmen und nun den offenbaren Sünder näher kennen lernen.

 Was der offenbare Sünder gesündigt hat, enthält unser Evangelium nicht. Wir könnten von seinem Stande, so wie von vielen Beispielen seiner Stammesgenoßen auf seine Sünden schließen. Aber es liegt uns zunächst daran nichts. Gesündigt hat er, das sehen wir, denn wir sehen ihn ja reumüthig.| Worin sich nun seine Reue äußere, das wollen wir vor unser betrachtendes Auge führen und den HErrn bitten, daß die Betrachtung fremder Reue uns Lust zur Reue und, wenn möglich, Reue selber wirken möge.

 Seine Reue spricht sich in doppelter Weise aus, stumm und laut, stumm in Gebärden, laut in Worten, immer aber auf eine unzweideutige Weise. Und gegen den Pharisäer gehalten, welcher zugleich mit ihm im Tempel steht, sticht sein Beispiel ab, wie nur immer ein Gegentheil von dem andern abstechen kann. − Bei dem Pharisäer hebt der evangelische Text mit den Worten „er stand“ die Gebärde dermaßen hervor, daß man ihn so ziemlich stehen sieht in selbstvergnügter, anspruchsvoller Ruhe. Wie ganz anders ist des Zöllners Gebärde beschrieben. „Er stand von fern“ − heißt es von ihm. Warum steht er von ferne, warum sucht er den Winkel des Tempels auf? Das Bewußtsein seiner Unreinigkeit hält ihm den Fuß zurück, nicht wie ein Berechtigter im Hause des HErrn hervorzutreten. Er hält sich selbst nicht werth, Gott nahe zu kommen. Kein Selbstvertrauen − ach, nur ein schüchternes Vertrauen zum HErrn selbst zeigt sich. Er sucht den HErrn in Seinem Tempel, er will von Ihm nicht getrennt sein − und gewinnt es doch auch nicht über sich, Ihm und dem Heiligtume sich mehr zu nähern. Ja, nicht allein sein Fuß wagt sich nicht näher, auch sein Auge, das, wie aller Menschen Augen, vorwärts strebt, hält sich gewaltsam zurück: „er wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel.“ Heilige Schaam, Morgenroth der Wiedergeburt, − du bist so schön auf der Wange deßen, der in sich selber keine Hoffnung mehr hat! Dich soll man keine Gebärde nennen, es sei denn daß man dich nenne eine Gebärde, ja einen Glanz Deßen, der da kommt im Namen des HErrn, selig zu machen aus Seiner heiligen Höhe! Der verlorene Sohn in seinen Lumpen und in seiner Nacktheit, in seinem Hunger und Durst reizt das Erbarmen bei seiner Rückkehr zum Vater mehr. Aber die Schaam des Zöllners im Tempel ist lieblicher und erweckt die Freundlichkeit und Leutseligkeit Deßen, der die Gottlosen mit Seiner Gerechtigkeit schmückt, nachdem ER ihre Sünden vergab! O daß wir im Gefühle unsrer Sünden schüchtern würden, daß auf unsre in Welt und Sünde verbrauchten Züge die Schaamröthe, wie das Zeichen der kommenden ewigen Jugend, wiederkehrte, − daß kein Sünder unter uns mehr mit frecher Stirne und herausforderndem Auge aufträte! Der Du mich verneuerst zur Jugend der Ewigkeit: daß ich mich von ganzem Herzen vor Dir schämen könnte!

 Doch zurück zum Zöllner. Sein Auge hebt er nicht auf zu Gott: aber seine Hand hub er auf und schlug an seine Brust. Was wollte er mit den zur Brust geführten Schlägen? Was ists, das in ähnlichen Nöthen auch unsere Hand hebt? Solls ein Zeugnis sein, daß es innen in der Brust schlägt und unruhig ist? Ist der Schlag der Hand nur ein äußeres Zeichen von dem innern Herzens- und Gewißensschlag? Kann sein, doch sind die Schläge des Zöllners zu stark geführt, und es dürfte wohl in ihnen noch etwas anderes ausgesprochen sein, − es dürften diese Schläge eine Andeutung von Selbstgericht sein, daß der Zöllner sich der Schläge Gottes würdig achte, ein Vollziehen des Urtheils, deßen er sich im Himmel bewußt ist, ein Vorspiel deßen, was kommen wird, durch die eigene Hand vollführt. Ach, ein wahrer Handschlag, den Tausende seitdem geführt, den auch ich führe vor Dir, o Gott, und jammernd spreche: „Meine Schuld, meine Schuld!“ Doch so ergreifend die Gebärden des reumüthigen Sünders sind, in denen er vor Gott steht; so ist doch über den Gebärden der Erguß seines Bekenntnisses in Worten nicht zu vergeßen! Es muß ein starkes Gefühl der Sünden in ihm gewesen sein, ein überschwängliches Bewegen in seiner Seele! Denn er findet zwar nicht viele Worte, aber Worte centnerschwer: die, seitdem sie gesprochen und vom HErrn veröffentlicht, die Christenheit nicht mehr vergeßen konnte, in welche viele tausend tiefgebeugte Sünder ihr gepreßtes Herz ergoßen! Ach, die Noth lehrt oft durch Gottes Gnade beten, die Noth findet aber auch oft eine Beredtsamkeit weniger Worte, über welche Jahrtausende erstaunen! So ists mit den Worten des Zöllners, von welchem der HErr einen Theil Seines Gleichnisses nahm! Es muß ein Zöllner gelebt haben, der so betete, − denn das tiefste Leben der Buße liegt in seiner Beichte! Sie gefiel auch Dem, der unser Beichten hört, dermaßen, daß Er sie durch Sein Gleichnis unsterblich machte und, wenn man so sagen darf, zu einer Art von Generalbeichte erhob! Ach, mit diesen Worten, lieber Vater, mit dem Bewußtsein, dem Geiste dieser Worte laß uns beichten!| Denn wer das kann, der hat entweder aus einer erkannten Sünde solche Erkenntnis seines Herzens genommen, daß er weiter keine anzuschauen braucht, oder er hat den Zustand seines Herzens so erkannt, daß es auf einzelne Sünden nicht mehr ankommt: − der hat Buße, wie sie sein soll. Es sind nur fünf Worte, die der Zöllner spricht: „Gott − sei − mir − Sünder − gnädig!“ Aber sieh sie einmal an. „Gott“ − „mir“: da stehen sie gegeneinander über: Gott und Mensch, Gott in Heiligkeit, der Mensch in Schuld, Gott in Höhe, der Mensch im Thale der Verbannung. Welch eine Kluft zwischen „Gott“ − und „mir“! Welch ein Vergleich! Welch’ eine schreiende Wahrheit, die aus diesem Vergleiche kommt! Da muß man doch sich erkennen lernen! Der Zöllner erkannte sich auch. Seine Selbstprüfung war ganz die rechte: er sollte Gottes Bild sein, so verglich er das Bild mit dem Urbild, − das Bild verglich sich mit dem Urbild. Daher das vernichtende Gericht, welches sich im Herzen des Sünders offenbart, das strenge, wegwerfende Urtheil, welches sich von Gott her dem Zöllner aufdringt. Es erfüllt sein Herz, es entströmt seinem Munde: er nennt sich mit tiefer Zerknirschung „Sünder“. Er sagt nicht: „Sei mir Zöllner gnädig“; sein ganzer Beruf verschwindet, all sein Thun, alle Beziehungen seines Lebens lösen sich in Sünden auf, einfach und vollkommen nennt er sich einen Sünder. Ach, was ein Wort in sich faßen, was ein Wort offenbaren, was ein Wort wirken kann, − welch eine Welt voll Lust, aber auch voll Jammers in Einem Worte sein, dargereicht, genoßen sein kann, wenn der Geist des HErrn es im Herzen spricht. Ein Reim beginnt: „Mein Wißen ist: ich bin ein Sünder“ − wenn du dieß Wißen im Geiste und in der Kraft ergriffen hast, wer rettet dich vor deßen tödtender Gewalt? Wohl dir, wohl dir, wenn zur Zeit, da du dies Wort faßest, dir ein anderes Wort gegeben wird, die Bezeichnung einer Sache, die alleine die Sünde überwältigen und aus der Hölle des Sündengefühls in den Himmel des Friedens Gottes einführen kann! Wohl dir, wenn du Gott siehest und um Ihn Gnade, wenn dir das Wort gnädig vom Worte Gott untrennbar wird! Das Recht ist verwirkt, das Verdienst ist verwelkt, der Ruhm ist verdorrt, die Seele des Sünders schmachtet. Wie Regenwolken über dürrem Erdreich erscheint die Wißenschaft, daß Gott gnädig ist, einem Herzen, das sich selbst verdammt. O Gnade, Verheißung, die, wenn alles trügt und flieht, uns bleibt, o Gnade, einzige, einzige Hoffnung des nüchternen Beschauers seiner Nacht, − Gnade, sei gepriesen! Wie die Bäume säuseln und die Gräser und Blumen sich neigen und die Waßer duftender fließen, wenn die Regenwolken nahen, so geht Dir, o gnädiger und barmherziger Gott, im Herzen und Innern alles, alles ahnend, begehrend entgegen − und, welcher Sünder sich und Dich erkennt, − deß Herz wird eines Wunsches, deß Lippen eines Gebetes voll: Sei − sei mir Sünder gnädig! − HErr, des Zöllners Gebet gib mir in meine Seele, − und wenn ich dermaleins vor Dir stehe durch Deine Gnade, Du Gnädiger, wenn Du mein Lied und mein Gebet, wenn Du in mir alles bist, dann gib meinen Kindern dies Gebet in seiner Kraft! Das sei mein Vatersegen! Dann sind sie gesegnet mit Buße, gesegnet mit Glauben, gesegnet mit Erfahrung, die beßer ist, als graues Haar! Dann werden sie bewahrt bleiben vor dem Irrtum der Werke, der eigenen selbsterwählten Opferwerke, − dann wirst Du sie in den Gehorsam führen, der beßer ist, als Opfer!
 Wie aber, Brüder, kommt man denn zu jener herrlichen Buße, die den Zöllner beseelt, die aus ihm spricht, aus Hand und Aug und Mund? Was macht aus dem leichtfertigen Sünder, der sich von allen Sünden lachend absolvirt, ehe er sie begeht und ihre Schuld weglöscht, wie die Speise vom Munde, − was macht aus dem Gottvergeßenen, den kein Andenken des Zeugen über den Wolken, keine Erinnerung des Todes und Gerichtes von Sünden abschreckt, − was macht aus dem Menschen, der für Gott todt ist, für den Gott, ach verzeih, mein HErr, wie todt erscheint: was macht aus dem den tiefbetrübten, sehr erschreckten, gewißensvollen, gnadehungrigen Sohn? Etwa die Thränen der Mutter, des Weibes, − etwa die grelle Nachahmung der Kinder, − etwa Schicksal und Noth? Erwarte es nicht. Dieß alles ist unbefruchteter Saame, wenn das Wort nicht hinzukommt. Das Wort des HErrn, das Himmel und Erde erschuf, das Wort, welches vom Sinai schreckt, und vom Golgatha tröstet, − Gesetz und Evangelium, in richtiger Theilung, in heiliger Verbindung nach der| Ordnung des Heils. − Das Wort der Predigt, das thut es! Zwar in diesem Gleichnisse spricht der HErr nicht davon, und auch wir wollen es jetzt nicht weit ausstreichen. Aber an viel hundert andern Stellen sagt ER’s, Seine Propheten, Seine Apostel, − und oft, oftmals haben auch wirs an dieser Stätte wiederholt, daß das Evangelium Tröstung wirkt für die, auf welche das Gesetz Schrecken ergoß!

 Doch halt! Vom Evangelium laßt uns doch noch ein Wort reden, denn zum Evangelium gehört es. Was urtheilt denn der HErr vom Zöllner, der sich selbst verurtheilt? Ich frage nicht: was urtheilt der HErr vom Pharisäer; das Gleichnis sagt das nicht, obgleich sich Gottes Urtheil in stummer Sprache aus dem Zusammenhange deutlich genug ergibt. Es ist nicht nöthig, daß man sich vom Urtheil Gottes über den Pharisäer weiter bespreche. Aber es mehrt, es macht vollkommen unsre Freude, wenn wir das Urtheil des HErrn über den bußfertigen Zöllner vernehmen. „Ich sage euch,“ beginnt der HErr. Er sage uns Sein Urtheil. ER ist der wahrhaftige Richter, in deßen Allmacht alles, nur keine Lüge, nur nichts Böses steht. Er sagt vom Zöllner: „er gieng gerechtfertigt hinab vor jenem.“ Faßet es wohl, meine Lieben! Es heißt nicht geradezu: „Er gieng hinab gerechtfertigt“; so weit war’s mit dem Zöllner, wie es scheint, noch nicht. Es heißt nur: „Er gieng hinab gerechtfertigt vor jenem, vor dem Pharisäer,“ d. i. Gottes Urtheil über ihm war günstiger, als über dem Pharisäer, weil er in der That der beßere und heiligere war. Denn wenn man fragen wollte, wer war beim Beten im Tempel heiliger, der Pharisäer oder der Zöllner, so müßten wir sagen: „der Zöllner,“ denn der Pharisäer hatte gar keine Tugend, aber der Zöllner war wahrhaftig nach Erkenntnis, Willen und Gefühl, − er war in demüthiger Wahrheit und in der wahren Demuth, welche für gefallene Wesen die einzig mögliche ist, er war in der Demuth eines sein ganzes Wesen durchdringenden Selbstgerichtes. Aber darum rechtfertigte ihn der HErr nicht, das nahm ja seine vorige Sünde nicht weg, so wie die Genesung die vergangene Zeit der Krankheit nicht austilgt. Es war der Geist der Rechtfertigung, der ihm zu dem empfänglichen, demüthigen, hungrigen Sinne verholfen hatte, aber noch war die Rechtfertigung nicht vorhanden. Die Rechtfertigung ist eine Gnade, − aber nicht die erste. Die Erkenntnis der Sünde, wie sie der Zöllner hat, ist Leben aus Gott, nur noch nicht das Leben des Gerechtfertigten. Aber wer Erkenntnis der Sünden hat, der geht der Rechtfertigung der Sünden entgegen. Wer da hat, dem wird gegeben; − wer Reue hat, dem kommt Friede, − wer sich selbst richtet, dem zeigt der HErr, daß er aus dem Gerichte genommen ist, − wer sich und seine Feindschaft wider Gott erkennt, der wird mit der Botschaft eines ewigen Friedens getröstet. Die Welt erkennt das nicht. Sie hat, wie wir sagten, einen andern Begriff von Tugend und läßt keinen selig werden, als wer ihn mit ihr theilt. Sie erkennt keine Rechtfertigung, keine Freisprechung der Reumüthigen; sie vergibt nicht; ihr bleiben heillos, die ehedem gottlos waren, und wenn sie im Staube winseln. Pharisäer spricht sie heilig, reumüthige Sünder nimmt sie nicht in ihren Himmel. Aber das Urtheil der Welt hat auch für niemand Bedeutung, − als allein für sie, − eine schreckliche Bedeutung, das sieht man am Pharisäer, denn er urtheilte von sich das Gegentheil vom Urtheil des Richters. Trotz dem Schelten der Welt, die keinem Sünder, auch keinem reumüthigen, die Seligkeit mehr als möglich zeigt, spricht doch Christus immerfort noch, wie einst, in Seinem Worte von dem reumüthigen Zöllner: „er gieng gerechtfertigt hinab vor jenem etc.“ Trotz des neidischen Geschreis der Pharisäer: „Dieser nimmt die Sünder an,“ antwortet doch die Gemeinde der erlöseten Sünder mit einem heiligen, lauten Echo: „JEsus nimmt die Sünder an.“ Trotzdem, daß alle Pharisäer sich selbst und ihres Gleichen loben und gerecht sprechen, ist’s doch leider, ach leider für die Pharisäer, gewis, daß keiner, der sich selbst rechtfertigt, von dem HErrn gerechtfertigt hinabgeht.

 Wer sich erhöhet, der wird erniedrigt werden.“ Der Pharisäer dachte nicht daran, daß er sich ohne Ursach erhöhe; er glaubte in seinem Gebete nur Wahrheit zu sprechen. Er vergaß, bei dem, was er sagte, die Demuth zu Rath zu ziehen, und den Hochmuth auszuschließen. Wahrheit in Hochmuth gesprochen ist Lüge und Selbsterhöhung, auch wenn sie mehr umfaßte und besagte, als im Munde des Pharisäers. Hochmuth macht alle Tugenden, auch die Wahrheit, auch das Dankgebet zur Sünde. Hochmuth erhöht drum nicht wahrhaftig, es sei denn, daß| das in der Einbildung des Hochmüthigen eine Erhöhung schiene, was vor Gott ein tiefer Fall ist. Ein Sünder liegt im Staube tiefer Thale, aber wer sich der Tugend rühmt, steigt aus dem Thale auf den Fels, um sich von da hinab desto schrecklicher zu betten. O Hochmuth, Hochmuth, wie grausam bist du gegen deine Kinder, du wirfst sie von Moria hinab in Gehenna! − Davor behüte uns, o großer Gott!

 Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden.“ Wie? sollen wir uns erst noch erniedrigen? Sind wir denn nicht durch unsre Sünden ohnehin schon so tief erniedrigt, als wir sein können? So fragst du? Du ahnst wohl, daß der Sünder sich nicht erhöhen kann, und doch redet der HErr von Erhöhung. So können wir auch in keiner Weise erniedrigt werden und in keinem andern Sinne, als auch von Erhöhung geredet werden kann. Nicht unsre Tugend, sondern die Schätzung unsrer Tugend soll erniedrigt werden; nicht unsre Schätzung, wohl aber die Stufe unsrer Tugend darf erhöhet werden. Es gibt Menschen, die es auch auf platter Erde und auf kothigen Straßen schwindelt, so dünken sich viele mitten in Sünden etwas zu sein. Den Dünkel sollen wir fallen laßen, uns erkennen, wie uns Gott unser Wesen zeigt, werden wie der Zöllner war, klein, gering, voll Schaam, voll Reu und Selbstgerichtes. Das heißt sich erniedrigen − und das hat die Verheißung der Erhöhung − einer Erhöhung zu Gottes Herzen, zu Gottes Gnaden und zu Gottes Rechtfertigung, daß wir hinabgehen von Moria in die heilige Stadt und in ihren Thoren verkünden, wie selig der Mensch und wie groß der Kleine ist, der Gottes Gnade fand.

 Wenn Du mich demüthigest, machst Du mich groß! Demüthige mich durch Dein Wort, das ist die beste Demuth! Nimm mich mir, das ist, nimm mich von meiner Höhe! Gib mich Dir, Deiner Gnade, das ist erhöhe mich zu Deinem Herzen! Mache mich zum Zöllner, daß ich meinen Brüdern verkündige Dein Erbarmen! Mach mich dazu und laß mich davon reden, daß andre mit mir werden − reumüthige Zöllner! Amen.




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